Um zu untersuchen, ob sich Bertolt Brechts frühes Theaterstück Baal in den Kontext der Neuen Sachlichkeit einordnen lässt, ist es zunächst erforderlich zu wissen, was diese Epoche eigentlich kennzeichnet. Dazu wiederum ist es nötig, erst einmal näher zu beleuchten, vor welchem historischen Hintergrund sie entstand, welche politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen zu einem Epochenwandel geführt haben und besonders welche literarische Kunstrichtung ihr vorausging. Aus dem Gesamtzusammenhang isoliert, ist es nicht möglich eine definitive, in sich geschlossene Antwort auf diese Fragestellung zu finden, da sie von zu vielen Faktoren abhängt, die – ließe man sie außer Acht – das Ergebnis oberflächlich erscheinen lassen und sogar verfälschen würden. Kenntnisse über die Ideologie des Expressionismus sind beispielsweise zwingend notwendig, da die Neue Sachlichkeit direkt daran anknüpft, sich gegen sie wendet und im Prinzip den Versuch darstellt, sie zu überwinden. Ebenso wichtig ist die gedankliche Auseinandersetzung mit der Weimarer Republik, jener Epoche zwischen den beiden Weltkriegen, in der die Neue Sachlichkeit entstand. Nur so wird – meine ich – verständlich, welche äußeren und inneren Umstände zu einem Wandel in den Köpfen der Menschen geführt haben, der sich schließlich auf künstlerischer Ebene offenbarte und sich in einer neuartigen Ideologie, Malerei und Literatur manifestierte.
Was nun Brecht selbst betrifft, so ist auch er ein Kind seiner Zeit und von dieser geprägt. Schließlich hat er sowohl die beiden künstlerische Epochen um die es hier geht, als auch sämtliche politische und soziale Umbrüche während dieser Zeit am eigenen Leibe erlebt. Durch die Reflexion seiner eigenen Lebensumstände ist eine Persönlichkeit entstanden, die sich intensiv und kritisch mit ihnen auseinandersetzt und die daraus resultierenden Rückschlüsse und Änderungsversuche in ihrem künstlerischen Schaffen äußert. Daher werde ich hier versuchen, anhand eines chronologisch aufgebauten Zeitporträts den historischen Kontext zu schildern, bevor ich konkret auf die Ausgangsfrage eingehen kann.
I. Inhalt
II. Einleitung
III. Die Vorgeschichte: Der Expressionismus
IV. Der historische Hintergrund: Die Weimarer Republik
V. Die Neue Sachlichkeit räumt auf mit den Idealen des Expressionismus
VI. Brecht & der Expressionismus
VII. Baal & die Neue Sachlichkeit
VIII. Schluss
IX. Literaturverzeichnis
II. Einleitung:
Um zu untersuchen, ob sich Bertolt Brechts frühes Theaterstück Baal in den Kontext der Neuen Sachlichkeit einordnen lässt, ist es zunächst erforderlich zu wissen, was diese Epoche eigentlich kennzeichnet. Dazu wiederum ist es nötig, erst einmal näher zu beleuchten, vor welchem historischen Hintergrund sie entstand, welche politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen zu einem Epochenwandel geführt haben und besonders welche literarische Kunstrichtung ihr vorausging. Aus dem Gesamtzusammenhang isoliert, ist es nicht möglich eine definitive, in sich geschlossene Antwort auf diese Fragestellung zu finden, da sie von zu vielen Faktoren abhängt, die – ließe man sie außer Acht – das Ergebnis oberflächlich erscheinen lassen und sogar verfälschen würden. Kenntnisse über die Ideologie des Expressionismus sind beispielsweise zwingend notwendig, da die Neue Sachlichkeit direkt daran anknüpft, sich gegen sie wendet und im Prinzip den Versuch darstellt, sie zu überwinden. Ebenso wichtig ist die gedankliche Auseinandersetzung mit der Weimarer Republik, jener Epoche zwischen den beiden Weltkriegen, in der die Neue Sachlichkeit entstand. Nur so wird – meine ich – verständlich, welche äußeren und inneren Umstände zu einem Wandel in den Köpfen der Menschen geführt haben, der sich schließlich auf künstlerischer Ebene offenbarte und sich in einer neuartigen Ideologie, Malerei und Literatur manifestierte.
Was nun Brecht selbst betrifft, so ist auch er ein Kind seiner Zeit und von dieser geprägt. Schließlich hat er sowohl die beiden künstlerische Epochen um die es hier geht, als auch sämtliche politische und soziale Umbrüche während dieser Zeit am eigenen Leibe erlebt. Durch die Reflexion seiner eigenen Lebensumstände ist eine Persönlichkeit entstanden, die sich intensiv und kritisch mit ihnen auseinandersetzt und die daraus resultierenden Rückschlüsse und Änderungsversuche in ihrem künstlerischen Schaffen äußert.
Daher werde ich hier versuchen, anhand eines chronologisch aufgebauten Zeitporträts den historischen Kontext zu schildern, bevor ich konkret auf die Ausgangsfrage eingehen kann.
