Aufgrund der wenigen aktuellen Konzeptionen und der Ratlosigkeit vieler Einrichtungen und Betroffenen, war es mir wichtig, mich mit diesem Thema zu befassen, um die aktuelle und zukünftige Situation und auch Wege und Konzepte aufzuzeigen, wie Menschen mit geistiger Behinderung im Alter zufrieden leben können.
Im ersten Kapitel befasse ich mich mit der Begriffsdefinition von „geistiger Behinderung“, ihrer Problematik und Entstehung, sowie mit der Diagnostik von geistiger Behinderung. Im zweiten Kapitel erläutere ich das Menschenbild das meiner Arbeit zugrunde liegt. Das dritte Kapitel handelt vom Alter und dem Versuch einer Definition des Begriffes. Die drei Bereiche des Alterns, sowie der entsprechende Personenkreis werden in diesem Kapitel genauer erläutert.
Im vierten Kapitel befasse ich mich mit statistischen Untersuchungen der demographischen Entwicklung und nachfolgend mit der Lebenserwartung von Menschen mit geistiger Behinderung. Im fünften Kapitel geht es um die Lebenssituation von älteren Menschen mit geistiger Behinderung.
Im sechsten bis achten Kapitel befasse ich mich mit der Wohn-, Arbeits-, und Freizeitsituation von Menschen mit geistiger Behinderung, ihrer Bedeutung für diese Menschen und den aktuellen Konzepten aus der Praxis. Zu den jeweiligen Punkten werden dann auch Handlungskompetenzen aufgezeigt, die bei einer Umsetzung in der Praxis zu beachten sind.
Im neunten Kapitel geht es um die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod. Es werden Konzepte aus der Praxis dargestellt, wie man Menschen mit geistiger Behinderung die Möglichkeit geben kann, sich damit auseinander zusetzen. Außerdem wird die Sterbebegleitung genauer betrachtet und wie diese in Wohneinrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung realisierbar ist. Zum Abschluss folgen das Resümee und der Ausblick.
EINLEITUNG
„Auf einmal waren sie da - wie ein Naturereignis oder ein überraschender Besucher - so scheint es manchmal, wenn von den heute alten Menschen mit lebenslanger Behinderungserfahrung die Rede ist.“ (WACKER 2004, 85)
Ich denke, dass dieses Zitat von WACKER sehr treffend ist, da sich die Behindertenhilfe erst in den letzten Jahren intensiver mit dem Thema „Ältere Menschen mit geistiger Behinderung“ auseinander gesetzt hat. Um die Aussagekraft dieses Zitates noch zu unterstreichen habe ich Bestandteile daraus in meinem Titel verwendet.
Vor 23 Jahren wurde von der Internationalen Liga für Menschen mit geistiger Behinderung, in deren Grundsatzdokument: „Alter und geistige Behinderung“, 1982 in Brüssel folgendes festgeschrieben:
„Wir sind in der institutionellen Behindertenhilfe ebenso wie in der Öffentlichkeit noch weit davon entfernt, den Anliegen von älteren und alten Menschen mit geistiger Behinderung ausreichend nachzukommen. Sie bilden innerhalb ihrer nichtbehinderten Altersgenossen nochmals eine Randgruppe. Und doch haben sie das gleiche Anrecht auf Lebensqualität wie die große Mehrheit der nichtbehinderten alten Leute dieser Welt.“ (SCHMID-THIMME, 1990,110).
Heute müssen wir uns mit dieser Thematik intensiver auseinander setzen, um Lösungen zu finden, wie man älteren Menschen mit einer geistigen Behinderung optimale Lebens- und Wohnbedingungen sowie eine gute Begleitung in einen sinnerfüllten Lebensabend bieten kann. Leider kommt diese Auseinandersetzung meines Erachtens zwanzig Jahre zu spät. Man hätte schon damals diesem Thema mehr Beachtung schenken sollen.
Aber durch die Annahmen einer geringeren Lebenserwartung von Menschen mit einer geistigen Behinderung und der Tatsache, dass keine genauen und ausreichenden Zahlen über die Anzahl der älteren Menschen mit geistiger Behinderung vorliegen, kam die notwendige Auseinandersetzung erst in den letzten Jahren.
Nach den Verbrechen des Nationalsozialismus an Menschen mit Behinderungen kommt erstmals eine ganze Generation ins Rentenalter und somit muss man sich die Frage stellen: “Wie wollen diese Menschen leben und welche Möglichkeiten können wir ihnen bieten?“
In meiner langjährigen Tätigkeit in der Behindertenhilfe wurde mir immer wieder deutlich, dass geistige Behinderung im Alter ein Thema ist, das weitestgehend unzureichend oder überhaupt nicht bearbeitet wird. Die Frage nach der Gestaltung eines sinnerfüllten Lebensabend stellte sich nur in Einzelfällen, aber nicht im Hinblick auf eine größere Gruppe bzw. auf eine ganze Generation.
