Die Wichtigkeit von Grammatikunterricht möchte niemand in Frage stellen. Doch eine Begründung dafür zu finden, ist aufgrund der Tatsache, dass die meisten Deutschen erworbene Grammatikkenntnisse so gut wie nie benutzen und auch nicht benutzen können, gar nicht so einfach. Für mich erhält Grammatikunterricht dann einen Sinn, wenn die Kinder lernen, das erworbene Wissen sinnvoll einzusetzen. Dies ist meiner Meinung nach dann möglich, wenn sie ein Sprachbewusstsein aufbauen. Was darunter verstanden werden kann, soll aus der Sicht von verschiedenen Autoren herausgestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Klärung wichtiger Begriffe
3. Zielvorstellungen von Grammatikunterricht
4. Begründung des Lernziels Sprachbewusstsein
5. Bernd Switalla: Wie Kinder über Sprache denken
6. Jakob Ossner: Sprachthematisierung – Sprachaufmerksamkeit – Sprachwissen
7. Peter Klotz: Schulgrammatik. Alltagssprachliche Wege zu Sprachwissen und Sprachbewusstsein
8. Anmerkungen zu den Artikeln
9. Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Laufe meines Studiums habe ich mich schon sehr viel mit dem Schriftspracherwerb auseinandergesetzt und mir viele Gedanken über sinnvolle Konzepte und innovative Lehrmethoden gemacht. Ich habe mich ausführlich mit kindlichen Konzepten von Sprache beschäftigt und viel über die kognitiven Vorgänge beim Schriftspracherwerb gelernt. Dabei habe ich festgestellt, dass viele Lehrende an der Grundschule noch immer mit klein- und gleichschrittigen Lehrgängen arbeiten und nicht den Mut aufbringen, alte Strukturen aufzubrechen und andere mehr versprechende Wege zu gehen.
Während meines Praktikums in einer vierten Klasse habe ich nun die Behandlung der Satzglieder mitverfolgt und mitgestaltet. Ich konnte mich noch sehr gut an meine eigenen Erfahrungen aus der Grundschule erinnern; ich wusste noch genau, welche Farben wir für welches Satzglied genommen hatten und ich konnte mich erinnern, dass ich mich zum ersten mal in der Grundschule unsicher bei einem Thema gefühlt hatte. Bei der Durchführung der Unterrichtsreihe während des Praktikums habe ich allerdings nie darüber nachgedacht, warum ich mich damals unwohl gefühlt hatte. Auch habe ich nicht darüber nachgedacht, wozu die Kinder lernen müssen, über Fragen die Satzglieder zu bestimmen. Es fiel mir nur auf, dass der Unterrichtsgegenstand vielen Kindern schwer fiel, dass ich Probleme hatte bei meinen selbst gebastelten Sätzen die Satzglieder sicher zu bestimmen und dass die Fragen, die an die Sätze gestellt werden mussten häufig sehr merkwürdig unnatürlich und herangezogen klangen. Außerdem konnte ich den Kindern auch oft keine Erklärungen geben, warum denn jetzt ihre Fragen „falsch“ waren.
Erst im Nachhinein ist mir bewusst geworden, dass es auch mir noch schwer fällt, veraltete Lehrmethoden in Frage zu stellen und dass es genau wie beim Schriftspracherwerb auch im Grammatikunterricht andere Wege geben kann. Denn oftmals führt schulischer Grammatikunterricht zum Aufbau eines Wissens, „welches völlig unverbunden als gelerntes, aber nicht angeeignetes Wissen neben der Sprachpraxis und den sprachlichen Fähigkeiten der Lernenden besteht“[1], so Helga Andresen.
Sehr häufig bleibt dann als Folge des Grammatikunterrichts nicht nur das Gefühl, dass Grammatik langweilig und von der Sprachwirklichkeit abgehoben sei, sondern es verbindet sich mit dem diffusen Gefühl ungenügender eigener Sprachkenntnisse.[2]
Die erste Frage, die sich mir nun stellt, ist die Frage nach den Zielen von Grammatikunterricht in der Grundschule. In der Literatur tauchen in diesem Zusammenhang die Begriffe Reflexion über Sprache und Sprachbewusstsein auf. Wie genau kann Reflexion über Sprache in der Grundschule stattfinden? Auf welchem Weg und mit welcher Begründung können und sollen Fachtermini eingeführt werden und wie soll mit ihnen umgegangen werden? Was ist Sprachbewusstsein, welche Vorerfahrungen bringen Kinder auf diesem Gebiet mit in die Schule und welche nachhaltigen Auswirkungen auf das sprachliche Handeln der Kinder hat das Lernziel Sprachbewusstsein? Mit diesen Fragen werde ich mich im Folgenden auseinandersetzen.
