Der Medienwissenschaftler Lothar Mikos konstatiert eine steigende lebensweltliche Orientierung des Fernsehens. Es gewinnen immer stärker solche Formate an Bedeutung, die das Verhalten und die Selbstdarstellung „authentischer“ Personen in den Mittelpunkt stellen. Es lässt sich also ein Trend zu Formen mit einem hohen „Authentizitätsanspruch“ ausmachen. Hickethier hält fest, dass „der Anteil der fiktionalen Unterhaltung zugunsten der nicht fiktionalen Unterhaltung langfristig abnimmt“. Ein Großteil dieser Entwicklung wird bestimmt durch die stetig steigende Anzahl an Formaten, die der Genrefamilie des Reality-TV´s zuzuordnen sind.
Diese Art der Fernsehunterhaltung wird seit ihrem ersten Erscheinen auf den bundesdeutschen Bildschirmen in Form von Talk-Shows Anfang der neunziger Jahre von einer heftigen gesellschaftlichen Debatte begleitet. Kritisiert wird an diesen Sendungen vor allem immer wieder, dass Menschen zu Schauobjekten degradiert würden, dass sie Beschimpfungen und Diskriminierungen ausgesetzt würden und dass die Grenze zwischen Öffentlichkeit und Privatssphäre aufgehoben würde. Aus rechtlicher Sicht steht bei all diesen Problemen im Mittelpunkt vor allem die Frage nach der Achtung der Menschenwürde. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte der Diskurs sowohl in gesellschaftlicher als auch in juristischer Hinsicht 1999 mit der Einführung des Formats „Big Brother“ durch RTL 2. Verschiedene Rechtswissenschaftler setzten sich in Aufsätzen und Gutachten mit der Frage der medienrechtlichen Zulässigkeit der Sendung auseinander, die mehrheitlich bejaht wurde. Doch die Frage nach den rechtlichen Grenzen, die dem Reality-TV aufgrund der Menschenwürde gesetzt sind, ist angesichts der Programmentwicklung in jüngster Vergangenheit weiterhin von Bedeutung. Zwar ist die einst sehr hitzig geführte Debatte mittlerweile etwas abgekühlt, doch ist beim Entstehen neuer Formate ein ständiges Absenken der Hemmschwelle auf Seiten der Programmveranstalter zu beobachten.
Der ehemalige Intendant des ZDF Dieter Stolte sieht in dieser Entwicklung gar die Gefahr einer Veränderung des Menschenbildes durch das Fernsehen. Großes öffentliches Aufsehen erregte 2004 die Dschungel-Show „Ich bin ein Star - holt mich hier raus“. Der Vorsitzende der SPD-Medienkommission, Kurt Beck, warf der Produktionsfirma ENDEMOL vor, „die Menschenwürde mit Füßen zu treten“ und die „Grenzen bei weitem zu sprengen“.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Medienwissenschaftliche Einordnung des Untersuchungsgegenstandes „Reality-TV"
- Rechtsgrundlagen für das Fernsehen
- Die Rundfun#reiheit aus Art. 5 Abs. I Satz 2 GG
- Einfachgesetzliche Umsetzung der Vorgaben des BVerfG
- Die Menschenwürde aus Art. I Abs. 1 GG
- Grundrechtscharakter der Menschenwürde
- Schutz der Menschenwürde durch den Staat?
- Schutz-pflicht gegenüber dem Rundfunk?
- Erforderliche Schutzmaßnahmen zum Schutz der Menschenwürde im Rundfunk
- Schutzbereich der Menschenwürde
- Unantastbarer Höchsnvert des Grundgesetzes
- Positive Bestimmung des Schutzbereichs
- Negative Bestimmung des Schutz bereichs
- Menschenwürdeverletzung
- Gefährdungs lage
- Verletzungsintensität
- Verletzungszusammenhang
- Schutz der Menschenwürde durch allgemeine Programmgrundsätze
- Was sind Programmgrundsätze?
- Einfachgesetzliche Verankerung der Programmgrundsätze
- Programmgrundsätze als Schranken der Rundfun#reiheit?