Es stellt sich also nun die Frage, um welchen Personenkreis es sich hier handelt und in welchen Lebenssituationen sich diese Menschen befinden. Es war mir sehr wichtig auf die Lebensbereiche Arbeit, Wohnen und Freizeit genauer einzugehen und zu verdeutlichen, welche Bedeutung diese Bereiche für ältere Menschen mit geistiger Behinderung haben und wie sie ihren Bedürfnissen entsprechend im Alter gestaltet werden können. Auch die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod wurde hier berücksichtigt und Wege aufgezeigt, wie Einrichtungen ältere Menschen mit geistiger Behinderung an ihrem Lebensende begleiten können und welche Bedeutung diese intensive Begleitung für den sterbenden Menschen und seine Umgebung hat.
Aufgrund der wenigen aktuellen Konzeptionen und der Ratlosigkeit vieler Einrichtungen und Betroffenen, war es mir wichtig, mich mit diesem Thema zu befassen, um die aktuelle und zukünftige Situation und auch Wege und Konzepte aufzuzeigen, wie Menschen mit geistiger Behinderung im Alter zufrieden leben können.
Im ersten Kapitel befasse ich mich mit der Begriffsdefinition von „geistiger Behinderung“, ihrer Problematik und Entstehung, sowie mit der Diagnostik von geistiger Behinderung.
Im zweiten Kapitel erläutere ich das Menschenbild das meiner Arbeit zugrunde liegt.
Das dritte Kapitel handelt vom Alter und dem Versuch einer Definition des Begriffes. Die drei Bereiche des Alterns, sowie der entsprechende Personenkreis werden in diesem Kapitel genauer erläutert.
Im vierten Kapitel befasse ich mich mit statistischen Untersuchungen der demographischen Entwicklung und nachfolgend mit der Lebenserwartung von Menschen mit geistiger Behinderung.
Im fünften Kapitel geht es um die Lebenssituation von älteren Menschen mit geistiger Behinderung.
Im sechsten bis achten Kapitel befasse ich mich mit der Wohn-, Arbeits-, und Freizeitsituation von Menschen mit geistiger Behinderung, ihrer Bedeutung für diese Menschen und den aktuellen Konzepten aus der Praxis. Zu den jeweiligen Punkten werden dann auch Handlungskompetenzen aufgezeigt, die bei einer Umsetzung in der Praxis zu beachten sind.
Im neunten Kapitel geht es um die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod. Es werden Konzepte aus der Praxis dargestellt, wie man Menschen mit geistiger Behinderung die Möglichkeit geben kann, sich damit auseinander zusetzen. Außerdem wird die Sterbebegleitung genauer betrachtet und wie diese in Wohneinrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung realisierbar ist.
Zum Abschluss folgen das Resümee und der Ausblick.
Danken möchte ich an dieser Stelle meinen Eltern und Kai für die langjährige Unterstützung. Ein ganz besonderes Dankeschön geht an meine Korrekturleserinnen Sabine, Nicole und Isa.
1. Geistige Behinderung
1.1. Definition des Begriffs Geistige Behinderung
Obwohl Behinderung heute zu einem zentralen Begriff geworden ist, bleibt seine definitorische und damit allgemein gültige Bestimmung weiterhin sehr schwierig.
Eine Definition (v.lat.: de ab, weg finis Grenze, also Definitio = Abgrenzung) ist die genaue Bestimmung eines Begriffes durch Beschreibung und/oder Erklärung seines Inhalts. (http://de.wikipedia.org/wiki/Definieren, 21.09.05)
Definieren bedeutet auch immer festlegen und zwar endgültig (definitiv). Die Schwierigkeit der Definition von „Geistiger Behinderung“ liegt zunächst in der Individualität des Phänomens der Behinderung. Das bedeutet, dass es nicht den Menschen mit geistiger Behinderung gibt. Die organische Schädigung und die geistigen seelischen Folgen sind bei jedem Betroffenen individuell andere.
(Vgl. FORNEFELD 2002, 45)
Im Fachlexikon der Sozialen Arbeit gelten Menschen als geistig behindert, wenn sie in ihrer Denk- und Lernfähigkeit umfänglich und längerfristig extrem hinter der am Lebensalter orientierten Erwartung liegen.
Als Maßstab gilt dabei der Intelligenzquotient mit einem IQ unter 55.
Dabei versucht man eine Unterscheidung zu Lernbehinderten zu ermöglichen, deren intellektuelle Beeinträchtigung durch einen geringeren Grad und Umfang gekennzeichnet sein soll. Der Intelligenzquotient bei Lernbehinderten läge hier zwischen einem IQ 55/60 und IQ 80/85.
Menschen mit einer geistigen Behinderung werden gelegentlich auch als Praktisch Bildbare, Bildungsschwache, Schwachsinnige, Oligophrene schweren Grades oder (bei einem IQ unter 20) als Idioten bezeichnet.
Ausgenommen ist hier u.a. die Gruppe der Menschen mit einem Down-Syndrom (Trisomie 21), bei welchen nicht alle von vornherein als geistig behindert gelten.
(Vgl. FACHLEXIKON DER SOZIALEN ARBEIT 2002, 375)
Im Verständnis von Behinderung hat sich in den vergangenen Jahren ein Perspektivenwechsel vollzogen und zwar dahingehend, dass man das Augenmerk nicht mehr nur auf die organischen Schädigungen, den Defekt des Menschen richtet (sog. Beeinträchtigungsmodell), sondern die sozialen Konsequenzen stärker beachtet. Maßgeblich beteiligt an dieser Einstellungsveränderung war auf internationaler Ebene die Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Im Jahr 1980 wird in einer von der WHO eingeführten Definition gemäß einer medizinisch-defektologischen Erklärung noch von drei zentralen Begriffen ausgegangen:
Zunächst müsse eine Gesundheitsschädigung (impairment) vorliegen, d.h. Mängel oder Abnormitäten der anatomischen, psychischen oder physiologischen Funktionen und Strukturen des Körpers.
