Vertrauen der Meinungsführer in Uganda
Gatekeeper sind Meinungsführer und damit Schlüsselfiguren in den Gesellschaften Ugandas beziehungsweise Afrikas. Sie entscheiden inwieweit Neuerungen, Innovationen oder Verhaltensänderungen zum Beispiel im Bezug auf HIV/AIDS-Prävention und umfassende Sexualaufklärung ablehnend oder zustimmend begegnet wird.
Der Fokus der Arbeit liegt nicht auf den üblichen medizinischen Fragen nach wirkungsvollen Schutz-Methoden vor HIV/AIDS wie Kondomen o.ä., sondern geht der Frage nach auf welche Informationsquellen Gatekeeper ihre Einstellungen stützen und wie sie diesen Quellen vertrauen. Gatekeeper bringen ihre Informationen in den afrikanischen Diskurs - ‚Palaver’ – ein und damit zu den Menschen vor Ort.
Über 230 Gatekeeper wie Ärzte, Krankenschwestern, Hebamen, Lehrer, Familienoberhäupter (Elder), Priester, Jugendberater / Peer Educator, Senga, Kirchen-Mitarbeiter (Laien), Nonnen, Imame, Dorf-Chefs, Traditionelle Geburtshelferinnen, Traditionelle Heiler, Marktleute und Hexen-Doktoren beantworteten dazu in Uganda im Untersuchungszeitraum Februar/ März 2006 einen mehrseitigen Fragebogen.
Ein Gatekeeper vertraut am ehesten einem anderen Gatekeeper. Etwa 400 Ugander kommen auf einen traditionellen Heiler oder Hexendoktor. Das Vertrauen in die traditionelle afrikanische Medizin ist gering im Vergleich zu Vertretern westlicher Schulmedizin. Höchstes Vertrauen genießen Ärzte, Krankenschwestern, Hebammen und Personal in Gesundheitszentren. 20.000 Einwohnern teilen sich in Uganda theoretisch einen Arzt. im Gegensatz zur vor Ort zugänglichen traditionellen Medizin ist die Schulmedizin kaum erreichbar. Daher ist die Bedeutung der Gatekeeper, insbesondere der traditionellen Heiler und der kulturellen Gatekeeper, im Kontext der HIV/AIDS-Prävention und umfassende Sexualaufklärung in Uganda nicht groß genug einzuschätzen.
Kampagnen lassen sich lokal nicht gegen Gatekeeper, sondern nur mit ihnen gemeinsam erfolgreich durchführbar. Gatekeeper fungieren als Multiplikatoren. Durch Einbindung der Gatekeeper werden Zielgruppen erreicht. Das heißt, Gatekeeper können Brücken bauen, Türen öffnen, die sonst verschlossen wären. Allerdings wird der Einfluss von Vertreter/innen religiöser Gruppierungen wie kirchlicher, kultureller, gesellschaftlicher und politischer Repräsentanten oft von NGOs unterschätzt.
Keywords: Gatekeeper, Meinungsführer, Schlüsselfiguren, Afrika, Uganda, HIV/AIDS, Prävention, Sexualaufklärung, Gesellschaft, Religion
Gliederung
I. Einleitung
II. Aufklärung, Reproduktive Gesundheit und HIV/AIDS
1. Zu Begrifflichkeiten
2. Stand der Debatte: Abstinenzerziehung versus umfassende Aufklärung
3. Sozioökonomischer und kultureller Kontext
III. HIV/AIDS und Uganda
1. Uganda: Hintergrund, Geographie, Politik und Wirtschaft
2. Demographie und Indikatoren der reproduktiven Gesundheit
3. Vom Ursprung der Seuche zu ihrer unterschiedlichen Bewertung
4. Hintergründe der Ausbreitung von HIV/AIDS in Uganda
5. Uganda: Situation, Auswirkungen und „best practice“-Land
IV. Gatekeeper -Konzept und Gatekeeper in Uganda
1. Ansätze des Gatekeeper - Konzepts
2. Gatekeeper, reproduktive Gesundheit Jugendlicher und HIV/AIDS
3. Gatekeeper in Uganda
V. Befragung der Gatekeeper in Uganda
1. Hypothesen
2. Methode: Quantitative Interviews
2.1 Erhebungsinstrument
2.2 Auswahl der Stichprobe und Vorgehensweise
2.3 Repräsentativität
2.4 Zeitrahmen der Untersuchungsdurchführung
2.5 Probleme bei Untersuchungsdurchführung
3. Datenanalyse
3.1 Charakterisierung der Stichprobe
3.2 HIV/AIDS und die Gatekeeper der Stichprobe
4. Auswertung und Ergebnisse
4.1 Skalenbildung und verwendete Testverfahren
4.2 Ergebnisse
5. Diskussion der Ergebnisse
5.1 Diskussion: Methodenkritik
5.2 Diskussion: Betroffenheit
5.3 Diskussion: Geschlechter-Unterschiede (Gender)
5.4 Diskussion: Bildung, Beruf
5.5 Diskussion: Aktionsradius
5.6 Diskussion: Informationsquellen und Medien
5.7 Diskussion: Autoritäten/ Autoritätsgläubigkeit
5.8 Diskussion: Best-Practice verändert Einstellung
5.9 Diskussion: traditionelle Heiler und Hexen-Doktoren
5.10 Diskussion: Merkwürdigkeiten
5.11 Diskussion: Wem vertrauen Gatekeeper ?
VI. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Anhang:
Fragebogen, Auflistung der Interview-Orte und Statistische Auswertung
der Hypothesen
I. Einleitung
Die Infektionsraten von HIV/AIDS[1] steigen ständig. Die reproduktive Gesundheit und die Bevölkerungsentwicklung sind gewaltige globale Herausforderungen:
„HIV/AIDS besitzt geradezu proteische Gestalt: es tritt nicht nur als Gesundheits- oder Sicherheitsproblem auf, sondern hat vielfältige weitere Ausprägungen. Zu ihnen gehören die Folgen für die Volkswirtschaften, was die Wirtschaftsleistung, den Arbeitsmarkt und die Systeme der sozialen Sicherung angeht“ (Piot 2001: 49).
Peter Piot, Direktor des „Joint United Nations Programme on HIV/AIDS“ (UNAIDS), spricht einen wichtigen Folgebereich an: den Ökonomischen. Die Behandlung von AIDS-Kranken ist angesichts des Ausmaßes der Epidemie nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. In allen Ländern Afrikas fehlen in Gesundheitsstationen und Krankenhäusern ausreichende Mengen an Basismaterial, wie sterile Handschuhe[2] und Operations-Besteck. Sind schon für die HIV-Prävention auf der medizinischen Ebene keine Ressourcen vorhanden, so ist fraglich, wie der Zugang zu reproduktive Gesundheit einschließlich HIV/AIDS-Prävention auf dem armen Kontinent umgesetzt werden soll.
In einer Sondertagung der Generalversammlung[3] der Vereinten Nationen thematisierte die Weltgemeinschaft vom 25. bis 27. Juni 2001 die tödliche Seuche[4] AIDS, als deren Auslöser bereits 1981 der HI-Virus identifiziert wurde. Vorab erklärte Piot[5]:
„Die Krise ist nicht überstanden. Es ist zwar stiller geworden in der Medienlandschaft beim Thema des menschlichen Immunschwächevirus […] und der erworbenen Immunschwäche. […] Die eher seltene Berichterstattung ist jedoch keineswegs ein Indiz dafür, dass die Krankheit inzwischen beherrschbar und damit harmloser geworden wäre“ (Piot, 2001: 49).
Die von den meisten Staaten der Erde ratifizierten Millenniums-Entwicklungsziele[6] beinhalten, dass bis zum Jahr 2015 die Ausbreitung von HIV/AIDS angehalten und die Prävalenz[7] verringert werden soll. Eine globale Frage ist daher, wie sich diese Ziele erreichen lassen. Seit Ende der 1980er Jahre bilden Regierungen AIDS-Komitees, um Pläne und Strategien zu erstellen, Hunderte von NGOs[8] erarbeiteten Konzepte und Kampagnen. Pharmafirmen und medizinische Institute forschen im Bereich der anti-retroviralen Medikamente zur Lebensverlängerung von HIV-Positiven. Auch mit möglichen Impfstoffen wird experimentiert. Aber „only when plans are put into practice can they make a difference“ (Guest 2003: 9).
Es gibt unzählige Präventionskampagnen für diverse Zielgruppen, die versuchen, Menschen auf der ganzen Welt über die Übertragungswege der Seuche und die Folgen aufzuklären. Millionen Euro wurden für meist anscheinend erfolglose Kampagnen ausgegeben. Die Zahl der Infizierten steigt jährlich. Daher muss die Weltgemeinschaft zum Erreichen der Millenniums-Entwicklungsziele neue Wege suchen.
Gatekeeper in Uganda sind Gegenstand dieser Arbeit sind Gatekeeper in Uganda. Gatekeeper werden in Uganda auch als „community leaders“ oder „opinion leaders“ bezeichnet und sind in lokalen Einheiten der Schlüssel um die restliche Bevölkerung zu erreichen. Von den Entscheidungen und Meinungen der Gatekeeper hängt gerade in ländlichen Gegenden Afrikas viel ab. Ob und welche Entwicklungsprojekte durchgeführt oder eine Aufklärungs-Kampagne zu reproduktiver Gesundheit[9] einschließlich HIV/AIDS-Prävention von den normalen Bewohnern positiv aufgenommen wird, kann ein Gatekeeper beeinflussen.
Ob die Botschaft einer Kampagne zu Verhaltensänderungen führt oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab. Kampagnen scheitern oftmals daran, dass die ausführenden Personen eine andere Hautfarbe haben als die Bevölkerung. Folglich wird ihnen und ihrer Botschaft mit Vorurteilen und Verschwörungstheorien[10] begegnet. Anders ist es, wenn die ausführenden Personen zur gleichen Nationalität oder Ethnie wie die Zielgruppe gehören, sowie die Botschaft von Gatekeepern, die als Vorbilder und Multiplikatoren wirken, mitgetragen wird:
„The importance of maintaining the support of the community cannot be understated. Culturally, sexual matters are not discussed openly so a significant change in attitude was required. Local leaders’ participation and their positive expression of appreciation for the intervention boost the community’s view of the program” (DISH-II.ug and Ministry-of-Health 2002).
Das Erkenntnisinteresse ergibt sich für den Autor aus mehreren Gründen: Die Folgen mangelnder Aufklärung im angesprochenen Bereich sind dramatisch für alle Gesellschaften und Kulturen. Hunderttausende von AIDS-Waisen sind auf Hilfe angewiesen und der wirtschaftliche Niedergang stellt viele Länder vor große, derzeit ungelöste, Herausforderungen. HIV/AIDS verhindert Entwicklung, da beispielsweise in Industriebetrieben HIV-positive Mitarbeiter nicht so arbeiten können wie ihre HIV-negativen Kollegen. Oft stirbt im am heftigsten betroffenen südlichen Afrika die mittlere Generation der Leistungsträger und Eltern, bevor ihre Kinder groß werden. Die sich daraus ergebenen sozioökonomischen Problem werden im Kapitel II.3 genauer betrachtet.
Dies trifft auch auf Uganda zu, das Land, in dem der Autor eine mehrmonatige Feldforschung durchgeführt hat. In der Region am Viktoriasee diskutierte die politische Führung das HIV/AIDS-Problem schon früh und offen. Man führte Präventions- und Behandlungsprogramme ein und avancierte somit zu einem „best-practice“-Land, von dem andere Länder versuchen zu lernen. Wie im Kapitel III.5 genauer beschrieben wird, ist es Uganda gelungen, aufgrund des vielschichtigen Ansatzes die HIV-Prävalenz, also die durchschnittliche HIV-Infektionsrate, deutlich zu reduzieren. Mit der Offenheit einher ging in Uganda auch die Bereitschaft, in- und ausländische Feldforschungen aller Art zuzulassen, während andere Länder Forschungen nicht einmal unter Auflagen zulassen, um die mit HIV/AIDS und reproduktiver Gesundheit zusammenhängenden Probleme zu verschleiern und zu verheimlichen.
Mitarbeiterinnen der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) in Hannover haben wegen dieses positiv gestimmten Umfelds dem Autor Uganda als Forschungsland empfohlen. Außerdem betreibt die DSW in Uganda ein Trainingszentrum, sowie ihr Länder- und Koordinierungsbüro, dessen Infrastruktur der Autor nutzen konnte.
Der Forschungsstand zur Aufklärung zu reproduktiver Gesundheit einschließlich HIV/AIDS ist angesichts unzähliger Publikationen nicht vollständig zu überblicken. Meist stehen dabei medizinische Fragen im Mittelpunkt, wie die Entwicklung und Tests von HIV-Impfstoffen oder einer Creme, mit der sich Frauen ohne Einfluss des Mannes vor HIV/AIDS schützen können, so genannten Mikrobiziden[11]. Es werden Ansätze beispielsweise von Kampagnen wie Theater-Vorführungen oder Poster-Kampagnen für verschiedene Zielgruppen analysiert und beschrieben. Gewalt gegen Frauen und Kinder, Kriege und Bürgerkriege werden als wichtige Faktoren in die Bildungsprogramme miteinbezogen.
