Die folgende Arbeit geht der Frage nach, welche belastenden Erfahrungen bei unbegleiteten, minderjährigen Asylsuchenden eine bleibende Traumatisierung auslösen können, wie genau diese definiert werden können, und welche Therapieansätze dagegen entwickelt werden können.
Einzelpersonen sowie ganze Familien flüchten aus ihrem Heimatland und stellen sich dabei Gefahren aus, welche wir hauptsächlich nur in den Medien mitverfolgen können. Unter den Flüchtenden befinden sich nicht selten Kinder und Jugendliche, welche oft die Last des Schicksals einer ganzen Familie zu tragen haben. Weltweit befinden sich Millionen von Kindern auf der Flucht und Hunderttausende davon sind alleine unterwegs, wobei sie oft ungeschützt gegenüber Menschenhändlern sind, die diese Situation auszunützen wissen. Sobald die legalen Flucht- und Migrationswege verschlossen sind, weichen die Kinder oftmals auf gefährliche Routen aus, die hohe Risiken mit sich bringen. Innerhalb von zwei Jahren sind zehntausende minderjährige Flüchtlinge in Europa verschwunden, was durch die Bekanntgabe von Europol publik geworden ist. Da die legalen Fluchtkorridore nicht benutzt werden können, müssen die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge oft lebensbedrohliche Situationen überstehen. Eine Traumatisierung während der Flucht gehört dabei nicht zur Ausnahme, sondern ist eher überwiegend.
In einem ersten Schritt der Arbeit sollen deshalb grobe Erkenntnisse darüber gewonnen werden, was eine Traumatisierung bei unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden begünstigt. Zudem soll eine kurze Annäherung an den Begriff des Traumas beziehungsweise der Traumatisierung versucht werden, da dieser Begriff oft zur Anwendung gekommen ist. In einem zweiten Schritt sollen Indikatoren für eine mögliche Traumatisierung sowie der Aufbau der Flucht und deren Belastungen für die Kinder und Jugendlichen untersucht werden.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Thema und Problemstellung
1.2 Definition zentraler Begriffe
1.3 Aufbau der Arbeit und Vorgehen bei der Literatursuche
2 Ergebnisse aus der Literatur
2.1 Entstehung und Ursache möglicher traumatischer Erfahrungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
2.2 Eine Annäherung an die Begrifflichkeit des Traumas
2.3 Extreme Belastungssituationen
3 Folgerung und Diskussion
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1. Häufigkeit von typischen Traumaerfahrungen der UMF infolge kriegerischer Auseinandersetzungen
Abbildung 2. Abfolge traumatischer Belastungssituationen bei Kindern und Jugendlichen
1 Einleitung
1.1 Thema und Problemstellung
Einzelpersonen sowie ganze Familien flüchten aus ihrem Heimatland und stellen sich dabei Gefahren aus, welche wir hauptsächlich nur in den Medien mitverfolgen können. Unter den Flüchtenden befinden sich nicht selten Kinder und Jugendliche, welche oft die Last des Schicksals einer ganzen Familie zu tragen haben (Seckler, 2012, S. 133). Weltweit befinden sich Millionen von Kindern auf der Flucht und Hunderttausende davon sind alleine unter-wegs, wobei sie oft ungeschützt gegenüber Menschenhändlern sind, die diese Situation aus-zunützen wissen. Sobald die legalen Flucht- und Migrationswege verschlossen sind, weichen die Kinder oftmals auf gefährliche Routen aus, die hohe Risiken mit sich bringen (United Nations International Children’s Emergency Fund [UNICEF], 2017, S. 6). Innerhalb von zwei Jahren sind zehntausende minderjährige Flüchtlinge in Europa verschwunden, was durch die Bekanntgabe von Europol publik geworden ist (Steiner, 2016). Da die legalen Fluchtkorridore nicht benutzt werden können, müssen die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge oft le-bensbedrohliche Situationen überstehen (Hargasser, 2014, S. 221). Eine Traumatisierung während der Flucht gehört dabei nicht zur Ausnahme, sondern ist eher überwiegend (Seckler, 2012, S. 133).
