"Erzähle mir und ich vergesse. Zeige mir und ich erinnere. Lass es mich tun und ich verstehe." (Konfuzius) Menschen spielen. Menschen lernen. Doch das gleichzeitige Spielen und Lernen nimmt bei den meisten Menschen im Laufe des Lebens ab. Dem will diese Arbeit entgegenwirken, indem sie die beiden Elemente, das Spielen und das Lernen, auf dem Gebiet der Sozialwirtschaft verbindet. Der Masterstudiengang Sozialmanagement an der Alice Salomon Hochschule, der beispielhaft als möglicher Ort der Umsetzung eines Lernkonzepts mit der Methode "Spiel" dient, verbindet ebenfalls zwei Elemente: "das Soziale" und "die Wirtschaft". Der Studiengang vermittelt Kenntnisse, die üblicherweise eher Studiengängen wie beispielsweise der Betriebswirtschaft vorbehalten sind, um Führungskräfte auszubilden.
Doch inzwischen steht außer Frage, dass auch Führungskräfte in dem stets wachsenden dritten Sektor, der Sozialwirtschaft, über Kenntnisse des Führens und Leitens, der Bilanzierung und der Personalführung verfügen müssen. So vermittelt der Masterstudiengang unter anderem betriebswirtschaftliches Wissen an Menschen, die einen sozialen Beruf erlernt haben und in eine Führungsrolle hineinwachsen oder diese bereits innehaben. Während also auf der inhaltlichen Ebene Themen einer solchen vor allem betriebswirtschaftlichen, aber beispielsweise auch arbeitsrechtlichen, psychologischen, kommunikationstheoretischen Ausbildung von Führungskräften großer Industrieunternehmen Eingang in die Ausbildung im Sozialmanagement gefunden haben, ist dies auf der methodischen Ebene noch nicht der Fall: Spiele oder Simulationen werden zwar in der Aus- und Weiterbildung von Führungskräften in der Industrie verwendet, im Sozialmanagement jedoch kaum.
Nun soll nicht ohne Reflexion kopiert werden, was Studierende beispielsweise der Betriebswirtschaft an Hochschulen oder Führungskräfte der Industrie in ihren Weiterbildungen erleben. Zweifelsohne hat die Sozialwirtschaft eigene Wirkzusammenhänge und deshalb eigene Inhalte der Weiterbildungen. Die vorliegende Arbeit untersucht, wie im Kontext des Sozialmanagements Spiele in einem Masterstudiengang Anwendung finden könnten: Ein bereits existierender Methodenmix aus Selbststudium, Vorträgen, Gruppenarbeiten, Gruppendiskussionen, Präsentationen von Studierenden, Videos, Coaching und Online-Seminaren mit schriftlichen Beiträgen könnte um die Methode Spiel erweitert werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Bedeutung des Sozialmanagements
1.2 Konzeptentwicklung, Forschungsfrage und Arbeitshypothesen
2 Theoretischer Rahmen
2.1 Definition „Spiel“
2.2 Definition „Simulation“
2.2.1 Definition „Planspiel“
2.2.2 Definition „Rollenspiele“
2.2.3 Definition „Serious Games“
2.3 Spiele und Lerntheorien
2.3.1 Komplexitätsreduktion und Handeln ohne Risiko
2.3.2 Spielen unterstützt die Merkfähigkeit
2.3.3 Spielen unterstützt die Motivation
2.4 Forschungsstand
3 Methode
3.1 Suche nach Spielen
3.2 Vorauswahl von Spielen
3.3 Wahl und Beschreibung der Fallbeispiele
4 Fallbeispiele
4.1 TOPSIM „Social Management“
4.1.1 Beschreibung des Spiels
4.1.2 Begründung der Eignung
4.2 LEGO Serious Play
4.2.1 Beschreibung des Spiels
4.2.2 Begründung der Eignung
4.3 „Bootcamp Gegenrede“
4.3.1 Beschreibung des Spiels
4.3.2 Begründung der Eignung
5 Gelingensbedingungen
5.1 Gelingensbedingungen für Lernende
5.2 Gelingensbedingungen für Lehrende
5.3 Gelingensbedingungen für die Hochschule
6 Fazit
7 Literatur
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Lernzyklus nach Kolb (Kolb/Fry 1975, S. 33), eigene Übersetzung aus dem Englischen und eigene Darstellung
Abbildung 2 Didaktisches Grundprinzip von Planspielen nach Ulrich (2003), eigene Darstellung
Abbildung 3 Flow-Prinzip (Csikszentmihalyi 2007, S. 47)
Abbildung 4 Lernzyklus nach Kolb (Kolb/ Fry 1975, S.33) für TOPSIM Simulationen, eigene Darstellung
Abbildung 5 Ablauf eines klassischen LEGO Serious Play Workshops (Zeiner-Fink/Feldhoff 2018, S. 3)
Abbildung 6 Modell der Phase „Ein Tag im Leben“ (Swann 2011, S. 3)
Abbildung 7 Lernzyklus nach Kolb (vgl. Kolb/Fry 1975, S. 33) für LEGO Serious Play, eigene Darstellung
Abbildung 8 Lernzyklus nach Kolb (vgl. Kolb/Fry 1975, S. 33) für „Bootcamp Gegenrede“, eigene Darstellung
1 Einleitung
„Erzähle mir und ich vergesse. Zeige mir und ich erinnere. Lass es mich tun und ich verstehe.“ (Konfuzius) Menschen spielen. Menschen lernen. Doch das gleichzeitige Spielen und Lernen nimmt bei den meisten Menschen im Laufe des Lebens ab. Dem will diese Arbeit entgegenwirken, indem sie die beiden Elemente, das Spielen und das Lernen, auf dem Gebiet der Sozialwirtschaft verbindet.
Der Masterstudiengang Sozialmanagement an der Alice Salomon Hochschule, der beispielhaft als möglicher Ort der Umsetzung eines Lernkonzepts mit der Methode „Spiel“ dient, verbindet ebenfalls zwei Elemente: „das Soziale“ und „die Wirtschaft“. Der Studiengang vermittelt Kenntnisse, die üblicherweise eher Studiengängen wie beispielsweise der Betriebswirtschaft vorbehalten sind, um Führungskräfte auszubilden. Doch inzwischen steht außer Frage, dass auch Führungskräfte in dem stets wachsenden dritten Sektor, der Sozialwirtschaft, über Kenntnisse des Führens und Leitens, der Bilanzierung und der Personalführung verfügen müssen. So vermittelt der Masterstudiengang unter anderem betriebswirtschaftliches Wissen an Menschen, die einen sozialen Beruf erlernt haben und in eine Führungsrolle hineinwachsen oder diese bereits innehaben. Während also auf der inhaltlichen Ebene Themen einer solchen vor allem betriebswirtschaftlichen, aber beispielsweise auch arbeitsrechtlichen, psychologischen, kommunikationstheoretischen Ausbildung von Führungskräften großer Industrieunternehmen Eingang in die Ausbildung im Sozialmanagement gefunden haben, ist dies auf der methodischen Ebene noch nicht der Fall: Spiele oder Simulationen werden zwar in der Aus- und Weiterbildung von Führungskräften in der Industrie verwendet, im Sozialmanagement jedoch kaum (vgl. Schwägele 2015).
Nun soll nicht ohne Reflexion kopiert werden, was Studierende beispielsweise der Betriebswirtschaft an Hochschulen oder Führungskräfte der Industrie in ihren Weiterbildungen erleben. Zweifelsohne hat die Sozialwirtschaft eigene Wirkzusammenhänge und deshalb eigene Inhalte der Weiterbildungen. Die vorliegende Arbeit untersucht, wie im Kontext des Sozialmanagements Spiele in einem Masterstudiengang Anwendung finden könnten: Ein bereits existierender Methodenmix aus Selbststudium, Vorträgen, Gruppenarbeiten, Gruppendiskussionen, Präsentationen von Studierenden, Videos, Coaching und Online-Seminaren mit schriftlichen Beiträgen könnte um die Methode Spiel erweitert werden.
Technische Umwälzungen, wie die Digitalisierung, entfalten in jedem Lebensbereich ihre Wirkung – so auch in der Sozialwirtschaft. Es wächst inzwischen eine Generation heran, die sich nicht mehr erinnern kann, wie es „früher“ war, wie Bildung ohne das Internet oder ohne einen Computer möglich war. Die Unterscheidung zwischen online und offline bleibt denen vorbehalten, für die eine solche Dualität noch klar in Erscheinung tritt oder die nicht in beiden Welten mit der gleichen Leichtigkeit navigieren. In der vorliegenden Arbeit, besonders in den Fallbeispielen, werden beide Welten miteinander verwoben und so der Weg geebnet, der Digitalisierung in der Ausbildung bewusst zu begegnen und sie gewinnbringend für die Ausbildung der jetzigen und zukünftigen Führungskräfte zu nutzen.
1.1 Bedeutung des Sozialmanagements
In dem Begriff „Sozialmanagement“ bezeichnet der Wortteil „sozial“ den Einsatzort des Managements beziehungsweise die Branche, während der zweite Wortteil „Management“ eine Gruppe von Tätigkeiten umfasst. So definieren Grunwald und Maelicke „Sozialmanagement“ wie folgt:
„Sozialmanagement bezeichnet das Management von Betrieben und Unternehmen der Sozialwirtschaft in öffentlicher, privat-gemeinnütziger oder gewerblicher Trägerschaft. Sozialmanagement kann als wissenschaftlicher Begriff verstanden werden, der sich mit der Leitung und Führung einer Organisation der Sozialen Arbeit befasst und dabei unterschiedliche Fragen der Organisationsgestaltung und Personalführung thematisiert.“ (Grunwald/Maelicke 2014, S. 791).
Dabei halten Grunwald und Maelicke explizit fest, dass es sich hierbei nicht etwa um eine „andere Art“ des Managements handelt, eine „sozialere Art“ oder um eine, die sich nur um einige „soziale Fragen“ betreffende Aufgaben des Managements auseinandersetzt; viel- mehr beinhaltet „Sozialmanagement […] alle Managementfunktionen, die für die Führung und Leitung dieser Organisationen notwendig sind, so insbesondere Leitbild- und Konzep- tionsentwicklung, Definition von Zielen und Aufgaben, Entwicklung der Aufbau- und Ablauforganisation, Personalmanagement, Führung und Zusammenarbeit, Innovations- und Netzwerkmanagement, Sozialmarketing, Projekt- und Qualitätsmanagement, Control- ling sowie andere Teildisziplinen des Managements.“ (Grunwald/Maelicke 2014, S. 791).
Grunwald beschreibt, dass die Branche „Sozialwirtschaft“ bei einer Fokussierung auf die Leistungserbringer bezüglich Beschäftigung, Vermögen, Ressourcen und angebotenen Dienstleistungen einen erheblichen volkswirtschaftlichen Stellenwert hat. Öffentliche Träger und Nonprofit-Unternehmen, wie vor allem die Wohlfahrtsverbände, zunehmend aber auch privatgewerbliche Unternehmen, stellen einen gravierenden sozioökonomischen und ar- beitsmarktpolitischen Faktor dar, der noch dazu kräftig wächst (vgl. Grunwald 2014, S. 34). So wurde bereits 2010 festgestellt, dass die Pflegebranche zu einem der wichtigsten Zweige der deutschen Wirtschaft aufgestiegen ist: In der Pflegebranche arbeiten mehr Men- schen als in der Auto- oder der Elektroindustrie tätig sind (vgl. Heinig 2010, S. 918).
Mit dieser wachsenden volkswirtschaftlichen Bedeutung des Gesundheits- und Sozialwe- sens steigt die Nachfrage nach strukturellen Unternehmensdaten dieser Wirtschaftszweige, die bis anhin nicht leicht erhältlich sind. Um ein annähernd vollständiges Bild der Sozialwirtschaft und ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung zu erhalten, müssen Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe, der Krankenhäuser, der Pflege und andere miteinander kom- biniert werden. Beispielhaft an der Kinder- und Jugendhilfe ist die Zunahme der arbeits- marktpolitischen Bedeutung des dritten Sektors „Sozialwirtschaft“ beschreibbar: Durch den massiven Ausbau der Kinderbetreuung nahm laut Fachkräftebarometer des Deutschen Ju- gendinstituts die Anzahl der Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen zwischen 2007 und 2018 um 71 Prozent zu (vgl. Deutsches Jugendinstitut 2019, S. 58).
Da Personen, die in Betrieben und Unternehmen der Sozialwirtschaft in öffentlicher, privat- gemeinnütziger oder gewerblicher Trägerschaft arbeiten, in ihrer Berufsausbildung vor allem Kenntnisse erwerben, die sich direkt auf ihre Klientel beziehen, zum Beispiel auf be- hinderte Menschen, auf Kinder und Jugendliche oder auf alte Menschen, fehlen diesen Personen Managementkenntnisse, die für das Führen und Leiten von Organisationen hilf- reich bis unabdingbar sind. Solche Kenntnisse sollen in Studiengängen zum Sozialmanagement vermittelt werden.
Laut der Webseite der Alice Salomon Hochschule gibt es in Deutschland im Bereich Sozialmanagement inzwischen mehr als 100 grundständige und aufbauende Studienangebote. Im Oktober 2000 startete der erste Durchgang des postgradualen Fern- studiengangs Sozialmanagement der Alice Salomon Hochschule Berlin in Kooperation mit der Paritätischen Akademie (vgl. Alice Salomon Hochschule Berlin o. J.).
Von den von der Alice Salomon Hochschule aufgelisteten acht Vorteilen des Studiums sind für die vorliegende Konzeptentwicklung die folgenden fünf Vorteile, die weiter unten in Kapitel 5 der Gelingensbedingungen wieder aufgegriffen werden, besonders relevant (Alice Salomon Hochschule/Paritätische Akademie Berlin/AWO Bundesakademie 2019, S. 3):
- Fortlaufende Qualitätsentwicklung und Evaluation
- Integrativer Charakter des Studiums
- Innovative Lern-, Lehr- und Prüfungsformen, orientiert an internationalen MA- Standards
- Vernetzung der Studieninhalte durch Fall- sowie Feldstudien mit Forschungs- und Praxisbezug
- Intensive Betreuung der Teilnehmenden inklusive Coaching
Die durch das Studium vermittelten Kompetenzen beziehen sich auf die Vermittlung von Kompetenzen im Managementhandeln sowie auf die Erweiterung persönlicher Kompetenzen:
Auf der Ebene des Managementhandelns sollen folgende Kompetenzen vermittelt werden (Alice Salomon Hochschule/Paritätische Akademie Berlin/AWO Bundesakademie 2019, S. 8):
- Analytische und diagnostische Kompetenzen
- Kompetenz zur interdisziplinären Erklärung von Zusammenhängen und Strukturen
- Kompetenz der sozialen Rechnungslegung (Problemlösung, Qualität, Effizienz)
- Kompetenz zur Personal- und Organisationsentwicklung
- Kompetenz zur Personal- und Mitarbeitendenführung
Auf der Ebene der Persönlichkeit wird die Erweiterung folgender Kompetenzen angestrebt:
- Interaktions- und kommunikative Kompetenz
- Reflexionskompetenz
- Professionell und persönlich begründbare Kompetenz
Zusammenfassend lässt sich der Masterstudiengang Sozialmanagement der Alice Salomon Hochschule Berlin, der hier als Beispiel für eine Implementierung des vorliegenden Konzeptes verwendet wird, als Ausbildung charakterisieren, in der Managementkenntnisse für die Sozialwirtschaft erworben werden können.
1.2 Konzeptentwicklung, Forschungsfrage und Arbeitshypothesen
Die vorliegende Arbeit ist eine Konzeptentwicklung, die zur Erweiterung der Methodenvielfalt um Spiele in der Weiterbildung im Sozialmanagement dienen soll. Ein Konzept wird im Sinne von Spiegel verstanden als „veröffentlichte Entwürfe von Handlungs- plänen oder Wirkungszusammenhängen, die hypothetischen Charakter haben.“ (Spiegel 2018, S. 254).
Im vorliegenden Konzept geht es um die Darstellung der Wirkzusammenhänge von Spielen und Lernen. Das Konzept hat einen hypothetischen Charakter, da diese Wirkzusammenhänge noch nicht empirisch erforscht sind. Auch der mögliche Umsetzungs- ort, der Masterstudiengang Sozialmanagement an der Alice Salomon Hochschule, den die Autorin im 18. Durchgang besucht hat, ist rein hypothetischer Natur. Einen Studiengang beispielhaft als möglichen Ort der Umsetzung auszuwählen ist sinnvoll, um für das zu entwickelnde Konzept eine konkrete Zielgruppe und für den letzten Teil der Gelingensbedingungen einen ungefähren Rahmen abzustecken. Da die Autorin den Studiengang seit September 2017 besucht, wurde er als Beispiel für einen möglichen Ort der Umsetzung des zu entwickelnden Konzeptes ausgewählt. Andere Hochschulen, wie beispielsweise die Hochschule München (vgl. Hochschule für Angewandte Wissenschaften München o. J.), bieten in einem Masterstudiengang im Sozialmanagement ähnliche Module an.
In Berlin werden insgesamt acht Module zu folgenden Themen angeboten: Rahmenbedingungen sozialwirtschaftlicher Prozesse, Recht, Betriebswirtschaftslehre, Führen und Leiten, Organisation und Management, Marketing und Kommunikation. Die Betriebswirtschaftslehre erstreckt sich über insgesamt drei Module mit den Unterthemen betriebswirtschaftliche Grundlagen, Rechnungswesen, Kostenmanagement, Finanzwirtschaft, Qualität, Controlling und Entrepreneurship. An die acht Module schließt sich ein Semester zum Verfassen der Masterarbeit an. In der Regel werden zwei Module pro Semester gelehrt, mit je einer Präsenzeinheit pro Modul (vgl. Alice Salomon Hochschule/Paritätische Akademie Berlin/AWO Bundesakademie 2019, S. 6).
Die Kenntnisse der Autorin über die Inhalte und Lernziele der einzelnen Module waren für die Entwicklung des vorliegenden Konzeptes hilfreich, um passende Spiele zu finden, die möglicherweise die Methodenvielfalt des Studiengangs erweitern könnten. Die Übertrag- barkeit auf andere Studiengänge im Sozialmanagement wurde nicht überprüft, wird aber vermutet. Die Gelingensbedingungen in Kapitel 5 wurden unabhängig von einer bestimmten Universität abgeleitet und beziehen sich nicht auf Erfahrungen an der Alice Salomon Hochschule, da der Autorin kein Einblick in die Konzeption und Leitung des Studiengangs möglich war. Weiter standen der Autorin weder Daten aus Evaluierungen des bestehenden Angebots noch Details über die Akkreditierungsbedingungen eines Studien- gangs zur Verfügung.
Aus den vorangestellten Überlegungen zur wachsenden Bedeutung der Sozialwirtschaft und der während einer Ausbildung im Sozialmanagement zu erwerbenden Fähigkeiten wird im Sinne einer Konzeptentwicklung eine Forschungsfrage gestellt, die auf die Erweiterung der Methoden in der Ausbildung im Sozialmanagement abzielt:
Unter welchen Bedingungen ist es sinnvoll, Spiele im Studiengang Sozialmanagement zu verwenden?
Die Autorin hat selbst einen Masterstudiengang an der Alice Salomon Hochschule in Berlin durchlaufen, in dem Spiele nicht zur Methodenvielfalt gehörten. In einzelnen Modulen boten sich jedoch Lerninhalte an, die durch Spiele vermittelt werden könnten, so die Annahme.
In der Konzeptentwicklung zur Erweiterung der Methodenvielfalt um Spiele sollen nicht die Voraussetzungen zur Entwicklung eines eigenen Planspiels betrachtet werden, das sich beispielsweise über den gesamten Studiengang erstreckt. Stattdessen sollen nur Bedingungen zur Verwendung von bereits existierenden Spielen untersucht werden.
