Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Zielvereinbarung des Hessischen Hochschulgesetzes. In der Novelle des Hessischen Hochschulgesetzes wird die Zielvereinbarung als ”das Instrument der Umsetzung der landespolitischen Zielsetzungen” genannt. Zielvereinbarungen sollen nunmehr an die Stelle der Zielvorgaben treten, vgl. § 91 Hochschulgesetzentwurf (HHGE). Bislang bestanden sie lediglich als Kann-Bestimmung, § 95 Hochschulgesetz (HHG). Das Instrumentarium der Zielvereinbarungen kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist mit weiteren Elementen des sogenannten Neuen Steuerungsmodells in Beziehung zu setzen.
Zum Teil wird die Auffassung vertreten, Rechtscharakter, inhaltliche Reichweite und Verbindlichkeit von Zielvereinbarungen seien noch nicht geklärt. Der geforderte Rückzug des Haushaltsgesetzgebers aus der haushaltsmäßigen Detailsteuerung berührt verfassungsrechtliche Haushaltsgrundlagen.Teilweise wird befürchtet, das Neue Steuerungsmodell führe zu einem normativen Kahlschlag, zu einer Blankodelegation von Gesetzgebungsbefugnissen an die Exekutive.
Demokratisch-parlamentarische Legitimation und rechtsstaatliche Vorhersehbarkeit und Bestimmbarkeit seien dadurch gefährdet. Dieses Verständnis des demokratischen Rechtsstaates geht von einer linearen Legitimationskette aus, bei der im Wege eines strikten Gesetzesvollzuges gesetzliche Anweisungen hierarchisch und inputorientiert von der Verwaltung umgesetzt werden. Danach ist die Verwaltungsorganisation ein Mittel zum Zwecke des Gesetzesvollzugs.
Einleitung
In der Begründung zum Gesetzesentwurf zur Novelle des Hessischen Hochschulgesetzes wird die Zielvereinbarung als ”das Instrument der Umsetzung der landespolitischen Zielsetzungen” genannt1. Zielvereinbarungen sollen nunmehr an die Stelle der Zielvorgaben treten, vgl. § 91 Hochschulgesetzentwurf (HHGE). Bislang bestanden sie lediglich als Kann- Bestimmung, § 95 Hochschulgesetz (HHG). Soweit Verf. bekannt, existiert in Hessen bislang keine Hochschule, die vollstandig auf der Grundlage von Zielvereinbarungen arbeitet, auch in anderen Bundeslandern wurden Zielvereinbarungen im Hochschulbereich zwar geschlossen, nicht aber so weit praktisch umgesetzt, daB deren Erfahrungen bereits ein vollstandiges Bild vermitteln könnten. Darüber hinaus verfolgt Hessen eine z.T. andersartige Ausgestaltung von Zielvereinbarungen2. So sollen die hessischen Hochschulzielvereinbarungen einen höheren Detailierungsgrad aufweisen als etwa die hamburgische Universitats - Zielvereinbarung, welche im wesentlichen das dortige Hochschulgesetz aufgreift und darüber hinaus den Kostenrahmen bestimmt3.
Das Neue Steuerungsmodell
Das Instrumentarium der Zielvereinbarungen kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist mit weiteren Elementen des sogenannten Neuen Steuerungsmodells4 in Beziehung zu setzen.
Das Neue Steuerungsmodell soll der Verwaltung gröBere Freiraume zur Ausschöpfung ihrer Leistungsreserven verschaffen und dem Parlament ermöglichen, seine politischen Aufgaben der Gesamtsteuerung - die Vorgabe von Zielen, die Freigabe der erforderlichen Ressourcen und die Kontrolle des Leistungsergebnisses - wirkungsvoller wahrzunehmen5.
Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Umorientierung der ”inputorientierten” Lenkung durch zentrale Ressourcenvorgaben (Stellen- und Sachmittel) in eine an den Verwaltungsleistungen - dem ”output” orientierten Steuerung6.
