1990 war das letzte Jahr der Deutschen Demokratischen Republik. Seit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 war alles schnell gegangen. Die Geschwindigkeit der grundlegenden politischen Veränderungen wurde von der DDR-Bevölkerung und ihrem Willen bestimmt. Die scheinbar stabile Herrschaft der SED mit dem vermeintlich einheitlichen Gefüge von Partei, Staat und Gesellschaft hatte der revolutionären Volksbewegung nichts entgegenzusetzen.
Nach dem Sturz der SED-Herrschaft ging es zunächst darum, die Voraussetzungen für ein demokratisches Staatswesen zu schaffen. Das alte Parteiensystem der DDR war formal ein Mehrheitsparteiensystem unter Vormachtstellung der SED. Die SED beteiligte auch andere Parteien an der Machtausübung: die CDU, die LDPD, die DBD und die NDPD, die formal im Gremium alle wichtigen politischen Entscheidungen beraten und verabschieden sollten. Allmählich entwickelte sich der Demokratische Block jedoch zu einem reinen Vollzugsorgan der SED-Politik. Vom politischen Entscheidungsprozess waren die Blockparteien ausgeschlossen. Sie alle erkannten die führende Rolle der SED an. Für die SED waren sie ein scheinpluralistisches Instrument zur Machtsicherung .
Ende 1989 löste das sozialistische Parteiensystem auf. Die Blockparteien trennten sich von der SED und bildeten eigenständige Organisationen. Sie entwickelten sich auch untereinander zu Konkurrenten. Alte Parteien der Opposition konstituierten und profilierten sich programmatisch, organisatorisch und personell als Bewegungen und Parteien, die sich für einen allmählichen Selbstreinigungsprozess entschieden. Nach und nach entstand eine grundlegend neue Parteienlandschaft.
Die ersten demokratischen Wahlen zur Volkskammer fanden am 18. März 1990 statt. Sie sollten das durch die Veränderungen entstandene Machtvakuum ausfüllen sowie eine demokratisch legitimierte Volksvertretung und eine handlungsfähige Regierung hervorbringen, die als rechtmäßige Partner zusammen mit Bundestag und Bundesregierung den Prozess der Vereinigung gestallten konnten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Politische Situation Oktober 1989 bis März 1990
3. Volkskammerwahl vom 18. März
3.1 Die Entstehung des Parteiensystems in der DDR. Der Wahlkampf
3.2 Programmatische Konzepte
3.3 Das Wahlgesetz für die Volkskammer
3.4 Das Wahlergebnis vom 18. März
4. Zusammenfassung
5. Anhang
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
1990 war das letzte Jahr der Deutschen Demokratischen Republik. Seit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 war alles schnell gegangen. Die Geschwindigkeit der grundlegenden politischen Veränderungen wurde von der DDR-Bevölkerung und ihrem Willen bestimmt. Die scheinbar stabile Herrschaft der SED mit dem vermeintlich einheitlichen Gefüge von Partei, Staat und Gesellschaft hatte der revolutionären Volksbewegung nichts entgegenzusetzen.
Nach dem Sturz der SED-Herrschaft ging es zunächst darum, die Voraussetzungen für ein demokratisches Staatswesen zu schaffen. Das alte Parteiensystem der DDR war formal ein Mehrheitsparteiensystem unter Vormachtstellung der SED. Die SED beteiligte auch andere Parteien an der Machtausübung: die CDU, die LDPD, die DBD und die NDPD, die formal im Gremium alle wichtigen politischen Entscheidungen beraten und verabschieden sollten. Allmählich entwickelte sich der Demokratische Block[1] jedoch zu einem reinen Vollzugsorgan der SED-Politik. Vom politischen Entscheidungsprozess waren die Blockparteien ausgeschlossen. Sie alle erkannten die führende Rolle der SED an. Für die SED waren sie ein scheinpluralistisches Instrument zur Machtsicherung[2].
Ende 1989 löste das sozialistische Parteiensystem auf. Die Blockparteien trennten sich von der SED und bildeten eigenständige Organisationen. Sie entwickelten sich auch untereinander zu Konkurrenten. Alte Parteien der Opposition konstituierten und profilierten sich programmatisch, organisatorisch und personell als Bewegungen und Parteien, die sich für einen allmählichen Selbstreinigungsprozess entschieden. Nach und nach entstand eine grundlegend neue Parteienlandschaft.
