„Die Geschichte vergisst nichts. Irgendwann präsentiert sie ihre Rechnungen, unnachsichtiger als die preußische Oberrechnungskammer, wie Bismarck einmal bemerkte.“ Dieses Zitat kann auf viele Personen und Unternehmen zutreffen, die durch ihr Handeln und Sein einerseits die Geschichte geprägt, beeinflusst und verändert haben, aber andererseits auch einige Abschnitte daraus vergessen, verschwiegen oder sogar „gereinigt“ haben. Auch vor dem Bertelsmann Verlag und dem J. F. Lehmanns Verlag machte die Geschichte nicht Halt und die Gegenwart präsentiert deren Vergangenheit in einem anderen Licht. Um Beschuldigungen, Vorwürfe und Unklarheiten gegen diese beiden Unternehmen zu entkräften bzw. zu bestätigen, wurden Wissenschaftler beauftragt, die deren Firmengeschichte im Dritten Reich untersuchen sollten.
In Zusammenhang mit den veröffentlichten Untersuchungen zum Bertelsmann Verlag und zum J. F. Lehmanns Verlag werde ich in meiner Hausarbeit deren Verhalten auf dem Gebiet des Buchhandels, der Politik und Kultur in der Weimarer Republik und zu Beginn des Nationalsozialismus untersuchen. Anhand der Verlagsprogramme und ausgewählter Werke möchte ich analysieren und darstellen, inwieweit diese Literatur das Regime des Dritten Reiches ideologisch unterstützt hat oder auch nicht. Außerdem werde ich auch auf die Unternehmensphilosophie eingehen und versuche zu erläutern, inwiefern der Verleger sein verlegerisches Medium nutzte, um die Nationalsozialisten zu fördern. Wurden „regimefreundliche“ Bücher aus Existenzangst oder aus vollster politischer Überzeugung publiziert? Im ersten Teil meiner Arbeit werde ich mich mit dem Bertelsmann Verlag beschäftigen, indem ich zuerst einen kleinen Abriss zu dessen Geschichte gebe und die Untersuchungsergebnisse der „Unabhängigen Historischen Kommission zur Erforschung der Geschichte des Hauses Bertelsmann im Dritten Reich“ (UHK) vorstelle. Jedoch wird dabei der Schwerpunkt meiner Ausführungen auf dem Verlagsprogramm liegen, wobei ich eine Auswahl der von der UHK untersuchten Bertelsmann-Werke aus den Bereichen Theologie und Belletristik vorstellen möchte und versuchen werde, deren antisemitischen Inhalt durch entsprechende Zitate nachzuweisen und zu bestätigen. Der zweite Teil meiner Darstellung wird sich dem J. F. Lehmanns Verlag und seinem „Beitrag“ zum Dritten Reich widmen. [...]
Inhalt
1. Einleitung
2. Der Bertelsmann Verlag Gütersloh
2.1 Zur Geschichte
2.2 Unabhängige Historische Kommission zur Erforschung der Geschichte des Hauses Bertelsmann im Dritten Reich (UHK)
2.3 Antisemitismus im Verlagsprogramm
2.3.1 Bereich Theologie
2.3.1.1 Judenfrage/Judenmission
2.3.1.2 Christliche Schöpfungstheorie
2.3.1.3 Arierparagraph
2.3.1.4 Der Streit um das Alte Testament
2.3.2 Bereich Belletristik
2.3.2.1 Antisemitismus in historischen Romanen
2.3.2.2 Antisemitismus in Kriegs- und Freikorpsromanen
2.3.2.3 Antisemitische Hetzpropaganda
3. Der J. F. Lehmanns Verlag München
3.1 Zur Geschichte
3.2 Der Verlag und die Rassenhygiene
3.3 Der Verleger als Kulturunternehmer
4. Fazit
5. Literatur- und Quellenverzeichnis
1. Einleitung
„Die Geschichte vergisst nichts. Irgendwann präsentiert sie ihre Rechnungen, unnachsichtiger als die preußische Oberrechnungskammer, wie Bismarck einmal bemerkte.“[1] Dieses Zitat kann auf viele Personen und Unternehmen zutreffen, die durch ihr Handeln und Sein einerseits die Geschichte geprägt, beeinflusst und verändert haben, aber andererseits auch einige Abschnitte daraus vergessen, verschwiegen oder sogar „gereinigt“ haben. Auch vor dem Bertelsmann Verlag und dem J. F. Lehmanns Verlag machte die Geschichte nicht Halt und die Gegenwart präsentiert deren Vergangenheit in einem anderen Licht. Um Beschuldigungen, Vorwürfe und Unklarheiten gegen diese beiden Unternehmen zu entkräften bzw. zu bestätigen, wurden Wissenschaftler beauftragt, die deren Firmengeschichte im Dritten Reich untersuchen sollten.