Aus der beschriebenen Problemstellung wird folgende Frage genauer untersucht:
- Welche belastenden Erfahrungen können bei unbegleiteten minderjährigen Asylsu-chenden eine mögliche Traumatisierung verursachen?
1.2 Definition zentraler Begriffe
Nachstehende Begriffe sind in dieser Arbeit und in der dazu verwendeten Literatur oft zur Verwendung gekommen:
Trauma, Traumatisierung: Der Begriff „Trauma“ stammt aus dem Griechischen und wird als „Wunde, die aufbricht“ bezeichnet. Der Begriff „Traumatisierung“ wird als Nachwirkung des Traumas beschrieben. Die Psychoanalyse hat die Bedeutung dieser Begriffe auf die psychi-sche Ebene übertragen, wobei diese einen Schock beschreiben, der sich auf die Persönlich-keit eines Menschen auswirkt (L. Grinberg & R. Grinberg, 2010, S. 9).
Unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA): Unter dem Begriff unbegleitete minderj ä hrige Asylsuchende (UMA) sind Minderjährige zu verstehen, die sich ohne gesetzlichen Vor-mund in der Schweiz aufhalten und ein Asylgesuch stellen oder stellen wollen (Biedermann Kaess, 1996, S. 8). Ein unbegleitetes Kind ist laut den Richtlinien des United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), eine Person, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat und von beiden Elternteilen getrennt ist oder nicht von einem Erwachse-nen betreut wird, welcher durch Gesetz oder Gewohnheit für die Betreuung des Kindes zu-ständig ist (1997, S. 2).
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF): In Deutschland wird der Begriff der unbeglei-teten Minderj ä hrigen Fl ü chtlingen (UMF) dafür verwendet, um Minderjährige zu bezeichnen, welche ohne Begleitung der Eltern oder Erziehungsberechtigten in das Bundesgebiet einrei-sen (Parusel, 2009, S. 13).
Flüchtlinge: In Artikel 3 Abs. 1 AsylG (Asylgesetz der Schweiz vom 26. Juni 1998, SR 142.31) ist festgehalten, dass Flüchtlinge Personen sind, die ihr Heimatland wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit verlassen haben, sofern diese Gründe mit einer ernsthaften Benachteiligung einhergegangen sind.
Asyl: Laut Artikel 2 Abs. 2 AsylG (Asylgesetz der Schweiz vom 26. Juni 1998, SR 142.31) umfasst Asyl den Schutz und die Rechtsstellung, welche die Personen mit Flüchtlingseigen-schaften bekommen.
1.3 Aufbau der Arbeit und Vorgehen bei der Literatursuche
In einem ersten Schritt sollen grobe Erkenntnisse darüber gewonnen werden, was eine Traumatisierung bei unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden begünstigt. Zudem soll eine kurze Annäherung an den Begriff des Traumas bzw. der Traumatisierung versucht wer-den, da dieser Begriff oft zur Anwendung gekommen ist. In einem zweiten Schritt sollen Indi-katoren für eine mögliche Traumatisierung sowie der Aufbau der Flucht und deren Belastun-gen für die Kinder und Jugendlichen untersucht werden.
Im Nebis-Katalog ist nach den Schlagwörtern „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ und „Traumatisierung“ gesucht worden und ist mit den Begriffen „Belastung“ und „Herausforde-rung“ ergänzt worden. Die Quellenangaben der gefundenen Literatur haben zu weiteren Me-dien geführt, die als Grundlage zur Beantwortung der Fragestellung beigetragen haben. Im Internet ist Google als Recherchewerkzeug zum Einsatz gekommen. Statistiken sind über das Bundesamt für Statistik gesucht worden, sind aber nicht zur Verwendung gekommen, da Abbildungen und Statistiken innerhalb der bearbeiteten Literatur verwendet worden sind. Die Bearbeitung der Problemstellung hat ihr Bezugswissen aus den Sozialwissenschaften, aus der Psychologie, der Soziologie und der Sozialen Arbeit.
