Werner Egk gehörte zu den erfolgreichsten und kulturpolitisch mächtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Sein Leben und Werk pendelte zwischen den Antipoden von Skandal und Establishment. Symptomatisch wird dies an der Rezeptionsgeschichte des Balletts ›Abraxas‹, einer Adaption des Faust-Mythos deutlich:
Die Erinnerung an ›Abraxas‹ ist geprägt von den Umständen des mit dem Ballett verbundenen Skandals. Dabei entfachte sich die öffentliche Entrüstung nicht am Werk selber, sondern an der von Kultusminister Dr. Alois Hundhammer geübten Kulturzensur. Sie stand 1949 in fataler zeitlicher Nähe zum Ende des ›Dritten Reichs‹ und im Widerspruch zu nun geltendem Recht. Das Ballett war also durch einen politischen, nicht aber künstlerischen Skandal geprägt. In heutiger Zeit, nur 50 Jahre nach seinem nationalen Erfolgssturm, ist es völlig aus der Rezeption verschwunden.
Claas Hanson untersucht in diesem Buch, inwieweit Werner Egk auf eine schockierende Wirkung seines Werkes spekulierte und ob gar im ›Skandal‹ der Grund für den nur temporären, aber heftigen Erfolg des Komponisten zu finden ist.
Die Empörung der Öffentlichkeit verweist auf die zeitaktuelle Auseinandersetzung mit dem ideologischen Wandel in Deutschland. Ein Beitrag zum Faust-Mythos kann sich 1947 diesem Diskurs nicht entziehen, ist die Faust-Figur doch im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte vom Lehrbild des protestantischen Sünders zum Sinnbild des deutschen Übermenschen avanciert.
Hanson geht der Frage nach, wie Werner Egk seine Abraxas-Figur im Kontext der Geschichte des ›Faustischen‹ positioniert und ob der vor und nach 1945 erfolgreiche Machtmensch Egk im ›Abraxas‹ eine Stellungnahme zur Ideologie des Nationalsozialismus abgibt.
Ein dritter Themenkomplex schließt sich damit direkt an: Werner Egks Verortung im Kultursystem des ›Dritten Reichs‹ und seine Position in der ›Moderne‹. Welche ästhetischen Postulate lassen sich aus seinem Kompositionsstil und welche Urteile und Visionen aus seinen Aussagen zur Entwicklung von Musik und Tanz im 20. Jahrhundert ablesen?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Biographische und Werkhistorische Anmerkungen
2.1. Egk in der NS-Zeit
2.2. Egks Kompositionsstil - ästhetische Einordnung
2.3. ›Abraxas‹ und der politische Skandal
3. Faust - der Mythos
3.1. Goethe
3.2. Heine
3.3. Von Heine zu Egk: das Libretto des ›Abraxas‹
4. Ein analytischer Ausflug ins ›Pandämonium‹
4.1. Formale Aspekte
4.2. Rhythmik und Instrumentierung
4.3. Melodik und Harmonik
5. Zusammenfassung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Erinnerung an ›Abraxas‹ ist geprägt von den Umständen des mit dem Ballett verbundenen Skandals. Dabei entfachte sich die öffentliche Entrüstung nicht am Werk selber, sondern an der von Kultusminister Dr. Alois Hundhammer geübten Kulturzensur. Sie stand 1949 in fataler zeitlicher Nähe zum Ende des ›Dritten Reichs‹ und im Widerspruch zu nun geltendem Recht. Das Ballett ist also durch einen politischen, nicht aber künstlerischen Skandal geprägt. Symptomatisch zeigt sich das in der partiellen Überlieferung des ›Abraxas‹. Während man leicht Zugang zu den Dokumenten und Paratexten des Skandals erhält, ist es unmöglich eine Filmaufzeichung der Choreographie und damit eine Vorstellung von dem wahren Erscheinungsbild des Balletts zu bekommen. Auch eine Aufnahme der Musik ist nur ›inoffiziell‹ in Form eines schlecht erhaltenen Live-Mitschnitts über den Schott-Verlag zu erhalten. Das Werk ist in heutiger Zeit, nur 50 Jahre nach seinem nationalen Erfolgssturm, völlig aus der Rezeption verschwunden.