Diese bedingten dann eine länger andauernde Funktionseinschränkung (disability), die typische Alltagssituationen behindern oder unmöglich machen (z.B. Beeinträchtigungen der Motorik, des Denkens oder des Verhaltens).
Die eigentliche Behinderung entstehe aus einer daraus hervorgehenden sozialen Beeinträchtigung/Behinderung (handicap).
(Vgl. WHO 1980, nach LINDEMANN/ VOSSLER 1999, 105)
Eine solche medizinisch-diagnostische Definition von Behinderung kommt heute noch teilweise in sozialpolitischen sowie sozialrechtlichen Zusammenhängen zum Tragen, wenn es um Festlegung von Pflegebedürftigkeit, "chronischer Krankheit" oder um "Minderung der Erwerbsfähigkeit" etc. geht.
Nach einer weiteren Veröffentlichung 1997, stellte die WHO 1999 ein revidiertes Klassifikationsschema „International Classification of Impairments and Functioning – ICDH2 – (zu deutsch: Internationale Klassifikation der Schäden, Aktivitäten und Partizipation: Ein Handbuch der Dimensionen von gesundheitlicher Integrität und Behinderung) vor.
Die zentralen Kriterien des Klassifikationsschemas sind :
- Gesundheitsschädigung (impairment):
d.h. Schädigung der Körperfunktionen und – strukturen
- Aktivität (activity):
d.h Art und Umfang der Aktivitäten, die ein Mensch ausführen kann und nicht die Aktivitäten (Funktionen), in denen er eingeschränkt ist (Funktionseinschränkungen).
- Teilhabe (participation):
d.h. Art und Umfang, in denen der Mensch in sozialen Bezügen interagiert und in diese eingebunden ist und nicht die Bereiche, aus denen er ausgeschlossen ist (soziale Benachteiligung).
(Vgl. WHO 1997, nach LINDEMANN/VOSSLER 1999,139)
Nach dieser Definition können nun verschiedene Kontextfaktoren akzeptiert werden, die sich auf Aktivität und Teilhabe auswirken können und mit ihnen in Wechselwirkung stehen.
Als solche Faktoren können folgende angesehen werden:
- Der Gesundheitszustand
d.h. der momentane gesundheitliche Zustand eines Menschen, sowie gesundheitsbezogene Zustände (Schwangerschaft, Alterung, Stress,...)
- Eine Schädigung
d.h. eine Normabweichung mit körperlichen, organischen, neurologischen, genetischen oder biochemischen Merkmalen. Sie bezieht sich demnach auf die Struktur sowie Funktion des Körpers.
- Persönliche Faktoren
d.h. Erfahrungen, Eigenschaften und Gewohnheiten eines Menschen sowie sein persönlicher Hintergrund und von ihm verwendete Handlungsstrategien. Diese Faktoren betreffen z.B. das Selbstempfinden bei einer angenommenen Schädigung oder das Handeln in sozialen Bezügen.
- Umgebungsfaktoren
d.h. unter anderem die Art und Weise, wie andere Personen sich gegenüber einem Menschen verhalten und welche Einstelllungen sie ihm entgegenbringen. Außerdem gesellschaftliche Normvorstellungen, Gesetze, der Wohnort, architektonische Merkmale, bestehende Institutionen und kulturelle Möglichkeiten.
In diesem multidimensionalen Modell, das letztlich auf jeden Menschen angewendet werden kann, wird Benachteiligung / Beeinträchtigung als interaktionale, komplexe Verbindung gegenseitiger Wechselwirkungen gesehen. Einzelne Faktoren können bei jedem Menschen stärker, weniger stark oder gar nicht beteiligt sein.
1.2. Problematik der Begriffsdefinition
„Geistige Behinderung“
„Geistige Behinderung ist nicht etwas, was man hat – wie blaue Augen oder ein „krankes“ Herz. Geistige Behinderung ist auch nicht etwas, was man ist – wie klein oder dünn zu sein. Sie ist weder eine gesundheitliche Störung noch eine psychische Krankheit. Sie ist vielmehr ein spezieller Zustand der Funktionsfähigkeit, der in der Kindheit beginnt und durch eine Begrenzung der Intelligenzfunktion und der Fähigkeit zur Anpassung an die Umgebung gekennzeichnet ist. Geistige Behinderung spiegelt deshalb das „Passungsverhältnis“ zwischen den Möglichkeiten des Individuums und der Struktur und den Erwartungen seiner Umgebung wider.“ (AAMR, 1992)
Diese Definition der „American Assosication of Mental Retardation – AAMR“ aus dem Jahre 1992 gilt als Annäherung einer Definition von „geistiger Behinderung“.
Die AAMR ist eine amerikanische Vereinigung für Menschen mit geistiger Behinderung, die weltweit größte Interessensvereinigung von Angehörigen und Freunden von Menschen mit geistiger Behinderung.