2 Ergebnisse aus der Literatur
2.1 Entstehung und Ursache m ö glicher traumatischer Erfahrungen f ü r unbegleitete minderj ä hrige Fl ü chtlinge
Etwa die Hälfte aller Flüchtlinge der Welt sind Kinder. In manchen Ländern sind sogar über die Hälfte der Flüchtlinge unter achtzehn Jahren alt und es gibt verschiedene Gründe, warum Kinder ihre Heimat verlassen (Rieger, 2010, S. 21). Viele Kinder flüchten, um bevorstehende Ereignisse wie eine Kinderehe, eine Genitalverstümmelung bei Mädchen oder eine Zwangs-rekrutierung besonders bei Jungen zu vermeiden (UNICEF, 2017, S. 14). Es gibt zudem Kinder, die wegen den politischen Aktivitäten der Eltern zur Verantwortung gezogen werden oder gar gefoltert oder als Geiseln genommen werden (Rieger, 2010, S. 21). Die Entschei-dung für die Flucht der Kinder wird dann oft von den Familien getroffen und geschieht nicht aus Eigeninitiative (UNICEF, 2017, S. 14). So werden die Kinder oft von ihren Eltern oder anderen Bezugspersonen los geschickt und in manchen Fällen sind unter den flüchtenden Kindern auch Waisen oder Halbwaisen oder wurden auf der Flucht oder in ihrer Heimat von ihren Eltern getrennt. Oft sind die Kinder ganz auf sich alleine gestellt und abhängig von Schleusern und Menschenhändlern um die Grenzen passieren zu können (Rieger, 2010, S. 21). Das Umgehen der Grenzen und die Benutzung illegaler Methoden und Reiserouten er-höht sogleich das Risiko, Opfer von körperlicher und sexueller Ausbeutung zu werden, wobei das eigene Leben ebenfalls in Gefahr ist (Bhabha, 2001, zitiert nach Hargasser, 2014, S. 90). Oft vergehen Monate oder gar Jahre, bis die Kinder das Land erreichen, in welchem sie Schutz suchen, wobei grosse Distanzen zurückgelegt werden. Sind die Kinder nun in dem sicher geglaubten Land angekommen, bleiben sie oft in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Schleppern und Menschenhändlern, da die entstandenen Schulden abzuarbeiten sind (Rieger, 2010, S. 21). Die vielfachen Erfahrungen, die nun auf der Flucht gemacht worden sind oder die zu der Flucht geführt haben, lösen bei vielen UMF Traumata und andere psy-chische Erkrankungen aus (Detemple, 2015, S. 30). Die Belastung der Flucht sei zudem für Kinder und Jugendliche noch grösser als für Erwachsene, da sie oftmals in einer Abhängig-keit stehen und die Zusammenhänge der Flucht nicht wirklich nachvollziehen können (Dietz & Holzapfel, 1999, S. 189). Neben der belastenden Situation der Flucht, sind die Kinder und Jugendlichen im Ankunftsland nun nicht nur mit den Erlebnissen und Herausforderungen der Flucht und des Zurechtfindens innerhalb einer anderen Gesellschaft, sondern auch mit dem Prozess des Erwachsenwerdens und der Festigung der eigenen Identität konfrontiert, was für die Kinder eine weitere grosse Herausforderung beinhaltet (King & Koller, 2009, zitiert nach Detemple, 2015, S. 30). All diese Ereignisse und Herausforderungen verdeutlichen gemäss Detemple (2015, S. 33) nicht nur einen Bruch in der Lebensgeschichte der flüchten-den Kinder, sondern zeigen auch die Schwierigkeit auf, wie es ist, die Heimat und die Familie zurückzulassen, erlebte Gewalt und Unterdrückung zu verarbeiten und mit dem Zurechtfin-den in einer neuen Umgebung umzugehen, wobei das Gesamtpaket dieser Erlebnisse für die flüchtenden Kinder Dauerstress bedeutet.