Politisch gesehen steht aufgrund der ideologisch motivierten[12] Politik des US-Präsidenten Bush die „Abstinenzerziehung“ im Gegensatz zu umfassender Sexualaufklärung auf der Tagesordnung, wenn es um reproduktive Gesundheit einschließlich HIV/AIDS-Prävention geht. Die damit zusammenhängenden Begriffe und Argumente werden im Kapitel II dargestellt.
Es wird die Fragestellung untersucht: Welche Faktoren (säkulare oder religiöse Autoritäten oder Medien) beeinflussen die Meinung der Gatekeeper über HIV/AIDS-Prävention und umfassende Sexualaufklärung in Uganda?
Da „Einfluss“ ein schwierig zu messendes Abstraktum ist, wurde im Umkehrschluss danach gefragt, welchen säkularen oder religiösen Autoritäten oder Medien Gatekeeper vertrauen.
Daraus ergibt sich folgende Arbeitshypothese: Ohne Beteiligung der Gatekeeper ist eine erfolgreiche Sensibilisierung und Aufklärung zu reproduktiver Gesundheit einschließlich HIV/AIDS-Prävention schwer möglich. Gatekeeper als Multiplikatoren sind wichtige Partner/innen für NGOs, ohne deren Unterstützung oder zumindest positive Begleitung einer Kampagne vor allem in ländlichen Regionen große Schwierigkeiten auftreten.
Der erwartete wissenschaftliche Ertrag besteht, angesichts der entwicklungspolitischen Brisanz insbesondere im südlichen Afrika und in Osteuropa[13], in einer Sensibilisierung für das Thema in der Politikwissenschaft in Europa. Daraus ergeben sich klare Handlungsnotwendigkeiten. Gatekeeper als Multiplikatoren, community leaders oder opinion leaders spielen in allen Gesellschaften eine Rolle, als Türöffner und Brückenbauer zwischen der gesellschaftlichen Elite und der allgemeinen Bevölkerung. Dieser Arbeit beleuchtet, welche Faktoren Gatekeeper beeinflussen beziehungsweise welchen Medien oder Personenkreisen oder Autoritäten sie vertrauen. Durch den geringen Bekanntheitsgrad des Gatekeeper -Konzepts (vgl. Kapitel IV.1) ist zu erklären, dass dieser Blickwinkel noch nicht in den breiten wissenschaftlichen Diskurs Eingang gefunden hat. Der Autor will mit dieser Arbeit dazu beitragen.
Der Aufbau der Arbeit ist in sechs Teile gegliedert. Nach der Einleitung (I) erfolgen im Kapitel II unter dem Titel „Aufklärung, Reproduktive Gesundheit und HIV/AIDS“ die Definitionen wichtiger Begriffe. Daraufhin geht die Arbeit auf eine viel unterschätzte Debatte ein, nämlich die vor allem von der US-Regierung unter George W. Bush favorisierte Abstinenzerziehung gegenüber umfassender Aufklärung. In dieser Diskussion spielt Uganda eine bedeutende Rolle, denn das Land wird als erfolgreiches und vorbildliches Beispiel gelungener HIV/AIDS-Prävention dargestellt, insbesondere durch die Verfechter der Ideologie der Abstinenzerziehung um US-Präsident Bush. Da Fragen reproduktiver Gesundheit einschließlich HIV/AIDS nicht isoliert vom darzustellenden sozioökonomischen und kulturellen Kontext betrachtet werden können, zeigt diese Arbeit einige zu beachtende Aspekte auf.
Auf die Geschichte der Ausbreitung und Entdeckung des HI-Virus in den USA und die damit verbundenen Auswirkungen wie Stigmatisierung und Diskriminierung Betroffener geht diese Arbeit nicht ein (vgl. Shilts 1987, Crimp 1988), genauso wenig auf die Übertragungswege und medizinischen Hintergründe des Virus (vgl. Schoub 1994, Barnett and Whiteside 2002).
In Kapitel III werden zum besseren Verständnis der Situation in Uganda Hintergrundinformationen zur sozioökonomischen Lage und Indikatoren reproduktiver Gesundheit dargestellt. Das Augenmerk liegt auf der Schilderung der Ausbreitung von HIV/AIDS in Uganda.
Das aus der Soziologie stammende Gatekeeper -Konzept wird im Kapitel IV vorgestellt. Nach der Darstellung der Bedeutung der Gatekeeper bezüglich Aufklärung und reproduktiver Gesundheit sowie die Gatekeeper in Uganda, wird im Kapitel V auf die Befragung der Gatekeeper in Uganda eingegangen. Die Forschungshypothesen werden aufgelistet, die gewählte Untersuchungsmethode begründet, über Probleme bei der Untersuchungsdurchführung berichtet und die Stichprobe charakterisiert.
An die Auswertung und Ergebnisse der empirischen Untersuchung schließt sich die Diskussion derselben an. Dabei wird die gewählte Methode problematisiert, sowie unter anderem die Felder Geschlechter-Unterschiede, Bildung und Beruf, Informationsquellen und Medien, Autoritäten und Autoritätsgläubigkeit, traditionelle Heiler und Hexen-Doktoren sowie Merkwürdigkeiten in den Ergebnissen diskutiert. Das Kapitel endet mit der Darstellung welchen Medien und informellen Quellen Gatekeeper vertrauen.
Kapitel VI beinhaltet die Schlussbetrachtung. Die Bedeutung der Gatekeeper wird unterstrichen und verdeutlicht, dass die Aufklärung im betrachteten Problembereich nicht nur eine lokale, sondern auch eine globale Herausforderung darstellt.
Die Fragestellung wurde anhand einer selbst durchgeführten empirischen Erhebung Anfang 2006 mehrere Monate in Uganda untersucht[14]. Bei der Feldforschung wurde als Methode vor allem ein Fragebogen verwendet (vgl. Anhang).
Bei der Recherche stellte sich heraus, dass die Literatur- und Materiallage beschränkt ist. In vielen Artikeln (vgl. u. a. Patel 2002: 320, Hughes-d’Aeth 2002: 403) und Büchern (vgl. u. a. DiClemente 1994: 86, 103, Barnett 1992: 108) über lokale Kampagnen zu reproduktiver Gesundheit einschließlich HIV/AIDS-Prävention steht, dass Gatekeeper eine bedeutende Rolle in ihrer Gemeinde spielen, zumindest informiert und falls möglich in Präventionsprogramme eingebunden werden sollen. Mehr als ein Absatz fand sich in keinem der vorliegenden gesichteten Materialien über Gatekeeper[15]. Eine Ausnahme bilden zwei Publikationen des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (Nalwadda 2003, UNFPA 2004a, vgl. Kapitel IV.3). Wer oder was afrikanische Gatekeeper beeinflusst war über die Literatur-Recherche nicht feststellbar. Nirgends wurden Gatekeeper genauer beschrieben, ihr Einfluss analysiert oder ihre Einstellungen aufgezeigt. Diese Arbeit will einen Beitrag leisten dies zu ändern.
II. Aufklärung, Reproduktive Gesundheit und HIV/AIDS
Bisher werden Fragen reproduktiver Gesundheit in Entwicklungsländern von einem kleinen Kreis von Fachleuten erörtert. Die Öffentlichkeit bekommt am jährlichen Welt-AIDS-Tag Zahlen zu hören, deren konkrete Bedeutung sich kaum jemand klar machen kann: Wer kann sich schon 1000 oder eine Million Menschen mit HIV/AIDS vorstellen? Als Europäer ist man weit weg vom am heftigsten betroffenen Afrika südlich der Sahara.
An den anderen Tagen wird gerne vergessen, dass sich etwa 14.000 Menschen täglich neu mit HIV/AIDS infizieren, darunter zu 50 Prozent junge Menschen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren.
In fast allen Ländern der Erde wurden seit dem Bekanntwerden der Seuche NGOs und Kommissionen gegründet und Pläne ausgearbeitet, um die Verbreitung des Virus einzudämmen.
Laut UNAIDS leben von den weltweit 40,3 Mio. (UNAIDS 2005: 1ff) HIV-Infizierten 25,4 Mio. im südlichen Afrika. Über sieben Prozent der Erwachsenen auf diesem Kontinent sind infiziert. 2,4 Millionen Menschen (UNAIDS 2005: 93) starben allein im Jahr 2005, während sich gleichzeitig 4,9 Mio. weltweit neu infiziert haben, davon 3.2 Mio. auf dem afrikanischen Kontinent. Darunter sind ungefähr 46 Prozent und im südlichen Afrika sogar 57 Prozent Mädchen und Frauen (UNAIDS 2005: 4)[16].
HIV/AIDS wird nicht nur in Europa nicht wahrgenommen, sondern auch viele Afrikaner/innen, wie der südafrikanische Staatspräsident Thabo Mbeki bezweifeln den Zusammenhang zwischen HI-Virus und der tödlichen AIDS-Seuche. AIDS zerstört den Traum vom Aufbruch in Afrika (vgl. Dijk 2005: 189, 192f).
Das Ausmaß der Probleme der reproduktiven Gesundheit und der Seuche HIV/AIDS in Bezug auf Entwicklungsländer hat sich rasant verändert Noch 1994 fand das Thema in entsprechenden politikwissenschaftlichen Werken wie dem Jahrbuch Dritte Welt keine Beachtung (vgl. Betz 1994).
1. Zu Begrifflichkeiten
Nicht in aktuellen Debatten, sondern auch für manche Schwierigkeiten bei der Feldforschung spielen Begrifflichkeiten eine Rolle. Die folgenden sind teilweise umstritten und werden von Vertreter/innen verschiedener Weltanschauungen[17] unterschiedlich interpretiert. In Uganda stellte sich erst vor Ort heraus, dass bestimmte Ausdrücke gar nicht verwendet oder nicht verstanden werden.
„Reproduktive Gesundheit“ (Reproductive health) wurde bei der Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung[18] definiert:
„Reproduktive Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens, und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechlichkeit, und zwar im Hinblick auf alle Belange in Zusammenhang mit dem reproduktiven System, seinen Funktionen und Prozessen.
Reproduktive Gesundheit schließt deshalb ein, dass Menschen ein befriedigendes und gesundheitlich ungefährliches Sexualleben möglich ist, und dass sie die Fähigkeit zur Fortpflanzung haben und die Freiheit zu entscheiden, ob, wann und wie oft sie sich fortpflanzen.
Diese letzte Voraussetzung impliziert das Recht von Männern und Frauen, informiert zu werden und Zugang zu haben zu sicheren, effektiven, erschwinglichen und akzeptablen Methoden der Familienplanung ihrer Wahl, ebenso wie zu anderen Methoden der Fruchtbarkeitsregelung ihrer Wahl, die nicht gegen das Gesetz verstoßen, und das Recht auf Zugang zu geeigneten Dienstleistungen der Gesundheitsversorgung, die es Frauen ermöglichen, eine sichere Schwangerschaft zu erleben und Paaren die bestmögliche Chance bieten, ein gesundes Kind zu bekommen.
Entsprechend der oben genannten Definition von reproduktiver Gesundheit wird reproduktive Gesundheitsversorgung definiert als die Kombination von Methoden, Techniken und Dienstleistungen, die zur reproduktiven Gesundheit und zum reproduktiven Wohlergehen beiträgt, indem sie Probleme der reproduktiven Gesundheit verhindert oder löst.
Sie schließt auch sexuelle Gesundheit ein, deren Zweck in der Verbesserung des Lebens und der persönlichen Beziehungen liegt, und beschränkt sich nicht nur auf Beratung und Versorgung in Zusammenhang mit Fortpflanzung und sexuell übertragbaren Krankheiten“ (vgl. Pracht 2005: 60).
„Reproduktive Rechte“ (Reproductive rights) sind eng mit der reproduktiven Gesundheit verknüpft und wurden ebenfalls bei der Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung 1994 definiert:
„Reproduktive Rechte umfassen bestimmte Menschenrechte, die in nationalen Gesetzen, internationalen Menschenrechtsdokumenten und in einschlägigen Konventionen der Vereinten Nationen bereits verankert sind.
Diese Rechte beruhen auf der Anerkennung des Grundrechts aller Paare und Individuen, frei und eigenverantwortlich über die Anzahl, den Abstand und den Zeitpunkt von Geburten zu entscheiden und die dafür erforderlichen Informationen und Mittel zu erhalten, sowie auf der Anerkennung des Rechts, den höchsten Standard sexueller und reproduktiver Gesundheit zu erreichen. Dies umfasst auch das Recht von Paaren und Einzelpersonen, frei von Diskriminierung, Zwang und Gewalt Entscheidungen in Bezug auf die Fortpflanzung zu treffen, wie es in den Menschenrechten niedergelegt ist. Bei der Ausübung des Rechts sollten die Menschen die Bedürfnisse ihrer bereits lebenden und ihrer zukünftigen Kinder sowie ihre Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft berücksichtigen. Die Förderung der verantwortungsbewussten Ausübung dieser Rechte für alle Menschen sollte die wesentliche Grundlage der vom Staat und von der Gemeinschaft unterstützten grundsatzpolitischen Konzeptionen und Programme auf dem Gebiet der reproduktiven Gesundheit, einschließlich der Familienplanung, sein.
Die reproduktiven Rechte basieren auf den Menschenrechten, die bereits in nationalen Gesetzen, unterschiedlichen, internationalen Menschenrechtsdokumenten und sonstigen Konsenspapieren anerkannt sind. Das Recht auf sicheren und legalen Schwangerschaftsabbruch ist darin nicht enthalten" (vgl. Pracht 2005: 61).
