Fuchs und Rabe sind ein alt bekanntes Pärchen in der Fabeltradition. Schon seit der Antike streiten sich die beiden um ihre Beute. Wenn sie zusammentreffen, wissen wir schon am Anfang, wer als Sieger aus der Konfrontation hervorgehen wird: Der Fuchs, der ja bekanntlich ein schlauer und hinterlistiger Geselle ist, hat es immer wieder geschafft, den Raben um seine Beute zu betrügen.
Die lange Fabeltradition und die vielen Bearbeitungen dieser äsopischen Fabel haben uns eine klare Rollenverteilung gelehrt: Der schlaue Fuchs ist der Gewinner, der dumme Rabe hat das Nachsehen. Äsop transportiert damit eine ganz einfache Botschaft: Der Dumme wird am Ende der Verlierer sein, Dummheit wird bestraft. Die zahlreichen Bearbeitungen dieser Fabel, von Luther bis La Fontaine, haben diese klassische Rollenverteilung übernommen. Sprachlich und stilistisch variieren die einzelnen Bearbeitungen, im Kern, also ihrer Moral, bleiben sie immer gleich. Bis zu Lessing: Der Aufklärer begnügt sich nicht mit einer sprachlichen Bearbeitung. Im Gegenteil. Er verwendet den traditionellen Stoff, um ihn gegen die Erwartungen zu verdrehen, um so etwas Neues zu schaffen. Bei ihm ist der Fuchs nicht mehr der Gewinner, vielmehr verliert er alles, nämlich sein Leben. Der Rabe hingegen kann sich zum ersten Mal als der Sieger fühlen. Aber ist er das wirklich? Die Fabel von Lessing bereitet in ihrer Deutung mehr Probleme als ihre Vorgänger. Von Äsop bis La Fontaine lag die sogenannte Moral klar auf der Hand. Bei Lessing hingegen ist es schwierig, überhaupt eine Lehre herauszufinden. Das liegt zum einen an der von ihm bewusst angestrebten „Singularität des Falles“. Dadurch, dass das Fleisch vergiftet ist, lässt sich der Fall nicht verallgemeinern. Eindeutig ist lediglich die moralische Verurteilung des Fuchses, die im Epimythion deutlich wird. Doch die Fabel auf diese eine Aussage zu reduzieren, wäre zu einfach.
Im Folgenden wird versucht, die Bearbeitung Lessings zu analysieren. Da Lessing bei der Lektüre seiner Fabel immer die Kenntnis der äsopischen Fabel voraussetzt, wird auch bei der Analyse von dem Original ausgegangen. Es wird in einem ersten Schritt näher betrachtet, um anschließend die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Fabeln herauszustellen. Die wesentlichen Veränderungen erzielt Lessing durch die neuartige Konzeption der beiden Charaktere. [...]
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I) „Der Rabe und der Fuchs“ im Original von Aesop
II) Die Unterschiede zwischen den beiden Fabeln
III) Analyse der Lessing-Fabel
1. Der Rabe
2. Der Fuchs
3. Das Epimythion
IV) Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Fuchs und Rabe sind ein alt bekanntes Pärchen in der Fabeltradition. Schon seit der Antike streiten sich die beiden um ihre Beute. Wenn sie zusammentreffen, wissen wir schon am Anfang, wer als Sieger aus der Konfrontation hervorgehen wird: Der Fuchs, der ja bekanntlich ein schlauer und hinterlistiger Geselle ist, hat es immer wieder geschafft, den Raben um seine Beute zu betrügen.
Die lange Fabeltradition und die vielen Bearbeitungen dieser äsopischen Fabel haben uns eine klare Rollenverteilung gelehrt: Der schlaue Fuchs ist der Gewinner, der dumme Rabe hat das Nachsehen. Äsop transportiert damit eine ganz einfache Botschaft: Der Dumme wird am Ende der Verlierer sein, Dummheit wird bestraft.
Die zahlreichen Bearbeitungen dieser Fabel, von Luther bis La Fontaine, haben diese klassische Rollenverteilung übernommen. Sprachlich und stilistisch variieren die einzelnen Bearbeitungen, im Kern, also ihrer Moral, bleiben sie immer gleich.
Bis zu Lessing: Der Aufklärer begnügt sich nicht mit einer sprachlichen Bearbeitung. Im Gegenteil. Er verwendet den traditionellen Stoff, um ihn gegen die Erwartungen zu verdrehen, um so etwas Neues zu schaffen. Bei ihm ist der Fuchs nicht mehr der Gewinner, vielmehr verliert er alles, nämlich sein Leben. Der Rabe hingegen kann sich zum ersten Mal als der Sieger fühlen. Aber ist er das wirklich?