III. Die Vorgeschichte: Der Expressionismus
Expressionismus (lateinisch: expressio = Ausdruck)
Die Jahrhundertwende gilt auch als eine große Wende auf dem Gebiet der Kunst. Der Expressionismus tritt für runde 20 Jahre seine wilde, wirre Herrschaft an. Die Natur hört auf, das Vorbild zu sein. Es geht nicht mehr darum, die Natur objektiv oder subjektiv zu malen oder zu beschreiben, die Künstler wollen „über die Natur hinaus“, das Seelische, das Geistige, künstlerisch mit neuen Mitteln gestalten. Sie verformen, zerbrechen, verzerren das Äußere Abbild, um zum Wesentlichen zu kommen und gelangen schließlich zum Abstrakten, zur reinen Form und Farbe. In der Malerei z.B. gründeten 1905 in Dresden die vier Architekturstudenten E.L. Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt- Rottluff und Fritz Bleyl die Künstlervereinigung " Brücke ", welche die Formensprache des Impressionismus zu überwinden suchte. Die frühkubistischen Bilder, die Georges Braques und Pablo Picasso seit 1908 malten, zeigen noch eine gewisse Nähe zur Natur, auch werden die Umrisse noch nicht völlig aufgelöst, nur räumlich- plastischer Illusionismus ist bereits weggefallen. Die Raumillusion fehlt. Die Kubisten arbeiten nicht mehr nach der Natur. Sie gehen nicht von der Anschauung, sondern von der Vorstellung aus. Ihre Malerei ist konzeptuell, das heißt im Denken begründet. Aus ihren Überlegungen entstehen neue Bild- Objekte, nicht Bilder von Objekten.
Der analytische Kubismus zeigt ein neues Bild der Welt: Das einst in sich geschlossene Weltbild ist auseinandergebrochen. Die simultane Darstellung unterschiedlicher Ansichten eines Gegenstandes führt die Zeitdimension in das Bild ein. Die Gegenstandswahrnehmung wird zerlegt, das heißt analysiert. Dementsprechend ist das auffälligste Merkmal die Zergliederung der vormals geschlossenen Form, die Zerlegung des Bildraums in plastische Werte.
Ähnlich wie in der Malerei, wurde auch in der Literatur versucht, sich vom verklärten Symbolismus des Impressionismus zu lösen. „Das Wirkliche liege“ - so meinte man – „vielmehr im Subjektiven, in den Gedanken, in der Vision“[1] (Schumacher; S.10).
Tatsächlich hatte die alte, bekannte Welt für die Menschen, die auf ihr lebten ein gänzlich neues Gesicht bekommen:
Mit der Industrialisierung war der Mensch viel mehr als jemals zuvor auf seine Funktion degradiert, auf seine Fähigkeit sich als eines von vielen Rädchen im Getriebe in die neuen, veränderten Lebensumstände einzufügen und anzupassen. Die fortschreitende Technisierung, die explosionsartige Vermehrung von Fabriken, die Einführung von Fließbändern und die Rationalisierung der Arbeit gingen zu Lasten der Individualität der Menschen. Diese waren desillusioniert und wurden immer nüchterner. Das war auch der Grund, warum die Künstler dieser Zeit dem Impressionismus den Rücken kehrten. Eine neue Ideologie entstand, die sich sowohl nach hinten, gegen die Vergangenheit hin, als auch nach vorne, gegen eine anonyme, technisierte und bürokratisierte Zukunft abschottete.
Dieser Idealismus war bei den „ Philosophen und Psychologen (jener Jahre) meist mit einer teils sehr heftigen Kritik an der imperialistischen Wirklichkeit, an der rücksichtslosen Praxis der Kapitalisten, ihrer Veräußerlichung, der Vernichtung jeder echten Gemeinschaft, an dem Überwiegen sachlicher über geistige Werte, an der formalen Kultur verbunden“ (ebd.; S. 10, Hervorhebungen i.O.).