In Zusammenhang mit den veröffentlichten Untersuchungen zum Bertelsmann Verlag und zum J. F. Lehmanns Verlag werde ich in meiner Hausarbeit deren Verhalten auf dem Gebiet des Buchhandels, der Politik und Kultur in der Weimarer Republik und zu Beginn des Nationalsozialismus untersuchen. Anhand der Verlagsprogramme und ausgewählter Werke möchte ich analysieren und darstellen, inwieweit diese Literatur das Regime des Dritten Reiches ideologisch unterstützt hat oder auch nicht. Außerdem werde ich auch auf die Unternehmensphilosophie eingehen und versuche zu erläutern, inwiefern der Verleger sein verlegerisches Medium nutzte, um die Nationalsozialisten zu fördern. Wurden „regimefreundliche“ Bücher aus Existenzangst oder aus vollster politischer Überzeugung publiziert?
Im ersten Teil meiner Arbeit werde ich mich mit dem Bertelsmann Verlag beschäftigen, indem ich zuerst einen kleinen Abriss zu dessen Geschichte gebe und die Untersuchungs-ergebnisse der „Unabhängigen Historischen Kommission zur Erforschung der Geschichte des Hauses Bertelsmann im Dritten Reich“ (UHK) vorstelle. Jedoch wird dabei der Schwerpunkt meiner Ausführungen auf dem Verlagsprogramm liegen, wobei ich eine Auswahl der von der UHK untersuchten Bertelsmann-Werke aus den Bereichen Theologie und Belletristik vorstellen möchte und versuchen werde, deren antisemitischen Inhalt durch entsprechende Zitate nachzuweisen und zu bestätigen.
Der zweite Teil meiner Darstellung wird sich dem J. F. Lehmanns Verlag und seinem „Beitrag“ zum Dritten Reich widmen. Dabei werde ich neben seiner Gründung und Geschichte besonders auf die führende Stellung auf dem Gebiet der Verbreitung und Förderung der Rassenhygiene in den zwanziger und dreißiger Jahren eingehen und versuche zu erörtern, wie J. F. Lehmann als „Unternehmer-Ideologe“ den Verlag und die rassistische Literatur nutzte, um seinem politischen Engagement nachzukommen und als „Kulturunternehmer“ die Öffentlichkeit zu „lenken und zu führen“.
Dabei erscheint es mir wichtig, in einem abschließenden Fazit vergleichend die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede dieser Verlage des national-konservativen und völkisch-nationalen Spektrums in Bezug auf Verlagsprogramm, Philosophie und „Beitrag“ zum Dritten Reich aufzuzeigen.
2. Der Bertelsmann Verlag Gütersloh
2.1 Zur Geschichte
Nach der Eröffnung einer kleinen litographischen Anstalt mit Steindruckerei, in der Carl Bertelsmann sowohl als Verleger, Redakteur als auch Drucker arbeitete, gründete er 1835 seinen C. Bertelsmann Verlag in Gütersloh. Mit der Errichtung einer Buchdruckpresse konnte nun die Buchproduktion starten. Obwohl die schon ein Jahr später verlegten Schullesebücher zum Bestseller wurden, widmete sich der Bertelsmann Verlag besonders der kirchlich-volkstümlichen Erbauungsliteratur. 1850 wurde die Firma durch den Sohn Carl Bertelsmanns, Heinrich Friedrich, übernommen, der einige kleine Verlage unter seine Leitung nahm und das Verlagsprogramm erweiterte. Da die Belegschaft schon 60 Mitarbeiter im Jahr 1869 umfasste, war es nötig, den technischen Betrieb durch einen Neubau zu erweitern und vor allem die sozialen Sicherungssysteme zu erneuern. Nach dem Tod Heinrich Bertelsmanns wurde seinem Schwiegersohn Johannes Mohn die Inhaberschaft übertragen, der daraufhin ab 1887 eine Teilhaberschaft am Verlag besaß. 1921 übernahm wiederum sein Sohn, Heinrich Mohn, der schon seit 1910 als Teilhaber in der Firma arbeitete, das Familienunternehmen. Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Verlag 1944 geschlossen und erlitt 1945 durch Bombenangriffe große Zerstörungen der Betriebsanlage. Nachdem Heinrich Mohns Sohn, Reinhard Mohn, aus der Gefangenschaft zurückgekehrt war, übernahm er 1947 die Leitung des Bertelsmann Verlages. Im Laufe der Zeit wuchs der Verlag zu einem großen und erfolgreichen Unternehmen heran. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurden ehemalige DDR-Betriebe wie z. B. der graphische Großbetrieb „Pössneck“ aufgekauft und in die Verlagsstruktur eingegliedert. Nach der Umstrukturierung 1995 wurde der Multi-Media-Konzern in sechs Geschäftsbereiche wie z. B. „BMG“, „CTL-UFA“ und „Buch“ aufgeteilt. Heute besteht Bertelsmann als größter Medienkonzern Deutschlands (mit Hauptsitz in München) aus mehr als 600 Einzelfirmen (Bücherclubs, Verlage aller Art, Rundfunk- und Fernsehanstalten und Musikfirmen) und ist in 50 Ländern der Erde vertreten.[2]
2.2 Unabhängige Historische Kommission zur Erforschung der Geschichte des Hauses Ber- telsmann im Dritten Reich (UHK)
Nachdem der Journalist Hersch Fischler im Herbst 1998 in der „Züricher Weltwoche“ Bertelsmann vorgeworfen hatte, „die eigene Geschichte systematisch geschönt zu haben“[3] und dass Heinrich Mohn, seit 1921 Chef des Gütersloher Verlages, ein "förderndes Mitglied" der SS gewesen sei, beauftragte der Bertelsmann-Konzernchef Thomas Middelhoff ein Wissenschaftler-Gremium, die „Unabhängige Historische Kommission zur Erforschung der Geschichte des Hauses Bertelsmann im Dritten Reich" (UHK) unter Leitung von Prof. Saul Friedländer, um die Geschichte bzw. die Vergangenheit des Verlages im Dritten Reich zu untersuchen.
Von 1999 bis 2002 erforschten die Kommissionsmitglieder wie oben schon erwähnt Saul Friedländer, Norbert Frei, Trutz Rendtorff und Reinhard Wittmann anhand von Quellen des verlagseigenen Archivs die Unternehmensgeschichte. Anfang 2000 veröffentlichten die Wissenschaftler einen Zwischenbericht, der folgende Hauptvorwürfe gegen Bertelsmann behandelt: die fördernde Mitgliedschaft des Verlegers Heinrich Mohn bei der SS, die regimefreundlichen Veröffentlichungen des theologischen und belletristischen Verlagsprogramms, das erfolgreiche Wehrmachtsgeschäft und die Vorgänge um die Verlagsschließung 1944.
Der endgültige Bericht der UHK umfasst auf 800 Seiten die aufeinander bezogene Firmen-, Produkt- und Politikgeschichte, die auf den Zeitraum zwischen Weimarer Republik und Besatzungszeit begrenzt sind. Die abschließenden und aufschlussreichen Untersuchungsergebnisse ergaben, dass Bertelsmann sich bis dahin nie kritisch für die eigene Vergangenheit interessiert hatte und die Geschichte des Verlages eigen-interessiert im Sinne der Widerstandslegende umgeschrieben hatte. Während der Recherchen trafen die Wissenschaftler auf ein unprofessionell geführtes Hausarchiv, was deren Arbeit bedeutend erschwerte. In Bezug auf die Vorwürfe gegen Heinrich Mohn kamen die Forscher zu der Erkenntnis, dass er seine unternehmerischen Ziele über alle anderen Ziele stellte. Aus diesen Gründen war Mohn ein förderndes Mitglied der SS, jedoch konnten ihm keine direkten antisemitischen Beweggründe für sein Handeln nachgewiesen werden. Heinrich Mohn war kein Mitglied der NSDAP, sondern der DNVP, wobei er über seine Kinder Kontakte zu den Nationalsozialisten knüpfte. Der Mythos des Widerstandsverlages musste widerlegt werden, da der Bertelsmann Verlag zu dieser Zeit unter anderem große Gewinne durch nationalistischer Massenliteratur erzielen konnte und sich dadurch sogar stellenweise zum Konkurrenten des parteieigenen Verlages der NSDAP, dem Eher Verlag, entwickelt hatte.