Die folgenden Arbeitshypothesen liegen der Konzeptentwicklung zur Verwendung von Spielen in einem Masterstudiengang zum Sozialmanagement zugrunde:
Arbeitshypothese 1: Es macht Spaß zu spielen. Wenn man beim Lernen auch Spaß hat, lernt man besser. Deshalb ist es sinnvoll, Spiele zu verwenden.
Arbeitshypothese 2: Spiele haben Regeln. Diese Regeln reduzieren Komplexität und erlauben es, sich auf einzelne Aspekte zu konzentrieren. Diese Komplexitätsreduktion kann für das Erreichen von Lernzielen verwendet werden.
Arbeitshypothese 3: Spiele erweitern die Methodenvielfalt. Studierende haben unterschiedliche Lernstile. Durch die Erweiterung der Methodenvielfalt wird eine größere Vielfalt an Lernstilen angesprochen.
Die Grundelemente des vorliegenden Konzeptes enthalten eine allgemeine Annäherung zur Verwendung von Spielen in einem Lehr- und Lernkontext. Die Arbeitshypothesen beeinflussten die Beurteilung der in Kapitel 4 näher dargestellten Fallbeispiele und leiteten maßgeblich die in Kapitel 5 beschriebenen Gelingensbedingungen zur Verwendung von Spielen in der Ausbildung im Sozialmanagement.
Im Folgenden wird zunächst in Kapitel 2 der theoretische Rahmen mit Definitionen zu Spiel und Simulation abgesteckt, anschließend wird eine Einbettung in Lerntheorien vorgenommen und der Forschungsstand beschrieben. In Kapitel 3 wird das Vorgehen zur Suche nach Spielen und zur Erstellung einer Vorauswahl beschrieben, ebenso die Kriterien zur Auswahl, Beschreibung und Einschätzung der Passung von drei Fallbeispielen. In Kapitel 4 folgen die Beschreibung und die BegrUndung der Eignung von drei Spielen. Kapitel 5 Iiefer! die Antwort auf die Forschungsfrage, indem aus drei Perspektiven die Gelingensbedingungen fUr die Erweiterung der Methodenvielfalt um Spiele erlautert werden.
2 Theoretischer Rahmen
Im folgenden Kapitel werden die im Kontext des vorliegenden Konzeptes zentralen Begriffe Spiel, Simulation, Planspiel, Rollenspiel und Serious Games definiert. Anschließend wird die Verwendung von Spielen als didaktisches Mittel lerntheoretisch untermauert.
2.1 Definition „Spiel“
Das vorliegende Konzept befasst sich mit Spielen als Methode in der Ausbildung, weshalb hier zunächst der Begriff „Spiel“ bestimmt werden soll. Bereits 1938 definierte der Nieder- länder Johan Huizinga in seinem Werk „Homo Ludens“ das deutsche Nomen „Spiel“ wie folgt:
„Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben‘.“ (Huizinga 1991, S. 37)
In der Definition von Huizinga sind folgende Elemente erkennbar:
- Freiwilligkeit
- Grenzen von Zeit und Raum
- bindende Regeln
- weitgehende Zweckfreiheit
- Spannung und Freude
- Bewusstsein des Andersseins
Diese Definition von „Spiel“ zeigt auf, warum wir beim Anblick einer Gruppe von spielenden Erwachsenen in einem Seminar, die Spielqualität zwar erkennen, das Spiel aber als „nicht reines Spiel“ oder „eine andere Art von Spiel“ beschreiben würden: Im Gegensatz zum Spielen im Privatleben ist das Spielen in einem Weiterbildungskontext eingeschränkt freiwillig. Es wird zwar kein Zwang ausgeübt, die Motivation und der Entschluss zum Spielen kommen jedoch wahrscheinlich eher von den Lehrenden als von den Lernenden.
Festgesetzte räumliche und zeitliche Grenzen sowie freiwillige angenommene Regeln sind für ein Spiel konstitutiv. Zwar ist der gesamte Lernkontext, wie das übrige Leben auch, von Regeln geprägt; in Planspielen jedoch werden die existierenden Regeln explizit gemacht. Bereits durch dieses Ansprechen von Regeln kann auf Wirkzusammenhänge aufmerksam gemacht werden, wie beispielsweise bei Regeln, die bestimmten Personen nur eingeschränkte Handlungsoptionen zuweisen.
Das Fehlen von Zweckfreiheit bei Planspielen in einem Weiterbildungskontext ist das Element, das Planspiele am ehesten vom Spiel des Kindes mit seinen Spielzeugen unterscheidet. In der Videospielbranche führte die Zweckgebundenheit von Spielen im Lernkontext zu der Kreation des Begriffes „Serious Games“, welcher weiter unten genauer definiert wird. Während auch bei Brettspielen oder Gesellschaftsspielen Zwecke der Entwickler vorstellbar sind (wie beispielsweise das Näherbringen einer Epoche durch die Situierung des Spiels in dieser Epoche), ist eine solche Intention bei Planspielen, die in einem Lernkontext eingesetzt werden, deutlich stärker ausgeprägt. Entwickler wie Lehrende wollen Fähigkeiten und Fertigkeiten stärken oder Inhalte vermitteln: Für die Studierenden sollen komplexe, zum Beispiel wirtschaftliche Zusammenhänge erfahrbar gemacht, indem sie durch das Spiel entdeckt und reflektiert werden.
Die Spannung und Freude, die während des Spielens spürbar sein können, sind ein starkes Argument für die Verwendung von Spielen im Methodenmix einer Ausbildung. Dass Spaß oder Vergnügen sich positiv auf die Lernmotivation und die Fähigkeit, sich an Inhalte zu erinnern auswirken, wird weiter unten genauer ausgeführt.
2.2 Definition „Simulation“
Das Verhältnis der Begriffe Simulation, Planspiel, Rollenspiel und Serious Games zueinander ist nicht eindeutig geklärt. Im Nachfolgenden werden sie geordnet, wobei Simulationen den Überbegriff bilden, dem sich Plan- und Rollenspiel ebenso wie die Variante Serious Games unterordnen.
Nach Schwägele bilden Simulationen eine Situation so realistisch wie möglich ab (Schwägele 2013). Eine Simulationen ist beispielsweise das Testen eines Flugzeugs im Windkanal oder die Nachahmung der Ausbreitung eines Feuers in einem Gebäude zu Forschungszwecken. Im Unterschied zur Wirklichkeit ist es in einer Simulation möglich, unterschiedliche Handlungsstrategien auszuprobieren. Simulationen bilden die Wirklichkeit ab, werden aber nicht ausschließlich im Lehr- und Lernkontext verwendet (vgl. Schwägele 2013).
Simulationen können computergestützt sein. So betont beispielsweise Davies, Simulationen seien computergestützte korrekte Repräsentationen von Situationen, die dem Benutzer Kontrolle über das Ergebnis des Programms geben (vgl. Davies 2002, S. 272).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Simulationen die Realität abbilden und damit Menschen Gelegenheit geben, in dieser abgebildeten Realität zu agieren. Die Abbildung kann mit oder ohne technische Unterstützung erfolgen.
2.2.1 Definition „Planspiel“
Planspiele sind gemäß der oben genannten Definition ein Typus der Simulation. Durch ihren Zweck wird eine Simulation zu einem Planspiel. Wenn Simulationen in einem formalen Lehr- und Lernkontext stattfinden und eingesetzt werden, damit die Spielenden etwas lernen, sind Simulationen Planspiele. In der vorliegenden Arbeit wird die von Schwägele vorgeschlagene Definition für Planspiele verwendet:
„Bei einem Planspiel handelt es sich um eine Lernmethode, die es den Teilnehmern ermöglicht, in einer komplexen, fiktiven aber realitätsnahen Umwelt, Erfahrungen im (gemeinsamen) Handeln in konflikt- bzw. problemhaltigen Situationen zu sammeln.“ (Schwägele 2013)
Schwägele beschreibt hier eine komplexe Umwelt, die zwar realitätsnah ist, aber Handlungen mit weniger Konsequenzen zulässt. Der Zweck des Planspiels wird klar benannt, die Teilnehmenden sollen in einer realitätsnahen Umwelt Erfahrungen im Handeln in schwierigen Situationen sammeln. Eine ähnliche Definition von Ulrich ergänzt Schwägeles Definition und betont das aktive Handeln der Teilnehmenden stärker:
„Die Teilnehmenden erfahren im Planspiel einen ausgewählten Teil der Wirklichkeit sehr direkt, indem sie sich aktiv an einer Simulation dieser Wirklichkeit beteiligen.“ (Ulrich 2006, S. 2)
Die Definition von Ulrich beschreibt mit den Worten „Teilnehmende“, „erfahren“ und „beteiligen“, dass Planspiele zu Interaktionen zwischen Personen führen. Diese Interaktionen sind zudem „sehr direkt“, was auf eine ganzheitliche Einbindung der Teilnehmenden hinweist und darauf, dass sie auf mehreren Wahrnehmungsebenen berührt werden können. Die Einschränkung, die Teilnehmenden würden nur einen „ausgewählten Teil“ der Wirklichkeit erfahren, bezeichnet die Komplexitätsreduktion, die während der Spielentwicklung vorgenommen wurde. Diese Reduktion muss stark genug sein, um das Lernziel ins Zentrum zu stellen, jedoch nicht so stark, dass das Spiel als zu trivial und somit langweilig empfunden wird (vgl. Koster 2005). Die Definition von Ulrich stellt auch fest, dass es sich um eine Simulation der Wirklichkeit handelt, es also einen Realitätsbezug gibt. Wie stark ausgeprägt ein solcher Realitätsbezug sein sollte, wird weiter unter noch diskutiert.
Planspiele zeichnen sich also durch ihren Kontext des Lehrens und Lernens aus und dadurch, dass durch Probehandeln gefahrlos Erfahrungen gesammelt werden können. Dieses Probehandeln kann aus einer selbst im Moment gewählten Rolle heraus geschehen oder aus einer vorher zugewiesenen, wie die folgende Definition von Rollenspielen weiter ausführt.
2.2.2 Definition „Rollenspiele“
Allgemein kann von einem Rollenspiel in einem Lernkontext gesprochen werden, wenn bei einem Planspiel vorgesehen ist, dass Teilnehmende eine bestimmte Rolle einnehmen und aus dieser Rolle heraus in der simulierten Situation handeln. Allerdings ist hier die Grenze fließend: Eine Rolle kann klar auf einen Charakter zugeschnitten sein, seine Eigenschaften, seine Vergangenheit und weitere Einzelheiten beschreiben. In einem solchen Fall wäre eine Rolle relativ klar definiert. Wird einem oder einer Teilnehmenden jedoch nur ein Auftrag gegeben, wie er oder sie sich zu verhalten hat, welches Ziel er oder sie in der Spielsituation anstreben soll, ist die Rolle eher schwach definiert.
Wann ein Planspiel gleichzeitig auch ein Rollenspiel ist, ist nicht eindeutig zu bestimmen. Während in einigen Planspielen keine Rollen vorgesehen sind (s. Fallbeispiel 2 weiter unten), ist in anderen Planspielen eine Rolle schwach (s. Fallbeispiel 1) oder stark (s. Fall- beispiel 3) ausgeprägt. Die meisten für die vorliegende Arbeit betrachteten Spiele verlangen eher nach einer Identifikation mit einer bestimmten Position als nach der Identifikation mit einer bestimmten Person (s. Liste der betrachteten Spiele unter 3.2).
Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, die selbst auch Planspiele entwickelt, sieht die Gemeinsamkeiten von Planspielen und Rollenspielen darin, dass in beiden nach festgelegten Regeln gehandelt wird und soziale Rollen übernommen werden. Im Rollenspiel findet darüber hinaus jedoch noch eine Identifikation mit einer bestimmten Person statt und diese Rolle kann individuell interpretiert werden. Im Planspiel hingegen ist eher das Einnehmen einer übergeordneten Position wichtig und es gibt wenig Spielraum, diese Position zu interpretieren (vgl. Landeszentrale für politische Bildung Baden- Württemberg 2019).
Stark definierte Rollen außerhalb des Lernkontextes und des Theaters oder des Films sind beispielsweise in Pen & Paper-Rollenspielen oder Live-Action-Role-Plays anzutreffen (vgl. Hawkes-Robinson 2004; Balzac 2016; Brom u.a. 2019). Solche ausgesprochen stark reglementierten Spiele werden online und offline seit den 1980er Jahren auch in Deutsch- land von zahlreichen Menschen gespielt. In einem der berühmtesten Spiele „Das Schwarze Auge“ begeben sich Gruppen von Feen, Elfen, Zwergen und anderen Wesen gemeinsam auf eine Abenteuerreise (vgl. Spohr/Ullrich/Junge 2015). Während diese Art der Rollen- spiele in Ausnahmen auch in Schulen angewendet wird, sind Rollenspiele in der Regel eher im privaten Bereich außerhalb eines Lehr- und Lernkontextes zu finden (vgl. Pearl 2015).
2.2.3 Definition „Serious Games“
Simulationen, Planspiele und Rollenspiele können computergestützt in einem geschützten Bereich oder offen online, analog ohne Unterstützung eines Computers oder des Internets sowie in einer Kombination der Varianten durchgeführt werden. Werden in einem Lehr- und Lernkontext Plan- oder Rollenspiele computergestützt und möglicherweise zusätzlich internetgestützt durchgeführt, wird in der englischsprachigen Literatur der Begriff „serious games“ verwendet. In der Übersetzung des Werkes von Clark C. Abt „Serious Games“ von 1970 welches häufig als Ort der ersten Definition angeführt wird, wird „serious games“ mit „Ernste Spiele“ übersetzt (vgl. Abt 1970). Dieser Begriff hat sich jedoch nicht im deutschen Sprachgebrauch etabliert. Vielmehr werden Wortpaare wie beispielsweise „Planspiele on- line“, „Planspiele computergestützt“, „Simulation digital“ verwendet (Bundeszentrale Politische Bildung o. J.).
Als „serious games“ werden im englischen Sprachraum Spiele bezeichnet, die einem wei- teren Zweck folgen als nur der Unterhaltung, meist ist dieser weitere Zweck ein edukativer (vgl. Michael/Chen 2006; Ritterfeld/Cody/Vorderer 2009). Müller-Lietzkow spricht von einer Integration von „Lern- oder Trainingsaufgaben, dass es Spaß macht zu spielen und neben- bei gelernt wird“ (Müller-Lietzkow 2013, S. 215).
Der Videospielforscher Ian Bogost unterhielt zwischen 2003 und 2009 eine Webseite mit dem Titel „Watercooler Games“ für „games with an agenda“ (vgl. Bogost 2003). Für Bogost sind „serious games“ auch „persuasive games“ und damit Spiele, die einen Standpunkt vertreten, Wissen vermitteln und Meinungen verändern (vgl. Bogost 2010). Für einige der im Zusammenhang mit Sozialmanagement verwendbaren Spiele mag es zutreffen, dass sie einen Standpunkt vertreten, beziehungsweise die Entwickler eine Absicht bei der Entwicklung hatten. Wird dies bewusst reflektiert, kann ein solches politisches Anliegen eines Spiels auch Teil des Lernziels sein.
Betrachtet man jedoch das Adjektiv „serious“ in der Gegenüberstellung mit „entertaining games“ (vgl. Kim 2015, S. 4) entsteht der Eindruck, ein lehrreiches Spiel sei eines, das keinen Spaß mache beziehungsweise in dem – zumindest vorrangig – kein Spaß vorgesehen sei. Ob sich der Spaß dem Lernen unterordnen sollte oder nicht, wird mit unterschiedlichen Ergebnissen diskutiert (vgl. Azadegan/Riedel/Hauge 2013, S. 74). Die Überzeugung, Lernen sei ausschließlich harte Arbeit, sitzt bei einigen Dozierenden tief und führt dazu, dass Spielentwickler ihre Auftraggeber so wenig wie möglich am Entwicklungs- prozess beteiligen wollen, damit sie einem Spiel nicht den Spaß austreiben (vgl. Prensky 2002; Henriksen 2013a). Doch nur wenn aus der Sicht eines Dozierenden Lernen auch Spaß machen darf, wird er oder sie sich für den Einsatz eines Planspiels entscheiden. Diese und weitere Gelingensbedingungen für den Einsatz von Spielen in einem Masterstudiengang werden in Kapitel 5 ausführlich beschrieben.
Wenn wir jedoch davon ausgehen, dass Lernen auch Spaß machen darf, entstehen Schwierigkeiten mit der Unterscheidung zwischen „entertaining“ und „serious“. Deshalb wird im Folgenden auf diese Unterscheidung verzichtet. Stattdessen wird in den Kapiteln 3 und 4 in den konkreten Beispielen darauf hingewiesen, ob ein Planspiel oder ein Rollenspiel computergestützt durchgeführt wird oder nicht und ob zusätzlich eine Verbindung mit dem Internet notwendig ist oder nicht.
2.3 Spiele und Lerntheorien
Für den Einsatz von Planspielen gibt es aus der Perspektive der Lernenden und Lehrenden drei Hauptgründe, auf die im Weiteren genauer eingegangen wird:
- In Spielen ist es möglich, Handlungen ohne Risiken zu erproben.
- Spielen unterstützt die Merkfähigkeit, da der gesamte Lernzyklus während eines Spiels durchlaufen werden kann.
- Spielen kann die Motivation der Lernenden aufrechterhalten oder erhöhen.
2.3.1 Komplexitätsreduktion und Handeln ohne Risiko
Für die Reduktion von Komplexität und die Verminderung von Konsequenzen des eigenen Handelns sind maßgeblich Regeln verantwortlich. Sie sind konstitutives Element eines Spiels (vgl. Huizinga 1991, S. 37). Besonders deutlich werden sowohl Komplexitätsreduktion als auch Konsequenzverminderung bereits bei den ersten Planspielen, den Kriegsspielen (vgl. Geuting 1989; Hilgers 2000). Der preußische Baron von Reiswitz verfasste eine „Anleitung zu einer mechanischen Vorrichtung um taktische Manoeuvres sinnlich darzustellen“ und damit eines der ersten taktischen Kriegs- und Plan- spiele, welches 1824 von höchster Stelle allen preußischen Offizieren zur Ausbildung empfohlen wurde (vgl. Hilgers 2000, S. 71). Abgeleitet vom Schachspiel entwarf von Reiswitz mehrere Schlachtfelder in Form von Karten, auf denen Truppenbewegungen simuliert werden konnten. Als das Spiel dem neuen Generalstabschef Prinz Wilhelms, Karl von Müffling, präsentiert wurde, rief er aus: „Das ist ja kein Spiel in gewöhnlicher Art, das ist eine Kriegsschule!“ (vgl. Hilgers 2000, S. 71). An Kriegsspielen wird besonders klar deut- lich, welche Funktion die Simulation erfüllt: Das gemeinsame Durchdenken unterschiedlicher Handlungsweisen und das Abschätzen von Konsequenzen einzelner Aktionen in komplexen Zusammenhängen, ohne dabei Menschenleben oder Territorium zu verlieren.
Aus Huizingas Definition von Spiel wird hier das Element des „Bewusstseins des Andersseins“ besonders deutlich: Da allen Mitspielenden bewusst ist, dass nicht tatsächlich Soldaten eingesetzt werden, entsteht die Freiheit, Spielzüge auszuprobieren. Fast 200 Jahre später ist diese Konsequenzverminderung in der Kriegsführung immer noch relevant und kann ebenso für das Agieren in anderen komplexen Systemen genutzt werden: Seien es die Wirkmechanismen der Börse, das Aushandeln der Datenschutzgrundverordnung oder die Simulation des Europäischen Asylsystems (Beispiele für solche Spiele s. Kapitel 3.2). In solchen Planspielen können Spielende Handlungen ausprobieren, ohne jemandem wirtschaftlichen, politischen oder anderen Schaden zuzufügen (vgl. Karrlein 2018).
