„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“, heißt es in Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, und weiter in Absatz 3: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes [...] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Was hat nun Sprache mit der - wie aus dem Zusatz zu Artikel 3, Absatz 2 deutlich wird („Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“) - noch immer nicht erreichten gesellschaftlichpolitischen Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu tun? Inwiefern kann und soll Sprache vielleicht zu ihrer Verwirklichung beitragen? Girnth geht davon aus, dass Sprache und gesellschaftliche Wirklichkeit einander gegenseitig bedingen: „Die gesellschaftliche Wirklichkeit manifestiert sich in Sprache, gleichzeitig wird sie aber überhaupt erst durch Sprache ermöglicht und hergestellt.“Das bedeutet zum einen, dass über Sprache bestimmte, der Gesellschaftsordnung zugrundeliegende Wertvorstellungen und Denkmuster transportiert werden (vgl. Girnth: 3), die auf diese Weise „die kognitiven Funktionen wie Wahrnehmung, Bewertung von Sachverhalten, Gedächtnisspeicherung oder Problemlösung ihrer Sprecherinnen und Sprecher“ beeinflussen. „Dies kann konkrete Auswirkungen haben, denn wahrscheinlich wird auch die gesellschaftliche Situation der Geschlechter auf die Art und Weise, wie Frauen in der jeweils zu betrachtenden Sprache vorkommen, mit beeinflußt.“ (Ebd.) Doch nicht nur die Gesellschaft beziehungsweise gesellschaftliche Veränderungen prägen die Sprache - und damit Wahrnehmung, Denken und Handeln ihrer Sprecherinnen und Sprecher -, auch die Sprache kann die Gesellschaft beeinflussen und so gesellschaftliche Veränderungen (mit) herbeiführen, die dann wiederum auf die Sprache zurückwirken.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: ‚Gleichberechtigung’ und Sprache
2. Möglichkeiten der Gleichbehandlung bei Personenbezeichnungen
2.1. Beidbenennung
2.2 Neutrale Bezeichnungen
2.3 Weitere Vorschläge
3.(In-)Kongruenz
3.1 Gleichbehandlungsvarianten und syntaktische Wiederaufnahme
3.2.‚Problematische’ Pronomen
3.Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung: ‚Gleichberechtigung’ und Sprache
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“, heißt es in Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, und weiter in Absatz 3: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes [...] benachteiligt oder bevorzugt werden.“[1] Was hat nun Sprache mit der – wie aus dem Zusatz zu Artikel 3,
Absatz 2 deutlich wird („Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“) – noch immer nicht erreichten gesellschaftlich-politischen Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu tun? Inwiefern kann und soll Sprache vielleicht zu ihrer Verwirklichung beitragen?
Girnth geht davon aus, dass Sprache und gesellschaftliche Wirklichkeit einander gegenseitig bedingen: „Die gesellschaftliche Wirklichkeit manifestiert sich in Sprache, gleichzeitig wird sie aber überhaupt erst durch Sprache ermöglicht und hergestellt.“[2] Das bedeutet zum einen, dass über Sprache bestimmte, der Gesellschaftsordnung zugrundeliegende Wertvorstellungen und Denkmuster transportiert werden (vgl. Girnth: 3), die auf diese Weise „die kognitiven Funktionen wie Wahrnehmung, Bewertung von Sachverhalten, Gedächtnisspeicherung oder Problemlösung ihrer Sprecherinnen und Sprecher“[3] beeinflussen. „Dies kann konkrete Auswirkungen haben, denn wahrscheinlich wird auch die gesellschaftliche Situation der Geschlechter auf die Art und Weise, wie Frauen in der jeweils zu betrachtenden Sprache vorkommen, mit beeinflußt.“ (Ebd.) Doch nicht nur
die Gesellschaft beziehungsweise gesellschaftliche Veränderungen prägen die Sprache – und damit Wahrnehmung, Denken und Handeln ihrer Sprecherinnen und Sprecher –, auch die Sprache kann die Gesellschaft beeinflussen und so gesellschaftliche Veränderungen (mit) herbeiführen, die dann wiederum auf die Sprache zurückwirken. Wenn nun in einer Gesellschaft Frauen gegenüber Männern diskriminiert wurden und werden, so muss dies folglich Einfluss auf die Sprache genommen haben und nehmen und sich (auch) über die Sprache weiter fortsetzen.
