Soziales Lernen ist eines der sensibelsten und wichtigesten Lernfelder in der Schule. Kinder und Jugendliche verbringen dort einen Großteil ihrer Lebenszeit und sammeln hier eine Vielzahl an Erfahrungen.
Im Folgenden wird theoretisch fundiert gezeigt, wie im Rahmen schulischen Alltags ein Projekt entstand, wodurch eine sehr heterogene fünfte Hauptschulklasse "zu einem Team" zusammenwuchs.
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
1. Soziales Lernen in der Schulgeschichte
2. Stellung des sozialen Lernens im Bildungsplan
3. Bedeutung von sozialem Lernen im Unterricht
3.1. Aus gruppendynamischer Perspektive
3.2. Aus lernpsychologischer Perspektive
4. Die Klasse als zentraler Ort sozialen Lernens
4.1. Methodisches Vorgehen in einer Klasse
5. Soziales Lernen im Schulalltag - Beispiel für die praktische Umsetzung
5.1. Erarbeiten einer vertrauten Atmosphäre
5.1.1. Was erwarte ich? Vor was habe ich Angst? - Erste Gesprächsversuche
5.1.2. Gemeinsamkeiten finden
5.2. Entstehen fester Strukturen
5.3. Der Weg zu den Klassenregeln
5.4. Regeln formulieren
5.5. Kurze Darstellung des Gesamtprojekts „wir werden ein Team“
5.6. Schreiben des Zeitungsberichts
6. Reflektion des Projekts
6.1. Aus Sicht der Schüler
6.2. Aus meiner Sicht
7. Ausblick
8. Literaturverzeichnis
9 . Versicherung
10. Anhänge
I Anhang
II Anhang
0. Einleitung
„Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte.“1 Dieser Ausspruch könnte zum Beispiel von einem Lehrer aus heutiger Zeit stammen. In Wirklichkeit wurde die These im alten Ägypten vor ca. 3500 Jahren verfasst.
Dies zeigt, dass Gesellschaften schon immer mit der Herausforderung konfrontiert waren, ihre Jugend in das eigene soziale Netz zu integrieren. Heute wird diese verstärkt, da „traditionelle Milieus“2 zuneh- mend an Bedeutung verlieren. Dem Menschen werden wesentlich mehr Möglichkeiten der Lebens- gestaltung angeboten als früher. Damit verbunden muss der Einzelne sich mehr mit der Planung und der Orientierung seiner Lebensumstände beschäftigen. Um dabei nicht die Orientierung zu verlieren braucht er mehr kommunikative bzw. soziale Kompetenzen, damit der Bezug zu den Mitmenschen trotz aller Mobilität erhalten bleibt.3
In unserer Gesellschaft spielt beim Sammeln sozialer Erfahrungen die Schule eine zentrale Rolle.4 Sie soll die Schüler auf ihr späteres Leben in Beruf und Alltag vorbereiten. In einer Umfrage nannten 96 Prozent von 250 befragten Personalchefs als wichtigste Kompetenz, dass jungen Menschen kommu- nikativ und teamorientiert sein müssen, um beruflich in Zukunft Chancen haben zu können.5 Nicht nur diese Erhebung verdeutlicht, dass das Ausbilden dieser Kompetenzen eine der wichtigsten Aufgaben und Ziele von Schule sein muss.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit einem Projekt, bei dem diese Aufgabe der Schule ernst genommen wurde: In die neue fünfte Klasse der Grund- und Hauptschule xxx kamen Schüler aus drei verschiedenen Grundschulklassen zusammen. Viele kannten sich bisher nur durch flüchtige Kontakte auf dem Schulhof, die häufig von Konflikten begleitet waren. Ziel war es, mit diesen Schülern die Grundlage zu legen, um aus dieser sehr heterogenen Gruppe ein Team entstehen zu lassen. Wir Lehrer wussten, dass einige schwierige Schüler in dieser Klasse vereint werden würden. Es war uns ein Anliegen, auch diese Schüler so in den Klassenverband zu integrieren, dass ihre Auffälligkeiten reduziert würden und die mit 24 Schülern recht große Klasse für die Kinder und auch für uns Lehrer eine gute Arbeitsatmosphäre ermöglicht.