Die Künstler begannen ihrerseits damit, ihre Sichtweise zu ändern. Sie betrachten nicht mehr die Objekte, sondern reflektierten vielmehr, was bei der Betrachtung in ihnen ausgelöst wurde, welche Assoziationen sich für sie daraus ergaben. Sie richteten ihren Blick nach innen, um das, was sie dort fanden ihrem Publikum mitzuteilen, schnörkellos und unverfälscht. Der „ ganze Raum des expressionistischen Künstlers“ wurde „Vision. Er sieht nicht, er schaut. Er schildert nicht, er erlebt. Er gibt nicht wieder, Er gestaltet. Er nimmt nicht, er sucht“ (ebd.; S. 11). Die aus der unterdrückten Individualität geborene Umkehrung der Weltsicht in das eigene Innere, schuf eine – beinahe schizophren anmutende – Überzeugung, das diese eigene Wahrheit, die einzig richtige sei. „Der expressionistische Angriff richtete sich demnach scheinbar gegen den empirischen Positivismus, in Wirklichkeit jedoch gegen den Materialismus, da der Wirklichkeit, wie sie sich den Sinnen darstellt, angeblich keine echte Realität zukommt“ (ebd.; S. 11). Interessant ist dabei sicher der Vergleich mit der Antike: Auch damals waren die Menschen verunsichert und versuchten das, was sie sich nicht zu erklären vermochten – zu jener Zeit aus dem Mangel an wissenschaftlichen Erkenntnissen und Bildung heraus – so etwas wie einer „höheren Macht“ zuzuschreiben und dieser die volle Verantwortung zuzuschreiben, um selbst nicht viel mehr tun zu müssen, als zu warnen, zu mahnen und zu klagen. „Unfähig, die Wirklichkeit materialistisch- dialektisch zu erfassen, muss der Expressionist notwendig das Wesen in einer transzendenten, metaphysischen Überwelt, in einem Ewigen und Absoluten einer Gottheit oder in einer Innenwelt suchen, die sich, feindlich dem Geist bzw. dem Verstand, als bloße Seele darstellt. Das Wesen liegt im Göttlichen oder im Ich“ (ebd.; S. 11, Hervorhebungen i.O.). Diese Weltanschauung verleugnet alles rationale, alles mit der Vernunft, dem logoV erfass- und erklärbare. Sie kann „selbst die noch naive und unvollkommene Dialektik der Welterfassung durch die Klassik nicht mehr brauchen. Angestrebt wurde daher das exstatische Theater, das sich jeder rationalen Begründung und Beziehung enthält.“ (ebd. S. 13, Hervorhebung i.O.). Der Expressionist Felix Emmel „plädierte daher für ein neues kultisches Theater, das sich dem Intellekt, der alles töte, entziehen müsse“ (ebd.; S. 14, Hervorhebung i.O.).
Tatsächlich ist es im wahrsten Sinne des Wortes „archetypisch“ für den Expressionismus, „dass er kein Verhältnis zur Tätigkeit, zum wahren Leben der Menschen hat.“ Es ist dort nämlich „immer nur vom Menschen an sich, nicht vom historisch konkreten Menschen die Rede.“ „Die Menschheit wird ihm deshalb zum abstrakten Begriff“ (ebd.; S. 14, Hervorhebungen i.O.). Auch in den politisch- künstlerischen Ansichten der Expressionisten wird dies deutlich: „Also Ablehnung (...) einer wirklichen Parteilichkeit, Unabhängigkeit zwischen Rechts und Links und trotzdem ehrlich radikal“ (ebd.; S. 16, Hervorhebung i.O.). Insgesamt „gibt sich der Expressionismus antibürgerlich, antimilitaristisch, revolutionär, ohne in Verbindung mit den fortschrittlichen Kräften (in diesem Fall der Arbeiterpartei; Anm. d. Verf.) zu stehen“ (ebd.; S. 18).
Untersucht man vor diesem ideologischen Hintergrund nun die Auswirkungen, die der Expressionismus auf das Drama gehabt hat, so stellt man überraschenderweise eine Rückkehr zu dem doch so verfemten Symbolismus fest. Ernst Schumacher erklärt dies damit, dass, „wenn das Wesentliche der Welt, mit der es der Künstler notwendig zu tun hat, ,,auf das Ich und das All zusammenschrumpft; wenn das wirkliche der Welt nicht im Mit- und Gegeneinanderhandeln der Menschen, sondern in einem abgekapselten, faktisch souveränen Ich und einem ihm entsprechenden transzendenten Wesen erblickt wird, so hat dies einen radikalen Schwund der Inhaltlichkeit (...) zur Folge“ und „führt (...) zu einer Verzerrung und Übertreibung der formalen Elemente, zu einer Überspitzung der Exstatik...“ (ebd.; S. 18). Zeitgenössische Dramatiker wie Strindberg und Wedekind kritisierend, stellt Schumacher deren Gemeinsamkeit darin fest, dass sie „aus dem Unvermögen“ heraus, „wirkliche dramatische Spannung zu erzeugen“, sich des Zufalls bedienen und dass es kein wesentliches Drama von ihnen gäbe, welches nicht „einen Schuss Kolportage enthielte“ (ebd.; S.20). „Das Wegabstrahieren von der Wirklichkeit“ ließe ferner „kein dramatisches Leben zu. Was Handlung erscheint, ist absolut zufällig, persönlich und episodisch. Die Figuren sind Illustrationen des subjektiven Erlebens und Fühlens. Sind nur Materialisationen eines Monologs“ (ebd.; S. 21).
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[1] Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft – Bd. 3: Ernst Schumacher: Die dramatischen Versuche Bertolt Brechts 1918-1933, Rütten & Loening, Berlin 1955
- Arbeit zitieren
- Marijke Lichte (Autor:in), 2001, Baal und die Neue Sachlichkeit: Eine Untersuchung darüber, ob sich Bertolt Brechts frühes Theaterstück in diese Epoche einordnen lässt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58195
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