Hier kann und sollte Sprachkritik ansetzen, die sich im Gegensatz zur Sprachwissenschaft nicht nur mit dem ‚Sein’, dem Ist-Zustand einer Sprache beschäftigt, sondern damit, wie Sprache aussehen, wie sie verändert und benutzt werden sollte. „Daß diese Veränderung stets auf eine Verbesserung im Sinne einer Emanzipation von der Macht der Sprache und der Sprache der Mächtigen zielen sollte, versteht sich – hoffentlich – von selbst.“[4] Sprachkritik ist deshalb nicht von Sachkritik zu trennen; sie hat (meistens) einen Anspruch politischer oder gesellschaftlicher Veränderung beziehungsweise Einflussnahme. Schiewe und Schoenthal sehen die feministische Sprachkritik in der Tradition der aufklärerischen sprachkritischen Bemühungen des 18. Jahrhunderts (vgl. ebd.: 272):
Dahinter steht in beiden Fällen eine Auffassung, die Sprache und Denken in engen Zusammenhang bringt: Sprache einerseits als Spiegel, als Ausdruck historisch gewachsenen Denkens, Sprache andererseits als Hindernis, eine sich wandelnde oder schon gewandelte Wirklichkeit wahrzunehmen, Sprache aber auch als Hilfsmittel, an dieser Wandlung mitzuwirken. (Schoenthal, zit. nach Schiewe: 272 f.)
Die vorliegende Arbeit möchte einen Überblick geben über Möglichkeiten der sprachlichen Gleichbehandlung in der deutschen Sprache, die zu einem Großteil aus der feministischen Sprachkritik hervorgegangen sind. Den Schwerpunkt werden Sprachsystem, das heißt vor allem die Schriftsprache, und nur zum Teil der Sprachgebrauch bilden; auf das Kommunikationsverhalten von Frauen und Männern kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Viele interessante Bereiche, etwa die Rechtssprache oder Titel und Berufsbezeichnungen, können im Rahmen dieser Arbeit leider nur am Rande oder gar nicht berücksichtigen werden.[5]
2. Möglichkeiten der Gleichbehandlung bei Personenbezeichnungen
Im Allgemeinen gilt seit de Saussure der Zusammenhang zwischen Form und Inhalt eines Wortes, also auch derjenige zwischen Genus und Sexus, als arbiträr.[6] Eine Ausnahme bilden allerdings Personen- und teilweise auch Tierbezeichnungen: „Bei ihnen ist das Genus vom Sexus her, das heißt biologisch motiviert.“ (Samel: 64) Die semantische Eigenschaft [weiblich] oder [männlich] wird also bei Personen-bezeichnungen meistens durch das grammatische Genus ausgedrückt – feminines Genus für Frauen, maskulines für Männer –, wodurch eine Beziehung „zwischen grammatischem Genus der Bezeichnung und natürlichem Geschlecht der Person“ (ebd.: 65) hergestellt wird. Ein mit der semantischen Markierung [männlich] versehenes Maskulinum referiert demnach bei geschlechtsdefinitem Gebrauch auf Personen männlichen Geschlechts. Darüber hinaus kann das Maskulinum die semantische Markierung [neutral] erhalten und geschlechtsindefinit verwendet werden, wenn etwa auf gemischtgeschlechtliche Gruppen referiert oder, zum Beispiel mit dem Maskulinum Singularis in der Rechtssprache,[7] ein „Abstraktum“ hergestellt werden soll. Aufgrund dieser „androzentrischen Ersetzungsregel“ (vgl. ebd.: 55) kann das (‚generische’) Maskulinum im Deutschen also „stellvertretend für die Bezeichnung von Frauen“ (ebd.) stehen, wohingegen das Femininum diese Funktion nicht einnehmen kann – eine sprachliche Asymmetrie wird deutlich (vgl. von Polenz: 272).[8] „Während persönliche Feminina referenziell eindeutig sind, sind persönliche Maskulina prinzipiell mehrdeutig, indem sie sowohl geschlechts-spezifische wie geschlechts-indifferente Interpretationen zulassen.“[9]
Unter den „Alternativ-Strategien“ zum so genannten generischen Maskulinum[10], die Hellinger vorschlägt (vgl. ebd.: 278 ff.), finden sich das sprachliche ‚Sichtbarmachen’ und das ‚Neutralisieren’ des Geschlechts,[11] womit sich die folgenden Abschnitte dieser Arbeit beschäftigen werden.
