Seine Thesen wie die vom „globalen Dorf“ oder „Das Medium ist die Botschaft“ sind zwar allgemein geläufig und werden häufig phrasenartig verwendet, deren theoretischer Unterbau ist jedoch weitgehend unbekannt und auch mit dem Namen Marshall McLuhan kann, außerhalb der USA und Kanada, kaum jemand etwas verbinden. Und das, obwohl sich auch heute noch ein Großteil der Medientheoretiker wenigstens teilweise auf seine Thesen bezieht. Der geringe Bekanntheitsgrad des Inhalts seiner Thesen liegt sicher zum einen daran, dass McLuhan seine Theorien, die er in seinen Werken vorstellt, nicht kausal beschreibt, sondern „die Form der Linearität durch die Figur eines Mosaiks“ ersetzt, was es einigermaßen schwierig macht, seine Werke und Thesen linear darzustellen und zu veranschaulichen. Denn seine Bücher sind „absichtlich unlogisch: Sie bewegen sich im Kreise, enthalten häufige Wiederholungen, sind unqualifiziert, gnomisch, zügellos.“ Einerseits finden sich dadurch Ausschnitte aus seinen Werken bruchstückartig in vielen Medientheorien, andererseits wurde er durch diese Darstellungsweise oft als „Wirrkopf“ angesehen und abgelehnt. Seine Anfang der 60er Jahre erschienen Werke „The Gutenberg Galaxy“ und „Understanding Media“ trafen in den USA und Kanada den Nerv der Zeit und seine These der Entstehung einer neuen Ära der Elektronik wurden von den Vertretern der Pop-Art und der Protest-Jugendkultur begrüßend aufgenommen, sowie auch in akademischen Kreisen heftig diskutiert; wohingegen seine Ideen in der BRD keine Akzeptanz fanden. Dies lag zum größten Teil an der Tatsache, dass die politische Linke ihn als ideologischen Gegner einstufte. So beurteilt ihn Hans Magnus Enzensberger in seinem Werk „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ (1970) als „unfähig zu jeder Theoriebildung“ und sieht seine Thesen generell als indiskutabel an, da er sich „aufgrund mangelnden politischen Bewusstseins“ vom Kapitalismus vereinnahmt haben lasse. Während seine Thesen damals provozierten und die Öffentlichkeit spalteten, werden sie heute eher auf sachlicher Ebene diskutiert, wobei jedoch eine breite Für-und-Wider-Fraktion immer noch existent ist. [...]
Inhaltsverzeichnis
1.Einleitung
2.Biographischer Abriss: Herbert Marshall McLuhan
3.McLuhans Medientheorie
3.1. „Das Medium ist die Botschaft“
3.2. Anthropologische Erklärungsansätze zur Medienwirkung
3.3. Sprache und Schrift – „Die Gutenberg Galaxis“
4.Ansichten McLuhans im Vergleich
4.1. Sprachkrise: Hofmannsthal und Schiller
4.2. Sinneswahrnehmung: Walter Benjamin
4.3. Buchdruck und Film: Béla Balász
5.Kritik und Schlussbemerkungen
6.Literaturverzeichnis
1.Einleitung
Seine Thesen wie die vom „globalen Dorf“ oder „Das Medium ist die Botschaft“ sind zwar allgemein geläufig und werden häufig phrasenartig verwendet, deren theoretischer Unterbau ist jedoch weitgehend unbekannt und auch mit dem Namen Marshall McLuhan kann, außerhalb der USA und Kanada, kaum jemand etwas verbinden. Und das, obwohl sich auch heute noch ein Großteil der Medientheoretiker wenigstens teilweise auf seine Thesen bezieht.
