Die Aufgabe des Spracherwerbs ist eine außerordentlich komplexe. Seit Beginn der Spracherwerbsforschung zum Ende des 19. Jahrhunderts (Elsen 1991:20) haben sich – vor allem in Folge von Chomskys Generativer Transformationsgrammatik - mehrere Theorien entwickelt, die sich uneinig darin sind, wie das Kind die Aufgabe des Spracherwerbs meistert, welche spezifischen Fähigkeiten es in den Spracherwerbsprozess einbringt und welche Mechanismen in diesem Prozess wirken.
Zunächst muss man also herausfinden, was das Kind für den Spracherwerb selbst mitbringt. Angesichts der Komplexität und dem raschen Verlauf des Spracherwerbsprozesses (das Kind erwirbt bis zum 6. Lebensjahr Grundlagen in Phonologie, Syntax, Morphologie und Lexikon) könnte man schließen, dass das Kind, das in anderen Bereichen kognitiv noch lange nicht so weit entwickelt ist, unterstützt wird durch seine Umwelt.
Besonders die Rolle der Umwelt (die Beziehung zwischen Kind und Bezugsperson, die Besonderheit der Sprache der Bezugsperson zum Kind, die Bedeutung der vorsprachlichen Kommunikation zwischen Kind und Bezugsperson) ist seit den 80/90er Jahren in das Blickfeld von Spracherwerbsforschern gerückt. Chomskys nativistische Sicht des Spracherwerbs, die der sozialen Umwelt nur eine sehr geringe bis gar keine Bedeutung für den Spracherwerb beimisst, wurde bereits Ende der 70er Jahre stark kritisiert; interaktionistische Ansätze traten in den Vordergrund, die der sozialen Umwelt und besonders den Interaktionen zwischen Kind und Umwelt eine große Bedeutung für den Spracherwerb einräumen. Dabei wird besonders die Rolle des sprachlichen Inputs diskutiert, also jenes Sprachmaterial, das ein Kind durch seine Umwelt empfängt, sowohl die Sprache, die explizit an das Kind gerichtet ist, als auch die Sprache, die die Erwachsenen untereinander sprechen. Bei der Untersuchung der Sprache, die speziell an das Kind gerichtet ist, zeigte sich, dass sie spezifische Merkmale hat, die auf das Verständnisniveau des Kindes abgestimmt sind. Diese „einfache“ Sprache soll dem Kind helfen, Sprache zu verstehen, zu lernen und zu sprechen. Umstritten ist jedoch bisher, ob diese vereinfachte Sprache für den Spracherwerb überhaupt förderlich ist. Dass sie weit verbreitet verwendet wird, impliziert nicht zwingend, dass ein Spracherwerb ohne kindgerichtete Sprache nicht möglich ist. So soll die vorliegende Arbeit in erster Linie beantworten, ob die kindgerichtete Sprache für den Spracherwerb notwendig bzw. förderlich ist.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Spracherwerbskonzepte
- Das behavioristische Konzept des Spracherwerbs
- Das nativistische Konzept des Spracherwerbs
- Das interaktionistische Konzept des Spracherwerbs
- Neuere Spracherwerbskonzepte
- Zum Begriff des kindgerichteten Sprechens
- Merkmale des kindgerichteten Sprechens
- Die Babysprache
- Die stützende Sprache
- Die lehrende Sprache
- Qualität des kindgerichteten Sprechens
- Funktion des kindgerichteten Sprechens und intuitive Verhaltensmerkmale der Eltern
- Merkmale des kindgerichteten Sprechens
- Untersuchung der Kritik Chomskys an der Bedeutung des sprachlichen Inputs für den Spracherwerb
- Untersuchung des kultur- sowie schichtspezifischen Gebrauchs kindgerichteten Sprechens
- Kulturelle Variation
- Der Verlauf des Spracherwerbs unter dem Einfluss der Verwendung kindgerichteten Sprechens: die soziale Umwelt von Kindern in westlichen Kulturkreisen
- Der Verlauf des Spracherwerbs ohne den Einfluss kindgerichteten Sprechens: die soziale Umwelt von Kindern der Kaluli und aus Trackton
- Die Kaluli
- Trackton
- Zusammenfassung
- Schichtenspezifische Variation
- Kulturelle Variation
- Zur Frage der Spracherwerbsförderlichkeit kindgerichteten Sprechens
- Ausblick oder Neue Wege in der Inputforschung
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit untersucht die Rolle des kindgerichteten Sprechens beim Erstspracherwerb. Sie beleuchtet verschiedene Spracherwerbskonzepte, insbesondere das nativistische und das interaktionistische Konzept, um die Bedeutung der sozialen Umwelt und des sprachlichen Inputs für den Spracherwerb zu bewerten. Darüber hinaus werden die Merkmale und Funktionen des kindgerichteten Sprechens untersucht, einschließlich seiner kulturellen und sozioökonomischen Variationen.
- Die Rolle des sprachlichen Inputs im Spracherwerbsprozess
- Die Kritik Chomskys an der Bedeutung des sprachlichen Inputs
- Die verschiedenen Konzepte des Spracherwerbs
- Die Merkmale und Funktionen kindgerichteten Sprechens
- Die kulturellen und schichtspezifischen Variationen des kindgerichteten Sprechens
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt das Thema der Hausarbeit vor und beleuchtet die Komplexität des Spracherwerbs. Sie führt ein in die verschiedenen Spracherwerbskonzepte und die Bedeutung der sozialen Umwelt für den Spracherwerbsprozess. Kapitel 2 gibt einen Überblick über die wichtigsten Spracherwerbskonzepte, einschließlich des behavioristischen, des nativistischen und des interaktionistischen Konzepts. Kapitel 3 definiert den Begriff des kindgerichteten Sprechens und untersucht seine Merkmale, die Qualität und die Funktion. Kapitel 4 beschäftigt sich mit der Kritik Chomskys an der Bedeutung des sprachlichen Inputs für den Spracherwerb. Kapitel 5 untersucht den kultur- und schichtspezifischen Gebrauch des kindgerichteten Sprechens und präsentiert Beispiele aus verschiedenen Kulturkreisen. Kapitel 6 diskutiert die Frage, ob kindgerichtetes Sprechen den Spracherwerb fördert. Kapitel 7 bietet einen Ausblick auf neue Forschungsergebnisse und -methoden in der Inputforschung.
Schlüsselwörter
Kindgerichtetes Sprechen, Erstspracherwerb, Spracherwerbskonzepte, Nativismus, Interaktionismus, sprachlicher Input, soziale Umwelt, Kulturelle Variation, Schichtenspezifische Variation, Spracherwerbsförderlichkeit.
- Citation du texte
- Bernadette Bideau (Auteur), 2006, Zur Rolle des kindgerichteten Sprechens beim Erstspracherwerb, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54686