Die Fabel von Lessing bereitet in ihrer Deutung mehr Probleme als ihre Vorgänger. Von Äsop bis La Fontaine lag die sogenannte Moral klar auf der Hand. Bei Lessing hingegen ist es schwierig, überhaupt eine Lehre herauszufinden. Das liegt zum einen an der von ihm bewusst angestrebten „Singularität des Falles“. Dadurch, dass das Fleisch vergiftet ist, lässt sich der Fall nicht verallgemeinern. Eindeutig ist lediglich die moralische Verurteilung des Fuchses, die im Epimythion deutlich wird. Doch die Fabel auf diese eine Aussage zu reduzieren, wäre zu einfach.
Im Folgenden wird versucht, die Bearbeitung Lessings zu analysieren. Da Lessing bei der Lektüre seiner Fabel immer die Kenntnis der äsopischen Fabel voraussetzt, wird auch bei der Analyse von dem Original ausgegangen. Es wird in einem ersten Schritt näher betrachtet, um anschließend die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Fabeln herauszustellen.
Die wesentlichen Veränderungen erzielt Lessing durch die neuartige Konzeption der beiden Charaktere. Deshalb konzentriert sich die Analyse der Fabel nacheinander auf den Raben und den Fuchs. In einem letzten Teil wird versucht, sich der vielschichtigen Fabel mit verschiedenen Interpretationsansätzen zu nähern.
I) Der Rabe und der Fuchs im Original von Äsop
In einem ersten Schritt wird kurz die ursprüngliche Fabel von Äsop betrachtet. Dies ist deshalb notwendig, da Lessing sich selber ausdrücklich auf diese Fabel bezieht. Für die Lektüre seiner eigenen Fabel setzt er die der Äsopischen voraus[1].
Die Fabel erzählt die Geschichte eines Raben, der einen Käse gestohlen hat, diesen aber an einen Fuchs verliert, weil er seiner eigenen Eitelkeit erliegt, auf die Schmeicheleien des Fuchses herein fällt und darüber den Käse fallen lässt.
Diese Fabel vermittelt das typische Bild vom schlauen Fuchs und vom dummen Raben. Der Fuchs, als klug und gewitzt dargestellt, kommt durch eine List an sein Ziel. Sein Verhalten wird nicht weiter hinterfragt oder gar kritisch beurteilt. Dass es auch als hinterhältig gelten kann, steht nicht zur Debatte. Er ist der Kluge und deshalb wird seine Rolle als Gewinner akzeptiert.
Der Rabe hingegen ist der klassische Verlierer. Er ist dumm genug, auf die Schmeicheleien des Fuchses herein zu fallen. Seine eigene Eitelkeit betrügt ihn um seine Beute. Durch die schönen Worte des Fuchses geblendet, glaubt er tatsächlich, dass er singen könne. Eifrig bemüht, dies auch unter Beweis zu stellen, vergisst er den Käse und lässt ihn fallen. Er wird deshalb als „töricht“ charakterisiert und vom Fuchs ausgelacht. Er ist der doppelte Verlierer, denn er verliert nicht nur seine Beute, sondern erntet auch jede Menge Spott und wird gedemütigt.
An der Figur des Raben vermittelt Äsop die Moral seiner Fabel. Denn der Vogel wird nicht nur vom Fuchs, sondern auch vom Leser ausgelacht und verspottet. Mitleid mit dem Raben wird nicht erweckt, viel mehr Schadenfreude, denn der Leser meint, es geschehe dem Raben recht, seine dumme Eitelkeit müsse bestraft werden.
Die Moral ist nicht explizit formuliert, aber für den Leser klar und deutlich zu erkennen. Man könnte sie wie folgt formulieren: Wer so dumm und eitel ist, auf die Schmeicheleien eines anderen herein zu fallen, der wird am Ende für diese Dummheit bestraft. Die Fabel warnt davor, sich so zu verhalten wie der Rabe und stellt die Eigenschaften Dummheit und Eitelkeit an den Pranger. Dies ist die typische Moral der äsopischen Fabel: „die schalkhaft bloßgestellte Dummheit“. Die ursprüngliche, „lebenskluge Konsequenz der Fabel“ sei, „dass sich Eigennutz und Dummheit nicht auszahlen“[2].
II) Vergleich der beiden Fabeln
Bei der Betrachtung der Lessing-Fabel gilt es zunächst herauszuarbeiten, worin die zentralen Unterschiede zwischen der antiken Vorlage und Lessings Bearbeitung bestehen.
Die „tradierte Grundstruktur“[3] der äsopischen Fabel hat Lessing übernommen: Ein Rabe verliert seine eben ergatterte Beute an einen Fuchs, da er auf dessen Schmeicheleien her-
einfällt. Sowohl der grobe Handlungsverlauf als auch die Hauptakteure beider Fabeln stimmen überein.