Als erste Annäherung an Egks Faust-Ballett bietet sich also die Suche nach ›skandalösen‹ Elementen in Libretto und Partitur an: Kalkuliert Egk auf eine schockierende Wirkung seines Werkes? Ist im ›Abraxas-Skandal‹ der Grund für den nur temporären, aber heftigen Erfolg zu finden?
Die Empörung der Öffentlichkeit verweist auf die zeitaktuelle Auseinandersetzung mit dem ideologischen Wandel in Deutschland. Ein Beitrag zum Faust-Mythos kann sich 1947 diesem Diskurs nicht entziehen, ist die Faust-Figur doch im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte vom Lehrbild des protestantischen Sünders zum Sinnbild des deutschen Übermenschen avanciert. Für diese Arbeit schließen sich also folgende Fragen an: Wie positioniert Egk seine Faust-Figur im Kontext der Geschichte des ›Faustischen‹? Gibt der vor und nach 1945 erfolgreiche Machtmensch Egk im ›Abraxas‹ eine Stellungnahme zur Nazi-Ideologie?
Ein dritter Themenkomplex schließt sich damit direkt an: Egks Verortung im Kultursystem des ›Dritten Reichs‹ und seine Position in der ›Moderne‹. Welche ästhetischen Postulate lassen sich aus seinem Kompositionsstil und welche Urteile und Visionen aus seinen Aussagen zur Entwicklung von Musik und Tanz im 20. Jahrhundert ablesen?
Methodisch werde ich mich auf die Analyse und Deutung der Wege, die der Faust-Mythos, der Mensch Egk und sein Kompositionsstil genommen haben, beschränken. Dabei möchte ich biographische Aspekte, die Genese des Librettos und die Analyse eines Bildes aus ›Abraxas‹ verbinden, um den drei Fragekomplexen nachzuspüren.
2. Biographische und Werkhistorische Anmerkungen
Werner Joseph Mayer wird am 17. Mai 1901 in Auchsesheim bei Donauwörth in Bayern geboren, ist der Welt aber unter dem Namen Egk bekannt, den er sich in Anlehnung an die Initialen seiner Ehefrau Elisabeth Karl nach der Heirat 1923 selber gibt. Er besucht ein humanistisches Gymnasium und erhält ab 1912 systematischen Musikunterricht. Nachdem er das Abitur absolviert hat, entschließt er sich für die Musik und nimmt 1920 seine Studien in Frankfurt am Main auf. Von 1921 bis 1925 studiert er in München bei Carl Orff den linearen Kontrapunkt Ernst Kurths, der von Orff zu einem Entfesseln der inneren Kräfte des Komponisten instrumentalisiert wird.[1] Aus notorischem Geldmangel nimmt Egk in München als Mitarbeiter und Komponist für Schauspielmusiken der ›Schaubühne‹ im Steinickesaal den ersten Kontakt zum Theater auf. Eine wichtige Station seines künstlerischen Werdeganges markiert der Aufenthalt in Berlin 1928, wo er die neusten Werke deutscher Tonkunst studiert und persönlichen Kontakt zu Bertold Brecht und Kurt Weil aufnimmt, zu deren Bedeutung für Egks Schaffen ich an späterer Stelle zurückkommen werde. Durch Weills Vermittlung erhält Egk 1929 einen Kompositionsauftrag für die Berliner ›Funkstunde‹, der ihm die Tore zum Bayrischen Rundfunk öffnet. Noch im gleichen Jahr kehrt Egk nach München zurück und widmet sich der Komposition von Hörspielmusiken und Textvertonungen.