2.3 Antisemitismus im Verlagsprogramm
2.3.1 Bereich Theologie
Da sich Bertelsmann als konservativ protestantischer Verlag im national-konservativen Milieu bewegte, waren antijüdische Stellungnahmen integraler Bestandteil dieser Gesellschaft. In diesem Zusammmenhang wurden von der UHK die Verlagsbereiche „Theologie“ und „Belletristik“ untersucht, wobei die Wissenschaftler feststellen konnten, dass in theologischen Texten traditionelle antijüdische Motive vorhanden waren und besonders belletristische Titel einen expliziten aggressiven Antisemitismus zum Inhalt hatten. Im Bereich Theologie wurden die vier Themengebiete „Judenmission“, „Theologie der Schöpfungsordnung“, „Debatte um den Arierparagraphen“ und der „Streit um die Bedeutung des Alten Testaments“ auf antijüdische Anschauungen genauer untersucht. In den theologischen Veröffentlichungen beschäftigten sich die Autoren mit dem Judentum und brachten dabei den allgemein verbreiteten Antisemitismus zum Ausdruck. Jedoch distanzierten sie sich von dessen gewalttätiger Form.[4]
2.3.1.1 Judenfrage/Judenmission
„C. Bertelsmann hatte sich im 19. Jahrhundert einerseits mit Missionsliteratur in der evangelischen Verlagslandschaft positioniert und war andererseits in der Erweckungsbewegung verankert.“[5] Aufgrund dessen publizierte auch der Verlag zeitgenössische Titel zur Judenmission. Schon seit 1874 erschien das „Kirchliche Jahrbuch“, das über den aktuellen Stand der Judenmission und deren Tätigkeitsfelder berichtete. Dabei war Pfarrer Johann de le Roi ein bekannter Autor bei Bertelsmann, der über die Geschichte und die Vertreter der Judenmission schrieb. Auch in den Verlagszeitschriften „Neue Allgemeine Missionszeitschrift“ und „Geisteskampf der Gegenwart“ wurde die Judenmission zum Thema gemacht.
Ab 1917 begann Bertelsmann mit der Publikation der Reihe „Christentum und Judentum“, die sich ausschließlich der Judenmission widmete und von der „Berliner Gesellschaft zur Beförderung des Christentums“ unter der jüdischen Bevölkerung herausgegeben wurde. „Im Programm der Reihe, die bis 1928 fortgeführt wurde, standen Bücher zur Religions- und Sittenlehre der Juden (Serie I), zum Jüdischen Leben (Serie II), zum Thema Die Bibel und die Juden (Serie III), zur Geschichte der Juden (Serie IV), und der Judenmission (V) sowie zur Methodik der Judenmission (Serie VI).“[6] Die Autoren stellten in ihren Schriften die praktische Arbeit in Deutschland, die Anzahl von Taufen und Mischehen, Methoden zur Judenmission und Anleitungen für jüdische Taufbewerber vor.
Nach Auffassung der UHK-Wissenschaftler lässt sich in den Publikationen von Bertelsmann die gesamte Debatte um die Judenmission nachzeichnen. Da sich die Judenmission gegen die Identität der Juden und somit auch gegen den jüdischen Geist richtete, wollte man die Missionsarbeit gegenüber der protestantischen Gesellschaft offiziell legitimieren, aber auch „den missionsfeindlichen, völkisch gesinnten christlichen Kreisen entgegenwirken.“[7] In diesem Zusammenhang betonten die Theologen, dass die Judenmission bzw. die Mission an den Heiden eine christliche Pflicht sei, denn das Evangelium sei der einzig „richtige Weg“ für das gemeinsame Heil.
Nach dem Ersten Weltkrieg geriet die Judenmission in eine Krise, da die Förderung dieser aufgrund fehlender Gelder und Spenden nicht mehr ausreichend geleistet werden konnte. „Gleichzeitig [aber] gewann in der politisch und wirtschaftlich schwierigen Situation der beginnenden zwanziger Jahren die völkische Bewegung an Terrain; sie lehnte die Konversion vom Judentum zum Christentum stark ab.“[8]
Noch Mitte des 19. Jahrhunderts forderte man die Gleichstellung der Juden und unterstützte deren Emanzipation, aber schon nach der Reichsgründung 1871 beinhaltete der weit verbreitete konservativ-protestantische Nationalismus ein Verantwortlichmachen der Juden für eine „Entchristlichung der Gesellschaft“ und die Betrachtung derer als „Gefahr für den christlichen Nationalstaat.“[9] Pastor Otto Rehfeldt, der zeitweise als Bertelsmann-Autor fungierte, sah die Juden als „Missionsobjekte“, denen man keine Rechenschaft in Bezug auf die missionarischen Tätigkeiten schuldig sei. Da sich auch der Bertelsmann Verlag in diesem Milieu bewegte, lässt es nicht erstaunen, dass Pfarrer Traugott Hahn in diesem Haus verschiedene Predigten veröffentlichte und z. B. im März 1919 einen Vortrag zur „Bedeutung des Judenvolkes für die religiöse Entwicklung der Menschheit“ hielt. Pastor Ernst Schaeffer, der Herausgeber der Bertelsmann-Reihe „Christentum und Judentum“ war, widmete sich der „Judenfrage“, wobei er „Überfremdungs- und Bedrohungsphantasien“ mit religionsgeschichtlichen Urteilen verband. Das Judentum sei in vielen gesellschaftlichen Gebieten und Positionen eindeutig überrepräsentiert, was zwangsläufig zur Kontrolle und Beherrschung durch die