Allerdings lassen sich bei Lessing auch zentrale Unterschiede zur Vorlage erkennen:
- Der wichtigste Unterschied betrifft den Gegenstand der Begierde. Dass Lessing aus dem Käse ein Stück Fleisch macht, ist zweitrangig. Die zentrale Veränderung besteht darin, dass diese Beute vergiftet ist. Dadurch ist sie nur scheinbar erstrebenswert, tatsächlich aber Tod bringend
- Durch die Vergiftung des Fleisches erreicht Lessing eine Veränderung des Endes und damit der Pointe der gesamten Fabel: Bei Aesop ist der Fuchs der eindeutige Gewinner der Fabel. Das ändert sich in der Lessing-Fabel durch das Gift: Auch wenn der Fuchs, genau wie bei Aesop, den Raben um seine Beute betrügen kann, ist er in diesem Fall der Verlierer, denn er stirbt an dem vergifteten Fleisch
- Die List, die der Fuchs anwendet, um das Stück Fleisch zu bekommen, ist anders als bei Äsop[4]. Statt den Raben zum Singen aufzufordern, so dass ihm die Beute entfällt, spricht er den Raben als „Vogel des Jupiters“ an, um ihn so zur freiwilligen Herausgabe zu bewegen, was ihm auch gelingt. Er appelliert also nicht nur an die Eitelkeit, sondern auch an die Großmütigkeit des Raben. Dabei spekuliert er weniger auf dessen Dummheit als auf seinen Stolz
- Der Rabe gibt die Beute freiwillig heraus, statt sie ungewollt zu verlieren. Er ist am Ende der Fabel zufrieden und fliegt davon. Dadurch wird auch er ganz anders charakterisiert, als im Original von Äsop.
Dies sind die zentralen Veränderungen der Lessingschen Bearbeitung. Durch diese Veränderungen entsteht eine völlig neue Fabel, in der, im Gegensatz zu den vorherigen Bearbeitungen beispielsweise von La Fontaine, nicht nur Äußerliches verändert ist, sondern auch der Sinn und damit die mögliche Moral völlig verdreht werden. Im Gegensatz zur Vorlage ist in Lessings Bearbeitung eine Moral nicht so einfach zu erkennen. Lessing selber schickt wie in fast allen Fabeln keine Moral, kein eigenes „fabula docet“ mit, „offenbar in der Annahme, dass das, was die Fabel erzählt, bereits von sich aus zur Anschauung bringe, was sie lehrt, und sich folglich eine ausgesprochene Deutung erübrige“[5]. Den Leser möchte Lessing dazu bringen, selber nachzudenken, „...er ist gehalten, sich selber bewusst zu machen und zu formulieren, was die Lehre ist...“[6]. Indes tut der Leser sich damit sehr schwer. Die Moral liegt nicht wie in der äsopischen Vorlage auf der Hand, im Gegenteil, sie versteckt sich und ist uneindeutig. Noch weiter verwirrt wird der Leser dadurch, dass Lessing zwar ein Epimythion anfügt, aber nicht in Form einer allgemeingültigen Regel, sondern einer moralischen Verwünschung. Das zeigt auch, dass der Fall, der hier geschildert wird, sich nicht verallgemeinern lässt. Im Gegenteil, dass der Fuchs stirbt, „ist nur ein Zufall“[7], nicht aber der Regelfall. Deshalb ist die hier von Lessing formulierte „Lehre“, nicht die tatsächliche Lehre, sie muss erst noch interpretiert werden. (Dass Lessing mit dieser Uneindeutigkeit seiner eigenen Fabeltheorie und damit evtl. auch seiner eigenen Intention von Grund auf widerspricht, ist in der Forschung vielerorts angesprochen und mitunter auch verurteilt worden[8]. Es soll aber nicht Thema dieser Arbeit sein und wird daher nicht behandelt.)
[...]
[1] Die Fabel steht im zweiten der drei Bücher. Die 30 Fabeln dieses Buches beruhen allesamt auf Fabeln von Äsop und Phaedrus, Lessing verweist direkt auf die jeweilige Vorlage. In der „Einleitungsfabel“, wie Hans Lothar Markschies sie nennt, macht Lessing zudem explizit darauf aufmerksam, dass er aus dem „Klumpen“ „eines vortrefflichen Künstlers“ etwas Neues geformt habe. Siehe hierzu: Markschies 1983, S. 153.
[2] Schmalzriedt 1998, S. 184.
[3] von Treskow 2000, S. 8.
[4] Dies kann als eine notwendige Konsequenz der „Vergiftung“ der Beute gesehen werden: Ein vergiftetes Stück Fleisch kann der Rabe natürlich nicht im Schnabel tragen, sondern nur in den Krallen. Deshalb hätte es dem Fuchs wenig genützt, den Vogel zum Singen aufzufordern und er musste eine andere List anwenden. Siehe hierzu: Ott 1988, S. 135.
[5] Pikulik 2001, S. 9.
[6] Ebd.
[7] Ott 1988, S. 136.
[8] S. u.a. Ott 1988, Pikulik 2001.
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