Doch sein Herz schlägt eigentlich für das Musiktheater und nachdem er 1932 die Funkoper ›Columbus‹ für den Bayrischen Rundfunk realisieren konnte, bot ihm der Schott-Verlag die Finanzierung einer ›echten‹ Oper an. Egk beendet 1933 seine Arbeit für den Rundfunk und nach fast zwei Jahren Arbeit gelangt ›Die Zaubergeige‹ im Mai 1935 zur Uraufführung. Es folgen Einladungen zu Gastspielen an zahlreiche deutsche Bühnen, die letztendlich zur Verpflichtung als Dirigent der Preußischen Staatsoper Berlin von 1937 bis 1941 führen. Für die Preußische Staatsoper komponiert Egk 1937/38 die Oper ›Peer Gynt‹ und 1939 das dramatische Ballett ›Joan von Zarissa‹, das eine erstmalige Auseinandersetzung mit dem faustischen Milieu markiert.[2] Das Puppenspiel vom Doktor Faust hatte er bereits 1928 durch die Tätigkeit seiner Frau am ›Marionettentheater Münchner Künstler‹ kennengelernt. Nach der eingehenden Beschäftigung mit dem Mythos in seiner Gestalt des Tanzpoems von Heinrich Heine im ›Abraxas‹ kehrt Egk ein letztes Mal in der ›Irischen Legende‹ von 1955 zu Faust-Figur zurück, die einen Gastauftritt erhält.
Ein mehrjähriger Werkvertrag mit der Stadt Frankfurt ab dem Jahre 1941 führt im Folgejahr zu einer szenisch überarbeiteten Version des ›Columbus‹. Diesen Schaffensabschnitt beleuchte ich genauer im folgenden Kapitel. Darum sei an dieser Stelle nur noch auf die Entstehung des ›Abraxas‹ in den frühen Nachkriegsjahren 1946/47 hingewiesen, der in der zweiten Lebensphase Egks eine stärkere Hinwendung zum Ballett und die Abwendung von der Oper markiert.
Werner Egk tut sich aber nicht nur als Komponist zumindest in seiner Zeit publikumswirksamen Musiktheaters, sondern auch als Musikpolitiker mit einem dezidierten Gefühl für Macht und Merkantiles hervor. Er reist 1937 zum ersten Mal als deutscher Deligierter zum Pariser Kongreß der CISAC (Confédération Internationale des Sociétés d’Auteurs et Compositeurs), der sich mit Urheberrechtsfragen beschäftigt. Ab 1942 ist Egk Interessenvertreter der Komponisten im Beirat der STAGMA (Staatlich anerkannte Gesellschaft für musikalische Aufführungsrechte) und Fachleiter der Komponisten in der Reichsmusikkammer. Nach dem zweiten Weltkrieg bemüht er sich um den organisatorischen Zusammenschluß der deutschen Komponisten und den Wiederaufbau der deutschen Urheberrechtsgesellschaft. Deren Nachfolge übernimmt die GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte), die auf die 1903 von Richard Strauss und Friedrich Rösch gegründete ›Genossenschaft Deutscher Tonsetzer‹ zurückgeht. Egk wird 1949 Mitglied des Beirats der GEMA und ist in den Jahren 1950 bis 1958 und 1967 bis 1972 deren Vorsitzender. Nationale, wie internationale musikpolitische Machtpositionen bekleidet er durch die Präsidentschaften im Deutschen Musikrat 1968 bis 1971 und in der CISAC 1976.
Darüber hinaus wirkt Egk von 1950 bis 1953 als ordentlicher Professor für Komposition und Direktor der Hochschule für Musik in Berlin, wird 1951 ordentliches Mitglied der ›Bayrischen Akademie der schönen Künste‹ und übernimmt zahlreiche Dirigate an deutschen Bühnen. 1959 erhält er das große Verdienstkreuz der BRD und 1962 den Bayrischen Verdienstorden. Er stirbt am 10. Juli 1983 in Inning am Ammersee.