„Umfassende Sexualaufklärung“ (Comprehensive Sexuality Education) wird in einer im afrikanischen Kontext stehenden Publikation[19] folgendermaßen definiert:
“Learning about sexuality is a lifelong process of acquiring information and forming attitudes, beliefs, and values about identity, relationships, and intimacy. Comprehensive sexuality education programs include age-appropriate, medically accurate information on a broad set of topics related to sexuality, including human development, reproductive health, relationships, body image, gender roles, abstinence, contraception, and STDs[20], including HIV/AIDS. They provide students with opportunities for developing skills — to help with tasks such as communication, decision making, and negotiation — as well as learning information. They promote gender equality, self-esteem, and respect for the rights of others.
Comprehensive school-based sexuality education that is appropriate to students’ age, developmental level, and cultural background is an important part of the education program at every age. A comprehensive sexuality education program respects the diversity of values and beliefs represented in the community and will complement and augment the sexuality education that children receive from their families and communities” (Brocato 2005: 11).
Umfassende Sexualaufklärung ist im mitteleuropäischen Kontext in den schulischen Lehrplan[21] meist ab der fünften Jahrgangsstufe integriert, wodurch alle jungen Menschen erreicht und aufgeklärt werden. In afrikanischen Ländern besuchen nicht alle Kinder und jungen Menschen Grund- und/oder weiterführende Schulen[22], weshalb für eine alle erreichende Sexualaufklärung andere Wege notwendig sind. Umfassende schulische Sexualaufklärung ist den meisten erwachsenen Menschen in Uganda unbekannt, weshalb es in dieser Arbeit sinnvoller erschien, nach der Einstellung zu umfassender Aufklärung einschließlich HIV/AIDS-Prävention junger Menschen zu fragen. Die Fokussierung auf junge Menschen scheint auch deswegen sinnvoll, weil in Uganda 56,1 Prozent der Bevölkerung unter 18 Jahre alt[23] sind und somit am oder vor dem Beginn ihrer reproduktiven Phase stehen und aufgeklärt werden müssen[24].
Den Gegensatz zu „Umfassender Sexualaufklärung“ stellt die „Abstinenzerziehung“ (Abstinence-only education) dar:
„Form der Erziehung, die sexuelle Enthaltsamkeit bis zur Ehe fördert und Abstinenz als die einzige Möglichkeit betrachtet, um HIV-Infektionen und ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Im Gegensatz zur umfassenden Art der Sexualerziehung werden Themen wie Verhütung, Sexualität oder sexuelle und reproduktive Gesundheit nicht behandelt und Enthaltsamkeit befürwortet. In umfassenden Sexualerziehungsprogrammen wird Abstinenz oft als eine Möglichkeit für “Safer Sex” (sicheren Sex), der das Risiko einer Infektion mit Geschlechtskrankheiten vermindert, genannt“ (Pracht 2005: 26, vgl. auch Kröger 2004: 42).
2. Stand der Debatte: Abstinenzerziehung versus umfassende Aufklärung
Die „Abstinenzerziehung“ gehört zum Kern der ideologisch ausgerichteten konservativen US-Familienpolitik unter George W. Bush in den Vereinigten Staaten, die im Rahmen der US-Entwicklungspolitik in Entwicklungs- und Schwellenländer exportiert wird. Präsident Bush
“demonstrated a clear and consistent commitment to ‘abstinence only’ programs that censor information about condoms. As governor of Texas and during his 2000 presidential campaign, Bush supported federally-funded abstinence-only programs and vowed to expand them if elected president. […] As president, he has continued to support funding for abstinence programs in both his domestic and foreign policy agendas” (Human-Rights-Watch 2004: 5).
Letzteres zeigt sich beispielsweise im Verteilungsschlüssel des President's Emergency Plan for AIDS Relief (PEPFAR), den der US-Präsident im Januar 2003 ankündigte, um HIV/AIDS global zu bekämpfen. Der Plan soll sieben Millionen Neu-Infektionen verhindern, zwei Millionen Menschen mit AIDS die Behandlung ermöglichen sowie 10 Millionen Betroffene, vor allem Waisen, unterstützen. Für fünf Jahre (2004-2008) genehmigte der US-Kongress dem US-Präsidenten dafür insgesamt 15 Milliarden US-Dollar. Höchstens ein Fünftel der Summe ist für Präventionsmaßnahmen bestimmt, davon müssen laut Gesetz 33 Prozent für „abstinence-until-marriage“ Programme ausgegeben werden[25].
Problematisch ist vor allem, dass die Abstinenzerziehung im Verbund mit religiösen Gruppen („faith-based-organizations“) favorisiert wird, obwohl es nach Angaben von Sharon L. Camp, der Präsidentin des Alan Guttmacher Institute[26] in Washington, DC, keine wissenschaftlichen Beweise für den Erfolg der Abstinenzerziehung gibt (vgl. Camp 2005: 29-33). Im Gegenteil, mangels umfassender Sexualaufklärung liegt die Quote der Teenager-Schwangerschaften in den Vereinigten Staaten wesentlich über dem Durchschnitt der Industrieländer:
„In the United States, adolescent pregnancy is almost twice as high as England and Canada, and almost four times the rate of Sweden and France. Compared to adolescents in Western Europe, US adolescents are less likely to use contraception at first sex, less likely to use the most effective methods of contraception, more likely to have short relationships and more likely to have multiple sexual partners, all of which put them at high risk of sexually transmitted infections, including HIV/AIDS” (Camp 2005: 30).
Dieser Teil der US-Außenpolitik hat Auswirkungen: Uganda ist eines der 15 Fokus-Länder des Programms PEPFAR und wird von Bush als „best-practice“-Land und Vorbild im Kampf gegen HIV/AIDS gepriesen[27]. Auf Abstinenzerziehung fokussierte Präventions-Kampagnen haben seitdem in Uganda aufgrund der bereitgestellten US-Finanzmittel Hochkonjunktur[28]:
“Following the ramping up of U.S.-funded ‘abstinence until marriage’ programs, leaders of African countries standing to receive PEPFAR funding made numerous public statements in favor of sexual abstinence as a primary HIV prevention strategy. In May 2004, for instance, Ugandan president Yoweri Museveni deviated from his historical support of condoms by stating that condoms should be provided only for sex workers. This change in position occurred at approximately the same time that the U.S. announced that Uganda would receive $90 million of PEPFAR funds. President Museveni continued to make similar statements in his public speeches, including at the International AIDS Conference in July 2004” (Human-Rights-Watch 2004: 7).
PEPFAR finanziert zum Beispiel einen mit bunten Photos versehenen Kalender[29] des Ministeriums für Erziehung und Sport in Uganda mit. Ein Bild zeigt den Präsidenten Museveni bei einer Kampagne zur Abstinenzerziehung. Als Beweismittel hält er auf dem Bild erkennbar zwei Cola-Flaschen in der Hand, eine ist offen, die andere verschlossen. Die Erklärung darunter lautet:
"Abstinence 100 Prozent safe. President Museveni demonstrates the experiment of abstinence. Which Coca Cola is safe from germs? What does the open bottle represent? Abstinence is the answer.”
Viele Menschen in Uganda sehen Abstinenz daher als Lösung des Problems sexuell übertragbarer Krankheiten einschließlich HIV/AIDS an, wie eine ältere pensionierte Buchhalterin, die nach dem Ausfüllen des Fragebogens die Jugend zur Enthaltsamkeit aufforderte. Sie lebe selbst enthaltsam und außerdem glaube sie, einen Liebhaber mit Kondom nicht "richtig" zu spüren.
Theoretisch ist die Abstinenzerziehung ein lohnenswerter Ansatz, insbesondere um den Beginn sexueller Aktivität hinauszuzögern, allerdings darüber hinaus unrealistisch. Camp sagt dazu, dass Abstinenz 100prozentigen Effekt hat, allerdings nur „until you have sex“ (Camp 2005: 31 vgl. 31ff).[30]
Die durch US-Präsident Reagan eingeführt, zwischenzeitlich von US-Präsident Clinton 1993-2000 außer Kraft gesetzte und von George W. Bush 2001 wieder eingeführte so genannte „Global Gag Rule“ verstärkt den Ansatz zur Abstinenzerziehung der US-Regierung. Diese
„verbietet die Auszahlung US-amerikanischer Entwicklungshilfe an Nichtregierungsorgani-sationen (NGOs), die in irgendeiner Form mit Abtreibungen zu tun haben: Dies betrifft sowohl Organisationen, die – legal oder illegal – Schwangerschaftsabbrüche durchführen als auch solche, die nur die Legalisierung von Abtreibungen befürworten oder Frauen über Abtreibungen beraten“ (Hägele 2004: 103).
Diese Zusammenhänge sind politologisch interessant und relevant, denn sie öffnen den Blick auf einen von der Politikwissenschaft wenig beachteten Bereich amerikanischer Außen- beziehungsweise Entwicklungspolitik, dessen Folgen gravierend sein werden.
Denn 95 Prozent der HIV/AIDS-Neuinfektionen geschehen in Entwicklungsländern. In den betroffenen Staaten führt das mittelfristig zu unkalkulierbaren politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Für die weltweite Gemeinschaft führt dies langfristig zu einem enormen Sicherheitsrisiko:
“The stability of states with high rates of HIV infection may well be threatened, but more likely through a process of erosion of its elite populations, its political leadership, its college-trained professionals, and its skilled labor forces. There is evidence that HIV is claiming the lives of parliamentarians and political leaders in countries that already experienced acute shortages of highly skilled personnel, such as lawyers, doctors, nurses, teachers, financial planners, managers, engineers, and technicians” (Garrett 2005: 10).
Es sollte beachtet werden, dass HIV/AIDS wie oftmals betont nicht nur die Entwicklung Afrikas verhindert und Armut fördert, sondern mindestens genauso das andauernde schnelle Bevölkerungswachstum (vgl. Cleland 2005)[31] beeinflusst. Das wird durch den Mangel an reproduktiver Gesundheit und die Missachtung beziehungsweise Verletzung reproduktiver Rechte hervorgerufen.
Die Tabelle zeigt die rapide Bevölkerungsentwicklung in Uganda seit 1950 einschließlich Prognosen bis 2050[32].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3. Sozioökonomischer und kultureller Kontext
Zum Verständnis des Gesamtkontexts von reproduktiver Gesundheit einschließlich HIV/AIDS ist eine neue, viele Perspektiven integrierende Sichtweise nötig.
Die Anzahl der HIV-Infizierten überwältigen die Gesundheitssysteme aller stark betroffenen Länder. Im rohstoffreichen Botswana gibt die öffentliche Hand im Gesundheitsbereich 105.45 US-Dollar (entspricht 3.7% des Bruttoinlandsprodukts) aus, Südafrika 82.87 US-Dollar (3.5% des Bruttoinlandsprodukts) während in Uganda nur 5.11 US-Dollar (2.1% des Bruttoinlandsprodukts) pro Person und Jahr zur Verfügung stehen[33].
„Spreading of AIDS has to do with poverty. The population of a poor country like Uganda does not have the opportunity to pick up information and protect itself as people from rich countries do. Another point is that the general medical status in poor countries is much lower than in industrialized countries” (Frank 1995: 102).
Dennoch ist HIV/AIDS ein großes Geschäft für die Pharmaindustrie. 39 Pharma-Konzerne haben Patente auf HIV/AIDS bezogene Medikamente angemeldet und vertreiben diese weltweit. Theoretisch stehen diese Medikamente auch weltweit zur Verfügung.
Doch die Behandlung mit handelsüblichen Arzneien ist für die meisten Betroffenen in Schwarzafrika unerschwinglich. Schätzungsweise 750 € pro Monat kosten Präparate aus den Vereinigten Staaten oder der Europäischen Union, die den Ausbruch der Krankheit hinauszögern könnten. In Indien stellen Arzneimittelfirmen billige Kopien der teuren Aids-Medikamente zu einem Bruchteil der Kosten her, so genannte Generika. In Südafrika hat die Regierung deshalb noch unter Altpräsident Nelson Mandela eine Gesetzesinitiative gestartet, um internationales Patentrecht zu brechen, damit AIDS-Kranke mit billigen Medikamenten versorgt werden können. Daher klagten internationale Pharmakonzerne um die Jahrtausendwende vor dem Obersten Gerichtshof Südafrikas, um klären zu lassen, ob die Regierung Gesetze erlassen darf, die mit den Bestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO) zum Schutz geistigen Eigentums nicht übereinstimmen. Fast 40 Pharma-Konzerne, darunter einige deutsche Firmen[34], klagten gegen die Verletzung der Patentrechte. Sie nannten das Vorgehen der südafrikanischen Regierung Produktpiraterie, und berufen sich auf die TRIPS-Vereinbarung (Trade-Related Intellectual Property Rights) der Welthandels-organisation (WTO).
Die Regierung Südafrikas stand nicht allein. Besonders in den Entwicklungsländern schauten Menschen und Politiker auf die Geschehnisse am Kap der guten Hoffnung. Südafrika wurde dabei von vielen Nicht-Regierungsorganisationen weltweit unterstützt. Die in Entwicklungsländern tätige Organisation Médecins Sans Frontières hatte eine Kampagne ins Rollen gebracht und deren Präsident James Orbinski äußerte sich gegenüber der Presse folgendermaßen: „Ich habe diese Logik satt: Wer nicht zahlen kann, stirbt“[35].