2. Klärung wichtiger Begriffe
Im Folgenden sollen zunächst einige Begriffe, die für die Thematik dieser Arbeit wichtig sind, erläutert werden. Da in der Literatur die Ausdrücke Sprachbewusst sein und Sprachbewusst heit nicht einheitlich benutzt und definiert werden, werde ich zunächst auf die möglichen Unterschiede zwischen den beiden Begriffen eingehen. Helga Andresen und Reinhold Funke definieren den Begriff Sprachbewusst heit als die „Verfügbarkeit einer kognitiven Orientierung beim Sprachgebrauch“ sowie als „Bereitschaft und Fähigkeit, sich aus der mit dem Sprachgebrauch in der Regel verbundenen inhaltlichen Sichtweise zu lösen und die Aufmerksamkeit auf die sprachlichen Erscheinungen als solche zu richten“[3]. Laut Andresen und Funke unterscheidet Brockmeier zwischen Sprachbewusstheit und Sprachbewusstsein, wobei er Sprachbewusstheit „mit oraler sprachlicher – und darin eingebundener metasprachlicher – Praxis verbindet“ und Sprachbewusstsein „im Wesentlichen auf dem praktisch – manipulativen Umgang mit Schrift beim Schreiben- und Lesenlernen“ zurückführt.[4] Ich werde aufgrund der ansonsten nicht vorgenommenen Trennung der beiden Ausdrücke in der Literatur in den folgenden Abschnitten die Begriffe zusammenfassen und nur noch von Sprachbewusstsein sprechen.
Karlheinz Hecht liefert eine besonders klare Definition des Begriffes des Sprachbewusstseins – er spricht allerdings von Sprachbewusstheit – und von weiteren Begriffen, die noch geklärt werden sollen: Sprachreflexion ist nach Hecht ein Prozess, der sich im Spannungsfeld zwischen bewusstem und unbewusstem Umgang mit Sprache entwickelt. Sprachbetrachtung soll diesen Prozess so steuern, dass dabei das Wissen über die Strukturen der Sprache gefördert wird. Darüber entwickelt sich ein Sprachwissen, das schon eine erste Stufe von Sprachbewusstheit darstellt, bei dem zunächst ein Einblick in den Aufbau von Sprache gewonnen wird. Hierbei wird ein gewisses Maß an deklarativen Wissensstrukturen aufgebaut.
Durch die Aktivierung von prozeduralen Wissensstrukturen und durch den Aufbau von analytischen Fähigkeiten wie dem Unterscheiden, dem Ordnen, induktivem Ableiten und Generalisieren kann eine weitere Stufe von Sprachbewusstsein erreicht werden, bei der die Schüler Einsichten in die Strukturen und Funktionen von Sprache, über ihren Wert und ihre Rolle in der Gesellschaft gewinnen. Hier können auch Ansatzpunkte für das Erlernen von Fremdsprachen entstehen.[5]
3. Zielvorstellungen von Grammatikunterricht
Das Lernziel Sprachbewusstsein geht über die Zielvorstellungen traditionellen Grammatikunterrichts hinaus, denn dieser legt insbesondere Wert darauf, dass „strukturelle und funktionale sprachliche Phänomene in ein vorgegebenes rigides Kategorienraster eingeordnet werden können“[6]. Ein Grammatikunterricht, der Sprachbewusstsein als wichtigstes Lernziel anstrebt, „ermöglicht es dem Lernenden, ein eigenes Kategoriensystem aufzubauen, eine individuelle psychologische Grammatik, deren Beschreibungskategorien er versteht, weil er sie selbst oder zusammen mit anderen entwickelt hat.“[7]
Ivanič ist vor allem wichtig, dass ein Sprachbewusstsein nicht nur Wissen über die Sprachrichtigkeit und über die zielgerichteten Prozesse mit der Sprache beinhaltet, sondern auch Bewusstheit darüber, dass Sprache und Macht zusammenhängen.[8]
Hecht weist auf die Lehrpläne der Grundschule in Bayern (1981 bzw. 1987:61) hin, in denen es heißt: „Durch Nachdenken über Sprache soll das Kind allmählich bewusster und sicherer über sie verfügen sowie ihre Vielfalt und ihren Reichtum kennenlernen.“[9]. Um über Sprache sprechen zu können sei es allerdings erforderlich, über ein gewisses Maß an Metasprache zu verfügen, so Hecht. Es muss also auch ein deklarativ abrufbares Regelwissen aufgebaut werden, das möglichst einheitlich in seiner Terminologie sein sollte.
In den Lehrplänen zur Erprobung für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen[10] besteht neben der Forderung nach bestimmten Fachtermini auch der Versuch, sich dem Lernziel „Sprachbewusstsein“ anzunähern. In den verbindlichen Anforderungen am Ende von Klasse vier ist formuliert:
- Die Schülerinnen und Schüler kennen grundlegende Begriffe, um sich über Sprache und Sprechen miteinander zu verständigen.
