Die Soziale Arbeit als Profession steht heute vor vielfältigen Herausforderungen und ethischen Fragestellungen. Dieses Thesenpapier widmet sich drei zentralen Thesen, die das Spannungsfeld zwischen ökonomischen Erwartungen, Professionalisierung und dem ethischen Anspruch in der Sozialen Arbeit beleuchten. Die Untersuchung zielt darauf ab, kritisch zu reflektieren, wie die Soziale Arbeit in der heutigen Gesellschaft agiert, welche ethischen Grundlagen sie vertritt und welche Auswirkungen dies auf die Praxis hat.
Die erste These konfrontiert die Soziale Arbeit mit der Frage, inwieweit sie den ökonomischen Erwartungen an Effektivität und zuverlässigen Problemlösungen, die in der heutigen Gesellschaft vorherrschen, etwas entgegenzusetzen hat. Dabei wird argumentiert, dass die Soziale Arbeit bereits ökonomische Ideale internalisiert hat und in Gefahr steht, ihre ethischen Grundlagen zu vernachlässigen. Die ethische Reflexion in Bezug auf die Praxis der Sozialen Arbeit wird als entscheidend erachtet, um die ethische Kompetenz der Fachkräfte zu fördern.
Die zweite These thematisiert die Auswirkungen der Bemühungen der Sozialen Arbeit um Professionalisierung. Hier wird argumentiert, dass die Orientierung an ökonomischen und technologischen Kriterien zu einer Vernachlässigung ethischer Fragestellungen geführt hat. Die Entwicklung einer eigenen Berufsethik wird als notwendig erachtet, um die Bedeutung der Ethik in der Sozialen Arbeit zu betonen und die Profession inhaltlich voranzutreiben.
Die dritte These beleuchtet die Bedeutung von Selbstständigkeit und Selbstbestimmung als ethische Ziele in der Sozialen Arbeit. Dabei wird argumentiert, dass diese Werte nur in der Loslösung von der klassischen Subjekt-Objekt-Beziehung in der Praxis umgesetzt werden können. Die Reflexion über das Verständnis von "Helfen" und die Bedeutung der Subjekthaftigkeit des Klienten werden in den Fokus gerückt, um eine stärkere Orientierung an Selbstbestimmung und Autonomie zu fördern.
Die vorliegende Arbeit strebt an, einen Beitrag zur ethischen Diskussion in der Sozialen Arbeit zu leisten und die Bedeutung von ethischen Grundlagen für die Praxis zu betonen. Dabei wird herausgearbeitet, dass die Soziale Arbeit in der Lage ist, ethischen Herausforderungen zu begegnen und die Selbstbestimmung und Autonomie ihrer Klienten zu fördern, ohne die professionelle Verantwortung aus den Augen zu verlieren.
THESENPAPIER ZUR MÜNDLICHEN PRÜFUNG
These 1:
Soziale Arbeit hat den heutigen Erwartungen an sie, bezüglich Effektivi- tät, zuverlässigen Problemlösungen gemäß eines feststehenden Planes nichts entgegenzusetzen, da sie die an der Ökonomie ausgerichteten Ideale bereits selbst internalisiert hat.
Das heute allgemein übernommene und akzeptierte funktionalistische Verständnis von Gesellschaft und von menschlicher Lebensführung könnte auch als eine Art Mo- ral betrachtet werden, als eine gesellschaftliche Praxis, die sich durch unreflektiertes Handeln und unhinterfragte Überzeugungen und Zielsetzungen auszeichnet. Wir wissen, die Ethik hat von jeher die Aufgabe, über gängige Praxis begründet (!) nach- zudenken. Tut sie das in Hinblick auf die Soziale Arbeit? Laut Volz fällt es ihr schwer, da sie sich selbst hauptsächlich auf ihre prinzipiellen Begründungsaufgaben zurück- gezogen hat. Im Laufe ihres Anpassungsprozesses möchte sie die Anwendung ihrer Maximen vielmehr als eine systematisch-methodische Umsetzung verstehen. Dabei sollte ethisches Urteilen eher als bestimmte Form ethischer Kompetenz verstanden werden, „als eine Anwendung eines wie auch immer beschriebenen Verfahrens ethi- scher Urteilsbildung“ (Dallmann/Volz 2013, S. 150). Handlungsschemata einer ethi- schen Argumentation zu folgen, d.h. entsprechend der logischen Struktur folgend, zunächst eine deskriptive Prämisse aufzustellen, dann die präskriptive Prämisse zu benennen, um zum Schluss Urteil und Handlung daraus abzuleiten, sind technomor- phe Hilfsinstrumente, können jedoch die ethische Kompetenz nicht ersetzen, das heißt, die Fähigkeit, die Prämissen nicht nur in ihrer sachlichen, sondern auch in ihrer moralischen Angemessenheit zu prüfen. „Ethische Urteilsbildung ist in diesem Sinne prinzipiell als die Begründung einer Entscheidung unter Unsicherheit zu verstehen, welche die Radikalität philosophischer Infragestellung berücksichtigt, aber zugleich dem Ziel der Handlungsorientierung genügen kann“ (Dietrich 2008, 09.07.2016).