In den Industriestaaten selbst meldeten sich vereinzelt sogar staatliche Stellen zu Wort, welche die Pharma-Industrie zum Einlenken, zur "Kooperation statt Konfrontation", aufforderten, darunter die Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul in Deutschland. Sie rief die Pharma-Konzerne auf, „praktikable Wege zu finden, um Aids-Medikamente kostengünstig oder kostenlos an ärmere Länder abzugeben.“ Es sei daher notwendig, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, denn es helfe den Konzernen nicht, wenn „für die meisten Menschen in Afrika selbst ein reduzierter Preis von 1000 Mark jährlich pro Patient für lebensverlängernde Medikamente unerschwinglich“[36] ist.
Die Pharma-Industrie lenkte aufgrund des zu erwartenden und bereits erfolgten Imageschadens ein und zog ihre Klage zurück.
Geholfen hat das den HIV/AIDS-Betroffenen vor Ort kaum, denn nach wie vor sind die Medikamente unerschwinglich angesichts der überall geringen staatlichen Gesundheitsbudgets. Die Probleme lassen sich nicht mit den „weißen“ Pillen lösen lassen, auf deren Heilkraft die Menschen in den Townships und Slums vertrauen. „Wir brauchen eine bessere Gesundheits- und Sexualerziehung, gesündere Ernährung, sauberes Wasser. Würden sich die Leute ein Mal am Tag die Hände waschen, gingen die Infektionskrankheiten drastisch zurück“,35 erzählt eine Krankenschwester, die täglich Medikamente an die Bevölkerung ausgibt. Aus Erfahrungen wissen Entwicklungshelfer, dass die Menschen mit den vorhandenen Medikamenten relativ sorglos umgehen, diese wahllos und unregelmäßig einnehmen, was unter Umständen ungeahnte Folgen hat: resistente Viren und damit eine Ausbreitung der Seuche können damit verbunden sein.
Gronemeyers Einwand, dass westliche, auf schulmedizinische Faktoren fokussierte Gesundheitskonzepte im südlichen Afrika zum Scheitern verurteilt sind (vgl. Gronemeyer 2006)[37], scheint daher wohl berechtigt.
Die umstrittenen Aussagen des südafrikanischen Präsidenten Mbeki sind dahingehend zu interpretieren. Die gravierende Armut der afrikanischen Bevölkerung macht Mbeki für die Epidemie verantwortlich. HIV/AIDS zerstöre die Vision von der „afrikanischen Renaissance“ mit Südafrika als Motor für einen ganzen Kontinent. Das Unbegreifliche passiert, obwohl „gerade erst die Freiheit erkämpft, endlich das System der Apartheid abgeschüttelt – und dann erzählen weiße Wissenschaftler, dass ein Großteil der jüngeren Generation an Aids sterben wird“[38]. Das ist eine Tragik für den afrikanischen Kontinent, denn die sozioökonomischen Auswirkungen werden sich auf lange Frist bemerkbar machen.
Zu den sozioökonomischen Negativfaktoren zählt der Autor ebenso die wirtschaftliche Entwicklung- und Eigeninitiative hemmende Korruption und Vetternwirtschaft[39].
In der Bevölkerung zwischen 15 und 49 Jahren sind in Botswana 37,3 Prozent und in Südafrika 21,5 Prozent mit HIV infiziert[40]. In allen betroffenen Staaten fehlen qualifizierte Arbeitskräfte, da wie im Kapitel III.4 am Beispiel Ugandas noch ausführlicher aufgezeigt wird, Gebildete und Menschen in höheren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Positionen stärker von HIV/AIDS betroffen sind.
Es wäre zu einfach ausschließlich sozioökonomische Gründe für die Situation im südlichen Afrika heranzuziehen. Kulturelle, gesellschaftliche und religiöse Aspekte spielen in europäisch geprägten Diskussionen jedoch eine geringe Rolle, da sie im Vergleich zu medizinischen Untersuchungen schwer zahlenmäßig greifbar sind. Denn Kultur meint
„that complete whole which includes knowledge, belief, art, morals, laws customs and any other capabilities and habits acquired by man as a member of society” (Borofsky 1983 zitiert nach Nduati 1996: 50).
Hinzu kommen unterschiedliche Denkstile zwischen den individualistischen Europäern und Amerikanern und dem vom Kollektiv geprägten Afrika. Während ein wichtiges Ziel der Erziehung in Europa die Selbständigkeit der eigenen Meinung ist, fokussiert sich Erziehung in Afrika auf die Verantwortung für das Kollektiv der Gruppenmeinung.
Die kulturellen gesellschaftlichen Unterschiede in Afrika zerbrechen, denn „individuelle Entscheidungen treten an die Stelle kollektiver Bindungen“ (Gronemeyer 2006: 83). Der sich verändernde kulturelle Hintergrund und nicht nur die Armut beeinflussen Fragen zu reproduktiver Gesundheit einschließlich HIV/AIDS. Gronemeyer nennt die Veränderungen „soziale Verwüstungen“, deren Ursachen in der „Modernisierung und Mobilisierung“ Afrikas zu suchen seien:
„Die lokalen Bindungen sind aufgebrochen worden. Die neue Mobilität (vor allem vom Land in die Stadt – besonders durch Arbeitsmigranten[41] ) bewirkt eine sich beschleunigende Völkerwanderung. Straßen, Autos, LKWs, Produktionsstätten, Schulen und Hospitäler unterstützen diesen großen Aufbruch.
Die traditionellen Lebensverhältnisse lösen sich dementsprechend auf. Soziale Kontrolle durch die Familie und die dörfliche Gemeinschaft verlieren ihre Kraft, so dass Promiskuität und Prostitution selbstverständlich werden. Zur geografischen Mobilisierung gesellt sich die soziale Mobilität“ (Gronemeyer 2006: 64)
Gronemeyers Ansicht nach wird die neue individuelle Freiheit teuer erkauft:
„Man wird den Verdacht nicht los, dass viele innere Leere und Unsicherheit auslösende Orientierungsschwierigkeiten an die Stelle der gestürzten Autoritäten treten. Vor allem aber ist der Preis der neuen Freiheit nur zu oft der AIDS-Tod“ (Gronemeyer 2006: 83).
Diese nach wie vor existierenden Unterschiede verdeutlichen, weshalb die am Kollektiv orientierte Gesellschaft Afrikas oftmals ignorant gegenüber Maßnahmen reproduktiver Gesundheit zu sein scheint. Wenn sich die Menschen darauf konzentrieren, der Gruppe keine Schande zu machen, um die Ehre des Kollektivs hoch zu halten, dann steht die individuelle Verantwortung zurück.
Die sozioökonomischen und kulturellen Zusammenhänge verdeutlichen wie gezeigt die Brisanz reproduktiver Gesundheit einschließlich HIV/AIDS über Uganda hinaus. Auf diese Zusammenhänge wird im Verlauf der Arbeit wiederholt verwiesen werden müssen.
III. HIV/AIDS und Uganda
Uganda gilt in Bezug auf HIV/AIDS als ein besonderes Land, denn keinem anderen ist es gelungen, die HIV-Prävalenz in der Bevölkerung von knapp 20 Prozent Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre auf 6,4 Prozent[42] nach Zeitungsberichten vom März 2006 zu senken.
Bevor auf die Ausbreitung von HIV/AIDS in Uganda und Gesundheitsfaktoren eingegangen wird, werden andere politikwissenschaftlich relevante Hintergründe dargestellt, ohne die ein Verständnis der Situation dieses ostafrikanischen Landes nicht möglich ist.
1. Uganda: Hintergrund, Geographie, Politik und Wirtschaft
Die Republik Uganda liegt in Ostafrika und grenzt im Süden an Tansania, im Westen an die Demokratische Republik Kongo, im Südwesten an Ruanda, im Norden an den Sudan und im Osten an Kenia. Teilweise verlaufen die Grenzen mit Tansania und Kenia durch den Viktoriasee. Letzter ist als Binnengewässer eines der größten Süßwasserreservoirs der Welt. Da Uganda keinen Zugang zum Meer hat, ist der nächstgelegene Hafen Mombasa in Kenia.
Das Gebiet des heutigen Uganda wurde 1896 britisches Protektorat. Wie andere afrikanische Kolonien wurde es im Jahre 1962 unabhängig.
Nach der Unabhängigkeit kamen die Diktatoren Milton Obote (1962 bis 1971 sowie 1980 bis 1985) und Idi Amin (1971 bis 1979) an die Macht, wobei im Laufe der Machtperiode des Letztgenannten etwa 400.000 Menschen Opfer seiner Gewaltherrschaft wurden.
1986 marschierte Generalleutnant Yoweri Kaguta Museveni mit Unterstützung der Armee Tansanias in Uganda ein, übernahm die Macht und sorgt seitdem für eine Periode der relativen Ruhe und staatlichen Ordnung.
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Quelle: http://www.africa.upenn.edu/CIA_Maps/Uganda_19889.gif
Knapp 27 Millionen Menschen leben in Uganda, davon über 80 Prozent in ländlichen Regionen, deren Haupterzeugnis nach wie vor Rohkaffee als Exportgut ist. Das Land gehört zu den weltweit am wenigsten entwickelten Ländern und verfügt nur über wenige Rohstoffvorkommen. Die Republik Uganda ist eine Präsidialrepublik im Commonwealth (vgl. Barnett 1992: 69ff, Vorlaufer 2001: S.656) und wird auch nach den Wahlen im Frühjahr 2006 von Museveni[43] regiert.
Die Ökonomie Ugandas hat sich seit Ende des Bürgerkriegs 1986 relativ erfolgreich entwickelt. Mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds wurde ein abgestimmtes Wirtschaftsreformprogramm durchgeführt. Trotz schwieriger Voraussetzungen für ein landwirtschaftlich geprägtes Land führte die Unterstützung mit Entwicklungshilfegeldern zu hohen wirtschaftlichen Wachstumsraten[44], allerdings steht Uganda „trotz sehr deutlicher Reformanstrengungen vor dem Problem wieder ansteigender Armut und kaum gestiegener Pro-Kopf-Einkommen“ (Kappel 2005: 17). Die Wirtschaft kann sich nur entsprechend der schwierigen Bedingungen entwickeln, die geprägt sind von der Abhängigkeit von Exportgütern, vor allem Kaffee und Fischprodukten, schlechter Infrastruktur[45] und daraus folgenden hohen Transportkosten. Der gestiegene Weltmarktpreis für Öl[46] erhöht diese Kosten weiter. Erschwerend kommen für klein- und mittelständische Unternehmen, dem Rückrat jeder Wirtschaft, institutionelle Hindernisse[47] hinzu: Transaktionen werden bar abgewickelt (Cash-Economy) und es mangelt an Unternehmensnetzwerken. Daher kennen die meisten Unternehmen nicht einmal die regionalen Märkte gut, die nationalen kaum und für einen möglichen internationalen Export fehlen Kontakte. Um ihre Risiken gering zu halten und das Fortbestehen zu garantieren, expandieren die Unternehmen nicht, zumal sie von den risikoscheuen Banken keine Kredite[48] bekommen.
Die Ursachen dafür liegen in der mangelnden Umsetzung von Reformen und in den hohen Transportkosten aufgrund der geographischen Binnenlage. Die staatlichen Finanzmittel werden vor allem wegen des anhaltenden kriegerischen Konflikts im Norden für die Verteidigung[49] ausgegeben. Angesichts des „unzureichende[n] Transformationsprozess[es] in der Landwirtschaft“ erscheint ein wirtschaftlicher Durchbruch in naher Zukunft unmöglich, denn neben den Folgen von HIV/AIDS macht „ein hohes Bevölkerungswachstum (...) alle Fortschritte zunichte“ (Kappel 2005: 23f). Verdeutlicht wird dies durch die enorme Zahl der Haushalte, die als Selbstversorger von ihren landwirtschaftlichen Erzeugnissen leben. Von 5.126.762 Haushalten wirtschaften 3.490.098 Haushalte oder 68,1 Prozent in der ugandischen Subsistenzökonomie[50].
2. Demographie und Indikatoren der reproduktiven Gesundheit
Die demographischen Indikatoren im Vergleich zu Deutschland zeigen auf, dass Uganda ein klassisches Entwicklungsland ist, mit junger Bevölkerung, hoher Geburtenrate und geringer Lebenserwartung.
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Wie in vielen Ländern der Erde hängt die Armut auch mit den Gesundheitsrisiken und einer verringerten Lebenserwartung zusammen.
3. Vom Ursprung der Seuche zu ihrer unterschiedlichen Bewertung
Die Gegend des Viktoria-Sees wird von Experten als Wiege des HI-Virus gesehen, das sich von Ostafrika ausgehend ausbreitete. Wie es zu einer Übertragung der Viren von Schimpansen in den menschlichen Körper gekommen ist, beschäftigt Wissenschaftler bis heute. Schimpansen wurden und werden dort gejagt, gehäutet und geschlachtet, wobei jede Menge Blut fließt. Diese „Theorie würde erklären, warum Uganda als eines der ersten afrikanischen Länder von der Epidemie heimgesucht worden ist. Sie würde auch erklären, wie das Virus nach Süden drang, auf Überlandstraßen, im Fernverkehr durch Lastwagenfahrer. Und durch die afrikanische Völkerwanderung in Richtung Kap, auf den reichen Boden, auf dem Afrika nach dem Ende der Apartheid seine Erneuerung, seine Renaissance finden sollte. Ebenso durch die Flüchtlingsströme aus den Kriegs- und Krisengebieten“[56]. Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Theorien zur Entstehung und Ausbreitung von HIV/AIDS, die aber für diese Arbeit keine Relevanz haben. Die genannte Theorie verbindet die Ursprünge des HI-Virus mit dem am Viktoria-See gelegenen Uganda, wo die Feldforschung dieser Arbeit durchgeführt wurde (vgl. Shilts 1987, Lockhart 1994: 17ff, Barnett 2002).
