Die grundsätzliche Motivation zu dieser Diplomarbeit entstand während der zwei Semester (August 2003 - Mai 2004), die ich aufgrund eines Stipendiums an der University of Texas zu Austin studieren durfte. Sehr eindringlich wurde ich auf einem vorangehenden Seminar für die Stipendiaten darauf hingewiesen, dass ich auch eine Art „Botschafter“ Deutschlands in den USA sein würde und deshalb sehr vorsichtig mit Kritik bezüglich der allgemeinen und besonders gegenwärtigen Politik der USA sein müsste. Tatsächlich ging die hauptsächliche Kritik an der Regierung dann aber nicht von mir, sondern von den Studenten aus, die ich während meines Aufenthaltes in Texas kennen lernte. Fast täglich konnte ich Diskussionen über politische und gesellschaftliche Problembereiche der USA führen; die Themen erstreckten sich dabei von der gegenwärtigen Umweltpolitik, über generelle Eigenheiten der amerikanischen Gesellschaft bis zum Krieg im Irak und seinen wirtschafts- und sicherheitspolitischen Implikationen. Diejenigen Studenten, die dem Establishment ablehnend gegenüber standen, vertraten dabei gegenüber George W. Bush eine recht feindselige Position, die sich am deutlichsten in einem Plakat widerspiegelt, das als offener Protest das Fenster eines Studentenhauses zierte. (siehe Anhang 9.3) Das Plakat ist der deutlichste Beweis für die polarisierende Wirkung des gegenwärtigen Präsidenten und hinterließ mehr Eindruck bei mir als manches Gespräch. Natürlich verlief auch manches Gespräch frustrierend, z.B. hinsichtlich der Motivation der Terroristen für den Anschlag am 11. September 2001. In dieser Hinsicht wurde ich mit überwiegend starren Positionen konfrontiert, die jedwede Mitverantwortung amerikanischer Politik für diese Ereignisse strikt ablehnten. Trotzdem waren die Gespräche, von solchen Ausnahmen abgesehen, äußerst konstruktiv - bis zu dem Punkt, an dem es um Lösungsstrategien für die derzeitigen politischen Probleme der USA ging. Die Lösungen, die diesbezüglich von meinen amerikanischen Kommilitonen vorgeschlagen wurden, waren in ihrem Charakter meist revolutionär - im ursprünglichen Sinn des Wortes. Meiner Meinung nach ging das Problem von der Spitze der Regierung aus; diese Position bildete sich auch im Rahmen meiner Studien der Geschichte als auch politischem System der USA heraus. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Rahmenbedingungen: Die amerikanische Demokratie
2.1 Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika
2.2 Volkssouveränität und Gewaltenteilung
2.3 Die Exekutive in der Verfassung der USA
3. Executive Orders – Durchführungsanordnungen des Präsidenten
3.1 Hintergrund
3.2 Möglichkeiten des Kongresses zur Einflussnahme auf Executive Orders
3.3 Die Position der Judikative zu Executive Orders
3.4 Verschiedene Termini für unterschiedliche Zeiten und Anwendungsgebiete
3.5 Kontroversen um Clintons Gebrauch der Executive Order: ein Beispiel
3.6 Allgemeine Kontroversen um Executive Orders
4. Auf dem Weg zur modernen Präsidentschaft
4.1 Andrew Jackson (1829-1837)
4.2 Abraham Lincoln (1861-1865)
4.3 Theodore Roosevelt (1901-1909)
4.4 Franklin Delano Roosevelt (1933-1945)
5. Einflussfaktoren der modernen Präsidentschaft
5.1 Das Executive Office of the President (EOP)
5.2 Dwight D. Eisenhower und der Military-Industry Complex
5.3 „Kanonen oder Butter“ : Lyndon B. Johnson (1963-1969)
5.4 Die Krise der Präsidentschaft: Der War Powers Resolution Act
5.5 Ronald Reagan und die Iran-Kontra-Affäre
6. Der Präsident als Oberster Befehlshaber
6.1 Abraham Lincoln als Commander In Chief
6.2 George W. Bush als Commander In Chief
7. Zusammenfassung
8. Literaturverzeichnis
9. Anhang
9.1 Monroe-Doktrin
9.2 National Security Action Memorandum No. 328
9.3 Plakat 21st Street Coop., Austin,TX
10. Versicherung
1. Einleitung
Die grundsätzliche Motivation zu dieser Diplomarbeit entstand während der zwei Semester (August 2003 - Mai 2004), die ich aufgrund eines Stipendiums an der University of Texas zu Austin studieren durfte. Sehr eindringlich wurde ich auf einem vorangehenden Seminar für die Stipendiaten darauf hingewiesen, dass ich auch eine Art „Botschafter“ Deutschlands in den USA sein würde und deshalb sehr vorsichtig mit Kritik bezüglich der allgemeinen und besonders gegenwärtigen Politik der USA sein müsste.
Tatsächlich ging die hauptsächliche Kritik an der Regierung dann aber nicht von mir, sondern von den Studenten aus, die ich während meines Aufenthaltes in Texas kennen lernte. Fast täglich konnte ich Diskussionen über politische und gesellschaftliche Problembereiche der USA führen; die Themen erstreckten sich dabei von der gegenwärtigen Umweltpolitik, über generelle Eigenheiten der amerikanischen Gesellschaft bis zum Krieg im Irak und seinen wirtschafts- und sicherheitspolitischen Implikationen. Diejenigen Studenten, die dem Establishment ablehnend gegenüber standen, vertraten dabei gegenüber George W. Bush eine recht feindselige Position, die sich am deutlichsten in einem Plakat widerspiegelt, das als offener Protest das Fenster eines Studentenhauses zierte. (siehe Anhang 9.3) Das Plakat ist der deutlichste Beweis für die polarisierende Wirkung des gegenwärtigen Präsidenten und hinterließ mehr Eindruck bei mir als manches Gespräch.
Natürlich verlief auch manches Gespräch frustrierend, z.B. hinsichtlich der Motivation der Terroristen für den Anschlag am 11. September 2001. In dieser Hinsicht wurde ich mit überwiegend starren Positionen konfrontiert, die jedwede Mitverantwortung amerikanischer Politik für diese Ereignisse strikt ablehnten. Trotzdem waren die Gespräche, von solchen Ausnahmen abgesehen, äußerst konstruktiv – bis zu dem Punkt, an dem es um Lösungsstrategien für die derzeitigen politischen Probleme der USA ging. Die Lösungen, die diesbezüglich von meinen amerikanischen Kommilitonen vorgeschlagen wurden, waren in ihrem Charakter meist revolutionär – im ursprünglichen Sinn des Wortes. Meiner Meinung nach ging das Problem von der Spitze der Regierung aus; diese Position bildete sich auch im Rahmen meiner Studien der Geschichte als auch politischem System der USA heraus.
