Die Arbeit befasst sich mit dem Nahrungsmittel-Motiv im Dritten Buch von Günter Grass' "Blechtrommel", wobei die Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung von Nahrungsmitteln und den gesellschaftskritischen Implikationen der Darstellung im Vordergrund steht. Die Analyse beschäftigt sich vor allem mit der Bedeutung von Nahrungsmitteln als Ware. Der Handel mit Kunsthonig, den die Familie Matzerath in der Schwarzmarktzeit betreibt, zeugt vom alles umfassenden Materialismus der ersten Nachkriegsjahre. Der Handel mit Feinkost, dem Maria sich später widmet, wird zur Chiffre für die aufstiegsfixierte Verdrängungshaltung in der entstehenden Wohlstandsgesellschaft der fünfziger Jahre, welche die Schrecken der Vergangenheit hinter einer Fassade des Konsumrauschs verbirgt. Die eigenwillige Verwendung des in Grass' Werk ständig wiederkehrenden Zwiebel-Motivs in der Zwiebelkeller-Episode lässt schließlich die zeittypische Fixierung auf das Konsumgut Nahrung als Krankheitssymptom einer verlogenen Gesellschaft erscheinen, die zu keiner aufrichtigen, individuellen Trauerarbeit mehr in der Lage ist und sich deshalb in unauthentische, kollektive Trauerrituale flüchtet.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1 Der Handel mit Nahrungsmitteln
2.1.1 Kunsthonig – Schwarzhändlermentalität und Materialismus
2.1.2 Feinkost – Karrieredenken und Käuflichkeit
2.2 Zwiebeln
2.2.1 Die Zwiebel als Erzählmotiv
2.2.2 Der Zwiebelkeller – Trauer als Konsumartikel
3. Fazit
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Bei der Darstellung der Nachkriegszeit im Dritten Buch seines Romans „Die Blechtrommel“ (1959) räumt Günter Grass dem Nahrungsmittel-Motiv eine besondere Stellung ein. Immer wieder kommt es zu der Situation, dass die handelnden Personen stark auf ein bestimmtes Nahrungsmittel fixiert sind (was z.B. bei Marias Verhältnis zum Handel mit Kunsthonig, und später zum Feinkosthandel, deutlich wird) und dass Nahrungsmittel in manchen Fällen, wie etwa in der Zwiebelkeller-Episode, zu einer Art Kultobjekt überhöht werden.
Meine erkenntnisleitende Fragestellung ist hierbei die Frage, was diese besondere Bedeutung der Nahrungsmittel über Grass´ Bild von der Nachkriegsgesellschaft aussagt und ob sich da-raus eine konkrete gesellschaftskritische Haltung des Autors ableiten lässt.
In der vorliegenden Arbeit werde ich mich mit dieser Frage beschäftigen, indem ich exemplarisch den Handel mit Nahrungsmitteln untersuche, der vor allem bei der Darstellung der Schwarzmarktkultur und des wirtschaftlichen Aufschwungs im Wirtschaftswunder-Deutschland thematisiert wird. Danach werde ich mich mit dem Zwiebel-Motiv befassen, wobei ich nicht nur die Zwiebelkeller-Episode, sondern auch die leitmotivische Funktion der Zwiebel behandeln werde, um im Anschluss daran ein Fazit zu formulieren, in dem ich einen Rückbezug zu meiner Fragestellung herstellen werde.
Auf weitere Episoden, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind, wie die gemeinsamen Mahlzeiten von Oskar und Klepp[1] oder Oskars Kabeljau-Essen mit Lankes am Atlantikwall[2], werde ich nur kurz eingehen, weil eine intensivere Untersuchung dieser Aspekte den Rahmen dieser Arbeit übersteigen würde.
2. Hauptteil
2.1 Der Handel mit Nahrungsmitteln
2.1.1 Kunsthonig – Schwarzhändlermentalität und Materialismus
Die Bedeutung des Handels mit Nahrungsmitteln für die Nachkriegsgesellschaft zeigt sich besonders deutlich bei der Figur Maria, die als eine Art gesellschaftlicher Prototyp zu bezeichnen ist[3]. Gleich nach der Flucht von Danzig nach Düsseldorf widmet sie sich der aufkommenden Schwarzhändlerkultur, wobei sie sich bezeichnenderweise auf den Handel mit Kunsthonig spezialisiert, den sie schon im Danziger Kolonialwarengeschäft ihres verstorbenen Mannes Alfred Matzerath verkauft hat: „Maria, treu und selbst im Schwarzhandel noch ihrem Matzerath ergeben, machte in Kunsthonig.“(S.515)[4]. Anhand dieses Verhaltens zeigt sich das Festhalten der Nachkriegsdeutschen an gewohnten Verhaltensmustern, die aus der Zeit des Nationalsozialismus in die Gegenwart hinübergerettet werden, um in den chaotischen gesellschaftlichen Zuständen, die unmittelbar nach Kriegsende herrschen, eine gewisse Orientierung zu haben.
