„Jeder tiefere Kontinuitäts- und Traditionsbruch kann zur Entstehung von Vergangenheit führen, dann nämlich, wenn nach einem solchen Bruch ein Neuanfang versucht wird.“ Die Wahrnehmung von Vergangenheit ist keinesfalls naturwüchsig, Vergangenes kann nicht als etwas bedingungslos Gegebenes betrachtet werden. Denn nur die bloße Abfolge von Ereignissen sorgt längst nicht dafür, dass diese Episoden Berücksichtigung in Gegenwart und Zukunft finden. Dazu bedarf es aktiver Erinnerung, welche ausgewählte Geschehnisse mit Bedeutung ausstattet. Dies ist besonders dann notwendig, wenn die Vergangenheit herausragende Begebenheiten birgt – sowohl ruhmreichen als auch katastrophalen Charakters.
Mit den Folgen einer historischen Zäsur sah sich auch Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkriegs konfrontiert. Alle politischen Konzepte der kommenden Jahrzehnte mussten vor dem Hintergrund der unlängst zu Fall gebrachten nationalsozialistischen Diktatur entwickelt werden. Dieser Weg gestaltete sich mühevoll: Es galt, im Ausland schrittweise Vertrauen und außenpolitische Anerkennung zurück zu gewinnen. Innerhalb der Grenzen war es auf Grund einer tiefen geistigen Verwurzelung der NS-Ideologie erforderlich, den Menschen andere moralische und kulturelle Werte zu vermitteln – die Identität einer ganzen Nation bedurfte eines neuen Fundaments. Dabei musste sorgfältig ausgewählt werden, welche Bestände der vergangenen Jahre auf welche Weise zum Einsatz kommen durften.
Denn im Prozess einer umfassenden gesellschaftlichen Neugestaltung nimmt der Rückgriff auf die Vergangenheit eine Schlüsselrolle ein: Die gemeinsame Fernbetrachtung ausgewählter Ereignisse stellt ein wichtiges Charakteristikum sozialer Gruppen dar. Deshalb widmet sich der erste Teil dieser Arbeit den Mechanismen kollektiven Erinnerns: Welche Merkmale kennzeichnen gemeinschaftlich geteilte Erinnerungen, und wie lässt sich das kollektive Gedächtnis strukturieren? Dazu werden zunächst Prinzipien des kollektiven Gedächtnisses umrissen, gestützt auf die Theorien von Maurice Halbwachs, Aleida Assmann und Jan Assmann. Im Mittelpunkt steht die Frage nach Faktoren, welche bewirken, dass bestimmte Aspekte der Vergangenheit gesellschaftliche Bedeutung erlangen.
Inhaltsverzeichnis
- Abgrenzung der Themenstellung
- Das kollektive Gedächtnis: Wesen und Wirkung
- Kollektive Erinnerungen: Kategorien nach Halbwachs, Assmann und Assmann
- Kollektive Erinnerungen als Machtressource
- Erinnern nach Einheitsgebot: Gedächtnisstruktur in der DDR
- Mission Mythos: Die doppelte Legitimationsfunktion
- Der Gründungsmythos als fundierende Erinnerungsfigur
- Massenmedien: Mittel und Mittler im Erinnerungsprozess
- Medien als Konservierungsstoffe kollektiver Erinnerungen
- Audiovisuelle Medien in der DDR
- Entwicklung der DEFA: Inhalte und Produktionsbedingungen von DDR-Filmen
- Beginn von Filmprojekten in der SBZ
- Vom sozialistischen bis zum Kahlschlagplenum'
- Filmbilder als Vermittler von Vergangenheit: Die Thälmann-Epen
- Medien als Konservierungsstoffe kollektiver Erinnerungen
- Resümee
- Anhang: Literaturliste
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Inszenierung des Antifaschismus-Mythos in Filmen der DEFA und analysiert, wie DDR-Medien zur Konstruktion kollektiver Erinnerung an den Nationalsozialismus beitrugen. Sie beleuchtet die Funktionsweise des kollektiven Gedächtnisses, insbesondere im Kontext des Einparteienstaates, und analysiert die Rolle der DEFA als Instrument der staatlichen Propaganda.
- Kollektives Gedächtnis und seine Funktionen
- Der Antifaschismus-Mythos in der DDR
- Medien als Mittel der Machterhaltung
- Die DEFA und ihre Filmproduktionen
- Die Inszenierung des Thälmann-Mythos
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Abgrenzung der Themenstellung und einer Einführung in das Konzept des kollektiven Gedächtnisses. Sie beleuchtet die Theorien von Maurice Halbwachs, Aleida Assmann und Jan Assmann, die die Funktionsweise und die unterschiedlichen Ebenen des kollektiven Erinnerns beschreiben. Anschließend wird die Rolle des kollektiven Gedächtnisses im Kontext des DDR-Regimes analysiert. Die Arbeit untersucht, wie die SED das kollektive Gedächtnis der DDR durch die Konstruktion des Antifaschismus-Mythos kontrollierte und für ihre eigenen politischen Ziele nutzte.
Im zweiten Teil der Arbeit wird die Rolle der Massenmedien im Erinnerungsprozess beleuchtet. Es wird dargestellt, wie Medien als Konservierungsstoffe kollektiver Erinnerungen fungieren und welche Bedeutung audiovisuelle Medien, insbesondere der Film, im Kontext der DDR-Propaganda hatten. Die Arbeit analysiert die Entwicklung der DEFA, der staatlichen Filmgesellschaft der DDR, und zeigt, wie die Filmproduktionen von der SED gelenkt wurden, um den Antifaschismus-Mythos zu verbreiten.
Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Analyse der Thälmann-Epen, die als Auftragswerke der SED entstanden und den ehemaligen KPD-Vorsitzenden Emst Thälmann als Volkshelden und Identifikationsmodell inszenierten. Die Arbeit untersucht, wie die Filme die historische Realität verzerrten und zur Konstruktion eines regierungstreuen Geschichtsbildes beitrugen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen das kollektive Gedächtnis, den Antifaschismus-Mythos, die DDR, die DEFA, Film, Propaganda, Geschichte, Erinnerungskultur, Medien, Macht, und die Inszenierung von Geschichte.
- Citation du texte
- Annett Meiritz (Auteur), 2004, DDR-Medien als Konstrukteure kollektiver Erinnerung an den Nationalsozialismus (Der Antifaschismus-Mythos und seine Inszenierung in Filmen der DEFA), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54454
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