Die umfangreiche Machtfülle des US-Präsidenten, im Vergleich zu den Regierungschefs europäischer Demokratien, erschien mir der Kern des Problems zu sein. Hinzu kommt die hohe Instrumentalisierung der Medien für Regierungszwecke, die ich so unkritisch aus der deutschen Gesellschaft nicht kannte. Obwohl der letzte Wahlkampf zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb durchaus neue (deutsche) Maßstäbe in Sachen Emotionalität setzte, kann man ihn mit der mit (fast) allen Mitteln geführten „Wahl-Schlacht“ zwischen Bush und Kerry jedoch nicht vergleichen.
Aufgrund des Medieneinsatzes, überhaupt des immensen Wahlkampfbudgets der beiden Kandidaten, stellt sich die Frage, warum dem Präsidentenamt, vom grundsätzlichen Prestige abgesehen, in den USA eine solch große Bedeutung beigemessen wird.
Die vorliegende Arbeit soll daher die Entwicklung der Präsidentschaft unter folgenden Fragestellungen analysieren:
Inwiefern hat sich die Präsidentschaft verändert seit den Zeiten George Washingtons - der seinerzeit noch dazu aufgefordert werden musste, das Amt zu übernehmen - bis zu George W. Bush, der seinen Kontrahenten Kerry mit allen Mitteln zu diskreditieren suchte, um seine eigene Wiederwahl zu sichern?
Welche Konzepte der Präsidentschaft haben die jeweiligen Amtsinhaber mit dem Präsidentenamt verbunden und wie trugen diese Konzepte zur Weiterentwicklung des Präsidentenamtes und der Exekutive im Allgemeinen bei?
Inwiefern stellt eine ausgedehnte Exekutive einen Verlust an demokratischer Kontrolle über diesen Gewaltenzweig dar?
These:
Die Geschichte der amerikanischen Präsidentschaft ist die Geschichte der Machtausdehnung der exekutiven Gewalt innerhalb eines Systems der Gewaltenteilung. Dabei trugen die besondere, verschränkte Form der Gewaltenteilung im amerikanischen Regierungssystem und die vage Ausdrucksweise der Verfassung zu der geschichtlichen Entwicklung einer Exekutive bei, die sich zunehmend der Kontrolle eines demokratischen Systems entziehen konnte. Auf diese Weise hat sich die Exekutive von einer ursprünglich lediglich gesetzesvollziehenden Rolle entfernt und nimmt im Regierungssystem der USA nunmehr eine dominierende Rolle ein.
Executive Orders - Anordnungen des Präsidenten - spielen dabei eine Schlüsselrolle für die Implementierung der jeweiligen Absichten des Präsidenten. Obwohl Executive Orders hauptsächlich in einem legalen Kontext verwendet werden, räumen bestimmte Ausnahmezustände dem Präsidenten diktatorische Machtbefugnisse ein, die er unter Berufung auf seine konstitutionelle Rolle als Oberbefehlshaber der Streitkräfte mittels Executive Orders umsetzen kann.
Mithilfe dieses unverhältnismäßigen Machtspielraums hat die amerikanische Präsidentschaft maßgeblich dazu beigetragen, die USA im Laufe der Geschichte zu einer hauptsächlich unilateral agierenden Weltmacht zu transformieren, und gleichzeitig die demokratischen Ursprünge der eigenen Nation schrittweise zu untergraben.
In der vorliegenden Arbeit soll daher die Entwicklung der amerikanischen Präsidentschaft im Kontext ihrer besonderen Rahmenbedingungen - der Verfassung, der traditionellen Interpretation der Verfassung, implizierter Befugnisse wie der Executive Order, der Rolle der anderen Gewalten und geschichtlichen Ereignissen - untersucht werden. Besondere Aufmerksamkeit soll dabei jenen Präsidenten zuteil werden, die durch ihren jeweiligen Führungsstil die Präsidentschaft maßgeblich beeinflusst haben, und damit eine Grundlage für die gegenwärtige Situation geschaffen haben.
Zur Aufarbeitung dieses Themenkomplexes ist die vorliegende Arbeit in folgende Arbeitsschritte unterteilt worden:
Zunächst werden die Rahmenbedingungen des amerikanischen politischen Systems und die Einordnung der Exekutive in dieses System untersucht werden. Das darauffolgende Kapitel befasst sich mit Executive Orders, welchen für die Entwicklung der Präsidentschaft eine tragende Rolle zukommt. Diese graduelle Entwicklung der Präsidentschaft soll im daran anschließenden Kapitel anhand einiger ausgewählter Präsidenten, sozusagen der „Meilensteine“ im Kontext dieser Entwicklung, nachvollzogen werden.
Ein weiteres Kapitel ist der Untersuchung der Konsequenzen, die durch die Erweiterung des Exekutivzweiges unter Franklin D. Roosevelt für die moderne Präsidentschaft entstanden, gewidmet.
Die Rolle des Präsidenten als Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Commander In Chief) wird abschließend in einem eigenem Kapitel betrachtet, da er in dieser Rolle über seine weitreichendste Machtfülle verfügt.