Dass dieses Projekt Thema der vorliegenden Arbeit wurde hat hauptsächlich folgende zwei Gründe: Unterricht integriert automatisch gruppendynamischen Prozesse, da die Klasse eben ″als Gruppe″ lernt.
Solche sozialen Prozesse zu beobachten, zu reflektieren und ins Positive zu lenken ist somit eine der zentralen schulpädagogischen Aufgaben.
Der zweite Grund, dieses Thema zu wählen, ist durch meine persönliche Situation als Deutschlehrer in einer neu gestalteten Klasse bedingt. Da ich mich während meines PH-Studiums intensiv mit sozialem Lernen auseinandergesetzt habe, kann ich nun am konkreten Beispiel praktische Erfahrungen sammeln, diese in Verbindung mit theoretischen Aspekten bringen und reflektieren. Dies ist für mich als Berufsanfänger besonders spannend und wichtig.
Die vorliegende Arbeit ist wie folgt aufgebaut: Zuerst werden kurz die historischen Wurzeln des sozialen Lernens beleuchtet, bevor die Arbeit sich mit dem Bildungsplan sowie mit pädagogischen und lernpsychologischen Aspekten auseinandersetzt. Im zweiten Teil folgt dann ein Beispiel, wie in Kooperation mit Lehrern, Eltern und Schulsozialarbeit soziales Lernen in einer fünften Klasse angegangen und - mit Blick auf meinen Unterricht als Deutschlehrer in dieser Klasse und in Bezugnahme zur dargestellten Theorie - fächerübergreifend umgesetzt wurde. Dem folgt eine abschlie- ßende Reflexion des bisher Erarbeiten und ein Ausblick auf anstehende Herausforderungen in dieser Klasse.
1. Soziales Lernen in der Schulgeschichte
Sicherlich sind in der Geschichte der Schulpädagogik verschiedene Pädagogen zu nennen, die im Be- zug auf soziales Lernen Vorreiter waren. Einer dieser ist Célestin Freinet. Der kriegsversehrte Lehrer eines südfranzösischen Dorfes musste Methoden finden, um den damals traditionell sehr lehrer- zentrierten Unterricht für ihn kräftesparend zu gestalten. Er beschloss, seine Schüler als seine ″Assis- tenten″ einzusetzen. Aus dieser Notwendigkeit entwickelte sich ein ausgereiftes pädagogisches Kon- zept, was bis heute wegweisend ist. Die so genannte ″Korrespondenz″ war die Grundlage für seine Konzeption der ″Schuldemokratie″. Ursprünglich nur auf das Schreiben von Texten und Briefen be- zogen, bietet die Korrespondenz „eine Möglichkeit authentischer Kommunikation“6.