Die Geisteshaltung der Schwarzhändler beschränkt sich dabei auf ein reines Nützlichkeitsdenken, das einzig auf die Anhäufung von materiellem Besitz ausgerichtet ist[5], wohingegen Werte wie Solidarität und Gemeinsinn völlig ausgeklammert werden. Der Wert eines Menschen wird nur noch durch seine Geschäftstüchtigkeit definiert, und folglich ist Maria nicht bereit, die Untätigkeit ihres Stiefsohnes Oskar zu tolerieren: „Du liegst uns auf der Tasche, Oskar. Fang etwas an: Tee, Kakao oder Trockenmilch!“(S.525). Nach einem Krieg, in dem viele zwischenmenschliche Werte für immer verloren gegangen zu sein scheinen, wird der Materialismus also zum neuen, zentralen Wert, und es kommt zu einer allgemeinen „Unterjochung unter die Allherrschaft des Ökonomischen“[6].
Da das Streben nach Wohlstand dabei zum wesentlichen Antrieb des Handelns wird, werden rare Güter für die Menschen zu Objekten der Begierde und zu bedeutenden Statussymbolen. Diese Mentalität zeigt sich bei den Matzeraths, die durch Marias Kunsthonig und Kurtchens Feuersteine zu einem gewissen Wohlstand kommen und diesen Wohlstand beim gemeinsamen Essen von Rührei und Speck regelrecht zelebrieren: „Guste hatte die Klingel abgestellt, damit uns keine Kundschaft bei Rührei und Speck überraschen konnte. Maria sagte: ,Siehste Oskar, das können wir uns nur jenehmigen, weil wir die Hände nich in den Schoß nich legen.´“(S.526). Guste Köster verkörpert dabei diejenigen, die den Schwarzhandel zwar einerseits ablehnen, andererseits aber durchaus Gefallen an dessen materiellen Erträgen finden: „Guste verurteilte den Schwarzhandel, trank aber gerne von jenem dem Kunsthonig abgewonnenen Bohnenkaffee.“(S.516). Ihre pseudomoralischen Einwände gegen das Verhalten ihrer Untermieter werden hierbei als scheinheilige Heuchelei entlarvt.
Auch Oskar, der dem Schwarzhandel ähnlich kritisch gegenübersteht, ist gezwungen, seine Haltung zu relativieren, da er in besonderem Maße vom wirtschaftlichen Erfolg seiner Verwandten profitiert und infolgedessen ein gewisses Einverständnis mit ihren Geschäftspraktiken offenbart[7]: „Oskar muß zugeben: Damals hatte ich einen gesegneten Appetit, und Kurtchens Quelle, die mehr einbrachte als der Kunsthonig, war es zu verdanken, daß Oskar nach der schmalen Krankenhauskost wieder zu Kräften kam.“(S.517).
Trotz dieser Einschränkung wird bei der Darstellung des Handels mit Nahrungsmitteln in der Zeit vor der Währungsreform zweifellos eine gesellschaftskritische Haltung des Autors deutlich. In dem hier entworfenen Bild der Nachkriegszeit zeigt sich eine Gesellschaft, in der die menschliche Existenz von wirtschaftlichen Faktoren verunstaltet wird.[8] Dass diese rücksichtslose und materialistische Geisteshaltung kein angemessener Nährboden sein kann für die Entstehung einer an menschlichen Werten orientierten Gesellschaft, in der sich die Menschen aktiv mit ihrer Vergangenheit auseinander setzen und dadurch ihre Chance auf einen wirklichen Neuanfang nach der so genannten „Stunde Null“ in angemessener Art und Weise nutzen, wird hier offensichtlich.
[...]
[1] Vgl. Dieter Arker: Nichts ist vorbei, alles kommt wieder. Untersuchungen zu Günter Grass´ „Blechtrommel“. Heidelberg, 1989, S.284ff.
[2] Vgl. Angelika Hille-Sandvoss: Überlegungen zur Bildlichkeit im Werk von Günter Grass. Stuttgart, 1987, S.277f.
[3] Vgl. Werner Schwan: „Ich bin doch kein Unmensch“. Kriegs- und Nachkriegszeit im deutschen Roman. Freiburg im Breisgau, 1990, S.42
[4] Alle Seitenangaben beziehen sich auf: Günter Grass: Die Blechtrommel. Roman. (1959), 4. Aufl., München, 1996 (dtv 11821)
[5] Vgl. Rainer Köne>
[6] Robert Leroy: „Die Blechtrommel“ von Günter Grass. Eine Interpretation. Paris, 1973, S.23
[7] Vgl. Ute Liewerscheidt: Günter Grass. Die Blechtrommel. Kommentare, Diskussionsaspekte und Anregungen für produktionsorientiertes Lesen. 4.Aufl., Hollfeld, 1996, S.34
[8] Vgl. Robert Leroy, a.a.O., S.23
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