2. Rahmenbedingungen: Die amerikanische Demokratie
2.1 Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika
Nachdem die Kolonisten ihre Unabhängigkeit während der Revolution errungen hatten, sahen sie sich den Regierungsproblemen von Friedenszeiten gegenüber: Gesetze mussten durchgesetzt, die Ordnung aufrecht erhalten, Steuern eingenommen, öffentliche Schulden bezahlt und der Binnenhandel geregelt werden. Auch die Beziehungen zu anderen Regierungen und mit den heimischen Indianerstämmen mussten geregelt werden. Führende Staatsmänner wie George Washington und Alexander Hamilton begannen über die Notwendigkeit einer starken Bundesregierung und einer neuen Verfassung zu diskutieren. Hamiltons Bemühungen führten 1787 schließlich zu einem verfassungsbildenden Kongress in Philadelphia, dessen eigentliches Anliegen es war, den Bundesvertrag (Articles of Confederation) den neuen Umständen anzupassen. Der Bundesvertrag hatte die einzelnen Kolonien zu einem losen Staatenbund vereint, doch der dadurch geschaffene Kongress besaß nicht die nötigen Befugnisse, um die nationalen Probleme zu bewältigen. Anstatt den Bundesvertrag zu überarbeiten, stimmte die Mehrheit der Delegierten für die Ausarbeitung einer Bundesverfassung, deren Ratifizierung durch die einzelnen Staaten die USA von einem losen Staatenbund in eine Republik wandelte.[1]
Die Verfassung der USA stellt eine der frühesten geschriebenen Verfassungen der modernen Geschichte dar und ist die älteste heute noch in Kraft befindliche Verfassung eines souveränen Staates. Seit ihrem Erlass ist sie lediglich durch 27 Zusatzartikel (amendments) ergänzt worden. Die ersten zehn Zusatzartikel beinhalten den Grundrechtskatalog (Bill of Rights), der im Jahre 1791 in Kraft trat. In den USA gilt der Grundrechtskatalog als Bestandteil der ursprünglichen Verfassung, mit der er eine Einheit bildet. In den folgenden 200 Jahren wurde die amerikanische Verfassung also nur 17 formellen verfassungsrechtlichen Änderungen unterzogen. Trotzdem bleibt es eine Tatsache, dass diese Verfassung, die in den USA als höchstes Gesetz des Landes erachtet wird, für knapp 4 Millionen Menschen am Rande des kaum erschlossenen nordamerikanischen Kontinents bestimmt war, während heute über 293 Millionen Menschen den Kontinent von Ost bis West bewohnen.[2] [3] Bestimmte Anachronismen darf man also trotz der „Aktualisierung“ durch die 17 Zusatzartikel erwarten, wie etwa das durch Zusatzartikel 2 garantierte Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen. Während bei der Besiedlung eines Kontinents Ende des 18. Jahrhunderts der Besitz einer Waffe lebensnotwendig gewesen sein dürfte, verweisen viele Amerikaner auch heute noch gern auf die Verfassung, wenn sie auf die vielen Opfer von Waffen angesprochen werden.
Trotz dieser offensichtlichen Anachronismen ist die amerikanische Verfassung durchaus flexibler als ein staatsrechtliches Grundgesetz, sie befindet sich seit ihrem Inkrafttreten vielmehr in einem andauernden Wandlungsprozess. Neben dem geschriebenen Text der Verfassungsurkunde existiert auch zusätzlich ein ungeschriebenes Verfassungsrecht, welches auf Verfassungsübung und der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (Supreme Court) beruht; hierdurch entsteht eine Mischung aus Traditionsgebundenheit gegenüber der Verfassung, die in den USA als Symbol nationaler Einheit gilt, und einer Reformen gegenüber offenen Elastizität, die nicht im Widerspruch zur Tradition steht.
Die Grundprinzipien der Verfassung waren seit Ende des Sezessionskonfliktes nie Mittelpunkt ernsthafter Auseinandersetzungen. Und selbst die in Folge der Sezession von der Union entstandene konföderierte Regierung übernahm in ihrer Verfassung vom 11. März 1861 den größten Teil des Grundgesetzes wörtlich aus der Verfassung von 1787 und definierte lediglich die Teile der Verfassung, deren relative Unbestimmtheit den Nährboden für die Sezession gebildet hatten, neu im Sinne der Südstaaten-Regierung.[4] Tatsächlich lässt sich der Ausbruch des Sezessionskrieges letztlich auch mit der schon erwähnten Traditionsgebundenheit der Amerikaner an ihre Verfassung und die damit verbundenen Werte erklären; beide Seiten beanspruchten jeweils für sich die „wahre“ Interpretation der Verfassung und gaben diesem Aspekt jeweils weitaus mehr Gewicht als der Sklavereifrage, die mehr als Anlass zu dem schicksalsschweren Konflikt diente.
2.2 Volkssouveränität und Gewaltenteilung
Grundsätzlich ist das amerikanische Regierungssystem auf dem Gedanken der Volkssouveränität aufgebaut. Die Präambel der Verfassung beginnt mit den Worten:
“We the People of the United States, in Order to form a more perfect Union, establish Justice, insure domestic Tranquility, provide for the common defence, promote the general Welfare, and secure the Blessings of Liberty to ourselves and our Posterity, do ordain and establish this Constitution for the United States of America.”
Dieser Verweis auf Volkssouveränität zur Legitimierung der Verfassung wirkt in heutigen Zeiten nicht ungewöhnlich, stellte im Jahre 1787 aber ein gewagtes Experiment dar, das von den Monarchien Europas argwöhnisch und missbilligend betrachtet wurde.
Trotz dieses offensichtlichen Bekenntnisses zur Volkssouveränität enthält die Verfassungsurkunde an keiner Stelle das Wort „demokratisch“, was sich durch ein anderes Verständnis dieses Wortes erklärt. Im 18. Jahrhundert verstand man unter „Demokratie“ die direkte, unmittelbare Form der Demokratie, wie sie etwa in den griechischen Stadtstaaten der Antike bestanden hatte. Die Vorstellung, dass alle wahlberechtigten Bürger auf einem Marktplatz oder sonst einem öffentlichen Ort zusammenkommen und lauthals über ein zur Debatte stehendes Gesetz abstimmen würden, war den geschichtlich und philosophisch gebildeten Gründungsvätern ein Dorn im Auge. So unterschiedlicher Meinung die Teilnehmer des Konvents von Philadelphia auch sonst gewesen sein mögen, sie alle hielten den „Pöbel“ für zu unbeständig und ungebildet, um so maßgeblich zur Regierung beizutragen. Auch waren sie der Meinung, ein von einer demokratischen Mehrheit gewähltes Parlament könne die Rechte von Minderheiten ebenso bedrohen wie ein Tyrann. So bemühten sie sich stattdessen, die „Torheiten der Demokratie in Schranken zu halten“[5] und gleichzeitig dem Grundsatz der Volkssouveränität, und nicht dem der Volksherrschaft, Rechnung zu tragen. Auch wenn diese Herangehensweise tatsächlich ethnischen und religiösen Minderheiten entgegenkam, kamen hier zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte auch die Interessen einer noch kleinen ökonomischen Elite zum Tragen, die ihre Eigentumsrechte bedroht sah. Der Sklavenbesitzer sollte in seinen Interessen genauso geschützt werden wie der Tagelöhner, gleichzeitig aber sollte kein Einzelinteresse über einen überproportionalen Einfluss verfügen. Diese Überlegungen führten die Konventteilnehmer weg von der direkten Demokratie und hin zur repräsentativen Republik, in der alle Einzelinteressen gewürdigt werden sollten.[6]
