„Menschsein heißt: sich minderwertig fühlen.“
Dieses Zitat verdeutlicht in einem Satz die Kerngedanken einer der drei großen tiefenpsychologischen Schulen, die mit dem Internisten und Psychologen Alfred Adler zu Beginn des letzten Jahrhunderts, begründet wurde.
Neben die Psychoanalyse von Sigmund Freud und die analytischen Psychologie von Carl Gustav Jung tritt somit die Individualpsychologie von Alfred Adler. Im Gegensatz zu Freud und Jung geht die Arbeit und Wirkung Adlers jedoch über den Bereich der Psychologie hinaus.
Um die Tragweite und Varianz der Themen, die Adler behandelte, zumindest ansatzweise zu verdeutlichen, soll die folgende Arbeit sich im ersten Teil zunächst mit Alfred Adler und seinem Bild vom Menschen, dem Unterschied, Entstehen und den Auswirkungen von Minderwertigkeitsgefühlen im Gegensatz zu den Minderwertigkeitskomplexen sowie weiteren Bereichen der Individualpsychologie Alfred Adlers, wie z. B. dem Gemeinschaftsgefühl und dem Willen zur Macht, beschäftigen.
Darüber hinaus wird in einem zweiten Teil mit vertiefenden Einblicken in Adlers Schriften dann die Frage aufgeworfen, inwiefern er pädagogische Aspekte in seinen Werken aufgreift, dazu die entsprechenden Hypothesen aufstellt und welche pädagogischen Konsequenzen sich möglicherweise für die heutige Erziehung ableiten lassen. Diese Perspektive ist als Schwerpunkt meiner Zwischenprüfungsarbeit zu betrachten und steht weiterhin in engem Zusammenhang mit meinem Lehramtsstudium. Dementsprechend sollen besonders die Aspekte von schulischer Erziehung sowie die Rolle und die Aufgaben des Lehrers nach Adler in meinen Untersuchungen berücksichtigt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die theoretischen Grundlagen der Individualpsychologie
2.1 Zu den Phasen der Entwicklung Alfred Adlers und seiner Individualpsychologie
2.2 Das finale Prinzip
2.3 Das Minderwertigkeitsgefühl
2.4 Der Minderwertigkeitskomplex
2.5 Das Gemeinschaftsgefühl
2.6 Der Wille zur Macht
3. Die pädagogischen Konsequenzen von Adlers Menschenbild
3.1 Alfred Adlers Weg zur Pädagogik
3.2 Individualpsychologische Erziehung – Was bedeutet das?
3.3 Die erzieherische Aufgabe der Eltern
3.4 Die erzieherische Aufgabe der Schule und des Lehrers
4. Kurze Zusammenfassung
5. Eigene Einschätzung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Menschsein heißt: sich minderwertig fühlen.“
Dieses Zitat verdeutlicht in einem Satz die Kerngedanken einer der drei großen tiefenpsychologischen Schulen, die mit dem Internisten und Psychologen Alfred Adler zu Beginn des letzten Jahrhunderts, begründet wurde.
Neben die Psychoanalyse von Sigmund Freud und die analytischen Psychologie von Carl Gustav Jung tritt somit die Individualpsychologie von Alfred Adler.
Im Gegensatz zu Freud und Jung geht die Arbeit und Wirkung Adlers jedoch über den Bereich der Psychologie hinaus.
Um die Tragweite und Varianz der Themen, die Adler behandelte, zumindest ansatzweise zu verdeutlichen, soll die folgende Arbeit sich im ersten Teil zunächst mit Alfred Adler und seinem Bild vom Menschen, dem Unterschied, Entstehen und den Auswirkungen von Minderwertigkeitsgefühlen im Gegensatz zu den Minderwertigkeitskomplexen sowie weiteren Bereichen der Individualpsychologie Alfred Adlers, wie z. B. dem Gemeinschaftsgefühl und dem Willen zur Macht, beschäftigen.
Darüber hinaus wird in einem zweiten Teil mit vertiefenden Einblicken in Adlers Schriften dann die Frage aufgeworfen, inwiefern er pädagogische Aspekte in seinen Werken aufgreift, dazu die entsprechenden Hypothesen aufstellt und welche pädagogischen Konsequenzen sich möglicherweise für die heutige Erziehung ableiten lassen.
Diese Perspektive ist als Schwerpunkt meiner Zwischenprüfungsarbeit zu betrachten und steht weiterhin in engem Zusammenhang mit meinem Lehramtsstudium. Dementsprechend sollen besonders die Aspekte von schulischer Erziehung sowie die Rolle und die Aufgaben des Lehrers nach Adler in meinen Untersuchungen berücksichtigt werden.
2. Die theoretischen Grundlagen der Individualpsychologie
2.1 Zu den Phasen der Entwicklung Alfred Adlers und seiner Individualpsychologie
Die Entstehung und Verbreitung der Individualpsychologie erstreckt sich fast über die gesamte Lebensspanne Alfred Adlers, vor allem aber auf die Jahre 1898 bis 1937, und wird in der heutigen Forschungsliteratur in vier bzw. fünf Phasen unterteilt (vgl. Jürg Rüedi,1992).
