„Dubitando quippe ad inquisitionem venimus; inquirendo veritatem percipimus. Iuxta quod et Veritas ipsa: Quaerite inquit et invenieties, pulsate et aperietur vobis.”
Wenn Petrus Abaelard seinen Lesern das Zweifeln und Fragen empfahl, so tat er es niemals auf Grund rein theoretischer Überlegungen. Zeitlebens hatte der Philosoph, Theologe und einflussreiche Vertreter der dialektischen Methode selbst versucht, sich durch kritischen Umgang mit überlieferten Texten und durch den Einsatz logischer Sprachreflexionen der Wahrheit zu nähern. Seine Methoden waren für das 12. Jahrhundert neuartig, gar gotteslästernd. Demzufolge begegneten Abaelard zahlreiche Kritiker – allen voran Bernhard von Clairvaux –, die vehement seiner Betonung des schöpferischen, aktiven Anteils des Menschen an der Welterfahrung widersprachen. Doch gerade der Widerspruch eignete sich für Abaelards Ziele, und er nahm ihn gerne zum Ausgangspunkt, um sich der verstandesgestützten Erkenntnis zu nähern. Die Disputation wurde für ihn zur meistgenutzten Gesprächsform – nicht nur beim Unterrichten, auch seine Gegner forderte er dazu heraus. Nach streng logischen Prinzipien versuchte er, auf offene Fragen Antworten zu finden und wagte sich dabei auch an die Auslegung der Heiligen Schrift heran, zum Ärger vieler monastischer Vertreter, die dahinter eine unrechte Anmaßung göttlicher Autorität sahen. Das Verhältnis von Glaube und Wissen war für sie hierarchisch geordnet, wobei Wissen lediglich dem liturgischen Gebrauch dienen sollte. Ihrer Ansicht nach verkehrte Abaelard diese traditionelle Ordnung und gefährdete sie gleichzeitig.
Wer sich Abaelards Philosophie und seinen Verfahrensweisen nähern will, muss sich zunächst mit den ursprünglichen Inhalten und Zielsetzungen, ferner mit den Veränderungen der scholastischen Philosophie beschäftigen. Denn auch wenn das Schlagwort dazu verführt, diese mittelalterliche Denkart für uniform zu halten, war die Scholastik über die Jahrhunderte hinweg einem stetigen Wandel unterworfen, der schließlich gefährdete, was zu Beginn als wichtigste Aufgabe gedacht war: Die Rechtfertigung und Verteidigung der christlichen Lehre. Die Arbeit beginnt daher mit einer Darstellung über die Herausbildung der scholastischen Theologie und Philosophie. Besondere Beobachtung kommt dabei den bildungsgeschichtlichen Entwicklungen, der monastischen Wissensvermittlung sowie den Artes Liberales zu.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Herausbildung der scholastischen Philosophie und ihr Wandel im Hochmittelalter
- Die dialektische Methode Abaelards
- Philosophiegeschichtliche Einbettung
- Der Prolog in Sic et Non als Leitfaden für einen dialektischen Lösungsweg
- Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum — ein Anwendungsbeispiel
- Der Konflikt mit Bernhard von Clairvaux
- Vom Nebeneinander zum Gegeneinander
- Höhepunkt der Auseinandersetzung - Das Konzil von Sens
- Zusammenfassung der Vorwürfe
- Ergebnisse und Ausblick
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Auseinandersetzung zwischen Petrus Abaelard und Bernhard von Clairvaux zu Beginn des 12. Jahrhunderts. Sie analysiert Abaelards dialektische Philosophie und ihre Anwendung in seinen Schriften "Sic et Non" und "Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum". Die Arbeit untersucht den Konflikt zwischen Abaelards neuartiger Methode und Bernhards traditionellen Ansichten, die schließlich zum Konzil von Sens führte.
- Die Herausbildung und der Wandel der scholastischen Philosophie im Hochmittelalter
- Die dialektische Methode Abaelards und ihre Anwendung in seinen Schriften
- Der Konflikt zwischen Abaelards dialektischer Philosophie und Bernhards traditionellen Ansichten
- Die Rolle des Konzils von Sens in der Auseinandersetzung zwischen Abaelard und Bernhard
- Die Bedeutung des Widerspruchs für den kulturellen Wandel im 12. Jahrhundert
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Kontext der Arbeit dar und beschreibt die Ziele und den Aufbau der Untersuchung. Das zweite Kapitel beleuchtet die Herausbildung der scholastischen Philosophie und ihren Wandel im Hochmittelalter. Es betrachtet die Rolle der monastischen Wissensvermittlung und der Artes Liberales für die Entwicklung des scholastischen Denkens.
Das dritte Kapitel widmet sich der dialektischen Methode Abaelards. Es analysiert zunächst die philosophiegeschichtliche Einbettung seiner Methode und erläutert anschließend die Theorie der dialektischen Methode anhand des Prologs von Abaelards Schrift "Sic et Non". Exemplarisch wird im Anschluss sein Werk "Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum" hinsichtlich der Umsetzung der dialektischen Methode untersucht.
Das vierte Kapitel beleuchtet den Konflikt zwischen Abaelard und Bernhard von Clairvaux. Es beschreibt das Verhältnis der beiden Männer und die Entwicklung des Konflikts, der schließlich zum Konzil von Sens führte. Darüber hinaus werden die Hauptanklagepunkte Bernhards gegen Abaelard zusammengefasst.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die dialektische Philosophie, Petrus Abaelard, Bernhard von Clairvaux, das Konzil von Sens, die scholastische Philosophie, der Universalienstreit, die Trinitätslehre, Glaube und Wissen, der kulturelle Wandel im 12. Jahrhundert und die Auseinandersetzung zwischen Tradition und Innovation.
- Citation du texte
- Sandra Lachmann (Auteur), 2003, Die scholastische Philosophie und ihr Wandel im Hochmittelalter. Der Streit zwischen Petrus Abaelard und Bernhard von Clairvaux, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55380
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