Der neue Ansatz verwendet als Schlüsselbegriff das ”Produkt” als Ergebnis des Verwaltungshandelns. Das Produkt ist Informations- und Kostentrager und kann in Leistungshaushalten und Zielvereinbarungen als SteuerungsgröBe Verwendung finden7.
Als Produkt wird eine Leistung oder Gruppe von Leistungen verstanden, die von Stellen auBerhalb des jeweils betrachteten Fachbereichs - innerhalb oder auBerhalb der Verwaltung - benötigt wird. Die Beschreibung eines solchen Produkts umfaBt etwa: Kennzeichnung, Leistungsumfang, Daten zur Quantitat, Qualitat, Zielerreichung; Finanzen und Budget.8
Die innerhalb und auBerhalb der sogenannten ”Fachbereiche”9 nachgefragten Leistungen sollen weiter in Produktgruppen und Produktbereiche zusammengefaBt werden, so daB sich eine neue ergebnisorientierte Produkthierarchie ergibt. Für jeden Fachbereich soll dann festgelegt werden, wie die Erstellung der Produkte zu finanzieren ist, Gegenstande der Steuerung sollen die Vorgabe von Produkten und produktbezogene Budgets sein. Entscheidend ist weiter die Einheit von Fach- und Ressourcenverantwortung, wobei die Fachbereiche nicht nur für die Planung und Ausführung der Produkterstellung, sondern auch für die zweckmaBige Verwendung der zugewiesenen Budgets verantwortlich sein sollen10.
Dabei soll der Haushaltsplan das wichtigste Instrument sein; er gilt als Rahmenkontrakt. Sein Inhalt soll sich aber grundlegend andern.
Mit der outputorientierten Budgetierung in Form von Leistungshaushalten oder Vorgabenhaushalten soll die inhaltliche und finanzielle Programmierung zusammengeführt werden, indem Regelungen mit AuBenwirkung gegenüber dem Bürger und das bisher rein binnenorientierte Haushaltsrecht verknüpft werden. Dies soll dem Parlament eine bessere Steuerung als bisher erlauben11.
Der Produkthaushalt geht von einem Auftragsverhaltnis zwischen Parlament und Landesregierung aus. Danach bestellt das Parlament konkrete Leistungen, deren Ziel und Umfang vorgegeben sind. Über die Erfüllung der Leistungsvorgaben wird das Parlament im Rahmen der Rechnungslegung unterrichtet12. Hierbei sind folglich die Beschreibungen der Produkte ebenso wichtig wie die Angaben über den finanziellen Aufwand13.
Beim Globalhaushalt handelt es sich um einen Gesamthaushalt für eine Behörde, der in einer Gesamtzahlung ohne weitere Zwecksetzungen die Leistungen der Behörde im gesamten Wirtschaftsjahr dotiert, ohne Reste am Ende des Haushaltsjahres zurückzufordern14.
Weiter soll nach den Reformvorstellungen das Kontraktmanagement durch Zielvereinbarungen zwischen Politik und Verwaltung sowie zwischen Verwaltungsführung und Führung der Fachbereiche Mittel der Steuerung sein15. Das Kontraktmanagement zielt - nach einer Kurzformel - darauf ab, der Politik das ”Was”, der Verwaltung das ”Wie” der Aufgabenerfüllung zu übertragen16.
Die Verwaltung soll im Rahmen des Kontraktmanagements verpflichtet werden, die in den Produktbeschreibungen genannten Leistungen zu erbringen.
Nach Festlegung der von der Behörde erwarteten Leistungen und ihrer Dotierung im „Vertrag“ übt die übergeordnete Stelle wahrend dessen Laufzeit nur noch ein zurückhaltendes Controlling über die Einhaltung der Kontraktziele aus, verzichtet also auf Weisungen, Finanzauflagen und sonstige Aufsichtsmittel17. Teilweise wird auch vertreten, der übergeordneten Ebene stehe die Möglichkeit des steuernden Einzeleingriffs überhaupt 18 nicht mehr zur Verfügung18.
