Fast täglich können wir in den Medien Berichte verfolgen, in denen aus verschiedensten Gründen zum Boykott aufgerufen wird. Erinnern wir uns an den Gasboykott Russlands gegenüber der Ukraine zu Anfang des Jahres oder den Boykottaufruf seitens der IG Metall gegen den schwedischen Elektrokonzern Electrolux wegen der geplanten Werksschließung des AEG-Werkes in Nürnberg.
Der wohl bekannteste Fall eines Boykotts in Deutschland ist wohl immer noch der einwöchige Boykott von Shell-Tankstellen im Jahre 1995. Der Öl-Riese Royal-Dutch wurde durch diesen Boykott in die Knie gezwungen und musste seinen Plan, die Ölbohrinsel Brent Spar zu versenken, schließlich aufgeben.
Spätestens seit dieser Aktion hatte man erkannt, dass ein Boykott eine durchaus sehr wirksame Waffe der Verbraucher ist und seitens der Unternehmen sehr ernst genommen werden muss.
Aus diesem Grund möchte ich mich in dieser Arbeit mit dem Thema Boykott auseinandersetzen und die zugrunde liegenden Prozesse anhand einer Sammlung diverser Boykottaktionen und deren anschließender Analyse darstellen.
In dieser Arbeit werde ich mich auf die Darstellung und Analyse von sog. Produktboykottaktionen, d.h. Boykotts seitens der Verbraucher beschränken, andere Boykottformen wie beispielsweise Wahlboykott oder Boykott von Sportveranstaltungen wie Olympischen Spielen werde ich nicht näher betrachten
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definition
3. Sammlung von Boykottaktionen
4. Analyse der gesammelten Fälle
4.1. Boykottarten
4.2. Boykottziele
4.3. Voraussetzungen für erfolgreiche Boykottaktionen
4.4. Ablauf eines Boykotts
4.5. Boykottursachen
4.6. Auswirkungen eines Boykotts
4.6.1. Wirtschaftlicher Druck
4.6.2. Imagedruck
4.7. Grenzen/ Kritik von Boykottaktionen
4.8. Reaktionsmöglichkeiten/ Strategien von Unternehmen
5. Fazit
6. Literatur und Informationsquellen
7. Anhang
1. Einleitung
Fast täglich können wir in den Medien Berichte verfolgen, in denen aus verschiedensten Gründen zum Boykott aufgerufen wird. Erinnern wir uns an den Gasboykott Russlands gegenüber der Ukraine zu Anfang des Jahres oder den Boykottaufruf seitens der IG Metall gegen den schwedischen Elektrokonzern Electrolux wegen der geplanten Werksschließung des AEG-Werkes in Nürnberg.
Der wohl bekannteste Fall eines Boykotts in Deutschland ist wohl immer noch der einwöchige Boykott von Shell-Tankstellen im Jahre 1995. Der Öl-Riese Royal Dutch wurde durch diesen Boykott in die Knie gezwungen und musste seinen Plan, die Ölbohrinsel Brent Spar im Ozean zu versenken, schließlich aufgeben.
Spätestens seit dieser Aktion hatte man erkannt, dass ein Boykott eine durchaus sehr wirksame Waffe der Verbraucher ist und seitens der Unternehmen sehr ernst genommen werden muss.
Aus diesem Grund möchte ich mich in dieser Arbeit mit dem Thema Boykott auseinandersetzen und die zugrunde liegenden Prozesse anhand einer Sammlung diverser Boykottaktionen und deren anschließender Analyse darstellen. Beginnen werde ich mit einer Definition des Begriffes „Boykott“.
2. Definition
Ein Boykott kann definiert werden als ein „planmäßiges Ausgrenzen eines Gegners durch Aufforderung an andere die sozialen, rechtlichen oder geschäftlichen Beziehungen zum Gegner abzubrechen und zwar mit dem Ziel, politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Zwang auszuüben.“[1]
Im Falle des Produktboykottes bedeutet dies also die organisierte Verweigerung von Verbrauchern, Produkte von bestimmten Unternehmen zu kaufen.
Der Begriff Boykott geht zurück auf den englischen Grundstücksverwalter Kapitän Charles Cunningham Boykott; dieser betrog seine irischen Landarbeiter um ihren Lohn und unterlag daraufhin einem im Jahre 1880 durch die irische Landliga organisierten Boykott.[2]
In den Medien wird der Begriff „Boykott“ oftmals auch fälschlicherweise für den Begriff „Embargo“ verwendet, d.h. es handelt sich gar nicht um einen Boykott, sondern um ein Embargo.
Daher möchte ich an dieser Stelle noch eine kurze Abgrenzung zu diesem Sachverhalten vornehmen:
Ein Embargo basiert in der Regel auf Beschlüssen des UN Sicherheitsrates, der Europäischen Union oder anderen internationalen Vereinigungen und stellt ein Verbot oder manchmal auch nur eine Einschränkung der Handelsbeziehungen zu bestimmten Ländern dar.[3]
Bei einem Boykott werden die Verbraucher jedoch nur aufgefordert, keine wirtschaftlichen Beziehungen mehr zu bestimmten Unternehmen einzugehen, um dadurch Druck auszuüben. Es handelt sich aber in keinster Weise um ein Verbot, wer sich dem Boykott nicht anschließen möchte, muss dies auch nicht tun.
3. Sammlung von Boykottaktionen
Im Folgenden werden nun eine Reihe von historischen und auch aktuellen Boykottaktionen vorgestellt werden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit zunächst eine kurze tabellarische Darstellung, an die sich eine ausführliche Beschreibung anschließt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wie aus der Tabelle ersichtlich können Boykottaktionen bis ins Mittelalter zurück verfolgt werden. Während der Zeit der Hanse wurde der Boykott bereits als wirksames Druckmittel eingesetzt. Wenn sich Städte oder Staaten nicht an die vereinbarten Rechte der Hanse hielten, wurden sie aus der Hanse ausgeschlossen. Die Stadt Brügge war einem solchen Handels- Boykott im Jahre 1358 ausgesetzt, weil man versucht hatte, die dortigen Handelskaufleuten zu Steuerzahlungen zu zwingen. Durch den Boykott gingen viele Erträge aus vorherigen Handelsgeschäften für die Stadt verloren und man musste sich schließlich dem Willen der Hanse beugen.
Der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung ging ein lang andauernder Boykott durch die amerikanischen Siedler, die sich nicht mehr länger von der britischen Krone unterdrücken lassen wollten, voraus.
Aber auch im 20. Jahrhundert können wir zahlreiche Boykotte mit durchaus beachtlichen Auswirkungen beobachten:
So gehörte zu dem von Gandhi 1915 gestarteten gewaltlosen Kampf gegen die britische Kolonialmacht in Indien auch der Boykott britischer Waren. Gandhis Kampf führte schließlich zur Unabhängigkeit Indiens im Jahre 1947.