Der geringe Bekanntheitsgrad des Inhalts seiner Thesen liegt sicher zum einen daran, dass McLuhan seine Theorien, die er in seinen Werken vorstellt, nicht kausal beschreibt, sondern „die Form der Linearität durch die Figur eines Mosaiks“[1] ersetzt, was es einigermaßen schwierig macht, seine Werke und Thesen linear darzustellen und zu veranschaulichen. Denn seine Bücher sind „absichtlich unlogisch: Sie bewegen sich im Kreise, enthalten häufige Wiederholungen, sind unqualifiziert, gnomisch, zügellos.“[2] Einerseits finden sich dadurch Ausschnitte aus seinen Werken bruchstückartig in vielen Medientheorien[3], andererseits wurde er durch diese Darstellungsweise oft als „Wirrkopf“ angesehen und abgelehnt.
Seine Anfang der 60er Jahre erschienen Werke „The Gutenberg Galaxy“ und „Understanding Media“ trafen in den USA und Kanada den Nerv der Zeit und seine These der Entstehung einer neuen Ära der Elektronik wurden von den Vertretern der Pop-Art und der Protest-Jugendkultur begrüßend aufgenommen, sowie auch in akademischen Kreisen heftig diskutiert; wohingegen seine Ideen in der BRD keine Akzeptanz fanden. Dies lag zum größten Teil an der Tatsache, dass die politische Linke ihn als ideologischen Gegner einstufte.[4]
So beurteilt ihn Hans Magnus Enzensberger in seinem Werk „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ (1970) als „unfähig zu jeder Theoriebildung“ und sieht seine Thesen generell
als indiskutabel an, da er sich „aufgrund mangelnden politischen Bewusstseins“ vom Kapitalismus vereinnahmt haben lasse.[5]
Während seine Thesen damals provozierten und die Öffentlichkeit spalteten, werden sie heute eher auf sachlicher Ebene diskutiert, wobei jedoch eine breite Für-und-Wider-Fraktion immer noch existent ist.[6]
Die Tatsache aber, dass sich immer noch mit ihnen auseinander gesetzt wird und sie also an Aktualität auch nach 50 Jahren nicht verloren haben, liegt wohl daran, dass die großflächige und in alle Lebensbereiche hineinragende Medialisierung der (zumindest westlichen) Welt, mit derem Wesen McLuhan sich zentral beschäftigt, erst heute (bzw. die letzten 10 Jahre) wirklich so eingetroffen und präsent ist. Dadurch können seine Werke heute fast eher als zum Zeitpunkt ihres Erscheinens Denkanstöße zur Macht der Medien liefern und zu einem gewissen Grad erläutern, warum und wodurch ein Medium bzw. die Medialisierung in unsere Gesellschaft eingreift und diese eventuell grundlegend verändert.
Ich möchte hierbei so vorgehen, dass ich nach einem kurzen Überblick über das Leben Marshall McLuhans, einige seiner Hauptthesen vorstelle und zu erläutern versuche, um diese danach auf Parallelen zu unserem Seminar bzw. zu anderen Theoretikern zu untersuchen. Schließlich soll abschließend der Frage nach der Nutz- und Anwendbarkeit seiner Theorie nachgegangen, sowie Kritikpunkte angesprochen werden.
2.Biographischer Abriss: Herbert Marshall McLuhan (1911-1980)
Zu McLuhans Biographie möchte ich nur stichwortartig anmerken, was, meiner Meinung nach, für seine Werke von Relevanz ist. Geboren und aufgewachsen in Alberta, Kanada, studiert McLuhan Anglistik in Manitoba und später in Cambridge, wo er beginnt, sich mit der modernen englischen Literatur (v.a. Edgar Allan Poe, Ezra Pound und James Joyce) und mit der Literaturtheorie des „New Criticism“ zu beschäftigen, was sein eigenes Werk später stark beeinflussen soll.[7] Nach seinem Examen 1936 in Cambridge lehrt er als Dozent an verschiedenen Universitäten der USA und Kanada.
