Im Laufe des letzten Jahrzehnts geriet das deutsche Berufsbildungssystem mit seinem Herzstück, dem dualen System, gegenüber weniger beruflich sondern stärker schulisch orientierten Systemen ins Hintertreffen. Die Schere zwischen Lehrplänen und Anforderung der Wirtschaft ging immer weiter auseinander. Verantwortlich hierfür wird die mangelnde Anpassungsfähigkeit an die sich dynamisch veränderten Rahmenbedingungen gemacht. Alle beteiligten Institutionen sind sich im Grunde darüber einig, dass das duale System modernisiert werden muss. Wie nicht anders zu erwarten ist, bestehen aber hinsichtlich des „wie“ und der jeweiligen Folgen für die Beruflichkeit und das duale System Kontroversen.
Schließen sich Beruflichkeit und Modularisierung als unüberbrückbare Gegensätze gegenseitig aus und bedeutet Modularisierung zwangsläufig das Ende des deutschen dualen Systems und den qualitativen Niedergang der beruflichen Ausbildung? Erweist sich eine Modularisierung in Maßen, als innere Modernisierung, die die Sinnreferenz des Dualen Systems nicht zerstört, bei der der Beruf mehr als nur die Summe der erworbenen Kenntnisse bleibt, als Ausweg aus dem relativ statischen deutschen beruflichen Ausbildungssystem?
Inhaltsverzeichnis
1 Problemstellung
2 Modularisierung
2.1 Was sind Module ?
2.1.1 Sequenzierungskonzept
2.1.2 Differenzierungskonzept
2.1.3 Supplementierungskonzept
2.1.4 Fragmentierungskonzept
2.2 Ziele, Vorteile und Gefahren der Modularisierung
3 Reformvorschläge und Neuordnungen
3.1 Ausbildungsoffensive 2003
3.1.1 Die Bundesregierung
3.1.2 Die Wirtschaftsverbände
3.1.3 Die Gewerkschaften
3.2 Bundesinstitut für Berufsbildung [BiBB]
3.3 Deutscher Industrie – und Handelskammertag [DIHK]
3.4 Neuordnung der Elektroberufe
4 Europa
4.1 Dänemark
4.2 Niederlande
4.3 England
5 Resümee
6 Literaturverzeichnis
1 Problemstellung
Im Laufe des letzten Jahrzehnts geriet das deutsche Berufsbildungssystem mit seinem Herzstück, dem dualen System, gegenüber weniger beruflich sondern stärker schulisch orientierten Systemen ins Hintertreffen. Die Schere zwischen Lehrplänen und Anforderung der Wirtschaft ging immer weiter auseinander. Verantwortlich hierfür wird die mangelnde Anpassungsfähigkeit an die sich dynamisch veränderten Rahmenbedingungen gemacht. Alle beteiligten Institutionen sind sich im Grunde darüber einig, dass das duale System modernisiert werden muss. Wie nicht anders zu erwarten ist, bestehen aber hinsichtlich des „wie“ und der jeweiligen Folgen für die Beruflichkeit und das duale System Kontroversen.
Die Fragen lauten nun, schließen sich Beruflichkeit und Modularisierung als unüberbrückbare Gegensätze gegenseitig aus und bedeutet Modularisierung zwangsläufig das Ende des deutschen dualen Systems und den qualitativen Niedergang der beruflichen Ausbildung ?
In der Modularisierungsdebatte, in der häufig auf Arbeiten von Kloas, Sloane und Deißinger zurückgegriffen wird, ist zu beachten, dass der Begriff „Modularisierung“ unterschiedlich verstanden werden kann. Modularisierung in Deutschland bewegt sich im Rahmen des dualen Systems und der Beruflichkeit und damit in den unter Punkt 2.1.1 bis 2.1.3 vorgestellten Konzepten. Modularisierung wie sie England verstanden wird, verlässt diesen Rahmen.
Nach einer theoretischen Betrachtung des Begriffs „Modularisierung“ werden Reformvorschläge von an der Berufsausbildung beteiligten Interessensgruppen und Veränderungen in neuen Ausbildungsprofilen vorgestellt. Im dritten Teil dieser Arbeit werden Wege beschreiben, die andere europäischen Länder in der Berufsausbildung gegangen sind.