Auch auf einer individuellen Ebene ist der Umgang mit Kritik, Misserfolgen oder negativem Feedback konsequenzvermindert. Während Karriereratgeber nicht aufhören, Lesenden nahezulegen, sich mit den eigenen Misserfolgen auseinanderzusetzen, ist dies für Einzelne oft nicht leicht (vgl. o. A. 2010, S. 2). Im realen Leben ist es manchmal schmerzhaft, sich mit Misserfolgen auseinanderzusetzen. Im Spiel hingegen ist die Analyse einer Runde eher ein Lernmoment, das in der nächsten Runde unmittelbar Früchte tragen kann – wobei natürlich trotzdem mit wachsendem Engagement im Spiel ein hohes Frustrationspotential bei Misserfolg einhergehen kann.
2.3.2 Spielen unterstützt die Merkfähigkeit
Sowohl Lernenden als auch Lehrenden ist es wichtig, dass Planspiele ihren Zweck des Lernens und Lehrens erfüllen. Zahlreiche Studien haben nachgewiesen, dass die Ergebnisse von Studierenden, die etwas durch Spiele gelernt hatten, unmittelbar nach dem Spielen und auch einige Monate später wesentlich besser waren als die von Vergleichsgruppen, die mit konventionellen Methoden gelernt hatten (vgl. Ackermann 2009; Ti u.a. 2009; Girard/Ecalle/Magnan 2013; Phuong/Nguyen 2017; Maurer/Engelmann 2018). Besonders interessant in diesem Zusammenhang ist die von Wouters u.a., die von 190 Studien zu Lernergebnissen nach Planspielen 38 Studien in eine Meta-Analyse aufnahmen, da in diesen 38 Studien jeweils eine Vergleichsgruppe verwendet wurde. Die Meta-Analyse wurde nur in Bezug auf computergestützte Planspiele durchgeführt, diese konnten allein oder in der Gruppe gespielt werden. Es stellte sich heraus, dass computergestützte Plan- spiele, die von Gruppen gespielt wurden, die größten Lernerfolge zeitigten. Darüber hinaus waren die Lerneffekte bei Spielen, die mit anderen didaktischen Methoden kombiniert wurden, wesentlich höher als bei Lerneinheiten, in denen nur Spiele verwendet wurden (vgl. Wouters u.a. 2013).
Die Beobachtung der besseren Lernergebnisse nach Verwendung von Spielen wird theoretisch in der Lern- und Entwicklungstheorie von Jean Piaget mit Assimilation und Akkomodation abgebildet (vgl. Piaget 2009). Darin geht es um das Wechselspiel der Aufnahme von neuen Informationen in einen bestehenden Rahmen (Assimilation) und einer Anpassung des Rahmens, falls das neu Aufgenommene nicht in den bestehenden Rahmen passt (Akkomodation). Dieses Wechselspiel erweitert Kolb, indem er einen Kreislauf aus konkreter Erfahrung, reflektiver Beobachtung, abstrakter Konzeptbildung und aktivem Experimentieren aufbaut (vgl. Kolb/Fry 1975, S. 33):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Lernzyklus nach Kolb (Kolb/Fry 1975, S. 33), eigene Übersetzung aus dem Englischen und eigene Darstellung
Lernspiele zu spielen unterstützt diesen Zyklus, indem eine konkrete Erfahrung während eines Spielzugs und die Konsequenz des eigenen Handelns beobachtet werden. Aus der Reflektion des eigenen Handelns und einer Bewertung der daraus erfolgten Konsequenzen kann der nächste Zug geplant werden. Ein solcher Ablauf ist für Kartenspiele ebenso charakteristisch wie für Lernspiele: Hat man in einem Trumpfkartenspiel die Erfahrung gemacht, dass die anderen Mitspielenden keinen Trumpf mehr besitzen, passt man die eigene Spielstrategie an. In Lernspielen werden ähnliche Anpassungen des eigenen Verhaltens notwendig, konkrete Beispiele befinden sich in den Beschreibungen der Fallbeispiele in Kapitel 4.
Betrachtet man graphisch dargestellte Abläufe von Planspielen, fällt die Ähnlichkeit zur Lerntheorie von Kolb ins Auge, denn der Ablauf von Planspielen spiegelt die typischen Phasen des erfahrungsbasierten Lernens wider (vgl. Ulrich 2006, S. 3):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 Didaktisches Grundprinzip von Planspielen nach Ulrich (2003), eigene Darstellung
Das von Ulrich beschriebene didaktische Grundprinzip von Planspielen gibt auch die dieser Arbeit zugrunde liegende Arbeitshypothese 2 wieder (s. Kapitel 1.2), nach der die expliziten Regeln von Spielen Komplexitäten reduzieren (Realitätsebene I zu II) und so den Spielenden erlauben, sich in ihrem Handeln auf einzelne Aspekte dieser Realität zu konzentrieren (Realitätsebene III). Die Merkfähigkeit oder der Lernerfolg hängen stark mit dieser oben bereits beschriebenen Komplexitätsreduktion zusammen. Laut Ulrich werden Lernprozesse ermöglicht, wenn die Spielenden von der einen auf die andere Realitätsebene wechseln, somit die Unterschiede der Realitätsebenen klar werden und die Spielsituation weniger komplex erscheint als die Wirklichkeit außerhalb des Spiels (vgl. Ulrich 2006, S. 3).
Nach jeder Phase des Spiels, aber vor allem nach dem Durchlaufen eines gesamten Zyklus eines Spiels, also einer Spielrunde, ist eine Form von Debriefing, Auswertung oder Reflektion unabdingbarer Bestandteil des Lernprozesses (vgl. Crookall 1990, S. 5; Henriksen 2013b, S. 274). Während eines solchen Debriefings rekapitulieren die Spielenden das Geschehene und ziehen somit ihre Schlüsse für die nächste Spielrunde oder den Transfer des Gelernten in ihre Praxis. Der Planspielanbieter TOPSIM empfiehlt mehrere Themen für ein Debriefing: individuelle Wahrnehmung, Vergleichen der Eindrücke, Key-Learnings, Übertragbarkeit des Gelernten auf die Realität und Handlungspläne (vgl. TOPSIM GmbH 2018). Das Debriefing ist dabei nicht nur zur Abstraktion von praktisch Erfahrenem und dem Vergegenwärtigen des Gelernten zentral, sondern dient auch als Raum zur Thematisierung von Konflikten in der Gruppe, falls solche während des Spielens entstanden sind (vgl. Henriksen 2013b, S. 274).
Abgesehen vom Lernerfolg, der durch das Durchschreiten des Lernzyklus entsteht, können Spiele auch einen Kontext herstellen, der es ermöglicht, Theorie und Praxis miteinander zu verbinden (vgl. Kim 2015, S. 10–11; Karrlein 2018). Der Transfer von Wissen aus der Spiel- situation in die Realität kann erleichtert werden, wenn die Realität besonders gut in dem Spiel abgebildet wird. Fallbeispiel 1 wurde unter anderem entsprechend dieser Annahme ausgewählt, da das Planspiel die Realität simuliert, in der sich die Teilnehmenden im Alltag bewegen (siehe Kapitel 4.1.).
2.3.3 Spielen unterstützt die Motivation
Eines der größten Themen für Lehrende im formalen Lernen und Lehren – sei es im Klassenzimmer, online, im Fernstudium, oder im E-learning – ist die Motivation der Lernenden. Laut Prensky ist es eine Herausforderung, die Studierenden motiviert genug zu halten, dass sie bis zum Ende der Stunde, des Seminars, des Kurses oder des Abschlusses durchhalten (vgl. Prensky 2002, S. 1). Unterschiedlichen Lehrenden ist dieses Durchhalten der Studierenden unterschiedlich bewusst und wahrscheinlich auch unterschiedlich wichtig. Doch da Lernen Anstrengung erfordert, braucht es eine starke Motivation. Welche Motivation zum Lernen haben Studierende? Zum einen ist da sicher das pure Interesse am Inhalt, laut Prensky ist das jedoch seltener der Fall, als Lehrende sich das wünschen. Im Allgemeinen ist die Motivation von Studierenden eine Mischung aus intrinsischen Zielen und extrinsischen Belohnungen, kombiniert mit psychologischen Faktoren wie Angst oder Gefallenwollen. In günstigen Fällen genügt das, um jemanden bis zum Ende interessiert zu halten. Doch laut Prensky war es immer auch Aufgabe von Lehrenden, für Motivation zu sorgen. Das sei auch das, woran sich Studierende später bei Lehrenden erinnern. Prensky spricht sich für einen Lernprozess aus, der motivierend genug ist – für ihn gehören dazu Spiele (vgl. Prensky 2002, S. 1).
Spiele aktivieren und motivieren Lernende. Diese motivierende Eigenschaft von Spielen wird häufig (vgl. Salen/Zimmerman 2003; Kim 2015) mit Csikszentmihalyis Flow-Theorie erklärt (vgl. Csikszentmihalyi 2007). Flow ist der psychologische Zustand, in dem eine Person vollständig in eine Aktivität eintauchen kann, weil sich diese Aktivität in einem ausgewogenen Verhältnis von Komplexität der Aktivität zur Ausprägung der Fähigkeiten einer Person befindet:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3 Flow-Prinzip (Csikszentmihalyi 2007, S. 47)
Ist eine Aktivität kaum herausfordernd und sind die dazu notwendigen Fähigkeiten kaum ausgeprägt, entsteht ein Zustand der Apathie. Ist die Aktivität jedoch höchst herausfordernd, die dazu nötigen Fähigkeiten jedoch nicht ausgeprägt, fühlt sich die Person besorgt oder ängstlich. Der Flow-Zustand wird in einer Balance von Herausforderung und Fähigkeit gefunden (vgl. Csikszentmihalyi 2007, S. 47).
Die Effekte, die durch die Flow-Theorie beschrieben werden, sind für die intrinsische Motivation von Spielenden verantwortlich (vgl. Prensky 2002, S. 2; Zeiner-Fink/Feldhoff 2018, S. 2). Diese intrinsische Motivation ist eine Form von Spaß oder Vergnügen, die als wichtiger Bestandteil von Spielen anerkannt wird, wobei in der englischsprachigen Literatur einige Autoren den Terminus „fun“ (Spaß) eher durch „pleasure“ (Vergnügen) ersetzen (vgl. Salen/Zimmerman 2003; Fizek 2014).
So stellt Juul fest, der Begriff „Spaß“ sei nicht recht zu fassen, denn den meisten Leuten mache etwas anderes Spaß: „There is ultimately no one-sentence description of what makes all games fun; different games emphasize different types of enjoyment and different players may even enjoy the same game for entirely different reasons.” (Juul 2011, S. 19) Deshalb schlägt Fizek im Kontext von Spiel folgende Definition von „Spaß” vor: „an enjoyable emotional reaction deriving from the capacity to engage in playful behaviour, which emerges out of the interaction with the game. This may be achieved in numerous ways, for instance conditioned by the implemented rules, and/or as a result of autonomous player’s actions not directly predicted by the system.“ (Fizek 2014, S. 279)
In dieser Definition werden die Umgebung zur Entstehung von Spaß und die Interaktion mit anderen betont. Gleichzeitig wird klar, dass auch Spaß Regeln benötigt, ganz im Sinne der Herausforderungen in der oben beschriebenen Flow-Theorie. Außerdem kann Spaß entstehen, wenn die Aktionen eines oder einer Spielenden nicht direkt vom System vorhergesagt werden, ein Aspekt, der weiter unten im Fallbeispiel 2 eine große Rolle spielt. Spaß entsteht also ähnlich wie Flow in einem Spannungsfeld von Herausforderung (Regeln) und Fähigkeiten (Aktionen des Spielenden).
Berufsbegleitende Studiengänge, wie beispielsweise der Masterstudiengang im Sozialmanagement der Alice Salomon Hochschule, haben oft einen großen Anteil an Selbststudium, da die Studierenden verhältnismäßig wenig Präsenzzeiten haben. Spiele, die computergestützt zu Hause gespielt werden, erweitern das Methodenspektrum für das Selbststudium. Während der Präsenzzeiten schaffen Planspiele in Ergänzung zu Vorträgen und anderen didaktischen Methoden Lernmomente, die mit einer agilen Hochschuldidaktik vereinbar sind.
Die agile Hochschuldidaktik, im Gegensatz zur verbreiteteren Plan-Didaktik, nimmt laut Arn Studierende als denkende Wesen ernst. Lehrende lassen durch ihre Methoden und durch ihre Einstellung den Studierenden Platz zum Denken. Statt eines rigiden Planes haben sie verschiedene Optionen zu ihrer Verfügung und können so auf die Bedürfnisse der Studierenden reagieren (vgl. Arn/Bardill Arn 2016). Dieser Ansatz kann zwar auch in einer dialogischen Form mit Vorträgen und Gruppenarbeiten verfolgt werden, ein Spiel kann jedoch dem Dozierenden in besonderer Weise die Rolle eines Moderators oder einer Moderatorin verleihen. Voraussetzung ist, dass die Regeln des Spiels rigide genug sind, dass die Studierenden sie als herausfordernd empfinden, aber nicht zu streng, damit Möglichkeiten zum Ausprobieren bestehen bleiben.
2.4 Forschungsstand
Die Forschung zu Planspielen setzt sowohl im englischsprachigen als auch im deutsch- sprachigen Raum etwa in den 1960er Jahren ein. Basierend auf Planspielen aus der militärischen Ausbildung (vgl. Geuting 1989, S. 318–322) wurden Planspiele nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA und später auch in Deutschland in der Management- Ausbildung eingesetzt (vgl. Massing 2004, S. 163). Schwägele spricht von einer „regelrechten Planspieleuphorie“ in den 1960er und 70er Jahren, seitdem sei die Methode bei der Aus- und Weiterbildung von Führungskräften in der Wirtschaft etabliert und werde nahezu in allen großen Unternehmen in Deutschland eingesetzt (vgl. Herrmann/Andernach 2003; Reich 2007; Slimani u.a. 2014; Schwägele 2015, S. 13).
Etwa zeitgleich beginnt die Entwicklung von Computerspielen, für die Steve Russells „Space War“, im Jahr 1962 am Massachusetts Institute of Technology entwickelt, oft als Initialzündung beschrieben wird. In den 1970er bis 1990er Jahren waren digitale Spiele reine Unterhaltungsmedien, zunächst für Kinder, dann für Familien. Die Kombination aus Lernen und Spielen basierte hier primär auf implizitem Lernen. Erst in den 90er Jahren entstehen erste computerbasierte Serious Games mit Quizspielen oder Wirtschaftssimulationen. Seit 2000 bilden sich mit der Integration des Internets neue hoch- komplexe Anwendungsstrukturen heraus: Kollaborative Spielformen entwickeln sich in virtuellen Welten (vgl. Müller-Lietzkow 2013, S. 206). Für die Zusammenarbeit in diesen virtuellen Welten zum Beispiel in Shootergames wie „Counterstrike“ ist es wichtig, miteinander kommunizieren zu können. Online wurde es mit dem Internet möglich, gleichzeitig über mehrere Kanäle miteinander in Verbindung zu stehen (vgl. Müller-Lietzkow 2013, S. 207). Dieses kollaborative Element findet sich auch in Arbeitskontexten, deshalb entsteht hier der Zusammenhang von Spielen und Arbeiten.
In den Sozialwissenschaften, allen voran in der Politikwissenschaft und dort insbesondere in der Teildisziplin der „Internationalen Beziehungen“, gewannen Planspiele seit den 1960er Jahren vermehrt an Bedeutung. Studien der Politikwissenschaftler Coleman und Guetzkow in den 1960er und 1970er Jahren wiesen auf die motivationalen und kognitiven Lerneffekte von Planspielen hin (vgl. Guetzkow u.a. 1963; Boocock 1994). Kritischere Stimmen verweisen dagegen auf Nachteile der Planspielmethode im Vergleich zu konventionellen Lehrmethoden wie zum Beispiel ein höherer Zeit- und Organisationsaufwand (vgl. Faria/Wellington 2004).
Weitere Nachteile sind das Fehlen von Qualitätskriterien, die Wirkung der einzelnen Ele- mente bleibt unklar (vgl. Crookall 1990; Kriz 2011, S. 30; Michel 2013). Auch wird bemängelt, dass das Reflektieren nach dem Spielen, das Debriefing, der zwar wichtigste Teil im Prozess sei, in der Literatur jedoch der am meisten vernachlässigte (vgl. Crookall 1992, S. 141). In Bezug auf computergestützte Planspiele fehlt es ebenfalls an Forschung zu den Lerneffekten (vgl. Freitas 2006). Das sei das größte Hindernis für eine schnelle Verbreitung (vgl. Michel 2013, S. 278).
3 Methode
Nach den oben erfolgten Definitionen von Simulation, Plan- und Rollenspiel und der wissenschaftlichen Einbettung von Spielen in die Lerntheorie von Kolb, der Erläuterung des Zusammenhangs von Lernen und Spielen mittels der Flow-Theorie von Csikszentmihalyi wird nun die Methode beschrieben, mit der eine erste Vorauswahl von Spielen getroffen wurde, die für eine Verwendung im Masterstudiengang Sozialmanagement in Frage kommen. Anschließend werden die Kriterien beschrieben, nach denen aus dieser Voraus- wahl Fallbeispiele ausgewählt wurden und mit Hilfe einer unten erläuterten Checkliste im nächsten Kapitel beschrieben werden.
3.1 Suche nach Spielen
Zunächst erfolgte eine Suche nach Spielen mit Suchwörtern, die aus der Beschreibung der Module des Masterstudiengangs Sozialmanagement an der Alice Salomon Hochschule Berlin und der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München in den Curricula zu finden sind (vgl. Hochschule für Angewandte Wissenschaften München; Alice Salomon Hochschule/Paritätische Akademie Berlin/AWO Bundesakademie 2019, S. 6). Zu den gesuchten Begriffen gehörten beispielsweise: „Arbeitsrecht“, „Führen“, „Leiten“, „Change- Management“, “Marketing“, „Kommunikation“, sowie deren Synonyme und grammatikalischen Varianten. In der Suche wurden diese Begriffe kombiniert mit „Simulation“, „Planspiel“, „Rollenspiel“ und „serious game“.
Für die Suchbegriffe einschränkend wirkte, dass die Lerninhalte des Masterstudiengangs an der Alice Salomon Hochschule vor Studienbeginn nur sehr allgemein schriftlich doku- mentiert waren und die konkreten Lernziele eines Moduls oft erst von den einzelnen Dozierenden zu Beginn der Präsenzeinheit kommuniziert wurden. Dies führte zu 15 Suchbegriffen für die vorliegende Konzeptentwicklung.
Gesucht wurde in Monographien, Sammelwerken, Zeitschriften und auf Webseiten, die on- line publiziert wurden oder gedruckt vorlagen. Ergänzend sammelte die Autorin von neun Personen im persönlichen Umfeld Informationen zu Spielerfahrungen im Weiterbildungs- kontext, welche jedoch nicht im Rahmen von qualitativen Experteninterviews in diese Arbeit einflossen, sondern lediglich der Inspiration dienten.
Zwei Spiele, die die Autorin im Rahmen von Weiterbildungen als Teilnehmende selbst erlebt hat, LEGO Serious Play und das Bootcamp „Gegenrede“ von ichbinhier e.V., sind in die Vorauswahl aufgenommen worden. Von den nicht selbst erlebten Spielen wurde online nach schriftlichen Spielbeschreibungen und Videos zum Spielablauf gesucht.