In der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland ging im April 1933 der Boykott jüdischer Geschäfte als einer der Höhepunkte des von dem Hitler-Regime praktizierten Antisemitismus in die Geschichte ein.
1955 boykottierten in Montgomery im US-Bundesstaat Alabama Afroamerikaner die dortigen Busse für mehr als ein Jahr um damit gegen die damals noch offiziell praktizierte Rassendiskriminierung zu protestieren. Auslöser für die Boykottaktion war die Inhaftierung der Farbigen Rosa Parks, die sich geweigert hatte ihren Sitzplatz im Bus für eine Weiße zu räumen.
Der Boykott war sehr erfolgreich, nach nur fünf Tagen wurde Rosa Parks wieder aus der Haft entlassen und schließlich entschied auch das Bundesdestriktgericht von Alabama, dass die geltende Sitzplatzordnung in Bussen nicht mit der Verfassung vereinbar war. Im Jahr 1964 wurde die Rassendiskriminierung schließlich sogar per Gesetz verboten.
In den 70er Jahren führte der von Tierschützern ausgerufene Pelzboykott zum Verbot des kommerziellen Robbenfangs in Kanada im Jahr 1984.
Ebenfalls in diese Kategorie passen die von der Tierschutzorganisation PETA ausgerufenen Boykotte gegen die Fastfoodkette KFC seit 2003 wegen der miserablen und unhygienischen Lebensbedingungen auf den Hühnerfarmen, von denen die Kette ihre Tiere bezieht sowie auch der Boykott von australischer Wolle wegen des Vorwurfs der Misshandlung von Schafen. Bei beiden Aktionen konnte bislang keine Einigung zwischen den Boykottorganisatoren und den Boykottierten gefunden werden.
Der weltweite Boykott südafrikanischer Produkte „kauft keine Früchte der Apartheid“ während der 80er-Jahre führte schließlich zur Abschaffung des Apartheidsystems in Südafrika.
Als die französische Regierung im Juli 1995 beschloss, ihre Atombomben durch Zündungen im Südpazifik zu testen, kam es zum Boykott französischer Waren in Australien und auch in Deutschland. Man ließ sich in Frankreich hierdurch jedoch nicht beirren und nahm die Testzündungen trotz der weltweiten Proteste trotzdem vor.
Während des BSE-Skandals, der bereits 1981 begann, wurde europaweit Rindfleisch boykottiert. Dieser durch die Angst der Bevölkerung, sich an der gefährlichen Creutzfeld-Jakob-Krankheit durch den Verzehr von Rindfleisch anzustecken ausgelöste Boykott führte dazu, dass neue Gesetze verabschiedet wurden, die für die Vertreiber von Rindfleisch von nun an BSE-Tests vorschreiben und bestimmte Teile des geschlachteten Rindes wie beispielsweise das Hirn dürfen fortan nicht mehr zu Lebensmitteln verarbeitet werden.
Seit 1995 wird von der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW zum Boykott gegen Siemens aufgerufen. Der Grund dafür ist, dass Siemens weltweit führend im Bau von Atomkraftwerken tätig ist. Welche verheerenden Folgen ein Unfall in einem Atomkraftwerk mit sich bringt, hat die Katastrophe von Tschernobyl 1986 gezeigt, die mehrere zehntausend Todesopfer gefordert hat, außerdem hat die dortige Bevölkerung bis heute unter den gesundheitlichen Folgen zu leiden.
Beim Betrieb von Atomkraftwerken fällt hochradioaktiver Atommüll an, für den es bisher kein Endlager gibt, des weiteren entsteht giftiges Plutonium, das schon in geringen Dosen zu Lungenkrebs führen kann und außerdem für die Herstellung von Atomwaffen verwendet werden kann, was für viele Länder ein Grund für den Einstieg in die Atomenergie ist.
Trotz all dieser Gründe baut Siemens weiterhin Atomkraftwerke und verdient damit Unsummen.
Aufgrund der öffentlichen Kritik tritt man allerdings nicht unter dem Namen Siemens auf sondern unter „Framatome ANP“ (es handelt sich um ein deutsch-französisches Gemeinschaftsunternehmen), so wird Siemens nicht automatisch mit diesem Geschäft in Verbindung gebracht.
Durch die Siemens-Boykottkampagne wurden schon einige Atomgeschäfte von Siemens verhindert wie zum Beispiel den Bau eines Atomkraftwerkes an der türkischen Südküste im Jahr 2000 oder den geplanten Verkauf der Hanauer Plutoniumfabrik an China im Jahr 2003.
Die Siemens-Boykott-Kampagne läuft bis heute weiter und man steht im ständigen Dialog mit der Siemens-Führungsebene.
Ein wirtschaftlich orientierter Boykott war der Zulieferer-Boykott gegen die Internet-Buchhandlung „Libro“ von Juni bis August 2000. Libro wollte die in Deutschland und Österreich gültige Buchpreisbindung umgehen, indem man die Bücher aus dem jeweiligen Nachbarland importierte. Libro ging gegen den Boykott der Zulieferer per Gericht vor, verlor jedoch die Prozesse.
Ebenfalls von wirtschaftlichen Interessen geprägt war der Boykott der Zulieferer des Automobilherstellers Daewoo im September 2002. Daewoo war mit etlichen Zahlungen gegenüber seinen Zulieferfirmen im Rückstand und wurde durch den Boykott zur Zahlung der säumigen Beträge gezwungen.
Weitere an wirtschaftliche Interessen gekoppelte Boykottaktionen waren die folgenden: Der von deutschen Reisebüros durchgeführte Boykott gegen Lufthansa in der Zeit von Januar bis Februar 2004; Lufthansa strich die bislang gezahlten Provisionen für die Reisebüros, wenn diese Lufthansaflüge verkauften. Lufthansa ließ sich durch den Boykott jedoch nicht von der neuen Preisstrategie abbringen und blieb bei der Streichung der Provisionszahlungen.
Erfolgreicher verlief der Boykott von Shell-Tankstellen im März 2005 in Argentinien, der aufgrund einer Benzinpreiserhöhung von 4,2% ausgerufen worden war. Shell nahm die Preiserhöhung infolge des Boykotts wieder um 3,3% zurück.
Der Boykott des Filmstarts von „Herbie Reloaded“ durch die deutschen Kinobetreiber im Juli 2005 führte zu einer Verzögerung des bundesweitern Filmstarts und die Verleiher mussten einen Kompromiss mit den Kinobetreibern finden, indem sie ihnen eine Senkung der Leihgebühren anboten. Grund für den Boykott war der geplante DVD-Verkauf der Verleiher bereits vier Monate nach Kinostart, um so noch am Weihnachtsgeschäft zu verdienen. In Deutschland ist es allerdings üblich, dass die DVD erst sechs Monate nach dem Kinostart auf dem Markt erscheint.