Die ersten demokratischen Wahlen zur Volkskammer fanden am 18. März 1990 statt. Sie sollten das durch die Veränderungen entstandene Machtvakuum ausfüllen sowie eine demokratisch legitimierte Volksvertretung und eine handlungsfähige Regierung hervorbringen, die als rechtmäßige Partner zusammen mit Bundestag und Bundesregierung den Prozess der Vereinigung gestallten konnten.
Der zweite Teil dieser Arbeit stellt die politische Situation 1989/ 1990 in der DDR vor der Volkskammerwahl dar, gibt einen Überblick über die damals herrschenden Veränderungen im politischen Leben der DDR.
Der dritte Teil ist der Volkskammerwahl gewidmet. Die ersten freien Wahlen zur Volkskammer der DDR waren vorgezogene Wahlen. Die Wahl war ursprünglich für den 6. Mai geplant gewesen. Es wurde aber am 28. Januar entschieden, den Termin vorzuverlegen, da sich die politische und wirtschaftliche Situation so rapide verschlechterte, dass es fraglich war, ob die DDR im Mai überhaupt noch existieren würde. Es geht hier um die Entstehung des Parteiensystems in der DDR, um den Wahlkampf, Wahlergebnisse.
Der vierte Teil enthält die Zusammenfassung. Im Anhang sind die Tabellen mit den Wahlergebnissen zu finden.
Die vorliegende Arbeit stützt sich auf den Artikel von Matthias Jung „Parteinsystem und Wahlen in der DDR. Eine Analyse der Volkskammerwahl vom 18. März 1990 und der Kommunalwahlen vom 6. Mai 1990“, am 29. Juni 1990 in „Aus Politik und Zeitgeschichte“ veröffentlicht, sowie auf die Bücher von Robert Grünbaum „Deutsche Einheit“ und von Charles S. Maier „Das Verschwinden der DDR und der Untergang des Kommunismus“, die Ursachen, Rahmenbedingungen und Verlauf des historischen Wandels der Jahre 1989 und 1990 analysieren. Programmatische Konzepte der Parteien wurden dem Buch von Carola Wuttke und Berndt Musiolek „Parteien und politische Bewegungen im letzten Jahr der DDR“ entnommen, in dem das Entstehen politischer Parteien und Bewegungen im Prozess des gesellschaftlichen Umbruchs in der DDR dargestellt wird.
2. Politische Situation Oktober 1989 bis März 1990
Im Oktober 1989 brach die verborgene, seit langem sich verschärfende Existenzkrise des Sozialismus der ehemaligen DDR auf. Der Vertrauensverlust von Millionen Bürgern gegenüber der politischen Führung des Landes wurde offensichtlich, unübersehbar in der Flucht tausender Menschen über die ungarische Grenze.
Es entfaltete sich spontan und mit hohem Tempo eine Bewegung, die sich in Demonstrationen sammelte, an Orientierung und Bewusstheit, Kraft und Profil gewann, in den Forderungen nach Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vereinte und durch grundlegende gesellschaftliche Reformen die Erneuerung des Sozialismus erstrebte.
Eingeleitet durch Protestkundgebungen gegen Übergriffe von Staatssicherheit, gegen Verletzungen der Gesetzlichkeit und Einschränkungen der Informations-,
Vereinigungs-, Reisefreiheit durch die Machtorgane wurde die Forderung zur Beseitigung der alten Führung und ihres Machtmonopols der SED zum wichtigsten Ziel der ansteigenden Bewegung.
Die Straße ergriff die Initiative. Der Basischarakter der beginnenden Umwälzung prägte sich aus und der Dialog Regierter und Regierender wurde zum wichtigsten Ziel der Verständigung und Auseinandersetzung.
Es war der Anfang revolutionärer Umwälzung, deren Charakter und Ziele durch das Volk geprägt waren. Dieser Umbruch brach neue politische Strukturen hervor.
Die Situation verschärfte sich mit der Öffnung der Grenzübergänge zur Bundesrepublik Deutschland und nach West-Berlin am 9. November 1989.