2.1 Beidbenennung
Sprachliche „Sichtbarmachung“ von Geschlecht mittels Beidbenennung oder Splitting (auch: partielle Feminisierung, vgl. Samel: 71) bedeutet „die Nennung von weiblicher und männlicher Person gleichermaßen“ (ebd.) und damit die Herstellung einer sprachlichen Symmetrie. Das Deutsche verfügt über drei Möglichkeiten zur Geschlechtsspezifikation von Personenbezeichnungen: die Attribute ‚weiblich’ und ‚männlich’ sowie die Lexeminhärenz als lexikalisches Mittel, die Genera Femininum und Maskulinum sowie das Differentialgenus als grammatisches Mittel und Suffixe zur Spezifikation des femininen Genus als Mittel der Wortbildung (vgl. Pusch 1984: 50; Samel: 71 f.).
Attributive Geschlechtsspezifikation erfolgt, wenn abstrakten Personenbezeich-nungen oder Archilexemen die Adjektive weiblich oder männlich als Attribute beigefügt werden: das weibliche Kind oder die männliche Fachkraft sind Beispiele für eine Spezifizierung von geschlechtsabstrahierenden Personenbezeichnungen. Bei die männlichen und weiblichen Bürger handelt es sich um das attributiv spezifizierte Archilexem die Bürger. Ein referenzsemantisches Problem ergibt sich im letztgenannten Fall bei der syntaktischen Wiederaufnahme des Substantivs; Artikel oder Pronomen müssen kongruent mit dem Substantiv sein (vgl. Kapitel 2.2). Zu den lexikalischen Mitteln der Geschlechtsspezifikation gehört auch die Lexeminhärenz: Bei Personenbezeichnungen wie der Bruder oder die Schwester ist das Genus dem Lexem ebenso inhärent wie bei den Grundwörtern -frau und -mann in Komposita wie die Kauffrau oder der Kaufmann.
Aus Adjektiven und Partizipien abgeleitete Personenbezeichnungen wie Jugendliche oder Angestellte weisen keine lexeminhärente Geschlechtsspezifikation auf; sie sind – wenigstens im Plural (vgl. Pusch 1984: 53) – neutral. Die Lexeme dieser Gruppe besitzen das Differentialgenus, das heißt erst das grammatische Mittel der Zuweisung der Artikel die oder der präzisiert Femininum oder Maskulinum: die Angestellte oder der Angestellte.
Vor allem aber erfolgt Geschlechtsspezifikation im Deutschen über Mittel der Wortbildung, was in den allermeisten Fällen eine Movierung maskuliner Wörter bedeutet:
Feminine Substantive, die weibliche Personen parallel zu männlichen bezeichnen, werden im Allgemeinen so gebildet, dass das feminine Suffix -in an maskuline Personenbezeichnungen gefügt wird oder dass es das vorhandene Suffix, z.B. -e, ersetzt, wobei der Stammvokal zum Teil umgelautet wird: Arzt – Ärztin, [...] Franzose – Französin; ohne Umlaut: Botin [...].[12]
Neben der Femininableitung auf - in nennt die Duden-Grammatik (ebd.) die Suffixe
[...]
[1] Zitiert nach der Sondertaschenbuchausgabe: Verlag C. H. Beck (red. Verantwortung) (351998): Grundgesetz. Textausgabe. München: Beck/dtv, S. 13.
[2] Girnth: Heiko (2002): Sprache und Sprachverwendung in der Politik. Tübingen: Niemeyer, S. 6.
[3] Samel, Ingrid (22000): Einführung in die feministische Sprachwissenschaft. Berlin: Erich Schmidt, S. 3.
[4] Schiewe, Jürgen (1998): Die Macht der Sprache. Eine Geschichte der Sprachkritik von der Antike bis zur Gegenwart. München: Beck, S. 25.
