Märchen gehören seit Jahrhunderten zum Volksgut auf der ganzen Welt. Jeder Kulturkreis weist andere Besonderheiten in ihren Märchen auf, und man kann den eigentlichen Ursprung des Märchens nicht genau bestimmen. Ebenso schwierig ist es, zu belegen, welcher Kulturkreis Auswirkungen auf die Märchen anderer Kulturkreise genommen hat zu einer Zeit, in der Märchen noch nicht schriftlich fixiert worden sind. Seit den ersten Aufzeichnungen bietet sich allerdings Material, daß miteinander vergleichbar ist. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Entwicklungsgeschichte des MärchensDornröschen,die sich von der ersten schriftlichen Aufzeichnung bis zu den Gebrüdern Grimm beschreiben läßt. Ich möchte aufzeigen, daß die Gebrüder Grimm - entgegen der im deutschen Volk verbreiteten Meinung - ihre Märchen nicht ausschließlich der mündlichen Tradition im deutschen Volk entnommen und aufgeschrieben haben. Da die erste Fassung des Märchens Dornröschen schon 200 Jahre vor den Gebrüdern Grimm in Italien zu datieren ist, ist es naheliegend, daß die Brüder Grimm durch andere Kulturkreise beeinflußt wurden. Um diesen Weg zu verdeutlichen ist es nötig, sich diese erste Aufzeichnung zu vergegenwärtigen und zu prüfen, ob und wenn, wen diese beeinflußt haben könnte. Ich werde also auf die erste Märchenfassung des Italieners Giambattista Basile eingehen, dann Charles Perrault heranziehen, der ungefähr 50 Jahre später lebte, um im folgenden diese Aufzeichnungen mit dem Märchen Dornröschen von den Gebrüdern Grimm in Verbindung zu bringen, wozu sich ein Vergleich am besten eignet. Um die jeweiligen Unterschiede zu erklären, ist es nötig, die entsprechenden Märchenfassungen in einen gesellschaftlichen Zusammenhang zu bringen. Bleibt der Handlungsstrang auch ähnlich, so verbindet jeder Verfasser trotzdem, bedingt durch die gesellschaftliche Situation und sein Publikum, eine andere Intention mit seinen Märchen und wird durch unterschiedlichste Gegebenheiten beeinflußt. In dieser Arbeit möchte ich die Einflüsse auf das Märchen Dornröschen der Gebrüder Grimm anhand der genannten Untersuchungen darlegen.
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Drei Autoren des Märchens Dornröschen
2.1 Jacob und Wilhelm Grimm
2.2 Charles Perrault
2.3 Giambattista Basile
3. Die früheste Fassung des Märchens Dornröschen
4. Der Vergleich zwischen der französischen und der deutschen Märchenfassung
4.1 Dornröschen oder La belle au bois dormant
4.2 La belle au bois dormant (2. Teil) – Die Schwiegermutter
4.2.1 Inhalt des zweiten Teils
4.2.2 Vergleich des zweiten Teils von Perraults La belle au bois dormant mit
dem Grimmschen Märchenfragment Die Schwiegermutter
5. Die wichtigsten Feststellungen – Zusammenfassung
6. Zur Entstehungsgeschichte
7. Perrault und sein Publikum
8. Die Intention der Gebrüder Grimm
9. Schlußbemerkung
10. Bibliographie
1. Vorwort
Märchen gehören seit Jahrhunderten zum Volksgut auf der ganzen Welt. Jeder Kulturkreis weist andere Besonderheiten in ihren Märchen auf, und man kann den eigentlichen Ursprung des Märchens nicht genau bestimmen. Ebenso schwierig ist es, zu belegen, welcher Kulturkreis Auswirkungen auf die Märchen anderer Kulturkreise genommen hat zu einer Zeit, in der Märchen noch nicht schriftlich fixiert worden sind. Seit den ersten Aufzeichnungen bietet sich allerdings Material, daß miteinander vergleichbar ist.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Entwicklungsgeschichte des Märchens Dornröschen, die sich von der ersten schriftlichen Aufzeichnung bis zu den Gebrüdern Grimm beschreiben läßt.