Aus dieser Definition kann man erkennen, dass geistige Behinderung oder Behinderung generell nicht mehr als individuelles Merkmal eines Menschen aufgefasst wird, sondern als mehrdimensionales und relationales Phänomen. (Vgl. LINDMEIER 1993).
Weiter definiert die AAMR wie folgt:
„Geistige Behinderung bezieht sich auf substanzielle Einschränkungen der situativen Handlungsfähigkeit. Die intellektuellen Fähigkeiten sind signifikant unterdurchschnittlich; gleichzeitig liegen damit zusammenhängende Erschwernisse in zwei oder mehreren der nachfolgend genannten Bereiche des täglichen Lebens vor:
- Kommunikation
- Selbstversorgung
- Wohnen
- Sozialverhalten
- Benutzung der Infrastruktur
- Selbstbestimmung
- Gesundheit und Sicherheit
- Lebensbedeutsame Schulbildung
- Arbeit und Freizeit“ (AAMR 1992 a, 1 nach LINDMEIER 1993)
Aufgrund dieser verschiedenen Dimensionen des täglichen Lebens wird für jede Person ein sog. „Kompetenzinventar“ erstellt, welche eine differenzierte Analyse und Beschreibung von Fähigkeiten in den genannten Bereichen des täglichen Lebens bietet.
Auf der Basis der ausführlich analysierten und beschriebenen individuellen Kompetenzen wird eine präzise Planung der Art und Intensität von psychosozialen und pädagogischen Hilfeleistungen möglich, die der Betreffende unter Maßgabe eines selbstständigen und sozial integrierten Lebens und Handelns im Alltag benötigt.
Nach dieser Definition der AAMR die in den USA als „ the new definition“ entwickelt und propagiert wurde, werden also nicht mehr Menschen nach Art und Schwere ihrer Behinderung klassifiziert, sondern notwendige Hilfen nach Art und Intensität. Diese Sichtweise ist sowohl kompetenzorientiert oder ressourcenorientiert als auch an der Unterstützung orientiert, weil es ihr um das optimale Verhältnis zwischen den Möglichkeiten des Individuums und den Anforderungen und Erwartungen seiner Umgebung geht.
Eine Behinderung wird also künftig nicht mehr als das aufgefasst, was eine Person ist oder hat, sondern als etwas, was konkrete Handlungssituationen als komplexe wechselseitige Zusammenhänge von Beeinträchtigungen der Körperfunktion und – Strukturen, Aktivität und Partizipationseinschränkungen darstellt.
Es lässt sich auch unter Bezugnahme auf die neue WHO – Definition (ICF) feststellen, dass eine Person mit einer Beeinträchtigung der intellektuellen Funktionen, bei der Bewältigung situativer Anforderungen und Erwartungen in allen Lebensbereichen, in denen intellektuelle Fähigkeiten eine wichtige Rolle spielen, eingeschränkt sein wird, es sei denn, dass ihr entsprechende persönliche oder technische Hilfen zur Verfügung stehen.
Die meisten der vorherigen Versuche, Behinderung zu definieren, aus welcher Wissenschaft auch immer, scheiterten an der Komplexität und orientierten sich nur an den Defiziten der Person. Die beiden Definitionen der AAMR und ICF kommen für mich einer Definition des Begriffs „Behinderung“ am nächsten. Zudem lösen sie die defizitorientierten Begriffe aus Recht, Soziologie, Pädagogik und Recht ab, welche aus einem zu einseitigen Fokus der Wissenschaft entstanden sind.
FEUSER sieht in dem Phänomen geistige Behinderung ein künstliches Produkt, das aus unserer Unfähigkeit entsteht, nämlich Menschen die andersartig sind, zu verstehen. Er spricht von Artefakten und Projektionen in der Geistigbehindertenpädagogik und macht deutlich, wie das Phänomen „geistige Behinderung“ auch durch die ihr zugedachte Wissenschaft produziert wird.
Ich denke dass man sich freimachen sollte von einem „Schubladendenken“, da Menschen mit geistiger Behinderung nie in eine Schublade passen werden. Menschen mit einer geistigen Behinderung haben ihre Daseinsberechtigung schon alleine durch ihre Andersartigkeit, die immer wieder offen ist für Überraschungen. Die Möglichkeiten einer Sichtweise von geistiger Behinderung sollten von allen die sich mit dieser Thematik befassen, immer offen sein für alles, was diese Menschen uns zeigen und dafür wie diese Menschen sind.
1.3. Ursachen von geistiger Behinderung
Die genaue Ursache einer geistigen Behinderung kann nur bei ca. 50% der Betroffenen festgestellt werden, bei weiteren 50 % kann man keine genetische oder organische Störung nachweisen.
Es wird davon ausgegangen, dass ca. 15-20 % der geistigen Behinderung durch chromosale, ca. 7-10 % durch metabolische Störungen, ca. 20 % durch exogene Schädigungen und 50% durch unbekannte Faktoren oder Krankheiten hervorgerufen werden.
Aber auch soziokulturelle Bedingungen können für die Entstehung bzw. Ausprägung und Schwere der Behinderung verantwortlich gemacht werden.
Hierzu können ungünstige materielle, kulturelle und sozialpsychische Zustände, sowie ungünstige Lernbedingungen zählen.