Das Virus kennt keine Grenzen und gelangte innerhalb weniger Jahre durch die Ausbreitung in Afrika in die ganze Welt, wo AIDS schließlich in den Vereinigten Staaten Anfang der 1980er Jahre als „gay plague“ seine „soziale Identität als neue Epidemie“ (Fee & Krieger 1994, zitiert nach: Walker 1998: 11) erhielt. Während sich die „Krankheit“ in den USA und den Industrieländern auf junge Homosexuelle[57] zu konzentrieren schien, bemerkte die Wissenschaft die Verbindung zu der in Afrika grassierenden Seuche erst später, denn im afrikanischen Kontext ist AIDS eine „Krankheit“ von Heterosexuellen (Perloff 2001: 62) und Armut (vgl. u. a. Frank 1995: 102, Walker 1998: 11).
Was die Literatur zur Kontroverse um den Ursprung der Seuche in Afrika (vgl. Lockhart 1994: 16ff) zeigt, ist jedoch, dass die Diskussionen von afrikanischer Seite zu Anschuldigungen des Rassismus und post-kolonialen Imperialismus führte, wie dieses Beispiel zeigt:
“Nothing angers African health officials more than assertions that the disease started here. Their anger comes at least partly because they knew the disease as an American phenomenon for two years before they spotted cases in Africa” (Hilts 1988: 28, zitiert nach Lockhart 1994: 15).[58]
Die Folgen dieser medial verbreiteten und populären Anklagen (vgl. auch Gronemeyer 2006: 61ff) gegen die Industriestaaten waren jedoch verheerend, denn diese Diskussion führte nicht zu der notwenigen Bewusstseinförderung im Bezug auf HIV/AIDS und einer entsprechend schützenden Verhaltensänderung.
4. Hintergründe der Ausbreitung von HIV/AIDS in Uganda
In ihrem Buch, AIDS in Afrika: Its present and future impact (1992) definieren Tony Barnett und Piers Blaikie vier Parameter für die Verbreitung von HIV/AIDS:
“The first is geographical, at the national, rural-urban, sub-national and micro-regional scales. The second is differentially infection and mortality by occupational group and related to this, income and educational status. The third is gender and the fourth is age. These components do cross cut and they are not mutually exclusive. Therefore they are discussed one at a time, but it must be borne in mind that they overlap” (Barnett 1992: 23).
Im Bezug auf Uganda lassen sich diese vier Parameter verstehen, wenn ein paar Hintergründe ins Bewusstsein gerufen werden. Die Geographie von HIV-Raten in Uganda zeigt, dass diese in den Distrikten recht unterschiedlich hoch sind (Musinguzi 2003: 10, 14f, Uganda-AIDS-Commission 2005: 18-20). Die südlichen Gegenden sind prozentual stärker betroffen als der aufgrund der geringeren Niederschläge für landwirtschaftliche Erzeugnisse weniger fruchtbare Norden, von den wichtigen Verkehrswegen der Nord-Süd-Arbeitsmigranten einmal abgesehen. Dazu beigetragen haben nicht nur die Urbanisierung (Kampala, Entebbe, Jinja, Masaka und Mbarara) im Süden und der Zugang zum Viktoriasee, sondern auch der Schmuggel und Handel mit den südlichen Nachbarstaaten Tansania und Kenia entlang des Trans-Africa-Highways[59] (vgl. Barnett 1992: 72ff). Die strikte Trennung nach Ethnien während der britischen Kolonialzeit und auch danach förderte den Feudalismus, den Bürgerkrieg und damit die Ausbreitung von HIV, denn es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Kriegshandlungen und HIV/AIDS:
“Both the ‘Liberation war’ that overthrew Amin in 1979 and the civil war that brought the government of President Yoweri Museveni into power had major effects. The combination of an invading army moving through the area from the Tanzanian border, together with fatalities among local men, meant there were additional opportunities for the disease to spread (…) Apart from rape and some localized shortages of men, times of war have always been times of decreased sexual control” (Barnett 1992: 81).
Das erklärt, warum die vom Bürgerkrieg am härtesten betroffenen Gebiete, die auch an den Grenzen liegen, besonders hohe HIV-Prävalenzen aufweisen.
Die Mitglieder der höher bezahlten, besser angesehenen und gebildeten Berufsgruppen stammen überwiegend aus dem Süden. Jacobson benennt die Ethnie der Baganda als „Elite“ (Jacobson 1973: 129), deren soziale Netzwerke und Interaktionen sich über Stammesgrenzen und Verwandtschaftsverpflichtungen hinweg erstrecken. Von den finanziellen Ressourcen hängt beispielsweise die mögliche Gewohnheit ab, in Bars zu gehen (vgl. Jacobson 1973: 61f), wo die Möglichkeiten des Kontakts mit Prostituierten höher sind.
Der sich besonders ab 1972 entwickelnde Schwarzmarkt (“magendo Wirtschaft“ genannt)[60] förderte den illegalen Handel über den Viktoriasee und entlang der Fernstraßen in die Nachbarländer. Vor allem Lastwagenfahrer und Fischer können durch Schmuggel schnell und einfach Geld verdienen. Allerdings führt der Warentransport und Geldtransfer innerhalb der illegal operierenden Netze zu einem höheren Risiko der HIV-Infektion:
“Young men dropped out of school to earn the easy money. Women joined in because it was much safer for them than for men. These activities created a demand for the provision of food, lodging and sex at truck-stop townships, border towns and the smuggling villages on Lake Victoria” (Barnett 1992: 75).
Ein paar Jahre später, Anfang der 1980er Jahre, starben die erfolgreichen Schmuggler an AIDS, was die Menschen den Künsten von Hexen bestimmter Volksgruppen in den Nachbarländern zuschrieben (Barnett 1992: 43f).
Die Gender-Frage im Bezug auf HIV/AIDS gewinnt immer mehr an Bedeutung, denn Frauen stellen in Afrika die Mehrheit der Infizierten dar. Nicht nur in Uganda, sondern in fast allen unterentwickelten Ländern der Erde, sind Frauen der Tradition nach in untergeordneter Position gegenüber Männern[61], sowohl innerhalb ihrer politischen Gemeinde als auch in ihrem Haushalt.
„Women are subordinated. First to their parents, who may also choose the husband for the daughter; second, they have to obey the husbands” (Frank 1995: 95).
In den traditionsgeprägten afrikanischen Gesellschaften haben Frauen kaum Chancen, eine entscheidungstragende Rolle zu übernehmen, denn ihnen ist in erster Linie die Rolle der reproduktiven, erziehenden Mutter zugedacht (vgl. Seager 1998: 20f, 40f, 60f, 68f, 70f). Typischerweise wird der Mann als der „Brotverdiener“, als produktiver und politisch aktiver Akteur gesehen. Dies bestätigt auch Sempebwa in seiner Studie zu traditionellen moralischen Normen in Afrika:
“In order to understand the idea behind the lower status of women in Ganda[62] society, we have to appreciate the fact that the female sex is conceived by the Ganda as being weaker than the male one. A sex which not only needs the protection of man but also his authority. But both man and woman know that they have common goals of life. Thus each one has functions allocated to him or her according to their distinguished nature” (Sempebwa 1983: 62).
Die Bedeutung der reproduktiven Fähigkeiten von Frauen für die Erhaltung des Stammes beziehungsweise der Nation oder des Volkes und damit der gesamten Menschheit (Duden 1991: 56f) darf vor allem im afrikanischen Kontext nicht zu gering eingeschätzt werden, denn mangels eines staatlich organisierten und garantierten Rentensystems hängt das Überleben der Familie von der Reproduktionsfähigkeit der Frau ab, und die weibliche Identität wird damit gleichgesetzt. Folglich wird die Frau entsprechend ihres reproduktiven Status definiert, der Anzahl ihrer Kinder, und ihre Sexualität eingeschränkt: Noch nicht gebärfähige Frauen, Kinder, haben noch keine Sexualität, gebärfähige Frauen sind, bis zur Empfängnis, sexuell aktiv und nicht mehr gebärfähige Frauen gelten als asexuell. Die gesellschaftlichen Umstände und Traditionen machen Frauen abhängig und verwundbar, denn sie wurden schon seit ihrer frühen Kindheit dazu erzogen, zu gehorchen und die Autorität des Mannes anzuerkennen (vgl. Sempebwa 1983: 118). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das von Marion Biedenharn dargestellte Verständnis von „Gender als kulturelle[r] Gewalt“, welche „die in einer Gesellschaft weit verbreiteten Normen der festgelegten ‚männlichen’ und ‚weiblichen’ Verhaltensweisen“ (vgl. Biedenharn 2003: 19) umfasst. In Uganda beinhalten männliche Verhaltensweisen beispielsweise die Arbeitsmigration in den Süden für mehrere Monate im Jahr, wo „large male migrant populations thus become particularly vulnerable to acquiring STDs and AIDS from a small pool of highly infected women circulating among them“ (Lockhart 1994: 72).
Die HIV-Prävalenz innerhalb bestimmter Altersgruppen hängt stark mit der Gender-Frage zusammen. Frauen werden in ganz Afrika früher infiziert und sterben eher als Männer. (vgl.: Uganda-Gov 2000: 10, Musinguzi et al.:2003: 22, 24). Ein erhöhtes Risiko besteht für Frauen zwischen 20 und 29 Jahren und für Männer zwischen 25 und 34. Die Ursache für diesen Unterschied liegt in der Strategie der Männer, immer jüngere Frauen als Partnerinnen zu suchen, im Glauben, dass diese aufgrund ihres Alters wohl nicht mit dem Virus infiziert sein können (vgl. Barnett 1992: 32ff). Die genannten Altersstufen stimmen mit der wahrscheinlichen Zeit der Elternschaft überein: nach dem AIDS-Tod der Eltern werden viele Kinder zu Waisen. Diese werden traditionell von den Geschwistern innerhalb der Großfamilie aufgenommen und aufgezogen. Dies ist allerdings angesichts des Kinderreichtums vieler Familien und der oft praktizierten Polygamie problematisch (vgl. Walker 1998, Guest 2003). Die Waisen werden zwar von den Geschwistern aufgenommen, doch wenn nicht genug Mittel für die Schulausbildung aller Kinder da sind, stehen die Waisen noch hinter den leiblichen Töchtern in der Familienhierarchie zurück.
Die Ausführungen machen die vier von Barnett und Blaikie aufgestellten Parameter für die Ausbreitung von HIV/AIDS in Uganda nachvollziehbar.
5. Uganda: Situation, Auswirkungen und „best practice“-Land
Anfang der 1990er Jahre hing die Hälfte aller Todesfälle der 13 bis 44-Jährigen in Uganda mit HIV zusammen (Mulder et al. 1994 zitiert nach: Williams 2001: 222). Zwei Millionen Waisen, die Hälfte davon AIDS-Waisen, lebten zu dieser Zeit in Haushalten, die von überlebenden Müttern oder Großmüttern geführt wurden.
Die wirtschaftlichen Kosten der HIV/AIDS-Epidemie sind gewaltig. Fast jede Familie ist betroffen, HIV-Infizierte können geschwächt nur weniger arbeiten und AIDS-Kranke werden meist von Frauen und/oder Töchtern gepflegt, die dadurch entweder in ihrer Arbeit eingeschränkt werden oder nicht zur Schule gehen können. Die Folgen des AIDS-Todes sind für die betroffenen Haushalte gravierend:
„Death results in: a permanent loss of income, from less labor on the farm or from lower remittances; funeral and mourning costs; and the removal of children from school in order to save on educational expenses and increase household labor, resulting in a severe loss of future earning potential“ (Bollinger 1999: 4).
Die wirtschaftlichen Auswirkungen und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Entwicklung von Gesellschaften wurden schon in einem der ersten Bücher über die Ausbreitung des HI-Virus erwähnt:
„AIDS war bei unverheirateten jungen Männern in den Vereinigten Staaten nach Unfällen, Mord, Selbstmord und Krebs mittlerweile die häufigste Todesursache. Doch in Manhattan gingen durch AIDS mehr menschliche Lebensjahre verloren als durch alle oben genannten Todesursachen zusammen. Auch der Preis, den die Gesellschaft dafür bezahlen musste, war gewaltig angestiegen. Die CDC[63] hatten berechnet, dass die neuntausend AIDS-Patienten das Land bereits $ 5,6 Milliarden für Krankenhausrechnungen, verlorene Löhne und Gehälter und soziale Beihilfe gekostet hatten. In wenigen Jahren würde sich diese Summe dem Betrag von $ 50 Milliarden nähern, die jährlich für die Krebsbekämpfung ausgegeben wurden, oder sogar den $ 85 Milliarden, die für die Behandlung und Betreuung von Herzpatienten aufgewendet werden mussten“
(Shilts, 1987: 742).
