1. Einleitung
Siegfried Kracauer veröffentlichte 1947 sein Buch "From Caligari to Hitler. A Psychological History of the German Film " im amerikanischen Exil. Dieses Buch wurde zu einem großen internationalen Erfolg. In Deutschland wurde es erstmals 1958 unter dem Titel "Von Caligari bis ! Hitler" veröffentlicht. Es kam stark gekürzt und entschärft auf den deutschen Markt. Kracauer analysiert in seinem Buch die Filme der Weimarer Republik mit Bezug auf die Zeitgeschichte. In der Übersetzung wurden die Inhaltsanalysen der Filme stark abgeschwächt. Erst 1979 kam die erste Neuübersetzung des gesamten Textes, einschließlich des Titels "Von Caligari zu Hitler", in deutscher Sprache auf den Markt. Der deutsche Stummfilm "Das Cabinet des Dr. Caligari" nimmt in seinem Buch größeren Raum ein als andere Filme und dient Kracauer hauptsächlich zur Stützung seiner Gesamtthesen über den Weimarer Film und die psychische Gemütslage der Deutschen von 1919 bis 1933.
In meiner Arbeit möchte ich Kracauers Analyse dieses Films kritisch untersuchen. Kracauer interpretiert die Aussage des Films in seinem Buch meiner Meinung nach zu politisch und realitätsbezogen. Ich möchte die Gründe für seine Lesart untersuchen und unter Einbeziehung von neueren Quellen die Problematik seiner Analyse darstellen. Ich möchte aufzeigen, dass er bei seiner Deutung aus dem amerikanischen Exil den Film rückwirkend ideologisiert, um ihn zur Bestätigung seiner Gesamtthesen zu nutzen.
Ich möchte in dieser Arbeit und bei der Betrachtung des Films kulturgeschichtlich vorgehen, im Sinne einer neueren literaturwissenschaftlichen Forschungsrichtung, dem "New Historicism" . Dabei wird davon ausgegangen, dass Literatur und Film nicht nur eine gesellschaftlich-historische Wirklichkeit spiegeln, von der sie selbst als Kunstwerk abgehoben sind, sondern selbst Teil dieser Wirklichkeit sind, indem sie Meinungen beeinflussen und bilden. Kunstwerke übernehmen Funktionen und entwickeln eine Eigendynamik, die nicht von den Filmemachern intendiert worden sein müssen. Der "New Historicism" deutet ein Kunstwerk innerhalb seines konkreten gesellschaftlich-historischen Kontextes. Der Kontext ist dabei nicht in seiner Bedeutung fixiert, sondern besteht wiederum selbst aus Texten, die je nach Ort und Zeit und Erkenntnisinteresse des Interpreten anders gelesen werden können.Es gibt laut "New Historicicm" keine unvermittelten "Fakten" und keine "objektive Geschichte", die beschrieben werden kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Siegfried Kracauer
2.1. Kracauers Hauptthesen in "Von Caligari zu Hitler"
3. Der Film "Das Cabinet des Dr. Caligari"
3.1. Abstract
3.2. Kracauers Filmanalyse
4. Methoden- und Quellenkritik
4.1. Originaldrehbuch
5. Andere Lesart des Films
6. Schlussbetrachtung
7. Anhang
Stab und Besetzung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Siegfried Kracauer veröffentlichte 1947 sein Buch "From Caligari to Hitler. A Psychological History of the German Film "[1] im amerikanischen Exil. Dieses Buch wurde zu einem großen internationalen Erfolg. In Deutschland wurde es erstmals 1958 unter dem Titel "Von Caligari bis [!] Hitler" veröffentlicht. Es kam stark gekürzt und entschärft auf den deutschen Markt. Kracauer analysiert in seinem Buch die Filme der Weimarer Republik mit Bezug auf die Zeitgeschichte. In der Übersetzung wurden die Inhaltsanalysen der Filme stark abgeschwächt. Erst 1979 kam die erste Neuübersetzung des gesamten Textes, einschließlich des Titels "Von Caligari zu Hitler", in deutscher Sprache auf den Markt. Der deutsche Stummfilm "Das Cabinet des Dr. Caligari"[2] nimmt in seinem Buch größeren Raum ein als andere Filme und dient Kracauer hauptsächlich zur Stützung seiner Gesamtthesen über den Weimarer Film und die psychische Gemütslage der Deutschen von 1919 bis 1933.
In meiner Hausarbeit möchte ich Kracauers Analyse dieses Films kritisch untersuchen. Kracauer interpretiert die Aussage des Films in seinem Buch meiner Meinung nach zu politisch und realitätsbezogen. Ich möchte die Gründe für seine Lesart untersuchen und unter Einbeziehung von neueren Quellen die Problematik seiner Analyse darstellen. Ich möchte aufzeigen, dass er bei seiner Deutung aus dem amerikanischen Exil den Film rückwirkend ideologisiert, um ihn zur Bestätigung seiner Gesamtthesen zu nutzen.