- Sind Programmgrundsätze „allgemeine Gesetze" im Sinne des Art.5 Abs.2
- Materiell-rechtlicher Inhalt der Programmgrundsätze zum Schutze der Men- schenwürde
- Mögliche Verletzungen der Menschenwürde durch Reality-TV
- Unterschiedliche Schutzgüter
- Teilnehmerschutz
- Problem der Einwilligung
- Zur Disponibilität der Menschenutirde am Beispiel der Diskussion um „Big Brother"
- Überschaubarkeit des Einwilligungsinhalts
- konkrete Verletzungslagen
- Zwang als Voraussetzung für eine subjektive Menschenwürdeverletzung
- Unzulässige Kommerzialisierung des Menschen
- Kontrollverlust und Verächtlichmachung bzw. Herabwürdigung
- Selbstbezichtigung
- Gewaltdarstellung
- Problem der Einwilligung
- Schutz der grundgesetzlichen Werteordnung
- Rezipientenschutz
- Interventionsmöglichkeiten bei Verstößen gegen die Menschenwürde in
Rundfunkp rogram men
- Verhältnis RStV und Landesmedien- Rundfunkgesetze
- Unterschiedliche Konfrol/systeme
- Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
- Zuständigkeit
- Befugnisse des Rundfunkrates
- Privater Rundfunk
- Zuständigkeit
- Befugnisse der Landesmedienanstalten
- Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
- Staatliche A4fsicht über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Landes- medienanstalten
- Zusammenfassung
- Literaturverzeichnis
- Monographien und Sammelwerke
- A 4fsätze
- Zeitungsartikel
- Sonstiges
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit befasst sich mit der Frage, welche rechtlichen Grenzen dem Reality-TV aufgrund der im Grundgesetz als höchstem Rechtsgut verankerten Menschenwürde gesetzt werden. Es soll dargelegt werden, inwieweit der Gesetzgeber aufgrund von Altl Abs. 1 GG verpflichtet ist, im Rundfimkbereich zum Schutz der Menschenwürde tätig zu werden. Des Weiteren wird es darum gehen, wie der Staat seine grundgestzlichen Pflichten auf einfachgesetzlicher Ebene umgesetzt hat und welche konkreten Folgen das Rir die Rundfunkeranstalter hat.
- Die Menschenwürde als höchstes Rechtsgut im Grundgesetz
- Die Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Rundfunk
- Die rechtliche Bewertung von Reality-TV-Formaten
- Die Rolle von Programmgrundsätzen im Rundfunk
- Interventionsmöglichkeiten bei Menschenwürdeverletzungen im Rundfunk
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Arbeit stellt die steigende Bedeutung von Reality-TV-Formaten im Fernsehen fest und beleuchtet die gesellschaftliche und rechtliche Debatte um diese Sendungen, insbesondere im Zusammenhang mit der Frage der Menschenwürde.
- Medienwissenschaftliche Einordnung des Untersuchungsgegenstandes „Reality-TV": Dieses Kapitel definiert Reality-TV und seine Merkmale, wobei es auf die Rolle der Akteure, den hohen Grad an Realitätsnähe und die Inszenierung des Alltags fokussiert.
- Rechtsgrundlagen für das Fernsehen: Hier wird die Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als Grundlage für die Rundfunkkommunikation erläutert. Das BVerfG hat die besondere Stellung des Rundfunks in Bezug auf die Meinungsbildung und die freiheitlich-demokratische Grundordnung hervorgehoben.
- Die Menschenwürde aus Art. I Abs. 1 GG: Die Menschenwürde wird als subjektives Grundrecht und als höchstes Rechtsgut des Grundgesetzes vorgestellt. Es wird die Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Rundfunk diskutiert, wobei die Abwägung zwischen Rundfunkfreiheit und Menschenwürde im Mittelpunkt steht.
- Schutz der Menschenwürde durch allgemeine Programmgrundsätze: Dieses Kapitel beleuchtet die Programmgrundsätze als Schranken der Rundfunkfreiheit und die Frage, ob sie als „allgemeine Gesetze" im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG zu qualifizieren sind. Es wird der materiell-rechtliche Inhalt der Programmgrundsätze zum Schutze der Menschenwürde erörtert.
- Mögliche Verletzungen der Menschenwürde durch Reality-TV: Hier werden die verschiedenen Schutzgüter, die durch Reality-TV betroffen sein können, vorgestellt, darunter der Teilnehmerschutz, der Schutz der grundgesetzlichen Werteordnung und der Rezipientenschutz. Es werden konkrete Verletzungslagen im Bereich des Teilnehmerschutzes, wie z.B. die Problematik der Einwilligung, die unzulässige Kommerzialisierung des Menschen, der Kontrollverlust und die Verächtlichmachung sowie die Selbstbezichtigung und Gewaltdarstellung, diskutiert.
- Interventionsmöglichkeiten bei Verstößen gegen die Menschenwürde in Rundfunkp rogram men: Dieses Kapitel beleuchtet die unterschiedlichen Kontrollsysteme im öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Es werden die Zuständigkeiten und Befugnisse der Rundfunkräte und Landesmedienanstalten im Falle von Menschenwürdeverletzungen im Rundfunkprogramm erläutert.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Menschenwürde, die Rundfunkfreiheit, Reality-TV, Programmgrundsätze, Teilnehmerschutz, Rezipientenschutz, Landesmedienanstalten, Rundfunkräte, und die rechtlichen Grenzen des Fernsehens. Die Arbeit analysiert die Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Rundfunk und die verschiedenen Interventionsmöglichkeiten bei Menschenwürdeverletzungen im Rundfunkbereich.
- Citation du texte
- Johan-Till Broer (Auteur), 2005, Rechtliche Grenzen des Reality-TV vor dem Hintergrund der Menschenwürde, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55293
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