Unter den Kategorien des moralischen und politischen Denkens ist der Begriff der Solidarität einer der jüngsten. Seine historischen Wurzeln führen ins Römische Recht zurück; als „obligatio in solidum" wurde hier eine spezielle Form der Haftung bezeichnet, nach der jedes Mitglied einer (meist familiäre) Gemeinschaft für die Gesamtheit der bestehenden Schulden aufzukommen hatte und umgekehrt die Gemeinschaft für die Schulden jedes einzelnen Mitgliedes. Erst seit dem Ende des 18.Jahrhunderts wurde diese Rechtsfigur über den schuldrechtlichen Kontext hinaus verallgemeinert und auf das Gebiet von Politik, Gesellschaft und Moral übertragen: als „Solidarität" bezeichnete man nun immer häufiger das Bestehen einer wechselseitigen moralischen Verpflichtung zwischen Individuum und Gemeinschaft. Im politischen Kontext trat der Solidaritätsbegriff seit dem Beginn des 19.Jahrhunderts neben den im Nachklang der Französischen Revolution prominent gewordenen Begriff der „Brüderlichkeit" und ersetzte ihm zunehmend. Zeitlich parallel dazu wurde er zu einem Terminus technicus der neu entstehenden Soziologie, wo er seit Auguste Comte und (später) Emile Durkheim den „Zement" charakterisiert, der eine Gesellschaft zusammenhält und zu einer Einheit macht. Aus der Sprache der Politik und der Soziologie wurde er dann in 20.Jahrhundert von Autoren wie Max Scheler und Henri Bergson in die Moralphilosophie übernommen und trat hier in ein (bis heute weitgehend ungeklärtes) Verhältnis zu Begriffen wie „Sympathie", „Menschenliebe", „Wohlwollen", „Gemeinsinn" oder „Loyalität".
Inhaltsverzeichnis
I. inleitung
II. Was ist unter Solidarität zu verstehen?
III. Solidarität und Liebe
1. Partnerschaftsprobleme zwischen Frauen und Männern
2. Die Verwandlung von Liebe in Solidarität bei Männern und Frauen
3. Solidarität statt Liebe?
4. Solidarität, wie die Frauen sie meinen
5. Vier Maßnahmen, die zum Solidarität zwischen Männern und Frauen führen
IV. Fazit
Literatur
„Solidarität bindet die Menschen nicht auf Gedeih und Verderb aneinander und an ein bestimmtes Problem. Sie lässt sie auch wieder los. Sie verausgabt sich nicht an eine Sache. Sie entzieht sich amtlichen und anderen Versuchen, sie ganz und für immer in Dienst zu nehmen. Unter den verbindenden Beziehungen ist sie die unverbindlichste, unter den starken sozialen Kräften die schwächste."
Karl Otto Hondrich und Claudia Koch-Arzberger
I. Einleitung
Unter den Kategorien des moralischen und politischen Denkens ist der Begriff der Solidarität einer der jüngsten. Seine historischen Wurzeln führen ins Römische Recht zurück; als „obligatio in solidum" wurde hier eine spezielle Form der Haftung bezeichnet, nach der jedes Mitglied einer (meist familiäre) Gemeinschaft für die Gesamtheit der bestehenden Schulden aufzukommen hatte und umgekehrt die Gemeinschaft für die Schulden jedes einzelnen Mitgliedes. Erst seit dem Ende des 18.Jahrhunderts wurde diese Rechtsfigur über den schuldrechtlichen Kontext hinaus verallgemeinert und auf das Gebiet von Politik, Gesellschaft und Moral übertragen: als „Solidarität" bezeichnete man nun immer häufiger das Bestehen einer wechselseitigen moralischen Verpflichtung zwischen Individuum und Gemeinschaft. Im politischen Kontext trat der Solidaritätsbegriff seit dem Beginn des 19.Jahrhunderts neben den im Nachklang der Französischen Revolution prominent gewordenen Begriff der „Brüderlichkeit" und ersetzte ihm zunehmend. Zeitlich parallel dazu wurde er zu einem Terminus technicus der neu entstehenden Soziologie, wo er seit Auguste Comte und (später) Emile Durkheim den „Zement" charakterisiert, der eine Gesellschaft zusammenhält und zu einer Einheit macht. Aus der Sprache der Politik und der Soziologie wurde er dann in 20.Jahrhundert von Autoren wie Max Scheler und Henri Bergson in die Moralphilosophie übernommen und trat hier in ein (bis heute weitgehend ungeklärtes) Verhältnis zu Begriffen wie „Sympathie", „Menschenliebe", „Wohlwollen", „Gemeinsinn" oder „Loyalität".
II. Was ist unter Solidarität zu verstehen?
Unter Solidarität wurde ein Gefühl der Zusammengehörigkeit gemeint. Solidarität „üben", das heißt: anderen in Worten und Taten, durch Petitionen, Geldspenden, Mitmachen bei Protesten und Streiks helfen. Als generelles Prinzip der Mitmenschlichkeit erstreckt sich Solidarität unbeschränkt auf alle Menschen, praktisch aber ist sie immer situativ und auf bestimmte Personen begrenzt. Man ist nicht mit allen zugleich solidarisch, sondern nur mit denjenigen, mit denen man sich in ähnlicher sozialer Lage befindet - und deshalb als gleich versteht. Z.B. zwischen Arbeitern und Unternehmern gibt es, aufgrund unterschiedlicher sozialer Lage, Konflikte - und Gegenstück normalerweise Loyalität, aber nicht Solidarität.
„Solidarität kann definiert werden als „wechselseitige Verbundenheit von vielen Menschen, und zwar so, dass sie aufeinander angewiesen sind und ihre Ziele nur im Zusammenwirken erreichen können".1 Mit „wechselseitiger Verbundenheit" und „Zusammenwirken" aufgrund gleich empfundener Interessen- oder Ziellage wird allerdings ein Spezifikum von Solidarität noch nicht begriffen. Es gibt zwischen denen, die sich solidarisch fühlen, immer auch Interessen-Differenzen, die durch Solidarität übersprungen werden: ich kann mich meinen Geschwistern oder Eltern überworfen haben und bin doch, im Notfall, mit ihnen solidarisch; oder ich erkläre mich mit Arbeitskollegen solidarisch, mit denen ich in vielen anderen Dingen: Religion, Politik, Gewerkschaftszugehörigkeit etc. nicht übereinstimme. Solidarität ist Verbundenheit trotz Differenzen, trotz Ungleichheit. Zugleich ist sie aber auch Verbundenheit wegen Differenz, nämlich wegen ungleicher Beeinträchtigung der als gleich empfundenen Interessen: Solidarität wird von denjenigen gefordert oder erklärt, denen es, bei ansonsten gleicher Interessenlage, im Augenblick doch besser geht:
Solidarität in der Praxis erweist sich so, als eng umgrenzter Begriff: als Gefühl der Zusammengehörigkeit zwischen Personen, die trotz Differenzen, ihre Interessenlage und Ziele als gleich verstehen, aber ungleich beeinträchtigt sehen.
[...]
1 Anton Rauscher, „Solidarität“, in: Staatslexikon, 7.Aufl., 4. Band, Freiburg, Basel, Wien 1988, S. 1191
- Arbeit zitieren
- Iryna Spektor (Autor:in), 2004, Solidarität statt Liebe?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58136
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