Nach dem Medizinstudium und der Eröffnung einer eigenen Praxis markiert das Jahr 1898 die Veröffentlichung der ersten Schrift Adlers, dem „Gesundheitsbuch für das Schneidergewerbe“. Die darauffolgenden Jahre von 1902 bis 1911 sind geprägt von einer engen Zusammenarbeit Adlers mit Sigmund Freud, dem Begründer einer weiteren tiefenpsychologischen Schule – der Psychoanalyse. Trotzdem sich die beiden in ihren Ansichten und später auch ihren tiefenpsychologischen Theorien wesentlich voneinander unterscheiden, waren beide zeitweise eng befreundet und haben in den „Mittwochsgesellschaften“ zusammengearbeitet, Ideen ausgetauscht und im Kreis der Gruppe miteinander debattiert.
Während der Kooperation und Auseinandersetzung mit Freud in den Jahren 1906 bis 1911 entwickelt Adler bald eine eigene Gedankenwelt, die er in seinen eigenen Schriften wie z. B. „Der Arzt als Erzieher“ (Adler 1904), „Studie über die Minderwertigkeit von Organen“ (1907) darlegt. Damit schafft er zwar die Grundsteine für seine Individualpsychologie, distanziert sich aber gleichzeitig von den Ansichten Freuds und bricht schließlich völlig mit dessen Triebtheorie. Im Februar 1911 hält Adler dazu drei Vorträge, die er später unter dem Titel „Zur Kritik der Freudschen Sexualtheorie des Seelenlebens“ veröffentlicht und in deren Folge er den Kreis um Freud verlässt.
Zu den wichtigsten Kritikpunkten Adlers an der Freudschen Theorie zählen nach Kaminski und Mackenthun (1998) die Ablehnung des Sexualtriebes als die hauptsächliche oder alleinige Motivationskraft im Seelenleben, die Infragestellung des „Ödipuskomplexes“ sowie die Erklärung von Perversionen und Neurosen durch mangelhaftes soziales Training statt Fixierungen oder Regressionen auf infantile Strukturen. Im allgemeinen seien seelische Störungen, nicht kausal, sondern final zu verstehen. Das heißt, das der Patient mit seinen Symptomen versucht, ein bestimmtes Ziel bzw. Lebensziel zu verwirklichen.
Die Thematik der finalen Betrachtungsweise soll im nachfolgenden Kapitel weitergehend vertieft werden.
Nach der Ablösung von Freud und dessen Theorien schreitet Adler in der Entwicklung der Individualtheorie fort und veröffentlicht 1912 sein zweites Hauptwerk „Ueber den nervösen Charakter“. Wie Adler gegenüber Orgler deutlich macht, begründet er mit diesem Buch die Schule der Individualpsychologie (Orgler, 1974, zitiert nach Rüedi, 1992).
Ab 1918 und unter dem Einfluss des Ersten Weltkriegs findet der sozialpsychologische Ansatz bei Adler eine stärkere Beachtung, die sich unter anderem in der Einführung und Untersuchungen zum Begriff des Gemeinschaftsgefühls widerspiegelt. Darüber hinaus setzt er sich für die Schaffung kostenloser öffentlicher Erziehungsberatungsstellen ein, gründet mehrere Kindergärten, beteiligt sich an der Schulreform und hält Vorträge vor Erziehern.
Im Laufe der zwanziger Jahre gelingt es Adler, durch die „Zeitschrift für Individualpsychologie“ und Vortragsreihen das Interesse von Wissenschaftlern in aller Welt, an seiner Theorie zu wecken und immer mehr ausländische Gäste folgen ihm nach Wien, seine Heimatstadt.
Außerdem gewinnt in Adlers Schriften von etwa 1928 bis 1932 die Institution der Schule ständig an Bedeutung. Daher widmet er dieser Thematik eigene Bücher („Individualpsychologie in der Schule“, 1929/ 1973).
Schließlich gelingt ihm 1926 mit einem Angebot für eine Vortragsreihe in Amerika endgültig die Globalisierung seiner Gedanken.
Neben dem wachsenden internationalen Interesse an Adler, führen europäische Entwicklungen, besonders die Machtergreifung Hitlers, und Adlers jüdische Abstammung zu einer Verlagerung seiner Tätigkeit ab 1926 an das Long Island Medical College in New York.
Furtmüller (1983) erläutert, wie Adler seinen Anstrengungen während des Aufenthalts in den USA verdoppelt. „Da waren nicht nur seine zahlreichen Kurse und Vorträge, da waren die Arbeit in Beratungsstellen und mit Privatpatienten, und gleichzeitig veröffentlichte er eine lange Reihe von Arbeiten und Büchern, ...“ (Furtmüller, 1983 zitiert nach Rüedi, 1992, S. 226). Das letzte größere Werk Adlers „Der Sinn des Lebens“ erscheint 1933.
Am 28. Mai 1937 verstirbt Adler auf einer Vortragsreihe in Aberdeen an einem Herzversagen.