1949 lernt er den Ökonomen Harald Innis kennen, der sich ebenfalls mit dem Zusammenhang zwischen Kommunikationsmedien und Kultur beschäftigt und der einen bedeutenden Einfluss auf McLuhan ausübt.[8] So bezeichnet Marshall McLuhan selbst sein Werk „Die Gutenberg Galaxis“ als „“Fußnote“ zu Innis’ Arbeiten.“[9]
1951 erscheint sein erstes Buch „The mechanical bride/ Die mechanische Braut – Volkskultur des industriellen Menschen“, das jedoch weitgehend unbeachtet bleibt, erst mit der Veröffentlichung von „Die Gutenberg-Galaxis – Das Ende des Buchzeitalters“ und „Understanding media/ Die magischen Kanäle“ wird er in Amerika bekannt. Vor allem auf Künstlerkreise strahlen seine provokanten Theorien große Faszination aus, so reisen z.B. John Lennon und Andy Warhol an, um ihn zu treffen und er hat einen Gastauftritt in Woody Allens Film „Annie Hall“.
Dagegen sagt McLuhan selbst in einem Interview auf die Frage, wodurch sein Interesse an Medien und deren Wirkung auf die Kultur geweckt wurde: „Andere Leute haben mir diese Dinge allmählich bewusst gemacht – Künstler und die neuen anthropologischen Studien.“[10]
McLuhan stirbt am 31.12. 1980 an den Folgen eines Schlaganfalls.
3.McLuhans Medientheorie
3.1. „Das Medium ist die Botschaft“
Mit dieser, zunächst etwas verwirrend klingenden These, die sich im Kern auf die psychischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Medien auf den Menschen bezieht, beginnt McLuhans Buch „Understanding Media“. Den grundlegenden Ausgangspunkt dieser These bildet McLuhans Ansicht, dass der Inhalt eines Mediums, wenn man dessen Auswirkungen auf die menschliche Gesellschaft und ihre Kultur betrachten will, überhaupt nicht von Bedeutung ist.
Denn dadurch, dass der Inhalt eines jeden Mediums wiederum ein anderes Medium ist (z.b. Buch ? Schrift; Schrift ? Sprache; Sprache ? effektiver Denkvorgang), verschleiert diese Ineinanderverflechtung der verschiedenen Medien einen analytischen Blick auf das jeweilige untersuchte Medium selbst, in der Form, dass „der ‚Inhalt’ jedes Mediums der Wesensart des Mediums gegenüber blind macht.“[11] Oder, wie es sehr bildlich formuliert wird, „der ‚Inhalt’ eines Mediums ist mit einem saftigen Stück Fleisch vergleichbar, das der Einbrecher mit sich führt, um die Aufmerksamkeit des Wachhundes abzulenken.“[12]
Aufgrund dieses Umstandes muss das Medium völlig von seinem Inhalt abgetrennt betrachtet werden, um sich seinem Wesen zu nähern und seine wirkliche Botschaft zu erkennen, die McLuhan in folgender Weise definiert:
„Die „Botschaft“ jedes Mediums oder jeder Technik ist die Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt.“[13]
Diese These macht er zunächst am Beispiel des elektrischen Lichts deutlich, dass laut seiner Ansicht, von den meisten Menschen gar nicht als selbständiges Medium erkannt wird, solange es nicht dazu benutzt wird, z.B. Leuchtreklame anzustrahlen.
Trotzdem stellt es für McLuhan ein Medium dar, dessen Verwendung für seine Analyse völlig irrelevant ist (als Verwendungsbeispiele werden etwa ein gehirnchirurgischer Eingriff oder ein nächtliches Baseballspiel genannt), da seine Bedeutung darin liegt, wie es „Form und Ausmaß des menschlichen Zusammenlebens gestaltet und steuert“[14], indem es also Dinge ermöglich, die zuvor nicht zu bewältigen waren (siehe Beispiele). Er geht hier sogar noch weiter und sagt: „Das elektrische Licht machte der Herrschaft von Tag und Nacht, von Unter-Dach-Sein und im Freien-Sein ein Ende. (...) Mit einem Wort, die Botschaft des Lichts ist die vollkommene Veränderung“[15]. Elektrisches Licht und elektrischer Strom müssen deswegen als Medien gesehen werden, weil sie „die Faktoren Zeit und Raum im menschlichen Zusammenleben genauso auf[heben] wie das Radio, der Telegraph, das Telefon und das Fernsehen“[16] und somit stellen sie bei McLuhan „den Schlüssel zum Verständnis der Art von Kraft, die in allen Medien steckt, jede Lebensform, die sie berühren, umzugestalten“[17] dar.