1.3.1. Ätiologie der geistigen Behinderung
Chromosal verursachte geistige Behinderung
- Autosomale Chromosomenabberationen (z.B. Trisomien, Chri-du-chat-Syndrom)
- Gonosomale Chromosomenabberationen (z.B. Klinefelter-Syndrom, Ulrich-Turner-
Syndrom)
Metabolisch verursachte geistige Behinderung
- Störungen des Aminosäurestoffwechsels
- Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels
- Störungen des Fettstoffwechsels
Andere und ätiologisch unklare geistige Behinderungen
- z.B. Wilsonsche Krankheit, Tuberöse Sklerose, Neurofibromatose, Rett-Syndrom
Exogene Formen
Pränatale Schädigung
- Infektionen (z.B. Virusinfektionen, Syphilis)
- Chemische Einflüsse wie z.B. Medikamente und Alkohol
- Strahlen
- misslungene mechanische Schwangerschaftsunterbrechung
- Störungen in der Schwangerschaft (z.B. Dysfunktion der Gebärmutter,
mütterliche Erkrankungen)
- Frühgeburtlichkeit
- Blutgruppenunverträglichkeit
(Rhesus-Faktor-Unverträglichkeit beim Zweitgeborenen)
Perinatale Schädigung
- Geburtstrauma (z.B. Hirnblutung)
- Sauerstoffmangel
- Frühgeburt
- Blutgruppenunverträglichkeit (s.o.)
Postnatale Schädigungen
- Erkrankungen des ZNS (z.B. Meningitis, Enzephalitis)
- chemische oder physikalische Einwirkungen (z.B. Sauerstoffmangel,
Störungen des Salz-Wasser- Haushaltes, schwere Verbrennungen, Unterkühlung)
- Schädel- Hirntrauma
- Hirntumore
(Vgl. www.Sonderpaed-online.de/Staats/erste/kap1.htm 28.09.05)
1.4. Diagnose geistiger Behinderung
Die Verwendung des Intelligenzquotienten durch Intelligenztests als Diagnoseverfahren war der Versuch den Grad der geistigen Behinderung festzulegen.
Das heißt, man versucht geistige Behinderung zu klassifizieren. Diese Intelligenztests kommen aus der klinischen Psychologie nach dem Psychologen WECHSLER aus dem Jahre 1956. Unter Intelligenz versteht WECHSLER die allgemeine Fähigkeit des Individuums, die Welt in der es lebt, zu verstehen und sich in ihr zurechtzufinden. ( Vgl. EGGERT 1997, 47) Die in der Vergangenheit verwendete Klassifizierung von geistiger Behinderung durch Einordnung in verschiedene Intelligenzstufen ist nicht aussagekräftig, da keine einheitlich festgelegte Verwendung existierte. Dies wird in der folgenden Tabelle klar ersichtlich.
Einteilung der geistigen Behinderung
nach Intelligenz-Quotienten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 (EGGERT 1997, 50)
Die Intelligenzdiagnostik war vor allem dann von Bedeutung, wenn es um die Zuweisung von Kindern und Jugendlichen zu einem geeigneten Schultyp ging. Sie fungierte als so genannte „Selektionsdiagnostik“.
Nicht nur die unterschiedliche Verwendung spricht gegen eine Klassifikation, sondern auch die Reduzierung auf die Defizite eines Menschen. Andere Faktoren werden völlig ausgeblendet. Die Klassifikation nach Intelligenzwerten gerät allerdings zunehmend in Kritik. Denn kein Mensch sollte nur aufgrund einer Intelligenz-Testung als geistig behindert diagnostiziert werden. Da der Begriff Intelligenz wissenschaftlich nicht eindeutig definiert ist und den Testverfahren unterschiedliche Verständnisweisen von Intelligenz zugrunde liegen, bleibt eine Aussage über das ermittelte Intelligenzniveau immer relativ.
Zudem ist Behinderung keine statische Größe, sondern ist immer einem ständigen Veränderungsprozess unterzogen.
Mit dem Bewusstsein um die Prozesshaftigkeit von Behinderung hat sich die Diagnostik mittlerweile zu einer Prozess- bzw. Förderdiagnostik, also einer "behandlungs- orientierten Diagnostik" gewandelt (Vgl. BORCHERT 1992, 212 nach FORNEFELD 2002, 68). Demnach werden nun die Fähigkeiten und Leistungsmöglichkeiten einer Person stärker in den Blick genommen sowie das soziale Umfeld und alle Persönlichkeitsbereiche in die Diagnostik mit einbezogen. Diagnose und Förderung werden somit in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander betrachtet
(Vgl. FORNEFELD 2002, 60).
2. Menschenbild
Um das Menschenbild deutlich zu machen, welches meiner Arbeit zu Grunde liegt, möchte ich näher auf das Grundsatzprogramm der Lebenshilfe (von der Mitgliederversammlung verabschiedet am 10. November 1990) eingehen.
Die Lebenshilfe versteht sich als Selbsthilfevereinigung, die vor mehr als 40 Jahren von Eltern und Fachleuten gegründet wurde. Sie setzt sich auf Orts-, Landes- und Bundesebene für die Belange von Menschen mit einer geistigen Behinderung und ihren Angehörigen ein.