Von September 2004 bis September 2005 boykottierten deutsche Verbraucher erfolgreich ihre Gasabrechnungen, da sie die nach ihrer und auch nach Meinung von Verbraucherverbänden überzogenen Preiserhöhungen nicht bereit waren zu akzeptieren. Der öffentliche Protest führte Ende letzten Jahres schließlich zu einer Gesetzesänderung, nach der die Energieanbieter ab sofort verpflichtet sind, sich ihrer Preiserhöhungen nach Darlegung der genauen Gründe von den entsprechenden Kartellbehörden genehmigen zu lassen. So wurde der willkürlichen Preiserhöhung ein Riegel vorgeschoben.
Von 1992 bis 2000 wurden Benetton-Produkte boykottiert. Der Grund dafür war die Skandalwerbung wie beispielsweise die Abbildung von Aidskranken oder Misshandelten, die das Unternehmen betrieb. Die in Deutschland zunächst erteilten gerichtlichen Verbote wurden dann jedoch wieder aufgehoben. Trotz des der öffentlichen Proteste und des Boykotts hielt man bei Benetton an der Werbestrategie fest, d.h. der Boykott hatte sein Ziel verfehlt.
Immer wieder werden Schiffe, die unter so genannten „Billigflaggen“ fahren und so die in ihren eigentlichen Heimatländern gültigen Tarifbestimmungen zur Entlohnung und auch zur Arbeitsicherheit umgehen von Hafenarbeitern boykottiert, d.h. es erfolgt keine Löschung der Ladung. Durch solche Aktionen konnten schon einige Reeder im Nachhinein zur Unterzeichung von Tarifverträgen gebracht werden. Aufgerufen zu diesen Boykotten hatten jeweils die zuständigen Gewerkschaften.
Ebenfalls von der Gewerkschaft ausgerufen war der Boykott von Electrolux-Produkten Anfang diesen Jahres. Der Grund dafür war die vom Konzern geplante Schließung des AEG-Werkes in Nürnberg und die gleichzeitige Produktionsverlagerung ins billigere Nachbarland Polen. Der Boykott und die anderen öffentlichen Protestaktionen wie z.B. die Bestreikung des Werkes in Nürnberg durch die Mitarbeiter führte schließlich zu einer Einigung der Konzernführung mit den zuständigen Betriebsräten, in der ein umfangreiches Abfindungsprogramm für die Beschäftigten in Nürnberg festgelegt wurde.
Wegen des Angriffes der US-Truppen gegen den Irak wurden von September 2002 bis ca. September 2003 US-amerikanische Produkte in Deutschland, Frankreich und der Türkei boykottiert, da man in diesen Ländern absolut gegen einen Krieg im Irak war. Die USA setzten gemeinsam mit Großbritannien trotzdem ihren Irakfeldzug fort.
Im Gegenzug wurden in den USA Produkte aus den Ländern der Kriegsgegner Deutschland und Frankreich boykottiert, diese beteiligten sich aber trotzdem nicht an dem Krieg.
Mittlerweile haben sich die wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen aller genannten Länder untereinander wieder stabilisiert.
Ebenfalls politischer Natur war der Boykott japanischer Waren in China und Südkorea im April 2005: In neuen japanischen Schulbüchern wurde die Rolle Japans im Zweiten Weltkrieg und die Kriegsverbrechen an der chinesischen und südkoreanischen Bevölkerung durch japanische Soldaten extrem heruntergespielt und beschönigt. Die Regierungen Japans, Chinas und Südkoreas stehen in Verhandlungen und sind um eine diplomatische Einigung bemüht.
Im April 2004 machte der Boykott gegen Nike, der von Jugendlichen in den USA ausgegangen war Schlagzeilen. Nike wurde Kinderarbeit, Ausbeutung und Misshandlung von ihren Arbeitern in den Produktionsfabriken in den armen Ländern Asiens und Lateinamerikas vorgeworfen.
Bei Nike gestand man schließlich die Verfehlung öffentlich ein und führte Verbesserung durch. So gibt es mittlerweile scharfe Kontrollen gegen Kinderarbeit und man stellt Mitarbeiter regelmäßig für gemeinnützige Aktivitäten frei, um so auch das ramponierte Image wiederherzustellen.
In den USA wurde im Juni 2004 ein Boykott des Bush-kritischen Filmes „Fahrenheit 9/11“ durch die Republikaner organisiert, der am Ende allerdings genau die gegenteilige Wirkung erzielte: Durch die massive Öffentlichkeit, die durch den Boykott ausgelöst worden war, wurde der Film in den USA schließlich sogar zum Kassenschlager.
Seit 1970 wird der Nestlé-Konzern scharf kritisiert wegen seiner aggressiven Werbung für Flaschennahrung in Ländern der Dritten Welt. Wegen der schlechten hygienischen Bedingungen in solchen Ländern starben zahlreiche Säuglinge, weil ihre Mütter sie nicht mehr stillten, sondern sie mit dem von Nestlé vertriebenen Milchpulver fütterten. Man hatte nicht bedacht, dass in solchen Ländern oft kein sauberes Trinkwasser zur Verfügung und auch die hygienischen Bedingungen lassen meist zu wünschen übrig. So ist es Frauen in Ländern der Dritten Welt nicht ohne weiteres möglich ihre Babyflaschen vor dem nächsten Einsatz in kochendem Wasser zu sterilisieren.
Daher bekamen viele Säuglinge, die nicht mehr wie üblich gestillt wurden, sondern mit der Flasche gefüttert wurden, schwere Infektionen, die nicht selten auch zum Tod der Kinder führte. Ein weiteres Problem war, dass die Mütter das Milchpulver oft so stark verdünnten, dass es bei den Säuglingen zur massiven Unterernährung kam, woran auch viele verstarben.[52]
Obwohl dem Nestlé-Konzern die hygienischen und sozialen Bedingungen in diesen Ländern bekannt waren, warb man trotzdem aggressiv für die Flaschennahrung: In Krankenhäusern wurden Gratisproben an die Mütter verteilt, Ärzte und Schwestern an den Umsätzen der Babynahrung beteiligte, wenn sie Mütter von der industriellen Babynahrung überzeugen konnten, Kindern auf Säuglingsstationen routinemäßig mit der Flasche fütterte, da dies für das Krankenhauspersonal viel einfacher war und die Säuglinge so gleichzeitig an die Flaschennahrung gewöhnt wurden. Bei den Müttern endete gleichzeitig der Milchfluss, weil sie ihre Säuglinge immer weniger stillten, so wurde die Abhängigkeit von der Flaschenahrung geschaffen. Man ging sogar soweit, Verkaufspersonal als Kinderkrankenschwestern zu tarnen, um so die ahnungslosen Mütter von den Vorteilen der Flaschennahrung zu überzeugen.[53]
Diese Praktiken lösten einen Aufschrei des Entsetzens in der westlichen Welt aus. Mit dem Slogan „Nestlé tötet Babys“ folgte ein international organisierter Boykott gegen Nestlé. 1979 wurde zu diesem Zweck in den USA das International Nestlé Boycott Commitee INBC gegründet, in dem im Jahr 1983 mehr als 80 nationale und internationale Organisationen vertreten waren.[54]
Zunächst versuchte man sich bei Nestlé gegen den Boykott, der nicht nur erhebliche Umsatzeinbußen sondern natürlich auch erhebliche Imageschäden mit sich brachte, zu wehren, indem man versuchte die Boykotteuere unglaubwürdig zu machen und Einfluss auf die Medien nahm, um dort Informationen, die dem Konzern dienlich waren, in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Außerdem zog man gegen die Boykottorganisatoren vor Gericht, warf ihnen dort „Ehrverletzung“ vor, verlor jedoch den Prozess.[55]
All diese Aktionen konnten die Boykottorganisatoren nicht einschüchtern oder aufhalten.