Von der nunmehr im Wirtschaften flexiblen Behörde erwartet der Globalhaushalt ein betriebswirtschaftliches Vorgehen bei der Bewaltigung ihrer Aufgaben. Sie muB den Ertrag 19 ihrer Leistungen ebenfalls in kaufmannischer Weise bewaltigen19. SchlieBlich sollen Vereinbarungen über ein regelmaBiges Berichtswesen - über Berichtsinhalte, -formen und -wege sowie über die Haufigkeit der Berichterstattung getroffen werden, die die Steuerung und Überwachung der Zielerreichung im Rahmen des Controlling ermöglichen20. Das Berichtswesen soll transparent, produktorientiert und zeitnah gestaltet werden. Dieses ”Controlling” ist erforderlich, um bei sich abzeichnenden Zielabweichungen steuernd eingreifen zu können21.
Auch § 6 a Abs. 1 S. 3 Haushaltsgrundsatzegesetz (HGrG) postuliert, daB Voraussetzung der Übertragung der Finanzverantwortung auf Organisationseinheiten, die Fach- und Sachverantwortung haben, geeignete Informations- und Steuerungsinstrumente sind, mit denen insbesondere sichergestellt wird, daB das jeweils verfügbare Ausgabevolumen nicht überschritten wird22.
Sachliche Probleme des Neuen Steuerungsmodells
Als entscheidender EngpaB, der die Realisierung der erwarteten Effizienzgewinne in Frage stellt, wird die Verfügbarkeit eines alle notwendigen Komponenten umfassenden Informationssystems angesehen23.
Die Definition von Produkten ist insbesondere dann schwierig, wenn es sich um Dienstleistungen bzw. andere qualitatsorientierte Leistungen handelt. Dienstleistungen verwirklichen sich erst in der Interaktion zwischen Erbringer und Nutzer der Leistung. Produkt und Verbrauch geschehen praktisch zeitgleich. Der Hersteller der Dienstleistung ist Teil des Produkts. Die Identitat der beteiligten Personen hat EinfluB auf die Qualitat der Leistung. Dies gilt etwa für Beratungsleistungen, erzieherische Leistungen oder kulturelle Leistungen.
Wie eine Universitat ihre Ausbildungsaufgabe erfüllt, laBt sich ebenso wenig an der Anzahl der Absolventen oder an der Studiendauer messen wie ihre Forschungsleistungen an der Anzahl der Veröffentlichungen ihrer Wissenschaftler. Darüber hinaus mag es Anreize zur Verdrangung nicht-marktfahiger durch marktfahige Leistungen und weniger kostengünstiger nicht-marktfahiger Leistung durch kostengünstigere geben, etwa daB angewandte Forschung Grundlagenforschung verdrangt und daB ”teure” Ausbildungsgange durch ”billige” verdrangt werden.
Die Rekonstruktion der Aufgabe und die Umdefinition der zu ihrer Erfüllung erforderlichen Schritte in die Kategorie von Produkten kann bemerkt oder unbemerkt zu einer Qualitatsverschiebung bei der Aufgabenerfüllung führen. So ist keineswegs gesichert, daB die Summe der so definierten Produkte identisch mit dem ist, was herkömmlicherweise als eine angemessene Aufgabenerfüllung verstanden wird24.
Es besteht weiter die Gefahr der drohenden Vernachlassigung langerfristiger oder nur schwer meBbarer Ziele, der Praferenz von eher leicht erfüllbaren Zielen und das Problem der begrenzten Eignung des Neuen Steuerungsmodells auBerhalb standardisierbarer Aufgabenerfüllung25.
Die Hinwendung zum neuen Steuerungsmodell gelingt nach teilweiser Ansicht also nur bei sicher bestimmbaren Aufgaben, bei stetiger Nachfrage nach den Verwaltungsleistungen und abschatzbaren Produktkosten26.