Um dies zu bewerkstelligen, berief man sich auf die Doktrin der Gewaltenteilung nach Montesquieu, der diese mit folgendem Grundsatz begründet hatte:
„There can be no liberty where the legislative and executive powers are united in the same person, or body of magistrates.”[7]
Um zu verhindern, dass ein Zweig der Regierung sich Befugnisse eines anderen Zweiges aneignete, sollte ein System der gegenseitigen Kontrolle (checks and balances) das Gleichgewicht der Gewalten innerhalb der Regierung gewährleisten. Dieses System bezog sich auch auf das Verhältnis zwischen der Bundesregierung und den einzelnen Bundesstaaten, um zu gewährleisten, dass die Bundesregierung ihre Autorität gegenüber den Bundesstaaten nicht überschritt und umgekehrt.[8]
2.3 Die Exekutive in der Verfassung der USA
Der Konvent in Philadelphia war einerseits geprägt von den Erfahrungen der Kolonialzeit: ein als Despot empfundener Monarch in England, der seine Macht über Gouverneure ausübte, die sich den Interessen der Kolonien weitaus weniger verpflichtet fühlten, als dem Wohlwollen des Monarchen. Die Tatsache, dass die königlichen Gouverneure den Kolonisten nur selten wohlwollend gesinnt waren, es des Öfteren nicht einmal für nötig befanden, ihr Amt vor Ort auszuüben (und stattdessen in England am Hofe verblieben), und als Höflinge verschrien waren, deren einzige „Befähigung“ für den Gouverneursposten darin bestand, das Wohlwollen des Königs zu genießen, trug schon nach kurzer Zeit dazu bei, den exekutiven Zweig der Kolonialregierungen in Misskredit zu bringen. Diese Tendenz verstärkte sich in dem Maße, in welchem die Spannungen zwischen den Kolonien und dem englischen König George III. wuchsen. Die relative Schwäche dieser Gouverneure wurde von den kolonialen Legislaturen ausgenutzt, um die Exekutive weiter einzuschränken. Die Legislative begann, sich zunehmend traditionell exekutive Funktionen anzueignen. Nachdem die königlichen Gouverneure während der letzten Jahre der Kolonialzeit hauptsächlich mit dem erfolglosen Versuch beschäftigt waren, die königliche Autorität gegenüber der wachsenden Unzufriedenheit der Kolonisten zu erhalten, und schließlich fliehen mussten, hatte die Stellung der Exekutive in den amerikanischen Kolonien ihren absoluten Tiefpunkt erreicht. Dies drückte sich auch in den omnipotenten Legislativen aus, die sich vor und während der Revolution in den einzelnen Kolonien bildeten.
Andererseits folgte dem Sieg der Kolonisten bei Yorktown bald Ernüchterung über den gegenwärtigen Zustand einer Legislative, die in den meisten Staaten zwar sowohl legislative als auch exekutive Befugnisse für sich beanspruchte, diese jedoch mangels eines geeigneten Exekutivapparates nicht oder lediglich höchst ineffizient umsetzen konnte. Nachdem sie ihre Unabhängigkeit von der Tyrannei einer Exekutive erkämpft hatten, mussten die Kolonisten feststellen, dass eine starke Exekutive vonnöten war, um sie vor einer Tyrannei der Legislative zu bewahren. Obwohl man im Grenzland mit der bestehenden legislativen Souveränität gut leben konnte, stellte sich dieser Zustand als höchst unbefriedigend für die Interessen der Kaufleute und Pflanzer dar.[9]
So klagte James Madison im Federalist No.48: “the legislative department is everywhere expanding its sphere of activity, and drawing all power into its impetuous vortex“[10].
Noch eindringlicher wandte sich Jefferson gegen diese eklatante Missachtung der Doktrin der Gewaltenteilung:
“All the Powers of government, legislative, executive and judicial, result to the legislative body. The concentration of these in the same hands is precisely the definition of despotic governments […] 173 despots would surely be as oppressive as one.”[11]
Im Federalist No.51 sprach sich Madison daher für eine Stärkung der Exekutive aus:
„But it is not possible to give to each department an equal power of self-defense. In republican government, the legislative authority necessarily predominates. The remedy for this inconveniency is to divide the legislature into different branches; and to render them, by different modes of election and different principles of action, as little connected with each other as the nature of their common functions and their common dependence on the society will admit. It may even be necessary to guard against dangerous encroachments by still further precautions. As the weight of the legislative authority requires that it should be thus divided, the weakness of the executive may require, on the other hand, that it should be fortified. An absolute negative on the legislature appears, at first view, to be the natural defense with which the executive magistrate should be armed.”
Die neuen Staatslegislativen hatten den Teilnehmern des Philadelphia-Konvents hinreichend demonstriert, dass Verfassungen sich nicht von selbst durchsetzen. Folglich wurde der Restriktion der Legislative bei der Ausarbeitung der Verfassung besondere Sorgfalt zuteil, während der sich auf die Präsidentschaft beziehende Artikel II die Befugnisse und Pflichten des Präsidenten weniger definiert als vielmehr vage umschreibt. Dies räumt dem Präsidenten der USA ein impliziertes “Executive Prerogative“ (dem traditionell königlichen Vorrecht nicht unähnlich) ein, auf das er sich berufen kann, wann immer die Verfassung eine bestimmte Befugnis nicht ausdrücklich einem anderen Regierungszweig zuweist.
Eine weitere Stärkung erfuhr die Exekutive durch die Ablehnung des Vorschlags zur Etablierung eines Executive Council, dessen vorherige Zustimmung der Präsident hätte einholen müssen, um bestimmte Handlungen auszuführen. Weitere Festigung seiner Position, besonders der Legislative gegenüber, war die Implementierung der für ein Misstrauensvotum (Impeachment) notwendigen 2/3 Mehrheit im Senat, das Veto-Recht des Präsidenten sowie seine Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Ausführung oder Nicht-Ausführung („Pocket“-Veto) von Gesetzen. Offensichtlich wurden diese Vorkehrungen bewusst bewerkstelligt, um eine weitgehende Unabhängigkeit der Exekutive zu gewährleisten.[12]
3. Executive Orders – Durchführungsanordnungen des Präsidenten
"Stroke of the pen. Law of the Land. Kinda cool."
(Paul Begala, ehemaliger Berater Bill Clintons, The New York Times, July 5, 1998 )
Executive Orders (EOs) sind legale und bindende Anordnungen des amerikanischen Präsidenten an Bundesverwaltungsagenturen. Der Präsident, der in den USA als die oberste Instanz der Exekutive fungiert, nutzt Executive Orders im Allgemeinen, um auf die Ausführung von durch den Kongress beschlossenen Gesetzen hinzuwirken. In vielen Fällen jedoch wurden Executive Orders benutzt, um eine Politik durchzusetzen, die im Gegensatz zu den Absichten des Kongresses stand ("executive lawmaking"). Im Hinblick auf Größe und Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung haben Executive Orders auch beträchtliche Auswirkungen auf alle Bürger der Nation.