Um die Gründe noch bildhafter darzustellen, wieso Jugendliche und Kinder ohne ihre Eltern fliehen, beschreibt Rieger (2010, S. 22) unter anderem die beiden vierzehn und fünfzehn Jahre alten Geschwister aus dem Irak, die gemeinsam mit ihren Eltern fliehen wollen, da der Vater der Familie mehrfach bedroht worden ist. Nach einigen Tagen auf der Flucht wird die Familie von Schleppern in zwei verschiedene Autos verfrachtet. Die Kinder wissen bis heute nicht, wo sich ihre Eltern aufhalten. Weiter beschreibt Rieger einen Jungen im Alter von zehn Jahren, welcher aus Sierra Leone stammt. Dieser wird von einer Rebellenorganisation ent-führt, unter Drogen gesetzt und gezwungen Dörfer zu überfallen und Diamanten abzubauen. Nach vier Jahren Gefangenschaft gelingt ihm die Flucht, da er einen gefundenen Diamanten verstecken und so seine Flucht finanzieren kann.
Nachfolgend werden in Abbildung 1 weitere potentiell traumatisierende Erfahrungen darge-stellt, welche sechs ehemalige UMF zum Ausdruck gebracht haben. Diese sind zum Zeit-punkt der Erlebnisse zwischen vierzehn bis sechzehn Jahre alt gewesen (Hargasser, 2014, S. 140–141).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1. Häufigkeit von typischen Traumaerfahrungen der UMF infolge kriegerischer Auseinandersetzungen
Quelle: Eigene Darstellung (Hargasser, 2014, S. 147)
Abbildung 1 zeigt auf, dass alle Befragten schon einmal Zeugen von Folter gewesen sind und unter Lebensgefahr gestanden haben. Fünf der Befragten geben an, dass sie eine Schiesserei, ein Attentat und eine Form von Bedrohung erlebt haben. Vier der Befragten sagen aus, dass sie schon einmal in ihrem Zuhause überfallen worden seien und man sie in einem Gefängnis inhaftiert habe und ebenso viele haben schon einmal eine Bombenexplosi- on aus der Nähe miterlebt. Die Hälfte von allen Befragten sind entführt oder zu Kämpfen ge-zwungen worden oder sind entweder geschlagen oder gefoltert worden. Auffallend ist, dass sich nur ein Drittel unfreiwillig von der Familie getrennt hat und nur einer der Befragten gibt an, dass er durch den Einsatz einer Waffe verletzt worden sei (Hargasser, 2014, S. 146– 147).
2.2 Eine Ann ä herung an die Begrifflichkeit des Traumas
Grundsätzlich ruft jede Migration eine aufbauende Traumatisierung hervor und ist nicht durch einzelne Erlebnisse, wie der Tod eines Familienangehörigen oder durch eine Vergewalti-gung, gekennzeichnet. Das bedeutet, dass sich die Traumatisierung innerhalb des Flucht-prozesses so aufbaut, bis sich irgendwann Symptome eines Traumas zeigen (L. Grinberg & R. Grinberg, 2010, S. 9). Doch nun ist der Begriff des Traumas in den letzten Jahren zu einer Modeerscheinung geworden. Hinzu kommt eine Häufung von theoretischen Konzepten, die oft mehr Verwirrung stiften, als dass sie eine Klärung hervorrufen. In der Fachdiskussion gibt es zwei unterschiedliche Richtungen zum Phänomen Trauma. Das sind zum einen breit an-erkannte Konzepte, welche sich vor allem mit den Symptomen und Folgen befassen und Konzepte, welche das Trauma und deren Wirkung als Folge von Zusammenhängen verste-hen. Die Konzepte, welche sich hauptsächlich auf die Symptome und Folgen fokussieren, werden von Arztgruppen und Psychiatern benutzt, um psychische Krankheiten einzuordnen und Diagnosen zu stellen und fragen nicht nach sozialen Begebenheiten und deren Zusam-menhängen (Teckentrup, 2010, S. 97–98), was laut Zito (2010, S. 128) unabdingbar ist, um mit jungen Flüchtlingen in Form einer Traumatherapie zu arbeiten. Nun ist man sich aber weder darüber einig, was ein Trauma ist noch wie man es zu behandeln hat. Es