Jedenfalls wird ein neues, verbessertes Informationsmanagement zwischen Parlament und Verwaltung als ein entscheidender Erfolgsfaktor für das Gelingen der neuen Steuerungsmodelle angesehen27.
Weitere Schwachpunkte sind die notwendige eindeutige Trennung der Kompetenzen von Politik und Verwaltung mit einem Zurückdrangen der Politik auf das Setzen von Rahmenbedingungen für das Verwaltungshandeln bei gleichzeitiger ”Entpolitisierung” des Verwaltungsapparates sowie die notwendige getrennte Erfassung der Wirkungen 28 politischen Handelns (outcome) und seiner administrativen Umsetzung (output)*28.
Die Kehrseite der Flexibilisierung liegt weiter darin, daB sich die Politik aus der mit Haushaltsentscheidungen verbundenen Verantwortung für die Hochschulentwicklung entfernen kann, da die konkrete Plazierung von Mittelkürzungen in den Hochschulen selbst vorgenommen wird. Dies tritt vor allem dann in den Vordergrund, wenn man sich primar auf Haushaltsglobalisierung und die damit gewonnene Flexibilitat konzentriert, jedoch die andere Seite, namlich die Ergebnisberichte und die Zielvereinbarungen vernachlassigt29.
Die Konzentration auf Wirtschaftlichkeit hat weiter die Konsequenz, daB der in Art. 109 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verankerten Verpflichtung des Staatshaushalts auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht schwer nachzukommen ist. Wenn der Budgetherr Finanzverantwortung nach unten abgibt, im Kontrakt Planungssicherheit und zurückhaltendes Controlling verspricht und Haushaltsreste für kommende Jahre belaBt, kann er nicht mehr durch Einzelweisungen Ausgaben aus makroökonomischen Gründen anregen oder reduzieren30.
Darüber hinaus erhalt das Führungsmittel der Zielvereinbarung seinen spezifischen Sinn durch ein konsensuales Element. Jedes auf Konsens angelegte Organisationsmodell muB 31 freilich eine Lösung auch für den Fall bereithalten, daB sich die Beteiligten nicht einigen31.
Zu beachten ist schlieBlich, daB die bisherigen Erfahrungen mit Globalhaushalten aus besonders ausgewahlten, motivierten und geschulten Verwaltungen stammen, die sich des Modellcharakters ihrer Bemühungen und der intensiven Beobachtung von auBen bewuBt waren. Vor einer flachendeckenden Einführung steht also noch der Nachweis der langfristigen Alltagstauglichkeit32.
Rechtliche Einordnung von Zielvereinbarungen
Zum Teil wird die Auffassung vertreten, Rechtscharakter, inhaltliche Reichweite und Verbindlichkeit von Zielvereinbarungen seien noch nicht geklart33.
Die Bezeichnung von Zielvereinbarungen oder - scharfer - Kontrakten als ”zwingend”34 legt sprachlich die Vermutung nahe, daB es sich hierbei um Vertrage im Rechtssinne handeln könnte. Ein Vertrag ist nach allgemeiner Rechtslehre die Einigung von Vertragspartnern über die Herbeiführung eines bestimmten Rechtserfolges35.
Ein durch öffentlich-rechtliche Verpflichtungen und Berechtigungen gekennzeichneter Vertrag ist grundsatzlich als öffentlich-rechtlicher Vertrag nach §§ 54 ff. Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz (HVwVfG) zu beurteilen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, daB die entsprechenden Rechtstrager untereinander auch zum AbschluB von Vertragen berechtigt sind.
Entscheidend ist damit die Kompetenzzuordnung der Verfassung. Die Ausübung der gesetzlich vorgesehenen Zustandigkeiten steht nicht im Belieben der hierfür berufenen Subjekte, Kompetenz ist nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht36.