Die internationale Arbeitsorganisation (ILO) widmete dem Thema im Jahr 2000 eine der ersten einschlägigen umfassenden Studie[64], um die zu erwartenden Auswirkungen auf das Erwerbsleben zu untersuchen.
[...]
[1] HI-Virus/HIV (engl. Human immunodeficiency virus): Das “Menschliche Immunschwäche-Virus kann die Krankheit AIDS auslösen. […] Die Zeitspanne zwischen der ursprünglichen Infektion und dem Ausbruch der Krankheit ist [unterschiedlich] […]. Während einige Personen bereits bald nach der Infektion an Erkrankungen leiden, die auf ein geschwächtes Immunsystem zurückzuführen sind, sind andere oft jahrelang völlig beschwerdefrei. Wenn jedoch die Krankheit AIDS ausbricht und das Virus das Immunsystem schrittweise zu zerstören beginnt, kommt es zu einem schweren Immundefekt, der in der Regel zu AIDS definierenden Erkrankungen führt. Zu diesen zählen schwere opportunistische Infektionen, die durch Viren, Bakterien, Pilze oder Parasiten bedingt sind, sowie andere Erkrankungen, wie Diarrhö (Durchfall), starkes Fieber, Tuberkulose, Lungenentzündung, Kaposi-Sarkom, malignes Lymphom, HIV-Enzephalopathie und das Wasting-Syndrom“ (Pracht 2005: 42f). AIDS (Erworbenes Immunschwäche-Syndrom) ist das späte „Stadium einer durch das menschliche Immunschwäche-Virus (HI-Virus) ausgelösten Infektion“ (Pracht 2005: 27).
[2] Der Autor hat das erlebt, als er im nördlichen Uganda in der 100.000-Einwohner-Stadt Gulu in die Notaufnahme des Krankenhauses kam. Unterwegs in einem Ort hatten sich Kinder bei Spielen mit einer Handgranate im Busch zum Teil schwer verletzt und das Fahrzeug der NGO, mit dem der Autor unterwegs war, angehalten, und darum gebeten, die Kinder samt Begleitung in das Krankenhaus zu bringen. Dort zog sich der Sanitäter als erstes Schutzhandschuhe an, denen man eine wiederholte Verwendung allerdings ansah, denn ein Loch war sichtbar.
[3] Vgl. dazu Resolution der Generalversammlung vom 27.2.2001 (http://www.un.org/Depts/german/gv-55/band3/ar55242.pdf) 55/242. Regelungen für die Organisation der Sondertagung der Generalversammlung über HIV/AIDS und ihren Vorbereitungsprozess (zuletzt: 21.11.2005)
[4] Der Autor verwendet im Zusammenhang mit HIV/AIDS nicht nur die Begriffe „Krankheit“ (Heilbarkeit wird evtl. angenommen) und Epidemie, sondern auch Seuche, da HIV massenhaft auftritt und nach dem Ausbruch von AIDS tödlich verläuft. In Uganda sprechen manche NGOs wie die bereits 1987 gegründete The AIDS Support Organisation (TASO) von Krankheit, um eine Stigmatisierung der HIV-positiven und AIDS-Kranken zu verhindern. Dies ist verständlich. Doch es schafft die Illusion der Heilbarkeit für alle. HIV/AIDS ist tödlich, insbesondere weil sich in den Entwicklungsländern nur wenige Menschen die teuren Original-Medikamente leisten können.
[5] Vgl. Punkt 57 des Berichts (http://www.un.org/Depts/german/gs/gsb95/gsb-ii.htm) des Generalsekretärs 1995: Die Trägerorganisationen des gemeinsamen HIV/AIDS-Programms waren 1995 das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) und die Weltbank. Als Hauptsachwalter für die weltweiten Maßnahmen zur Bekämpfung der HIV/AIDS-Epidemie hat das UNAIDS-Programm drei Aufgaben: die Aufstellung einer für die ganze Welt relevanten HIV/AIDS-Politik und die Förderung der international besten Behandlungsmethoden und Forschungsanstrengungen; die technische Unterstützung umfassender Maßnahmen zur HIV/AIDS-Bekämpfung, insbesondere in den Entwicklungsländern; und das Eintreten für umfassende, multisektorale Programme zur HIV/AIDS-Bekämpfung, die gut mit den entsprechenden Ressourcen ausgestattet sind und auf einer soliden strategischen, ethischen und fachlichen Grundlage fußen. (zuletzt: 21.11.2005)
[6] Die Millenniums-Entwicklungsziele (engl. Millennium Development Goals - MDGs): „Initiative der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Armut und zur Verbesserung der Lebensverhältnisse, auf die sich zahlreiche Staats- und Regierungschefs aus aller Welt beim Millenniumsgipfel im September 2000 geeinigt haben. Im Zuge des Gipfeltreffens wurden acht Entwicklungsziele definiert, wobei die meisten davon 2015 erreicht sein [sollen] und das Jahr 1990 als Richtwert verwendet wird: 1. extreme Armut und Hunger beseitigen 2. Grundschulausbildung für alle Kinder gewährleisten 3. Gleichstellung und Empowerment von Frauen fördern 4. die Kindersterblichkeit senken 5. die Gesundheit der Mütter verbessern 6. HIV/AIDS, Malaria und andere Krankheiten bekämpfen 7. die ökologische Nachhaltigkeit sichern 8. eine globale Partnerschaft im Dienst der Entwicklung schaffen“ (Pracht 2005: 53). Vgl. Millennium Development Goals der Vereinten Nationen (http://www.un.org/millenniumgoals/goals.html) und das Programm von UNAIDS: http://www.unAIDS.org/html/pub/publications/irc-pub05/jc1117-exceptionalresponse_en_pdf.pdf (zuletzt: 11.4.2006).
[7] Die Prävalenz ist eine epidemiologische Kennzahl und sagt aus, wie viele Individuen einer bestimmten Population an einer bestimmten Krankheit erkrankt sind oder sich infiziert haben.
[8] Für Nichtregierungsorganisation steht in dieser Arbeit die englische Abkürzung NGO = Non Governmental Organisation.
[9] Die Definitionen zu für diese Arbeit relevanten Begrifflichkeiten befinden sich im Kapitel II.1 oder in Fußnoten.
[10] Verschwörungstheorien sind weit verbreitet (vgl. auch Crimp 1988: 32f, 101ff). So erklärte in Uganda ein junger Mann, der für eine US-NGO arbeitet und in Thailand studiert hat dass HIV/AIDS in den Vereinigten Staaten erfunden wurde, um das Bevölkerungswachstum in Afrika zu stoppen. Seinem Dozenten an der Uni soll eine Arbeit mit dieser Kernaussage sehr gefallen haben, allerdings wurde sie bisher nicht veröffentlicht, da das Material zu brisant sei. Eine Veröffentlichung sei seiner Karriere hinderlich und er werde keinen Verlag finden, der sich traue so etwas zu veröffentlichen (eine weitere Verschwörungstheorie). Verschwörungstheorien werden auch in der Literatur beschrieben: "Credo Mutwa [ein traditioneller Heiler in Südafrika, Anm. d. V.] glaubt, dass AIDS die Krankheit des weißen Mannes ist. Kreiert, um die Schwarzen auszurotten. Und kreiert, um dem schwarzen Mann weiße Lebensweise und christliche Moral aufzuzwingen. AIDS als neue und brutale Art der Kolonialisierung. 'Viele Völker in Afrika leben nun mal polygam', so Credo. Das war schon immer so, und das ist auch gut so. Früher gab es kein AIDS, obwohl so gelebt wurde. Also können afrikanische Lebensweise und Umgang mit Sex nicht schuld sein, meint Mutwa" (Wittek 2003: 154). Bei Gronemeyer heißt es dazu: „Viele Südafrikaner sind überzeugt, dass >>die Weißen<< die Krankheit nach Afrika gebracht haben – und dass sie auch über Medikamente verfügen, die Krankheit zu heilen, dass diese Medikamente aber in Afrika nicht ausgegeben werden. Manche hegen den Verdacht, dass die Altkleider aus Europa infiziert sind. Sam Nujoma, der namibische Staatspräsident, hat […] die These vertreten, dass die Amerikaner im Vietnamkrieg den AIDS-Erreger ausprobiert hätten, und er so nach Afrika gekommen wäre. In Simbabwe, Namibia und Kenia gibt es ausgesprochen heftige Angriffe auf Homosexuelle, die zum Teil für die Epidemie verantwortlich gemacht werden“ (Gronemeyer 2006: 61).
[11] Mikrobizid: „Reihe von unterschiedlichen Produkten, die bei korrekter Anwendung (vaginal oder rektal) die sexuelle Übertragung von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen verhindern. Ein Mikrobizid ist eine Substanz, die Krankheitserreger ‚neutralisiert’ und in Form von Cremes, Gels, Salben oder Zäpfchen sowie in Schwämmen oder Ringen, die die Wirkstoffe im Lauf der Zeit freisetzen, verfügbar ist. Einige der untersuchten Mikrobizide verhindern eine Schwangerschaft, andere nicht. Es ist wichtig, dass es sowohl Mikrobizide, die verhütend wirken, als auch Mikrobizide, die keine verhütende Wirkung haben, gibt, sodass Frauen und Paare ihre Gesundheit schützen können und dennoch Kinder bekommen können, was mit Kondomen nicht möglich ist“ (Pracht 2005: 52f).
[12] Vgl. dazu beispielsweise den Artikel von Russel Shorto im New York Times Magazine vom 7. Mai 2006: „Contra-Contraception” – “A growing number of conservatives see birth control as part of an ailing culture that overemphasizes sex and devalues human life. Is this the beginning of the next culture war?” http://www.nytimes.com/2006/05/07/magazine/07contraception.html?ex=1163304000&en=c48c1fc6632a66b8&ei=5087&nl=ep&emc=ep (zuletzt: 12.5.2006)
[13] Einige Staaten wie das EU-Mitglied Estland, Russland und die Ukraine weisen schon eine HIV-Prävalenz von etwa einem Prozent auf. Ab einer Prävalenz von einem Prozent wird in der Medizin von einer Epidemie gesprochen, die schwer kontrollierbar wird. Zu den drei genannten Ländern heißt es im Bericht der Weltgesundheitsorganisation über HIV/AIDS in Europa: „Estonia has the second highest estimated prevalence of HIV, over 1% of the adult population, in Europe. Seventy-three per cent of Estonian PLWHA [People living with HIV/AIDS Anm. d. V.] are male“ (Nielsen 2006: 252). Für Russland gilt: “The number of people officially registered with HIV/AIDS in the Russian Federation has increased almost 100-fold in just eight years, from 3623 cases on 31 March 1997 to 318 394 in May 2005. Currently, there is low HIV prevalence (1–50 cases per 100 000 population) in 43 regions (29% of the population); medium prevalence (51–150/100 000) in 23 regions (28% of the population); high prevalence (151–300/100 000) in 11 regions (19% of the population); and above high prevalence (301–620/100 000) in 12 regions (24% of the population). With an estimated seropositivity rate of 0.6–1.0% among the general population, the Russian Federation still has a concentrated HIV epidemic” (Nielsen 2006: 265). In der Ukraine ist die Situation folgende: „the official cumulative totals had risen to 83 326 HIV cases, 11 321 AIDS cases and 6643 AIDS deaths. Ukraine reports the highest number of annual AIDS deaths in the European Region. In the majority of the cases, the decedents had not had access to antiretroviral therapy“ (Nielsen 2006: 272).
[14] Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen hat der Autor in seinem Online-Tagebuch beschrieben. Der Blog kann unter http://2006uganda.blogspot.com/ (zuletzt: 10.5.2006) eingesehen werden.
[15] In einer Dokumentation zu einem Workshop über die soziokulturellen Aspekte sexuellen Verhaltens heißt es: „As it is the elders who are custodians of cultural practices, one should seek their opinion and clarification in distinguishing myths and practices and work with them to promote changes that will demystify myths“ (UNICEF-Uganda 1993: 24); In einer Übersicht der DSW vorbereitet von Teshome Admassu heißt es über das Programm Youth to Youth in Uganda (September 2005): "Community involvement needs to be enhanced. Still there is parents, community leaders and others resistance. There is need for regular consultation with the community at club level" (11); "Further, partner organizations learnt the need to target parents, guardians, community leaders including religious leaders to ensure involvement and support of these groups and for the effectiveness of Y2Y program. There is a need for regular sensitization of the community on different SRH issues that are pertinent to local situations" (12); "2.2.1.4 Target groups: Youth clubs in Uganda target in and/ or out of school youth between 10 and 24 years of age as their primary target groups. The secondary target groups of clubs vary from club to club but include one or more of the following depending on the club i.e. parents, elderly, community leaders, religious leaders, local leaders, and community members" (17).
Joseph Loconte schreibt in: The White House Initiative to Combat AIDS: Learning from Uganda ((September 29, 2003)): "National religious groups, such as the Islamic Medical Association of Uganda (IMAU) and the Anglican Church Human Services Prevention Program, mounted serious education campaigns.52 The IMAU, for example, worked in rural Muslim communities, training local religious and community leaders. Leaders from about 850 mosques trained 6,800 volunteers to assist in its education campaign. The Protestant Church of Uganda organized a workshop for bishops and other religious leaders and launched AIDS education projects in numerous dioceses" (http://www.heritage.org/Research/Africa/BG1692.cfm (zuletzt: 10.5.2006).