Durch den weltweit organisierten Boykott musste Nestlé nicht nur erhebliche Umsatzeinbussen hinnehmen, das Ansehen in der Öffentlichkeit hatte extrem Schaden genommen. Dies führte letzten Endes dazu, dass man sich dem Druck der Boykotteure beugen musste und so eine schriftliche Vereinbarung mit dem INBC unterzeichnete. In dieser verpflichtete sich Nestlé von nun an in den Informationsbroschüren über industrielle Babynahrung auch über die Vorteile des Stillens und Schwierigkeiten bei der Flaschennahrung aufzuklären; auf den Milchpulverpackungen mussten von nun an Gefahrenhinweise wegen verunreinigtem Wasser oder anderen notwendigen Utensilien sowie die Gefahren bei falscher Verdünnung des Milchpulvers und dessen falscher Lagerung aufgedruckt werden. Mitarbeiter des Gesundheitssystems sollten fortan keine persönlichen Geschenke mehr erhalten und nur noch für berufliche Zwecke benötigte Artikel günstiger beziehen können. Verbilligte oder gar kostenlose Lieferungen durften nun nur noch für Säuglinge die mit der Flasche ernährt werden mussten, erfolgen.
Mit diesen Maßnahmen sollte sichergestellt werden, dass Mütter in der Dritten Welt nicht mehr aus falschen Vorstellungen heraus auf die industrielle Babynahrung umstiegen und damit die Gesundheit und das Leben ihrer Babys gefährdeten.[56]
In der Vereinbarung wurde auch die Aussetzung des Boykotts für 6 Monate und gleichzeitig die Überwachung des Konzerns durch das INBC festgelegt.
Nestlé hatte mit dieser Vereinbarung also erst einmal den Boykott beendet.[57] Der Konzern steht allerdings bis heute immer noch in der Kritik und einige Organisationen wie zum Beispiel die Aktionsgruppe Babynahrung e.V. rufen weiterhin zum Boykott gegen Nestlé auf.
Die Pläne der Royal Dutch/ Shell Group, die nicht mehr leistungsfähige Ölbohrinsel Brent Spar im Atlantik zu versenken führten im Sommer 1995 zu dem in Deutschland wohl bekanntesten Boykott: Der bundesweite Boykott von Shell-Tankstellen durch Deutschlands Autofahrer. Dieser führte zu solch enormen Umsatzeinbußen und daneben selbstverständlich auch zu einem enormem öffentlichen Druck, dass der Shell-Konzern die Brent Spar schließlich nicht doch nicht wie geplant im Meer versenkte, sondern auf eine Entsorgung an Land auswich. Doch wie war es zu dieser Entwicklung gekommen?
Eine im Jahr 1991 durchgeführte Untersuchung der Öl-Plattform Brent Spar hatte ergeben, dass für die weitere Nutzung der Anlage Investitionen in Höhe von 90 Millionen Britischen Pfund nötig wären. Daraufhin wurde beschlossen, die Anlage stillzulegen. Aus diesem Grund gab Shell noch Ende desselben Jahres eine Untersuchung in Auftrag, in der mögliche Entsorgungsvarianten nach den Gesichtspunkten ihrer Kosten, ihrer ökologischen Risiken, der Genehmigungsfähigkeit und nicht zuletzt der generellen Realisierbarkeit geprüft wurden.
Die Experten kamen 1994 schließlich zu dem Ergebnis, dass eine Versenkung der Brent Spar im Meer zum einen kostengünstiger und auch risikoärmer im Hinblick auf einen möglichen Unfall und dessen ökologische Folgen sei als eine Entsorgung an Land, außerdem gab es damals wegen des enormen Tiefgangs der Brent Spar in England keine geeigneten Häfen, an die man dieselbe zu ihrem Rückbau an Land hätte schleppen können.
Aufgrund dieser Ergebnisse entschied man sich im Konzern für die Versenkung der Brent Spar, was auch vom britischen Energieministerium nach dem von Shell vorgelegten Gutachten genehmigt wurde.
Ende 1994 hatte auch Greenpeace eine Studie über die Entsorgung von Öl- und Gasplattformen in Auftrag gegeben, die allerdings zu einem ganz anderen Ergebnis kam: Die Entsorgung an Land sei die einzig verantwortbare ökologische Lösung.
Mit diesem Ergebnis wandte sich Greenpeace auch an das britische Energieministerium, blieb jedoch erfolglos. Daher beschloss man den Start einer öffentlichen Kampagne, um die Versenkung der Brent Spar doch noch zu verhindern: Zunächst besetzten Greenpeace-Aktivisten am 16. April 1995 die Öl-Plattform, die am 23. Mai 1995 durchgeführte polizeiliche Räumung wurde von Greenpeace gefilmt und dieses Material anschließend den Medien zur Verfügung gestellt. Hiermit hatte Greenpeace eine weltweite Medienberichterstattung und die gesamte öffentliche Aufmerksamkeit erreicht. Bereits am 24. Mai wurde in Deutschland von der Jungen Union Nordrhein-Westfalens zum Boykott von Shell-Tankstellen aufgerufen. Auch Greenpeace rief Anfang Juni durch eine Veröffentlichung einer Meinungsumfrage, gemäß der sich inzwischen 74% der deutschen Bevölkerung an einem Boykott der Shelltankstellen beteiligen würde, indirekt zum Boykott auf.
Ein zweiter Versuch von Greenpeace-Aktivisten, die Brent Spar zu besetzen, wurde von Shell durch den Einsatz von Wasserwerfern verhindert. Auch hierzu gab es wieder Filmaufnahmen, die für große Aufregung sorgten und die Boykottbewegung gegen Shell verstärkten. Shell begann am 10. Juni 1995 dennoch mit den Arbeiten zum Abschleppen der Brent Spar. Hierbei wurde eine Greenpeace-Rettungsinsel so stark beschädigt, dass sie sank. Auch dieser Vorfall wurde wieder weltweit in den Medien übertragen und führte zu einer weiteren Verstärkung des Boykotts, was Shell trotzdem nicht davon abhielt, am 11. Juni mit dem Abschleppen der Brent Spar in Richtung des geplanten Versenkungsortes im Nordatlantik zu beginnen.