Aus der Funktion des Landtags als Kontrollorgan der Regierung und Verwaltung folgt, daB sich seine Verantwortung nicht in einem einmaligen Akt - etwa dem BeschluB des Haushaltsgesetzes - erschöpfen soll, sondern daB die Verwaltungstatigkeit einer fortlaufenden parlamentarischen Steuerung bedarf. Der Landtag kann Entscheidungsbefugnisse nicht vollstandig, sondern nur insofern übertragen, als er selbst jederzeit die Zustandigkeit wieder an sich ziehen kann. Der Landtag ist also nicht berechtigt, durch vertragliche Absprachen rechtlich verbindlich auf die Ausübung seiner Kompetenzen zu verzichten.
Der Auftrag zur permanenten, politischen Selbstregulierung entzieht sich der rechtlichen Fixierung durch die Akteure auBerhalb der von der Verfassung selbst hierfür vorgesehenen Formen. Diese sind das Gesetz - einschlieBlich Haushaltsgesetz - sowie die verfassungsrechtlich vorgesehenen Instrumente zur Effektuierung parlamentarischer Verantwortung der Mitglieder des Landtags. Für einen rechtlich verbindlichen Kontrakt ist neben diesen Instrumenten kein Raum37.
Damit sind rechtlich verbindliche Absprachen im Sinne von juristischen Vertragen zwischen Landtag und Landesregierung nicht möglich.
Gleiches gilt auch für Zielvereinbarungen zwischen der Landesregierung bzw. dem Ministerium und untergeordneten Verwaltungseinheiten, also auch den Hochschulen. Da namlich die Legitimation des Ministeriums vom Landtag abgeleitet ist, kann dieses ebenso wenig auf seine Befugnisse verbindlich verzichten wie der Landtag.
Zielvereinbarungen sind damit nicht als Vertrage im Rechtssinne zu qualifizieren38. Insofern wird auch von unvollstandigen Quasi-Vertragen gesprochen39. Das Kontraktmanagement laBt sich damit als informelles Verwaltungshandeln begreifen40. Die Bindungswirkung ist 41 allein politischer Natur, ein Bruch der Vereinbarung bleibt ohne rechtliche Wirkung41.
Dennoch wird durchaus vertreten, daB Zielvereinbarungen im Einzelfall ein Vertrauen begründen können, welches sodann rechtlich geschützt sein kann42.
Haushaltsrechtliche Implikationen von Globalbudgets
Der geforderte Rückzug des Haushaltsgesetzgebers aus der haushaltsmaBigen Detailsteuerung berührt verfassungsrechtliche Haushaltsgrundlagen43.
Haushaltsgesetz und Haushaltsplan haben die Funktion eines staatsleitenden Hoheitsakts, der eine zentrale wirtschaftliche Grundsatzentscheidung für die zentralen Bereiche der Politik wahrend des Planungszeitraums enthalt44.
Dem Parlament kommt folglich mit dem Budgetrecht die zentrale politische Steuerungs- und Kontrollfunktion zu und es darf sich in dieser Kompetenz auch nicht entmachten; dies gilt auch dann, wenn das Parlament einen entsprechenden Haushaltsplan verabschiedet. Das Parlament darf sich seiner Budgetkompetenz nicht durch Delegation an ein anderes Organ entledigen45.
Art. 139 Abs. 2 S. 1 Hessische Verfassung (HV) bestimmt, daB alle Einnahmen und Ausgaben in den Haushaltsplan einzustellen sind. Das hierin ausgedrückte Vollstandigkeitsprinzip findet seine Auspragungen insbesondere im Bruttoprinzip und dem Grundsatz der Spezialitat46.
Das Bruttoprinzip besagt, daB alle Einnahmen und Ausgaben getrennt voneinander zu veranschlagen sind. Reine ZuschuBhaushalte waren mit geltendem Haushaltsrecht nicht vereinbar. Das Haushaltsrecht laBt lediglich in besonderen Ausnahmefallen Abweichungen zu.
