Der österreichische Mediziner Arthur Schnitzler (1862-1931) war einer der bedeutendsten Dramatiker seiner Zeit. In seiner schriftstellerischen Tätigkeit zeigt sich die Fähigkeit den Lesern seiner Werke ein präzises und substanzielles Bild der Gesellschaft Wiens, insbesondere das des liberalen Bürgertums im Fin de siècle zu vermitteln. Ihm gelingt es in einer Weise, wie keinem anderen Autor seiner Zeit, Studien vorzulegen, die alle essentiellen Probleme dieser Gruppen mit akribischer Anschaulichkeit aufzudecken. Und so deren Lügen und oberflächlich erhaltene Moral ad absurdum zu führen. Dies beschränkt sich jedoch nicht nur auf das liberale Bürgertum der K. und k.-Gesellschaft der Donaumonarchie, in das er selbst als Sohn eines jüdischen Arztes hineingeboren wurde, sondern gewährt auch einen Blick auf alle anderen Gesellschaftsschichten. Eine besondere Rolle seines Schaffens nimmt dabei die Darstellung der Frauen, von der bürgerlichen Frau über das süße Mädel bis hin zur Dirne ein. Ihnen allen ist die Weigerung gemein „die Weltsicht des Mannes prinzipiell für sich zu akzeptieren“.
Im ‚Reigen’, einem zehn Dialoge umfassenden Zyklus von 1896/97, treffen Personen aller Schichten nur zum Zweck des sexuellen Aktes aufeinander. Dabei werden Typen bestimmter und für ihre Rolle in der Gesellschaft charakteristische Figuren in zufälligen und austauschbaren Konstellationen gegenübergestellt. Diese Konstruktion des freien Partnertausches nutzt Schnitzler dazu, „das Bild einer zugleich starr gegliederten uns atomisierten Gesellschaft [zu entwerfen], in der das Zusammentreffen zweier Menschen so zufällig wie folgenlos ist“. Trotz der Beliebigkeit brechen die Ständenormen nicht völlig auf, da sich die Männer um 1900 immer nur mit rangniedereren Frauen einließen, um sich ihrer Männlichkeit zu versichern. Dabei betrieben sie eine Art ‚Beutezug’. Schnitzler macht in seinem Werk besonders deutlich, dass die unterschiedlichen Moralvorstellungen eng mit dem jeweiligen gesellschaftlichen Stand verknüpft waren. So wird im ganzen ‚Reigen’ die Moral nur in den Szenen, in denen das Ehepaar auftritt, angesprochen. Eine besondere Schlüsselrolle hierbei nimmt der Dialog im ehelichen Bett ein, der im Gesamtzyklus mittig steht. In dieser Szene verdeutlicht sich insbesondere die Stellung der jungen Ehefrau innerhalb des Bürgertums. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Rolle der bürgerlichen Frau in der Gesellschaft des Fin de siécle
- Die Darstellung der jungen Ehefrau im ,Reigen'
- Der Einfluss der Ehe auf die gesellschaftliche Stellung der bürgerlichen Frau
- Sexualität in der Ehe: Die Ehefrau als Mutter und Heilige
- Die Möglichkeiten der Emanzipation
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Darstellung der bürgerlichen Frau im Werk Arthur Schnitzlers, insbesondere in seinem Stück ,Reigen'. Ziel ist es, die Rolle der Frau in der Gesellschaft des Fin de siécle zu analysieren und zu zeigen, wie Schnitzler die Doppelmoral der bürgerlichen Welt um 1900 aufzeigt. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Stellung der jungen Ehefrau im Reigen' gelegt, deren gesellschaftliche Position, sexuelle Freiheit und Möglichkeiten der Emanzipation im Fokus stehen.
- Die Doppelmoral der bürgerlichen Gesellschaft im Fin de siécle
- Die gesellschaftliche Stellung der bürgerlichen Frau und ihre Unterdrückung durch die Ehe
- Die Sexualmoral und die Verklärung der Ehefrau als Mutter und Heilige
- Die Möglichkeiten der Emanzipation der bürgerlichen Frau im Kontext der traditionellen Rollenmuster
- Die Darstellung der jungen Ehefrau im Reigen' und ihre Widersprüchliche Rolle als Frau, Ehefrau und Geliebte
Zusammenfassung der Kapitel
Im ersten Kapitel wird die Rolle der bürgerlichen Frau in der Gesellschaft des Fin de siécle beleuchtet. Schnitzler zeigt die Ambivalenz des Daseins der Frauen, die einerseits von der aufkommenden Moderne und dem Bedürfnis nach Bildung geprägt waren, andererseits aber in traditionellen Moralvorstellungen verhaftet blieben. Die strikte Geschlechterordnung, die die Frau auf die Funktion der Ehefrau und Mutter festlegte, und die durch die Gesellschaft vertretene Sexualmoral verstärkten diesen Zwiespalt.
Im zweiten Kapitel wird die Darstellung der jungen Ehefrau im Reigen' näher untersucht. Schnitzler zeigt, wie die Ehe die gesellschaftliche Stellung der Frau beeinflusst und sie zu einer Mutter und Heiligen stilisiert. Die Sexualität in der Ehe wird als ein Bereich des Lebens dargestellt, der von einer männlichen und einer weiblichen Variante geprägt ist, wobei die Frau in der Rolle der ,anständigen' Dame verhaftet bleibt. Die Möglichkeiten der Emanzipation der Frau werden im Kontext der traditionellen Rollenmuster und der gesellschaftlichen Erwartungen beleuchtet.
Das dritte Kapitel beleuchtet die Möglichkeiten der Emanzipation der bürgerlichen Frau im Reigen'. Es wird gezeigt, wie die junge Frau sich durch verbale und praktische Emanzipation aus den moralischen und kategorischen Fesseln zu befreien versucht. Schnitzler beschreibt die sexuelle Selbstbestimmung der Frau und ihre Fähigkeit, die traditionelle Sexualmoral zu hinterfragen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die bürgerliche Frau, die Gesellschaft des Fin de siécle, Arthur Schnitzler, Reigen, Ehe, Sexualität, Moral, Emanzipation, Rollenmuster, Doppelmoral, Tradition, Moderne, Selbstbestimmung, Selbstverantwortung, und das Lied von der Glocke.
- Arbeit zitieren
- Katerina Wolf (Autor:in), 2006, Die Emanzipation der bürgerlichen Frau in Arthur Schnitzlers 'Reigen', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55566
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