Franz Kafka (1883-1924) gehört unbestritten zu den deutschsprachigen Autoren, deren Werke sofort Assoziationen mit Gefühlen wie Verstörung, Bestürzung, Furcht, Beklemmung und Angst auslösen. Warum ist das so? Werden genannte Stimmungen durch eine besondere Erzähltechnik erreicht? Oder liegt es allein an den erzählten Geschichten, die unglaubliches beschreiben und zugleich erschreckend realistisch sind? Diesen Fragen wird die vorliegende Arbeit nachgehen. Dabei steht das Gefühl der Angst im Vordergrund, welches an einem der letzten Texte Kafkas, die Erzählung "Der Bau" (geschrieben im Winter 1923), untersucht werden soll. Angst wird dabei nach dem dänischen Philosophen und Theologen Sören Kierkegaard (1813-1855) definiert, dessen wegweisendes Werk "Der Begriff Angst" (1844) auch in Kafkas Privatbibliothek stand. Zudem werden Parallelen zum Begriff der "transzendentalen Heimatlosigkeit" nach dem ungarischen Literaturwissenschaftler und Philosoph Georg Lukács (1885-1971) gezogen, der dieses Phänomen in seiner "Theorie des Romans" (1916) beschreibt. Einblicke in Kafkas Tagebücher und Briefe versuchen, ein Bild der ganz eigenen Angst des Autors zu zeichnen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1. Die Geschichte und ihr Erzähler
2.2. Die Erzähltechnik
2.3. Exkurs: weitere Forschungsergebnisse
2.4. Der Bau – ein Ort der Heimat?
2.5. Die Angst
3. Fazit
4. Literaturverzeichnis
5. Erklärung
1. Einleitung
Franz Kafka (1883-1924) gehört unbestritten zu den deutschsprachigen Autoren, deren Werke sofort Assoziationen mit Gefühlen wie Verstörung, Bestürzung, Furcht, Beklemmung und Angst auslösen. Warum ist das so? Werden genannte Stimmungen durch eine besondere Erzähltechnik erreicht? Oder liegt es allein an den erzählten Geschichten, die unglaubliches beschreiben und zugleich erschreckend realistisch sind? Diesen Fragen wird die vorliegende Arbeit nachgehen. Dabei steht das Gefühl der Angst im Vordergrund, welches an einem der letzten Texte Kafkas, die Erzählung Der Bau (geschrieben im Winter 1923), untersucht werden soll. Angst wird dabei nach dem dänischen Philosophen und Theologen Sören Kierkegaard (1813-1855) definiert, dessen wegweisendes Werk Der Begriff Angst[1] (1844) auch in Kafkas Privatbibliothek stand. Zudem werden Parallelen zum Begriff der "transzendentalen Heimatlosigkeit"[2] nach dem ungarischen Literatur-wissenschaftler und Philosoph Georg Lukács (1885-1971) gezogen, der dieses Phänomen in seiner Theorie des Romans (1916) beschreibt. Einblicke in Kafkas Tagebücher und Briefe[3] versuchen, ein Bild der ganz eigenen Angst des Autors zu zeichnen.
Der erste Teil dieser Arbeit soll sich zunächst dem Text an sich widmen und frühere Forschungsergebnisse in Bezug auf die Erzähltechnik und sonstige Besonderheiten rekapitulieren. Dann beleuchtete ich kritisch das Zuhause des Tieres unter dem Aspekt der Heimat, ziehe abschließend vergleichende Studien zu Auszügen aus Kierkegaards Theorien zur Angst des modernen Menschen sowie Passagen aus Kafkas Briefen und Tagebüchern und stelle sie der Angst des Bautieres gegenüber.
Das Fazit fasst die Ergebnisse zusammen.
2. Hauptteil
2.1. Die Geschichte und ihr Erzähler
Die Erzählung Der Bau handelt von einem Tier, das allein in einem weitläufigen Bau[4] unter der Erde lebt und sich vor jedweden Gefahren, die von der Außenwelt zu drohen scheinen, schützen will. Zu diesem Zweck hat es vielerlei Vorsichtsmaßnahmen im Bau-Plan angelegt, verschiedene Kontrollrituale sollen ihr Übriges tun, das überhöhte Bedürfnis des Tieres nach Sicherheit und Ruhe zu befriedigen. Doch all dies ist vergebens, wenngleich in der ganzen Erzählung keine realen Feinde ins Geschehen eintreten. Das Tier hat kein Vertrauen in seine Maßnahmen, wittert hinter jeder kleinsten Unregelmäßigkeit des Alltags einen potentiellen Angriff und spielt auch in Gedanken alle (un-)möglichen Gefährdungen durch. Als es schließlich ein Geräusch vernimmt, dessen Herkunft es sich nicht erklären kann und in der Tier-Logik alles auf einen übermächtigen Gegner hindeutet, verfällt es zuerst in blinden Aktionismus gepaart mit Panik und Angst und letztlich in Lethargie, unfähig zu jeder (vernünftigen) Handlung.