[5] Einen guten Überblick über die (west-)deutsche feministische Sprachkritik liefert: Schoenthal, Gisela (1998): „Von Burschinnen und Azubinnen. Feministische Sprachkritik in den westlichen Bundesländern.“ In: Dies. (Hg.): Feministische Linguistik – Linguistische Geschlechterforschung. Ergebnisse, Konsequenzen, Perspektiven. Hildesheim u. a.: Olms, S. 9-31. Für Österreich vgl.: Doleschal, Ursula (1998): „Entwicklung und Auswirkungen der feministischen Sprachkritik in Österreich seit 1987.“ In: Schoenthal 1998: S. 87-115. Für die Schweiz vgl.: Peyer, Ann u. Wyss, Eva Lia: „‚JazzmusikerInnen – weder Asketen noch Müsli-Fifis’. Feministische Sprachkritik in der Schweiz, ein Überblick.“ In: Schoenthal 1998: S. 117-154.
[6] Einen kurzen Überblick zu Genustheorie und -forschung geben Samel: 58-64, und Bär, Jochen A. (2004): „Genus und Sexus. Beobachtungen zur sprachlichen Kategorie ‚Geschlecht’“. In: Karin M. Eichhoff-Cyrus: Adam, Eva und die Sprache. Beiträge zur Geschlechterforschung. Mannheim u. a.: Duden-Verlag, S. 160-171; vgl. außerdem Hausherr-Mälzer, Michael (1990): Die Sprache des Patriarchats. Sprache als Abbild und Werkzeug der Männergesellschaft. Frankfurt a. M. u. a.: Lang, S. 154-159.
[7] Zu Möglichkeiten einer geschlechtergerechte(re)n Rechtssprache vgl. ausführlich: Frank-Cyrus, Karin M. u. Dietrich, Margot (1998): „Gesetze geschlechtergerecht gestalten – aber wie? Zwei Gutachten der Gesellschaft für deutsche Sprache für das Bundesministerium der Justiz“. In: Gisela Schoenthal (Hg.): Feministische Linguistik – Linguistische Geschlechterforschung. Ergebnisse, Konsequenzen, Perspektiven. Hildesheim u. a.: Olms, S. 49-86.
[8] Vgl. außerdem: Pusch, Luise F. (1984): „Das Deutsche als Männersprache. Diagnose und Therapievorschläge“. In: Dies.: Das Deutsche als Männersprache. Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 53 f.
[9] Hellinger, Marlis (2004): „Empfehlungen für einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch im Deutschen“. In: Karin M. Eichhoff-Cyrus: Adam, Eva und die Sprache. Beiträge zur Geschlechterforschung. Mannheim u. a.: Duden-Verlag, S. 278.
[10] Zumeist handelt es sich nicht um echte generische Maskulina, sondern lediglich um pseudo-generische, da „semantisch und grammatisch feminine Formen vorhanden bzw. möglich“ (Bär: 157) sind; überwiegend wird der Begriff „generisches Maskulinum“ jedoch in Übereinstimmung mit der Duden-Definition (2001: 350) gebraucht: „Verwendung maskuliner Formen, wenn das natürliche Geschlecht (Sexus) als unwichtig betrachtet wird oder wenn weibliche und männliche Personen gemeint sind“.
[11] Vor allem das sprachliche „Sichtbarmachen“ von Geschlecht wird seit Beginn der Aus-einandersetzung mit sexistischem Sprachgebrauch gefordert, vgl. zum Beispiel die „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs“ (Trömel-Plötz, Senta, Guentherodt, Ingrid, Hellinger, Marlis u. Pusch, Luise F. (1981): „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs“. In: Linguistische Berichte 71, S. 7) und deren Überarbeitung (Hellinger et al. 1985: 154); Rückschau, aktuelle Bestandsaufnahme und Zukunftsperspektiven zum Vergleich bietet Hellinger: 2004. Eine eher positiv veränderte gesellschaftliche und politische Haltung gegenüber sexistischem Sprachgebrauch ist aus den Texten ebenso zu erkennen wie eine sich immer weiter ausdifferenzierende Zielsetzung, die mit stärkerer Vehemenz verfolgt wird.
[12] Dudenredaktion (Hg.) (61998): Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. Mannheim u. a.: Dudenverlag, Bd. 4, S. 507.
- Arbeit zitieren
- Silvia Bannenberg (Autor:in), 2005, "Gleichberechtigung" durch Sprache? Zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der deutschen Sprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53820
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