Übertragen auf die Soziale Arbeit könnte man ähnlich argumentieren: Anamnese, Assessment, Hilfeplanung, kontrollierte Durchführung von Hilfeprozessen, alles si- cherlich vielfach erprobte, nicht wegzudenkende Instrumente des Case Manage- ments, doch was wäre all dies, ohne die sozialarbeiterische Kompetenz, die beson- dere, ihr innewohnende Fähigkeit, multiperspektivisch alle Interventionsmöglichkeiten im Blick zu haben, sich bewusst und begründet für eine Form der Hilfe zu entschei- den, wobei die Nennung von Alternativen möglich ist. Auch die Kontingenzkompe- tenz gehört hierzu,- die Vorstellungskraft, Visionen für ferner liegende Lösungen zu haben und diese in Betracht ziehen zu können (vgl. Herwig-Lempp 2011, 09.07.2016). Der Sozialarbeiter, der sich vor allem und zuvörderst dem Wohl seines Klienten verpflichtet fühlt, wird dessen Wohl bei allen Entscheidungen immer beson- ders berücksichtigen und wird diese auch ethisch begründen können, auch wenn ökonomische Erfordernisse bestimmte Interventionen erschweren. Das die Soziale Arbeit konstituierende inhärente Gut, „Bedingungen für die Möglichkeit gelingenden Lebens stiften“, darf durch äußerliche Güter nicht in Gefahr geraten, sondern ist an- gesichts „anthropologischer, sozialstruktureller und personaler Misslingenswahr- scheinlichkeiten“ zu schützen. Den Streit darüber führen, „was das denn heißt?“ und ihn damit internalisieren und institutionalisieren, ist die Aufgabe der Praxis der Sozia- len Arbeit (vgl. Volz 2000, S. 125).
Somit hat die Soziale Arbeit den ökonomischen Argumentationen sehr wohl etwas entgegenzusetzen!
These 2:
Die Bemühungen der Sozialen Arbeit um Professionalisierung führten zu einer Vernachlässigung der Orientierungsfragen
Das Streben, sich professionalisieren zu wollen, ist ein Kampf um gesellschaftliche Anerkennung (vgl. Volz 2000, S. 119). Diese richtet sich nach Kriterien, die durch die jeweilige Kultur festgelegt werden. Wird die vorherrschende Lebensform von ökono- mischen und technologischen Orientierungen bestimmt, richten sich die Maßstäbe für die Bemühungen um Anerkennung nach genau diesen Ausrichtungen, so, dass öko- nomische Rationalitätsstandards und Handlungsmodelle zwangsläufig übernommen werden müssen. Dies geschah auch in der Sozialen Arbeit und wurde sichtbar in ei- nem charakteristischen Mechanismus, einer sozialpsychologischen Drohung einer- seits und eines sozialtechnologischem Lösungsversprechen andererseits (Volz 2000, S. 120). In der Beschwörung der bösen Verhältnisse sah Volz die von statten gehen- de Moralisierung.
Die Ökonomisierung der Sozialen Arbeit drückte sich auch in den Berufsordnungen aus. 1997 lasen sich die Berufsethischen Prinzipien des DBSH (Deutscher Berufs- verband für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Heilpädagogik e. V.) entsprechend. Der Begriff Ethik fand dabei ausschließlich im Titel Erwähnung. Alle Punkte, die in den Katalog der Prinzipien aufgenommen worden waren, bezogen sich hauptsäch- lich auf Verhaltensregeln gegenüber Klienten, Kollegen, Arbeitgebern und der Öffent- lichkeit. Es scheint so, als habe sich seit dem Jahr 2000 einiges getan, nämlich seit der Veröffentlichung des vorliegenden Textes, denn die sogenannte Berliner Erklä- rung von 2014, stellt eine komplette Überarbeitung der berufsethischen Prinzipien dar. Diese zeigt sich ganz in der Verpflichtung, die Bedeutung der Ethik für die Sozia- le Arbeit in den Mittelpunkt zu stellen. Als 2008 der Auftrag für die Überarbeitung der Prinzipien erteilt wurde, geschah dies unter der expliziten Vorgabe, eine eigene Be- rufsethik aus Sicht der Berufspraxis zu entwickeln. Die Folgen der neoliberalen Ge- sellschaftsentwicklung führen, laut der Verfasser der Berliner Erklärung, zu der Not- wendigkeit einer „transparenten und nachvollziehbaren ethischen beruflichen Orien- tierung in Dilemmata-Situationen“ (DBSH 2014, 09.07.2016). Die Soziale Arbeit hatte erkannt, dass sie zwar bereits die Kriterien erfüllte, um sich als Profession zu qualifi- zieren, dass die berufliche Autonomie und die verbundene Machtposition jedoch die Formulierung ethisch begründeter Pflichten notwendig machte. Die Verpflichtung zur >beruflichen Selbstkontrolle steht hier an erster Stelle: berufsethisch widersprechende Handlungsaufträge sind abzulehnen. Hier findet sich Volz‘ Forderung realisiert, näm- lich die, nach „Zumutung von Selbstreflexion und Selbstkritik“, dem Hinterfragen des Ethos, der alltäglich praktizierten Wertorientierung, ohne sich den Vorwurf der Mora- lisierung gefallen lassen zu müssen. Die Berufsethik ist angehalten, die Möglichkei- ten, aber auch Grenzen der Profession öffentlich und ehrlich zu kommunizieren. Selbstbewusst sind die Menschenrechte als ethischer Orientierungsrahmen genannt, welches die Verantwortungsübernahme für die Erfüllung dieser Rechte bedeutet. So findet Legitimierung auf einer ganz anderen Ebene statt, als zuvor.