Juden führen würde. „In der völkischen Weltanschauung stellten Juden aus ‚rassischen‘ Gründen einen unüberwindbaren Gegensatz zur deutschen ‚Volksgemeinschaft‘ dar. Die Taufe für Juden wurde kategorisch abgelehnt und die Judenmission grundsätzlich in Frage gestellt.“[10] Aufgrund dessen sahen sich die Judenmissionare gezwungen, ihre Arbeit gegenüber der völkischen Bewegung rechtfertigen zu müssen und sich daher auch mit der Diskussion um Rassenunterschiede auseinandersetzen zu müssen. Da die Zahl der Theologen, die die „Judenfrage“ mit rassischen Argumenten beantworteten, betrachtlich am Ende der Weimarer Republik angestiegen war, kann man in diesem Zusammenhang von einer Verschärfung der „Judenfrage“ und von einer schleichenden Verbreitung des rassischen Antisemitismus sprechen. Denn schon seit den „frühen zwanziger Jahren war die Auffassung, wonach Antisemitismus eine sozusagen natürliche Reaktion jedes Volkes auf die Präsenz von Juden sei, weit verbreitet.“[11]
Während der NS-Zeit veröffentlichte der Bertelsmann Verlag keine eigenständigen Titel zur Judenmission mehr. Die allgemeine Missionstheologie hatte sich allmählich von der Judenmission distanziert. Die Missionstheologie, die zunehmend völkisch geprägt war, lehnte nämlich die Judenmission ab. Vertreter dieser Theologie wie z. B. Siegfried Knak, Bruno Gutmann und Christian Keysser sahen Deutschland durch die Juden bedroht und unterstellten den Juden einen „verderblichen“ Einfluss auf die Völker.
Die protestantische Judenmission war seit Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr nur religiös motiviert. Es hatte eine allmähliche Transformation von der religiösen zur völkischen Betrachtungsweise der sogenannten „Judenfrage“ stattgefunden. Am Ende der Weimarer Republik hatte sich der schon weit verbreitete allgemeine Antisemitismus zu einem rassisch motivierten Antisemitismus entwickelt und die Zahl der Theologen, die diese Argumentation vertraten und die Judenmission ablehnten, war stetig angestiegen. Die Juden wurden als des-truktive Gruppe beschrieben, die durch ihre Überpräsenz in den verschiedenen gesellschaftlichen Gebieten und Positionen eine Gefahr und Bedrohung für Deutschland und auch für andere Völker darstellten. Der Antisemitismus sei daher eine „natürliche Reaktion“ der Betroffenen, um diese „Missstände“ anzuprangern und um sich davor zu schützen.
„Bei Kriegsende fiel die Frage nach dem Weiterbestand der Missionspflicht in der Evangeli-
schen Kirche mit der Abwehr der Frage nach der Mitverantwortung für den Holocaust zusammen. In dem 1948 bei Bertelsmann wiederbegründeten Kirchlichen Jahrbuch veröffentlichte der Bruderrat der EKD seine Erklärung dazu, die in ihrem menschenverachtenden Zynismus zu erkennen gibt, daß das ‚alte Denken‘ das Ende der NS-Zeit ziemlich unbeschadet
überstanden hatte: ‚Daß Gott nicht mit sich spotten läßt, ist die stumme Predigt des jüdischen Schicksals, uns zur Warnung, den Juden zur Mahnung, ob sie nicht bekehren möchten zu dem, bei dem allein ihr Heil steht.‘“[12]
[...]
[1] Ullrich (2002).
[2] vgl. Detsch (1998).
[3] Ullrich (2002).
[4] vgl. Friedländer/ Frei et.al. (2002), S. 297ff.
[5] Ebd., S. 299.
[6] Friedländer/ Frei et.al. (2002), S. 299.
[7] Ebd., S. 300.
[8] Ebd.
[9] vgl. Ebd.
[10] Friedländer/ Frei et.al. (2002), S. 303.
[11] Ebd., S. 304.
[12] Friedländer/ Frei et.al. (2002), S. 308.
- Citation du texte
- Magister Katrin Polter (Auteur), 2003, Die Verlage Bertelsmann und J. F. Lehmanns Verlag und deren "Beitrag" zum Dritten Reich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56771
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