In der Lebenshilfe sind die Elemente „Elternvereinigung“, „Fachverband“ und „Trägerverein“ eine Verbindung miteinander eingegangen. Immer mehr kommt als viertes Element die Selbstvertretung von Menschen mit geistiger Behinderung dazu.
Der Grundsatz der Lebenshilfe „ Es ist normal verschieden zu sein! “ ist für mich die beste Beschreibung für die Grundeinstellung, die man in der Arbeit mit Menschen mit einer geistigen Behinderung mitbringen sollte.
Die Lebenshilfe füllt diese Aussage mit folgenden Inhalten:
Jeder Mensch ist einzigartig und unverwechselbar. Daher ist es normal verschieden zu sein. Jeder hat seine eigenen Vorlieben und Abneigungen, Stärken und Schwächen. Niemand ist ausschließlich behindert oder nichtbehindert, wie auch niemand nur krank oder völlig gesund ist. So gesehen kann die Beschreibung „geistig behindert“ nie dem eigentlichen Wesen eines Menschen gerecht werden.
(Vgl. GRUNDSATZPROGRAMM DER LEBENSHILFE 1990, 17)
Mit dieser Aussage wird ein wichtiger Aspekt zum Ausdruck gebracht. Eine geistige Behinderung bezieht sich eher auf intellektuelle Fähigkeiten, aber nicht auf die Wesenszüge, wie z.B. die Fähigkeit, Freude zu verbreiten und zu empfinden oder sich wohl zu fühlen. Menschen mit geistiger Behinderung haben in ihrem Leben genauso ihre Erfahrungen gemacht wie nichtbehinderte Menschen auch. Sie fühlen wie nichtbehinderte, sie erleben die Welt so wie jeder Mensch mit ihren eigenen Augen, sie spüren Verletzung, Abneigung, Missachtung genauso wie wir auch. Auch in ihrer sozialen Kompetenz sind Menschen mit einer geistigen Behinderung weiter als man gemeinhin annimmt. Sie kommunizieren, manchmal vielleicht auf eine für uns nicht verständliche Art und Weise, sie sind in der Lage am Leben teilzunehmen und einen Beitrag zu dessen Gestaltung zu leisten. Ich gehe in meiner praktischen Arbeit immer von der Gesamtpersönlichkeit eines Menschen aus und richte mich nur nach seinen Defiziten wenn es die Situation erfordert. Mir fällt es sehr schwer, Menschen mit einer geistigen Behinderung zu definieren oder an Merkmalen festzumachen, da ich persönlich in der Kommunikation und Begegnung mit Menschen keinen Unterschied mache, ob mein Gegenüber nun eine so genannte „geistige Behinderung“ hat. Für mich sind es Menschen, die in manchen Bereichen zwar Hilfe und Unterstützung benötigen, was aber einen normalen Umgang ohne Vorurteile und Diagnosen nicht behindern sollte.
Daher trifft das Menschenbild der Lebenshilfe genau meine Vorstellungen. Durch meine sechsjährige nebenberufliche Tätigkeit bei der Lebenshilfe habe ich dieses Menschenbild und die Grundeinstellung, welche der Arbeit obliegt, immer wieder spüren können. Der Schwerpunkt meiner Einstellung liegt also weit weg von den Defiziten des Einzelnen, der Mensch mit seiner einzigartigen Persönlichkeit zählt. Reduziert man einen Menschen auf seine Defizite, so kann dies dazu führen, dass ihm viele Erfahrungen verwehrt bleiben, da diese mit seinen Defiziten nicht vereinbar sind. Man nimmt also durch dieses reduzierte Bild auch Entwicklungsmöglichkeiten und ein Stück Normalität. Ich möchte dies anhand einer meiner schönsten Erfahrungen in der Arbeit mit Menschen mit einer geistigen Behinderung verdeutlichen.
Im Rahmen einer Urlaubsreise beschlossen wir mit einer Gruppe von acht erwachsenen Teilnehmern einen Walderlebnispfad zu besuchen. Zu Anfang des Walderlebnispfades waren die Hindernisse noch leicht zu überwinden. Dann kamen wir zu einem Punkt, an dem man einen weiteren Pfad gehen konnte mit weitaus schwierigen Hindernissen. Anfangs war ich skeptisch, da in der Gruppe auch gehbehinderte und ein schwerst geistig behinderter junger Mann war, der ohne Unterstützung nicht alleine laufen konnte. Wir entschieden uns mit der Gruppe diesen Pfad einzugehen. Schon beim ersten Hindernis war ich mir unsicher ob das alle schaffen würden. Aber jeder hat dieses Hindernis bewältigt. Keiner aus der Gruppe hat jemals an den Fähigkeiten der anderen gezweifelt. Mit jedem Hindernis wuchs das Vertrauen in einen selbst und wir alle wuchsen über uns hinaus. Das letzte Hindernis war das schwierigste. Auf einem (2m über den Fluss gespannten) Drahtseil den Fluss überqueren. Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass wir diese Menschen immer noch viel zu sehr einschränken, ihnen zu viel vorgeben und sie beschützen wollen. Alle haben mit diesem Seil unter dem kein Netz hing, den Fluss überquert. Was jeder einzelne danach empfunden hat, kann man nicht in Worte fassen. Für mich war das ein entscheidender Wendepunkt in meiner Arbeit. Seitdem biete ich viel mehr Möglichkeiten, lasse viel mehr Freiräume zu und setze viel mehr Vertrauen in die Fähigkeiten dieser Menschen. Ich hoffe, durch mein Beispiel aus der Praxis wird deutlich, dass behinderte Menschen viel mehr können als wir ihnen zutrauen. Wir brauchen daher im Umgang mit Menschen mit geistiger Behinderung ein Menschenbild, welches uns Raum lässt, um uns immer wieder von der Realität überraschen zu lassen.