Die auf Korrespondenz beruhende Aneignung von Wissen hat nicht alleine dokumentarischen Charakter. Durch die persönliche Beziehung kommt ihr eine besondere Eigenschaft zu, die über den schulischen Rahmen hinausgeht.7
Korrespondenz bedeutet somit auch, dass Lernen umso effektiver ist, desto mehr Identifikation der Schüler mit dem Lerngegenstand besteht. Durch gemeinsames Planen, gegenseitiges Helfen und dem Suchen von Problemlösungen durch die Schüler verringerte Freinet die eigene Anstrengung im Unter- richt und ermöglichte gleichzeitig seinen Schülern, möglichst eigenständig und vor allem gemeinsam sich der Herausforderung eines Problems zu stellen. Wie oben bereits erwähnt reifte dieser Ansatz zur
Konzeption der Schuldemokratie aus. Die Schüler werden aktiv an Entscheidungsprozessen beteiligt, welche ihren eigenen Unterricht bzw. den gesamten Schulalltag betreffen. Neben einer verstärkten Identifikation mit den Inhalten wirken diese demokratischen Prozesse sich vor allem positiv auf das Sozialverhalten der Schüler aus, da sie mehr als gewöhnlich eine persönliche Beziehung zu ″ihrer Schule″ (Freinet sprach auch von der Schule als Lebensraum der Kinder) aufgebaut haben. Auch schon zur Zeit der Reformpädagogik waren Ansätze von Bedeutung, welche die Gruppe in den Mittelpunkt stellten. Häufig zeigte sich jedoch, dass das soziale Lernen so sehr in den Vordergrund geriet, dass inhaltliche Aspekte verloren gingen. Der Spagat zwischen schülergesteuertem, offenem Lernen und lehrergesteuertem, lernzielorientiertem Unterricht scheint groß zu sein. Aus diesem Grund entscheiden sich viele Lehrer auf ″Nummer sicher″ zu gehen und sich für die Sicherung der Inhalte zu entscheiden8.
Dennoch zeigte sich, dass eine Klasse so vorbereitet werden kann, dass soziales Lernen und Inhalte gleichwertig nebeneinander gelernt werden können.9
2. Stellung des sozialen Lernens im Bildungsplan
Um die Stellung des sozialen Lernens im Bildungsplan darzustellen, sollte kurz ein Blick auf dessen Funktion gelegt werden.
Ein Bildungsplan gibt an, was junge Menschen im weitesten Sinne des Wortes ″lernen″ sollen: Auf welche Anforderungen und Ziele hin sie sich am besten an welchen Erfahrungen formen und wel- che Mittel zur Gestaltung ihres Lebens, welche Übung in welchen Fähigkeiten dabei dienlich sind - Mittel und Fähigkeiten, die ihnen ermöglichen, als Person und Bürger in ihrer Zeit zu bestehen.10
Schon dieses Zitat impliziert das soziale Lernen, da ohne soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Rücksichtnahme, Fähigkeit zum Streiten etc. ein Mensch nicht als Bürger seiner Zeit11 bestehen kann. Verstärkt wird diese These durch folgende Aussage im Bildungsplan, welche unter der Überschrift „der Auftrag der Schule“12 zu finden ist:
Bildung ist drittens das, was der Gemeinschaft erlaubt, gesittet und friedlich, in Freiheit und mit einem Anspruch auf Glück zu bestehen: Sie richtet den Blick des Einzelnen auf das Gemeinwohl, auf die Existenz, Kenntnis und Einhaltung von Rechten und Pflichten, auf die Verteidigung der Freiheit und die Achtung für Ordnung und Anstand. Sie ist für die richtige Balance in der Gesellschaft zuständig. Sie hält zur Prüfung der Ziele, der Mittel und ihrer beider Verhältnisses an. Sie befähigt zur Entscheidung angesichts von Macht und begrenzten Ressourcen in begrenzter Zeit. Das ist die politische Bildung. 10
Hier wird deutlich, dass politisches Lernen, welches die oben angestrebten Fähigkeiten anbahnt, explizit Aufgabe der Schule ist. Unter dem Punkt „(a) Einstellungen [die von den Schülern entwickelt werden sollen]“13 sind folgende m.E. sehr bedeutsamen Unterpunkte zu finden:
3. Schülerinnen und Schüler erfreuen sich der Verlässlichkeit anderer und bringen diese darum selber auf; sie übernehmen ihren Part in der arbeitsteiligen Welt; sie verbinden damit die Befrie- digung, gebraucht zu werden; ihre Leistungsbereitschaft steigert sich mit der Wahrnehmung guter Leistung.14
Hier werden schon die Ziele genannt, welche gute Teamarbeit impliziert, worauf ich noch später zu sprechen kommen werde. Folgende Unterpunkte konkretisieren das weiter:
4. Schülerinnen und Schüler entwickeln erst ein Gefühl, dann eine Pflicht für die Gestaltung und Verbesserung der gemeinsamen Lebensverhältnisse, für deren Voraussetzungen und Ziele; sie wollen nun aktiv am Leben erst der kleineren, dann der großen Gemeinschaft teilnehmen; sie stellen sich der Verantwortung für ihr Handeln.