2.2 Das finale Prinzip
Im Gegensatz zu Freud geht die Individualpsychologie nicht von der kausalen, sondern der finalen Betrachtungsweise aus. Das heißt, dass jeder Mensch nach einem bestimmten (Lebens-)Ziel strebt. Hobmair (1979) hebt hervor, dass Adler in der finalen Betrachtungsweise den Schlüssel zu neuen Erkenntnissen sieht, denn sobald das Ziel, das sich ein Mensch gesetzt hat, erkannt sei, könnten seine Gedanken und Absichten verstanden werden. Dieser Aspekt gewinne besonders in der Therapie an Bedeutung, da die Ziele, die im Leben angestrebt werden, im Gegensatz zu physiologischen oder intellektuellen Veranlagungen beeinflussbar seien.
Weiterhin betone Adler damit die innere, subjektive Kausalität oder auch „ causa finalis “ als Ursache, die ein Verhalten begründet. Darüber hinaus seien die individuellen Erlebnisse sowie die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen, zu betrachten.
Hobmair (1979) sowie Ansbacher/ Ansbacher (1995) verweisen darauf, dass Adler in seinen frühen Schriften den Begriff der Fiktion in Anlehnung an Hans Vaihingers „Philosophie Als- Ob“(1911) verwendet. Adler benutzt den Terminus Fiktion, als Grundlage für die Zielstrebigkeit des Menschen, um zu verdeutlichen, dass der Ursprung eines Zieles nicht auf objektive Ursachen zurückgeführt werden kann, sondern eine unbewusste Schöpfung des Individuums ist.
2.3 Das Minderwertigkeitsgefühl
1907 erscheint die „Studie über die Minderwertigkeit von Organen“, die Adlers ersten größeren Beitrag für die Gesamtentwicklung der Individualpsychologie darstellt. Adler erläutert darin Organminderwertigkeiten und ihre Folgen sowie den Begriff der Kompensation. Im wesentlichen trennt Adler zwischen „morphologischer Minderwertigkeit“, womit er die mangelhafte Ausbildung einzelner Organe oder ganzer Organsysteme bezeichnet, und die „funktionelle Minderwertigkeit“, die charakterisiert wird durch eine von der Norm oder den äußeren Anforderungen nicht genügende Arbeitsweise (vgl. Adler, 1907, zitiert nach Rüedi,1992).
Tatsächlich verwendet Adler den Begriff des Minderwertigkeitsgefühls erstmals in der drei Jahre später erscheinenden Schrift „Trotz und Gehorsam“(1910), die nach Rüedi (1992) eine Weiterentwicklung der Organminderwertigkeitslehre von 1907 aufzeigt und die Wirkung des Minderwertigkeitsgefühls – nicht des minderwertigen Organs – für den Charakter und dessen Bildung hervorhebt. Damit stellt das Minderwertigkeitsgefühl oder inferiority feeling den Ausgangspunkt für Adlers Bild vom Menschen dar und wirkt zugleich wie eine innere Antriebskraft auf das Individuum.
In seinem Werk „Ueber den nervösen Charakter“ (1912) greift Adler diese Thematik erneut auf und äußert sich zum Ursprung, der Entwicklung, der psychischen Kompensation und der Vorbereitung des Minderwertigkeitsgefühls.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Minderwertigkeitsgefühl auf dem unangenehmen Erleben der eigenen Unzulänglichkeit und Unterlegenheit, die das Kind im Vergleich mit Erwachsenen oder älteren Geschwistern erlebt, beruht.
Je nach individueller Veranlagung können exogene wie auch endogene Faktoren zu Minderwertigkeitsgefühlen führen. Darüber hinaus ist eine Differenzierung zwischen realen medizinischen bzw. biologischen Problemen, z. B. einer Organminderwertigkeit, oder aber einer eingebildeten bzw. psychologischen Minderwertigkeit möglich. Damit offenbart vor allem die frühe Lehre Adlers seine praktische Tätigkeit als Arzt und siedelt erste psychologische Werke in einem Grenzland zwischen Biologie und Psychologie an.
Weiterhin kann das Minderwertigkeitsgefühl aus einem Gefühl der sozialen Angst resultieren. Diesen letztgenannten Aspekt hebt ebenfalls Rudolf Kausen hervor, der vom „Minderwertigkeitsgefühl als soziale Angst“ spricht und auf diese Weise auf den Ausschluss aus der Gemeinschaft Bezug nimmt (Kausen 1977). Für diese Argumentation spricht, dass beispielsweise eine Behinderung oftmals auch eine soziale Beeinträchtigung bedeutet.
Als Gefühl wird die Minderwertigkeit subjektiv erlebt, steht in Abhängigkeit von bestimmten Werteauffassungen in einer Gesellschaft und ist demzufolge nicht mit objektiver Minderwertigkeit gleichzusetzen.
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- Arbeit zitieren
- Anja Reiff (Autor:in), 2002, Alfred Adlers Bild vom Menschen - Pädagogische Konsequenzen 'Menschsein heißt: sich minderwertig zu fühlen', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57263
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