Dr. Stella Neema, Denis Bataringaya vom Makerere Institute of Social Research (MISR) schreiben in einer Übersicht für AFRICA ALIVE UGANDA (December, 2000 ): Research on Adolescent Sexual and Reproductive Health in Uganda: A Documents Review: "PEARL Project aims at improving quality of life among adolescents. It targets mainly out of school adolescent boys and girls aged 10-24 years. It also targets community leaders, parents, religious leaders, youths and adolescent organizations. The project was to develop community centers as focal points where adolescents could meet to receive RH messages and services and get involved in other socio-economic activities that could uplift their lives" (22).(Alle Quellen befinden sich soweit nicht anders angegeben im digitalen Archiv des Autors]
[16] Nach Ansicht des Autors muss darauf verwiesen werden, dass es sich bei den Zahlen um Schätzungen handelt, da die Fallzahlen mangels eines Gesundheitssystems europäischen Standards nicht bekannt sind. Viele Menschen wollen nicht nur in Afrika sondern in der ganzen Welt nicht wahrhaben, dass sie mit HIV/AIDS an einer schleichend zum Tode führenden Krankheit leiden. In Uganda erzählte eine ehemalige Mitarbeiterin des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED), dass ein DED-Fahrer alle Merkmale der „slim disease“, wie AIDS im Volksmund genannt wurde, aufwies. Jedoch wollten weder er sich selbst, noch seine Familie sich eingestehen, dass er HIV/AIDS hat. Der DED hätte für an HIV/AIDS erkrankte Mitarbeiter sogar finanzielle Hilfen zur Behandlung und Unterstützung der Familie (Beerdigungskosten!) bereitgestellt. Dies war dem Mann bekannt, er starb, ohne dass er oder die Familie es zur Kenntnis genommen hätten. Auf seinem Totenschein stand daher wie oft üblich - und von den Verwandten eingefordert - nicht AIDS, sondern irgendetwas anderes, denn an AIDS zu sterben befleckt die Ehre der Familie. Bei Walker heißt es dazu: „The family members may not be able to express their grief at the current or future losses that they experience, in addition to their reactions to caring for a chronically ill individual due to the shame, guilt, and secrecy surrounding HIV+/AIDS” (Walker 1998: 33).
[17] Im Bezug auf sexuelle und reproduktive Gesundheit und alle damit zusammenhängenden Fragen gibt es zwei Weltanschauungsrichtungen: „Es können zwei Strömungen unterschieden werden, und zwar die Pro-choice-Bewegung und die Anti-choice-Gruppen. Die Pro-choice-Bewegung erkennt die sexuellen und reproduktiven Rechte jeder Person an, gesteht jeder Person autonome Entscheidungsfreiheit zu und tritt für informierte Wahlfreiheit ein. Die Anti-choice-Gruppen sind in ihren Haltungen fundamentalistisch, treten für traditionelle Werte ein (wie z.B. traditionelle Rollenbilder), sind oft AnhängerInnen radikaler Glaubensgemeinschaften und lehnen sexuelle und reproduktive Rechte insbesondere für Frauen, Kinder und Jugendliche ab“ (Pracht 2005: 20).
[18] Internationale Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung (engl. International Conference on Population and Development/ICPD): „Konferenz der Vereinten Nationen, die 1994 in Kairo abgehalten wurde und unter der Beteiligung von 160 Nationen und über 3.000 NROs/NGOs eine gemeinsames Aktionsprogramm (Program of Action/PoA) für die nächsten 20 Jahre erarbeitete. Die Internationale Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung wurde als die erste Weltbevölkerungskonferenz bekannt, bei der ein Paradigmenwechsel von einer überwiegend demografisch ausgerichteten zu einer sozialwissenschaftlichen Betrachtung stattfand. Herausragende Themen waren die sexuelle und reproduktive Gesundheit, die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung als universelles Recht und das Empowerment von Frauen. Ebenfalls wurden die Interessen und Bedürfnisse von Frauen als wichtige Komponenten der Entwicklung betont. Die Konferenz hat sich zur Erreichung der Ziele, die 1994 vereinbart wurden und in Fünfjahresintervallen überprüft werden, eine Frist für das Jahr 2015 gesetzt“ (Pracht 2005: 48).
[19] Brocato (2005): Establishing National Guidelines for Comprehensive Sexuality Education. Lessons and Inspiration from Nigeria
[20] Sexuell übertragbare Krankheiten/Infektionen (engl.: Sexually transmitted disease = STD oder Sexually transmitted infection = STI): „Infektionen, die durch Bakterien oder Viren ausgelöst wird und oft durch sexuellen Kontakt erworben wird. Manche sexuell übertragbaren Infektionen können auch auf anderem Weg erworben werden (z.B. durch Bluttransfusionen, intravenösen Drogenkonsum, Mutter-Kind-Übertragung). Der Ausdruck ‚ Sexuell übertragbare Infektion’ (STI) ersetzt mehr und mehr den Ausdruck ‚Sexuell übertragbare Krankheit (STD)’, um HIV-Infektionen mit einzuschließen. Die meisten STIs wie beispielsweise HIV werden nicht von SexualpartnerInnen übertragen, die offensichtlich krank sind, sondern von SexualpartnerInnen, deren Krankheit zum Zeitpunkt der Übertragung asymptomatisch (ohne erkennbare Symptome) oder unbemerkt ist“ (Pracht 2005: 67).
[21] Vgl. beispielsweise „Themenfeld: Liebe, Partnerschaft und Sexualität Kompetenzbezug" im: Berliner Rahmenlehrplan für die Sekundarstufe I - Biologie (2006: S. 28ff) http://www.senbjs.berlin.de/schule/rahmenplaene/rahmenlehrplaene/sek1_biologie.pdf (zuletzt: 10.5.2006) oder die „Richtlinien für die Familien- und Sexualerziehung in Bayern“ des bayerischen Kultusministeriums von 1996: http://www.km.bayern.de/imperia/md/content/pdf/bekanntmachungen/16.pdf (zuletzt: 10.5.2006); Allerdings schreibt SPIEGEL ONLINE am 08. März 2006 unter dem Stichwort „Sexualkunde in der Schule“: „Immer mehr Teenager werden schwanger. Dabei steht Sexualkunde schon in der Grundschule auf dem Lehrplan - zumindest theoretisch. […] In Hamburg brachte eine Zwölfjährige kürzlich ein Kind zur Welt. Niemand in ihrem Umfeld will die Schwangerschaft bemerkt haben, nicht mal die Schwangere selbst. Das nahm die bayerische Sozialministerin Christa Stewens (CSU) zum Anlass, mehr Offenheit zu fordern: Sexualkunde im Alter von elf oder zwölf Jahren sei definitiv zu spät. "Frühe Aufklärung tut Not", schreibt Stewens in einem Gastbeitrag in der Münchner "Abendzeitung". Weil die Mädchen immer früher geschlechtsreif würden, solle schon in der Grundschule expliziter aufgeklärt werden.
Sexualkunde in der Grundschule - was für CSU-Verhältnisse wie eine revolutionäre Forderung klingt, ist theoretisch längst in den Lehrplänen integriert. In allen Bundesländern ist Sexualerziehung ab der ersten Klasse vorgeschrieben. Es gibt moderne Lehrpläne und kostenlose Verhütungsmittel für Minderjährige“. http://www.spiegel.de/unispiegel/schule/0,1518,404892,00.html (zuletzt: 10.5.2006)
[22] Eine weitergehende Feldforschung bezüglich der Gatekeeper könnte sich auf Bildungseinrichtungen konzentrieren und entsprechenden Fragen nachgehen.
[23] Uganda hat eine junge Bevölkerung, wie man anhand der Zahlen erkennt: Primary school age Population (6-12 years) 22.0%, Secondary school age (13-19 years) 16.3%, Adolescents (10-24 years) 34.3%, University Age (20-24 Years) 8.9%, Children (Below 18 years) 56.1%, Adults (18 Years and above) 43.9%. Vgl. „UBOS 2005“ vom Uganda Bureau of Statistics (CD-Version im Besitz des Autors): offline/ubos.org_2004_STATISTICAL_ABSTRACT/2002censusresults.htm
[24] Der englische Begriff lautet „Adolescence Reproductive Health“, wobei Adoleszenz (Adolescence) folgendermaßen definiert wird: „Zeit des Übergangs von der Kindheit zum Erwachsensein. Unter Adoleszenz versteht man die Entwicklung sowohl zur sexuellen Reife als auch zur geistig-seelischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit von den Eltern. Die WHO setzt die Adoleszenz zwischen dem 10. und dem 19. Lebensjahr an und unterscheidet zwischen früher Adoleszenz, die zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr und der späten Adoleszenz, die zwischen dem 15. und dem 19. Lebensjahr auftritt“ (Pracht 2005: 26).
[25] Außerdem haben von Bush speziell geförderte religiöse Organisationen, die in der HIV-Prävention mit PEPFAR-Finanzierung tätig sind, die „ausdrückliche Erlaubnis, Informationen über Kondome zurückzuhalten“ (Kröger 2004: 54).
[26] Vgl.: The Guttmacher Institute is a nonprofit organization focused on sexual and reproductive health research, policy analysis and public education. The Guttmacher Institute publishes Perspectives on Sexual and Reproductive Health, International Family Planning Perspectives, The Guttmacher Policy Review and special reports on topics pertaining to sexual and reproductive health and rights. The Institute's mission is to protect the reproductive choices of all women and men in the United States and throughout the world. It is to support their ability to obtain the information and services needed to achieve their full human rights, safeguard their health and exercise their individual responsibilities in regard to sexual behavior and relationships, reproduction and family formation. http://guttmacher.org/about/index.html (zuletzt: 28.4.2006)
[27] Vgl. Joseph Loconte (September 29, 2003): The White House Initiative to Combat AIDS: Learning from Uganda; vgl.:http://www.heritage.org/Research/Africa/BG1692.cfm (zuletzt: 10.5.2006)
[28] Die Vermutungen liegen nahe, dass die Regierung diese Kehrtwende vollzog, um die US-Finanzierung der HIV/AIDS-Programme zu sichern. Eine Rolle spielen sicher auch die evangelikalen „wiedergeborenen“ Christen, deren Organisation als „faith-based-initiatives“ ebenfalls PEPFAR-Gelder insbesondere für die Abstinenzerziehung bekommen. In Uganda ist insbesondere das Büro der First Lady dank der US-Gelder in Abstinenzerziehungs-Kampagnen involviert: „Die Präsidentengattin, Janet Museveni, eine überzeugte ‚Wiedergeborene’ [Christin], ist vor allem als Speerspitze der US-finanzierten Abstinence-only Kampagnen zur Bekämpfung von HIV/AIDS bekannt. Einmal organisierte sie eine Enthaltsamkeits-Kundgebung für Hunderte von Jungfrauen an Schulen. Sie trat als Kandidatin für das Parlament an. Medienberichten zufolge haben jedoch weder ihr Mann noch Sohn anfangs ihren Ausflug in die Politik für unterstützungswert befunden. Politik in Afrika wird als Männerdomäne betrachtet. „Gott hat mich geschickt, ich muss gehorchen”, sagte sie zur Begründung ihrer Kandidatur. Ihren Finanzier im Enthaltsamkeits-Kampf wird es gefreut haben. George W. Bush ist der wohl bekannteste “Wiedergeborene”, der sich auch auf “göttlichen Eingriff” beruft und seine Politik als ‚göttliche Mission’ versteht“ (Raschke 2006).
[29] Der Autor sah diesen Kalender samt Text Ende Februar 2006 in einer regierungsfinanzierten Grundschule in der Nähe von Masaka (LC 5: Ssembabule, LC 4: Mawogola, LC 3: Mateete County, LC 2: Kasambya, LC 1: Kibulala).
[30] Exkurs: Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass es Berufsstände gibt, die Abstinenz vorschreiben (katholische Priester). Die katholische Kirche gehört zu Haupt-Lobbyisten der Ideologie der Abstinenzerziehung, obwohl ein großer Teil katholischer Kleriker bekanntlich nicht abstinent leben. Ein nicht untypischer Fall: Personen, wie die interviewte Frau, oder Institutionen, wie die Kirche, möchten eventuell aus moralischen oder ideologischen Gründen persönliche Lösungen auf die Gruppe der Heranwachsenden übertragen.
[31] Bevölkerungswachstum stellt nicht unbedingt ein Problem dar, vorausgesetzt es geht einher mit steigender Produktion (Wirtschaftswachstum), erhöhtem Zugang zu Ressourcen wie Rohstoffen, sowie (staatlichen) Finanzmitteln für Bildung und Gesundheitswesen. Weder für Uganda noch die meisten anderen afrikanischen Länder treffen diese Vorraussetzungen zu, weshalb das schnelle Bevölkerungswachstum enorme Probleme verursacht.