3.2 Vorauswahl von Spielen
Im Anschluss an die Suche mit Suchbegriffen aus dem Masterstudiengang wurde eine Vor- auswahl von Spielen getroffen. Diese Vorauswahl wird hier abgebildet. Sie wurde vor allem aufgrund der Anzahl von auffindbaren Informationen getroffen. Angelehnt an die Meta- Analyse von Wouters et al. (vgl. Wouters u.a. 2013) wurden für die Vorauswahl Informationen gesucht zu:
- Name des Spiels
- Name der Firma
- veranschlagte Spieldauer
- Sprache des Spiels
- Anzahl Teilnehmende
Folgende Kriterien wurden aus der Spielbeschreibung hergeleitet:
- Art des Planspiels
- Hauptthema des Planspiels
Bei diesen Kategorien für die Vorauswahl handelt es sich um eine eingeschränkte Auswahl an Kategorien, die für die Beschreibung der Fallbeispiele in Kapitel 4 angewandt und aus- führlich in Kapitel 3.3 beschrieben werden. In der Übersichtstabelle unten befinden sich nun die Spiele, deren Themen mit den Themen des Masterstudienganges in Zusammenhang stehen, deren veranschlagte Spieldauer zwischen einem halben Tag und fünf Tagen und deren Anzahl der Teilnehmenden zwischen 5 und 50 liegt.
Andere Kriterien, wie beispielsweise die Kosten des Spiels, technische Voraussetzungen oder die Überprüfbarkeit der Lernergebnisse wurden für diese Vorauswahl noch nicht berücksichtigt und spielen erst für die Fallbeispiele des Kapitels 4 eine Rolle.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3.3 Wahl und Beschreibung der Fallbeispiele
Aus der Vorauswahl wurden drei Fallbeispiele für die genauere Beschreibung in Kapitel 4 ausgewählt. Die Wahl fiel auf diese drei Spiele, weil sie unterschiedliche inhaltliche Themen abdecken, unterschiedliche Materialien und Mechanismen anwenden und von drei sehr unterschiedlichen Anbietern stammen. Den Spielen gemeinsam ist die Zielgruppe der Erwachsenen und die Spielsprache Deutsch. Die Spiele dauern einen halben Tag (Fallbeispiel 3), einen ganzen Tag (Fallbeispiel 2) und mehrere Tage (Fallbeispiel 1), wären aber alle im Rahmen einer Präsenzeinheit in einem Masterstudiengang durchführbar.
Da das Ziel darin bestand, die Fallbeispiele anhand der hier beschriebenen Checkliste darzustellen, war für die Auswahl neben den bereits genannten Kriterien auch maßgebend, dass ein großer Teil der Informationen zu dem jeweiligen Spiel verfügbar war. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden die Anbieter der Spiele in der Vorauswahl und in den Fall- beispielen nicht kontaktiert, um fehlende Informationen zu ergänzen. Es ist anzunehmen, dass durch eine direkte Kontaktaufnahme einige Fragen hätten beantwortet werden können, die aufgrund der Literaturrecherche offenbleiben mussten.
Der Preis spielte für die Wahl als Fallbeispiel eine weniger wichtige Rolle als er wahrscheinlich in der Umsetzung in einem Studiengang spielen würde. Die Preise setzen sich je nach Spiel aus Honoraren für die Durchführenden, aus Weiterbildungen für Dozierende, aus Materialkosten oder Softwarelizenzen zusammen. Das Vorhandensein von Seminarräumen, Zugang zum Internet und Laptops wurden vorausgesetzt.
Die drei gewählten Fallbeispiele in Kapitel 4 werden anhand der Checkliste von Gust und Klabbers vom Bundesinstitut für Berufsbildung beschrieben (vgl. Gust/Klabbers 2015a, S. 63). Sie entwickelten diese Checkliste für ein Gespräch mit dem Anbieter eines Spiels vor einer Kaufentscheidung. Die Checkliste wurde zwar in Bezug auf die im Planspielkatalog des Bundesinstituts für Berufsbildung befindlichen Planspiele entwickelt, lässt sich jedoch auch auf andere Entscheidungssituationen übertragen. Da in der vorliegenden Konzeptentwicklung nicht ein Gespräch mit einem Anbieter vorbereitet wird, sondern die Spiele aufgrund der öffentlich zugänglichen Informationen beschrieben werden, wurden die Fragestellungen leicht angepasst und zwei Fragen miteinander kombiniert.
Die Checkliste für die Beschreibung der Spiele im vorliegenden Konzept beinhaltet folgende Fragen:
1) Welche fachlichen und sozialen Lernziele kann das Spiel bedienen?
- fachliches und soziales Wissen
- Wissensanwendungen
- sachliche und soziale Erlebnisse
- Handlungserfahrung
- Übungen
2) Welchen Hintergrund hat die Entwicklung des Spielkonzeptes?
- Ursprung des Entwicklungsauftrages
- Hintergrund der Idee
3) Welche Referenzen gibt es für das Produkt?
- Evaluationen, Berichte, Dokumentationen
4) Welche Kosten entstehen für den Einsatz des Produktes? Welche Nutzungsrechte sind damit genau verbunden?
- Miete, Leasing, Kauf
- einmalige, mehrmalige, ständige Nutzung, Weiterverwertungsrechte
5) Welche Planspielform liegt vor? Welche Einsatzvoraussetzungen müssen der Anwender oder die Anwenderin dafür herstellen?
- Räume, Technik, Anschlussbedingungen, Verbrauchsmaterial
- Qualifizierung von Trainern und Trainerinnen
- Möglichkeit und Konditionen der Trainerqualifizierung
6) Welche Produktmedien werden zur Verfügung gestellt? Welche Varianten und Optionen gibt es?
- Handbuch für die Teilnehmenden, weitere Unterlagen
- Simulationssoftware und Trägermedium
- Handbuch für Planspielleitung, Vorbereitung hauseigener Planspielleitung
- Ergebnisunterlagen
7) Welche Zielgruppen kommen für das Spiel in Frage? Welche fachlichen und kommunikativen Mindestvoraussetzungen benötigen die Teilnehmenden für das Spiel?
- Auszubildende
- Weiterzubildende
- Fachkräfte
- Führungskräfte
8) Gibt es eine detaillierte Beschreibung des Spielverlaufs, wie Demo-Versionen, Dokumentationen oder ist die Teilnahme an Referenzseminaren möglich?
Nicht auf der Checkliste von Gust und Klabbers enthalten sind Fragen nach dem Spaß, der während des Spielens entsteht. Gemäß Arbeitshypothese 1 ist dieser Spaß zwar für das Lernen zentral, kann aber kaum theoretisch vor dem Spielergebnis beschrieben werden. Die Frage nach dem Spaß beim Spiel sollte in der Evaluation des Spiels gestellt werden.
Ebenso wenig ist in der Checkliste die Frage nach dem Zeitpunkt des Einsatzes des Spiels enthalten. Dieser Zeitpunkt hängt von didaktischen Erwägungen zur Erreichung der Lern- ziele ab, die den Dozierenden überlassen sind. Diese Lernziele müssen Dozierende mit der ersten Frage der Checkliste zunächst für sich selbst klären. Besteht das Lernziel darin, gelernte Begriffe zu wiederholen, ist es naheliegend, dass der Zeitpunkt des Einsatzes eher am Ende einer Lerneinheit liegen muss. Spiele können aber auch zur Einführung in eine Vorlesung verwendet werden oder zur Verdeutlichung des Nutzens kommender Vorlesungsinhalte für die Praxis. Einige Spiele dienen wiederum der Vertiefung und vermitteln praxisnahes Fachwissen in Verbindung mit dem Erwerb von Methoden- und Sozialkompetenzen. Andere Spiele eignen sich besonders für das Ende des Studiums, um isoliert erarbeitete Einzelthemen zu einem Ganzen zu verbinden.
Ebenfalls in der Checkliste nicht explizit enthalten ist die Frage nach prüfbarem erworbenem Wissen. Auf die Möglichkeit von Prüfungen wird in Kapitel 5.3 „Gelingensbedingungen für die Hochschule“ eingegangen.
Die Beurteilung der Fallbeispiele fand aufgrund der Informationen des Anbieters statt und, wo möglich, aufgrund der Erfahrungsberichte von Personen, die eine Simulation durchgeführt hatten. Der größte Teil der Quellen lag schriftlich vor, Einblicke in die Plan- spielrealität sind jedoch auch auf der Plattform Youtube und in Blogs und Foren gut möglich (vgl. Schiffler/Krengel 2013).
4 Fallbeispiele
Im folgenden Kapitel werden exemplarisch drei Spiele beschrieben, die gewinnbringend Teil eines Masterstudiengangs Sozialmanagement sein könnten. Dabei handelt es sich um TOPSIM „Social Management“, LEGO Serious Play und das „Bootcamp Gegenrede“. Anhand der oben beschriebenen und leicht angepassten Checkliste wird jedes Spiel zunächst beschrieben und anschließend seine Eignung für den Masterstudiengang Sozialmanagement begründet.
4.1 TOPSIM „Social Management“
4.1.1 Beschreibung des Spiels
1) Welche fachlichen und sozialen Lernziele kann das Spiel bedienen?
Für die TOPSIM Simulation „Social Management“ sind keine Angaben zu Lernzielen zugänglich. Deshalb wurde auf die Lernziele der TOPSIM Simulation „Health Management“ zurückgegriffen, da es sich um eine ähnliche Simulationsumgebung handelt: Die Simulation „Social Management“ simuliert ein Seniorenheim, die Simulation „Health Management“ desselben Anbieters simuliert ein Krankenhaus.
Die TOPSIM GmbH gibt als Lernziele für die Simulation „Health Management“ an (vgl. TOPSIM GmbH 2019b):
- Anwenden strategischer Analysen (Unternehmens- und Konkurrenzanalyse)
- Auswählen von Wettbewerbsstrategien (strategische Differenzierung)
- Operatives Steuern eines Krankenhauses über Case-Mix-Index und Verweildauer
- Planen und Kontrollieren der Kapazitätsauslastung von Infrastruktur und Personal
- Durchführen der operativen Finanz- und Liquiditätsplanung
- Anwenden von Instrumenten der Kosten- und Leistungsrechnung
Aus einer Präsentation der TOPSIM GmbH für die Simulation „Social Management“ wird der Spielablauf ersichtlich, der weiter unten beschrieben wird (vgl. TOPSIM GmbH 2013). Aus diesem Spielablauf lässt sich ableiten, dass die Lernziele der beiden Angebote „Health Management“ und „Social Management“ sehr ähnlich sind.
2) Welchen Hintergrund hat die Entwicklung des Spielkonzeptes?
Der Anbieter ist die TOPSIM GmbH mit Sitz in Tübingen. Sie bietet eine breite Palette von Unternehmensplanspielen für Unternehmen und Universitäten an. Allgemeinere Simulationen mit dem Titel „easyManagement“ richten sich an Auszubildende und Bachelorstudierende, anspruchsvollere Versionen wie „General Management“ richten sich an Masterstudierende der Wirtschaftswissenschaften. Außerdem gibt es Simulationen, die sich auf einzelne Themen spezialisieren, wie Strategie, Human Resources, Sales und Marketing oder Supply Chain Management. Die branchenspezifischen Simulationen simulieren die Realität einer Branche, wie beispielsweise die des Tourismus, der Versicherungen, Banken, der Krankenhäuser oder der Pflege (vgl. TOPSIM GmbH o. J.a).
3) Welche Referenzen gibt es für das Produkt?
Die Universität Duisburg-Essen veröffentlichte eine Hochschulevaluation eines Seminars, in dem eine Simulation von TOPSIM verwendet wurde. In dieser Evaluation stimmten 84% der Befragten der Aussage zu, dass der Lerneffekt aus TOPSIM wesentlich größer sei als der Lerneffekt anderer Lehrveranstaltungen (vgl. Zentrum für Hochschulqualitätsentwicklung 2007, S. 4). Auch an der Hochschule Furtwangen fand eine Evaluierung des Einsatzes von TOPSIM statt, sie ist aber nur universitätsintern zugänglich (vgl. Herb 2016).
TOPSIM veröffentlicht auf seiner eigenen Webseite Videos von zwei Professoren und einer Professorin, die Unternehmensplanspiele von TOPSIM in ihren Seminaren einsetzen und diesen Einsatz positiv sehen (vgl. TOPSIM GmbH o. J.a). Eine Übersicht, an welchen Universitäten im deutschsprachigen Raum in welchen Studiengängen Simulationen von TOPSIM eingesetzt werden, ist allerdings nicht auffindbar.
4) Welche Kosten entstehen für den Einsatz des Produktes? Welche Nutzungsrechte sind damit genau verbunden?
Für die Durchführung der Simulation entstehen Kosten, die je nach Wahl der Durchführungsart variieren. Es ist möglich, die Planspiele von TOPSIM ohne jegliche Weiterbildung selbst durchzuführen. TOPSIM empfiehlt und bietet zweitägige Seminarleitungstrainings an, die für Hochschulangehörige ca. EUR 300 kosten. Kostenfrei sind für einzelne Spiele auch Webinare online buchbar (vgl. TOPSIM GmbH o. J.b).
Einige Beratungs- oder Coachingunternehmen bieten die Durchführung von TOPSIM- Planspielen als Teil ihres Portfolios an, so beispielsweise das Planspielzentrum in Wien, auf dessen Kundenliste sich zahlreiche Universitäten befinden, darunter auch die Alice Salomon Hochschule (vgl. Kaiblinger o. J.). Zu welchem Thema und mit welchem Erfolg eine Zusammenarbeit zwischen der Alice Salomon Hochschule und dem Planspielzentrum stattgefunden hat, konnte nicht weiter geklärt werden.
Informationen zu den Preisen für die Lizenzen zur Verwendung der Planspiele oder weiterer Materialien sind nicht frei auf der Webseite zugänglich und müssten in einem Beratungsgespräch erfragt werden.
5) Welche Planspielform liegt vor? Welche Einsatzvoraussetzungen muss der Anwender oder die Anwenderin dafür herstellen?
Es handelt sich bei der Simulation „Social Management“ um eine computergestützte Simulation. Die Teilnehmenden bilden drei oder mehr miteinander in Konkurrenz stehende Gruppen, die je ein Seniorenheim führen (vgl. TOPSIM GmbH 2013).
Die Simulation könnte beispielsweise während einer Präsenzwoche durchgeführt werden, pro Gruppe der Studierenden ist dann dafür ein Computer mit einer Internetverbindung zu einer Cloud notwendig. So wird ein blended-learning Ansatz verfolgt, in dem verschiedene Lernformen miteinander verwoben werden. Allerdings ist es auch möglich, die Simulation vollständig computergestützt von mehreren Orten aus durchzuführen. Dann müssen die Studierenden über je einen Zugang zu einem Computer und dem Internet verfügen, über Chatfunktionen miteinander kommunizieren und Entscheidungen fällen. In diesem Fall kann die Simulation auch außerhalb der Präsenzzeiten durchgeführt werden.
6) Welche Produktmedien werden zur Verfügung gestellt? Welche Varianten und Optionen gibt es?
Die Teilnehmenden erhalten vor Beginn der Simulation ein Handbuch und anschließend den Zugang zu einer Cloud, in der sich das Planspiel befindet (vgl. TOPSIM GmbH o. J.d). Die Handbücher der Simulationen „General Management“, „easyManagement“ und „Global Management“ sind im Internet einsehbar, das Handbuch der Simulation „Social Management“ konnte hingegen nicht gefunden werden (vgl. TOPSIM GmbH o. J.c, o. J.d, o. J.e).
7) Welche Zielgruppen kommen für das Spiel in Frage? Welche fachlichen und kommunikativen Mindestvoraussetzungen benötigen die Teilnehmenden für das Spiel?
Laut TOPSIM sind ihre Simulationen auf Führungskräfte und den Führungskräftenach- wuchs aus sozialen Dienstleistungsunternehmen und Pflegeeinrichtungen, auf Mitarbeitende dieser Einrichtungen auch mit geringen BWL-Kenntnissen und auf Teilnehmende von Studiengängen in diesen Bereichen zugeschnitten (vgl. TOPSIM GmbH 2019b). Die Universität Osnabrück setzt die „Social Management“ Simulation beispiels- weise bei Bachelor-Studiengängen mit 30 Teilnehmenden ein (vgl. Strahringer/Leyh 2017, S. 105).
8) Gibt es eine detaillierte Beschreibung des Spielverlaufs, wie Demo-Versionen, Dokumentationen oder ist die Teilnahme an Referenzseminaren möglich?
Informationen zum Spielverlauf der Simulation „Social Management“ sind aus einer Präsentation von TOPSIM an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin ersichtlich (vgl. TOPSIM GmbH 2013).
Grundsätzlich verlaufen alle TOPSIM Simulationen in drei Phasen:
In der ersten Phase erhalten die Teilnehmenden Informationen über Trends und Entwicklungen, über Kunden, sozio-demographischen Veränderungen, Märkten oder makroökonomischen Veränderungen. Dies geschieht beispielsweise durch Zeitungsartikel, Berichte von Markforschungsinstitutionen oder Bilanzen des Unternehmens. Im Planspiel „Social Management“ beziehen sich diese Informationen auf das Seniorenheim Aevum, welches den Bezugspunkt der Simulation darstellt.
In der zweiten Phase treffen die Teilnehmenden im Team ihre Entscheidungen zu betriebs- wirtschaftlichen Fragestellungen. Sie geben am Computer beispielsweise ihre Marketingentscheidung ein, wobei die Zeit für diese Eingabe begrenzt ist. Anschließend berechnet die TOPSIM Software die Unternehmensergebnisse.
In der dritten Phase reflektieren die Teilnehmenden die Ergebnisse ihrer Entscheidungen, fachliches Wissen zu den Ergebnissen kann durch die Dozierenden beigesteuert werden. Die Ergebnisse der einzelnen Gruppen werden miteinander verglichen, graphische Analysen und detaillierte Berichte werden von der Software erstellt. Hier können die Ent- scheidungen der einzelnen Gruppen und deren Auswirkungen im Plenum miteinander diskutiert und analysiert werden.
In der Simulation „Social Management“ ist der Ort des Handelns das Alten- und Pflegeheim Aevum mit 120 Pflegeplätzen. Es sind zwei Produkte im Angebot: die normale Pflege für Pflegestufe 0 und I und die Intensivpflege für die Pflegestufen II und III. Zu Beginn hat das Heim 60 Bewohner und Bewohnerinnen mit einer normalen Pflege zu 24.000 EUR und 40 Bewohner in der Intensivpflege zu EUR 36.000. Im späteren Verlauf ist es möglich, das Leistungsangebot „betreutes Wohnen“ aufzunehmen.
Die primären Entscheidungsbereiche sind:
- Preis und Werbung
- Mitarbeitende im Sozialdienst
- Einkauf
- Pflegepersonal und Weiterbildung
- Finanzen
Zu diesen Bereichen erhalten die Teilnehmenden Informationen und fällen in Gruppen Entscheidungen. Beispielsweise soll der Mitarbeiterbestand von angelernten und examinierten Pflegekräften über Einstellungen und Entlassungen gesteuert werden. Die Simulation passt entsprechend der Entscheidungen des Teams den Bedarf an Personal- management, Facilitymanagement, Verwaltung und Geschäftsführung an. Eine der relevanten hier erlernbaren Kenngrößen sind die Personalnebenkosten. Themen wie der Fachkräftemangel werden sichtbar gemacht, indem die Auslastung der Pflegekräfte in die Simulation einfließt. Werden mehr Pflegekräfte benötigt als verfügbar sind, werden auto- matisch Zeitarbeitskräfte eingesetzt. Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Pflegekräfte zu 100 Prozent ausgelastet sind. Angelernte Pflegekräfte dürfen jedoch nicht mit examinierten Pflegekräften kompensiert werden und umgekehrt.
Zu Beginn der Simulation gibt es 100 belegte Pflegeplätze, die Gesamtkapazität beträgt jedoch 120 Plätze. Die Teilnehmenden legen fest, wie sie die maximale Leistungsmenge festsetzen und so eine Überlastung des Pflegeheims vermeiden. Das Qualitätsmanagement-Budget und die Mitarbeiterkosten bilden gemeinsam den Qualitäts- management-Index, der eine weitere relevante Kenngröße darstellt, die in dieser Simulation eingeführt wird.