Nach dem Grundsatz der Spezialitat darf die im Haushaltsplan für eine bestimmte Position veranschlagte Summe ausschlieBlich für diesen Zweck verwendet werden. Ausnahmen hiervon sind die Deckungsfahigkeit und die Übertragbarkeit. Diese Ausnahmen setzen allerdings eine Einzelprüfung voraus, ihr flachendeckender Einsatz bedürfte einer gesetzlichen Neuregelung. Darüber hinaus setzen die verfassungsrechtlichen Vorgaben über die zulassige Kreditaufnahme dem Institut der Deckungsfahigkeit weitere Grenzen, investive Ansatze und Verwaltungskosten sind hiernach namlich nicht gegenseitig deckungsfahig.
Diese Prinzipien führen zu einer Vielzahl zum Teil auBerst kleinteiliger Haushaltstitel, mit denen festgelegt wird, welche Finanzvolumina einer Hochschule für ihre Auslandsbeziehungen, Öffentlichkeitsarbeit, Tutorien, Bauunterhaltung, Weiterbildungsveranstaltungen o.a. zur Verfügung stehen47. Der Haushalt des Landes Hessen ist von 600 Seiten im Jahre 1946 auf 6.600 im Jahre 1995 angewachsen48. Formal werden diese Titel im Parlament bestimmt, faktisch in langwierigen Verhandlungen zwischen den Wissenschafts- und Finanzministern festgesetzt.49.
Insoweit führt eine Hinwendung zu einem durchschaubaren Produkthaushalt mit Evaluationsverpflichtungen gegenüber dem Parlament als Ausformung eines konsequenten Neuen Steuerungsmodells materiell in der Tat zu einer verbesserten Steuerungsmöglichkeit des Landtags50. Voraussetzung hierfür ist allerdings die Festlegung der (Mit-) Entscheidung des Parlaments über die Ziele und der Berichtspflicht an den Landtag sowie die Bereitschaft von Verwaltung und Parlament, sich auf ein solches Modell einzulassen.
Zulassigkeit von Zielvereinbarungen
Teilweise wird befürchtet, das Neue Steuerungsmodell führe zu einem normativen Kahlschlag, zu einer Blankodelegation von Gesetzgebungsbefugnissen an die Exekutive. Demokratisch-parlamentarische Legitimation und rechtsstaatliche Vorhersehbarkeit und Bestimmbarkeit seien dadurch gefahrdet. Dieses Verstandnis des demokratischen Rechtsstaates geht von einer linearen Legitimationskette aus, bei der im Wege eines strikten Gesetzesvollzuges gesetzliche Anweisungen hierarchisch und inputorientiert von der Verwaltung umgesetzt werden. Danach ist die Verwaltungsorganisation ein Mittel zum Zwecke des Gesetzesvollzugs51.
In diesem Zusammenhang wird teilweise schon eine experimentelle Gesetzeslockerung kritisch betrachtet52.
Da Zielvereinbarungen nicht gesetzlich vorgesehen sind, werden sie teilweise sogar für schlichtweg unzulassig gehalten. ”Demokratie und Rechtsstaat begründen die klassische Verwaltungsorganisation. Sie verlangen eine klare Zustandigkeitsordnung und eine Hierarchie der Verantwortlichkeiten. Die Verwaltung muB in voraussehbarer Weise durch konditionale Rechtssatze programmiert werden. Demokratie und Rechtsstaat legen das Schwergewicht auf die Inputsteuerung. Führung erfolgt über Strukturen, Verfahren und Ressourcen”53. Oder: ”Die Rechtsnormen, nicht die Finanzen leiten das Staatshandeln.”54. Hiergegen laBt sich aber einwenden, daB die Rücksichtnahme auf die Staatsfinanzen dem deutschen Recht durchaus nicht fremd ist55, daB die Anordnungen des Gesetzgebers im Haushaltsgesetz - auch bei Ausweisung von Globalbudgets - selbst Rechtsnormen sind und der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit nach Art. 114 Abs. 2 GG selbst Verfassungsrang besitzt.