Es ist für die folgende Analyse nicht weiter relevant, das Erzählertier zoologisch genau zu bestimmen[5], zumal es als Ich-Erzähler sowieso menschliche Züge hat. Schon der erste Satz des Textes kennzeichnet den Erzähler als einen Bauherrn, der offenbar mit seinem Werk nicht vollständig zufrieden ist: „Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohlgelungen.“[6] Was ‚Schein’ und was ‚Sein’ im Bau /Bau ist, wird auch im Folgenden immer eine große Rolle spielen. Das Tier beschreibt manche seiner Handlungen bereits in den ersten Sätzen als "kühn"[7], doch mag dies nur von seiner Warte aus richtig sein. Der Leser merkt sogleich, dass er es hier mit einem übervorsichtigen, paranoiden Wesen zu tun hat und auch Beteuerungen wie "doch verkennt mich wer glaubt daß ich feige bin"[8] täuschen nicht über diesen Tatbestand hinweg.
Das Tier im „Mannesalter“[9] befindet sich "auf dem Höhepunkt"[10] seines Lebens, was in zweifacher Weise bereits seinen drohenden Abstieg bedeutet. Zum einen muss es sich dem Älterwerden stellen und spricht von seinem nahen Lebensabend als "Herbst"[11]. Zum anderen hat diese Tatsache auch Auswirkungen auf seine Psyche. Offenbar wurde es mit den Jahren immer vorsichtiger und ängstlicher, und obgleich es in seiner Jugend glücklicher und freier gelebt hat[12], verurteilt dies das Tier in der Rückschau natürlich als Leichtsinn. Die Fokussierung auf sich und die Reflexion seines Tuns nehmen – natürlich auch mangels Alternative im Bauleben – den größten Teil des Alltags ein. Passend dazu bemerkte schon Kafka in seinen Tagebüchern: "Unentrinnbare Verpflichtung zur Selbstbeobachtung: Werde ich von jemanden anderen beobachtet, muß ich mich natürlich auch beobachten, werde ich von niemanden beobachtet, muß ich mich umso genauer beobachten."[13]
2.2. Erzähltechnik
Die Geschichte lässt sich in drei Teile teilen: Zuerst wird der Bau mit all seinen Eigenarten (dem besonderen Ein-/Ausstieg, den vielen Gängen und Plätzen, allem voran dem Burgplatz) beschrieben, dann folgt ein kurzes Zwischenspiel, in dem das Bautier seine kurzen Ausflüge außerhalb des Baus schildert. Der letzte Teil beginnt und endet mit dem ominösen Zischgeräusch.
Ich schließe mich H. Henels Unterscheidungen von fünf Funktionen des Präsens im Bau an: eigentliches Präsens für die Beschreibung eines gegenwärtigen Vorgangs; historisches für die Beschreibung eines früheren Vorgangs; iteratives für gegenwärtige, aber schon vorher oft ereigneten Vorgänge; progressives Präsens für gegenwärtige, an die Zukunft anlehnende Ereignisse und schließlich die Form des inneren Monologs.[14] Ständige Abwägungen und Verwerfungen von Plänen und Möglichkeiten[15] werden durch den häufigen Gebrauch von Konjunktiven und rhetorischen Fragen unterstrichen. Durch sehr lange Sätze mit vielen Einschüben bekommt der Leser den Eindruck von der Distanzlosigkeit und Unmittelbarkeit des Textes, ähnlich einem stream of consciousness, doch auch von einem unsteten, ständig gehetzt wirkendem Erzähler.