Ich möchte aufzeigen, daß die Gebrüder Grimm - entgegen der im deutschen Volk verbreiteten Meinung - ihre Märchen nicht ausschließlich der mündlichen Tradition im deutschen Volk entnommen und aufgeschrieben haben. Da die erste Fassung des Märchens Dornröschen schon 200 Jahre vor den Gebrüdern Grimm in Italien zu datieren ist, ist es naheliegend, daß die Brüder Grimm durch andere Kulturkreise beeinflußt wurden.
Um diesen Weg zu verdeutlichen ist es nötig, sich diese erste Aufzeichnung zu vergegenwärtigen und zu prüfen, ob und wenn, wen diese beeinflußt haben könnte.
Ich werde also auf die erste Märchenfassung des Italieners Giambattista Basile eingehen, dann Charles Perrault heranziehen, der ungefähr 50 Jahre später lebte, um im folgenden diese Aufzeichnungen mit dem Märchen Dornröschen von den Gebrüdern Grimm in Verbindung zu bringen, wozu sich ein Vergleich am besten eignet.
Um die jeweiligen Unterschiede zu erklären, ist es nötig, die entsprechenden Märchenfassungen in einen gesellschaftlichen Zusammenhang zu bringen. Bleibt der Handlungsstrang auch ähnlich, so verbindet jeder Verfasser trotzdem, bedingt durch die gesellschaftliche Situation und sein Publikum, eine andere Intention mit seinen Märchen und wird durch unterschiedlichste Gegebenheiten beeinflußt.
In dieser Arbeit möchte ich die Einflüsse auf das Märchen Dornröschen der Gebrüder Grimm anhand der genannten Untersuchungen darlegen.
2. Drei Autoren des Märchens Dornröschen
2.1 Jacob und Wilhelm Grimm
Jacob ( 1785-1863 ) und Wilhelm (1786-1859) Grimm lebten zur Zeit der deutschen Romantik. Bekannt wurden die Brüder Grimm durch die Veröffentlichung der Kinder- und Hausmärchen 1812-1815. Ihre Sammeltätigkeit begann 1807. 1810 hatten die Brüder schon 50 Märchen zusammengetragen. Als eigentlicher Sammler und Bearbeiter gilt aber nur Wilhelm Grimm. Die Anregungen zum Sammeln kamen jedoch von Clemens Brentano (1778 – 1842) und Achim von Arnim (1781 – 1831). Eigentlich sollte Brentano die Sammlung herausgeben, jedoch gab dieser die erste Vorlage der Märchen weder in Druck noch schickte er das Manuskript den Brüdern zurück. Deshalb beschlossen Wilhelm und Jacob Grimm, ihre Märchensammlung selbst zu veröffentlichen.
Die Brüder Grimm bedienten sich mehrerer Quellen. Hervorzuheben sind zwei Familien aus Kassel. Die befreundete Apothekerfamilie Rudolf Wilds und die Familie des Regierungspräsidenten Johann Hassenpflug kannten die Märchen des Franzosen Perraults und trugen so auch zu der Märchensammlung bei. Im zweiten Band leisteten zusätzlich die westfälischen Familien von Haxthausen und von Droste-Hülshoff Beiträge. Außerdem erzählte die Bäuerin Dorothea Viehmann aus einem Dorf in der Nähe von Kassel den Brüdern Grimm viele Märchen. (Rötzer 1982:122-125)
2.2 Charles Perrault
Charles Perrault lebte von 1628 bis 1703. Er ist der Verfasser der Märchensammlung Histoire ou contes du temps passé, avec des moralitez , zu deutsch Geschichten oder Märchen aus vergangener Zeit, mit anschließender Moral. Diese Märchensammlung erschien 1697 und wurde später unter dem Titel Contes de ma mère l’Oye bekannt, also Märchen meiner Mutter Gans.
Charles Perrault dienten unterschiedliche französische Quellen, die teilweise auch mündlich überliefert waren. Außerdem orientierte er sich an italienischen Vorgängern wie Giambattista Basile (Rötzer 1992:121-122).