Erst als die internationalen Proteste so stark waren, dass man diese nicht mehr ignorieren konnte, lenkte man bei Shell schließlich ein. In Deutschland hatte der Konzern bereits Umsatzeinbußen von bis zu 70% hinzunehmen. Zunächst erklärte man sich nur bereit die Versenkung der Brent Spar zu verschieben um erneut die möglichen Alternativen zu dieser Entsorgung zu überprüfen. Nachdem Greenpeace erneut einen Bericht veröffentlicht hatte, der besagte, dass sich an Bord der Brent Spar noch mehrere Tonnen Giftmüll befänden, die mit der Versenkung ebenfalls in den Ozean gelangen würden, gab man schließlich auf: Am 20. Juni 1995 gab man bekannt, dass die Brent Spar nicht versenkt sondern an Land entsorgt würde. Die Boykotteure hatten gesiegt.[58]
Die Brent Spar wurde in einen norwegischen Fjord bis zur endgültigen Entsorgung geschleppt, wo man 1998 mit dem Abbau begann.
Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die Versenkung ökologisch unbedenklich gewesen wäre und dass die von Greenpeace veröffentlichten Studien bezüglich der Schadstoffmengen, die mit der Versenkung der Brent Spar angeblich ins Meer gelangt wären, falsch waren.[59] [60] Dies war jedoch kaum von öffentlichem Interesse. Vielmehr hat Shell bis heute mit einem Imageproblem zu kämpfen, denn bei jeder negativen Meldung über den Konzern erinnern sich die Menschen sofort wieder an die Sache mit der geplanten Versenkung der Brent Spar.
Seit Dezember letzten Jahres hat ein weiterer Weltkonzern mit einer Boykottwelle zu kämpfen: Ausgehend von der University of Michigan wird zum Boykott gegen Coca Cola aufgerufen. Man wirft dem Konzern Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung vor.
In Indien kommt es seit 2004 zu Massendemonstrationen gegen Coca Cola, weil der Konzern die Menschen dort nach Angaben der Organisation „India Resource Center“ „(…) ihrer natürlichen Wasserressourcen beraubt, das vorhandene Grundwasser verschmutzt und den Boden mit Pestiziden verseucht habe“[61], außerdem wird dem Konzern vorgeworfen, mit Pestiziden verseuchte Getränke in Indien vertrieben zu haben. In den Stellungnahmen des Konzerns werden sämtlich Vorwürfe, sowohl die der Umweltverschmutzung durch Pestizide, die der Trinkwasserverschwendung und auch des Vertriebes von verunreinigten Getränken bestritten: der Gehalt von Kadmium und anderen Schwermetallen im Schlamm des Abwassers läge unter den vorgeschriebenen Grenzwerten und somit könne man nicht von einer Umweltgefährdung sprechen. Auch der Vorwurf, dass Coca Cola die Grundwasservorkommen und damit das Trinkwasser der Bevölkerung ausbeute, wird ausdrücklich bestritten. Die sinkenden Grundwasservorkommen seien auf die erheblich gesunkenen Niederschlagsmengen zurückzuführen, was auch vom entsprechenden Ministerium in Kerala bestätigt werde. Außerdem habe man hoch entwickelte technische Anlagen zum Auffangen des Regenwassers errichtet, um so zu helfen, den Grundwasserspiegel wieder zu erhöhen. Der Vorwurf, dass man verseuchte Getränke in den Verkauf gebracht habe, wird mit einer Studie des Indischen Familien- und Gesundheitsministeriums, der zu Folge die Getränke weder Pestizide noch Insektizide enthalten, widerlegt.
Außerdem verweißt Coca Cola in der Presseerklärung noch auf die nahe zu 24.000 Arbeitsplätze, die durch den Produktionsstandort in Kerala entstanden sind.[62]
Aber die oben genannten Vorwürfe, sind nicht die einzigen, mit denen Coca Cola derzeit zu kämpfen hat: In Kolumbien wurden acht führende Gewerkschaftsmitglieder, die sich an Protestaktionen gegen Coca-Cola-Abfüllanlagen an verschiedenen Standorten des Landes beteiligt hatten von sog. „Todesschwadronen“ der Paramilitärs ermordet, die angeblich vom Coca-Cola-Konzern beauftragt worden waren. Außerdem seien die restlichen Gewerkschaftsmitglieder vom Unternehmen zum Austritt gezwungen worden und die Arbeiter mussten massive Lohnkürzungen sowie die Streichung des Kündigungsschutzes und der Krankenversicherung hinnehmen.[63]
Auch diese Anschuldigungen werden seitens des Konzerns bestritten: Die Coca-Cola Mitarbeiter seien sehr wohl gewerkschaftlich organisiert und genießen außerdem gute Arbeitsbedingungen, der Lohn, den man den Arbeitern zahle, betrage das zwei bis dreifache des kolumbianischen Mindestlohnes.[64]
Trotz dieser Erklärung des Unternehmens konnte die Kampagne nicht aufgehalten werden:
Seit 2003 läuft wegen dieser Vorwürfe ein Prozess in Atlanta, dort soll bewiesen werden, dass der Getränkehersteller indirekt als Auftraggeber für die Morde und die anschließende Zerschlagung der Gewerkschaft verantwortlich ist. Der Mutterkonzern Coca Cola wurde wegen des Mangels an beweisbaren Verbindungen zwischen ihm und der Abfüllgesellschaft in Kolumbien aus dem Verfahren ausgeschlossen. Das Verfahren gegen die kolumbianische Abfüllgesellschaft „Bebidas y Alimentos“ läuft allerdings bis heute.
Im Zuge dieser Anschuldigen wurde am dem Weltsozialforum 2004 beschlossen, die Kampagnen gegen Coca Cola in Indien und Kolumbien zu unterstützen und zukünftig gemeinsam zu führen.[65]
Bereits seit 2003 boykottiert die deutsche Gewerkschaft ver.di den Konzern, indem man bei den eigenen Veranstaltungen keine Produkte von Coca Cola mehr nutzt. Wie bereits oben erwähnt, findet seit Ende des letzten Jahres an der University of Michigan kein Verkauf von Coca-Cola-Getränken mehr statt, diesem Boykott haben sich mittlerweile ca. 23 Universitäten und Schulen in England, Kanada, Irland und den USA angeschlossen. Auch in Turin, wo zuletzt die von Coca Cola gesponserten olympischen Winterspiele stattfanden, beteiligt man sich an dem Boykott: in der Kantine des Stadtrates werden keine Getränke von Coca Cola mehr angeboten. Während der olympischen Spiele gab es bereits Protestkundgebungen gegen den Coca-Cola-Konzern.[66]
In Deutschland sind die Organisatoren des Boykotts durch intensive Aufklärungsarbeit bemüht, die Menschen aufzurütteln und mehr Anhänger für die Boykottbewegung gegen Coca Cola zu finden. Deutsche Hochschulen haben sich bislang nicht an dem Boykott beteiligt. Dennoch wird momentan weltweit über die Vorwürfe gegen Coca Cola berichtet und der Konzern hat seitdem mit einem massiven Imageproblem zu kämpfen.