3.1 Hintergrund
Artikel I der Verfassung garantiert dem Kongress die gesetzgebende Gewalt ("All legislative powers herein granted shall be vested in a Congress of the United States") während Artikel II dem Präsidenten der USA die exekutive Gewalt verleiht ("the executive power shall be vested in a President of the United States."). Außerdem wird dem Präsidenten als “Commander in Chief of the Army and Navy of the United States" eine weitere wichtige Rolle zugewiesen. Er hat außerdem dafür Sorge zu tragen, dass die Gesetze gewissenhaft befolgt werden (“take care that the laws be faithfully executed."). Die Trennung zwischen Befugnissen des Präsidenten und denen des Kongresses innerhalb eines auf Gewaltentrennung basierten Systems hat sich in der Praxis allerdings oft als schwierig erwiesen.
Im Laufe der amerikanischen Geschichte haben Präsidenten Proklamationen, Executive Orders und sonstige Direktiven abgezeichnet, obwohl diese in der Verfassung nicht speziell aufgeführt werden. Im Allgemeinen hat man sie aber als implizite Konsequenz der durch Artikel II aufgeführten Befugnisse akzeptiert. Executive Orders müssen nicht erst durch den Kongress bewilligt werden, um in Kraft treten zu können, sind jedoch aus legaler Sicht ebenso schwerwiegend wie Gesetze, die durch den Kongress verabschiedet werden. Die Quelle für diese Machtbefugnis des Präsidenten, Executive Orders eigenmächtig anzuordnen, ist Artikel II, Absatz 1 der amerikanischen Verfassung, der dem Präsidenten „Executive Power” (Exekutivgewalt) zuspricht. Absatz 3 desselben Artikels weist den Präsidenten weiterhin an, dafür Sorge zu tragen, dass diese von ihm beschlossenen Gesetze wortgetreu ausgeführt werden. Daher wendet sich der Präsident, oft in Form von Executive Orders, an die ihm unterstellten Agenturen und Ministerien, um einerseits durch den Kongress verabschiedete Gesetze zu implementieren und zu vollziehen, andererseits kann er durch Executive Orders, selbst legislative Funktionen einnehmen.
Der Gebrauch der Executive Orders oder ähnlicher schriftlicher Formen präsidialer Anordnungen, um eine bestimmte politische Richtung festzulegen, hat sich im Lauf der Geschichte entwickelt. Im Allgemeinen werden sie akzeptiert, insofern sie sich auf entsprechende konstitutionelle oder gesetzliche Bestimmungen gründen. In diesem Fall haben sie unbestritten gesetzlichen Status.
Als erstes Beispiel und Ursprung der Executive Order gilt die schriftliche Anforderung von Berichten betreffend der Lage in den einzelnen Regierungsministerien durch George Washington am 8. Juni 1789. Seitdem hat sich die Anzahl der EOs kontinuierlich gesteigert; eine Studie der CRS (Congressional Research Service) ergab aber, dass, obwohl das gegenwärtige Nummerierungs- und Archivierungssystem erst seit 1907 besteht, kein Präsident vor Ulysses Grant mehr als 80 dieser Anordnungen ausgegeben hat.
Im Gegensatz dazu haben die Präsidenten ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts regelmäßig mehrere hundert Executive Orders ausgegeben. Besonders zu Beginn ihrer Amtszeit zeichnen die meisten Präsidenten eine ganze Reihe von EOs ab, mit denen sie eigene Richtlinien implementieren und/oder diejenigen ihrer Vorgänger für nichtig erklären oder gegebenenfalls ergänzen. Beginnend mit Theodore Roosevelt, der, seiner Stewardship -Doktrin des Präsidentenamtes entsprechend, einen bis dahin präzedenzlosen Gebrauch der EOs an den Tag legte, folgte ein zunehmend inflationärer Gebrauch derselben; bis heute beläuft sich die Zahl der nummerierten Executive Orders auf über 13.000. Franklin Delano Roosevelt ist diesbezüglich mit mehr als 3.500 Executive Orders während seiner 12 Dienstjahre unübertroffen.
Executive Orders wurden rückwirkend bis 1862, als Präsident Lincoln während des Sezessionskrieges den Habeas Corpus -Akt (Schutz der persönlichen Freiheit) aussetzte, nummeriert. Demzufolge sind weder die vor 1862 beschlossenen Executive Orders, noch diejenigen, die aufgrund mangelhafter Archivierung “verloren gingen”, erfasst, so dass man davon ausgehen kann, dass während der US-amerikanischen Geschichte wesentlich mehr als 13.000 Executive Orders in Kraft traten. Heutzutage befleißigt man sich einer vorbildlicheren Datenpflege; die Executive Orders ab 1937 bis heute sind online verfügbar und der Öffentlichkeit zugänglich.
Durch den Administrative Procedures Act (1946) verfügte der Kongress die Veröffentlichung aller Executive Orders im Federal Register, mit Ausnahme jener Direktiven und Anordnungen, die wegen Fragen der nationalen Sicherheit als geheim eingestuft wurden. Das Office of Federal Register innerhalb des Nationalarchivs ist für die Aufbewahrung der Originalkopien und Veröffentlichung von Executive Orders zuständig und ist der Öffentlichkeit auch über das Internet zugänglich (www.nara.gov).
Die zugrundeliegende Autorität zum Gebrauch von Executive Orders leitet sich, wie oben bereits erwähnt, entweder von der Verfassung selbst oder entsprechende Gesetzgebung ab. Das bedeutet, dass die Befugnisse des Präsidenten über die tatsächlich in der Verfassung aufgeführten, ihm zugedachten Befugnisse hinausgehen, wie Congress Quarterly im Folgenden ausführt:
"Express' powers – those specifically named in the Constitution – like the veto give presidents a limited set of tools for shaping legislation. But powers implied in the Constitution, and given substance by years of continuous reinterpretation, are the source of the president's ability to act alone, often without specific congressional statute […] An offspring of the implied powers doctrine is the executive order. This critical instrument of active presidential power is nowhere defined in the Constitution but generally is construed as a presidential directive that becomes law without prior congressional approval. It is based either on existing statutes or on the president's other constitutional responsibilities. Executive orders usually pertain specifically to government agencies and officials, but their effects often reach to the average citizen."[13]
3.2 Möglichkeiten des Kongresses zur Einflussnahme auf Executive Orders
Seitdem Präsidenten die Executive Order (die während des 18. und 19. Jahrhunderts gemeinhin als “Proklamation” deklariert wurde) in Anspruch nahmen, hat der Kongress diese oftmals im Nachhinein durch entsprechende Gesetzgebung abgesegnet. Im Falle kontroverser Executive Orders, die nicht der vorherrschenden Meinung des Kongresses entsprachen, oder dieser sogar offen widersprachen, hat der Kongress versucht, durch Verweigerung der zur Implementierung der Executive Order benötigten Gelder, die Pläne des jeweiligen Präsidenten zu durchkreuzen. Die Möglichkeiten des Kongresses, dem Präsidenten zu widersprechen, sind allerdings eingeschränkt, da die durch den Kongress verabschiedeten Gesetzentwürfe erst der Unterschrift oder Erlaubnis des Präsidenten bedürfen, bevor sie geltendes Gesetz werden können.