2.3 Giambattista Basile
Giambattista Basile lebte von 1575 – 1632 in Neapel. Seine Märchensammlung Lo cunto de li cunti o vero Lo trattenemiento de peccerille , zu deutsch Das Märchen aller Märchen oder Unterhaltung für die Jugend, erschien posthum 1634 – 1636 und gilt als die erste Sammlung von Kunstmärchen. Später wurde diese Märchensammlung Pentamerone genannt, da die Geschichten in fünf Tagen erzählt werden und in eine Rahmenhandlung wie in Boccaccios Decamerone eingebettet sind. Dieses Werk hatte großen Einfluß auf die europäische Märchenliteratur. Viele der Märchen, u.a. auch Dornröschen, sind hier zum ersten mal schriftlich fixiert. Dornröschen entspricht dem Märchen Sole, Luna e Talia , zu deutsch Sonne, Mond und Talia, im Pentamerone (Rötzer 1982:119-121).
3. Die früheste Fassung des Märchens Dornröschen
Die älteste gedruckte Fassung des Märchens Dornröschen findet sich im Pentamerone von Giambattista Basile. Um einen vollständigen Überblick der Entwicklung des Märchens zu geben, fasse ich das entsprechende Märchen Sonne, Mond und Talia zusammen:
Einem König wird durch Weisen bei der Geburt seiner Tochter Talia angekündigt, daß diese durch eine Flachsfaser in Gefahr geraten werde. Talia trifft auf eine alte Frau, nimmt deren Spinnrocken und stößt sich eine Agen unter den Fingernagel, so daß sie tot umfällt. Der König verläßt sein Schloß, und Jahre später findet ein anderer König Talia schlafend vor und verbringt eine Nacht bei ihr. Talia bringt neun Monate später Zwillinge zur Welt, die von Feen versorgt werden. Eines der Kinder saugt zufällig an Talias Finger, so daß die Flachsfaser entfernt wird und Talia erwacht. Der König, der Vater der Zwillinge, kommt wieder und gibt seinen Kindern die Namen Sonne und Mond. Seine Frau beauftragt unterdessen einen Diener, dem König nachzuspionieren. Sie gibt ihm den Auftrag, die Kinder im Namen des Königs abzuholen, da sie diese essen möchte. Der Koch schlachtet jedoch zwei Zicklein und versteckt die Kinder. Als der König einmal fort ist, läßt die Königin auch Talia holen, um sie zu verbrennen. Noch rechtzeitig kehrt der König zurück, bestraft die Königin sowie den Diener und heiratet Talia (Rötzer 1982:187).
4. Der Vergleich zwischen der französischen und der deutschen Märchenfassung
4.1 Dornröschen oder La belle au bois dormant
Ich untersuche im folgenden den Einfluß Perraults auf die Gebrüder Grimm. Hierzu vergleiche ich das Märchen Dornröschen von den Gebrüdern Grimm mit dem entsprechenden Werk Perraults, La belle au bois dormant. Das Märchen der Grimms setze ich an dieser Stelle als bekannt voraus, das Perraultsche Märchen ist inhaltlich ähnlich und im Anhang noch einmal nachzulesen.
Als erstes kann man beim Lesen der beiden Märchen feststellen, daß das Märchen Perraults um ein weiteres Märchen erweitert ist, das lose mit dem ersten Teil verknüpft ist. Dieses wurde von den Brüdern Grimm in dem Märchenfragment Die Schwiegermutter verarbeitet, auf das ich aber erst später eingehen werde. Diese Zweiteilung ist auch in dem Märchen von Basile zu erkennen. Nachdem der Held Dornröschen erweckt hat, gerät er in eine neue Notlage, die zu lösen gilt. Diese zweiteilige Erzählung wird von einigen Forschern als die eigentliche Vollform des Märchens angesehen (Rötzer 1982:44).
Das Märchen von Perrault beginnt mit den Worten:
Il estoit une fois un Roy et une Reine qui estoient si faschés de n’avoir point d’enfants, si faschés qu’on ne sçauroit dire. Ils allèrent à toutes les eaux du monde, voeux, pélérinages, menus dévotions, tous fut mis en œuvre, et rien n’y faisoit (Perrault [1697] 1948 :189).
Zu deutsch:
Es war einmal ein König und eine Königin, die waren so betrübt, keine Kinder zu haben, so betrübt, daß es gar nicht zu sagen war. Sie begaben sich in alle Bäder der Welt; Gelübde, Wallfahrten und kleinerer Andachtsübungen – alles wurde ins Werk gesetzt, und nichts half (Rötzer 1982:188).