[32] Vgl. http://globalis.gvu.unu.edu/indicator_detail.cfm?IndicatorID=132&Country=UG (zuletzt: 2.5.2006); Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Bevölkerungsdichte, die sich von 1948 (25 Personen / Quadratkilometer), 1959 (33), 1969 (48), 1980 (64), 1991 (84) bis 2002 (124) verfünffacht hat. Vgl. „UBOS 2005“ vom Uganda Bureau of Statistics (CD-Version beim Autor):
offline//ubos.org_2004_STATISTICAL_ABSTRACT/populationdistributioncen.html#2.2
[33] Es wird angenommen dass $30-40 in Ländern mit geringem Einkommen das Minimum der für die Gesundheit absolut nötigen Ausgaben pro Jahr darstellen. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2001 finden sich den Länder-Profilen des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA):
http://www.prb.org/pdf05/2005UNFPA_CountryProfiles_SubSaharanAfrica.pdf (zuletzt: 13.5.2006)
[34] Bayer, Boehringer Ingelheim, Hoechst Marion Roussel, Knoll, E. Merck und Schering.
[35] Grill, B. (29.März 2001). Wer nicht zahlen kann, stirbt. Die ZEIT. Hamburg: S.29-30.
[36] Heuwagen, M. (30. März 2001). "Kooperation statt Konfrontation" - Berlin fordert kostenlose Aids -Medikamente für arme Länder. Süddeutsche Zeitung. München: S.5.
[37] Gromeyers Streitschrift bricht mit der westlichen Tradition, HIV/AIDS als rein medizinisch Problem darzustellen, welches sich behandeln und durch Kondome und Verhaltensänderung eindämmen lässt. Er plädiert für einen respektvollen Umgang mit der in Traditionen verwurzelten Kultur und Gesellschaft Afrikas. Mit Empathie und Verständnis lässt sich wohl mehr erreichen als durch das Aufoktroyieren schulmedizinischer Lösungen.
[38] Klüver, R. (1.März 2001). Die neue UN-Prognose zur Weltbevölkerung soll aufrütteln. Süddeutsche Zeitung. München: S.1.
[39] Im Kleinen Afrika-Lexikon heißt es dazu: „Korruption ist als ein weltweites Phänomen auch in Afrika allgegenwärtig und nach Meinung vieler Beobachter dort inzwischen ein zentrales Entwicklungshemmnis. […] Die weit verbreitete endemische oder systematische Korruption wird im afrikanischen Kontext auf unterschiedliche Ursachen zurückgeführt, die in der Praxis aber kaum voneinander zu trennen sind und das Entstehen eines afrik. Korruptions-Komplexes begünstigen. Aus soziokultureller Perspektive wird betont, dass in Afrika das Gemeinschaftsgefühl und die Beziehungen zu Großfamilie, Klan und ethn. Großgruppe vor dem nat. Gemeinwohl rangieren. Da der Nationalstaat während des Kolonialismus einem Konglomerat ethn., kulturell und relig. heterogener Gruppen übergestülpt wurde, nimmt es kaum Wunder, dass die ethischen und moralischen Standards des Westens als dysfunktional begriffen und weitgehend ignoriert wurden. Wer im Rahmen neopatrimonialer Herrschaft Zugang zu Macht und Ressourcen erhielt, verstand dies häufig als Aufforderung zu hemmungsloser Selbstbereicherung“ (Jakobeit in: Mabe 2004: 102, vgl. auch Gronemeyer 2006: 75).
[40] Vgl. UNFPA Länder-Profile 2006: http://www.prb.org/pdf05/2005UNFPA_CountryProfiles_SubSaharanAfrica.pdf (zuletzt: 13.5.2006)
[41] Der Autor konnte dies selbst beobachten. Das Personal im Büro und Trainingszentrum der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung stammte meist aus mindestens 150 km entfernt liegenden Orten. Für Feiertage, Beerdigungen oder zur Hilfe bei Erkrankung von Familienmitgliedern müssen weite Strecken zurückgelegt werden. Das Dorf eines Kochs lag beispielsweise so weit im westlichen Uganda ab von einer Stadt, dass man zum nächsten Wahllokal vier Stunden zu Fuß laufen muss und Mobilfunkgeräte nur auf einem höher gelegenen Hügel funktionieren.
[42] Laut Bericht vom 14.März 2006 in der New Vision, regierungseigene Tageszeitung, (Kampala): „HIV Prevalence Rate Falls to 6.4% - Survey Report“ Vgl. http://newvision.co.ug/PA/8/13/487115 (zuletzt: 21.4.2006)
[43] Vgl. www.auswaertiges-amt.de/www/de/laenderinfos/laender/laender_ausgabe_html?type_id=9&land_id=179 (zuletzt: 19.01.2006)
[44] Für die Jahre 1980-1990 weist Uganda ein durchschnittliches Wachstum von 2,9 Prozent per annum aus, während die jährliche Rate zwischen 1990 und 1999 ein Wachstum von 7,2 Prozent anzeigt. (Zahlen laut United Nations Development Programme: Human Development Report zitiert nach: vgl. Dieter 2003). Im Vergleich zum afrikanischen Durchschnitt ist das recht viel, denn die durchschnittliche Veränderung des Bruttosozialprodukts pro Kopf in Prozent lag auf dem afrikanischen 1982-1991 bei -0,5 Prozent und 1992-2001 bei nur 0,2 Prozent (Internationaler Währungsfonds, World Economic Outlook, Oktober 2000 zitiert nach: Dieter 2003)
[45] Beispielsweise hatten im Jahr 2002 gemäß des 2002 Uganda Census nur 2,6 Prozent der Landbevölkerung und 39 Prozent der städtischen Bevölkerung Zugang zu Strom. Im Landesdurchschnitt bedeutet dies, dass nur 7,7 Prozent aller Haushalte an das öffentliche Elektrizitätsnetz angeschlossen sind (Vgl. „UBOS 2005“ vom Uganda Bureau of Statistics (CD-Version im Besitz des Autors): offline/ubos.org_2004_STATISTICAL_ABSTRACT/Household Prozent20characteristics.htm#4.). Die Versorgung ist schwankend. In Uganda fällt täglich mindestens mehrere Stunden oder den ganzen Tag der Strom aus. Die Folgen sind nicht nur computertechnisch ein theoretischer Datenverlust, sondern insgesamt deutlich höhere Kosten für Instandhaltung und Wartung elektronischer Geräte und deren verkürzte Funktionsdauer.
[46] Bei einem geringen durchschnittlichen Einkommen liegen die Preise für Kraftstoff für Fahrzeuge und die nötigen Diesel-Generatoren etwa auf dem deutschen Niveau, wenn man die deutschen Steuern abzieht. Wie überall auf der Welt stiegen die Kosten dafür im Jahr 2005 um etwa 40 Prozent, was allerdings in einem Niedriglohnland wie Uganda viel größere Auswirkungen hat als in den Industrieländern.
[47] Es existieren enorme bürokratische Barrieren. Ein ugandisches Unternehmen muss 17 verschiedene Formulare ausfüllen, um sich registrieren zu lassen. Unregistrierte Unternehmen agieren folglich nur im informellen Sektor.
[48] Laut Kappel gehört dazu „auch, dass die überwiegende Mehrheit der Unternehmen (95 Prozent) noch nie einen Bankkredit aufgenommen hat, und nur wenige Klein- und Mittelständische Unternehmen (KMU) konnten Kleinkredite über Mikrofinanzinstitutionen erhalten“ (Kappel 2005: 23).
[49] Eine Tabelle des Uganda Bureau of Statistics zeigt, dass die Ausgaben der Zentralregierung für Verteidigung, Öffentliche Ordnung und Sicherheit zusammengerechnet innerhalb der Staatsausgaben einen Anteil von etwa einem Drittel am Gesamthaushalt betragen (2000/01: 32,9 Prozent, 2001/02: 27,9 Prozent, 2002/03: 31 Prozent, 2003/04: 33,2 Prozent, 2004/05: 32,4 Prozent). Die Ausgaben für das öffentliche Gesundheitswesen betrugen durchschnittlich nur etwas über fünf Prozent (2000/01: 4.1 Prozent, 2001/02: 4.8 Prozent, 2002/03: 6.1 Prozent, 2003/04: 5.7 Prozent, 2004/05: 5.4 Prozent) im gleichen Zeitraum, was die Prioritäten verdeutlicht. Zahlen entnommen: Table 1 (b): Function analysis of Uganda Central Government recurrent Expenditure,2000/01 –2004/05 (by percentage) unter http://www.ubos.org/stfinance.html (zuletzt: 31.1.2005)
[50] Vgl. „UBOS 2005“ vom Uganda Bureau of Statistics (CD-Version im Besitz des Autors): offline/ubos.org_2004_STATISTICAL_ABSTRACT/2002censusresults.htm
[51] Vgl.: DSW-Datenreport (UNFPA 2004b) "Weltbevölkerung 2005"
(http://www.weltbevoelkerung.de/pdf/dsw_datenreport_05.pdf); Datenbank zum Weltbevölkerungsbericht 2005: http://www.weltbevoelkerung.de/info-service/land.php (zuletzt: 2.5.2006)
[52] Andere Quellen geben für Frauen 51 Jahre als Lebenserwartung an: www.indiwa.org/bni/country.asp?id=152 (zuletzt: 5.3.2006)
[53] Damit sind alle Verhütungsmethoden gemeint, die nicht zu den traditionellen Methoden der Verhütung zählen. Letztere sind „Methoden der Verhütung […] wie beispielsweise periodische oder postnatale Abstinenz, völlige Abstinenz, Coitus Interruptus, Intimdusche und andere traditionelle Methoden“ (Pracht 2005: 70).
[54] vgl. Uganda-AIDS-Commission 2005: 18f. Die Zahl bezieht sich auf die Altersgruppe der 15-49jährigen. Der Report befindet sich in digitaler Form im Besitz des Autors: THE UGANDA HIV Status Report 2005 12.12.05.doc
[55] Laut Uganda AIDS Commission lag der nationale Durchschnitt Anfang der 1990er Jahre bei 18 Prozent, wobei die am stärksten betroffenen Regionen eine HIV-Prävalenz von bis zu 30 Prozent aufwiesen: http://www.AIDSuganda.org/AIDS/index.htm Ein anderer Text der gleichen Quellen gibt noch für 1995 eine Quote von 18,5 Prozent an: http://www.AIDSuganda.org/pdf/20_yrs_of_hiv.pdf (zuletzt: 31.1.2006)
[56] Sartorius, Peter: Die Ankunft des schwarzen Reiters Die AIDS-Katastrophe im Süden Afrikas (I): Ein Albtraum, der nicht endet (Süddeutsche Zeitung, 13. Juni 2001, S. 3)
[57] Die Assoziation mit Homosexuellen zeigt auch einer der Vorschläge für die Bezeichnung des Virus: GRIDS – Gay Related Immune Deficiency Syndrome. (vgl. Barnett 1992: 1)
[58] Hilts, Philip J. (1988): “Dispelling Myths about AIDS in Africa.“ Africa Report November-December: 26-31
[59] Der Trans-Africa-Highway führt von Kenia durch Uganda sich in Masaka teilend Richtung Süden nach Tansania, Richtung Südafrika und nach Westen via Mbarara (Uganda) über die Demokratische Republik Kongo Richtung Westafrika. (= eine pro Fahrtrichtung einspurige Bundesstraße mit Schlaglöchern).
[60] Idi Amin liess 1972 alle indischen Händler ausweisen, was zu einem Zusammenbruch der schon geschwächten Wirtschaft führte.
[61] Der Autor hat dies selbst in den verschiedenen aufgesuchten Landesteilen Ugandas beobachten können. In einem kleinen Dorflokal westlich von der Stadt Masaka bereiten die Frauen der Familie das Essen zu, bedienen, räumen ab und putzen, während der Mann kassiert und somit seine Vormachtstellung darauf aufbaut, dass er das Bargeld verwaltet, wie dem Autor sein ugandischer Begleiter Andrew erklärte.
[62] Ganda ist die Bezeichnung für ein ostafrikanisches Kulturgebiet. Entsprechend der Bantu-Nominalklassen bezeichnet Ganda (1) Baganda, das Volk der Ganda, (2) Buganda, das Land Ganda (größtenteils in Uganda gelegen, aber nur den südlichen Teil des Landes umfassend), (3) Kiganda, die Kultur der Ganda, und (4) Luganda, die Sprache Ganda. Vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Ganda (zuletzt: 10.5.2006)
[63] In der CDC -Selbstbeschreibung heißt es: “The Centers for Disease Control and Prevention (CDC) is one of the 13 major operating components of the Department of Health and Human Services (HHS), which is the principal agency in the United States government for protecting the health and safety of all Americans and for providing essential human services, especially for those people who are least able to help themselves. Since it was founded in 1946 to help control malaria, CDC has remained at the forefront of public health efforts to prevent and control infectious and chronic diseases, injuries, workplace hazards, disabilities, and environmental health threats. Today, CDC is globally recognized for conducting research and investigations and for its action oriented approach. CDC applies research and findings to improve people’s daily lives and responds to health emergencies—something that distinguishes CDC from its peer agencies.” Vgl. http://www.cdc.gov/about/default.htm (zuletzt: 10.5.2006)
[64] ILO (2000) HIV/AIDS: A threat to decent work, productivity and development: www.unAIDS.org/wac/2002/ThreatDecentWorkEng.pdf (zuletzt: 21.04.2006)
- Citar trabajo
- Dipl. Pol. Tobias Raschke (Autor), 2006, Welche Faktoren beeinflussen die Meinung der Gatekeeper über HIV/AIDS-Prävention und Sexualaufklärung in Uganda?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57111
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