Im Entscheidungsbereich Finanzen müssen sich die Teilnehmenden beispielsweise im Zusammenhang mit einer Infrastrukturerweiterung mit Krediten auseinandersetzen und deren Verzinsung beachten. Darüber hinaus müssen sie die Liquidität des Alten- und Pfle- geheims, sowie das Betriebsergebnis im Auge behalten. TOPSIM empfiehlt folgenden Leit- faden für die zu treffenden Entscheidungen:
1. Analyse der Berichte der Vorperiode
2. Beurteilung des Szenarios
3. Zielsetzung und Strategiefindung
4. Umsatzplanung und Qualitätsanpassungen
5. Personalentscheidungen/Produktivitätsplanung
6. Entscheidungen zur Infrastruktur
7. Bestimmung der Einkaufsmengen
8. Bestimmung der Planwerte
9. Finanzplanung / Wirtschaftlichkeitsrechnungen
Wie viele Zyklen an Entscheidungsfindungen mindestens durchlaufen werden müssen, ist aus der Quelle des Spielablaufs nicht ersichtlich (vgl. TOPSIM GmbH 2013). Aus den Wochenplänen beispielsweise der Universität Leipzig, wo ein anderes Planspiel von TOPSIM durchgeführt wird, ist ablesbar, dass es sich um fünf Zyklen handelt (vgl. Universität Leipzig 2019). Die Universität Passau führt die Simulation jedoch an einem Wochenende durch, was darauf schließen lässt, dass an einem Tag zwei Zyklen durchlaufen werden können (vgl. Universität Passau 2019).
4.1.2 Begründung der Eignung
Die Wahl auf das Planspiel TOPSIM „Social Management“ fiel aufgrund der Ähnlichkeit der simulierten Umgebung mit der tatsächlichen Arbeitswelt der Studierenden eines Studien- gangs Sozialmanagement. Das Probehandeln „in einer realitätsnahen Umgebung“ (Schwägele 2013) ist besonders reizvoll, da hier die Konsequenzverminderung des eigenen Handelns zum Tragen kommen kann und kein Schaden entsteht, wenn Teilnehmende etwas ausprobieren. Die Umgebung und die Herausforderungen des Arbeitsalltags, wie sie beispielsweise in der Pflege oder dem betreuten Wohnen erscheinen, sind bekannt. Neu hingegen sind die betriebswirtschaftlichen Prozesse, die in ihrer Komplexität zum einen dadurch reduziert werden, dass die Entscheidungen sequentiell, also nacheinander gefällt werden können. Eine Überforderung oder Krisen sind, wenigstens in diesem Planspiel, nicht vorgesehen. Würden die betriebswirtschaftlichen Inhalte in anderen Kontexten simuliert, wie beispielsweise mit einem Kopiergerätehersteller, müssten sich die Teilnehmenden in den Kontext dieses Unternehmens hineinversetzen und zusätzlich die neuen betriebswirtschaftlichen Kenntnisse anwenden.
Die zweite Komplexitätsreduktion, neben der Sequenzierung von Entscheidungen, besteht in den relativ konstanten Marktbedingungen, wie sie für heutige Märkte nur idealtypisch gelten (vgl. Gust/Klabbers 2015b, S. 59). Eine solche Komplexitätsreduktion ermöglicht das Lernen von grundsätzlichen Mustern. Diese Muster sind in operativen und strategischen Planungsaufgaben relevant, also in Aufgaben, die angehende Führungskräfte wie die Studierenden des Masterstudienganges Sozialmanagement in ihrer Berufslaufbahn wahr- scheinlich erfüllen werden. Der Studiengang wird für Personen angeboten, die bereits eine Führungsposition in der Sozialwirtschaft innehaben oder eine solche anstreben. Für beide Gruppen entstehen Vorteile beim Spielen der Simulation: Diejenigen Teilnehmenden, die sich bereits in Führungspositionen befinden, können in der Simulation konsequenzvermindert handeln. Teilnehmende, die noch keine Führungsposition innehaben, können sich mit Entscheidungsfragen bekanntmachen und die für diese Entscheidungen relevanten Informationen sammeln.
Als optimaler Zeitpunkt des Einsatzes der Simulation während des Studiums bieten sich die Module zu betriebswirtschaftlichen Themen an. Der Studiengang Sozialmanagement an der Alice Salomon Hochschule hat drei solcher Module: Modul 3 befasst sich mit betriebs- wirtschaftlichen Grundlagen, Rechnungswesen und Kostenmanagement. Modul 4 hat im gleichen Semester die Finanzierung sozialwirtschaftlicher Organisationen, Gemeinnützig- keit und Investitionsmanagement zum Thema. In Modul 8 geht es um Qualitätsmanage- ment, Finanzcontrolling, Unternehmensgründung und Entrepreneurship. Alle drei Module behandeln Inhalte, die sich auch in dieser Simulation wiederfinden.
Die Simulation ist wesentlich zu komplex, um vorbereitend auf ein Modul Verwendung zu finden. Es bietet sich also die Verwendung während einer oder mehrerer Präsenzeinheiten an oder die Verwendung als Lerninhalt zwischen den Präsenzeinheiten. Wird die Simulation auf mehrere Präsenzwochen verteilt, mit Vorträgen und anschließendem Üben, könnte der Lernzyklus nach Kolb nur stockend durchlaufen werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4 Lernzyklus nach Kolb (Kolb/ Fry 1975, S.33) für TOPSIM Simulationen, eigene Darstellung
Es ist sinnvoll, die Theorieeinheiten und die dazugehörenden Simulationseinheiten von der gleichen Lehrperson durchführen zu lassen, da diese Bezüge zum in der Simulation beziehungsweise in der Theorie Erlernten herstellen kann. Eine Verwendung der Simulation zum Abschluss der Module zur Betriebswirtschaft würde die motivierende Wirkung von Spielen nicht ausnützen, von der auch im Sinne des zyklischen Lernens die Teilnehmenden weiter profitieren können.
Aus diesen Überlegungen folgt, dass ein Einsatz im mittleren der drei Module am sinnvollsten ist. Vorbereitend auf die Simulation können im ersten Modul Grundlagen erarbeitet werden können. Im dritten betriebswirtschaftlichen Modul könnten die Themen behandelt werden, die die Simulation nicht erfasst hat, beziehungsweise bei denen noch weiterer Klärungsbedarf besteht. Außerdem besteht abschließend erneut die Gelegenheit, Abweichungen von der idealtypischen Simulationsumgebung zur komplexen Realität zu thematisieren, um so eine weitere Transferleistung des in der Simulation erworbenen Wissens in die Realität herzustellen.
Zusatzaufgaben, wie beispielsweise die Erarbeitung einer Marketingstrategie, können entweder für eine Auflockerung sorgen oder prüfbare Studienleistungen darstellen (vgl. TOPSIM GmbH 2017). An der Universität Paderborn wurden während einer TOPSIM Simulation Vorträge zu verwandten Themen gehalten, wie beispielsweise Teamarbeit (vgl. Schaper). Eine solche Ergänzung oder Mischung von Vorträgen von Dozierenden oder Studierenden, das Entscheiden in der Simulation und das Besprechen des Geschehenen entspricht den unterschiedlichen Phasen des Lernens nach Kolb (s. Abb. 1), einem Wechsel von konkreter Erfahrung zu reflektierender Beobachtung und anschließend einer abstrakten Konzeptbildung, die die Grundlage für aktives Experimentieren in der nächsten konkreten Erfahrung bildet.
Es können auch Verbindungen zu anderen Modulen des Masterstudienganges geschaffen werden, indem zum Beispiel aus arbeitsrechtlicher Sicht der Einsatz von Zeitarbeitskräften betrachtet wird. In einem solchen Zusammenhang wird deutlich, dass die kritische Auseinandersetzung mit der Komplexitätsreduktion der Simulation notwendig ist. Die Zeit- arbeitskräfte werden in die Simulation automatisch eingesetzt, wenn nicht genügend examinierte Pflegekräfte zur Verfügung stehen, um die Senioren zu pflegen. Welche Folgen ein solcher Einsatz von Zeitarbeitskräften für die Senioren, für die Zeitarbeitskräfte selbst und für die anderen Mitarbeitenden hat, sollte zusätzlich reflektiert werden. Es ist kritisch anzumerken, dass das Wirtschaftsmodell, das der Simulation zugrunde liegt, nicht umfassend transparent gemacht wird. Dies bietet jedoch einen Anhaltspunkt, anhand der Simulation die Wirkmechanismen zu verstehen, anschließend mit der Realität zu vergleichen und kritisch zu hinterfragen.
Zu den Kosten der Simulation liegen keine ausreichenden Informationen vor. Wird dieser Faktor jedoch ausgeklammert, ist zusammenfassend festzustellen, dass sich die TOPSIM „Social Management“ Simulation für den Einsatz im Masterstudiengang Sozialmanagement in Modulen zu betriebswirtschaftlichen Themen eignen würde.
4.2 LEGO Serious Play
4.2.1 Beschreibung des Spiels
1) Welche fachlichen und sozialen Lernziele kann das Spiel bedienen?
Die Lerninhalte und Lernziele eines Workshops mit der Methode LEGO Serious Play sind individuell bestimmbar. Ziel der Verwendung ist es, die Vorteile des Spielens und Modell- bauens mit realen Problemstellungen zu verknüpfen (vgl. Zeiner-Fink/Feldhoff 2018, S. 1). Gauntlett beschreibt die Vorteile der LEGO Serious Play Methode als „low floor, high ceiling, and wide walls“ (Gauntlett 2015, S. 3). Das LEGO System habe einen „niedrigen Boden“, sei also niedrigschwellig, was auch Neulingen einen einfachen Einstieg ermögliche. Gleich- zeitig habe es eine „hohe Decke“, so dass erfahrenere Personen an immer komplexeren Projekten arbeiten können. Am wichtigsten seien aber die „weit voneinander entfernten Wände”, die es erlauben, dass sich Kreativität und Vorstellungskraft in alle Richtungen ausdehnen.
Da mit der LEGO Serious Play Methode unzählige Lernziele verfolgt werden können, sollen hier beispielhaft die von Bulmer in ihrem Workshop an der Universität New Brunswick zum Thema „Entrepreneurship“ verfolgten Lernziele aufgeführt werden (Bulmer 2009, S. 2):
- Die Teilnehmenden erfahren von einem neuen lösungsorientierten Ansatz zur Innovation und Generierung von Ideen.
- Die Gesamtteilnahme an Gruppenarbeiten wird erhöht, ebenfalls der nach außen sichtbare Leistungsanteil jedes Teammitglieds.
- Die Fähigkeit der Teilnehmenden, klar und ehrlich miteinander zu kommunizieren wird erhöht.
- Das Selbstvertrauen der Teilnehmenden in ihre Fähigkeiten zu improvisieren, kreativ zu sein und ihre Vorstellungskraft zu nutzen wird gesteigert.
- Teilnehmende entwickeln ein Verständnis für ihren eigenen „Kreativitätsstil“.
- Teilnehmende erfahren den Wert des physischen Bauens eines Modells oder eines Prototyps im unternehmerischen Prozess.
2) Welchen Hintergrund hat die Entwicklung des Spielkonzeptes?
LEGO ist ein dänisches Unternehmen und der größte Spielzeughersteller weltweit. Das LEGO System wurde 1958 patentiert, jedes Element und jedes Set sind miteinander kombinierbar (vgl. Gauntlett 2015). LEGO Serious Play wurde 1996 von Kjeld Kirk Kristiansen entwickelt und hat sich im Laufe der Zeit als Workshop-Format für Unternehmen etabliert (vgl. Swann 2011; Mccusker 2014; Zeiner-Fink/Feldhoff 2018, S. 1).
Ursprünglich wurde die Methode LEGO Serious Play von LEGO entwickelt, um das eigene mittlere und Topmanagement in der strategischen Planung zu unterstützen. Zunächst wurde die Methode nur intern genutzt und anschließend kommerzialisiert. Es wurden Spiel- leiter, sogenannte LEGO Serious Play Consultants, ausgebildet und zertifiziert (vgl. Hyvönen 2014, S. 36). Seit 2010 ist die Methode jedoch auch open-source zugänglich (vgl. LEGO® Group 2010).
Die Methode LEGO Serious Play wird von verschiedenen theoretischen Einflüssen bestimmt. Grundlegend ist sie an der Lerntheorie von Piaget von 1951 (vgl. Piaget 2009) angelehnt, der davon ausgeht, dass das komplexe Zusammenspiel der Finger-Hand- Kombination das „Objektdenken“ im Gehirn stimuliert, wodurch während des Spiels kreative Energien freigesetzt werden. Die Teilnehmenden werden im Sinne der Flow-Theorie nach Csikszentmihalyi (vgl. Csikszentmihalyi 2007) in den Lern- oder Entwicklungsprozess involviert (vgl. Zeiner-Fink/Feldhoff 2018, S. 2).
Die Besonderheit der LEGO Serious Play Methode besteht unter anderem darin, dass die individuelle Kreativität mit der Gruppenkreativität interagiert (vgl. Gauntlett/Holzwarth 2006). Zunächst bauen alle für sich, durch das anschließende Vorstellen der Modelle und das Mitteilen der Ideen wird dann das gemeinsame Wissen der Gruppe größer. Je nach Workshopprogramm können Aufgaben gestellt werden, in denen allein gebaute Modelle mit denen anderer verbunden werden.
In Universitäten wird LEGO Serious Play auf unterschiedliche Weise genutzt: als haptischer Ansatz, um über Lernen nachzudenken, um Selbstreflexion auszulösen (vgl. Gauntlett/Holzwarth 2006), um Prototypen zu bauen (vgl. Stone o. J.; Bulmer 2009), zu Evaluierungszwecken (vgl. Nerantzi/Moravej/Johnson 2015) und als partizipative Forschungsmethode, um Kinder zu beteiligen (vgl. Nunez 2019). Die Methode ist nicht auf einen Inhalt oder eine Wissenschaftsrichtung beschränkt. Sie eignet sich besonders gut, um komplexe Probleme aus mehreren Perspektiven zu betrachten. Sie senkt Kommunikationsbarrieren und t besonders hilfreich, um Konfliktsituationen auszutragen (vgl. Johnson 2011), andere Perspektiven einzunehmen und kreative Problemlösungen anzustreben (Mabogunje u.a. 2008).
3) Welche Referenzen gibt es für das Produkt?
Da die Methode nur den Rahmen für einen Workshop bietet, ist der Erfolg der Methode nur schwer unabhängig von konkreten Inhalten evaluierbar. Dazu wäre der Vergleich von zwei Workshops mit gleichem Inhalt und unterschiedlichen Methoden notwendig, wobei eine Methode die LEGO Serious Play Methode sein müsste. Eine solche vergleichende Meta- Analyse war allerdings nicht auffindbar.
Bulmer evaluierte ihre Workshops anhand ihrer eigenen oben genannten Lernziele, die sie vor der Durchführung festlegte (vgl. Bulmer 2009, S. 3). Diese Evaluation wird hier beispiel- haft angeführt. Sie beinhaltete unter anderem, dass 98 Prozent der Befragten der Aussage zustimmten, dass LEGO Serious Play eine entspannte Atmosphäre schaffe, um mit einem Team zu interagieren. 85 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass LEGO Serious Play hilfreich sei, mehr über das Wissen, die Eindrücke und Überlegungen der anderen Teammitglieder zu erfahren. 71 Prozent stimmten der Aussage zu, dass sie mehr über ihr eigenes Wissen, Eindrücke oder Überlegungen erfahren hätten. 92 Prozent der Befragten stimmten zu, dass das Bauen der Modelle und das Erzählen der Geschichten dazu beigetragen hätten, über viele Themen im Team zu sprechen. 89 Prozent stimmten der Aussage zu, dass ihre Vorstellungskraft während des Workshops trainiert und erweitert worden sei. 77 Prozent der Befragten stimmten zu, dass der Bau der Modelle und die Präsentation der gemachten Überlegungen dazu beigetragen hätten, die Aufgaben zu verstehen (vgl. Bulmer 2009, S. 3).
Einblicke in LEGO Serious Play Workshops lassen sich beispielsweise auf der Plattform Youtube zahlreich gewinnen, beispielhaft sei ein Beitrag des WDR zu einem LEGO Serious Play Workshop der Welthungerhilfe angeführt (vgl. Lokalzeit aus Bonn 2012), unterschiedliche Workshops können auch auf dem Forum www.seriousplaypro.com angesehen werden.
4) Welche Kosten entstehen für den Einsatz des Produktes? Welche Nutzungsrechte sind damit genau verbunden?
Es können Kosten für die Moderation, die LEGO-Steine und die Miete der Räume entstehen. Viele Unternehmensberater lassen sich zu Spielleitern ausbilden, es ist aber durchaus vorstellbar, einen LEGO Serious Play Workshop ohne eine solche Ausbildung durchzuführen. Das eigene Erleben eines Workshops gibt aufgrund der Erfahrung der Autorin genügend Informationen zur Dynamik und Struktur eines LEGO Serious Play Work- shops, Übung in der allgemeinen Moderation von Workshops ist allerdings Voraussetzung.
Unter Umständen müssen LEGO-Steine für den Workshop gekauft werden. LEGO empfiehlt ein LEGO Serious Play Starter-Kit mit 214 LEGO-Steinen und Figuren pro Person für etwa EUR 25 pro Starter Kit.
5) Welche Planspielform liegt vor? Welche Einsatzvoraussetzungen muss der Anwender oder die Anwenderin dafür herstellen?
LEGO Serious Play ist ein haptisches Planspiel. Es müssen neben Räumen vor allem Tische zur Verfügung stehen, auf denen die Modelle gebaut werden können.
Die wichtigste Einsatzvoraussetzung, derer man sich bei der Entscheidung für LEGO Serious Play bewusst sein muss, ist die Bedeutung der moderierenden Person. Ein Work- shopplan ist notwendig, der offene Fragen beinhaltet, durch angemessene Zeitangaben einen Rahmen bietet und so durch den Tag führt. Die Person oder die Personen, die ein solches Tagesprogramm erstellen und durch den Tag führen, haben bei diesem Planspiel einen größeren Einfluss auf das Gelingen des Spiels als bei anderen Planspielformen, die stärker strukturiert sind (Fallbeispiel 1 und 3).
6) Welche Produktmedien werden zur Verfügung gestellt? Welche Varianten und Optionen gibt es?
Für die Durchführung des Workshops sind nur LEGO-Steine notwendig. Welche und wie viele Steine sinnvoll sind, entscheidet der Spielleiter oder die Spielleiterin. Je nach Ablauf des Workshops können zusätzliche Materialien verwendet werden, wie beispielsweise eine Kamera zur Dokumentation der Modelle.
7) Welche Zielgruppen kommen für das Spiel in Frage? Welche fachlichen und kommunikativen Mindestvoraussetzungen benötigen die Teilnehmenden für das Spiel?
Die Mindestvoraussetzung für Teilnehmende ist die Offenheit der Methode gegenüber und der Zugang zu LEGO-Steinen. Während LEGO selbst keine Zielgruppe definiert, lässt sich aus den Fallbeispielen schließen, dass oft Führungskräfte oder Nachwuchsführungskräfte LEGO Serious Play in Anspruch nehmen (vgl. James o. J., S. 11; Grienitz/Schmidt 2012; Blair 2018). Da die Methode darauf ausgerichtet ist, alle Teilnehmer zu involvieren und zu begeistern, eignet sie sich zum Beispiel im Personalmanagement, um aktuelle Ziele und Visionen abzubilden, Teamwerte aufzuzeigen oder eine Feedbackkultur zu erarbeiten. So wurde die Methode beispielweise 2017 bei Daimler eingesetzt, um eine neue Führungskultur zu etablieren. Ausschlaggebend für die Anwendung war die spielerische Komponente, die das unbewusste Wissen aktiviert und die Kreativität belebt. Bei der Deutschen Bahn AG wiederum wurde die LEGO Serious Play Methode 2017 eingesetzt, um innerhalb kürzester Zeit Erkenntnisse zum Design neuer Prozesse des Personalmanagements zu erarbeiten (vgl. Zeiner-Fink/Feldhoff 2018, S. 4).