2 Modularisierung
2.1 Was sind Module ?
Module sind standardisierte Lerneinheiten, die auf den Erwerb spezifischer (beruflicher) Kompetenzen verweisen und als curriculare Bausteine mit Lernziel- und / oder Lerninhaltbeschreibungen eine institutionalisierte Form annehmen.[1]
Kloas[2] verdeutlicht dies an folgendem Bild: So wie die einzelnen „Module“ Wände, Fenster, Türen, Dach [...] u.a. zur Gesamtfunktion „Wohnen“ beitragen, so sind bestimmte Module in der Berufsbildung konstitutiv für die Gesamtfunktion „berufliche Handlungskompetenz“. Und so wie etwa die Wand oder die Tür erst aus dem Gesamtzusammenhang des Hauses ihre Funktion schöpfen, gilt dies auch für einzelne Module der Berufsausbildung.
Nachfolgend werden drei Modularisierungskonzepte vorgestellt, die mit dem Beruflichkeitsprinzip vereinbar sind, und eines – das Fragmentierungskonzept - bei dem dies nicht der Fall ist. Hierbei die Einteilung nach Deißinger zugrunde gelegt.[3]
2.1.1 Sequenzierungskonzept
Das Sequenzierungskonzept sieht Module als unselbständige, modularisierte, didaktische Einheiten eines bestimmten Themenbereichs innerhalb der Gesamtqualifikation. Hier handelt es sich lediglich um eine strukturelle Neugestaltung der Ausbildung, der Inhalt bleibt erhalten.
2.1.2 Differenzierungskonzept
Module werden in Form von Wahl(pflicht)-einheiten angeboten, so dass unterschiedliche Qualifikationsprofile bei relativ großer inhaltlicher Verwandtschaft diese Module nutzen können. Der Ziel- und Abschlusscharakter einer Ausbildung, der schließlich zu einer Gesamtkompetenz führt, wird beibehalten.[4]
Ein Beispiel für eine Ausbildung nach dem Differenzierungskonzept ist die zum ersten August nächsten Jahres in Kraft tretende Ausbildungsordnung zum Speditionskaufmann /-frau. Die Auszubildenden können hier drei aus sieben Wahl-Pflicht-Qualifikationen (z.B. Seeschifffahrt, Eisenbahngüterverkehr oder Luftfrachtverkehr) wählen.[5]
2.1.3 Supplementierungskonzept
Module besitzen bei diesem Konzept ausschließlich Ergänzungscharakter und werden in der Regel Abiturienten als Zusatzqualifikationen zur Wissensvertiefung eines bestehenden Berufsbildes angeboten, so dass begleitend zur Ausbildung bereits eine Spezialisierung erfolgt. Ein Beispiel hierfür ist der Bankkaufmann mit Zusatzausbildung zum Finanzassistent.
2.1.4 Fragmentierungskonzept
Das Fragmentierungskonzept ist am weitesten vom bisherigen deutschen Ausbildungssystem entfernt. Das Fragmentierungskonzept gibt den Gesamtzusammenhang des dualen Systems auf, in dem es Module als eigenständige, individuell zertifizierte, beliebig kombinier- und durchlaufbarer Lerneinheiten sieht. Ein Beispiel hierfür sind die NVQ in England.
2.2 Ziele, Vorteile und Gefahren der Modularisierung
Module können leichter den sich stetig ändernden Anforderungen in der Arbeitswelt - durch Globalisierung oder technische Neuerungen - angepasst sowie schulisches und betriebliches Lernen besser miteinander verknüpft werden.
Überdies würde Ausbildung in Modulform im Falle eines zwischenzeitlichen Abbruches die Wiederaufnahme zu einem späteren Zeitpunkt erleichtern. Zu diesem Punkt fordert das BiBB in seiner Stellungsnahme zum Berufsbildungsbericht 2003, dass eine zeitliche Streckung der Ausbildung gesetzlich verankert und die erreichten Qualifikationen bei Abbruch der Berufsausbildung bescheinigt werden.[6]
Ein weiterer Gesichtspunkt ist die notwendige, bessere Verbindung zwischen Aus- und Weiterbildung, wie sie das BiBB ebenfalls anmahnt. Die demographische Entwicklung besagt, dass künftig der Bedarf an gut qualifizierten Menschen nicht alleine durch Neueinstellungen gedeckt werden kann. Aus diesem Grund müssen die bereits heute Werktätigen in ein Konzept lebenslangen Lernens mit entsprechender Durchlässigkeit zwischen den Bildungsbereichen eingebunden werden.[7]
Gefahren bei einer verstärkten Modularisierung werden in einer möglicherweise geringeren Transparenz und Vergleichbarkeit der „Modulausbildung“ - wie in England geschehen - und einer Reduzierung der Ausbildung auf ein Ansammeln verwertbarer Module mit „Erledigungsdenken“ gesehen.