Ob der Kongress nun versucht, eine Executive Order für nichtig zu erklären, zu widerrufen, aufzuheben, zu beenden oder ihr die Budgetierung vorzuenthalten - jede dieser Möglichkeiten bedarf der Übereinstimmung des Präsidenten. In den meisten Fällen ist dies derselbe Präsident, der die Executive Order in Kraft setzen möchte. Wenn der Präsident also ein Veto gegen diese Beschlüsse einlegt, wird eine 2/3- Mehrheit im Kongress benötigt, um die entsprechende Executive Order zu überstimmen. In Fragen der Außenpolitik, der Verteidigung und Vertragsverhandlungen ist dies jedoch unwahrscheinlich, da dies Bereiche sind, deren Zuständigkeit dem Präsidenten von der Verfassung zugeschrieben, und generell auch so interpretiert werden.
Weiterhin kann der Kongress versuchen, die einer Executive Order zugrundeliegende Gesetzgebung aufzuheben. Gelingt dies, ist jede Executive Order, die auf dem betreffenden Gesetzerlass basierte, ungültig. Eine weitere Möglichkeit ist die Implementierung eines Ablaufdatums für einen Gesetzerlass, der die Basis für eine unerwünschte Executive Order bildet. Wird das Ablaufdatum („sunset date“) erreicht, kann der Kongress darüber abstimmen, ob die betroffene Bestimmung erneuert wird oder nicht. Aber die wichtigste „Waffe“ gegen einen Präsidenten, der in Opposition zur Kongressmehrheit handelt, ist die durch die Verfassung vorgesehene „Power of the Purse“, die dem Kongress die Budgethoheit überträgt.
Louis Fisher beschreibt die Spannungen zwischen Legislative und Exekutive hinsichtlich der gesetzgebenden Funktion, die der Präsident in der jüngeren amerikanischen Geschichte einnimmt, wie folgt:
"The ambiguity of ‘enumerated' and ‘separated' powers is nowhere more evident than in the assignment of the legislative power. Much of the original legislative power vested in Congress is now exercised, as a practical matter, by executive agencies, independent commissions, and the courts. The President's legislative power, invoked on rare occasions in the early decades, is now discharged on a regular basis throughout the year in the form of executive orders, proclamations, and other instruments of executive lawmaking. In self-defense, Congress has developed a complex system that depends on procedural guidelines for agency action, judicial review, committee and subcommittee oversight, and a constantly evolving structure of informal, nonstatutory controls.”[14]
3.3 Die Position der Judikative zu Executive Orders
Von den oben genannten Möglichkeiten des Kongresses abgesehen, können Executive Orders vor Gericht angefochten werden, und zwar dann, wenn die jeweilige EO eindeutig von den Absichten des Kongresses abweicht oder falls sie die dem Präsidenten verfassungsmäßig garantierten Vollmachten übersteigt. Dies ist jedoch höchst selten; so sind Executive Orders während der gesamten amerikanischen Geschichte lediglich in zwei Fällen (1952 und 1996) für unzulässig erklärt worden. Davon abgesehen hat sich der Oberste Gerichtshof als äußerst tolerant gegenüber verschiedensten präsidialen Anordnungen erwiesen.
Im erstem Fall, Youngstown Sheet & Tube Co. v Sawyer (1952), befand der Oberste Gerichtshof, dass Präsident Harry Truman mit seiner Übernahme des größten Teils der Stahlwalzwerke der USA seine Befugnisse gemäß der Verfassung und geltendem Statut überschritten hatte. Truman hatte die entsprechende Executive Order als Maßnahme verwenden wollen, um die Stahlproduktion, die aufgrund eines Streiks zum Erliegen gekommen war, wieder zu gewährleisten, weil eine Stahlknappheit während des laufenden Korea-Krieges ihn in ernsthafte Schwierigkeiten brachte. Da aber das Gericht übereinstimmend zu dem Urteil gelangte, dass weder ausdrückliche oder implizierte Verfassungsbefugnisse, noch entsprechende Gesetzesgrundlagen die Aktionen des Präsidenten rechtfertigten, musste Truman die Leitung der Stahlwalzwerke wieder an die rechtmäßigen Eigentümer übertragen.
Im Laufe dieses wichtigen Prozesses schuf Richter Robert H. Jackson gleichzeitig einen Rahmen für die Bewertung der Legitimität von Executive Orders:
1. Wenn der Präsident gemäß einer ausdrücklichen oder impliziten Genehmigung durch den Kongress handelt, obliegt ihm die größte Weisungsbefugnis, da zusätzlich zu seinen eigenen Befugnissen nun die delegierten Befugnisse des Kongresses kommen. Nur in diesem Fall vertritt er die Bundeshoheit.
2. Wenn der Präsident in Abwesenheit dieser durch den Kongress delegierten Befugnisse oder gar trotz dessen Ablehnung handelt, kann er sich nur noch auf seine eigenen unabhängigen Befugnisse stützen, jedoch existiert eine Grauzone, innerhalb derer seine Befugnisse und die des Kongresses sich überschneiden, oder innerhalb derer die Abgrenzung der jeweiligen Befugnisse unbestimmt ist. Daher kann Trägheit, Gleichgültigkeit oder Schweigen von Seiten des Kongresses manchmal zu eigenverantwortlichem Handeln des Präsidenten führen, es sogar begünstigen.
3. Wenn der Präsident Maßnahmen ergreift, die im Gegensatz zum ausdrücklichen oder impliziertem Willen des Kongresses stehen, ist seine Macht an ihrem Tiefpunkt, da er sich nur noch auf seine eigenen verfassungsgemäßen Befugnisse berufen kann, und sich nicht auf die verfassungsmäßigen Befugnisse des Kongresses in dieser Sache berufen kann.[15]
3.4 Verschiedene Termini für unterschiedliche Zeiten und Anwendungsgebiete
Es gilt mehrere Arten von Executive Orders zu unterscheiden: Proklamationen bzw. Ankündigungen zeichnen sich durch einen eher zeremoniellen oder symbolischen Charakter aus. Ein typisches Beispiel ist der „National Take Your Child To Work Day”, den der Präsident ausruft. Ein weitaus berühmteres Beispiel ist die „Emancipation Proclamation“ 1863 durch Präsident Lincoln, mit der er die Sklaven auf dem Gebiet der Konföderation „befreite“. Auch hier hatte die Proklamation lediglich einen symbolischen Charakter, da das entsprechende Gebiet erst erobert werden musste, um die Proklamation durchzusetzen, jedoch war dieser symbolische Charakter letztendlich kriegsentscheidend.