Bei der Anführung dieses Beispiels wird auch schon ein erster Mangel klar, der McLuhan von seinen Kritikern vorgeworfen wird: Er trennt den Bereich der Medien nicht klar ab, sondern nimmt auch Gegenstände, die offensichtlich in den Bereich der Technik gehören mit hinein und behandelt und analysiert diese als „Medien“.
Am Beispiel des elektrischen bemerkt Umberto Eco einen weiteren Mangel McLuhans auf kommunikationstheoretischer Ebene: er unterscheidet nicht zwischen den drei medienwissenschaftlichen Untersuchungsgegenständen Sender – Kanal – Empfänger, was für eine Analyse von Medien unerlässlich ist.[18]
Diese Tatsache, das Dinge, die sich auf einer nicht wirklich parallelen Untersuchungsebene befinden, quasi zusammengeworfen und verglichen werden, stellt für McLuhan selbst aber überhaupt kein Problem dar, und ist sogar typisch für seine Werke.[19]
Dies liegt, denke ich, vor allem daran, dass er nicht aus streng wissenschaftlicher sondern aus anthropologischer Sicht an das Feld der Medien herangeht. Meiner Ansicht nach stellen seine anthropologischen Überlegungen und Erklärungsansätze auch den interessantesten und aufschlussreichsten Teil seiner Theorie dar, da er hier versucht, einen universalen Erklärungsansatz der Wirkungsweise von Medien aufzuzeigen, sowie die inneren Verbindungen zwischen dem Menschen und der, ihn in immer größeren Ausmaßen umgebenden, technischen Errungenschaften, Unterhaltungs- und Kommunikationsmedien herzustellen.
3.2. Anthropologische Erklärungsansätze zur Medienwirkung
Laut McLuhan ist jeder Fortschritt, jede technische Neuentwicklung als eine Ausweitung des menschlichen Körpers selbst, die dessen Effizienz, dessen Geschwindigkeit und Sinneswahrnehmung steigert, aufzufassen und zu erklären.
Der Zwang zu einer Ausweitung ist darauf zurückzuführen, dass ein bestimmter Körperteil des Menschen zu stark beansprucht wird und nach einer gewissen Zeit der Belastung, der er ausgesetzt ist, nicht mehr standhalten kann. In diesem Augenblick der Überreizung wird der betroffene Körperteil mit seinen Worten „amputiert“ und in der Folge nach außen verlagert.[20]
So wird z.b. die Erfindung des Rades als eine Ausweitung und „Amputation“ des Fußes gesehen, der der Belastung durch die Beschleunigung des allgemeinen Tempos der Gesellschaft, was wiederum durch weitere Faktoren (wie die Einführung des Geldes) bedingt war, nicht mehr gewachsen war.[21]
In eben dieses Schema können alle menschlichen Erfindungen eingefügt werden: Eine technische Erfindung ist also nichts weiter als eine Schutzmaßnahme des zentralen Nervensystems vor übermäßiger, es in letzter Konsequenz schädigender oder sogar zerstörender, Überlastung. Ein Vorgang, der sich ständig wiederholt und darin gipfelt, dass das gesamte Zentralnervensystems nach außen verlagert wird, wie es durch die Erfindungen des Computers und der Elektrotechnik bereits geschehen ist, welche dessen „naturgetreues Modell“[22] darstellen.