Das deutsche Märchen hingegen formuliert eher formelhaft schlicht :
Vor Zeiten war ein König und eine Königin, die sprachen jeden Tag „ach, wenn wir doch ein Kind hätten!“ und kriegten immer keins (Grimm KHM 50 [1819] 1999:281).
Das französische Märchen beschreibt viel genauer und realitätsnaher die Verzweiflung des Königspaares und was sie unternommen haben, um ein Kind zu bekommen. Dies wird betont durch die Wiederholung „so betrübt“ und dadurch, daß das Paar durch die ganze Welt gereist ist, um sich ihren sehnlichsten Wunsch erfüllen zu können. Im deutschen Märchen hingegen wird nur gesagt, daß sich das Königspaar beklagt, kein Kind zu haben. Aber es werden keine Taten zur Erfüllung des Wunsches erwähnt.
Enfin pourtant la Reine devint grosse et accoucha d’une fille : on fit un beau Baptesme
(Perrault [1697] 1948 :189).
Zu deutsch:
Endlich aber wurde die Königin schwanger und gebar ein Mädchen. Eine schöne Taufe wurde ausgerichtet (Rötzer 1982:188).
Die Königin bekommt ein Kind als Resultat ihrer Bemühungen im französischen Märchen. Die Bäder, Gelübde und Wallfahrten haben zur Erfüllung des Wunsches beigetragen.
Im deutschen Märchen hingegen wird das Baby angekündigt:
Da trug es sich zu, als die Königin im Bade saß, daß ein Frosch aus dem Wasser ans Land kroch und zu ihr sprach „dein Wunsch wird erfüllt werden, ehe ein Jahr vergeht, wirst du eine Tochter zur Welt bringen.“ Was der Frosch gesagt hatte, das geschah, und die Königin gebar ein Mädchen, das war so schön, daß der König vor Freude sich nicht zu lassen wußte und ein großes Fest anstellte (Grimm KHM 50 [1819] 1999:281).
Die Königin hat bei den Gebrüdern Grimm keinerlei Anstrengungen auf sich genommen, um ihren Wunsch zu erfüllen. Die Ankündigung des Frosches erscheint hier wie ein Wunder, das passieren wird. Ein Unterschied zu Perrault besteht auch darin, daß der König keine Taufe feiert, sondern ein ganz normales Fest, weil er sich so über die Geburt der Tochter freut (Uffer 1970:30).
Im französischen Märchen stellen die Ereignisse eine logische Abfolge dar. Die Taufe ist die traditionelle Feier nach einer Geburt. Auch ist die Schwangerschaft das Ergebnis der Bemühungen, und nicht - wie bei den Gebrüdern Grimm - das Wunder eines Frosches.
Zu der Taufe lädt bei Perrault der König alle Feen ein, die man in seinem Land gefunden hat. Diese sieben Feen sollen der Prinzessin Gaben verleihen, damit die Prinzessin so vollkommen wie möglich werde. Im Märchen erscheint jedoch noch eine achte Fee, die man für tot oder verzaubert gehalten hat. Da der König nur mit sieben geladenen Feen gerechnet hat, hat er auch nur sieben Kästchen voll Gold anfertigen lassen. Jedoch holt der König sofort für die achte Fee goldenes Besteck, nur ein Goldkästchen kann er ihr nicht geben. Dadurch fühlte sich die achte Fee missachtet (Perrault [1697] 1948 :189).
Hier sieht man also den wohlgesonnenen König, der scheinbar eher aus Versehen die achte Fee nicht eingeladen hat. Er hat sie nicht vorsätzlich übergangen, im französischen Märchen sorgt ein Zusammenspiel unglücklicher Zustände dafür, daß die achte Fee von der Taufe erfährt und dort unheilverkündend erscheint. Jeder glaubte sie schließlich tot oder verzaubert. Als Begründung hierfür heißt es:
[...]
- Citation du texte
- Hanna Sieberkrob (Auteur), 2002, Das Märchen Dornröschen - Ein Vergleich der Fassung von Perrault mit der Fassung von den Gebrüdern Grimm, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58053
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