2.1. Egk in der NS-Zeit
In der Auseinandersetzung mit Künstlerpersönlichkeiten, die im Deutschland der Nationalsozialisten verblieben und tätig gewesen sind, stellt sich unweigerlich die Frage nach ihrer politischen Position und moralischen ›Bewertung‹. Dabei wirft die Beurteilung der Lebensentscheidungen, seien sie von Privatpersonen oder Figuren des öffentlichen Lebens getroffen, eine Reihe von Problemen auf. Zu einfach ist die moralische Unterteilung in emigrierende, gute und sich arrangierende, schlechte Menschen. Die möglichen Abtönungen des Verhaltens, die wahren Geisteshaltungen und persönlichen Motivationen und Fähigkeiten zu Erkenntnis und Widerstand können nur unzureichend historisch ergründet und aus der heutigen Perspektive bemessen werden. Der Satz des ›Ich hätte aber…‹ geht heute leicht von den Lippen, offenbart aber allenfalls die eigene Überheblichkeit. Dies soll in keiner Art und Weise eine Rechtfertigung für verfehltes und verbrecherisches Handeln sein, sondern mir nur als Prolog zu einem Kapitel dienen, in dem ich mich selber der Gefahr und Versuchung einer selbstgerecht moralischen Aburteilung ausgesetzt sehe.
Nichts desto trotz macht es sich Werner Egk zu einfach, wenn er in den Entnazifizierungsprozessen jegliche Verantwortung von sich weist und glaubt, man könne Musik und Kultur nur dann politisch verantwortlich machen, wenn sie in direkter, ursächlicher Beziehung zu einem Verbrechen steht.[3] Die Brüche zwischen historischen Tatsachen in Egks Biographie und späteren, verklärenden Darstellungsversuchen lassen sich relativ leicht offenlegen. Seine teilweise widersprüchlichen Aussagen sind stets in einem schwebenden Zustand der Mehrdeutigkeit formuliert, der sowohl eine verurteilende, als auch rehabilitierende Interpretation offenhält.[4] Es ist diese Wortgewandtheit, die ihn befähigt, sich nicht nur als Musiker, sonder auch als Musikpolitiker und ›Diplomat‹ hervorzutun. Den Vorwurf des Opportunismus, geboren aus Machtstreben, Erfolg und der egoistischen Wahrung von Interessen, teilt sich Egk mit anderen Künstlern des dritten Reichs wie Richard Strauss. Interessant sind hier auch die weitergehenden Parallelen zwischen diesen beiden ›spätromantischen‹ Musikern, Machtmenschen, Kulturpolitikern und Kämpfern für das Urheberrecht.
Egk hatte sich als musikpolitische Größe vor und nach 1945 viele Freunde gesammelt, die sich in der Folgezeit des zweiten Weltkrieges zu Beschwichtigung und freier Interpretation seiner Biographie berufen sahen:
»Aber die Freunde und Paladine stellten sich bereitwillig – und aus durchsichtigen Gründen – an die Seite dieser zeitweilig mächtigsten Persönlichkeit des bundesdeutschen Musiklebens«.[5]
So tut sich sein wohlmeinender Biograph Ernst Krause durch die Konstruktion Egks zum fast schon naiv-waghalsigen, aber kompromisslos-subversiven Künstler hervor. Bemüht sich aber andererseits genauso, Egks Schaffen im ›Dritten Reich‹ als belangloses Gelegenheitswerk abzutun.[6] Die Darstellung der historischen Sachverhalte in Egks Autobiographie liest sich hingegen differenzierter. Die Sendung seiner Funkoper ›Columbus‹ war nur gegen die Widerstände und Vorbehalte einer in vorauseilendem Gehorsam zensierenden Medienindustrie durchzubringen.
