Der frühmoderne Staat war von der Verfestigung des ständischen Systems und einer absolutistischen Ordnungspolitik, die in der heutigen Geschichtsschreibung als Konzept der Sozialdisziplinierung bekannt ist,1 geprägt.
Diese Politik, oder vielmehr diese Herrschaftspraxis, war Ausdruck einer spezifisch absolutistischen Herrschaftsauffassung und hatte die Generierung eines homogenen und disziplinierten Untertanenverbandes zum Ziel. Realisiert werden sollte dieses Ziel vor allem auf der normativen Ebene, d.h. durch Gesetze und Verordnungen, die sowohl von der Kirche als auch vom Staat erlassen wurden, und die das tägliche Leben der Menschen umfassend zu regeln beanspruchten.2
Die Medicinische Policey stellt nur einen Teil der vielen verschiedenen Formen der Policeyverordnungen dar. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung wurde in der Frühneuzeit nicht nur von Ärzten mit akademischer Ausbildung, Hebammen oder Chirurgen ausgeübt, sondern auch von fahrenden Dentisten, Scharfrichtern, Feldscherern, Kräuterhändlern, Okkultisten und anderen Medizinsachverständigen.3 Diese Vielschichtigkeit der „medizinischen Betreuung“ der Bevölkerung sollte sich bis ins 19. Jahrhundert hinein kontinuierlich zugunsten der „akademischen Ärzte“ verschieben. Eben dieser Prozeß ist zweifellos als ein Ergebnis jener Regulierung zu verstehen, die eingangs als „Konzept der Sozialdisziplinierung“ benannt wurde. Vielfach rezipiert in Geschichtswissenschaft, Literaturwissenschaft, Soziologie und Rechtswissenschaft, soll dieses Konzept langfristige gesamtgesellschaftliche Veränderungen beschreiben. Die Entstehungsgeschichte, die durch das Konzept der Sozialdisziplinierung ausgedrückt wird, hat ihre Anfänge in den wirtschaftlichen und sozialen Verdichtungen, Krisenphänomenen und Ordnungsproblemen [...]
1 Seidenspinner, W.: Bettler, Landstreicher und Räuber. Das 18. Jahrhundert und die Bandenkriminalität. In Volkskundliche Veröffentlichungen des Badischen Landesmuseums Karlruhe. Band 3. Karlruhe 1995. Hg. Siebenmorgen, H.: Schurke oder Held? Historische Räuber und Räuberbanden. S. 28.
2 Härter, Karl: Sozialdisziplinierung. In Hg. Völker – Rasor, Anette: Frühe Neuzeit. München 2000. S. 294- 299.
3 Wahrig, Bettina: Globale Strategien und lokale Taktiken. In: van Dülmen, Richard; Rauschenbach, Sina: Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft. Köln 2004.
Inhaltsverzeichnis
- I. Problemstellung und Einleitung
- II. „Policey“ als Form neuzeitlicher Herrschaftspraxis:
- II.I Entstehungsgeschichte
- II.II Begriffs- und Bedeutungsgeschichte
- III. Medicinische Policey und öffentliche Gesundheit
- IV. Zusammenfassung und Diskussion
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die „Medicinische Policey“ im Kontext der frühmodernen Herrschaftspraxis. Sie analysiert die Entstehung und Entwicklung dieses Bereichs der Polizei im Rahmen der Sozialdisziplinierung und beleuchtet die Rolle der „Medizinischen Policey“ bei der Regulierung der öffentlichen Gesundheit.
- Die Entstehung und Entwicklung der „Policey“ als Form der Herrschaftspraxis in der frühen Neuzeit
- Die Bedeutung der „Medicinische Policey“ für die Regulierung der öffentlichen Gesundheit
- Der Wandel des medizinischen Personals im Laufe der Geschichte
- Die Bedeutung von normativen und legislativen Maßnahmen in der Gestaltung des öffentlichen Gesundheitswesens
- Die Verbindung von „Policey“ und „Hygienebewegung“
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel I: Problemstellung und Einleitung: Dieses Kapitel stellt die Forschungsfrage und den historischen Kontext der Arbeit vor. Es geht um die „Sozialdisziplinierung“ im frühmodernen Staat und die Rolle der „Policey“ als Instrument der Herrschaftsausübung. Die „Medicinische Policey“ wird als Teilbereich dieses Systems eingeführt und in den Kontext der medizinischen Versorgung der Bevölkerung eingeordnet.
- Kapitel II: „Policey“ als Form neuzeitlicher Herrschaftspraxis: Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Entstehung und der Begriffsgeschichte der „Policey“. Es untersucht die Wurzeln des Begriffs in der frühen Neuzeit und seine Entwicklung bis zur Moderne. Es wird deutlich, dass der Begriff „Policey“ in der frühen Neuzeit eine umfassendere Bedeutung hatte als der heutige Begriff „Polizei“.
- Kapitel III: Medicinische Policey und öffentliche Gesundheit: Dieses Kapitel widmet sich den konkreten Auswirkungen der „Medicinischen Policey“ auf die öffentliche Gesundheit. Es analysiert die Regulierungsmaßnahmen, die auf das „medizinische Personal“ und die Lebensbedingungen der Bevölkerung zielten. Es werden die Entwicklungen der medizinischen Versorgung und die Entstehung der „Hygienebewegung“ aufgezeigt.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Schlüsselbegriffen „Policey“, „Medicinische Policey“, „Sozialdisziplinierung“, „öffentliche Gesundheit“, „Hygienebewegung“, „frühneuzeitliche Herrschaftspraxis“ und „medizinisches Personal“. Die Arbeit untersucht die Entstehung und Entwicklung dieser Konzepte im Kontext der frühmodernen Geschichte und beleuchtet ihre Bedeutung für die Gestaltung des gesellschaftlichen und politischen Lebens.
- Quote paper
- Tillman Wormuth (Author), 2006, Medicinische Policey, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55639