Es ist erkennbar, dass sich die Profession der Sozialen Arbeit dank des Einbezugs der Berufsethik in ihre Praxis weiterentwickelt hat. Sie ist nunmehr in der Lage, sich klarer und begründeter zu positionieren und ihre Professionalisierung inhaltlich vo- ranzutreiben.
These 3:
Selbstständigkeit und Selbstbestimmung als ethische Ziele zu verfolgen, kann in der Praxis der Sozialen Arbeit nur in der Loslösung von der Sub- jekt-Objekt-Beziehung von statten gehen
Warum sind Selbstständigkeit und Selbstbestimmung Werte, die eine Rolle in der Sozialen Arbeit spielen könnten? Im Laufe seiner Entwicklungsgeschichte hat sich das Arbeitsfeld des Helfenden von der Armenpflege im Mittelalter, über die Sozialpä- dagogik, die erstmals auch die gesellschaftlichen Verhältnisse mit ins Visier nahm und die Wohlfahrtspflege zu einer wissenschaftlich fundierten Profession gewandelt, die bemüht ist, den Menschen und seine Problemlagen ganzheitlich zu erfassen. In der Praxis waren von jeher die Rollen zwischen helfender Person und Hilfe anneh- mender Person funktional asymmetrisch festgelegt, d.h. die des Sozialarbeiters in der überlegenen Rolle des Experten (mit Wissensvorsprung), gegenüber der des Kli- enten als hilfe,- lern- und entwicklungsbedürftige Person (vgl. Riegler 2016, S. 176).
„Anstelle der Wahrung der Subjekthaftigkeit des Individuums herrscht ein Menschen- bild vor, nachdem der einzelne als Objekt sozialer Arbeit instrumentalisiert wird“ (Wil- ken 2000, S. 12). Diese Konstellation verleitet zur mangelnden Berücksichtigung der ja in der Regel als unterlegen angesehenen Person von Seiten des Sozialarbeiters. Das Verständnis von professionellem Handeln als „Helfen“, liefert bereits selbst des- sen Legitimation „Helfen ist gut; wer hilft, hat recht!“ (vgl. Voss 2011, S. 7). Dieses Ethos, verstanden als Selbstverständlichkeit, deduktiv, also vom Allgemeinen auf das Besondere schließend, bedarf in diesem Moment der Ethik als kritische Instanz.
„Wörter aus ihrer Selbstverständlichkeit befreien! (vgl. Voss 2013, 09.07.2016). „Hel- fen“ impliziert eine Subjekt-Objekt-Beziehung: Ein Subjekt hilft einem Objekt. Aber ist das gut? Der Sozialarbeiter, der seinem Klienten alle Aufgaben abnimmt (weil dieser ja nicht in der Lage dazu ist, dies selbst zu erledigen), hilft ihm vordergründig, aber unterstützt unter Umständen noch das System der Hilflosigkeit. Ein Sozialarbeiter, der in seinen Vorhaben am Klienten seine Vorstellungen eines gelingenden Lebens durchsetzen möchte, handelt auch nur in bester Absicht, wünscht sich nichts mehr, als zu helfen, hat dabei jedoch das Wichtigste aus dem Blick verloren, nämlich den Menschen als Subjekt seiner Lebenswelt wahrzunehmen. Das aus der Beobachter- perspektive gewonnene Wissen über die Person des Klienten führt nur über die kommunikative Interaktion mit ihm und die entsprechende Reflektion zu einem Wis- sen, das orientierende Qualität aufweisen kann. Die Voraussetzung für ein solches Vorgehen, ist die Annahme seines Gegenübers als vollwertiges Subjekt. Voss spricht von „Vermögensbildung“, als Aufgabe der Sozialen Arbeit - „Klienten vermögen ganz viel!“: Das Vermögen gemeinsam mit ihm entdecken, ihm helfen, „die Verkrustungen des Alltags freizukriegen“, also auch so etwas wie „Freiheitspflege“, ausgehend von einem Menschenbild, „dass wir schon etwas vermögen, dass wir unser Leben selbst führen müssen (und können), aber, dass wir das nicht allein zu tun brauchen“ (vgl. Voss 2013, 09.07.2016).
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- Arbeit zitieren
- Yvonne Mehigan-Byrne (Autor:in), 2016, Professionelle Ethik in der Sozialarbeit. Ein Thesenpapier zu Rüdiger Volz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/540657
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