1. Einleitung:
Die 1944 im amerikanischen Exil erschienene Schrift „An Essay on Man“ (zu dt. „Versuch über den Menschen“)1 von Ernst Cassirer gilt heute als das Schlüsselwerk zum Verständnis seiner Philosophie der symbolischen Formen. In seinem gleichnamigen Hauptwerk beschäftigt sich Cassirer mit der Frage, ob und in welchem Maße der Mensch zu wahren Erkenntnissen über die wirkliche Welt befähigt ist.
Die symbolischen Formen werden von Cassirer als Formen des Weltzuganges verstanden. Jede einzelne, ob Mythos, Religion, Kunst, Sprache, Wissenschaft, etc., ordnet die Welt unter ihre bestimmte Perspektive. Es ist die wichtigste Aufgabe symbolischer Formen eine Synthese, eine ,,Vermittlung" von Selbst und Welt zu leisten. Erst durch die symbolischen Formen erlangt der Mensch einen neuen Zugang zur Welt. Gemeinsam ist den symbolischen Formen und Zeichen, trotz ihrer augenscheinlichen Verschiedenheit, dass sie zwischen dem Menschen und der Welt vermitteln und dieser Sinn und Bedeutung verleihen. Dabei wird in der Vermittlung und Sinngebung die Welt für den Menschen in einer indirekten Weise erst verständlich.
In der Einleitung zum 1923 erschienenen ersten Band der „Philosophie der symbolischen Formen“ formuliert Cassirer sein Anliegen wie folgt: „Neben der reinen Erkenntnisfunktion gilt es, die Funktion des sprachlichen Denkens, die Funktion des mythisch-religiösen Denkens und die Funktion der künstlerischen Anschauung derart zu begreifen, dass daraus ersichtlich wird, wie sie in ihnen allen eine ganz bestimmte Gestaltung nicht sowohl der Welt, als vielmehr eine Gestaltung zur Welt, zu einem objektiven Sinnzusammenhang und einem objektiven Anschauungsganzen sich vollzieht.“2
Die folgende Untersuchung beschäftigt sich mit dem Aspekt der Sprache, weil sie meiner Meinung nach diejenige symbolische Form darstellt, in der sich symbolisches Verhalten und symbolisches Denken am ehesten manifestiert. Dabei soll nicht nur das Kapitel über die Sprache aus der Schrift „Versuch über den Menschen“, sondern ebenfalls die „Philosophie der symbolischen Formen“ als auch der Aufsatz „Die Sprache und der Aufbau der Gegenstandswelt“3 aus dem Sammelband „Symbol, Technik, Sprache“ weitestgehend berücksichtigt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Beziehung zwischen Sprache und Wirklichkeit
2.1 Unterscheidung zwischen emotionaler und propositionaler Sprache
2.2 Die drei Phasen des Spracherwerbs
3. Die Rolle der Sprache für die soziale Welt
4. Die Sprache und der Aufbau des Selbstbewusstseins
5. Abschließende Bemerkungen 10
6. Literatur
1. Einleitung
Die 1944 im amerikanischen Exil erschienene Schrift „An Essay on Man“ (zu dt. „Versuch über den Menschen“)[1] von Ernst Cassirer gilt heute als das Schlüsselwerk zum Verständnis seiner Philosophie der symbolischen Formen. In seinem gleichnamigen Hauptwerk beschäftigt sich Cassirer mit der Frage, ob und in welchem Maße der Mensch zu wahren Erkenntnissen über die wirkliche Welt befähigt ist.
Die symbolischen Formen werden von Cassirer als Formen des Weltzuganges verstanden. Jede einzelne, ob Mythos, Religion, Kunst, Sprache, Wissenschaft, etc., ordnet die Welt unter ihre bestimmte Perspektive. Es ist die wichtigste Aufgabe symbolischer Formen eine Synthese, eine ,,Vermittlung" von Selbst und Welt zu leisten. Erst durch die symbolischen Formen erlangt der Mensch einen neuen Zugang zur Welt.
