„ J e t z t aber haben wir Europa vom Krieg bewahrt und den Weg gezeigt, auf dem man auch in Zukunft ohne Kampf sich einigen könnte. Das ist der Gewinn des Kongresses: zum ersten Male hat ein solches europäisches Werk einem großen Kriege vorbeugen können.“
Keine geringere Bedeutung als diese sprach ein Zeitgenosse, Joseph Maria von Radowitz, dem Berliner Kongress von 1878 zu. Der im Auswärtigen Amt des Deutschen Reiches Beschäftigte war in seiner Funktion als „secrétaire du congrès“ am Gelingen und an der Vollendung des Vertragswerkes maßgeblich beteiligt. Er war den Sitzungen des Kongresses zugegen und somit Zeuge der einmonatigen Verhandlungen, an denen die Vertreter der europäischen Großmächte und des Osmanischen Reiches teilnahmen. In Absprache miteinander war es das Ziel Russlands, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens, Deutschlands und der Türkei den Frieden von San Stefano zu revidieren und damit den Ansprüchen der an Südosteuropa interessierten Mächte gleichermaßen zu entsprechen und so einen neuen Krieg verhindern zu können.
Der deutsche Diplomat Freiherr von Radowitz gibt die Ereignisse in seinen „Erinnerungen und Aufzeichnungen“ rückblickend wieder. Herausgegeben von Hajo Holborn erschienen sie 1925 als „Aufzeichnungen und Erinnerungen aus dem Leben des Botschafters Joseph Maria von Radowitz“ in zwei Bänden. Diese ermöglichen dem Leser einen sowohl dem Autor bezüglich biografischen, als auch auf die politischen Ereignisse bezogenen historischen Einblick. Von besonderen Interesse ist nun das speziell dem Berliner Kongress gewidmete Kapitel im zweiten Band. Es ist die Grundlage der folgenden Ausführungen und soll einen Zugang zu den im Sommer 1878 angesprochenen Geschehnissen bieten und darüber hinaus im Vergleich mit anderen schriftlichen Darstellungen eine kritische Auseinandersetzung erlauben.
Inhaltsverzeichnis
1. Die Autobiografie Radowitz` - eine nützliche Quelle?
2. Wie es zum Kongress kam
3. Radowitz wird Generalssekretär
4. Lebensstationen eines Botschafters
4.1 Eine Steile Karriere
4.2 Im Auswärtigen Amt
4.3 Radowitz bleibt Botschafter
5. Der formal-sprachliche Charakter des Werkes
6. Der Berliner Kongress – das 16. Kapitel
6.1 Die Vorgeschichte
6.2 Die Sitzungen
6.3 Briefe ergänzen die Ausführungen
6.4 Ein Vertrauter Bismarcks
6.5 Rivalen in Berlin
6.6 Der Kongress erhält den Frieden
6.7 Bismarck als „gewaltige Autorität“
6.8 Relevante Details
6.9 Die Vorstellung der Teilnehmer
6.10 Die einzelnen Kongresssitzungen
6.11 Die letzte Sitzung
7. Eine wertvolle Quelle
Literaturverzeichnis
1. Die Autobiografie Radowitz` - eine nützliche Quelle?
„ J e t z t aber haben wir Europa vom Krieg bewahrt und den Weg gezeigt, auf dem man auch in Zukunft ohne Kampf sich einigen könnte. Das ist der Gewinn des Kongresses: zum ersten Male hat ein solches europäisches Werk einem großen Kriege vorbeugen können.“[1]
Keine geringere Bedeutung als diese sprach ein Zeitgenosse, Joseph Maria von Radowitz, dem Berliner Kongress von 1878 zu. Der im Auswärtigen Amt des Deutschen Reiches Beschäftigte war in seiner Funktion als „secrétaire du congrès“[2] am Gelingen und an der Vollendung des Vertragswerkes maßgeblich beteiligt. Er war den Sitzungen des Kongresses zugegen und somit Zeuge der einmonatigen Verhandlungen, an denen die Vertreter der europäischen Großmächte und des Osmanischen Reiches teilnahmen. In Absprache miteinander war es das Ziel Russlands, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens, Deutschlands und der Türkei den Frieden von San Stefano zu revidieren und damit den Ansprüchen der an Südosteuropa interessierten Mächte gleichermaßen zu entsprechen und so einen neuen Krieg verhindern zu können.