Diese Amputation hat nun auf den Menschen verschiedene Auswirkungen – zum einen bietet es ihm, wie gesagt, Schutz, zum anderen aber kommt es durch das Abtrennen der Organe zu einem Schock und danach zu einer Betäubung der menschlichen Sinne, wie man es auch in der Medizin bei Schockzuständen kennt.[23]
McLuhan verbildlicht seine These von den Folgereaktionen Amputation – Schock – Betäubung anhand des antiken Mythos von Narziß (vom griech. ‚narkosis’), der sein eigenes Bild im Spiegel als andere Person wahrnimmt. Dies ist parallel zur Erweiterung des Menschen durch die Technik zu sehen: Die „Ausweitung seiner selbst im Spiegel betäubte seine Sinne“[24] und macht es Narziß unmöglich, die Wahrheit zu erkennen, da er sich in Narkose befindet.
Genauso ergeht es auch dem heutigen Menschen im Bezug zur ihn umgebenden Technik: er erkennt sie nicht als Ausweitung seiner selbst wieder, sondern sieht sie als fremden Gegenstand an, da er betäubt ist. Dadurch ist der Mensch aber nicht mehr in der Lage, auf angemessene Art und Weise mit den, ihn umgebenden, Medien und technischen Erfindungen umzugehen, denn „Selbstamputation schließt Selbsterkenntnis aus.“[25] Und daher ist der Mensch, in seiner Unbewusstheit, seinen eigenen technischen Errungenschaften nahezu hilflos ausgeliefert, denn:
„Das Sehen, Verwenden oder Wahrnehmen irgendeiner Erweiterung unserer selbst in technischer Form heißt notwendigerweise auch sie einbeziehen. Radiohören oder eine bedruckte Seite lesen heißt, diese Ausweitungen unserer selbst in unser persönliches System aufzunehmen und die „Schließung“ oder die Verdrängung der Wahrnehmung, die darauf automatisch folgt, mitmachen. Gerade die dauernde Aufnahme unserer eigenen Technik in den Alltag versetzt uns in die narzisstische Rolle unterschwelligen Bewusstseins oder der Betäubung in bezug auf diese Abbilder von uns selbst. Indem wir fortlaufend neue Techniken übernehmen, machen wir uns zu ihren Servomechanismen. Deswegen müssen wir, um sie überhaupt verwenden zu können, diesen Objekten, diesen Ausweitungen unserer selbst, wie Götter kleinerer Religionen dienen.“[26]
Für McLuhan ist der Mensch also, und zwar unabhängig davon, in welchem Ausmaße er die Medien und Techniken nun wirklich nutzt, auf eine ganz intensive Weise mit diesen verbunden. Durch die verschiedenen Ausweitungen des Körpers, werden die anderen Körperteile aber auch mitbeeinflusst, da jede neue Veränderung wiederum „ein neues Verhältnis oder neues Gleichgewicht der anderen Organe oder Ausweitungen des Körpers untereinander“[27] verlangt. Das heißt die menschliche Wahrnehmung und Sinnesorganisation wird durch den Einfluss der Medien ständig verändert. Bezieht sich etwa ein Medium nur auf den Gesichtssinn oder das Ohr, so verändert es zwangsläufig auch den Tast- und Geruchssinn, da das Zentralnervensystem immer versucht, eine Balance zwischen den einzelnen Körperorganen herzustellen, wird also beispielsweise der Gesichtssinn verstärkt, werden die anderen Sinne zurückgebildet. So bestimmen in letzter Konsequenz die Medien die Art und Weise wie der Mensch seine Umwelt erfährt.[28]
Deswegen sind die Sinne/ Organe bei jeweils verschiedenen Kulturen auch verschiedenartig gelagert, je nach Grad ihrer Medialisierung und der Technisierung ihrer Umwelt. Dieser Grad wird bei McLuhan in vier verschiedene Stadien/ Epochen eingeteilt: „die orale Stammeskultur, die literale Manuskript-Kultur, die durch Typographie bestimmte Gutenberg-Galaxie und das elektronische Zeitalter,“[29] wobei jeder Epoche ein anderes Leitmedium und Sinnesorgan zugeordnet wird.[30]
Daher bezeichnet McLuhan Europa als „audio-taktil“, Amerika hingegen als „stark visuell“[31], wodurch sich bei den beiden Kulturen unterschiedliche Beeinflussungen durch die Medien ergeben. Fakt ist für McLuhan aber: „Als Erweiterung und Beschleunigung des Sinneslebens beeinflusst jedes Medium sofort die gesamte Sinnesorganisation, (...).“[32]
Einen noch viel intensiveren Einfluss haben die Medien auf Naturvölker, deren Kultur und Wahrnehmungsweise noch stark von der Oralität geprägt ist, da für McLuhan der Übergang von der oralen zur alphabetischen Kultur, also von Sprache zu Schrift einen extremen Einschnitt und Wendepunkt in der Gesellschaft bedeutet, wie er ihn ausführlich in seinem Werk „Die Gutenberg-Galaxis“ beschreibt.