5. Schülerinnen und Schüler lernen, dass sie dazu Überzeugungen, Wertvorstellungen, Maßstäbe brau- chen, dass ihnen zusteht, Kritik zu üben, und dass sie Konflikte wagen müssen; sie entwickeln Gelas- senheit und Leidenschaft im öffentlichen Streit; sie erfahren, dass es lohnt, „durchzuhalten“ - sie lernen, wann es gut ist, nachzugeben; sie erkennen die der Demokratie zugrunde liegenden schwierigen, aber heilsamen Prinzipien; sie erkennen die Not von Randgruppen, beziehen sie ein, geben ihnen Hilfe.15
Abschließend wird im Vorwort festgehalten, dass der Bildungsplan vier zentrale Kompetenzen für alles Lernen vorgibt: Methodenkompetenz, Fach- (oder Sach-)kompetenz, Personalkompetenz und - explizit genannt - Sozialkompetenz16
3. Bedeutung von sozialem Lernen im Unterricht
3.1. Aus gruppendynamischer Perspektive
Auch hier macht ein kurzer Exkurs zum Bildungsplan Sinn. Unser Projekt ″Wir werden ein Team″ wurde fächer- und institutionsübergreifend durchgeführt. Mein Anteil war im Fach Deutsch manifestiert. Hier wird unter dem Arbeitsbereich 1 Sprechen 17 vorgegeben, dass die Schüler üben, miteinander zu spre- chen und Gespräche zu führen bzw. üben, miteinander zu arbeiten und zu präsentieren.17 Doch welche pädagogischen und gruppendynamischen Auswirkungen hat die Qualität des sozialen Lernens im schulischen Unterricht? Christina Großmann macht dazu eine klare Aussage:
Wird eine Schulklasse nicht gefördert und können sozialintegrative Werte und Normen nicht dauerhaft eingeführt werden, dann muss davon ausgegangen werden, dass die Gruppe sich selbst Regeln setzt und eine Eigendynamik entwickelt, die späterhin nur sehr schwer rückgängig zu machen ist. Sie wird in einem erheblichen Maße das schulische Lernen beeinträchtigen.18
[...]
1 Kellner & Hafner 1999, S. 7
2 Keppler, Leitmann & Ripplinger 1999, S. 12
3 vgl. Keppler, Leitmann & Ripplinger 1999, S. 12f
4 vgl. Kellner & Hafner 1999, S. 12
5 vgl. Klippert 1998, S. 42
6 Baillet 1995, S. 19
7 Keller & Hafner 1999, S. 12
8 vgl. Klippert 1998, S. 19f
9 vgl. Klippert 1998, S. 22ff
10 Bildungsplan für die Hauptschule 2004, S. 7
11 vgl. Bildungsplan für die Hauptschule 2004, S. 7
12 Bildungsplan für die Hauptschule 2004, S. 9
13 Bildungsplan für die Hauptschule 2004, S. 10
14 Bildungsplan für die Hauptschule 2004, S. 11
15 Bildungsplan für die Hauptschule 2004, S. 11
16 vgl. Bildungsplan für die Hauptschule 2004, S. 12
17 vgl. Bildungsplan für die Hauptschule 2004, S. 58
18 Großmann 1996, S. 11
- Citation du texte
- Matthias Hagen (Auteur), 2006, Erarbeitung sozialer Umgangsformen mit Fünftklässlern unter dem Motto: "Wir werden ein Team!", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53755
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