Bei anhaltendem Druck der Ausreisewelle und der Massendemonstrationen vertiefte und erweiterte sich der Dialog von Bürgern und oppositionellen Bewegungen in aktuellen Problemen. Es entstand eine neue Öffentlichkeit. Die ersten Ergebnisse der friedlichen Revolution waren die vom Volk erzwungene Neufassung von Artikel 1 der Verfassung der DDR[3] mit der Streichung der Führungsrolle der SED in Staat und Gesellschaft und der Beschluss zur Durchführung von freien, gleichen, geheimen und direkten Wahlen der Volkskammer am 6. Mai 1990 sowie die Bildung einer neuen Regierung durch den Ministerpräsidenten Hans Modrow[4]. Die alte Führung wurde zum Rücktritt gezwungen und zur Verantwortung gezogen. Das Ministerium für Staatssicherheit und seine Organisationen wurden aufgelöst.
Als politisches Grundproblem stellte sich die Bestimmung des Selbstverständnisses der DDR und die Gewährleistung ihrer Souveränität unter Einfluss weit reichender Reformen und langfristig ihr Beitrag zur Einheit Deutschlands im Prozess der gesamtdeutschen Integration dar.
Neue politische Kräfte der oppositionellen Bewegungen (Neues Forum, Demokratie Jetzt usw.) konstituierten und profilierten sich in dieser Hinsicht programmatisch, organisatorisch und personell. Eine Vielzahl von Parteien (DA, SDP, DSU, F.D.P. u.a.) entstand analog den klassischen Strukturen des europäischen Parteienpluralismus. Der demokratische Basischarakter der Umwälzung vertiefte sich in den Bürgerbewegungen und in Initiativgruppen, die in allen gesellschaftlichen Bereichen entstanden. Es setzte sich auch ein Erneuerungsprozess der alten Parteien (SED, CDU, DBD, LDPD, NDPD) und gesellschaftlichen Organisationen ein, entstanden neue Profile, Strukturen, neue Leitungen wurden gewählt. Das bedeutendste Ergebnis dieser Veränderungen der politischen Macht bestand in der Konstituierung des Runden Tisches als neuer politischer Instanz, getragen von den neuen politischen Parteien und Bewegungen.
Inzwischen veränderten sich die soziale Struktur und das politische Profil der Massenbewegungen. Es wurde nach einer schnellen Einheit gefordert. Die wichtigsten politischen Aktivitäten verlagerten sich von der Straße in die Institutionen der Vertretungsdemokratie, und somit wurden die Parteien zu wirksamen politischen Instanzen und drängten ihrerseits auf Repräsentanz im Parlament.
Ende Januar 1990 rückte die Frage der deutschen Einheit in den Vordergrund der politischen Diskussion. Politisch wurde diese Tendenz als das Überspringen der Etappe der Vertragsgemeinschaft und konföderativer Strukturen zwischen beiden Staaten gesehen, ökonomisch durch eine Wirtschafts- und Währungsunion mit Strukturen einer Marktwirtschaft gestützt. In der Bevölkerung wuchs die Sorge um das ausreichende Funktionieren der Wirtschaft und um den Erhalt der sozialen Sicherheit.
Unter diesen Umständen verlief der Wahlkampf. Die wichtigsten Parteien etablierten sich, stellten sich auf den Wahlkampf ein, sie waren im weiter wachsenden Spektrum des Parteipluralismus platziert und durch Wahlbündnisse verflochten. Obwohl gesellschaftliche Organisationen und Verbände an Zahl unübersehbar waren, vermochten sie es nicht, ihren Platz in der neuen Demokratie auszufüllen. Das galt mit Ausnahme des Unabhängigen Frauenverbandes. Es bildete sich im Ergebnis der revolutionären Umwälzung das entsprechende Grundelement moderner repräsentativer Demokratie, der Parteienpluralismus, heraus. Allerdings war seine Wirkungsweise vorerst auf die ersten freien Wahlen begrenzt. Seine Bewährung und weitere Entfaltung setzte mit dem Wahltag ein[5].
Mit dem 18. März 1990 begann die letzte Phase revolutionärer Umwälzung, mit der die Stabilisierung der neuen gesellschaftlichen Verhältnisse eingeleitet werden sollte.