»Freunde im Ausland zeigten sich nach der Sendung besorgt. Einer schrieb viel Zustimmendes und […] den Satz:›Schweigen ist Silber – Komponieren Dachau?‹«[7]
Und obwohl die Sendung ohne jede negative Konsequenz blieb und Egk sogar Folgeaufträge einbrachte, verbrannte er in einem Anflug von Paranoia alle Briefwechsel mit emigrierten Freunden, die ihm hätten gefährlich werden können. Er las ›Mein Kampf‹ und befand: »Das hat einer geschrieben, der sich des Menschenmordes freut«.[8] Die daraus gezogene Konsequenz, die Augen zu verschließen und nach den Regeln des Systems zu spielen, versucht er sich durch chinesische Weisheitssprüche schönzureden.[9]
Hier zeigt sich zum ersten Mal Egks permanentes Schwanken zwischen der Leugnung einer politischen Relevanz der Kunst und der Betonung ihrer subversiven Potentiale.[10] Je nach Verhandlungsposition führt er sie in der selbstbewußten Funktion des reinen Eskapismus oder des instrumentalisierbaren Machtinstruments.[11] Als Beispiel mag die Gegenüberstellung seiner Äußerungen im ›Völkischen Beobachter‹ und vor der Entnazifizierungskommission dienen:
»Ehrenwerte Leute, untadelige Charaktere und verdiente Bürger pflegen häufig kategorisch zu erklären: ›Die Kunst hat nichts mit er Politik zu tun‹ […] Wie alle Lügen, die lange genug wiederholt wurden, hat auch sie […] die Unantastbarkeit eines Dogmas angenommen […] Nach einem Gesundungsprozeß, der sich musikalisch vor allem in einer deutlichen Hinwendung zur Vorklassik ausgedrückt hatte, […] hoffen wir auf die Vermählung einer idealen Politik mit einer realen Kunst, damit sich in unserm Leben alles dorthin wenden möge, woher es seine Kraft zieht: zum Guten, Wahren, Gerechten und Schönen. […] und deshalb glauben wir, […] daß der in der Welt siegen wird, der diese Ideen auf seiner Seite hat«.[12]
Überdeutlich wird in diesen Passagen Egks diplomatische Ausdrucksweise sichtbar. Sie lassen sich sowohl als Verherrlichung des NS-Regimes, als auch als implizite Hoffnung auf ein anderes, wirklich an den Idealen orientiertes System verstehen. Im gleichen Duktus formuliert Egk sein Führerbekenntnis, zu dem er im Herbst 1944 aufgefordert wird:
»Die Basis der Kunst ist das Wahre, Schöne und Gute. So tief der Führer dem Wahren, Schönen und Guten verbunden ist, so tief sind die deutschen Künstler ihm auch verbunden«.[13]
Um schnellstmöglich seinen Arbeitsvertrag mit der Stadt Frankfurt wiederaufnehmen zu können, beantragt Egk selbst das Entnazifizierungsverfahren. Der öffentliche Kläger fordert ein fünfjähriges Berufsverbot und die Einziehung seines halben Vermögens:
»Wegen Mitwebens am Kulturvorhang, hinter dem die KZ-Öfen rauchten. Daraufhin stand ich auf und sprach: ›Ich beantrage eine Erhöhung des Strafmaßes auf zehn Jahre und auf Einziehung des gesamten Vermögens, falls zwischen meiner beruflichen Tätigkeit und den KZ-Verbrechen ein ursächlicher Zusammenhang besteht.‹ Die Kammer zog sich zurück und erkannte: Das Verfahren wird eingestellt«.[14]