Eine weitere wichtige Unterkategorie der Executive Orders befasst sich mit der nationalen Sicherheit und Verteidigungsfragen. Im Allgemeinen sind sie bekannt als Direktiven der nationalen Sicherheit (National Security Directives). Während Präsident Clintons Regierungszeit wurden sie umbenannt in "Presidential Decision Directives".
Im Laufe der amerikanischen Geschichte, besonders aber seit der Modern Presidenc y, beginnend mit Franklin Delano Roosevelt, haben sich noch weitere Formen präsidialer Anordnungen etabliert, von denen einige wiederum nicht mehr geläufig sind. Eine Untersuchung im Rahmen des Senate Special Committee on National Emergencies and Delegated Emergency Powers (1999), durchgeführt durch die Anwälte William J. Olson und Alan Woll, fand die folgenden Termini, welche hauptsächlich synonym zu dem Begriff “Executive Order“ zu erachten sind, sich aber nach jeweiligem Anwendungsgebiet (siehe z.B. National Security Directives) unterscheiden:
- administrative orders
- certificates
- designations of officials
- executive orders
- general licenses
- interpretations
- letters on tariffs and international trade
- military orders
- national security action memoranda
- national security council papers
- national security decision directives
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Zu der Studie der beiden Anwälte muss der Anlass des Senate Special Committee on National Emergencies and Delegated Emergency Powers kurz erläutert werden. Der Demokrat Bill Clinton sah sich, im Gegensatz zu seinem Nachfolger George W. Bush, während sechs seiner acht Regierungsjahre einem republikanisch dominierten Kongress gegenüber, der seine Handlungsmöglichkeiten weitgehend einzuschränken versuchte. In dieser Hinsicht kamen aus dem republikanischen Lager schon früh kritische Stimmen, die Clintons angeblich häufigen Gebrauch der Executive Order monierten. Während seiner Regierungszeit erließ er jedoch lediglich 287 Executive Orders, eine im Rahmen der Modern Presidency relativ geringe Anzahl.[16]
Die explizite und manchmal geradezu dramatische Betonung der Executive Order als Mittel zur Umgehung des Kongresses durch die Clinton-Administration, wie im einleitenden Zitat von Paul Begala angedeutet, mag zu dem zähen Antagonismus des Kongresses, und als Konsequenz dessen, auch zu dem Senatsausschuss beigetragen haben, zu dessen Information die Studie primär erstellt wurde.[17] Im folgenden soll durch ein Beispiel aus der Clinton-Administration die Problematik von Executive Orders im Rahmen einer Präsidentschaft, welche überwiegend von einer Mehrheit des Kongresses angegriffen wird, veranschaulicht werden.
3.5 Kontroversen um Clintons Gebrauch der Executive Order: ein Beispiel
Während seiner Regierungszeit hat Präsident Clintons Umgang mit Executive Orders bereits in mehreren Fällen zu Zusammenstößen mit dem Kongress geführt. In einem Fall ersuchte Clinton um einen Gesetzerlass, um die Praxis von Unternehmen, streikende Arbeiter permanent zu ersetzen, zu unterbinden. Als der Kongress dem nicht nachkam, unterzeichnete Clinton Executive Order 12954, der die Weisung an den gesamten Verwaltungsapparat enthielt, mit solchen Unternehmern keine Verträge mehr abzuschließen. Daraufhin versuchte der Kongress, ein Gesetz zu verabschieden, welches das Arbeitsministerium daran hindern sollte, EO 12954 durchzusetzen. Das legislative Patt zwischen Clinton und dem Kongress wurde schließlich vor Gericht verhandelt, wo man feststellte, dass die Clinton-Order überhaupt nicht notwendig war, da mit dem National Labor Relations Act (1935) bereits entsprechende Gesetzgebung existierte.[18]
Obwohl sich die Clinton-Order letztlich und peinlicherweise als unnötig herausstellte, wird doch deutlich, wie verbissen ein Präsident unter solch ungünstigen Voraussetzungen vorgehen muss, um seine Autorität gegenüber einem „feindlichen“ Kongress zu behaupten. Die Executive Order, gerade wenn sie von der Administration als bedeutsames Mittel zur Verwirklichung eigener politischer Schwerpunke betont wird, untersteht einer besonders kritischen Kontrolle einer solchen Kongressmehrheit und wird letztlich zum heftig umstrittenen Symbol für präsidiale Autorität.
3.6 Allgemeine Kontroversen um Executive Orders
Executive Orders sind umstritten, weil sie dem Präsidenten erlauben, in höchstem Maße wichtige Entscheidungen zu fällen und so politische Linien zu verfolgen, mit denen der amerikanische Kongress nicht übereinstimmt. Dies wiederum widerspricht einem allgemeinen Grundsatz, der sich implizit, gleich einem „roten Faden“, durch die amerikanische Verfassung zieht: niemand sollte die Befugnis haben, vollkommen eigenmächtig zu handeln. Während die Verantwortlichkeiten und Befugnisse des Kongresses relativ genau definiert wurden, wurde die recht vage Umschreibung exekutiver Befugnisse oft beanstandet. Bereits 1840 kommentierte Abel Upshur hierzu:
“The most defective part of the Constitution beyond all question, is that which relates to the Executive Department. It is impossible to read that instrument, without being struck with the loose and unguarded terms in which the powers and duties of the president are pointed out. […]”[19]
Dies lässt dem Präsidenten oft beträchtlichen Spielraum, wenn es darum geht, Bundesgesetze- und Programme durchzusetzen. Besonders wenn man sich im Kongress nicht darauf einigen kann, wie genau ein spezielles Gesetz oder Programm ins bestehende System implementiert werden soll, kann der Präsident als Leiter der mit der Umsetzung dieser Gesetze betrauten Exekutivorgane hier entscheidend mitwirken. Auch wenn der Kongress es versäumt, detailliert die Art und Weise festzulegen, wie ein bestimmtes Gesetz ausgeführt werden soll, kann der Präsident diesem Gesetz seine persönlichen Präferenzen im Rahmen einer Executive Order aufprägen. Die schwerwiegendste Kritik an Executive Orders ist sicherlich, dass ein Präsident durch den willkürlichen Gebrauch der EOs (hauptsächlich, wenn sie sich auf seine Eigenschaft als Commander In Chief beziehen) letztlich einem Diktator gleicht, der wichtige politische Entscheidungen ohne Beeinflussung durch Kongress oder Gerichte zu treffen vermag.