Gemeinsam ist den symbolischen Formen und Zeichen, trotz ihrer augenscheinlichen Verschiedenheit, dass sie zwischen dem Menschen und der Welt vermitteln und dieser Sinn und Bedeutung verleihen. Dabei wird in der Vermittlung und Sinngebung die Welt für den Menschen in einer indirekten Weise erst verständlich.
In der Einleitung zum 1923 erschienenen ersten Band der „Philosophie der symbolischen Formen“ formuliert Cassirer sein Anliegen wie folgt:
„Neben der reinen Erkenntnisfunktion gilt es, die Funktion des sprachlichen Denkens, die Funktion des mythisch-religiösen Denkens und die Funktion der künstlerischen Anschauung derart zu begreifen, dass daraus ersichtlich wird, wie sie in ihnen allen eine ganz bestimmte Gestaltung nicht sowohl der Welt, als vielmehr eine Gestaltung zur Welt, zu einem objektiven Sinnzusammenhang und einem objektiven Anschauungsganzen sich vollzieht.“[2]
Die folgende Untersuchung beschäftigt sich mit dem Aspekt der Sprache, weil sie meiner Meinung nach diejenige symbolische Form darstellt, in der sich symbolisches Verhalten und symbolisches Denken am ehesten manifestiert.
Dabei soll nicht nur das Kapitel über die Sprache aus der Schrift „Versuch über den Menschen“, sondern ebenfalls die „Philosophie der symbolischen Formen“ als auch der Aufsatz „Die Sprache und der Aufbau der Gegenstandswelt“[3] aus dem Sammelband „Symbol, Technik, Sprache“ weitestgehend berücksichtigt werden.
2. Die Beziehung zwischen Sprache und Wirklichkeit
Cassirer unternimmt den Versuch, seine sprachphilosophischen Thesen anhand der Ergebnisse der damaligen sprachwissenschaftlichen und sprachphilosophischen Forschung empirisch zu belegen. Auf diese Weise präsentiert er dem Leser die Quintessenz aus den sprachwissenschaftlichen und
–philosophischen Theorien seines Zeitalters.
Von besonderer Bedeutung sind für Cassirer jedoch weniger zeitgenössische Erkenntnisse, als vielmehr die Thesen von Wilhelm von Humboldt, auf denen seine eigene Sprachphilosophie zum größten Teil basieren.
Humboldt hatte als einer der ersten die Weltsprachen klassifiziert und in bestimmte Grundtypen eingeteilt. Dabei konzentrierte er sich anstatt auf bloße Spekulationen über den Ursprung der Sprache, wie dies die übliche Vorgehensweise unter Sprachwissenschaftlern seiner Zeit gewesen war, um Sprachen zu untersuchen oder einzuteilen, auf eine systematische Analyse der internen Sprachstrukturen.
In diesem Zusammenhang hatte Humboldt ein neues Verständnis sowie eine Analyse von Einzelsprachen gefordert, die sich damit beschäftigt, wie jede einzelne von ihnen an der Bildung der gegenständlichen Vorstellung beteiligt ist. Seiner Ansicht nach betrifft „[…] der eigentliche Unterschied zwischen den Sprachen […] nicht die Laute oder die Zeichen, sondern die ‚Weltansicht’.“[4]
Humboldt stellt folglich einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Sprache und dem Bewusstsein des Menschen her. Erst durch den Prozess des Spracherwerbs erlangt das Individuum eine eigene Weltanschauung, eine Vorstellung der objektiven Welt und diese Vorstellung fließt wiederum in die Sprache mit ein. Aus diesem Grund kann eine genaue Definition von Sprache erst dann erfolgen, wenn der Prozess des Sprechens als solcher Beachtung findet.
„Wir müssen, um die Sprache zu verstehen, nicht bei ihren Gebilden stehen bleiben, sondern dem inneren Gesetz des Bildens nachspüren – wir dürfen sie nicht als ein Fertiges und Erzeugtes, sondern wir müssen sie als eine Erzeugung, als eine sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes betrachten.“[5]
In diesem Zitat wird deutlich, dass Humboldt die Sprache nicht als etwas beständig Seiendes, sondern als einen kontinuierlichen Prozess betrachtet, der einem ständigen Wandel unterworfen ist.