existieren keine Ansätze, welche imstande sind alle Aspekte des Traumatisierungsprozesses zu erfas-sen, was unter anderem daran liegt, dass psychologische Theorien überfordert sind, wenn versucht wird eine allgemeingültige Aussage zu machen. Daher ist es auch nicht möglich eine universelle Definition des Traumas zu treffen, um nach einem klaren Ablauf und Schema behandeln zu können (Becker, 2006, S. 155). Doch grundlegend kann gesagt werden, dass ein Trauma immer eine dauerhafte Veränderung der psychischen Organisation auslöst. Ein Trauma ist ein Einschnitt, der eine unerträgliche Angst oder Hilflosigkeit nach sich zieht und sich auch in Form von Todesangst im eigentlichen Sinne ausdrücken kann (Teckentrup, 2010, S. 99).
2.3 Extreme Belastungssituationen
Wie unter Punkt 2.2 erwähnt, kann das Trauma und deren Wirkung nun als Folge von Zu-sammenhängen verstanden werden. Das Konzept von Keilson (1979), welches auf die Flucht und die damit entstehende Traumatisierung übertragen werden kann, betrachtet dabei spezifische extreme Belastungssituationen von Kindern und Jugendlichen und nicht einzelne einzugrenzende Ereignisse (Teckentrup, 2010, S. 99–100). Gemäss Keilson (1979, S. 55– 56) ist die Flucht der Kinder als eine aufeinanderfolgende Traumatisierung zu verstehen und kann in drei Phasen enormer Belastungssituationen eingeteilt werden, welche nachfolgend unter Abbildung 2 dargestellt sind. Keilson (1979) hat in seinen Studien jüdische Kriegswai-sen in den Niederlanden untersucht und hat dabei das Konzept der sequentiellen Traumati-sierung entwickelt, welches laut Teckentrup (2010, S. 99) in seinen Grundzügen auf die Flucht und deren Traumatisierung übertragen werden kann.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2. Abfolge traumatischer Belastungssituationen bei Kindern und Jugendlichen Quelle: Eigene Darstellung (Keilson, 1979, S. 56)
Jede dieser drei Phasen der Abbildung 2 ist laut Keilson (1979, S. 56–72) durch extreme Belastungssituationen gekennzeichnet. Die Beginnphase zeichnet sich durch den Verlust des Rechtschutzes und durch die Entwürdigung der Familie aus. Die Verfolgung, Entführung von Angehörigen und Bekannten gehört ebenfalls dazu. Ein besonderes Merkmal der Be-ginnphase ist die Auflösung der vertrauten Umgebung. Keilson (1979) bezeichnet diese Phase als: «Die Beginnphase mit den präludierenden Momenten der Verfolgung» (S. 56). Die zweite Phase der direkten Verfolgung in Abbildung 2, ist gekennzeichnet durch die Le-bensbedrohung und das Ausgeliefertsein der Kinder und Jugendlichen. Dabei entstehen Konfrontationen mit dem Tod und brutaler Macht. Das plötzliche Abbrechen von Spielmög-lichkeiten ist in dieser Phase für die Kinder besonders belastend. Keilson (1979) nennt diese Phase: «Aufenthalt im Konzentrationslager oder im Versteck» (S. 56). In der dritten Phase, welche in Abbildung 2 unter dem Titel Nachkriegszeit aufgeführt ist, ist die Rückkehr aus rechtslosen Situationen in sichere und bürokratische Zustände gemeint. Die Kinder und Ju-gendlichen kommen dabei in einer anderen geordneten Umgebung an, als diejenige, welche sie ursprünglich verlassen haben. Es bedeutet das Ende der Lebensbedrohung, wobei oft eine Aufarbeitung der Schäden stattfindet, was zu einer Verstärkung in der Konfrontation mit dem erlebten Trauma führen kann. Dadurch entstehen neue seelische Schädigungen, da die Kinder und Jugendlichen das Geschehene aufarbeiten müssen und dabei verdrängte Ent-täuschungen hoch kommen. Keilson (1979) nennt diese Phase: «Nachkriegszeit mit allen Schwierigkeiten der Wiedereingliederung etc.» (S. 56).