3.3. Sprache und Schrift – „Die Gutenberg-Galaxis“
Die orale Kultur, die vor dem Zeitalter Gutenbergs dominierte, und auch heute noch in einigen asiatische und afrikanischen Ländern zu finden ist, zeichnet sich laut McLuhan dadurch aus, das die gesamte Kommunikation, Wissensvermittlung und -speicherung sprachlich erfolgt; diese wird von ihm als „Welt des Ohres“, der Akustik bezeichnet, deren Wahrnehmungsweise sich durch Dynamik, Diskontinuität und Simultaneität charakterisieren lässt.[33] Die Gesellschaft wird als „Stammesorganisation mit (...) nahtlose[m] Netz von Affinitäten und gegenseitiger Abhängigkeit“[34] gesehen und der in ihr verwurzelte Mensch differenziert sich „weder durch (...) [seine] spezialisierten Fähigkeiten noch durch optische Merkmale, sondern durch (...) [seine] einmalige Mischung von Gefühlen.“[35]
Durch die Erfindung des Buchdrucks und die umfassende Alphabetisierung kommt es zu einer totalen Veränderung der Gesellschaft und des einzelnen Menschen, die Sinneswahrnehmung wird vom Ohr aufs Auge verlagert, die Kultur wird zu einer visuellen, deren Wahrnehmungsweise McLuhan die Begriffe „Statik, Kontinuität, Homogenität und Wiederholbarkeit“[36] zuordnet.
Die visuelle Wahrnehmungsweise ist viel eher auf das Erkennen von Regel- und Gesetzmäßigkeiten angelegt und führt daher zu einer Abstraktion, einer Aufspaltung des zuvor ganzheitlichen Fühlens und Denkens - Logik und Systematik bilden von nun an die Richtlinien des menschlichen Denkens. So werden Sprache, Denken und Wissen uniformiert und die restlichen Sinneseindrücke, sowie die Gefühlswelt wird an den Rand, ins Unter- oder Unbewusste gedrängt.[37] Hierdurch kommt es zu einer „nachhaltige[n] Trennung von Gefühl und Verstand,“[38] des weiteren werden „Methodik, Messbarkeit, Exaktheit, Fortschritt (...) zu zentralen Motiven.“[39]
Zu diesem Umbruch sagt McLuhan: „Wenn man dem Menschen mit der phonetischen Schrift ein Auge für ein Ohr gibt, kommt es zur brutalsten Revolution, die sich in einer Gesellschaftsstruktur ereignen kann.“[40]
Diese „Revolution“ in der Gesellschaft und auch im einzelnen Menschen durch den Übergang von der akustischen zur visuellen Kultur, die Unterteilung von Verstand und Gefühl und die darauf folgende Verdrängung der Gefühlswelt ins Unterbewusste hat mich stark an den „Chandos-Brief“ von Hofmannsthal sowie allgemein unsere Überlegungen zur Sprachkrise erinnert.
[...]
[1] Kloock/Spahr: „Medientheorien“, 1997. S. 41.
[2] Stearn: “McLuhan Für & Wider, 1969. S. 69.
[3] In Kloock/Spahr, S. 40 zu diesem Phänomen: „Auffällig verbreitet ist dabei das Verfahren, seine Schriften nicht als einheitliche Theorie zu behandeln, sondern als Steinbruch, aus dem bestimmte Ideen genutzt werden können und andere nicht. So beruft sich eine Vielzahl, teilweise konträrer Positionen auf ihn.“
[4] Vgl. Kloock/Spahr, S. 39f.