All die beschriebenen Boykotte zeigen, dass diese Aktionen durchaus eine Wirkung haben und daher in der Unternehmenspolitik nicht zu vernachlässigen sind. In den nun folgenden Kapiteln folgt nun eine Analyse des Phänomens „Boykott“ anhand der beschriebenen Aktionen.
4. Analyse der gesammelten Fälle
In diesem Abschnitt der Arbeit werde ich die oben dargestellten Boykottaktionen nach verschiedenen Gesichtspunkten wie Boykottarten-, Ursachen- und Ziele analysieren. Außerdem werde ich die Auswirkungen eines Boykotts für ein Unternehmen, die Voraussetzungen für erfolgreiche Boykottaktionen sowie auch die Grenzen von Boykotten darstellen. Nicht zuletzt werde ich noch Reaktionsmöglichkeiten von boykottierten Unternehmen betrachten.
4.1. Boykottarten
Zunächst können sich Boykotte über sehr unterschiedliche Zeiträume erstrecken, es kann sich um einen Kurzzeit-, Mittelfrist- oder Langzeitboykott handeln. Als kurzzeitigen Boykott möchte ich an dieser Stelle Boykottaktionen mit einer Dauer von maximal 3-4 Monaten definieren, Beispiele hierfür sind der Zulieferer-Boykott gegen die Buchhandlung Libro von Juni bis August 2000, der Boykott von Daewoo durch die Zulieferer im September 2002 oder auch der bekannte Shell-Boykott in Deutschland im Juni 1995.
Mittelfristige Boykottaktionen sind solche Boykotte, die länger als vier Monate aber nicht länger als ein Jahr andauern wie beispielsweise der Boykott von Gasabrechnungen durch deutsche Verbraucher in der Zeit von September 2004 bis 2005 oder auch der Boykott von US-Produkten in Deutschland und Frankreich sowie der umgekehrte Boykott von deutschen und französischen Produkten in den USA und Groß Britannien, der nach einem Jahr auch wieder sehr weit abgeklungen war.
Langfristige Boykotte dauern länger als ein Jahr an, hierzu zählen der über Jahre andauernde Nestlé-Boykott in den 80er-Jahren, der seit 1995 andauernde Boykott von Siemens oder auch der Boykott von Coca Cola, der seit 1995 massiv an Zuspruch gewonnen hat.
An diesem Punkt möchte ich noch anmerken, dass es oft sehr schwierig ist, Boykotte einem der drei Zeiträume eindeutig zuzuordnen, da der Aufruf zum Boykott zwar relativ genau feststellbar ist, jedoch ein genaues Ende oft nur sehr schwierig ausgemacht werden kann, da ein Boykott so gut wie nie von den Organisatoren als offiziell beendet erklärt wird.
Boykotte können auch nach dem Ort, an dem sie stattfinden, charakterisiert werden, demnach kann es sich um lokale oder regionale Boykotte, wie beispielsweise der Busboykott von 1955, der sich ausschließlich in Montgomery abspielte, handeln. Zu den nationalen Boykotte, die auf ein Land begrenzt sind, zählen neben vielen anderen der indische Boykott britischer Waren, der in Deutschland praktizierte Boykott gegen die Juden während des NS-Regimes und der Boykott des Kinofilmes Fahrenheit 9/11 in den USA.
Und nicht zuletzt können Boykotte auch auf internationaler Ebene, wie dies unter anderem bei den Boykotten während des Irakkrieges, dem Nestlé-Boykott und dem Boykott gegen Coca Cola der Fall ist, stattfinden.
Die meisten Boykotte finden auf nationaler oder sogar auf internationaler Ebene statt.
4.2. Boykottziele
Generell haben Boykotte das Ziel, den Boykottierten zu einer Änderung seines Verhaltens zu bewegen, wie beispielsweise die Beachtung und die Einhaltung der Menschenrechte (Bsp.: Nestlé, Coca Cola) oder die Beachtung des Umweltschutzes (Shell).
Unter dem Begriff „Ziel“ können hier zwei Dinge verstanden werden: zum einen das Ziel der Boykotteure, das heißt das genaue Zielobjekt, derjenige der boykottiert wird und zum andern das Ziel der gesamten Boykottaktion, d.h. das was eigentlich boykottiert werden soll.
Die beiden Ziele sind nicht immer identisch, was sich vor allem am Beispiel des Boykotts während des Irakkrieges zeigt. Hier wurden in Deutschland und Frankreich US-amerikanische Produkte boykottiert. Der eigentliche Gegner der Boykotteure waren allerdings nicht die amerikanischen Unternehmen und deren Produkte sondern die US-Regierung und ihre Irakpolitik. Der Boykott amerikanischer Produkte hatte den Zweck, dass amerikanische Unternehmen, die ja schließlich unter dem Boykott zu leiden hatten auf die US-Regierung einwirken und diese zur Beendigung der Angriffe auf den Irak bewegen sollten. Genauso verhielt es sich bei den Boykotten südafrikanischer Produkte zur Abschaffung des Apartheidsystems oder auch beim Boykott französischer Produkte in Australien wegen der Atomwaffentests Frankreichs. In solchen Fällen ist es also nicht möglich den Gegner direkt zu boykottieren, daher richtet sich der Boykott in solchen Fällen gegen einen Dritten, der wiederum auf den eigentlichen Zielpunkt im Sinne der Boykotteure einwirken kann.
In vielen Fällen wie auch bei den drei ausführlich dargestellten Boykotten gegen Nestlé, Shell und Coca Cola werden auch die eigentlichen Betroffenen direkt boykottiert und man geht hier nicht den Weg über Dritte.
4.3. Voraussetzungen für erfolgreiche Boykottaktionen
Ein Aspekt, der meiner Meinung nach ebenfalls nicht zu vernachlässigen ist, ist welche Voraussetzungen überhaupt vorliegen müssen, um überhaupt erfolgreich eine Boykottkampagne gegen ein Unternehmen durchzuführen.
Diese kann man erkennen, wenn man Boykotte, die erfolgreich verliefen mit denen, die zu keinen oder nur geringen Veränderungen führten vergleicht.
Hinter den meisten bekannten und erfolgreichen Boykotten standen große und bekannte Gruppen als Organisatoren wie beispielsweise Greenpeace oder auch der eigens für den Nestlé-Boykott gegründete INBC sowie Gewerkschaften wie ver.di, die bei der Organisation des Boykotts gegen Coca Cola beteiligt sind. Diese Gruppen verfügen sowohl über die notwendigen finanziellen Mittel als auch über das nötige Know-how bezüglich der Organisation als auch des Umgangs mit den Medien, um einen Boykott erfolgreich durchzuführen.