Deutlich wird bei der Betrachtung dieser drei Phasen, dass die dritte Phase der Befreiung nicht ein Ende der Traumatisierung für die Kinder und Jugendliche bedeutet, sondern in Form der Aufarbeitung und Konfrontation mit dem Erlebten weitergeht, wobei die Erfahrun-gen immer wieder durchlebt werden. Viele Opfer bezeichnen die Erfahrung der letzten Phase als die schmerzlichste Phase ihres Lebens (Teckentrup, 2010, S. 100).
3 Folgerung und Diskussion
Schlussfolgernd und in Bezug auf die Fragestellung, welche Erfahrungen bei der Flucht ent-stehen, die ein mögliches Trauma bei UMA auslösen können, kann gesagt werden, dass es viele verschiedene Indikatoren innerhalb des Fluchtprozesses gibt, die ein mögliches Trauma begünstigen. Eine Vielfalt möglicher traumatischer Erfahrungen ist zum Vorschein ge-kommen. Zudem ist die Erkenntnis gewonnen worden, dass UMF, gemäss Herrmann, Macsenaere und Wennmann (2018, S. 31), oft lebensbedrohliche Gefahren in Kauf nehmen, was zu dieser Vielzahl von belastenden Erfahrungen führen kann. In Bezug auf die Abbil-dung 2 kann zudem gefolgert werden, dass die Belastung und Auseinandersetzung mit traumatischen Erfahrungen nach der Flucht nicht einfach aufhören, sondern es gemäss Keil-son (1979, S. 58) durch deren Aufarbeitung zu einer weiteren Extrembelastung kommen kann und sich somit die Frage stellt, wie mit diesen Kindern und Jugendlichen umzugehen ist.
Die Begrifflichkeit des Traumas ist angeschnitten worden und es wäre interessant zu unter-suchen, welche Arten von Trauma es gibt und welche am häufigsten bei UMF vorkommen. Als Thema dieser Arbeit nicht behandelt wurde weiter die Therapie mit traumatisierten UMF, was spannend wäre zu untersuchen. Es wäre interessant zu erforschen, wie eine solche Therapie aussieht und welche Ansätze und Vorgehensweisen benutzt werden, da die Viel-zahl der traumatischen Erfahrungen nach den Erkenntnissen dieser Arbeit stark variieren.
Das Konzept von Keilson (1979) der sequentiellen Traumatisierung konnte in dieser Arbeit ebenfalls nicht weiter untersucht werden und warum laut Teckentrup (2010, S. 100) Keilson in der Arbeit mit traumatisierten Menschen bisher wenig Beachtung und Anerkennung findet, wenn es um die Anwendung seines Konzepts geht, wäre spannend zu untersuchen.
Die Begriffe UMA und UMF sind in dieser Arbeit oft aufgetaucht und eine Untersuchung weshalb es keine internationalen Standards gibt, welche diese Begriffe beschreiben, wäre in einer weiterführenden Arbeit ebenfalls interessant zu untersuchen.
Um eine Eingrenzung der offenen weiterführenden Themen vorzunehmen, könnten folgende drei weiterführende Fragen in Bezug auf die UMF ebenfalls interessieren:
- Welche Therapiebehandlungen kommen bei UMF zum Einsatz und wie sehen diese aus?
- Weshalb stösst das Konzept von Keilson der sequentiellen Traumatisierung auf wenig An-erkennung im Umgang mit UMF?
