Die 'Demoiselles' sind nicht nur ein Vorreiter für den Kubismus, sondern für die ganze folgende Moderne. Das Revolutionäre war die völlige Loslösung des Bildes von der Natur. Man kann sogar von der Befreiung der Malerei sprechen. Picasso malte abstrahiert und nicht völlig abstrakt wie kurze Zeit später Kandinsky. Die von ihm geschaffenen Formen können „noch als Abbildungen verstanden werden, aber nicht mehr als Imitation der Natur, sondern als reine, autonome Kunstgebilde.“(Warncke, 1991 151) Diese Autonomie der Kunstformen strahlte auf sämtliche nachfolgenden Künstler aus, weil mit ihr das Herkömmliche, die abbildende Funktion außer Kraft gesetzt wurde.
Dieses Meisterwerk wirkte sich nicht nur auf die bildenden Künste aus, da selbst über Franz Kafka bekannt ist, dass er Picassos Werk nicht nur gekannt und sondern auch bewundert hat und dass es Einfluss auf seine Literatur nahm. Auch bei dem Prager Literaten werden bekanntlich die klassischen Handlungsräume aufgelöst.
Die von mir zu Beginn dieser Arbeit aufgestellte These, dass Picasso überschätzt werden könnte, hat sich im Laufe der Arbeit in vielerlei Hinsicht als absolut falsche Annahme herausgestellt. Die anfängliche Skepsis rührte tatsächlich, wie vermutet, auf Unverständnis der Errungenschaften dieses Künstlers. Wenn mir im Zuge dieser Arbeit etwas bewusst wurde, dann der Fakt, dass das Werk Pablo Picassos wohl kaum überschätzt werden kann.
Inhalt
I. Picasso- Wirklich der Wegbereiter zur Moderne?
II. Einordnung Picassos in seine Zeit
III. Werkanalyse
1. Erster Eindruck
2. Künstlerische Problemstellungen
3. Formanalyse
3.1. Bildgegenstand
3.2. Bildform
3.3. Bildfarbe
3.4. Bildraum
3.5. Bildkomposition
3.6. Bildbewegung
3.7. Bildspannung
3.8. Bildeinheit
4. Außerbildlicher Kontext
5. Interpretationsversuch
IV. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis.
Anhang
I. Picasso- Wirklich der Wegbereiter zur Moderne?
Mit dem Namen Pablo Picasso schwingt immer das Geniebild oder sogar die Bezeichnung „Genie des Jahrhunderts“ mit. Dass diese Stilisierung oder gar Mythisierung eines Künstlers, der nur wenig länger als dreißig Jahre tot ist, große Faszination auf einen jungen Kunstfreund ausübt, ist da nicht weiter verwunderlich. Doch hinzu kommt noch, dass ich diesen interessanten Mann als Künstler für etwas überschätzt halte und vermute, dass es entweder daran liegt, dass ich ihn nicht richtig verstanden habe oder dass Picasso schlichtweg überschätzt wird. Ob also die Höhe des Podestes auf welches Picasso von vielen gehoben wird, gerechtfertigt ist, will ich überprüfen.
Was das Revolutionäre der `Demoiselles d´Avignon` war, an das sich unsere Sehgewohnheit durch häufige Reproduktion in den verschiedensten Medien schon etwas gewöhnt hat, soll in der folgenden Arbeit belegt werden. Es soll weiterhin auf die Frage eingegangen werden, ob dieses Kunstwerk den Wendepunkt hin zur modernen Kunst darstellt und in wieweit es schon als kubistisches Werk zu sehen ist.
II. Einordnung Picassos in seine Zeit
Picassos künstlerische Phasen werden in dieser Arbeit im Zusammenhang mit dem Thema der `Demoiselles´[1] nur bis zum Entstehungszeitraum 1907 skizziert, weil bei der Experimentierfreude Picassos alles andere den Rahmen dieser Arbeit schlichtweg sprengen würde.