Zunächst stelle ich kurz den Autor Siegfried Kracauer vor, um vor diesem Hintergrund seine Argumentation und Sichtweise in seinem Buch besser nachvollziehen zu können. Dann beschreibe ich kurz die allgemeinen Hauptthesen seines Buches. Nach einem kurzen Abstract des Films folgt Kracauers Sicht auf den Film. Ich werde seine Methoden und Quellen kritisch untersuchen und dann unter Einbeziehung weiterer Quellen meine Lesart des Films darstellen.
Ich möchte in dieser Hausarbeit und bei der Betrachtung des Films kulturgeschichtlich vorgehen, im Sinne einer neueren literaturwissen-schaftlichen Forschungsrichtung, dem "New Historicism"[3]. Dabei wird davon ausgegangen, dass Literatur und Film nicht nur eine gesellschaftlich-historische Wirklichkeit spiegeln, von der sie selbst als Kunstwerk abgehoben sind, sondern selbst Teil dieser Wirklichkeit sind, indem sie Meinungen beeinflussen und bilden. Kunstwerke übernehmen Funktionen und entwickeln eine Eigendynamik, die nicht von den Filmemachern intendiert worden sein müssen. Der "New Historicism" deutet ein Kunstwerk innerhalb seines konkreten gesellschaftlich-historischen Kontextes. Der Kontext ist dabei nicht in seiner Bedeutung fixiert, sondern besteht wiederum selbst aus Texten, die je nach Ort und Zeit und Erkenntnisinteresse des Interpreten anders gelesen werden können. Je nach Kombination und Assoziation jedes Interpreten kommen unterschiedliche Lesarten zustande. Es gibt laut "New Historicicm" keine unvermittelten "Fakten" und keine "objektive Geschichte", die beschrieben werden kann.[4]
2. Siegfried Kracauer
Siegfried Kracauer wurde am 8. Februar 1889 in Frankfurt am Main geboren. Er entstammt einem kleinbürgerlichen jüdischen Elternhaus, in dem ein eher weltliches Verhältnis zum Judentum herrschte. Das Einzelkind bekam eine gute Ausbildung, denn im 19. Jahrhundert war dies bei Juden eine Grundvorrausetzung für den sozialen Aufstieg. Seine Kindheit war überschattet von ausgeprägten Minderwertigkeitskomplexen, verursacht durch Sprachfehler, körperlichen Kleinwuchs und unschönem Aussehen. Diese Benachteiligungen formten bei ihm einen starken Willen und ein Streben nach Erfolg. Nach dem Abitur studierte er und promovierte später in Architektur. Er meldete sich freiwillig bei Kriegsbeginn 1914, scheiterte aber wegen seiner schwachen Körperkonstitution bei den Gesundheitskontrollen. Er arbeitete als Architekt, bis er 1921 als Film- und Literaturredakteur in die Redaktion der Frankfurter Zeitung eintrat. Von 1922 bis 1933 leitete er die Feuilletons- Redaktion. 1933 kündigte ihm die Frankfurter Zeitung aus politischen Gründen. Er emigrierte zunächst nach Paris und arbeitete dort als Autor und Journalist. 1941 emigrierte er nach New York, wo er als Soziologe und Filmwissenschaftler arbeitete. 1942 erhielt er Nachricht über die Deportation seiner Mutter und Tante in das Konzentrationslager Theresienstadt. Im amerikanischen Exil veröffentlichte er 1947 "From Caligari to Hitler. A Psychological History of the German Film". Danach folgten keine Abhandlungen mehr zur Weimarer Zeit, sondern allgemeine Themen wie seine "Theory of Film" und verschiedene Buch- und Filmrezensionen. 1952 wurde Kracauer Forschungsdirektor für angewandte Sozialwissenschaften der Columbia University. Er starb am 26.11.1966 in New York.[5]
2.1. Kracauers Hauptthesen in "Von Caligari zu Hitler"
In seinem Buch behauptet Kracauer, dass man durch eine Analyse der Filme tiefenpsychologische Dispositionen aufdecken könnte, die in der Zeit von 1918 bis 1933 in Deutschland geherrscht haben. Dispositionen, die den Lauf der Ereignisse in der Weimarer Zeit beeinflussten und mit denen auch in der Zeit nach Hitler zu rechnen sei. Er nimmt an, dass auch die wissenschaftliche Betrachtung von Filmen gewinnbringend für Studien zur Erforschung des gegenwärtigen [1947!] Massenverhaltens sei und man diese Forschung um das Medium Film erweitern sollte.[6]