Der deutsche Diplomat Freiherr von Radowitz gibt die Ereignisse in seinen „Erinnerungen und Aufzeichnungen“ rückblickend wieder. Herausgegeben von Hajo Holborn erschienen sie 1925 als „Aufzeichnungen und Erinnerungen aus dem Leben des Botschafters Joseph Maria von Radowitz“ in zwei Bänden. Diese ermöglichen dem Leser einen sowohl dem Autor bezüglich biografischen, als auch auf die politischen Ereignisse bezogenen historischen Einblick. Von besonderen Interesse ist nun das speziell dem Berliner Kongress gewidmete Kapitel im zweiten Band. Es ist die Grundlage der folgenden Ausführungen und soll einen Zugang zu den im Sommer 1878 angesprochenen Geschehnissen bieten und darüber hinaus im Vergleich mit anderen schriftlichen Darstellungen eine kritische Auseinandersetzung erlauben.
Mehrere Monographien und Aufsätze nähern sich entweder der Betrachtung des Kongresses über die gesamteuropäische Perspektive, die die politischen Zielsetzungen und Absichten der Großmächte beschreiben oder über die konkret deutsche, welche insbesondere in Hinblick auf den Reichskanzler Otto von Bismarck deutlich wird. Um so interessanter ist es nun die persönlichen Niederschriften Radowitz` vorrangig zu untersuchen und von ihnen ausgehend die Ereignisse einzuordnen. Zwar wird in bisher erschienen Darstellungen auf sie Bezug genommen, eine genauere Einsicht aber bleibt dem Leser verwehrt. So soll das Folgende diese Lücke schließen und letztlich zu der Einsicht führen, ob die ausführlichen Schilderungen gewinnbringende Erkenntnisse oder nur eine einseitige und somit verfälschte Sicht des Kongresses bieten und damit eher als unbrauchbar anzusehen sind. Es ist dabei bei weitem nicht möglich auf alle vom Autor auf 64 Seiten beschriebenen Ereignisse des Kongresses einzugehen, so dass bestimmte einzelne Textabschnitte herausgegriffen und näher beleuchtet werden.
2. Wie es zum Kongress kam
Nach dem achten russisch-türkischen Krieg, bei dem die Russen nur mit Mühe als Sieger hervorgingen und aufgrund des englischen Drucks auf die Besetzung Konstantinopels verzichteten , diktierten sie den Türken in San Stefano, einem Vorort der Metropole, einen Friedensvertrag. Er sah unter anderem die Unabhängigkeit Montenegros, Serbiens und Rumäniens sowie die Schaffung eines Großbulgarischen Reiches vor. Russland würde somit seinen Einfluss und Machtbereich auf Südosteuropa stark ausweiten. Mit Bekanntgabe der Vereinbarungen nach ihrer Ratifikation erfolgte jedoch eine breite Ablehnung des Vertrages insbesondere durch Großbritannien und Österreich/Ungarn, die in den Bestimmungen eine Bedrohung ihrer Interessenlage auf den Balkan sahen. Um einen Krieg zu verhindern, war Deutschland im Sommer 1878 Gastgeber eines internationalen Kongresses, der einen Ausgleich der an den Balkangebieten interessierten Mächte erbringen sollte.
3. Radowitz wird Generalsekretär
Joseph Maria von Radowitz wurde von Bismarck zum Generalsekretär des Kongresses berufen.[3] Seine Aufgabe war es nun den gesamten Ablauf der Sitzungen zu organisieren und die interne Arbeitsteilung der Mitarbeiter zu koordinieren. Gleichzeitig war er für die Erstellung des Protokolls verantwortlich, dass er mit Kollegen ausarbeitete und jeweils pünktlich zur folgenden Sitzung zur Annahme vorlegen musste. Während der einmonatigen Verhandlungen, so schreibt er selbst, sei er „der am meisten Angespannte und Geplagte gewesen“[4]. Für ihn war die Mitarbeit an diesem Kongress jedoch sehr lohnend und das fertige Vertragswerk, an dem er mitgewirkt und zu seinem Entstehen beigetragen hat, befriedigte ihn vollends.[5] Es stellte den Höhepunkt seiner Tätigkeit im Auswärtigen Amt in Berlin dar. Acht Jahre lang unterstand er dort der persönlichen Leitung Bismarcks, während denen er die „für die eigenen Leistungen ergiebigste(n)“[6] Zeit seiner politischen Karriere verbrachte. So ist es nicht verwunderlich, dass das 16. Kapitel, welches die Ereignisse des Berliner Kongresses beschreibt, das die meisten Seiten umfassende ist.