[5] Kloock/Spahr, S. 40.
[6] Siehe hierzu v.a. Stearn.
[7] Vgl. Kloock/Spahr, S. 46f.
[8] Vgl. Kremer: „Literaturwissenschaft als Medientheorie“, 2004. S. 36.
[9] Kloock/Spahr , S.48
[10] Mc Luhan: „Das Medium ist die Botschaft“, S. 55.
[11] McLuhan: „Understanding media“, S. 15.
[12] ebd. S. 24f.
[13] ebd. S. 14.
[14] ebd. S. 14.
[15] ebd. S. 62.
[16] ebd. S. 15.
[17] ebd. S. 62.
[18] Vgl. Kloock/Spahr, S.58f.
[19] Vgl. hierzu McLuhan: „Understanding media“, S. 28: „Technische Medien sind nämlich Erzeugnisse oder Rohstoffe genauso, wie es Kohle, Baumwolle oder Erdöl sind.“
[20] Vgl. ebd. S. 51: „Unter körperlichem ‚Stress’ oder bei Überreizung schützt sich das Zentralnervensystem selbst aktiv mit der Waffe der Amputation oder Absonderung des ‚kränkenden’ Organs, Sinnes oder der gestörten Funktion. So ist also die Belastung durch Beschleunigung des Tempos oder die größere Last der Anreiz zu neuen Erfindungen.“
[21] Vgl. ebd. S. 51.
[22] ebd. S. 52.
[23] Vgl. ebd. S. 52ff.
[24] ebd. S. 50.
[25] ebd. S. 52.
[26] ebd. S. 55f.
[27] ebd. S. 54.
[28] Aus dieser Folgerung ergibt sich auch McLuhans bekannte These von „heißen und kalten Medien“ (vgl. „Die magischen Kanäle“, S. 29-41.): Heiße Medien sind demnach Medien mit einer hohen Datendichte, die aber nur einen Sinn erweitern und daher vom Rezipienten keine hohe Selbstbeteiligung verlangen. Im Gegensatz dazu sind kalte Medien detailarm, mit lückenhaftem Informationsgehalt, und verlangen ein hohes Maß an Eigenbeteiligung beim Empfänger.
McLuhan unterteilt eine Vielzahl von Medien in heiß und kalt (z.b.: Film = heiß, Fernsehen = kalt, Radio = heiß, Telefon = kalt), diese Einteilungen sind aber teilweise sehr absurd (Walzer tanzen = heiß, Twist tanzen = kühl), weshalb ich auch nicht allzu sehr auf seine heiß/ kalt-These eingehen will. Wichtig ist, das McLuhan die Wirkungen der beiden „Medienarten“ auf die menschliche Kultur so sieht, dass „kalte Medien“ gesellschaftlich einbindend wirken, während „heiße“ zu Spezialisierung und Sektoralisierung des Lebens führen.
[29] Kremer, S.40.
[30] Siehe ebd. S. 41: „der Abfolge von Sprache, Schrift, Buchdruck und Elektrizität entspricht die Reihe Ohr, Ohr/ Auge unter Partizipation des Taktilen, Auge, Zentralnervensystem.“
[31] McLuhan: „Understanding media“, S.54f.
[32] ebd. S.54.
[33] Siehe Kloock (1997), S.59f.
[34] McLuhan: „Die magischen Kanäle“, S.60.
[35] ebd. S. 60.
[36] Kloock (1997), S.63.
[37] Vgl. ebd., S. 62-66.
[38] ebd. S.65.
[39] Kremer, S. 42.
[40] McLuhan: „Understanding Media“, S. 59.
- Citation du texte
- Sarah Trede (Auteur), 2006, Marshall McLuhan: Das Medium ist die Botschaft - Diskussion einer grundlegenden These der Medientheorie im 20. Jh., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58094
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