4. Auf dem Weg zur modernen Präsidentschaft
Im folgenden Teil der Arbeit werden, mit besonderem Blick auf historischen Kontext (d.h. konkrete Anforderungen historischer Ereignisse und Umstände an den jeweiligen Präsidenten) sowie jeweiliger Amtsauffassung und Führungsstil, jene Präsidenten dargestellt, die den Weg zur modernen und auch zur gegenwärtigen Präsidentschaft geebnet haben. Natürlich haben auch andere Präsidenten wichtige Beiträge hierzu geleistet; genannt sei hier lediglich Woodrow Wilson, jedoch ist die Frage, welchen Präsidenten in welcher Hinsicht besondere Aufmerksamkeit zukommen sollte, sicherlich generell umstritten.
Der Gebrauch der Executive Order bzw. Proclamation kann hierbei, zumindest bei der Darstellung der folgenden vier Präsidenten, als Index für die jeweilige Amtsauffassung eines Präsidenten dienen. Sie (EOs) sind dabei Mittel zum Ausdruck eines wachsenden Bewusstseins über Zweck und Möglichkeiten des Präsidentenamtes, das jeder neue Präsident von seinen Vorgängern übernahm und, im Falle der folgenden vier Präsidenten, für sich (und zukünftige Präsidenten) neu definierte.
Für die moderne Präsidentschaft ist diese indexierende Betrachtung von Executive Orders und ähnlichen präsidialen Anordnungen allerdings von vergleichsweise geringer Signifikanz; die Präsidentschaft nach Franklin D. Roosevelt muss unter weitaus differenzierteren Gesichtspunkten betrachtet werden (siehe Kapitel 5).
4.1 Andrew Jackson (1829-1837)
Vor dem Amtsantritt des siebten US-Präsidenten wusste niemand in Washington so recht, was man von Andrew Jackson erwarten sollte oder wo seine politischen Schwerpunkte liegen würden. Im Allgemeinen schrieb man ihm ein ungezügeltes und aufbrausendes Temperament zu, John Quincy Adams bezeichnete ihn sogar schlicht als „Barbaren“.
Diese ungewöhnlich pessimistische Einstellung gegenüber einem neuen Präsidenten hatte teilweise damit zu tun, dass Jackson der erste Präsident wurde, der nicht aus dem Osten bzw. aus Virginia oder Massachusetts stammte. Im umstrittenen Wahlkampf von 1824 hatten seine politischen Gegner ihn verspottet, weil er in einer Blockhütte geboren sei. Diese Anspielung auf Jacksons Abstammung aus Tennessee, das im damaligen gesellschaftlichen Leben Washingtons keine große Rolle spielte, wirkte sich jedoch im Wahlkampf als Bumerang aus, denn Jacksons Mandat beruhte hauptsächlich auf seiner Popularität beim „einfachen Volk“. Letztlich konnte John Quincy Adams, Jacksons Wahlkampfrivale, die Wahl von 1824 nur gewinnen, weil Henry Clay, der ursprünglich ebenfalls für das höchste Amt kandidiert hatte, Stimmen für Adams im Repräsentantenhaus mobilisierte. Im Gegenzug erhielt Clay das Amt des Außenministers. Nachdem Jackson die Volkswahl knapp gewonnen hatte und demzufolge das Mandat des Volkes für sich in Anspruch nahm, muss ihm diese Entwicklung als betrügerisches Komplott gegen ihn vorgekommen sein. Und Andrew Jackson, ein Soldat und Ehrenmann, war bekannt dafür, Beleidigungen sehr persönlich zu nehmen. Sein wohlbekanntes aufbrausendes Temperament, das bereits zu acht Duellen geführt hatte, war der zweite Grund für die Ressentiments in Washington gegenüber seiner Person.
[...]
[1] Vgl. US Department of State, The Constitution of the United States of America. The Supreme Law of the Land, usinfo.state.gov/products/pubs/constitution/supreme.htm Zugriff am 07.11.2005
[2] vgl. Ernst Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem. Eine politologische Analyse (Die Wissenschaft von der Politik, hrg. v. O.K.Flechtheim, O.H. von der Gablentz, Hans Reif, Bd. 5) , Köln: Westdeutscher Verlag, 1962, 20.
[3] Auswärtiges Amt, Die USA auf einen Blick, 15.9.2003 www.auswaertiges-amt.de/www/de/laenderinfos Zugriff am 23.10.2005
[4] vgl. Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 22.
[5] Zit. n. ebd. 40.
[6] vgl. ebd., 39 ff.
[7] Zit. n.. Cato Institute , Executive Orders and National Emergencies: How Presidents Have Come to "Run the Country" by Usurping Legislative Power, by William J. Olson and Alan Woll, 28.Oktober 1999 http://www.cato.org/pubs/pas/pa358.pdf Zugriff am 13.01.2005
[8] Vgl. ebd., 2.
[9] Vgl. Wilfred E. Binkley. President and Congress, New York: Vintage Books 31962, 3-25.
[10] Zit. n. ebd., 26
[11] Zit. n. ebd.
[12] Vgl. ebd., 31f.
[13] Zit. n. US House of Representatives Committee on Rules, Hearing of the
Subcommittee on Legislative and Budget Process, The Impact of Executive Orders on the Legislative Process: Executive Lawmaking? http://www.rules.house.gov/archives/rules_olso08qa.htm Zugriff am 17.12.2005
[14] Louis Fisher, Constitutional Conflicts Between Congress and the President, Lawrence: University Press of Kansas, 41999, 118.
[15] Vgl. Phillip J. Cooper, By Order of the President. The Use and Abuse of Executive Direct Action, Lawrence: University Press of Kansas, 2002,23.
[16] Vgl. Cato Institute , Executive Orders and National Emergencies: How Presidents Have Come to "Run the Country" by Usurping Legislative Power, by William J. Olson and Alan Woll, 28.Oktober 1999 http://www.cato.org/pubs/pas/pa358.pdf Zugriff am 12.11.2005
[17] Phillip J. Cooper, By Order of the President. The Use and Abuse of Executive Direct Action, Lawrence: University Press of Kansas, 2002, 236.
[18] Vgl. Cato Institute , Executive Orders and National Emergencies: How Presidents Have Come to "Run the Country" by Usurping Legislative Power, by William J. Olson and Alan Woll, 28.Oktober 1999 http://www.cato.org/pubs/pas/pa358.pdf Zugriff am 12.11.2005
[19] Zit. n. Edward S. Corwin, The President. Office and Powers 1787-1957, New York: New York University Press 41957, 22.
- Quote paper
- Sven Christos Peschel (Author), 2006, Die Entwicklung der amerikanischen Präsidentschaft - Eine Gefahr für die Demokratie?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57449
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