Wieder zieht sich Egk durch sein Verhandlungsgeschick aus der Schlinge. Das ›Mitweben am Kulturvorhang‹, die eskapistische Funktion seiner auf ›leichte‹ Unterhaltung angelegten Musik hätte er nicht leugnen können. So äußert er sich gar nicht zum vorgebrachten Vorwurf, sondern übersteigert die Frage zur generellen Beurteilung der Relevanz und Reichweite der ›Vermählung idealer Politik mit realer Musik‹. Die Kommission geht auf seine seltsame ›Alles oder Nichts‹ Konstruktion ein und kann Egk nicht in direkte ursächliche Verbindung zum Völkermord stellen. An diesem Punkt der Schuldfreiheit wird er und die Kunst pars pro toto freigesprochen, politische Verantwortung und Relevanz von Kunst und Künstler geleugnet. Doch Egk erweckt zumindest den Anschein einer späteren Selbsterkenntnis im Kafkazitat:
»Zwei Jahre fühlte ich mich wie Josef K. in ›Prozeß‹ von Kafka. Seine Schuld war, daß er sich für unschuldig hielt, meine vielleicht auch«.[15]
In seiner Autobiographie führt Egk den persönlichen Widerstand auf mikropolitischer Ebene an: er nahm zwar an Empfängen mit Hitler teil, nur aber um »den ›Mann mit dem kleinen Bart und dem großen Maul‹ auf fünf Schritte Distanz studieren«[16] zu können. Dabei macht er die Subversivität der ›verborgenen‹ Gedanken geltend. Die steten Freiräume dieser persönlichen Bedeutungsproduktion führt er am Beispiel der Ausstellungen ›Entartete Kunst‹ und ›Entartete Musik‹ an, die als großer Kassenschlager den Menschen wieder den Zugang zu dieser Kunst ermöglichten. Egk wagt es im Fall von ›Peer Gynt‹ sogar diese Hintergedanken auszuformulieren. Nach seiner Vorstellung des perfekten Obertrolls befragt, antwortet er:
»Stecken Sie einen fetten Statisten in Generalshosen, […] dekorieren Sie das mit einer Menge Orden und Ehrenzeichen, dann haben Sie ein perfektes Kostüm!«[17]
Aber selbst dieser Fall deutlicher Markierung bleibt ohne direkte Konsequenz. So genügt es auch im Normalfall, subversive Subtexte durch oberflächig systemkonforme Lesarten zu kaschieren. Dieser Widerspruch zwischen den scheinbaren Freiräumen kultureller Produktion und der historischen Konstruktion eines ›Automatismus‹[18] der Bestrafung und Zensur läßt sich allgegenwärtig im Diskurs um das Dritte Reich auffinden.
Egk gleitet aber nicht unangefochten durch das Kultursystem. Der Referent der Musikprüfstelle im Propagandaministerium kritisiert in der Zeitung ›Angriff‹ an Egks Libretto zu ›Peer Gynt‹ die Nähe zu Brecht und in der Musik den Einfluß Kurt Weills. Und während Egk von zunehmender Nervosität geplagt wird, wird ihm doch die Zweischichtigkeit des Systems bewußt:
»Es gab im Gegenteil Versicherungen des Wohlwollens durch Leute, die wissen mußten, was unter der Decke gespielt wurde. Über dem Ganzen lag wie dichter Nebel ein ungreifbarer anonymer Widerstand«.[19]
Als Adolf Hitler dann aber selbst den ›Peer Gynt‹ besucht, hat Egk das kulturpolitische Versteckspiel nicht mehr nötig. Die Oper gefällt[20] und Egk öffnen sich die Tore. Er wählt auch weiterhin den angepaßten, mittleren Weg und hat mit seiner Musik Erfolg:
»Er will nichts von den Radikalsten annehmen […] Kompromißlos schafft er sich einen volksverbundenen, heimatbetonten Musikstil, der durchaus überzeitlich wirkt«.[21]
Im Laufe der folgenden Jahre erhält Egk öffentliche Kompositionsaufträge wie die Musik zum Festspiel ›Olympische Jugend‹ im Jahr 1936, die ihm auch die ›Goldmedaille für Musik‹ einbrachte, Filmmusik zum NS-Propagandafilm ›Jungens‹ 1941 und einem nicht ausgeführten Opernauftrag durch Goebbels 1939. Zudem wird Egk 1941 Leiter der Fachschaft Komponisten in der Reichsmusikkammer.[22]
Die Musik zu ›Jungens‹ hatte Egk nach eigenen Aussagen nur geschrieben, um seine kriegsbedingt verringerte Gage aufzubessern.