3. Volkskammerwahl vom 18. März 1990
3.1. Die Entstehung des Parteiensystems in der DDR. Der Wahlkampf
Die Herausbildung neuer Parteien und politischer Bewegungen gehörte zu den bedeutendsten Resultaten der Revolution. Vor dem Herbst 1989 war das Parteiensystem der DDR formal ein Mehrparteinsystem unter Vormachtstellung der SED. Es gab keine legalen oppositionellen Parteien. Im Herbst gingen aus verschiedenen Friedens-, Umweltgruppierungen und anderen Initiativgruppen die Bürgerbewegungen hervor, darunter das Neue Forum, Demokratie Jetzt und die Initiative für Frieden und Menschenrechte, aber auch der Demokratische Aufbruch, der sich jedoch schon sehr früh als Partei konstituieren wollte und sich nach der Abspaltung eines linken Flügels als liberal-konservative Partei etablierte. In ihrem Grundverständnis waren die Bürgerbewegungen stark an das Wirken ihrer Basisgruppen gebunden und bestrebt, enge parteipolitische Strukturen zu vermeiden. Neben der Grünen Partei gehörte auch noch die Deutsche Forumspartei, die als Abspaltung des Neuen Forums entstand. Die Gründungswelle von oppositionellen Parteien begann Ende Juli 1989, als die Initiative zur Konstituierung der SDP ausging und so in relativ kurzer Zeit ein pluralistisches Parteinspektrum entstand. Zunächst auf die Wahlen begrenzte Bündnisse sorgten für eine erste Zusammenfassung der politischen Kräfte. Schließlich setzte ein Erneuerungsprozess ein, der das Parteiprofil, die Programmatik und die Parteistruktur veränderte.
Typisch für diese Parteien war ihre Heterogenität, die solange kein Problem darstellte, wie sie sich ihre Aktivitäten hauptsächlich auf die Auseinandersetzungen mit der SED und dem staatlichen Unterdrückungsapparat konzentrierten[6]. Sie wurden aber dann zu einem Problem, als es erforderlich wurde, ein selbständiges programmatisches Profil zu entwickeln und in Konkurrenz zu anderen demokratischen Gruppierungen zu treten.
Da sich die politische Situation rapide verschlechterte, wurde es am 28. Januar 1990 vom Runden Tisch und der Modrow-Regierung beschlossen, den Termin für die Volkskammerwahl vorzuverlegen. Damit wurde die Zeit für den Wahlkampf knapp.
Die SED geriet durch massenhafte Austritte und Proteste der Mitglieder zwischen November 1989 und Januar 1990 in eine Existenzkrise. Sie gab sich einen neuen Namen die PDS und wählte einen neuen Parteivorsitzenden. Die personellen und programmatischen Veränderungen trafen jedoch in der Bevölkerung auf Misstrauen. Obwohl die Partei über eine landesweite Organisationsstruktur verfügte, machte sie den schwierigsten Erneuerungsprozess durch. Sie wurde auf Grund ihrer Hauptschuld an der DDR-Entwicklung von den anderen Parteien nicht als bündnisfähig anerkannt.
Dagegen konnten sich die CDU und die LDPD mit neuen Parteien in Wahlbündnissen vereinen. Beide Parteien beschritten jedoch ganz unterschiedliche Wege.
Mit dem langen Hinauszögern radikaler innerparteilicher Reformen verlor die LDPD viel von ihrem Ansehen, das sie in den Anfangstagen der Wende kurzzeitig gewonnen hatte. Im Februar 1990 wurde eine neue Parteiführung gewählt, eine neue Parteistruktur beschlossen, der Name in LPD geändert und ein Wahlprogramm mit liberalen Positionen verabschiedet.
[...]
[1] In dem „Demokratischen Block der Parteien und Massenorganisationen“ waren alle in der Volkskammer vertretenen Organisationen zusammengeschlossen, die sich an allen wichtigen politischen Entscheidungen beteiligen sollten.
[2] Grünbaum, R.: Deutsche Einheit. Berlin 2000, S. 76.
[3] Der Artikel 1 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik nennt politische Grundlagen. Die DDR war ein sozialistischer Staat unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer sozialistischen Partei.
[4] Grünbaum, R., S. 77.
[5] Musiolek, B. und Wuttke, C.: Parteien und politische Bewegungen im letzten Jahr der DDR.
Berlin 1991, S. 16.
[6] Jung, M.: Parteiensystem und Wahlen in der DDR. Eine Analyse der Volkskammerwahl vom 18. März 1990 und der Kommunalwahlen vom 6. Mai 1990 in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, 27, 1990, S. 4.
- Arbeit zitieren
- Olga Lodygina (Autor:in), 2006, Volkskammerwahl vom 18. März 1990, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56664
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