- Weshalb gibt es keine internationale anerkannte Einigung über die Begrifflichkeit der UMA oder eben der UMF?
Literaturverzeichnis
Becker, D. (2006). Die Erfindung des Traumas - verflochtene Geschichten. Berlin: Edition Freitag.
Biedermann Kaess, A. (1996). Doppelt schutzlos: unbegleitete minderj ä hrige Asylsuchende in der Schweiz. Zürich: Hilfswerk der evangelischen Kirchen der Schweiz.
Detemple, K. (2015). Zwischen Autonomiebestreben und Hilfebedarf: unbegleitete minder-j ä hrige Fl ü chtlinge in der Jugendhilfe (2. Aufl.). Hohengehren: Schneider.
Dietz, B. & Holzapfel, R. (1999). Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund: Kinder in Aussiedlerfamilien und Asylbewerberfamilien - alleinstehende Kinderfl ü chtlinge. Op-laden: Verlag Deutsches Jugendinstitut.
Grinberg, L. & Grinberg, R. (2010). Psychoanalyse der Migration und des Exils. (2. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta.
Hargasser, B. (2014). Unbegleitete minderj ä hrige Fl ü chtlinge: Sequentielle Traumatisie-rungsprozesse und die Aufgaben der Jugendhilfe. Frankfurt am Main: Brandes & Ap-sel.
Keilson, H. (1979). Sequentielle Traumatisierung bei Kindern: deskriptiv-klinische und quanti-fizierend-statistische follow-up Untersuchung zum Schicksal der j ü dischen Kriegswai-sen in den Niederlanden. Stuttgart: Enke.
Macsenaere, M., Köck, T. & Wennmann, O. (2018). Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe: Erkenntnisse aus der Evaluation von Hilfeprozessen. In Macsenaere, M., Köck, T. & Hiller, S. (Hrsg.), Ergebnisse (S. 25–86). Freiburg im Breisgau: Lambertus-Verlag.
Parusel, B. (2009). Unbegleitete minderj ä hrige Migranten in Deutschland: Aufnahme, R ü ck-kehr und Integration. Working Paper 26. Nürnberg: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Rieger, U. (2010). Kinder auf der Flucht. In P. Dieckhoff (Hrsg.), Kinderfl ü chtlinge: theoreti-sche Grundlagen und berufliches Handeln (S. 21–26). [PDF], Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
Seckler, M. (2012). Flucht kennt keine Kindheit - Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ha-ben keine Lobby. Migration und Soziale Arbeit, (2), 133–137. doi:10.3262/MIG1202133
Steiner, M. (2016, Februar 05). 240 Flüchtlingskinder in der Schweiz verschwunden. SRF. Verfügbar unter: https://www.srf.ch/news/schweiz/240-fluechtlingskinder-in-der-schweiz-verschwunden
Teckentrup, G. (2010). Wenn der Körper die Seele entlastet - Somatische Symptome als
Reaktionen auf extreme Traumatisierungen. In P. Dieckhoff (Hrsg.), Kinderfl ü chtlinge: theoretische Grundlagen und berufliches Handeln (S. 97–112). [PDF], Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
United Nations High Commissioner for Refugees (1997). Richtlinien ü ber allgemeine Grunds ä tze und Verfahren zur Behandlung asylsuchender unbegleiteter Minderj ä hri-ger. Verfügbar unter: http://www.refworld.org/pdfid/47442c952.pdf
United Nations International Children’s Emergency Fund. (2017). A child is a child: Protecting children on the move from violence, abuse and exploitation. Verfügbar unter: https://www.unicef.org/publications/index_95956.html
Zito, D. (2010). Alleine konnte ich das nicht schaffen. Psychische Belastung und Therapie bei jungen Flüchtlingen. In P. Dieckhoff (Hrsg.), Kinderfl ü chtlinge: theoretische Grundlagen und berufliches Handeln (S. 113–124). [PDF], Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
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