Die Methode LEGO Serious Play wird zunehmend auch in Universitäten genutzt, beispiels- weise in den Ingenieurs- oder Wirtschaftswissenschaften (vgl. Jensen/Seager/Cook-Davis 2018). McCusker weist auf die Ironie hin, dass LEGO-Steine zwar vielen aus der Kindheit sehr vertraut seien, dass sie im Bildungskontext der Tertiärbildung später jedoch weniger häufig zu finden seien als im Weiterbildungskontext in der freien Wirtschaft (Mccusker 2014, S. 27).
8) Gibt es eine detaillierte Beschreibung des Spielverlaufs, wie Demo-Versionen, Dokumentationen oder ist die Teilnahme an Referenzseminaren möglich?
Nach dem Open-Source Handbook dauert ein Workshop mit LEGO Serious Play idealer- weise einen Tag (vgl. LEGO® Group 2010, S. 4). Es ist möglich, einen Workshop mit einem entsprechend angepassten Programm auf drei bis vier Stunden zu verkürzen. Es braucht eine Struktur für den Workshop, LEGO-Steine, Verhaltensregeln für die Teilnehmenden und die moderierende Person.
Die Grundstruktur von drei aufeinanderfolgenden Schritten wird mehrmals während eines Workshops wiederholt. Zuerst stellt die moderierende Person den Teilnehmenden eine Auf- gabe. Daraufhin bauen die teilnehmenden Personen gemäß der Aufgabe aus LEGO- Steinen ein Modell und sprechen über die Bedeutung ihres Modells und der Geschichte, die mit ihm verbunden ist.
Zeiner-Fink und Feldhoff verdeutlichen in ihrer Darstellung eines klassischen Ablaufs eines Workshops mit LEGO Serious Play, wie das individuelle Bauen und Vorstellen in ein gemeinsames Bauen mit der Gruppe übergehen kann (vgl. Zeiner-Fink/Feldhoff 2018, S. 3):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5 Ablauf eines klassischen LEGO Serious Play Workshops (Zeiner-Fink/Feldhoff 2018, S. 3)
Für Teilnehmende und die moderierende Person gelten ähnliche Regeln, ausgedrückt in einer Etiquette für die Teilnehmenden und einem Code of Conduct für die moderierende Person (vgl. LEGO® Group 2010, S. 19). Für die Teilnehmenden beinhaltet die Etiquette folgende Regeln:
- Die moderierende Person stellt die Aufgaben, legt die Zeitdauer der Aufgaben fest und führt durch den Prozess.
- Das LEGO Modell ist die Antwort auf jede Aufgabe.
- Es gibt keine falschen Antworten. Es gibt keine richtige oder falsche Art etwas zu bauen. Wie das Modell aussieht, ist nicht das Wichtigste, sondern dass Teilnehmende durch das Modell anderen etwas mitteilen können.
- Mit den Händen denken: Wenn man nicht weiß, was man bauen soll, ist es oft eine gute Idee, einfach zu beginnen.
Im Code of Conduct für Moderierende wird die Bedeutung des Flows des Prozesses explizit erwähnt (vgl. LEGO® Group 2010, S. 19). Teilnehmende sollen mit Aufwärmübungen langsam an die Methode herangeführt werden, um in den Flow des Bauens zu kommen. Die Aufgaben sollen verständlich sein und mit dem Ziel des Workshops im Einklang stehen. Eine Aufgabe muss immer beendet werden, bevor die nächste Aufgabe beginnt. Reflexionen in der Gruppe bewegen sich von individueller Reflexion zur Gruppenreflexion. Die moderierende Person wird angehalten, die Modelle aktiv zu verwenden, um konstruktive Reflexion in der Gruppe zu befördern. Es wird großen Wert darauf gelegt, dass Moderierende mit ihren Nachfragen bei den Modellen bleiben, Fragen zu den Modellen stellen und beispielsweise nicht die Beweggründe von Teilnehmenden erfragen. So wird eine möglichst große Freiheit gewahrt, mit der Teilnehmende konkrete oder abstrakte Ideen anhand eines Modells ausdrücken können. Alle sollen die Gelegenheit erhalten, ihre Modelle vorzustellen. Wenn Teilnehmende dazu angehalten werden zu bauen, dann ist es besonders wichtig, dass ihre Geschichten auch gehört werden (vgl. LEGO® Group 2010, S. 22).
Als konkretes Beispiel für einen Workshop mit einem für die Sozialwirtschaft relevanten Thema soll ein Workshop der Universität Huddersfield aus dem Jahr 2011 dienen (vgl. Swann 2011, S. 2). In dem Workshop ging es um die Verbesserung der ambulanten Pflege, es nahmen fünf Personen der lokalen Pflegedienste daran teil. Gemeinsam sollten die Teil- nehmenden eine Vision entwickeln, wie die Dienstleistungen, die Pflegende bei Patienten und Patientinnen zu Hause erbrachten, verbessert werden könnten. Dazu sollten auch neue Produkte entwickelt werden.
Ein Tag mit der LEGO Serious Play Methode gliederte sich in sieben Phasen:
1. Einstiegsaufgabe: Die Teilnehmenden bauen während zwei Minuten den höchstmöglichen Turm. Nach 60 Sekunden wird eine zusätzliche Regel ein- geführt: Der Turm soll auch stabil sein, wenn er waagerecht gelegt wird. Die Modelle werden von der moderierenden Person absichtlich auf ihre Stabilität getestet, um eine emotionale Verbundenheit der Teilnehmenden mit ihrem Modell zu zeigen.
2. Verwendung von Metaphern: Ein Fragebogen zu Metaphern führt das Konzept von Metaphern als Mittel ein, um vergleichende Aussagen zu machen: Wäre das Gesundheitssystem eine Automarke, welche Automarke wäre es? Wäre das Gesundheitssystem eine Tasche, welche Tasche wäre es? Diese Phase soll die Auffassung der Teilnehmenden zur gegenwärtigen Qualität der Pflege ermitteln.
3. Metaphern-Übung: Die Teilnehmenden bauen das Gesundheitssystem mit Hilfe einer Metapher und einer beschränkten Anzahl von Steinen. In einem nächsten Schritt verändern sie ihr Modell so, dass eine positive Veränderung entstehen kann.
4. Modell „Ein Tag im Leben“: Die Teilnehmenden bauen ein Modell, das ihre täglichen Herausforderungen zeigt. Die Aufgabe dauert 15 Minuten und alle Steine stehen zur Verfügung.
5. Vision einer idealen Dienstleistungsinfrastruktur: Gemeinsam bauen die Teilnehmenden während 30 Minuten mit einer unbeschränkten Anzahl von Steinen ein Dienstleistungsmodell.
6. Vision einer idealen Unterstützungsstruktur: Die Teilnehmenden bauen zusätzlich zu der in der letzten Phase erstellten Infrastruktur Produkte, die diese Infrastruktur unterstützen.
7. Wertzuschreibungen festlegen: Die Gruppe identifiziert gemeinsam drei Worte, die die Merkmale eines Gesundheitssystems der Weltklasse für die ambulante Pflege charakterisieren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6 Modell der Phase „Ein Tag im Leben“ (Swann 2011, S. 3)
Die Person, die das Modell auf dem Foto baute, sagte während der Präsentation des Modells: „So fühle ich mich. Ich arbeite in einer Dinosaurier-Gesellschaft. Manchmal fühle ich mich wie ein Zugpferd. Ich habe mich selbst als die Person dargestellt, die herauskata- pultiert wird, weil ich mich so fühle. Wenn ich in das Haus eines Patienten komme, dann wirble ich umher. Der einzige Ort, an dem ich wirklich arbeiten kann, ist das Dach, weil wirklich alles so einengend ist. So fühle ich mich. Ich ärgere mich über diese Situation. Ich habe nur einen Ford Ka Zweisitzer, aber ich bräuchte einen Panzer! Wir sollten bessere Autos haben, so fühle ich mich.“ (Swann 2011, S. 3)
Mit dem Bauen des Modells und dessen Beschreibung kann die teilnehmende Person eine Problemanalyse vornehmen und diese Analyse den anderen Teilnehmenden mitteilen. Mit dem Bauen der weiteren Modelle werden Lösungsansätze zu den genannten und am Modell gezeigten Problemen wie räumliche Enge und nicht zeitgemäße Technik erarbeitet.
4.2.2 Begründung der Eignung
Für die vorliegende Arbeit wurde LEGO Serious Play ausgewählt, weil es sich um eine inhaltsoffene Workshopmethode handelt. Die von Gauntlett beschriebene Niedrigschwel- ligkeit, die Möglichkeit der Darstellung von Komplexität und der Raum für Kreativität erlauben sowohl einfache als auch komplexe Fragestellungen (vgl. Gauntlett 2015, S. 3).
Aus Fallbeispielen ist herauszulesen, dass sich die Methode für Erwachsene und besonders für angehende Führungskräfte eignet, dies entspricht der Zielgruppe des Masterstudiengangs Sozialmanagement. Die Methode kann sowohl während des Studiums eingesetzt werden, um Inhalte des Studiums zu erarbeiten, als auch von Teilnehmenden in die Praxis mitgenommen werden, um sie am Arbeitsplatz einzusetzen, beispielsweise bei Visionsentwicklungen oder in Teamprozessen.
Die Passung von LEGO Serious Play und den Studierenden eines berufsbegleitenden Masterstudienganges ist deshalb besonders hoch, weil für Planspielteilnehmende mit einem hohen Erfahrungsstatus offene Planspielmodelle besonders geeignet sind (vgl. Gust/Klabbers 2015b, S. 58). Sie beinhalten zwar Regeln oder Aufgaben, sollten aber den Teilnehmenden viele Möglichkeiten geben sich auszudrücken. Dies unterscheidet die LEGO Serious Play Methode von anderen Methoden und auch von den Fallbeispielen 1 und 3, da sie sich durch besonders viel Raum für Kreativität auszeichnet, welcher gut mit der Berufserfahrung von berufsbegleitend Studierenden zusammenpasst.
In Bezug auf den lerntheoretischen Hintergrund sind die unterschiedlichen Phasen eines Workshops zentral: In der ersten Phase tasten sich die Teilnehmenden langsam an das heran, was sie lernen werden. Sie verstehen den Kontext und die Bedeutung dessen, was sie gleich lernen werden. In der zweiten Phase werden die Teilnehmenden in einen Prozess involviert, in dem sie Modelle bauen, die mit den Lerninhalten in Verbindung stehen. Sie verwenden dazu ihr Wissen, ihre Überlegungen, ihre Kreativität und vor allem ihre Hände. In der dritten Phase reflektieren die Teilnehmenden über ihre Kreationen und vertiefen ihre Überlegungen, um genauer zu erkunden, wie sich ihre Überlegungen mit Hilfe des Modells weiterentwickelt haben. Der vierte Schritt ist die Gelegenheit, in der die Teilnehmenden planen können, wie sie ihr neu gewonnenes Wissen umsetzen oder vertiefen wollen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7 Lernzyklus nach Kolb (vgl. Kolb/Fry 1975, S. 33) für LEGO Serious Play, eigene Darstellung
Die von der Alice Salomon Hochschule als Vorteile des Studiums beschriebenen Merkmale wie „integrativer Charakter“ und „innovative Lern-, Lehr- und Prüfungsformen“ könnten durch einen Workshop mit LEGO Serious Play besonders unterstützt werden (vgl. Alice Salomon Hochschule/Paritätische Akademie Berlin/AWO Bundesakademie 2019, S. 3). Die Methode lässt den Lehrenden genug Freiraum, um Fragestellungen zu entwickeln, die besonders gut zu den zu vermittelnden Inhalten und den Anliegen der Teilnehmenden passen. Es kann Bezug genommen werden auf bisherige Lerninhalte, diese können zum Beispiel wiederholt werden.
Die LEGO Serious Play-Methode unterscheidet sich durch die verwendeten LEGO-Steine stark von allen papier- oder computerbasierten Methoden. Schon allein dieser Unterschied begründet eine Erweiterung der Methodenvielfalt, wie in Arbeitshypothese 3 dargelegt.
Im Unterschied zu den Fallbeispielen 1 und 3 handelt es sich bei LEGO Serious Play um eine Methode, die inzwischen open-source zugänglich und damit besonders leicht umsetzbar ist. Allerdings liegt hierin auch die Besonderheit, dass die Moderation des Work- shops, die Planung und Durchführung, einen besonders großen Einfluss auf das Gelingen des Workshops haben. Hat die moderierende Person zum Beispiel selbst einen oder besser mehrere LEGO Serious Play Workshops erfahren, unterschiedliche Design Thinking Work- shops moderiert und viel Erfahrung im Umgang mit großen Gruppen, kann LEGO Serious Play gewinnbringend eingesetzt werden.
4.3 „Bootcamp Gegenrede“
4.3.1 Beschreibung des Spiels
1) Welche fachlichen und sozialen Lernziele kann das Spiel bedienen?
Beim „Bootcamp Gegenrede“ handelt es sich um einen Workshop, in dem die Teilnehmenden die Funktionsweise von sozialen Netzwerken kennen lernen, Wissen zu Faktenchecks erwerben und ihre Diskurskompetenz bei Online-Diskussionen steigern. In Rollenspielen sollen ein Perspektivwechsel vorgenommen sowie Moderationstechniken und Deeskalationsstrategien erlernt werden. Im Rahmen einer digitalen Diskussionskultur soll geübt und sollen Strategien und Taktiken vermittelt werden, die zu einer besseren Diskurskompetenz führen (vgl. ichbinhier e.V. 2019b).
2) Welchen Hintergrund hat die Entwicklung des Spielkonzeptes?
Der Workshop „Bootcamp Gegenrede“ wird von dem eingetragenen Verein ichbinhier angeboten. Der Verein wurde im Dezember 2016 von Hannes Ley nach dem schwedischen Vorbild #jagärhär gegründet (vgl. ichbinhier e.V. 2019a). Sowohl beim schwedischen als auch beim deutschen Hashtag handelt es sich um geschlossene Facebook-Gruppen, deren Mitglieder gemeinsam gegen Hassrede im Internet vorgehen.
Nachdem zu Beginn des Jahres 2017 die Journalistin Dunja Hayali auf ihrer Facebook- Seite auf den Verein aufmerksam machte, berichtete die Presse breit über die Initiative (vgl. Hayali 2017; Muckelberg 2017; Gruber 2017; Böckem 2019; Tusch 2019). Daraufhin wuchs die Gruppe #ichbinhier bis Dezember 2019 auf 45.000 Mitglieder (vgl. ichbinhier e.V. 2016).
Die Mitglieder der Gruppe werden von ehrenamtlichen Moderatoren und Moderatorinnen eingeladen, bei drei Aktionen pro Tag in den Kommentarspalten großer überregionaler deutscher Medien positiv zu kommentieren und Hassrede zu kontern. Durch die positiven Kommentare wird den menschenfeindlichen Kommentaren etwas entgegengesetzt, Behauptungen und Verschwörungstheorien wird mit Fakten begegnet. Die Mitglieder der Facebook-Gruppe liken ihre Kommentare gegenseitig oder stimmen in weiteren Kommentaren zu, sodass die Algorithmen diese Kommentare als wichtig erkennen und weit oben platzieren.
Der Verein ichbinhier e.V. führte 2019 drei Bootcamps Gegenrede als Pilotprojekt durch, um die aus dem Moderieren der Gruppe gewonnenen Erfahrungen zu verbreiten und die eigenen Methoden zu vermitteln, wie Hassrede im Internet begegnet werden kann (vgl. ichbinhier e.V. 2019b).
3) Welche Referenzen gibt es für das Produkt?
Eine Evaluierung des Workshops „Bootcamp Gegenrede“ ist nicht bekannt. Der Verein #ichbinhier wird jedoch regelmäßig zu Tagungen, Workshops oder Zukunftswerkstätten verschiedener sozialer Träger eingeladen (vgl. Evangelische Akademie im Rheinland 2018; Evangelische Akademie zu Berlin 2019; Katholische Akademie Schwerte 2019). Bei dem im „Bootcamp Gegenrede“ vermittelten Wissen handelt es sich um die Praxiserfahrungen des Vereins in den letzten drei Jahren, welche auch in Buchform veröffentlicht wurden (vgl. Ley 2018).
4) Welche Kosten entstehen für den Einsatz des Produktes? Welche Nutzungsrechte sind damit verbunden?
Der Workshop wurde in seiner Pilotphase 2019 von Mitgliedern des Vereins #ichbinhier e.V. durchgeführt. Für die Teilnehmenden entstanden keine Teilnahmekosten. Es ist zum Zeitpunkt des Verfassens des vorliegenden Konzeptes unklar, wie das Bootcamp in den folgenden Jahren finanziert wird und ob und wenn ja, welche Kosten auf Teilnehmende zukommen würden.
5) Welche Planspielform liegt vor? Welche Einsatzvoraussetzungen muss der Anwender oder die Anwenderin dafür herstellen?
Beim „Bootcamp Gegenrede“ handelt es sich um ein computergestütztes Rollenspiel. In einer simulierten Umgebung wird das Kommentieren auf Facebook simuliert. Die Teilnehmenden erhalten dazu Rollen, die ihr Alter, ihr Geschlecht und ihre familiäre Situation beschreiben. Ausschlaggebend für das Verhalten während des Spiels sind An- weisungen, die beispielsweise dazu auffordern, Verschwörungstheorien zu verbreiten, einzelne Gruppen zu beleidigen oder gezielt Falschinformationen zu verbreiten. In der Interpretation dieser Anweisungen, im Ausfüllen der Rollen, sind die Teilnehmenden sehr frei.
Die Tablets, die zur Simulation notwendig sind, werden von ichbinhier e.V. für den Work- shop gestellt. Notwendig ist ein Internetzugang, Technik für Präsentationen und Moderationsmaterialien für die Phasen des Debriefings.
6) Welche Produktmedien werden zur Verfügung gestellt? Welche Varianten und Optionen gibt es?
Während des Workshops werden den Teilnehmenden Tablets zur Verfügung gestellt. Die in das Thema einführende Präsentation wird den Teilnehmenden im Anschluss an den Workshop zugesandt.
7) Welche Zielgruppen kommen für das Spiel in Frage? Welche fachlichen und kommunikativen Mindestvoraussetzungen benötigen die Teilnehmenden für das Spiel?
Es wird vom Verein ichbinhier nicht explizit eine Zielgruppe definiert. Während des Work- shops am 21. November 2019, an dem die Autorin der vorliegenden Arbeit teilnahm, waren Vertreter und Vertreterinnen verschiedener zivilgesellschaftlicher Gruppen und Verbände sowie internationaler Organisationen anwesend, die für ihre Arbeit Strategien gegen Hass- rede im Netz erlernen wollten.
8) Gibt es eine detaillierte Beschreibung des Spielverlaufs, wie Demo-Versionen, Dokumentation oder ist die Teilnahme an Referenzseminaren möglich?
In einer Live-Trainingsumgebung werden in einer geschlossenen, computerbasierten Simulation, zu der nur die Teilnehmenden Zugang haben, unterschiedliche Strategien der Hassrede und Deeskalationsstrategien analysiert und angewendet. Der etwa vierstündige Workshop gliedert sich in zwei Zyklen. Im ersten Zyklus erfolgt ein theoretischer Einstieg in die Arbeitsweise von #ichbinhier. Die Entwicklung der Kommentare im Netz, aber auch off- line, wird thematisiert und unterschiedliche Beweggründe und Kommunikationsmuster werden analysiert. Darauf folgt die erste von zwei Übungseinheiten.