Auch Cassirer weist in seinen Ausführungen immer wieder auf die Prozesshaftigkeit der Sprache hin. Nichts ist beständig, alles ist ständigen Veränderungen unterworfen.
Cassirer folgt Humboldts Theorie ebenfalls in der Annahme, dass die Sprache hauptsächlich als eine Wortsprache zu charakterisieren ist. Wie stark Gesten und Gebärden auch immer in der Kommunikation ausgebildet sein mögen, können sie doch niemals die abstrakten Denkprozesse erreichen, die eine Wortsprache erreichen kann. Der Schritt zur Wortsprache ist nach Cassirer erst dort getan, wo eine Distanz zum unmittelbar Gegebenen und unmittelbar Erlebten durch die Abstraktionsleistung von Symbolen geschaffen wird.
Als ein Beispiel für den wechselseitigen Zusammenhang zwischen Sprache und Wirklichkeit kann die kindliche Spracherwerbung herangezogen werden. Das Kind lernt erst durch die Sprache, dass jedes Ding einen eigenen Namen hat, selbst solche, die es nicht fühlen oder sehen kann. Dieser Prozess spielt eine besonders wichtige Rolle für die gesamte menschliche Entwicklung, da das Kind die Namensgebung benötigt, um bestimmte gegenständliche Vorstellungen zu gewinnen und zu fixieren. „An der Hand des Namens tastet es sich gleichsam zu der Vorstellung der Gegenstände hin.“[6]
Somit ist der Prozess der Sprachentwicklung eng verknüpft mit einem noch kindlichen Bewusstsein der Welt.
Dass sich dieses Bewusstsein nicht nur auf die Welt der Gegenstände, sondern auch auf das eigene Ich und auf die soziale Welt bezieht, wird im Folgenden noch aufzuzeigen sein.
2.1 Unterscheidung zwischen emotionaler und propositionaler Sprache
Um die Bedeutung der symbolischen Vorstellung für den Menschen und für seine Kultur zu verdeutlichen, grenzt Cassirer seine Sprachphilosophie deutlich von der „Sprache“ der Tiere ab. In Kapitel III „Von der tierischen ‚Reaktion’ zur menschlichen ‚Antwort’“ in „Versuch über den Menschen“[7] beginnt Cassirer mit einer „Begriffsbestimmung der Sprache“. In diesem Kapitel untersucht Cassirer, im Gegensatz zu Kapitel VIII, die Sprache als Charakteristikum menschlichen Denkens, und weniger als Bestandteil der symbolischen Formen.
Cassirer erkennt in der Sprache kein einfaches oder gleichförmiges, sondern vielmehr ein aus verschiedenen Elementen bestehendes Phänomen. Er unterteilt diese Elemente, die sowohl biologisch als auch systematisch auf unterschiedlichen Stufen der Entwicklung stehen, in zwei Schichten.
Die erste und wichtigste Schicht ist die ‚emotionale Sprache’. Sie ist von besonderer Bedeutung, da jegliche Formen der Kommunikation, und zwar sowohl die menschliche Sprache im engeren Sinne als auch die der tierischen Ausdrucksmöglichkeiten, zu einem gewissen Teil eine Sprache der Emotionen beinhalten.
[...]
[1] Cassirer, Ernst: Versuch über den Menschen. Eine Einführung in eine Philosophie der Kultur. Felix Meiner Verlag, Hamburg 1996 (im Folgenden mit VM bezeichnet)
[2] Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen 2. Auflage. Darmstadt 1954
(im Folgenden mit PSF bezeichnet)
[3] Cassirer, Ernst: Die Sprache und der Aufbau der Gegenstandswelt. In: Symbol, Technik, Sprache (Aufsätze 1927-1933), hg. von Orth/ Krois, Hamburg 1985. S. 121-151 (im folgenden mit STS bezeichnet)
[4] VM, S. 188
[5] STS, S. 125
[6] ebd. S. 129
[7] VM, S. 52 ff.
- Quote paper
- Jana Marquardt (Author), 2004, Ernst Cassirers Sprachphilosophie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54081
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