Das Motto für die ganze Erzählung lässt sich bereits nach den ersten Sätzen ausmachen: "[M]anche List ist so fein, daß sie sich selbst umbringt, das weiß ich besser als irgendwer sonst."[16] Und so wird immer deutlicher, dass sich das Tier mit seinen paranoiden Gedanken immer stärker selbst gefährdet und sich sogar schließlich mit einem Geräusch konfrontiert sieht, das scheinbar jeder Logik zuwiderläuft. Doch da das Zischen - dies möchte ich hier kurz vorwegnehmen – keineswegs eine Kampfansage irgendeines fremden Feindes ist, ist klar "[…] daß das Zischen die Angst ausdrückt, die das Tier vor seinem Dasein in der Einsamkeit, Leere und Öde des Baus empfindet. Da das Tier selbst nie diese Einsicht gewinnt, liegt hier einer der Punkte vor […], wo der Interpret über das Bewußtsein des erzählenden Protagonisten hinausgehen und durch die Mitteilungen des Tieres hindurch eine zweite Stimme, die Stimme des implizierten Autors hören muß."[17]
Die Erzählung bricht vorzeitig ab, dazu jedoch mehr im folgenden Exkurs:
2.3. Exkurs: weitere Forschungsergebnisse
In der Flut der Literatur zu Kafka wartet jeder Literaturwissenschaftler mit anderen Deutungsmöglichkeiten oder auch nur Verfeinerungen von schon bestehenden Theorien auf. Doch die verschiedensten Interpretationsmöglichkeiten sprechen auch für die Qualität des Werkes[18] und ich möchte die Gelegenheit nutzen, hier einige weitere Ergebnisse der Forschung zu Kafkas Bau vorzustellen.
Sehr präsent sind autobiografische Auslegungen dieser Geschichte. So zieht z.B. Rainer Stach in seiner vielbeachteten Kafka-Biografie Parallelen zu Kafkas Bindungsängsten:
"Erst Jahre später hat Kafka offenbar verstanden, dass er im Begriff war, ein Zwangssystem zu errichten, welches sein Leben nicht nur narzisstisch erhöhte, sondern zugleich alle Lebensenergie verzehrte. In der Erzählung Der Bau fand der dafür das eindringlichste Sinnbild: Ein Ich, das sich einmauert, um autark zu bleiben, befindet sich in permanentem Belagerungszustand und ist darum verurteilt zu ewiger Wachheit. Alles ist gleich bedrohlich, jede Stelle gleich verwundbar. [...] Wo nichts hereindarf, wo alle Ritzen verstopft sind, dort kann auch nichts hinaus."[19]
[...]
[1] unter dem Pseudonym Vigilius Haufniensis veröffentlicht
[2] je nach Übersetzung auch unter dem Begriff 'transzendentale Obdachlosigkeit' bekannt
[3] Es wurden ausschließlich Briefe und Tagebucheinträge ab 1920 verwendet. Zeugnisse, die vor diesem Zeitraum liegen, hatten keinen Einfluss auf die Analyse, da sie mir wegen des großen zeitlichen Abstandes zum Bau als keine sinnvolle Quelle erscheinen. A. Reiter stützt einen großen Teil ihrer Studie auf einen Tagebucheintrag vom 3.1.1912 (vgl. S. 24f). Dies ist für mich nicht glaubwürdig; ich vermeide daher eine ebensolche Vorgehensweise.
[4] Im Folgenden gilt durchweg folgende Unterscheidung: Bau (die Erzählung) / Bau (das Ding in der Erde)
[5] In der Forschung wird u.a. die Möglichkeit eines Riesenmaulwurfes, eines Daches oder eines nicht näher zu bestimmenden Fantasietieres diskutiert. Vgl. auch Kurt Druckenthaners unterhaltsame Studie, in der er zur Klärung dieser Frage Vergleiche mit Brehms Tierleben anstellt.
[6] F. Kafka, Bau, S. 165, meine Hervorhebung
[7] a.a.O., S. 166
[8] Ebd.
[9] a.a.O., S. 205
[10] a.a.O., S. 166
[11] Ebd.
[12] vgl. a.a.O., S. 204 und M. Rettingers Überlegungen zur Vorgeschichte des Tieres.
[13] F. Kafka, Tagebücher, S. 192
[14] vgl. H. Henel, Das Ende, S. 3
[15] dies wird auch später noch unter dem Aspekt der Angst eine Rolle spielen
[16] F. Kafka, Bau, S. 166
[17] H. Henel, Das Ende, S. 7
[18] vgl. A. Reiter, Selbstanalyse, S. 21
[19] R. Stach, Kafka, S. 486
- Citation du texte
- Marion Klanke (Auteur), 2006, Das Risiko des Lebens - Angst in Franz Kafkas 'Der Bau', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58065
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