Als Picasso dieses Bild 1907 malte, hatte er bereits die blaue und rosa Periode durchlaufen. In der blauen dominierten blau-grünliche Farbtöne und in der rosa Periode wurde das Sujet auf Zirkus- und Artistenszenerien erweitert, wodurch die Farbe, nach der dieser Abschnitt benannt ist, Einzug in die Gemälde hielt(Vgl. Krauße, 1995 92). „Seine Frühwerke hatten in keinster Weise dieses Furore machende Bild angekündigt.“(Krauße, 1995 92)
Er befasste sich in dieser Zeit mit Paul Cézanne, „dessen Ansatz, Form und Farbe in eigenständiger, nicht der Naturerscheinung, sondern ausschließlich malerischen Gesetzen gehorchender Weise einzusetzen, [mit Picassos Absichten übereinstimmte.]“(Warncke, 1991 143) Die `Demoiselles´ sind auch von einer Strandszene Cézannes inspiriert, in welcher ebenfalls fünf Frauen abgebildet sind(Vgl. Daix, 1982 29).
In der Literatur heißt es vielfach, dass eine weitere Inspirationsquelle afrikanische Plastiken seien, da Picasso 1907 eine Ausstellung im Trocadéro-Museum besuchte(Vgl. Walther, 1999 39f) und diese auf ihn einen großen Eindruck machten, da er sie selbst als „magische Objekte“(Honour, Fleming 2000 699) bezeichnete. Er selbst hat aber stets den Einfluss dieser auf die `Demoiselles` verneint (Vgl. Honour, Fleming 2000 696). Er war lediglich in dem Maße begeistert, da seine von ihm entwickelte Technik, ein Gesicht aus minimalen geometrischen Formen herzustellen und dabei eine Mehransichtigkeit mit einzubeziehen, der iberischen Kunst ähnelt. Er war begeistert, weil „ er erkennen musste, dass es seine Erfindung schon gab.“(Warncke 1991, 148 )
Picasso lebte zur Entstehungszeit des Bildes bereits „im Bateau-Lavoir in der Rue Ravaignan, der Arche der Bohemiens von ‚der Bande Picassos’“(Ruhrberg u. a., 2005 68), wo später auch Künstler wie Braque und Derrain arbeiteten. Eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung einer solchen künstlerischen Erneuerungsleistung dürfte die finanzielle Unabhängigkeit sein, in welcher sich Picasso zum Zeitpunkt der Entstehung befand, weil ihm der Kunsthändler Vollart sämtliche Bilder der rosa Periode abkaufte (Vgl. Walther, 1999 91).
III. Werkanalyse
1. Erster Eindruck
Beim ersten Betrachten der `Demoiselles´ fällt der Widerspruch zwischen den warmen sommerlichen Farben des Bildes, welche sehr anziehend wirken, im Gegensatz zu den Frauen im rechten Bildteil, die anstelle der Gesichter Fratzen haben, somit sehr abstoßend und fast gruselig wirken, auf. Wenn man sich diese befremdlichen Gestalten wegdenken würde, ließe sich beim Betrachten an Strandbäder denken. Von den Frauen in der Mitte geht durch Mimik und Gestik eine sinnlich erotische Aura aus. Sie erinnern etwas an die Sirenen aus der Odyssee, welches durch die antik anmutenden Tücher noch verstärkt wird. Der starrende Blick dieser Beiden und der Figur vorne rechts löst etwas Beklemmung aus und schafft seltsamerweise Distanz zu dem Bild.
Es wirft sich mir die Frage auf, warum nur zwei von den Fünfen diese Fratzen haben, wo doch augenscheinlich alle menschliche Akte darstellen sollen.
2. Künstlerische Problemstellung
Die Schwierigkeit, die der Künstler in der Darstellbarkeit dreidimensionaler Körper auf zweidimensionaler Fläche sah, wird behandelt und im kubistischen Sinne gelöst.