Weitere unabdingbare Voraussetzungen sind, dass das Ziel des Boykotts für die Verbraucher eindeutig zu erkennen sein und daher auch genau festgelegt werden muss. Sowohl die Logos von Nestlé, Shell und Coca Cola als auch deren Produkte sind fast allen bekannt und man kann diese Produkte bewusst nicht kaufen. Anders verhält es sich bei amerikanischen, französischen, britischen oder deutschen Produkten, die zu Beginn des Irakkrieges boykottiert werden sollten. Für viele war das Ziel überhaupt nicht konkret bekannt und außerdem ist es oft gar nicht so einfach zu erkennen, ob ein Produkt nun aus dem Land stammt, das man eigentlich boykottieren will.
Ein weiterer Grund weshalb diese und andere Boykotte weniger erfolgreich waren, lag wohl auch darin, dass der Irak doch sehr weit weg ist und sich viele dann doch nicht so sehr von der Problematik eines solchen Krieges betroffen sahen. Die Vorwürfe die gegen Shell, Nestlé und Coca Cola hingegen erhoben wurden bzw. werden, sprachen die Menschen vielmehr an und die Boykotte fanden daher auch eine viel größere Zahl an Teilnehmern.
Nicht zuletzt muss es den Verbraucher überhaupt möglich sein, auf ein Produkt zu verzichten oder dieses durch ein anderes zu ersetzen. So macht es wohl keinen großen Unterschied, bei welcher Tankstelle man sein Benzin bezieht, auch bei der Babynahrung und Softdrinks ist man nicht auf einen einzigen Hersteller angewiesen.
Die dargestellten Sachverhalte sind auch für ein effektives Risikomanagement eines Unternehmens ebenfalls nicht zu vernachlässigen: Nur wenn Unternehmen auch diese für sich genau definieren kann, kann man ein Risiko bereits frühzeitig erkennen, richtig einordnen und entsprechende Gegenmaßnahmen entwickeln und einleiten, um einen Boykott von Anfang an zu verhindern.
4.4. Ablauf eines Boykotts
Alle Boykotte laufen nach einem relativ ähnlichen Muster ab. Als erste Stufe kann man hier das Entstehen eines potenziellen Problemfeldes nennen, was zeitlich meist schon lange vor dem eigentlichen Ausbruch des Boykotts anzusiedeln ist, im Falle des Nestlé-Boykotts kann man dies schon bei der Planung des Markteintrittes in Dritte-Welt-Länder, wo man mögliche Probleme einfach übersah, ansiedeln. Beim Shell-Boykott waren dies die Stilllegung der Plattform 1991 und die daraufhin im Konzern beginnenden Überlegungen über eine mögliche Entsorgung. Im aktuellen Fall von Coca Cola die falsche Einschätzung der Umweltbedingungen in Indien und die ignorierten Mordfälle von Gewerkschaftsmitgliedern der kolumbianischen Produktionsstätte von Coca Cola, die bereits im Jahr 1989 begannen.
Die Unternehmen übersehen die potenziellen Probleme, die auf sie zu kommen können denken daher auch gar nicht über die möglichen Folgen und eventuelle Lösungsmöglichkeiten nach und lassen den Ereignissen ihren Lauf.
Diese möglichen Probleme entwickeln sich im nächsten Schritt nun weiter, es gibt bereits öffentliche Diskussionen darüber und es wird schon über einen Boykott nachgedacht, was ebenfalls noch vor dem eigentlichen Ausbruch des Boykotts stattfindet; im Falle des Nestlé-Boykotts warnten Experten schon Anfang der 70erJahre vor den Folgen der Flaschenernährung für Kinder in Ländern der Dritten Welt. Beim Shell-Boykott äußerte sich Greenpeace bereits Ende 1994 kritisch zur Entsorgung der Brent Spar im Ozean, Coca Cola wird seit 1992 beschuldigt, in die Ermordung von Gewerkschaftlern verwickelt zu sein.
Auch hier versäumen die betroffenen Unternehmen geeignete Gegenmaßnahmen einzuleiten und schließlich ist aus dem anfänglich möglichen ein aktuelles Problem geworden, das für die Unternehmen massive öffentliche Kritik bedeutet und wo nun auch die Empfehlung bzw. die Drohung von Boykott durch diverse Organisationen wie Umweltschutzgruppen, Verbraucherverbänden, Politkern, Gewerkschaften etc. stattfindet: zum Boykott von Shell-Tankstellen hatte die Junge Union in Deutschland bereits im Mai 1995 den Boykott von Shell empfohlen, die WHO forderte bereits 1974 staatliche Einschränkungen für die Werbung von Milchpulver für Babynahrung, schon das Weltsozialforum von 2002 wurde zum Aktionstag gegen Coca Cola.
Schließlich erfolgen die Organisation und die Ausführung von Boykottaktionen, die meist mit Massenkundgebungen, Protestaktionen und viel öffentliche Berichterstattung durch die Medien einhergehen.
Die Unternehmen sehen sich nun einer Krise ausgesetzt, die sie in zwei der drei dargestellten Fällen überstanden haben (weder Nestlé, Shell mussten liquidiert werden, der Ausgang des Coca-Cola-Boykotts bleibt noch abzuwarten), aber das anfangs verkannte Problem hat immer noch lange Nachfolgen, da durch die Boykotte und die damit einhergehende Negativberichterstattung der Ruf der Unternehmen schwer und nachhaltig beschädigt wurde.
Der beschriebene Ablauf von Boykotten zeigt, dass es sich hier um einen typischen Krisenverlauf handelt, der durch das Nichterkennen von Problemen entsteht.[67]
4.5. Boykottursachen
Die Ursachen bzw. Gründe, die zu einem Boykott führen, sind wie aus der in Kapitel 3 dargestellten Tabelle zunächst sehr unterschiedlich. Dennoch fällt auf, dass es sich fast immer um mehr oder weniger politischen Hintergründe handelt, direkte wirtschaftliche Hintergründe sind nur in wenigen Fällen wie zum Beispiel dem Zuliefererboykott gegen die Internetbuchhandlung „Libro“ oder dem Zuliefererboykott gegen die Automobilhersteller Daewoo anzutreffen. In diesen Fällen führten ausschließlich wirtschaftliche bzw. finanzielle Nachteile seitens der Boykotteure zu den Boykotten. In allen anderen dargestellten Fällen waren es jedoch andere Ursachen, nämlich moralische und ethische Aspekte, die die Verbraucher zu einem Boykott veranlassten. So war es im Fall des Nestlé-Boykotts, die Tatsache, dass der Konzern Krankheit und Tod vieler Kinder billigend in kauf nahm, nur um seine Gewinne noch mehr zu steigern, die Umweltbedenken beim Shell-Boykott und die angebliche Menschenrechtsverletzung und Umweltverschmutzung im Falle Coca Cola. Bei der Betrachtung des genauen Ablaufs dieser drei ausführlich beschriebenen Boykotte, fällt aber auch die Ursache aus Sicht des Unternehmens auf. In allen drei Fällen, versäumten es die betroffenen Unternehmen immer wieder, durch ein frühzeitiges und rechtzeitiges Erkennen der Problematik ihres Handelns in den Boykottprozess einzugreifen und diesen durch gezieltes Gegenwirken zu verhindern: Nestlé hielt trotz der von Medizinern geäußerten Bedenken an der aggressiven Vertriebsstrategie in der Dritten Welt fest, Berichte, die schon lange vor dem eigentlichen Boykott veröffentlicht wurden, wurden einfach ignoriert, so verhielt sich auch der Royal- Dutch- Konzern, wo Bedenken von Umweltschützern nicht ernst genommen wurden und bei Coca Cola machte man sich auch keine Gedanken, welche Auswirkungen aus den Anschuldigungen der Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen oder gar der Verwicklung in Mordfälle für den Konzern erwachsen können. Alle Unternehmen fühlten sich so sicher, dass frühe Warnsignale einfach übersehen oder auch ignoriert wurden. Durch dieses selbstsichere und ignorante Verhalten wurde der Zorn der Kritiker weiter verschärft und führte schließlich auch zu den bekannten Boykotten. Hätte man bei Nestlé, Shell oder Coca Cola im Sinne des Risikomanagements über ein intaktes Frühaufklärungssystem verfügt und sich mit den Problemen bereits beschäftigt bevor sie offen zu Tage traten, wäre es sicherlich nicht zu den beschriebenen Boykotten, die für die Unternehmen durchaus eine ernstzunehmende Krisensituation waren und sind, gekommen.