Darüber hinaus wird ein Umsteuern auf leistungsorientierte Haushalte teilweise sogar als verfassungsrechtlich geboten begriffen: ”Nur eine ergebnisorientierte Budgetgestaltung, die durch Ausweis der angestrebten Ziele eine Bewertung der von der Exekutive erbrachten Leistungen ermöglicht, vermittelt der staatlichen Haushaltsführung die Transparenz, die die Regierung zur verantwortlichen Wahrnehmung ihrer Führungsaufgaben benötigt und die das Parlament zu differenzierter Willensbildung und Erfolgskontrolle und zur rationalen Planung und Gestaltung staatlicher Zukunftsaufgaben befahigt.”56 ”Der grundgesetzliche Prüfungsauftrag ist nur dann voll erfüllbar, wenn die Haushaltsrechnung (und dementsprechend der Haushaltsplan) inhaltlich so gestaltet und gegliedert ist, daB ihr Informationsgehalt eine Finanzkontrolle nicht nur unter Ordnungs-, sondern auch unter Wirksamkeitsgesichtspunkten gestattet. Insofern laBt sich die Forderung nach einem starker ziel- und ergebnisorientierten Programmbudget unmittelbar aus der Verfassung ableiten.”57.
Wenn das parlamentarische Gesetz als Auftrag zur Zielverwirklichung verstanden wird, können Zielvereinbarungen eine Ebene tiefer als normkonkretisierende Vereinbarung angesehen werden. Sie erlauben dem Parlament eine weitergehende Steuerung als die Mitwirkung an Rechtsverordnungen und sichern der Exekutivspitze einen aktuelleren EinfluB als Verwaltungsvorschriften. Sie beinhalten eine materielle Annaherung an den gesetzlich gewünschten Zustand, der dialogisch ausgefüllt wird. Die gemeinsam getragenen Aussagen für Erfolg und MiBerfolg nutzen die wechselseitigen Ressourcen und Voraussetzungen und erhöhen damit den Gesamterfolg staatlicher Steuerung. Die Kombination von Leistungs-, Finanz- und Qualitatszielen, die Bildung von Zielhierarchien und produktbezogenen Kennzahlen ermöglichen eine qualitative Verdichtung der Steuerung.
Verfassungsrechtlich könne einer solchen Konzeption der Grundsatz der sachlichen Bindung oder Spezialitat kaum entgegenstehen. Denn wenn das Parlament sogar die Möglichkeit habe, bestimmte Angelegenheiten etwa durch Schaffung von Eigenbetrieben weitestgehend aus seiner Detailkompetenz zu entlassen, müsse es ihm um so mehr möglich sein, bestimmte Bereiche grundsatzlich in seiner Kompetenz zu belassen, den ausführenden Organen aber durch die bewuBte Einraumung von mehr Eigenverantwortung und Flexibilitat bei den Entscheidungen über das „Wie“ der einzusetzenden Mittel gleichzeitig einen höheren Effizienzgrad zu ermöglichen58.
[...]
1 Vorlage der Landesregierung vom 29. 2. 2000 - Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Anderung des Hessischen Hochschulgesetzes, Begründung zu Artikel 1 - Anderung des Hessischen
2 Hochschulgesetzes, Allgemeines
3 Vgl. Unten S. 8 ff.
4 Vgl. Ziel- und Leistungsvereinbarung zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der
5 Universitat Hamburg
6 Vgl. Harms/Naumann, DÖV 1992, 822 ff., Hoffmann-Riem, DÖV 1997, 433 (436), König, DÖV 1995, 349 (350), Busse, DÖV 1996, 389 (395)