Picassos„Grundproblem ist die Frage nach der Darstellung dreidimensionaler Körper auf der zweidimensionalen Leinwand des Malers unter Verzicht auf perspektivischen Illusionismus.“(Ruhrberg u. a., 2005 67)
„Das Bild besitzt nun – im Gegensatz etwa noch zu den mehrfigurigen Bildern von 1906 – keinen Tiefenraum mehr, in dem die Figuren stehen oder sich bewegen, sondern der Raum ist in einer nicht mehr sehr tiefen Schicht mithilfe der Figuren selbst gebildet“(Boeck, 1955 142).
Picassos Problem mit dem Tiefenraum lag vor allem darin, dass er in der herkömmlichen Malerei auf der Leinwand nur durch Tricks dem Betrachter verständlich gemacht werden kann. Er lehnte sich einerseits gegen das Stellen der Farbe in den Mittelpunkt der Malerei durch die Expressionisten und Impressionisten auf, andererseits gegen den Augentrug, der unter anderem mit perspektivischen Hilfsmitteln erreicht wird (Vgl. Ruhrbeck u. a., 2005 67).
3. Formanalyse
3.1. Bildgegenstand
Auf diesem Bild sind fünf Frauenakte abgebildet. Die zwei Frauen in der Mitte blicken den Betrachter frontal an und sind mit weiß-grauen Tüchern mehr ent- als verhüllt. Dies wird durch die laszive Haltung der Beiden noch verstärkt. Die Gesichter dieser sind lediglich durch Konturlinien hervorgehoben. Die Figur links außen steht seitlich zum Betrachter und scheint angelehnt zu stehen. Ihr Gesicht ist im Vergleich mit den Antlitzen der beiden Frauen in der Mitte sehr dunkel gehalten. Sie erinnert in ihrer Starrheit an ägyptische Relieffiguren. Die beiden Frauen im rechten Bilddrittel haben maskenartige Gesichter, wobei die im unteren Bildteil Sitzende zwar mit dem Rücken zum Betrachter sitzt, doch diesen direkt anschaut. Die obere Figur scheint gerade im Begriff zu sein, sich in den Bildmittelgrund zu drängen. Sie soll, wie aus der Literatur hervorgeht, was aber im Bild selbst nur schwierig zu erkennen ist, einen Vorhang aufreißen (Vgl. Walther, 1999 37). Die untere Frau sitzt auf einer schwer erkennbaren, weil viel zu großen Hand aufgestützt (Vgl. Boeck, 1957 142). Die Gesichter dieser Beiden und vor allem „die Augen und Mundpartie widersprechen allen Naturgesetzen“(Walther, 1999 37). Vom unteren Bildrand schiebt sich mittig die Kante eines Tisches in den Bildraum, welcher durch seine zu starke Draufsicht mit der Perspektive der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Auf diesem liegen zwei weiße Tischdecken, auf welchen eine Melonenscheibe, Weintrauben, ein Apfel und eine Birne liegen. Diese besitzen kaum noch ihre natürliche Gestalt und auf die Darstellung der Lokalfarbe wurde zur Gänze verzichtet. Der Hintergrund ist in Flächen aufgelöst und wirkt vor allem im blauen Teil als wären die Einzelteile aufgeklebt. Es sind in ihm drei verschiedene vertikale Teile auszumachen, die sich durch Farbigkeit voneinander trennen.
3.2. Bildform
Die Körper der Frauen und vor allem der Hintergrund sind stark vereinfacht dargestellt, wobei die Abstraktion des Hintergrundes soweit fortgeschritten ist, dass der Ort nicht mehr zu erkennen ist. Alle Körperteile der Figuren und die Einzelteile des Hintergrundes sind aus einfachen geometrischen Formen zusammengesetzt. Die Abstraktion wird besonders deutlich an den Brüsten der Frau oben rechts, welche eine quadratische Form haben und diese wird zu einer „vom Torso losgelösten Fläche, während sie bei der Figur oben links noch zum Körper gehört.“(Rosenblum, 1960 25)
[...]
[1] Im weiteren Verlauf der Arbeit wird diese Bezeichnung für „Les Demoiselles d`Avignon“ beibehalten.
- Citation du texte
- Michael Ebel (Auteur), 2005, Der Auftakt der Moderne mit Pablo Picasso und seinen "Les Demoiselles d`Avignon", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58362
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