[...]
[1] Walldorf, E. G. (Lexikon Auslandsgeschäfte 2000), S. 104.
[2] Vgl. o.V. (Boykott, o.J.)
[3] Vgl. Walldorf, E. G. (Lexikon Auslandsgeschäfte 2000), S. 169.
[4] Vgl. o.V. (Boykott, o.J.)
[5] Vgl. Delauxe de Fenffe, G. (Verhansung, 2005)
[6] Vgl. o.V. (Boykott o.J.)
[7] Vgl. o.V. (Amerikanische Unabhängigkeit, o.J.)
[8] Vgl. o.V. (Boykott, o.J.)
[9] Vgl. o.V. (Gandhi, o.J.)
[10] Vgl. o.V. (Boykott, o.J.)
[11] Vgl. o.V. (Busboykott, 2005)
[12] Vgl. Aktionsgruppe Babynahrung e.V. (Boykott kaputt, 1984), S. 17-36
[13] Vgl. Aktionsgruppe Babynahrung e.V. (Boykott kaputt, 1984), S.3-6
[14] Vgl. Strassmann B. (Der Besseresser, 2003)
[15] Vgl. Zumach, H. (Frauen für Südafrika, 2002)
[16] Vgl. o.V. (Apartheid, o.J.)
[17] Vgl. Neumann-Bechstein, W. (Apartheid, 2003)
[18] Vgl. o.V. (Pelzboykott, 2005)
[19] Vgl. Töpfer, A. (Plötzliche Unternehmenskrise, 1999)
[20] Vgl. Graf, A. (Benetton, 2000)
[21] Vgl. Töpfer, A. (Plötzliche Unternehmenskrisen, 1999), S.113
[22] Vgl. Corleis, J. (Frankreichboykott, 1995)
[23] Vgl. Herzinger,R. (Frankreichboykott, 2003)
[24] Vgl. o.V. (Siemens-Boykott, o.J.)
[25] Vgl. Baron, U. (Libro-Boykott, , 2000)
[26] Vgl. Strien, R. (Libro-Prozess, 2000)
[27] Vgl. Reiners, G. (Billigflaggen, 2000)
[28] Vgl. o.V. (Daewoo, 2002)
[29] Vgl. o.V: (US-Boykott, 2003)
[30] Vgl. o.V. (Deutschland/Frankreich-Boykott, 2003)
[31] Vgl. o.V. (Deutschland-Boykott, 2002)
[32] Vgl. Schwerdt, Y. (Unusual Business, 2003)
[33] Vgl. Halusa, M. (Ende Irak-Boykott, 2003)
[34] Vgl. o.V. (KFC-Boykott, 2005)
[35] Vgl. o.V. (KFC- USA, 2003)
[36] Vgl. o.V. (Lufthansa, 2004)
[37] Vgl. o.V. (Lufthansa-Boykott, 2004)
[38] Vgl. o.V. (Tarifänderung-Lufthansa, 2004)
[39] Vgl. Werner, K. , Weiss. H. (Schwarzbuch Markenfirmen, 2001), S. 19-22
[40] Vgl. o.V.(Fahrenheit-Boykott, 2004)
[41] Vgl. o.V. (Fahrenheit 9/11, 2004)
[42] Vgl. o.V. (Schafswolle, 2004)
[43] Vgl. Grieshaber, K. (Killer Coke, 2006)
[44] Vgl. o.V. (Shell-Argentinien, 2005)
[45] Vgl. Erling, J. (China und Südkorea, 2005)
[46] Vgl. Erling, J. (Japan-Boykott, 2005)
[47] Vgl. o.V. (Japan-China, 2005)
[48] Vgl. o.V. (Herbie-Boykott, 2005)
[49] Vgl. o.V. (Gaspreis-Boykott, 2005)
[50] Vgl. o.V. (AEG-Streik, 2006)
[51] Vgl. o.V. (Ende AEG, 2006)
[52] Vgl. Aktionsgruppe Babynahrung e.V. (Boykott kaputt 1984), S. 3-5
[53] Vgl. Aktionsgruppe Babynahrung e.V. (Boykott kaputt, 1984), S. 11-12
[54] Vgl. Aktionsgruppe Babynahrung e.V. (Boykott kaputt, 1984), S. 17-30
[55] Vgl. Aktionsgruppe Babynahrung e.V. (Boykott kaputt, 1984), S. 16-18
[56] Vgl. Aktionsgruppe Babynahrung e.V. (Boykott kaputt, 1984), S. 35
[57] Vgl. Aktionsgruppe Babynahrung e.V. (Boykott kaputt, 1984), S. 36
[58] Vgl. Töpfer, A. (Plötzliche Unternehmenskrisen, 1999), S. 174-183
[59] Vgl. Töpfer, A. (Plötzliche Unternehmenskrisen, 1999), S. 188-189
[60] Vgl. o.V. (Fehlgeleitete Medien, 2000)
[61] Grieshaber, K. (Killer Coke, 2006)
[62] Vgl. o.V. (Coca Cola Indien, 2004)
[63] Vgl. o.V. (Kolumbienvorwürfe, 2006)
[64] Vgl. o.V. (Coca Cola Kolumbien, 2006)
[65] Vgl. o.V. (Kolumbienvorwürfe. 2006)
[66] Vgl. Schaaf, S. (Außer Kontrolle, 2006)
[67] Vgl. Jossé, G. (Skript Krisenmanagement, o.J.), S. 7
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- Daniela Reisel (Author), 2006, Produktboykott - Sammlung und Analyse historischer Fälle, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57182
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