»Das Thema war harmlos […] Daß sie bei der Schlußapotheose für ihren Erfolg in HJ-Uniform ausgezeichnet wurden, störte mich wenig. Das war Milieu, sonst nichts. […] Ein Vierteljahrhundert später kratzte einer die Filmmusik aus dem Archivdreck, und ich avancierte vom Kulturbolschewisten zum Nazi«.[23]
Egk beklagt, daß er zum ›Opfer‹ einer Generation von ›Richtern‹ wird, die seine Vorstellung von der unbefangen unschuldigen Art seiner Arbeit im System nicht teilen. Sein Handeln vor und nach dem Ende des zweiten Weltkriegs entlarvt sich im selbst geschaffenen, apologetischen Spannungsfeld als Mischung aus opportunistischer Gewissenlosigkeit und berechneter Dummheit.
Gegen Ende des zweiten Weltkrieges schützt ihn aber sein Künstlerstatus nicht länger und seine Einberufung zum Wehrdienst wird immer wahrscheinlicher. Egk nutzt seine Kontakte und sein Verhandlungsgeschick und läßt sich ärztlich einen katastrophalen Gesundheitszustand bescheinigen. Der Bürgermeister Ingolstadts bemüht sich um ein Krankenhausbett[24] für Egk und verschafft ihm damit einen sechswöchigen Aufschub. Danach flieht er mit seiner Frau zu Freunden an den Ammersee und kann sich dort bis Kriegsende auf dem Dachboden verstecken.
Es wird Egk vorgeworfen, daß er nach dem Ende des Krieges kein direktes Wort der Erschütterung oder des Bedauerns äußert. Daß sich diese Aussagen aber indirekt im ›Abraxas‹ finden, werde ich an späterer Stelle noch gesondert ausführen. Trotzdem sieht sich Egk selbst in keinerlei Mitverantwortung und reagiert in den kommenden Jahren äußerst allergisch auf die ›Aufdeckungsversuche‹. Er klagt gegen Konrad Boehmer, einen Musikkritiker aus Amsterdam, per einstweiliger Verfügung und untersagt die Verbreitung bloßer, historischer Tatsachen,[25] die ihm nun mißverständlich und gefährlich erscheinen. Daß Egk damit Erfolg haben konnte, lag an teilweise ungeschickten Formulierungen Boehmers[26] und dessen rhetorischer Unterlegenheit in den Verhandlungen.
[...]
[1] »Musik als innere Dynamik, als Ergebnis von Reflexen aus dem Unterbewußtsein verdolmetschte er als Freisetzung der Gewalten, die im Inneren des Komponisten schlummern wie in der Tiefe eines Vulkans. […] ›Bedient euch der Regeln‹, sagte Orff, ›aber […b]ändigt euch nicht zu sehr.‹« (Werner Egk, Die Zeit wartet nicht, S.67). Daß Werner Egks Schaffen ein ständiges ›Bändigen‹ dieser Gewalten ist, wird sich im Folgenden zeigen.
[2] »Dabei trägt Joan, wie Egk ausdrücklich betont, schon ›faustische Züge‹«. (Ernst Krause, Oper und Ballett, S.156). Auch dieses Werk geht auf ein Puppenspiel (›Die Historie vom Ritter Don Jean aus Barcelona‹) zurück und berichtet von dem, von Abenteuer zu Abenteuer getriebenen Verführer, der »von gleich auf gleich mit dem Teufel [verhandelt] und versucht, sich Übermenschliches anzueignen« (Egk, Die Zeit wartet nicht, S. 322).
[3] Vgl. Werner Egk, Die Zeit wartet nicht, S.371.