Alle Teilnehmenden erhalten ein Tablet und eine Rolle mit einer Beschreibung ihrer Lieb- lingsinhalte und des Grades der Aggressivität. Die Teilnehmenden öffnen daraufhin einen Post auf Facebook und kommentieren gemäß ihrer Rolle etwa eine halbe Stunde lang. Die Lernumgebung ähnelt stark der Umgebung von Facebook, ist aber nicht live auf Facebook, sondern nur auf die Teilnehmenden im Raum beschränkt. Anschließend berichten alle Teil- nehmenden über ihre Erfahrungen. Im zweiten Zyklus werden die Rollen neu verteilt und es gibt zusätzlich zwei moderierende Rollen. Nach Abschluss der zweiten Übungseinheit werden die zwei Zyklen miteinander verglichen und die wichtigsten Lernmomente zusam- mengetragen.
4.3.2 Begründung der Eignung
Für die Auswahl dieser Simulation als Teil des Masterstudiengangs spricht vor allem die Aktualität des Lerninhalts, der Umgang mit digitalem Hass. Der Workshop behandelt Me- chanismen von Hetze und Methoden der Gegenrede nicht in einer abstrakten Form, sondern die Teilnehmenden erfahren durch das Einnehmen einer Rolle die Dynamik des Kommentierens und Moderierens auf einer sozialen Plattform wie Facebook.
Im Zuge der Digitalisierung haben sich auch Kommunikationskanäle verändert, nur sind diese noch so neu, dass kaum jemandem im Elternhaus, in der Schule oder an einem anderen Ort der Umgang mit diesen Kommunikationskanälen gezeigt wird. Diejenigen, die die Öffentlichkeitsarbeit in einem Verein verantworten, sind also größtenteils auf sich selbst gestellt. Im Falle eines Shitstorms, eines massiven gezielten Angriffs von zahlreichen Menschen auf die Kommentarspalten des Webauftritts in den sozialen Medien, können die für Öffentlichkeitsarbeit Zuständigen nicht mehr allein reagieren. Für diesen Fall müssen sie andere Kollegen bitten, sie dabei zu unterstützen, online Diskussionen zu moderieren, falls sie die Diskussionsforen nicht ganz schließen. Für diese Fälle, in denen Kommentare noch nicht strafrechtlich relevant sind, aber trotzdem beleidigend, verletzend oder ausgrenzend, ist es sinnvoll, Diskurstaktiken geübt zu haben.
Im Unterschied zu den beiden ersten Fallbeispielen handelt es sich in diesem Fallbeispiel nicht um einen kommerziellen Anbieter, sondern um einen gemeinnützigen Verein. Ähnlich wie auf einer inhaltlichen Ebene Vielfalt für einen Studiengang bereichernd ist, könnte auch auf Anbieterseite für die Verwendung des Bootcamps Gegenrede sprechen, dass damit ein gemeinnütziger Verein beim Aufbau von Weiterbildungsmethoden unterstützt wird.
Gegen die Integration eines #ichbinhier Bootcamps sprächen die fehlende Evaluation und die noch wenig erprobten Workshop-Techniken. Während die Fallbeispiele 1 und 2 bereits zahlreiche Verbesserungszyklen durchlaufen haben, handelt es sich bei dem #ichbinhier Bootcamp um ein neues Konzept von einem Anbieter, dessen Kerngeschäft nicht die Weiterbildung ist. Die Anlage des Workshops entspricht jedoch dem Lernzyklus nach Kolb, das theoretisch Erlernte wird sofort selbst erprobt, reflektiert und in einer weiteren Runde wieder neu eingesetzt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8 Lernzyklus nach Kolb (vgl. Kolb/Fry 1975, S. 33) für „Bootcamp Gegenrede“, eigene Darstellung
Der Workshop ist so lösungsorientiert, dass Teilnehmende mit konkret erworbenen und erprobten Fähigkeiten den Workshop verlassen, statt nur auf ein weiteres Problemfeld aufmerksam gemacht worden zu sein. Das computergestützte Arbeiten in Ergänzung mit persönlichen Vorträgen und Gesprächen ist ein blended-learning Ansatz, der bereits jetzt der Lernwirklichkeit der Lernenden entspricht. Ein solches Mischen von computergestütztem Arbeiten und Gruppenarbeit ist eine sinnvolle Erweiterung der Metho- denvielfalt in einem Masterstudiengang.
Abschließend ist festzustellen, dass in einem Studiengang zum Sozialmanagement ein solcher halbtägiger Workshop gut einsetzbar wäre. Ein Modul zum Thema „Kommunikation“ bietet sich an, es gibt aber auch Bezüge beispielsweise zum Ehrenamtsmanagement oder zu Diversity-Aspekten. Ähnlich wie für das Fallbeispiel 2 wäre es auch hier für die Studierenden interessant, das Methodenwissen in ihrem eigenen Arbeitsumfeld umzusetzen, sei es haupt- oder ehrenamtlich.
5 Gelingensbedingungen
Die Forschungsfrage „Unter welchen Bedingungen ist es sinnvoll, Spiele im Studiengang Sozialmanagement zu verwenden?“ zielt auf Gelingensbedingungen ab. Wer ist für das Schaffen solcher Bedingungen verantwortlich? Im Sinne der Konzeptentwicklung sind drei Verantwortliche identifiziert worden: die Lernenden, die Lehrenden und die Institution Universität. Die Gelingensbedingungen für die Verwendung von Spielen in der Sozialmanagement-Ausbildung werden daher im Folgenden aus diesen drei Perspektiven erörtert. Jede der drei Perspektiven wird mit Hilfe der drei Arbeitshypothesen strukturiert.
Die erste Arbeitshypothese beschreibt die Verwendung von Spielen als Motivatoren zum Lernen. Die zweite Arbeitshypothese bezieht sich auf die durch Regeln erreichte Komplexitätsreduktion, die das Lernen erleichtert oder erst ermöglicht. Die dritte Arbeits- hypothese betont die Methodenvielfalt, welche durch die Verwendung von Spielen erweitert würde, wodurch mehr Lernstile erreicht werden können.
5.1 Gelingensbedingungen für Lernende
Aus Arbeitshypothese 1 folgt, dass Lernende gern spielen, wenn das Spiel Spaß macht. Doch wann macht etwas Spaß? Wie unter anderem Jesper Juul festhält, gibt es für Spaß oder Vergnügen keine Beschreibung, unterschiedliche Spiele bringen unterschiedliche Arten von Vergnügen und unterschiedliche Menschen haben am selben Spiel aus unter- schiedlichen Gründen Spaß (Juul 2011; Fizek 2014, S. 275–276).
Aus dem bereits oben beschriebenen Flow-Prinzip lässt sich erklären, dass Spiele langweilig werden, wenn sie die Spielenden nicht herausfordern (vgl. Csikszentmihalyi 2007). Sobald sie Muster erkannt haben, braucht das Spiel wieder etwas Neues, um attraktiv zu bleiben. Fast alle Spiele, die mit einer lehrenden Intention entwickelt wurden, bergen das Risiko schnell langweilig zu werden, da die Erkenntnis des Musters gleichzeitig das Ziel des Spiels ist. Im unglücklichen Fall sind die zu lösenden Probleme zu einfach und die Muster werden zu schnell verstanden (vgl. Carse 2012, 1986). Spaß kommt von „richly interpretable situations“, von Situationen, die mehrere Interpretationen und Handlungsmöglichkeiten zulassen (Koster 2005, S. 116).
Die Wahl eines passenden Spiels mit dem richtigen Grad an Komplexität liegt in der Verantwortung der Dozierenden oder der Universität. Studierende sollten eine gewisse Offenheit der Methode gegenüber mitbringen und sich dem Lernen durch Spiele nicht verschließen. Kim weist darauf hin, dass gemeinhin Menschen Spiele spielen, um sich zu entspannen. Deshalb wird diese Aktivität nicht ernst genommen, das Lernen wird trivialisiert (vgl. Kim 2015, S. 18). Einer solchen Trivialisierung können Dozierende in der Einführung des Spiels jedoch entgegenwirken, indem sie ähnlich reagieren wie in anderen Gruppensituationen mit Teilnehmenden, die eine Lernsituation „sabotieren“. Im Allgemeinen dürfte eine solche „spielkritische“ Haltung jedoch eher die Ausnahme darstellen, da die Literatur eher vom Gegenteil ausgeht und quantitative Studien festgestellt haben, dass Studierende die Verwendung von Spielen und neuen Medien unterstützen (vgl. Romero/Usart 2013, S. 213–214; Stuckless/Hogan/Kapralos 2014, S. 149).
Herz weist außerdem darauf hin, dass kollaborative Spiele Wissen in soziales Kapital trans- formieren (vgl. Herz o.J., S. 179). Spielende werden sich ihres eigenen Wissens bewusst und wenden dieses Wissen in einem sozialen Kontext an. Aus diesem sozialen Kontext erwächst Anerkennung durch Peers, was ein größerer Anreiz ist als das Feedback einer Lehrperson. Es ist anzunehmen, dass Lernende nach einer anfänglichen Bereitschaft, überhaupt in ein Spiel einzusteigen, durch das erworbene soziale Kapital ihrer Mitstudierenden im Spiel bleiben.
Die Arbeitshypothese 2 beschreibt die Komplexitätsreduktion, die durch Regeln geschaffen wird. Begeben sich Studierende in die Spielsituation und handeln, besteht eine Gelingens- bedingung der Verwendung von Spielen darin, dass Spielende nach der aktiven Handlung in dem von Kolb beschriebenen Lernzyklus von dem konkret Getanen abstrahieren und mit anderen Spielenden in eine Debriefing- oder Präsentationsphase gehen, den Lernzyklus also tatsächlich beschreiten. Die Methode „Spiel“ unterscheidet sich dabei nicht von anderen Methoden, die Leistung des Abstrahierens und Einbettens in bereits bestehendes Wissen liegt immer bei den Studierenden.
Arbeitshypothese 3 beschreibt die Erweiterung der Methodenvielfalt durch die Methode „Spiel“ und das Erreichen von unterschiedlichen Lerntypen. Die Literatur beschreibt über- einstimmend, dass durch ein Spiel bei Lernenden das Lernverhalten geändert werde, sie werden von passiv Konsumierenden zu aktiven Lernenden (vgl. Azadegan/Riedel/Hauge 2013, S. 75). Es ist anzunehmen, dass in einer Gruppe von Teilnehmenden wenigstens einige sind, deren Lernstil diesem aktiven Verhalten eher entspricht als dem passiven Konsumieren von Lerninhalten. Um diesen Lernenden entgegenzukommen, müssen die anderen sich bei kollaborativen Spielen anpassen, da Spiele nur gemeinsam tatsächlich funktionieren. Wie bereits oben beschrieben, gehört hier aus der Perspektive der Lernenden zu den Gelingensbedingungen eine gewisse Offenheit oder Toleranz der Methode gegenüber, auch wenn sie nicht dem eigenen Lernstil entspricht. Diese unterscheidet sich nicht von der Toleranz, die aufgebracht werden muss, wenn zum Beispiel die Methode „Gruppenarbeit“ nicht dem eigenen Lernstil entspricht.
Von den Arbeitshypothesen unabhängig gehört zu den Gelingensbedingungen auch, dass Lernende zu Hause oder in der Universität Zugang zu einem Computer haben, wenn die verwendeten Spiele computergestützt laufen. Während dies zu Beginn der computergestützten Planspiele noch eine echte Herausforderung darstellte, ist inzwischen die Erwartung an Lernende in dieser Hinsicht gestiegen und Dozierende erwarten auch ohne die Verwendung von Spielen, dass Lernende über einen Laptop verfügen. Wird also eine Software zum Spielen verwendet, sind die technischen Voraussetzungen bei den Studierenden gegeben, für Dozierende oder die Institution stellt sich diese Frage allerdings noch einmal neu, da die Verantwortung für das Funktionieren der Software bei Dozierenden und die Voraussetzungen dafür bei der Universität liegen.
Zusammenfassend ist aus der Perspektive der Lernenden zum Gelingen der Verwendung von Spielen vor allem eine Offenheit der Methode gegenüber notwendig. Es wird angenommen, dass dies kaum eine Hürde darstellt und die Verwendung von Spielen in der Ausbildung im Sozialmanagement deshalb nicht an den Lernenden scheitern würde.
5.2 Gelingensbedingungen für Lehrende
Die für Lernende festgestellte Gelingensbedingung der Offenheit gegenüber einer neuen Methode gilt für Lehrende auch, jedoch mit wesentlich weitreichenderen Konsequenzen. In Befragungen zur Verwendung der Methode „Planspiel“ sind Lehrende wesentlich zurück- haltender als Lernende: so sagten in einer Studie von Stuckless et al. nur die Hälfte der befragten Lehrenden, sie hätten Simulationen verwendet (vgl. Stuckless/Hogan/Kapralos 2014, S. 149) und in einem weiteren kleinen Sample gab nur ein Drittel der Lehrenden an, sie stünden der Einführung von computergestützten Simulationen positiv gegenüber. In Textantworten stellte sich heraus, dass diese Zurückhaltung daran lag, dass die Lehrenden keine guten Spiele kannten (vgl. Marsh u.a. 2013, S. 118).
Die Generation der Millennials, die mit Videospielen und der digitalen Welt aufgewachsen ist, befindet sich mehrheitlich noch unter den Lernenden und noch nicht unter den Lehrenden. Auf computergestützte Lernmethoden bezogen ist es daher durchaus vorstellbar, dass sich diese Grundhaltung in den nächsten Jahrzehnten ändern wird. In Bezug auf Planspiele als Methode jedoch fehlen auch den Millennials Vorbilder, wenn sie in der eigenen Ausbildung keine Planspiele erlebt haben.
Auf Seite der Lehrenden ist die Offenheit der Methode „Spiel“ gegenüber mit einer Grund- überzeugung verbunden, die die eigene Lehrhaltung betrifft. Bei Lehrenden ist eine Offen- heit dem Spiel gegenüber nicht nur mit der eigenen Bereitschaft zum Spielen verbunden, sondern mit der Konsequenz, diese Methode anderen Methoden vorzuziehen, die Lernenden dabei zu begleiten und möglicherweise anderen gegenüber die Wahl dieses didaktischen Mittels rechtfertigen zu müssen. Die Offenheit dem Spiel gegenüber muss also in einer didaktischen Haltung verankert sein, die am ehesten als agile Hochschuldidaktik beschreibbar ist (Arn/Bardill Arn 2016). Wie weiter oben beschrieben, nimmt die agile Hoch- schuldidaktik Studierende als denkende Wesen ernst. Lehrende trichtern ihren Studierenden nicht vorgefertigtes Wissen ein, sondern gehen auf bestehendes Vorwissen, Interessen und Anliegen der Studierenden ein. Eine solche Lehrhaltung verlangt nach einer kontinuierlichen Selbstreflexion, einer anderen Vorbereitung und einem Mut zum Risiko. Auf Seite der Lehrenden sind diese Aspekte für die gelingende Verwendung von Spielen in der Ausbildung notwendig.
Welche Lehrmethoden jemand wählt, hängt stark von der eigenen Haltung zum Lernen und Lehren ab. Carse beschreibt den Unterschied von training und education in Bezug zum Umgang mit Überraschungen: „To be prepared against surprise is to be trained. To be prepared for surprise is to be educated.” (Carse 2012, 1986, S. 18). Will man also als lehrende Person dafür sorgen, dass Lernende gegen Überraschungen gewappnet sind, genügt ein „training“. Einige Spiele sind dafür geeignet, da sie Komplexität reduzieren und vereinfachte Muster und Zusammenhänge aufzeigen. Will man als lehrende Person, dass Lernende nicht nur gewappnet sind gegen Überraschungen, sondern auch vorbereitet auf Überraschungen, um mit ihnen umgehen zu können im Sinne von „education“, eignen sich Spiele, die ein Handeln mit vielerlei Optionen zulassen.
In Bezug auf Arbeitshypothese 1 (Besseres Lernen durch Spaß beim Lernen) liegt ein Teil der Verantwortung bei den Lehrenden. Dazu sollte „Spaß“ wohl eher im Sinne von „Motivation“ gefasst werden. Wird Motivation aus dem Erlebnis des Verstandenhabens gezogen, so eignen sich Planspiele besonders zur Motivation von Studierenden, da sie durch den Lernzyklus hindurch in einem Prozess ein vorher unbekanntes Muster verstehen. Das Bewusstsein, als Lehrender oder Lehrende auch die Motivation der Studierenden zu unterstützen, ist ein Argument, warum sich Lehrende entschließen können, einen wie oben beschriebenen höheren Aufwand und ein höheres Risiko in Kauf zu nehmen.
In Bezug auf das höhere Risiko soll die Arbeitshypothese 2 genauer betrachtet werden. Mit dem höheren Risiko ist nicht ein Risiko im Sinne eines eintretenden oder nicht eintretenden Lerneffektes für die Studierenden gemeint, sondern eher eine verminderte Vorhersehbarkeit während der Durchführung des Spiels. Arbeitshypothese 2 bezieht sich auf die Regeln des Spiels, die die Komplexität reduzieren und so zu einem möglichst gewinnbringenden Lernerlebnis führen sollen. Ob die Verwendung eines Spiels tatsächlich bei Studierenden zu einem Lernerlebnis geführt hat, kann erst nach Durchführung des Spieles ermittelt werden. Um in einer solchen Evaluation aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, müssen sich Lehrende vor der Auswahl eines Spiels mindestens folgende Fragen stellen:
1. Wer ist meine Zielgruppe?
2. Wie lauten meine Lernziele?
3. Welches Planspiel eignet sich dafür?
4. Wie viele Teilnehmer habe ich?
5. Wie viel Zeit habe ich?
6. Welche personelle und technische Infrastruktur steht zur Verfügung?
Besonders die Frage 3 nach der Eignung des Planspiels lässt sich dann schwer beantworten, wenn es kaum eigene Spielerfahrung gibt, Planspiele schwer auffindbar oder nur spärlich beschrieben sind. Ob und was genau aus welchem Planspiel gelernt wird, lässt sich von den Spielentwicklern oft nur in allgemeinen Begriffen beschreiben, da das Lernerlebnis sehr von individuellen Voraussetzungen, der Gruppe und der lehrenden Person abhängig ist. Außerdem machen einige Spiele, oben von Ian Bogost als „persuasive games“ bezeichnet (Bogost 2010), politische Zusammenhänge nicht nur klar, sondern bringen auch eine politische Präferenz zum Ausdruck. Lehrende müssen sich hier über ihren Standpunkt bewusst sein und abwägen, ob das Spiel auch in dieser Hinsicht geeignet ist oder nicht.
Ist die Entscheidung für ein Spiel gefallen, muss vor dem Einsatz oft eine genaue Checkliste abgearbeitet werden, die aufzeigt, welche Materialien zu welchen Zeiten im Spiel vorgehalten werden müssen. Die Lehrperson wird zur Spielleiterin oder zum Spielleiter. Während des Spiels muss die lehrende Person ansprechbar sein und sich agil auf die vorhandenen sozialen und kommunikativen Kompetenzen der Teilnehmenden einstellen. Ebenso leitet die lehrende Person die Auswertungsphase, in der ein Transfer von konkretem Handeln zu abstrakten Konzepten und geplantem neuen konkreten Handeln stattfindet. Für die lehrende Person bedeutet das neben der oben genannten Selbstreflexion eine didaktische Reflexion der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung des Spielablaufs, welche von Überraschungen begleitet sein kann. Diese didaktische Reflexion ist die zentrale Gelingensbedingung für die Verwendung von Spielen in der Sozialmanagement-Ausbildung. Setzen sich die Lehrenden nicht oder nicht ausreichend mit dem Spiel und dem Spielablauf auseinander, gelingt die Verwendung von Spielen nicht.