3. Ältere Menschen mit geistiger Behinderung
3.1. Definition von Alter und seine Bedeutung für Menschen mit geistiger Behinderung
Was bedeutet es eigentlich, wenn man von „alten“ Menschen und dem „Alter“ spricht ?
Wer gehört zur Gruppe der „alten Menschen“? Spricht man von alten Menschen, so tauchen viele Begriffe auf: „Senioren“, „Rentner“, „Hochbetagte“, „Greise“. Es gibt Begriffe wie „alte Alte“, „junge Alte“, „Menschen 60 plus“, und einige mehr.
Auch in der Umgangssprache trifft auf den Begriff „alt“ nicht nur eine Bedeutung zu. Alt meint hier das Vergangene, Überholte, die Ablösung des Alten durch das Neue, aber auch die Altbauwohnung, das Altpapier, Altlasten usw. sind Begriffe die im täglichen Leben immer wieder auftauchen.
Aber auch eine positive Besetzung des Begriffs „alt“ ist im Sprachgebrauch zu finden. Altehrwürdig oder eine alteingesessene Familie.
(Vgl. THIELE 2001, 19)
Mit dem Begriff Alter bezeichnet man im sozialwissenschaftlichen Gebrauch ein Zeitmaß, dass an eine Anzahl von Jahren gebunden ist, also die verschiedenen Lebensabschnitte eines Menschen. Beginnend beim Säuglings- und Kleinkindalter (0-4. Lebensjahr) bis hin zum Greisenalter (ab 75. Lebensjahr). Spricht man allerdings davon, dass der Mensch eine Vorsorge für sein Alter leisten soll, um im Alter abgesichert zu sein, so wird hier meist die Personengruppe benannt, die sich im Renten-, bzw. Seniorenalter befindet.
Aufgrund dieser Vielfältigkeit der Begriffe, die mit dem Alter zusammenhängen, erscheint mir die Festlegung des Alters in einer Definition annähernd so schwierig wie die Definition von geistiger Behinderung.
Das Bemühen der Fachwissenschaften einen einheitlichen Begriff des Alters zu entwickeln, hat bisher zu keinem allseitig anerkannten Konsens geführt. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass der Begriff „Alter“ kaum die Vielfalt und Differenziertheit von Prozessen des Alterns ausdrücken kann.
Damit diese Vielfältigkeit überhaupt erfasst werden kann, werden verschiedene fachspezifische Aspekte in den einzelnen Wissenschaften heraus gearbeitet.
( Vgl. THIELE 2001, 19)
ROSENMAYR definiert den Begriff des Alterns als „eine naturhafte Veränderung des Lebendigen, die durch Verluste und Einschränkungen gekennzeichnet ist. Mit dem Altern, dem naturhaften `Verlieren unter Widerstand`, und vielfältig verschlungen mit ihm, ereignen sich Prozesse der Erfahrung, die Erweiterung und Vertiefung unter besonderen Umständen auch neue Dimensionen des Denken, Fühlens und Handelns einschließen können.“ (ROSENMAYR 1989, 153 nach WIELAND 1994, 7)
Wenn also von „Altern“ gesprochen wird, liegt der Schwerpunkt der Untersuchungen auf den Prozessen und Mechanismen, die zum Altsein führen und dem Altwerden zugrunde liegen. Altern meint also die fortschreitenden Veränderungen, die im Erwachsenenalter auftreten können, aber nicht immer, die Lebensqualität des Menschen verschlechtern müssen. ( Vgl. THIELE 2001, 21)
RÜBERG definiert beispielsweise zwischen zwölf verschiedenen Aspekten des Alters:
1) Kalendarisches oder chronologisches Alter:
Die seit der Geburt vergangene Zeit.
2) Administratives Alter :
Eine soziologische Kategorisierung von Menschen, ausgehend von ihrem kalendarischen Alter, zur Verwendung von Verwaltung und Statistik.
3) Rechtliches Alter :
Die dem kalendarischen Alter entsprechenden gesetzlichen Rechte, Pflichten und Mündigkeiten.
4) Biologisches Alter:
Der körperliche Zustand des Menschen aufgrund der biologischen Vorgänge von Wachstum, Reifung, Abbau und Verfall.
5) Funktionales Alter:
Altersgemäße Funktionalität, Leistungsfähigkeit im Gesamten des sozialen Lebens.
6) Psychologisches Alter:
Das Verhältnis des Individuums zu sich selbst, die Selbstdeutung des eigenen Zustandes, sich „so alt wie“ zu fühlen und entsprechend zu verhalten.
7) Ethisches Alter :
Das altersgemäße sittlich-verantwortliche Handeln aufgrund des ethischen Wertebewusstseins und ihm gemäßer Handlungsmuster.