7 Pünder, DÖV 1998, 63 (65) )
8 Hoffmann-Riem DÖV 1997, 433 (436), Wallerath DÖV 1997, 57 (59)
9 Hill, Gesetzgebung und Verwaltungsmodernisierung, S. 63
10 Hoffmann-Riem, DÖV 1997, 433 (437)
11 Diese sind nicht mit den Fachbereichen der Hochschulen zu verwechseln.
12 Pünder, DÖV 1998, 63 (64)
13 Hill, Gesetzgebung und Verwaltungsmodernisierung, S. 71
14 Zahn in: Hill/Klages Die Rolle des Parlaments in der neuen Steuerung, 1998, S. 82
15 Pünder, DÖV 1998, 63 (65)
16 Kirchhof, DÖV 1997, 749 (754), vgl. insgesamt Harms/Naumann, DÖV 1992, 822 ff.
17 Pünder, DÖV 1998, 63 (64)
18 Wallerath, DÖV 1997, 57 (59)
19 Kirchhof, DÖV 1997, 749 (755)
20 vgl. Wallerath, DÖV 1997, 57 (61)
21 Kirchhof, DÖV 1997, 749 (755)
22 Hill, Gesetzgebung und Verwaltungsmodernisierung, S. 66
23 Pünder, DÖV 1998, 63 (64)
24 Hill, Gesetzgebung und Verwaltungsmodernisierung, S. 66
25 Lüder, DÖV 1996, 93 (99)
26 Hoffmann-Riem, DÖV 1997, 433 (437)
27 Wallerath, DÖV 1997, 57 (59)
28 Kirchhof, DÖV 1997, 749 (755)
29 Hill, Gesetzgebung und Verwaltungsmodernisierung, S. 75
30 Lüder, DÖV 1996, 93 (96)
31 Zechlin, KJ 1996, 68 (71)
32 Kirchhof, DÖV 1997, 749 (755)
33 Wallerath, DÖV 1997, 57 (60), Schulze-Fielitz, DVBl. 1994, 657 (659)
34 Kirchhof, DÖV 1997, 749 (756)
35 Hill, Gesetzgebung und Verwaltungsmodernisierung, S. 65, vgl. Wallerath, DÖV 1997, 57, 58,
36 Pünder DÖV 1998, 63
37 Wallerath, DÖV 1997, 57 (61)
38 Palandt, 59. Auflage, Einf. V. § 145 RN 1
39 Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, § 53, S. 715
40 Wallerath, DÖV 1997, 57 (62), vgl. auch Seidler, Grundanforderungen, S. 14
41 Pünder, DÖV 1998, 63 (67), Hoffmann-Riem, DÖV 1997, 433 (436), Lüder, DÖV 1996, 93 (95, 98)
42 Lüder, DÖV 1996, 93 (95)
43 Wallerath, DÖV 1997, 57 (61), vgl. Bulling, DÖV 1989, 277 (278)
44 Pünder, DÖV 1998, 63 (68)
45 Wallerath, DÖV 1997, 57 (61)
46 Seidler, KJ 1996, 75, Kirchhof, DÖV 1997, 749
47 VerfGH NRW, DVBl. 1994, 860 (860)
48 Ockermann in Hill / Klages, Die Rolle des Parlaments in der neuen Steuerung, 1998, 91 (94)
49 Wallerath, DÖV 1997, 57 (65)
50 Zechlin, KJ 1996, 68 (69)
51 Seidler, KJ 1996, 75 (75)
52 Zechlin, KJ 1996, 68 (69)
53 Vgl. Lange, DÖV 1995, 770 (773)
54 Schulze-Fielitz, DVBl. 1994, 658 (661)
55 Vgl. Siedentopf, DÖV 1995, (193) 193, a.A.: Lange, DÖV 1995, 770 ff.
56 Vgl. Hill, Gesetzgebung und Verwaltungsmodernisierung, S. 67
57 Vgl. Kirchhof, DÖV 1997, 749 (755)
58 BVerfGE 72, 175 (198), 60, 16 (43), 50, 386 (396)
- Arbeit zitieren
- Matthias Höreth (Autor:in), 2000, Hessische Hochschulpolitik durch Zielvereinbarungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/585178
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