In den Filmen der Weimarer Republik erkennt er eine tief verwurzelte politische, kulturelle und soziale Ambivalenz im Denken und Handeln des deutschen Volkes, die die politischen und sozialen Ereignisse bestimmen sollten. Er sieht einen direkten Weg von den tiefenpsychologischen Dispositionen der Deutschen in der Weimarer Zeit zum Faschismus. Die Filme einer Zeit reflektieren diese psychologischen Dispositionen. Allerdings geschieht dies nicht bewusst, sondern unterhalb der Bewusstseinsebene. Kracauer bezeichnet diese unbewusste Ebene als so genannte Tiefenschichten der Kollektivmentalität, weil für ihn Filme nicht das Produkt eines Individuums sind, sondern eines Kollektivs. Dabei werden von der kommerziellen Filmindustrie Erwartungen und Wünsche nicht ignoriert, sondern das herrschende Massenbedürfnis erfüllt.[7] Durch seine Analyse der Filme 1918 bis 1933 konstruiert er in seinem Buch das psychologische Spiegelbild einer Nation, das auf ein geistiges Grundmuster der Deutschen hinweist. Dabei geht er nicht von einem unveränderlichen Nationalcharakter aus, sondern er beschreibt unbewusste Kollektivdispositionen und Tendenzen, die in einer bestimmten Phase der Entwicklung in der Bevölkerung aufzuspüren sind. In diesem Grundmuster sieht Kracauer aber auch gewisse Widersprüche, wie zum Beispiel, verschiedene Stimmungswechsel zwischen Verstummen, hilflosen Versuchen der Auflehnung gegen Autoritäten und erneuter Resignation. Das Ziel seiner Überlegungen und Thesenbildung liegt in dem Versuch, die Gründe für Hitlers Aufstieg und Machtergreifung ergründen zu wollen. Seiner Meinung nach könne die Aufdeckung der Dispositionen der Deutschen im Medium des deutschen Films dazu beitragen.[8]
3. Der Film "Das Cabinet des Dr. Caligari"
3.1. Abstract
Der Film[9] beginnt mit einem Zwischentitel: "Es gibt Geister […] Überall sind sie um uns her […]." Zwei Männer auf einer Parkbank erzählen sich ihre Erlebnisse. Eine Kreisblende leitet über zu der Geschichte des Erzählers und die Binnenhandlung beginnt. In einer Kleinstadt namens Holstenwall wird eine Mordserie mit der Figur des Dr. Caligari, eines Jahrmarktsschaustellers, in Verbindung gebracht. Francis, der Erzähler der Binnengeschichte, besucht mit seinem Freund Alan das Cabinet Caligaris. Dort stellt Caligari den Somnambulen Cesare zur Schau, der seit 23 Jahren schläft und weckt ihn vor dem Publikum auf. Es geschehen zwei Morde und ein Mordversuch in Holstenwall. Der erste Tote ist der Stadtsekretär. Alan ist, nach einer Weissagung des Somnambulen, der zweite Ermordete. Jane wird nachts geraubt. Francis nimmt die Spur auf und verdächtigt Caligari, seinen Somnambulen zu den Morden zu zwingen. Nach einer Verfolgungsjagd sucht Dr. Caligari Zuflucht in einem Irrenhaus. Dort findet Francis heraus, dass Caligari und der Direktor ein und dieselbe Person sind. Der Psychiater erweist sich als wahnsinnig und verfolgt von der Zwangsvorstellung, die Rolle Caligaris, eines Mystikers aus dem 18. Jahrhundert, zu übernehmen. Als man dem Direktor den toten Cesare bringt, bricht er zusammen und wird von seinem Personal in eine Zwangsjacke gesteckt. Hier endet die Binnenhandlung. In der Schlusseinstellung sehen wir wieder die beiden Männer, die sich von ihrer Parkbank erheben. Einer von den beiden ist Francis, der die Geschichte erzählt hat. Sie gehen in den Hof der Irrenanstalt und wir sehen Cesare, wie er eine Blume streichelt, Jane, die in den Himmel blickt und den Anstaltsdirektor, wie er sich um die Irren kümmert. Francis greift ihn an und wird in eine Zwangsjacke gesteckt. Der Direktor äußert, er wisse jetzt wie ihm zu helfen sei. Schlussblende auf das Gesicht des Direktors.
[...]
[1] Wird im Folgenden zur Vereinfachung "Buch" genannt.
[2] Uraufführung im Februar 1920 im Marmorhaus, Berlin. Wird im Folgenden zur Vereinfachung "Film" genannt. Daten zu Stab und Besetzung finden sich im Anhang.
[3] Vgl. Kaes S. 63. Der Begriff war ursprünglich auf die Shakespeareforschung beschränkt, stammt von Stephan Greenblatt und diente zuerst nur dazu, literaturhistorische, kontextinteressierte Forschung von der textimmanenten Analyse des New Criticism zu unterscheiden. Auch genannt: "New Cultural History", "Cultural Poetics" und "Symbolic Anthropology".
[4] Vgl. Kaes, S.56.
[5] Vgl. Brodersen, S. 7-137.
[6] Vgl. Kracauer, S. 7.
[7] Vgl. Kracauer, S. 12.
[8] Vgl. Kracauer, S. 14 und S. 18. Vgl. Bongartz, S. 11. Vgl. Brodersen 121.
[9] Daten zu Drehzeit und -ort, Erstaufführung, Stab und Besetzung finden sich im Anhang.
- Citation du texte
- Nicole Erksmeier (Auteur), 2006, Siegfried Kracauers Filmanalyse 'Das Cabinet des Dr Caligari'. Eine kritische Untersuchung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56347
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