In Bezug auf die dritte Arbeitshypothese zur Erweiterung der Methodenvielfalt und dem Erreichen von mehreren Lernstilen bietet sich für Lehrende mit Spielen die Gelegenheit, Lernende zu erreichen, die mit anderen Methoden weniger erreicht werden. So werden einige Lernende Rollenspiele als ungewöhnliche und spannende Herausforderung sehen und sich bei Spielen langweilen, die sie allein vor dem Computer spielen, während andere genau umgekehrt Gruppensituationen meiden, in der Anonymität aber ihren größten Lern- erfolg erleben können. Je nach der sonstigen Ausgestaltung der Lerneinheit kann hier eine Ausgewogenheit der Methoden hergestellt werden. Beinhaltet die Lerneinheit bereits viel Selbststudium, ist ein Rollenspiel ein willkommener Wechsel der Methode. Bei berufsbe- gleitenden Studiengängen mit einem hohen Anteil an Selbststudium liegt es nahe, für die Präsenzzeiten Aktivitäten zu wählen, die sich vom Selbststudium unterscheiden. Um einen solchen Methodenmix herzustellen, müssen Lehrende selbst mit möglichst vielen Metho- den in Kontakt gekommen sein, sie voneinander unterscheiden können, ihre Eignung für unterschiedliche Lernende einschätzen und sie im richtigen Moment einsetzen. Daraus ergibt sich auf der Seite der Lehrenden eine weitere Gelingensbedingung für die sinnvolle Verwendung von Spielen in der Ausbildung: Lehrende müssen die Eigenheiten von Spielen als Lehrmethode kennen, sie mit anderen didaktischen Methoden vergleichen und gezielt einsetzen können.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine sehr wichtige Gelingensbedingung für das Verwenden von Spielen in der Ausbildung auf Seiten der Lehrenden liegt. Sie besteht in der Auswahl des passenden Spiels und in der umfassenden Vorbereitung des Einsatzes.
5.3 Gelingensbedingungen für die Hochschule
Aus Perspektive der Hochschule ist vor allem die Arbeitshypothese 3 relevant, die sich auf das Verwenden von Spielen für die Erweiterung der Methodenvielfalt zur Erreichung unter- schiedlicher Lerntypen bezieht. Die Methodenvielfalt ist aus Perspektive der Universität relevant und wird mittelbar über die Dozierenden erreicht, die sich für geeignete Methoden entscheiden. Darüber hinaus wählt jedoch auch die Universität im Akkreditierungsprozess des Studienganges Methoden aus. Deshalb wird untersucht, inwieweit die Verwendung von Spielen die Charakteristika des Studiums unterstützt, wie es gegenwärtig akkreditiert ist.
Darüber hinaus wäre es auch denkbar, zu untersuchen, ob mit Spielen etwaigen Schwächen eines Studienganges begegnet werden könnte. Da der Autorin die Evaluationen des Studienganges nicht vorliegen, lässt sich diese Untersuchung jedoch nicht durchführen. Stattdessen wird untersucht, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit einige Stärken des Studiums auch durch die Verwendung von Spielen gestützt werden können. Zu den Stärken des Studiums gehören unter anderem eine fort- laufende Qualitätsentwicklung, sein integrativer Charakter, innovative Lern-, Lehr- und Prü- fungsformen Praxisbezug und intensive Betreuung (vgl. Alice Salomon Hochschule/Paritätische Akademie Berlin/AWO Bundesakademie 2019, S. 3).
Eine fortlaufende Qualitätsentwicklung ist Teil einer lernenden Organisation. Wird also bei- spielsweise in Evaluationen kritisiert, dass wenige unterschiedliche Methoden angewandt werden, Methoden und Inhalte nicht zueinander passen, kollaborative Arbeitsmethoden fehlen oder digitale Angebote wünschenswert seien, könnte die Universität als lernende Organisation prüfen, ob der Einsatz von Spielen in einzelnen Modulen sinnvoll wäre. Eine Gelingensbedingung dafür besteht in der Verantwortung der Universität, die Qualitätsent- wicklung und Evaluation durchzuführen und die Ergebnisse intern zu reflektieren.
In Bezug auf den integrativen Charakter des Studiengangs ist zunächst zu klären, was hier unter „integrativ“ zu verstehen ist. Denkbar sind die Integration unterschiedlicher Teilnehmender und das Erwachsen eines Gruppengefühls, die Integration von sowohl praktischen als auch theoretischen Elementen sowie die Integration des Studiums in das Berufsleben. Im Ausschlussverfahren wird für die vorliegende Arbeit angenommen, dass sich der Vorteil des integrativen Charakters auf das letztgenannte Integrieren des Studiums in das Berufsleben bezieht, da dieses Merkmal in den anderen Vorteilen des Studiums nicht erwähnt wird. Würde eine Integration innerhalb der Teilnehmendengruppe gemeint, ist anzunehmen, dass dieses Charakteristikum des Studiums expliziter benannt werden würde, mit einer Beschreibung, die klar auf Personen hinweist.
Auf die Vereinbarkeit mit dem Berufsleben bezogen, können Spiele eine Übertragbarkeit der Methode gewährleisten. Erleben Studierende ein Spiel als Methode, wie beispielsweise das Fallbeispiel 3 die Simulation zur Gegenrede, können sie dieses computergestützte Planspiel in ihrem beruflichen Feld einsetzen, falls es dort eine entsprechende Nachfrage gibt. Außerdem ist es bei berufsbegleitenden Studien eine Herausforderung, Methodenviel- falt in den Phasen zu gewährleisten, in denen die Studierenden allein lernen. Computergestützte Spiele können hier andere Methoden wie zum Beispiel Diskussionsforen ergänzen. Dafür eignen sich auch Spiele, die allein gespielt werden, aber einzelne Studierende können sich auch in kleineren Gruppen treffen, um eine Simulation durchzuführen, beispielsweise bevor oder nachdem dieses Thema in der Präsenzeinheit behandelt wird.
Die intensive Betreuung der Teilnehmenden ist bei Spielen ähnlich notwendig wie beispielsweise bei der Betreuung von Gruppenarbeiten. In den meisten Planspielsituationen spielen die Studierenden in Gruppen, sodass die Lehrperson sowohl den Überblick über alle Gruppen wahren, auf individuelle Probleme eingehen und die De- briefingphase moderieren muss. Werden Spiele verwendet, ist eine intensive Betreuung für das Gelingen des Spiels unabdingbar, deshalb würde dieses Charakteristikum des Studienganges durch die Verwendung von Spielen unterstützt.
Die Vernetzung der Studieninhalte durch Fall- sowie Feldstudien mit Forschungs- und Praxisbezug könnte in einzelnen Modulen besonders stark durch Spiele gefördert werden. So schreibt beispielsweise Abt, dass die wesentliche dynamische Struktur von umfänglichen Wettbewerbsprozessen dann mit einer Klarheit und Dramatik hervortritt, wenn sie mit Simulationsspielen gelehrt werden (vgl. Abt 1970, S. 40–41). Von anderen Unterrichtstechniken werde eine solche Klarheit und Dramatik nicht erreicht. Von den in der vorliegenden Arbeit vorgestellten Planspielen ist ein solcher Effekt besonders im Fallbeispiel 1 zu erwarten, da in den TOPSIM Spielen sowohl Marktdynamik als auch Komplexität von Wettbewerbsprozessen zu beobachten sind. Aber auch bei wesentlich einfacheren Spielen, wie dem Fallbeispiel 3, der computergestützten Simulation zur Gegenrede, ist der Autorin aus eigener Erfahrung bekannt, wie beeindruckend das eigene Erfahren von Dynamik im Spielprozess ist.
In Bezug auf innovative Lehr-, Lern- und Prüfungsformen ist das Zusammenspiel der eigenen internen Qualitätsentwicklung mit der Entwicklung der Didaktik zu betrachten, auf die die Digitalisierung einen Einfluss hat. In Bezug auf Lehr- und Lernformen setzen sich Universitäten mit digitalen Lernformen auseinander. Spiele können in diesem Zusammenhang betrachtet werden und ein Beispiel für innovative Lehr- und Lernmethoden sein. Aber nicht alle Planspiele sind digital. Deshalb ist eine Auseinandersetzung mit Spielen als innovative Lehr- und Lernformen nicht nur eine Auseinandersetzung mit digitalen Arbeitsmethoden, sondern mindestens in gleichem Maß eine Auseinandersetzung mit Erwachsenenbildung. Lehr- und Lernformen der Erwachsenenbildung sind am ehesten an die Beziehung zwischen Dozierenden und Lernenden gebunden. Die Prüfungsform hingegen liegt in der Verantwortung der Universität, da mit ihr auch häufig Akkreditierungs- bedingungen verbunden sind, deshalb wird im Folgenden besonders auf Prüfungsformen in Zusammenhang mit Spielen eingegangen.
In der Literatur gibt es zu der Frage, wie Prüfungsleistungen mit Planspielen erbracht werden können, einzelne Erfahrungen, aber keine vergleichenden Studien. Die Universitäten Passau und Leipzig prüften in einer Klausur mit offenen und geschlossenen Fragen die Lerninhalte der Simulation TOPSIM aus dem Fallbeispiel 1 (vgl. Universität Passau 2019; Universität Leipzig 2019). An der Fachhochschule Bielefeld wird die Plan- spielleistung aus der TOPSIM Simulation als Gruppenleistung gemessen und bildet mit einer klassischen Prüfungsform wie Präsentation, Hausarbeit oder Klausur die Gesamtnote für das Modul (vgl. TOPSIM GmbH 2019a). Die Arbeitsgruppe „Planspiel“ der Technischen Universität Berlin ist der Auffassung, dass eine Klausur, die zu den Lehrinhalten geschrieben werde, schädlich für das Planspiel sei (vgl. Pant u.a. 1995, S. 43). Eine Klausur baue Druck auf, der die Freiheit des Planspiels begrenze. Gute Erfahrungen habe die Gruppe jedoch mit Vorträgen gemacht, die die spielenden Gruppen zu ihren eigenen Themen und Positionen gehalten hatten. Diese Auffassung ist mit der Arbeitshypothese 1 der vorliegenden Arbeit zum Spaß beim Lernen vereinbar.
Aus dieser widersprüchlichen Situation, einerseits den Spaß im Spiel und die Freiheit des Ausprobierens erhalten zu wollen, andererseits aber Lerninhalte prüfen zu müssen, lässt sich ableiten, dass es didaktisches Wissen von denjenigen braucht, die über die Prüfungs- form der Module entscheiden. Sie müssen eine adäquate Prüfungsform finden, die das Spielen und den dadurch entstehenden Lernprozess nicht behindert. Je nach gewähltem Planspiel gibt es die Möglichkeit, beispielsweise zur Vorbereitung des Planspiels, Vorträge zu für das Planspiel oder die eigene Rolle relevanten Themen zu halten. Als Nachbereitung wäre die Übertragung des in dem Planspiel Gelernten auf die eigene Arbeit in der Sozial- wirtschaft denkbar, beispielsweise in Form einer Hausarbeit oder einer Beschreibung des eigenen Erlebens des Spielablaufs, um den Lernzyklus zu festigen.
Zu Akkreditierungsfragen eines Studiengangs mit Planspielen kann hier keine Aussage gemacht werden. Während der Erarbeitung der vorliegenden Studie wurden einige wirtschaftswissenschaftliche und politikwissenschaftliche Studiengänge in Deutschland gefunden, in denen Planspiele ein fester Bestandteil sind (vgl. Universität Duisburg-Essen 2016; Universität Potsdam 2017; Universität Siegen 2017; Universität Passau 2019; Universität Leipzig 2019). Es wurden jedoch keine Studiengänge des Sozialmanagements gefunden, in denen aus dem Curriculum ersichtlich Planspiele verwendet werden. Allerdings ist das Curriculum nur bedingt aussagefähig, da Methoden zu den einzelnen Modulen nicht angegeben werden. Nennenswert ist in diesem Zusammenhang die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Stuttgart, die das deutschlandweit einzige Zentrum für Managementsimulationen beherbergt. Sie verfügt über eine große Planspieldatenbank, die von Dozierenden rege benutzt wird. Die DHBW verfügt sowohl über eine Fakultät Sozialwesen als auch über eine Fakultät Wirtschaft, eine Verwendung von Planspielen in der Fakultät Sozialwesen ist mindestens naheliegend.
Darüber hinaus wären in praktischer Hinsicht für eine Universität die Anschaffungskosten und – vor allem bei computergestützten Spielen – die Betriebskosten zu bedenken. Werden Spiele, wie beispielsweise das Fallbeispiel 2 LEGO Serious Play, von externen Dienstleistern durchgeführt, sind auch deren Honorare ein Kostenfaktor. Diese finanziellen Erwägungen sind fraglos eine der wichtigsten Gelingensbedingungen für die Verwendung von Spielen in einem Studiengang, können jedoch in der vorliegenden Arbeit aus praktischen Gründen nicht weiter erforscht werden.
Die Erhältlichkeit eines Spiels ist eine unabdingbare Voraussetzung, allerdings sollte hier nicht vorschnell geschlossen werden, dass Spiele genau dem Anwendungsgebiet entsprechen müssen. Beispielsweise ist Dietrich Dörner in einem Interview der Auffassung, dass Spiele nicht unbedingt aus der eigenen Branche kommen müssten, das könne sogar hinderlich sein. Erst die Übertragungsleistung aus einem anderen Kontext führe zu einem gewinnbringenden Aha-Erlebnis (o. A. 2010, S. 2). Je realitätsferner die Spiele, umso größer sei die zu leistende Übertragung des Gelernten. Dozierende müssten sich in einem solchen Fall zutrauen, Studierende dabei zu unterstützen.
Kommen zusätzlich zu einer Limitierung auf den deutschsprachigen Markt noch weitere Merkmale hinzu, wie beispielsweise der barrierefreie Zugang zu allen Spielen, wird die Auswahl zunehmend kleiner. Aufgrund der Komplexität der unterschiedlichen Erwägungen zur Barrierefreiheit wird die Gelingensbedingung der Erhältlichkeit von barrierefreien Spielen in der vorliegenden Arbeit nicht untersucht.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass alle Qualitätsmerkmale des Studiengangs Sozialmanagement (fortlaufende Qualitätsentwicklung und Evaluation, integrativer Charakter des Studiums, innovative Lern-, Lehr- und Prüfungsformen, orientiert an internationalen MA-Standards, Vernetzung der Studieninhalte durch Fall- sowie Feldstudien mit Forschungs- und Praxisbezug, intensive Betreuung der Teilnehmenden inklusive Coaching) durch die Verwendung von Spielen unterstützt würden. Am stärksten ist dies für das Merkmal der Vernetzung der Studieninhalte mit Praxisbezug zu erwarten, zum einen durch den Freiraum, der es Lehrenden und Lernenden ermöglicht, solche Praxisbezüge einzubringen und zum anderen durch eine Annäherung an Realität durch das Simulieren der realen Vorgänge im Planspiel.
6 Fazit
Das Konzept hat zunächst gezeigt, dass für gewinnbringendes Lernen das mehrmalige Durchschreiten eines Zyklus und die richtige Balance von Herausforderungen und Fähigkeiten notwendig sind. Es ist natürlich auch möglich, einen Zyklus des Lernens mit anderen Methoden als Spielen zu konstruieren, wie beispielsweise dem Vortragen von Theorie und dem Aushändigen von Übungen. Doch die drei Fallbeispiele zeigen, dass bewusst eingebaute Lernzyklen in Spielen zu einer didaktischen Herangehensweise verpflichten, die das Erfüllen des Übungsteils mit der gleichen Wertigkeit versehen wie das Verstehen einer theoretischen Einführung und somit die Lernenden einen vollen Lernzyklus durchschreiten lassen.
Die drei ausgewählten Fallbeispiele dienten dazu, die Machbarkeit der Erweiterung der Methodenvielfalt aufzuzeigen. Anbieter, Art, Material, Zeitaufwand, Lerninhalt, Einsatzmoment der Spiele unterscheiden sich stark. In der Gesamtschau ist dies positiv zu bewerten. Ähnlich einer Vielfalt von unterschiedlicher Literatur zum Selbststudium bietet eine Vielfalt von Spielen während eines Studiums Chancen für unterschiedliche Lernerlebnisse.
Die Gelingensbedingungen im abschließenden Kapitel bezogen sich auf Lernende, Lehrende und die Universität. Während von Lernenden lediglich eine Offenheit der Methode gegenüber erwartet wird, die zudem als wahrscheinlich gilt, stellte sich klar heraus, dass die Hauptverantwortung für das Gelingen einer Methodenerweiterung bei den Lehrenden liegt. Die dieser Arbeit vorangestellte konfuzianische Weisheit „Erzähle mir und ich vergesse. Zeige mir und ich erinnere. Lass es mich tun und ich verstehe“ ist auf den ersten Blick zwar auf Studierende gemünzt, doch in Bezug auf didaktische Methoden sind die Dozierenden diejenigen, die konkret etwas tun sollen, um zu verstehen: das Lernen mit einer Simulation selbst erfahren. Während einer solchen Erfahrung lässt sich für Lehrende am besten abschätzen, ob und wenn ja in welchem Kontext die Methode Spiel angemessen ist, welche vorbereitenden Maßnahmen zu treffen sind und worauf bei der Durchführung zu achten ist. Eine solche methodische Weiterentwicklung ist aus Sicht der Universität als Weiterbildungsmaßnahme der Dozierenden zu betrachten.
Das Gelingen des Einsatzes eines Planspiels hängt maßgeblich von der Auswahl des richtigen Spiels, der Vorbereitung und den Moderationsfähigkeiten der Dozierenden ab. Unterschiedliche Spiele benötigen unterschiedlich intensive Betreuung. Kennen Dozierende viele Spiele aus eigener Erfahrung, können sie gut abschätzen, welches Spiel den Bedürfnissen der Lernenden und den Fähigkeiten der Lehrenden entspricht. Werden für Planspiele externe Dienstleister miteinbezogen, stellen sich die gleichen Fragen an Aus- wahl, Vorbereitung und Einbettung in den übrigen Lernkontext. Auf Seiten der Universität wurde zunächst festgestellt, dass sie Lehrenden die Bedingungen bieten sollte, ihre Lehr- methoden um Spiele erweitern zu können. Charakterisiert eine Universität einen Studien- gang als integrativ, mit hohem Praxisbezug und intensiver Betreuung durch Dozierende, würde die Verwendung von Spielen eine solche Charakterisierung unterstützen.
Völlig außer Acht gelassen wurden in dem vorliegenden Konzept Spiele, die allein im Single-Player-Modus gespielt werden. Alle hier beschriebenen Fallbeispiele bedürfen der Gruppe, um in der Diskussion mit anderen die eigenen Thesen zu testen und zu reflektieren. In einem berufsbegleitenden Studium ist jedoch der Anteil des Selbststudiums hoch. Deshalb liegt noch einiges Potential in der Erforschung des Lernens durch Spiele, die man allein spielt, beispielsweise zur Vor- oder Nachbereitung von Präsenzeinheiten.
Erwähnt worden sind einige Studien, die Lernerfolge bei Gruppen gemessen haben, die mit Spielen gelernt haben und ihren Kontrollgruppen, die ohne Spiele gelernt haben. Ähnliche Vergleiche von Lernsituationen mit und ohne Spiele wären insbesondere in Bezug auf An- schaffungs-, Durchführungs- und auch Entwicklungskosten interessant. So könnte kalkuliert werden, wie hoch beispielsweise der Erwerb einer Spiellizenz zu Buche schlägt und welche Kosten im Fall der Verwendung eines Spiels nicht mehr anfallen würden, weil es eine andere Dienstleistung ersetzt.
In Bezug auf den hier fiktiv angenommenen Umsetzungsort des Konzeptes, den Masterstudiengang Sozialmanagement an der Alice Salomon Hochschule in Berlin, bliebe als nächster Schritt ein Testlauf eines Studienganges, welcher um die Methode Spiel erweitert würde. Dieser Studiengang könnte anschließend in Bezug auf diese Methode evaluiert werden, beispielsweise im Hinblick auf Effekte auf das Lernen, die Motivation der Studierenden und die Transfermöglichkeiten in die Praxis. Eine solche Evaluation gäbe Aufschluss über etwaige weitere Schritte in der Erweiterung der Methodenvielfalt um Spiel in diesem oder anderen Studiengängen.
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- Citation du texte
- Judit Costa-Patry (Auteur), 2020, Spiele im Sozialmanagement, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/539851
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