Obendrein könnte eine zu starke Spezialisierung in der Ausbildung auf einen (Groß-) Betrieb oder einen einzigen Tätigkeitsbereich in späteren Jahren einen Arbeitsplatzwechsel erschweren, da das Markenzeichen des deutschen Ausbildungssystems, die volle Beruflichkeit, nicht mehr gegeben sein muss.
Vorweggenommen sei hier bereits gesagt, dass am Ende einer Neugestaltung der deutschen Ausbildung sichergestellt sein muss, dass die Marktfähigkeit des Ausbildungssystems gesichert und zugleich eine zukunftsstabile Infrastruktur für lebensbegleitendes berufliches Lernen aufgebaut wird.[8] Die Module müssen ein Teil des Ganzen bleiben, da die berufliche Handlungsfähigkeit als Gesamtfunktion einer Ausbildung mehr ist als die Summe der einzelnen Module.[9]
Um in der Revision der Berufsbilder nicht ständig hinter einer dynamisch werdenden ökonomisch und technisch-organisierten Realität herzuhecheln und ständig neue Berufe zu „basteln“, bietet es sich an, das Prinzip der Dynamik in die Berufsbild-Konstruktion selbst aufzunehmen und Berufsbilder so zu entwerfen, dass sie neben einem Kern relativ stabiler Basisqualifikationen einen Flexibilitätskorridor aufweisen, der im Rahmen definierter Ziele nach branchen- und betriebsspezifischen Besonderheiten des Berufes ausgefüllt werden kann.[10]
3 Reformvorschläge und Neuordnungen
3.1 Ausbildungsoffensive 2003
3.1.1 Die Bundesregierung
Die Bundesregierung schlägt in ihrer Berufsbildungsoffensive 2003 unter anderem vor:[11]
das Ordnungsverfahren und die Gremienstrukturen zur Modernisierung der dualen Ausbildungsberufe zu straffen, weniger komplexe Ausbildungen für Jugendliche mit schlechteren Startchancen zu schaffen, bestehende Ausbildungsgänge stärker auf Betriebsnähe und regionale Wirtschafts- und Arbeitsmarktstrukturen auszurichten und unter der Beteiligung der Tarifpartner rasch ein neues System von zertifizierten Ausbildungsbausteinen aus Ausbildungsberufen für die Ausbildungsvorbereitung zu schaffen.
Folgende Prioritäten werden dabei gesetzt:
- Modernisierung, Entbürokratisierung und Flexibilisierung der Ausbildung
- Ausbildung für alle und Förderung Jugendlicher mit schlechteren Startchancen
- Verwirklichung von Durchlässigkeit und Gleichwertigkeit beruflicher Bildung
- Internationale Öffnung der Berufsbildung
- Qualitätssicherung der beruflichen Weiterbildung
3.1.2 Die Wirtschaftsverbände
Die Wirtschaft wird verstärkt Anstrengungen unternehmen, so viele Ausbildungsplätze wie möglich zu mobilisieren. Die Wirtschaftsverbände haben umfassende Maßnahmen und Initiativen eingeleitet und werden überdies gezielt Unternehmen ansprechen und beraten, die noch nicht ausbilden, Werbung für die neuen und modernisierten Berufe machen und auf Ausbildungsbetriebe hinweisen, die noch Lehrlinge suchen.[12]
[...]
[1] Vgl. Deißinger, 1998, S. 212.
[2] zit. in: Euler/ Knippel, 2000, S. 2.
[3] Vgl. Deißinger, 2001, S. 198 ff.
[4] Vgl. Frommberger und Reinisch, 2001, S.358.
[5] Vgl. Wirtschaft und Erziehung, 5/2003, S. 207.
[6] Vgl. BiBB, 2003, S. 15.
[7] Vgl. BiBB, 2003, S. 4.
[8] Vgl. Adler / Lennartz, S. 13.
[9] Vgl. Kloas, 2000, S.33 f.
[10] Baethge, 2001, S. 63.
[11] Vgl. BiBB, 2003, http://www.bmbf.de/4681_6564.html, Stand: 05.07.2003.
[12] Vgl. BiBB, 2003, http://www.bmbf.de/4681_6563.html, Stand: 05.07.2003.
- Citation du texte
- Sven Wettach (Auteur), 2003, „Beruflichkeit“ und „Modularisierung“ als polare Bezugspunkte der aktuellen Berufsbildungsdiskussion, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54236
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