[4] Was umso verwunderlicher ist, als daß das eindeutige Bekenntnis zur Ideologie ein wichtiges Kriterium für den Erfolg darstellte. »Obwohl – vielleicht aber gerade weil – Egk zu den erfolgreichen jüngeren Komponisten zählte, wurde es ihm nicht immer abgenommen, ganz von der Bewegung ergriffen zu sein. […] In einer Zeit, da jede kritische Bemerkung, zumal jeder Zweifel an der Linientreue zur Diffamierung hat werden […] lassen« (Albrecht Riethmüller, Komposition im deutschen Reich um 1936, S.267-268).
[5] Fred Prieberg, Musik im NS-Staat, S.26.
[6] »Egk veröffentlicht in den folgenden Jahren eine Reihe von Gelegenheitswerken, die dem braunen Zeitgeist recht wenig gemäß sind; wer sagt, daß sich der Autor mit ihnen kompromittiert habe, kennt vermutlich davon nicht eine Note« (Ernst Krause, Werner Egk, S. 24).
[7] Werner Egk, Die Zeit wartet nicht, S.206.
[8] Werner Egk, Die Zeit wartet nicht, S.206.
[9] »Wer auf des Tigers Schwanz tritt, wird gebissen« (Ebd., S.207).
[10] Es erweckt den Anschein als läge folgende Formel zu Grunde: Ist die Musik durch ihren Gebrauch kompromittiert und zweifelsfrei dem System dienlich gewesen (Kompositionsaufträge), so wird sie als ›belanglos und ungefährlich‹ stilisiert. Sollten Werke auch nach 1945 noch rezipierbar bleiben, so versucht sie Egk durch den Verweis auf subversive Tendenzen zu rehabilitieren.
[11] Egk rekurriert dabei nachträglich natürlich lediglich auf die Macht des Subversiven.
[12] Josef Wulf, Musik im dritten Reich, S.216-217.
[13] Fred Prieberg, Musik im NS-Staat, S.132.
[14] Werner Egk, Die Zeit wartet nicht, S.370-371.
[15] Ebd., S.370.
[16] Ebd., S.259.
[17] Ebd., S.302.
[18] Vgl. Anm. 4 und 7.
[19] Werner Egk, Die Zeit wartet nicht, S.308.
[20] Egk sieht sich eigentlich verloren, hat aber noch geringe Hoffnung: »Vielleicht ist er zu dumm, um das Stück zu verstehen, vielleicht blendet ihn sein eigener Größenwahn« (Ebd., S.311).
[21] Hermann Rudolf Gail, Junge völkische Musiker – Werner Egk. Die Musik Woche Berlin, III/47, 23. November 1935, S. 11. Zitiert nach: Prieberg, Musik im NS-Staat, S.318).
[22] Weil »Reichskulturkammerpräsident Goebbels ihn als die zuverlässigste unter den verfügbaren Persönlichkeiten mit Führerqualitäten in seinem Sinne ansah« (Fred Prieberg, Musik im NS-Staat, S.322).
[23] Werner Egk, Die Zeit wartet nicht, S.334-335.
[24] »Der Bürgermeister sagte: ›Ich bin verpflichtet, jeden Mann zu melden, der noch laufen kann. Sie sind zu Fuß gekommen […] Inzwischen bemühe ich mich für Sie um ein Bett im Krankenhaus.‹ […] Darauf lachten wir beide und ich ging erleichtert« (Ebd., S.364).
[25] Die Komposition der Musik zu den olympischen Spielen und zu Hitlers Geburtstag; dessen Liebe zu ›Peer Gynt‹, Goebbels Aufträge und die Gastspiele seiner Opern und Ballette in besetzten Städten.
[26] Vgl. hierzu auch: Fred Prieberg, Der Fall Werner Egk, S. 13.
- Citar trabajo
- Claas Hanson (Autor), 2003, Werner Egk - Abraxas, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56486
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