1. Einleitung: Jugendpastoral in der multikulturellen2 Gesellschaft
Die Diskussionen um das Zuwanderungsgesetz haben neben allem Streit auch zu einer größeren Anerkennung der Tatsache geführt, dass die Bundesrepublik Deutschland ein Zuwanderungs- bzw. Einwanderungsland ist. Dieser Paradigmenwechsel in der politischen Debatte3 stellt die bundesdeutsche Gesellschaft jetzt vor die Aufgabe, das gleichberechtigte Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Herkünften in einem Gemeinwesen zu gewährleisten. Dies hat auch Konsequenzen für die Kinder- und Jugendpastoral. Wenn das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) davon spricht, dass es für ‚jeden jungen Menschen’ Gültigkeit hat, und wenn der Synodenbeschluss „Ziele und Aufgaben kirchlicher Jugendarbeit“ Jugendpastoral als „Dienst der Kirche an der Jugend überhaupt“4 beschreibt, dann ist die Arbeit mit allen jugendlichen Zuwanderern (und nicht nur der katholischen oder christlichen) integraler Bestandteil kirchlicher Bildungs- und Jugendarbeit, die in Erfüllung des jeweiligen Auftrags zu leisten ist. Da die Kirchen sich in einer pluralistischen Gesellschaft vor allem für die Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen aus christlichem Geist einzusetzen haben, um so die Menschenwürde und Menschenrechte für jeden zu sichern, schließt dies die interkulturelle politische Bildungsarbeit mit ein. Theologisch gesprochen ist die Zuwendung zu (jungen) Migranten also keine Kür, sondern Fundament der Evangelisierung und des Engagements für eine ‚Zivilisation der Liebe und Gerechtigkeit’ sowie Teil der Option für die Armen, Unterdrückten und Benachteiligten. Wenn Jugendpastoral tatsächlich jeden Jugendlichen und den ganzen jungen Menschen im Blick hat und zu seiner „Menschwerdung nach Gottes Bild“5 beitragen will, dann muss sie diese veränderten Rahmenbedingungen für die Identitätsfindung Jugendlicher zur Kenntnis nehmen und die interkulturellen und interreligiösen Begegnungsmöglichkeiten, die unsere Gesellschaft bietet, als Herausforderung und Chance für die „Evangelisierung“ bzw. „Entwicklung einer christlichen Identität“6 begreifen.
In der Religionspädagogik ist im übrigen – insbesondere mit Blick auf den Religionsunterricht – unter der Überschrift „Beheimatung oder Begegnung?“ lange gestritten worden, welcher der beiden Zugangsweisen ein besonderer Vorzug gegeben werden muss, damit die Identitätsbildung gelingt. Der evangelische Religionspädagoge F. Schweitzer hat als Lösung dieser Streitfrage schon 1997 die „Kombination beider Sichtweisen“ vorgeschlagen, die auch mir sinnvoll erscheint: „Wir müssen heute beides ermöglichen: Identitätsfindung als Beheimatung und Identitätsfindung als Begegnung. Deshalb sollten wir den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit einräumen, feste Zugehörigkeitsverhältnisse zu entwickeln – u.a. durch einen konfessionellen oder christlich – ökumenischen bzw. kooperativen Religionsunterricht, dem dann, unter bestimmten Voraussetzungen, auch entsprechende Angebote anderer Religionen zur Seite treten könnten, zugleich sollten wir aber die Kinder und Jugendlichen auch immer wieder dazu herausfordern, diese Zugehörigkeiten zu überschreiten zugunsten interreligiöser und interkonfessioneller Begegnung und Verständigung“7.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Jugendpastoral in der multikulturellen Gesellschaft
- Vom ,Mauerbau' zur ,Olkrise' - vom Rotationsprinzip zum Einwanderungsland
- Interkulturelles Lernen — Klärung einiger Begriffe und Konzepte
- „Alle anders — alle gleich" als Grundprinzip des interkulturellen Lernprozesses
- Der interkulturelle Lernprozess
- „Kultur" und „Integration" — Stichworte zum Verständnis umstrittener Begriffe
- Kultur als soziale Grammatik
- Eine offene Identität des Einzelnen für eine offene Republik
- Interkulturelle Lernprozesse und die Identitätsentwicklung Jugendlicher
- Das traditionelle ,nationale' Selbstverständnis als Hindernis auf dem Weg zur offenen Republik und zur europäischen Bürgerschaft
- Konsequenzen für die interkulturelle politische Bildung als Teil der Jugendpastoral in der multikulturellen Gesellschaft
- Literatur
- Anmerkungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text „Interkulturelle politische Bildung in der kirchlichen Jugendarbeit" von Alfons Scholten beschäftigt sich mit der Herausforderung der multikulturellen Gesellschaft für die kirchliche Jugendarbeit. Der Autor analysiert die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland vom Anwerbeland zum Einwanderungsland und die damit verbundenen Herausforderungen für die Identitätsfindung Jugendlicher. Darüber hinaus untersucht er die Bedeutung des interkulturellen Lernens und die Rolle der politischen Bildung in diesem Kontext.
- Interkulturelles Lernen als Schlüssel zur Bewältigung der Herausforderungen der multikulturellen Gesellschaft
- Die Bedeutung der Identitätsbildung Jugendlicher in einem multikulturellen Kontext
- Die Rolle der politischen Bildung in der Jugendpastoral
- Das traditionelle nationale Selbstverständnis als Hindernis für eine offene Republik
- Die Notwendigkeit einer offenen Identität des Einzelnen für eine offene Republik
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die veränderten Rahmenbedingungen für die Jugendpastoral in der multikulturellen Gesellschaft. Der Autor betont die Notwendigkeit, allen Jugendlichen, unabhängig von ihrer kulturellen Herkunft, eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Das zweite Kapitel zeichnet die Geschichte der Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland nach und stellt die Entwicklung vom Rotationsprinzip zum Einwanderungsland dar. Das dritte Kapitel widmet sich der Klärung wichtiger Begriffe und Konzepte im Zusammenhang mit dem interkulturellen Lernen. Der Autor erläutert das Prinzip „Alle anders — alle gleich" als Grundlage für ein gelingendes Zusammenleben in einer offenen Gesellschaft. Darüber hinaus stellt er verschiedene Modelle des interkulturellen Lernprozesses vor und diskutiert die Bedeutung des Kulturbegriffs für die Integration und das Verständnis der Gesellschaft. Das vierte Kapitel befasst sich mit der Frage der Identitätsentwicklung Jugendlicher in einer multikulturellen Gesellschaft und analysiert das traditionelle nationale Selbstverständnis als Hindernis für eine offene Republik. Der Autor plädiert für eine offene Identität des Einzelnen, die es ihm ermöglicht, sich in einer pluralen Gesellschaft zu integrieren und aktiv an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens teilzunehmen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die interkulturelle politische Bildung, die Jugendpastoral, die multikulturelle Gesellschaft, die Integration, das interkulturelle Lernen, die Identitätsentwicklung, das nationale Selbstverständnis und die offene Republik. Der Text beleuchtet die Herausforderungen und Chancen der multikulturellen Gesellschaft für die kirchliche Jugendarbeit und plädiert für eine aktive Rolle der Kirche in der Gestaltung einer offenen und toleranten Gesellschaft.
- Citation du texte
- Alfons Scholten (Auteur), 2006, Interkulturelle politische Bildung in der kirchlichen Jugendarbeit - Aufgaben und Chancen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55610
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