8) Religiöses Alter:
Dies steht für den altersgemäßen Glauben an eine Gottesbeziehung und die daraus abgeleitete Wertorientierung und Lebensführung, sowie auch für Art und Intensität der Beteiligten am kirchlichen Leben.
9) Soziales Alter :
Damit ist die Fähigkeit gemeint, in der Gesellschaft altersspezifische übliche Rollen und Positionen einzunehmen, sowie eine altersgemäße Funktionalität zu haben.
10) Geschichtliches Alter:
Geprägt durch zeitgeschichtliche Ereignisse in einem bestimmten Zeitabschnitt des eigenen Lebens.
11) Personales Alter:
Zusammenwirken und Integration aller Altersaspekte während des gesamten Lebens- und (Alterungs-) Prozesses zur personalen und sozialen Identität.
12) Geistiges oder mentales Alter:
Die geistige Aufnahme – und Lernfähigkeit bezüglich eigener Veränderungen wie auch derer von Mit- und Umwelt.
Ausschlaggebend bei der Definition des Begriffs „Alter“ sind für mich das kalendarische und chronologische Alter, das biologische Alter, sowie das psychologische Alter. Außerdem denke ich, dass vor allem für soziale Berufe eine Auseinandersetzung mit dem soziologischen Altersbegriff von Bedeutung ist.
(Vgl. HAVEMANN / STÖPPLER 2004, 16)
WIELAND benennt den Beginn des Altseins mit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben (Berentung), obgleich dieser Begriff aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten des früheren Ausscheidens (Erwerbsunfähigkeit, Vorruhestand) sehr vage geworden ist.
ROSMAYR teilt das Seniorenalter in die Lebensphase des älteren Menschen (60.-75. Lebensjahr), des alten Menschen (75-90 Lebensjahre), des hochbetagten Menschen (über 90 Lebensjahre) und des langlebigen Menschen (über 100 Lebensjahre) ein.
Vom Alter als einer Altersphase spricht man erst seit der Einführung des Regelpensionsalters durch die Rentenversicherung Ende des 20. Jahrhunderts. Die Leistungsfähigkeit eines Menschen wurde somit an einen Lebensabschnitt gekoppelt und das Ende der Leistungsfähigkeit festgelegt. (Vgl. HAVEMANN / STÖPPLER 2004, 19) .
Diese Grenzsetzungen beruhen auf einer rechtlich kodifizierten Vereinbarung (Ausscheiden aus dem Berufsleben, Berentung, Pensionierung), aber letztlich bleiben sie artifiziell, da zahlreiche Variablen und komplexe Bedingungen die dem Älterwerden eines Menschen zugrunde liegen, unberücksichtigt bleiben.
(Vgl. THEUNISSEN 2002, 15)
Eine biologische Orientierung betrachtet das Älterwerden als einen biologisch gesteuerten Prozess, sowie die Abnahme der Anpassungsfähigkeit des menschlichen Organismus an Umwelteinflüsse. (Vgl. THEUNISSEN 2002, 15)
Es setzt bereits mit der vollständigen Entwicklung des Organismus ein und wird nach der statistischen Wahrscheinlichkeit der Alterung bestimmter biologischer bzw. organischer Befunde gekennzeichnet. Altern ist somit ein lebenslanger Prozess von Abbau und Verlust, der zum natürlichen Tod führt. Kennzeichnend für den biologischen Alterungsprozess kann die Alterung des Auges aufgrund einer Linsentrübung sein, die Einschränkung der Funktionsfähigkeit der Organe, u.a. (Vgl. THIELE 2001, 20)
„…ein psychologisches Modell betont Aspekte wie Biographie, Persönlichkeitsstruktur, sozialer Status, intellektuelle Leistungsfähigkeit, Schulbildung und dgl.“
(JUCHLI 1991, 937 nach THEUNISSEN 2002, 15)
3.2. Die Dimensionen des Alterns
Bei der Definition und Beschreibung der Begriffe „alt und Alter“ finden sich drei Dimensionen wieder.
3.2.1. Biologisches Altern
Biologisches Alter meint im Allgemeinen, die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit eines Menschen. Der Verfall von körperlichen Fähigkeiten wird in dem multifaktoriellen biologischen Modell erklärt durch:
- Genetische Determinanten
- Umgebung (kulturelle Einflüsse, Verkehr etc.)
- Lebensstil (Diät, Körperliche Fitness, Genuss von Alkohol und Tabak etc.)
- Medizinische Hilfen
Diese Faktoren beeinflussen auch den biologischen Alterungsprozess von Menschen mit geistiger Behinderung. Hinzu kommt, dass viele Menschen mit geistiger Behinderung bei der Geburt weitere Behinderungen haben, die nicht nur die Lebensqualität beeinflussen, sondern in manchen Fällen auch den biologischen Alterungsprozess.
Die verschiedenen Theorien über die Ursachen des Alterns haben gemeinsam, dass sie Vorgänge der Zellen als Ursache für den Prozess des Alterns sehen. Die bekanntesten Theorien sind die „Theorie der freien Radikale“, die „Reparatur-Mechanismus-Theorie“ und die Theorie des „Genetisch programmierten Alterns“.
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- Citation du texte
- Diplom Sozialpädagogin Susanne Granacher (Auteur), 2005, "Auf einmal waren sie da - ..." Ältere Menschen mit einer geistigen Behinderung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55099
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