Wie oben schon erwähnt, liegen die von Radowitz persönlich verfassten Aufzeichnungen in zwei Bänden vor. Dem Vorwort entnehmend, veröffentlichte Hajo Holborn im Auftrag der Familie Radowitz das unvollendete Werk. Der Verfasser begann 1900 seine Erinnerungen, auch auf Tagebücher basierend, niederzuschreiben. Trotz das er es nicht schaffte, der Chronologie folgend alle Erlebnisse wiederzugeben, so liegt doch mit den veröffentlichten 25 Kapiteln seine gesamte Biografie bis 1890 vor.[7]
4. Lebensstationen eines Botschafters
4.1 Eine steile Karriere
Radowitz wurde 1839 als Joseph Maria Friedrich Wilhelm Ludwig in Frankfurt am Main geboren.[8] Einer ursprünglich in Ungarn ansässigen Adelsfamilie entstammend, wuchs er in wohlhabenden und von der Politik gekennzeichneten Verhältnissen auf.[9] Sein Vater, der ebenfalls Joseph Maria hieß, war preußischer General und für kurze sogar Außenminister.[10] In seinem Schatten und später aus ihm heraustretend, beschritt der junge Radowitz eine steile Karriere. Er studierte Jura und absolvierte den Militärdienst. Bereits 1861 wurde er mit Hilfe der Familie nahestehenden und wohlwollenden Politikern als Gesandtschaftsattaché nach Konstantinopel berufen.[11] Es folgte ein weiterhin in diplomatischen Diensten stehender Aufenthalt in Ostasien und 1865 die bedeutende Stelle des zweiten Botschaftssekretär in Paris, zu der er nach einer kurzen Beteiligung am deutsch-österreichischen Krieg zurückkehrte.[12] 1867 erfolgte seine Versetzung nach München, wo er eine Annäherung des süddeutschen an den norddeutschen Bund anstrebte und ein Jahr später die Tochter des russischen Gesandten heiratete. Ab 1870 wurde Radowitz als zum Legationsrat beförderter mit dem Generalkonsulposten in Bukarest betraut, womit er erstmalig selbständig ein diplomatisches Amt übernahm. Zwischenzeitlich den deutschen Botschafter in Konstantinopel vertretend, wechselte er 1872 in das Auswärtige Amt nach Berlin, wo er nun aktiv und zu seiner Zufriedenheit unter Fürst von Bismarck deutsche Politik mitgestaltete.[13]
4.2 Im Auswärtigen Amt
Die ersten 38 Lebensjahre bis zum Berliner Kongress sind im ersten Band zusammengefasst. Der zweite umreißt die Jahre von 1878 bis 1890. Trotz des ungleichen zeitlichen Umfangs sind die Bände gleich stark, was auf eine konzentriertere Darstellung der Ereignisse nach 1877 schließen lässt.
[...]
[1] Radowitz, Joseph Maria von: Aufzeichnungen und Erinnerungen aus dem Leben des Botschafters Joseph Maria von Radowitz. Band 2, Stuttgart 1925, S. 58.
[2] Ebd., S. 18.
[3] Ebd.
[4] Ebd., S. 22.
[5] Ebd., S. 60.
[6] Radowitz: Aufzeichnungen. Band 1, S. 252.
[7] Ebd., S. V.
[8] Lappenküper, Ulrich: Die Mission Radowitz. Untersuchungen zur Russlandpolitik Otto von Bismarcks (1871-1875). Schriftenreihe der Historischen Kommission der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, Band 40, Göttingen 1990, S. 307.
[9] Wolter, Heinz: Joseph Maria von Radowitz. Stationen einer diplomatischen Karriere, in: S. 252.
[10] Lappenküper: Mission, S. 307.
[11] Wolter: Radowitz, S. 253.
[12] Lappenküper: Mission, S. 307.
[13] Radowitz: Aufzeichnungen, S. 252.
- Quote paper
- Anonymous,, 2003, Der Berliner Kongress in den Erinnerungen des Freiherrn von Radowitz - Aspekte einer autobiografischen Perspektive, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56391
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.