- Sie kennen Wirkungen von sprecherischen Mitteln.
- Sie denken über Sprachhandeln und Sprache gemeinsam nach und sprechen über Auffälligkeiten und Phänomene.
- Sie begegnen unvoreingenommen dem Sprachhandeln anderer.
- Sie können mit Sprache bewusst umgehen.[11]
Es wird erkennbar, dass ein Grammatikunterricht, der allein ein reines Formenlernen beinhaltet, dem Lehrplan nicht gerecht wird.
4. Begründung des Lernziels Sprachbewusstsein
In folgendem Zitat von Vygotskij wird noch einmal deutlich, wie wichtig es ist, eine begründete Zielvorstellung von Grammatikunterricht in der Muttersprache zu finden:
„Grammatik scheint dem Kind keine neuen Fähigkeiten zu vermitteln. Das Kind kann bereits, bevor es in die Schule kommt, konjugieren und deklinieren (...) Es dekliniert und konjugiert, aber es weiß nicht, dass es dekliniert und konjugiert (…) Aber das Kind lernt in der Schule, und zwar hauptsächlich durch die geschriebene Sprache und die Grammatik, sich bewusst zu machen, was es tut, und damit willkürlich mit seinen eigenen Fähigkeiten zu operieren.“[12]
Die Fähigkeit zu kommunikativem Handeln ist heute äußerst wichtig. Daher ist es notwendig, dass die Kinder sich schon früh mit den Funktionen, Möglichkeiten und Alternativen sprachlichen Ausdrucks auseinandersetzen. Doch wird durch die Förderung von Sprachbewusstsein auch eine größere Sprachkompetenz erreicht? Diese Frage ist nur schwer zu beantworten, denn der optimale Weg zur Vermittlung von Sprachbewusstsein ist in der Literatur noch sehr umstritten und in der Praxis anspruchsvoll in seiner Durchführung. Ebenso liegen mir keine relevanten empirischen Daten zu dieser Frage vor.
Sicher ist aber, dass die Ergebnisse der PISA-Studie zeigen, dass deutsche Schüler in Fragen der Lesekompetenz besonders schlecht abschneiden und eine große Abhängigkeit der Leistungen von der Herkunft und dem sozialen Umfeld der Schüler besteht.[13] Gerlind Belke führt dies u.a. auch auf ein Versagen der Unterrichtspraxis bei der Vermittlung von Grammatik zurück. Laut Belke fehlen effektive Strategien der Textverarbeitung und des verstehenden Lesens und Lernens aus Texten. Sie weißt auf Engelen hin, die wiederholt darauf hingewiesen hat, dass „Schwächen bei der Rezeption von Texten meistens unterschätzt werden. Voraussetzung für Ziele wie „Emanzipation“, „Kritikfähigkeit“, und „Ideologiekritik“ und weiterhin „reflexiver Sprachgebrauch“ sei die „Fähigkeit zu einer möglichst ungehinderten Rezeption der entsprechenden Texte““[14]. Neue Konzepte für den Grammatikunterricht an deutschen Schulen sind daher unverzichtbar.
[...]
[1] Andresen, Helga: Lust an der Sprache – Unlust an der Grammatik, in: Grundschule 32/1990, S.8
[2] ebd.
[3] Andresen, Helga u. Funke, Reinhold: Entwicklung sprachlichen Wissens und sprachlicher Bewusstheit, in: Bredel, Ursula u.a. (Hrsg.): Didaktik der deutschen Sprache, Paderborn 2003, S.439.
[4] Andresen u. Funke (2003), S.445
[5] Hecht, Karlheinz: Lernziel: Sprachbewusstheit, in: Die neueren Sprachen 93:2 (1994), S.129.
[6] Wolff, zitiert in: Hecht (1994), S.130.
[7] ebd.
[8] Ivanič zitiert in: Hecht (1994), S.130.
[9] Hecht (1994), S.131.
[10] Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen: Richtlinien und Lehrpläne zur Erprobung für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2003.
[11] Richtlinien, S.46f.
[12] Vygotskij zitiert in: Ossner, Jakob: Sprachthematisierung – Sprachaufmerksamkeit – Sprachwissen, in: Haueis, Eduard (Hrsg.): Osnabrücker Beiträge zur Sprachbewusstheit und Schulgrammatik, Jan. 1989,40, S.34.
[13] Belke, Gerlind: PISA: Wie schief liegen wir wirklich? Konsequenzen für den Grammatikunterricht in einer vielsprachigen Gesellschaft, in: Peschel, Corinna: Grammatik und Grammatikvermittlung, Frankfurt a. M. 2002, S. 143.
[14] Engelen zitiert in: Belke (2002), S.148.
- Arbeit zitieren
- Dorothee Ahlrichs (Autor:in), 2005, Sprachbewusstsein als Lernziel des Grammatikunterrichts der Grundschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54821
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