Es ist unumstritten, dass der Einsatz von authentischen Berichten in der Schule bei der Vermittlung von vergangenen Ereignissen hilfreich ist. Auch das Tagebuch wird zu diesem Zweck im Geschichtsunterricht verwendet. Umgangssprachlich werden solche Texte als „täglich niedergeschriebene, chronologisch gereihte Aufzeichnungen“ verstanden. Allerdings besitzt diese Textsorte eine große Heterogenität, weshalb die Forschung bisher noch keine allgemein anerkannte Typologie hervorgebracht. „Vornehmlich werden Diarien als Werkkommentar, als autopoetologische Fundgrube oder als historisch-autobiographische Quelle wahrgenommen.“
Aus diesem Grund widmet sich diese Arbeit zunächst einem kurzen Abriss zur Problematik der Systematisierung dieser Textsorte, um den aktuellen Forschungsstand darzustellen. Anschließend soll der Versuch gemacht werden, allgemeine Merkmale zur Gattungsbestimmung abzuleiten, welche unter Vernachlässigung der graduellen Unterschiede bei der Analyse eines Tagebuchs von Bedeutung sein könnten. Dabei soll kein genereller Gültigkeitsanspruch erhoben werden, denn dies kann aufgrund der enormen Formenvielfalt gar nicht gewährleistet werden. Weiterhin gehört zu einer Textsortenbestimmung für die Verwendung im Geschichtsunterricht eine Aussage über den Wert als historische Quelle, welche im dritten Gliederungspunkt geleistet wird.
Nach der Einführung in die Textsorte „Tagebuch“ wird die Verbindung zur Unterrichtsmethodik hergestellt, d.h. es werden theoretische Hinweise und Anregungen gegeben, die beim Einsatz in der Schulpraxis berücksichtigt werden sollten. Es wird aufgezeigt, weshalb man diese Textsorte im Geschichtsunterricht verwenden sollte und welche Erkenntnisse die Schüler aus dem Umgang mit dieser Art von historischer Quelle gewinnen können. Außerdem wird auf Einsatzmöglichkeiten und Besonderheiten bei der Interpretation eingegangen.
Inhaltsangabe
1. Einleitung
2. Das Tagebuch als historische Quelle
2.1. Gattungsbestimmung - Abgrenzungen
2.2. Merkmale der Textsorte „Tagebuch“
2.3. Geltungsanspruch
3. Didaktische Hinweise zur Textsorte
3.1. Vorteile des Einsatzes im Unterricht
3.2. Einsatzmöglichkeiten
3.3. Interpretation von Tagebüchern
4. Fazit
5. Literaturliste
1. Einleitung
Es ist unumstritten, dass der Einsatz von authentischen Berichten in der Schule bei der Vermittlung von vergangenen Ereignissen hilfreich ist. Auch das Tagebuch wird zu diesem Zweck im Geschichtsunterricht verwendet. Umgangssprachlich werden solche Texte als „täglich niedergeschriebene, chronologisch gereihte Aufzeichnungen“1 verstanden. Allerdings besitzt diese Textsorte eine große Heterogenität, weshalb die Forschung bisher noch keine allgemein anerkannte Typologie hervorgebracht hat. „Vornehmlich werden Diarien als Werkkommentar, als autopoetologische Fundgrube oder als historisch-autobiographische Quelle wahr- genommen.“2
Für den optimalen Einsatz im Unterricht ist es jedoch unabdingbar das Tagebuch als eigenständige Ausdrucksform zu betrachten, weil nur so eine genaue Interpretation möglich wird. Nur so die Darstellungsabsicht des Autors eindeutig erkennbar wird. Den Schülern müssen die Gemeinsamkeiten aller existierenden Tagebuchformen bekannt sein, um Abweichungen feststellen zu können. Deshalb will diese Arbeit einen knappen Überblick zu dieser Textsorte geben.
Zunächst wird aus diesem Grund ein kurzer Abriss zur Problematik der Systematisierung dieser Textsorte gegeben, um den aktuellen Forschungsstand darzustellen. Anschließend soll der Versuch gemacht werden, allgemeine Merkmale zur Gattungsbestimmung abzuleiten, welche unter Vernachlässigung der graduellen Unterschiede bei der Analyse eines Tagebuchs von Bedeutung sein könnten. Dabei soll kein genereller Gültigkeitsanspruch erhoben werden, denn dies kann aufgrund der enormen Formenvielfalt gar nicht gewährleistet werden. Weiterhin gehört zu einer Textsortenbestimmung für die Verwendung im Geschichtsunterricht eine Aussage über den Wert als historische Quelle, welche im dritten Gliederungspunkt geleistet wird.
Nach der Einführung in die Textsorte „Tagebuch“ wird die Verbindung zur Unterrichtsmethodik hergestellt, d.h. es werden theoretische Hinweise und Anregungen gegeben, die beim Einsatz in der Schulpraxis berücksichtigt werden sollten. Es wird aufgezeigt, weshalb man diese Textsorte im Geschichtsunterricht verwenden sollte und welche Erkenntnisse die Schüler aus dem Umgang mit dieser Art von historischer Quelle gewinnen können. Außerdem wird auf Einsatzmöglichkeiten und Besonderheiten bei der Interpretation eingegangen.
2. Das Tagebuch als historische Quelle
2.1. Gattungsbestimmung
Für eine verbindliche Typologie ist die Abgrenzung der Textsorte von anderen notwendig. Allerdings gestaltet sich die Gattungsbestimmung des Tagebuchs in zweierlei Hinsicht problematisch. Einerseits aufgrund der schwierigen Abgrenzung des Tagebuchs gegenüber verwandten Gattungen wie der Autobiographie, der Chronik, dem Brief und der Zeitung. Andererseits wegen der Vielgestaltigkeit des Tagebuchs in Form, Thema, Stoff und Motiv der Eintragungen. So verwundert es auch nicht, dass die meisten Studien zum Tagebuch „der Frage nach einer Gattungsbestimmung weitgehend ausweichen.“3 Auch wenn im Rahmen dieser Arbeit eine solch umfangreiche Analyse ebenfalls nicht erbracht werden kann, soll doch wenigstens ein kurzer Abriss zur Problematik gegeben werden.
Betrachtet man die Textsorte hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede gegenüber ähnlichen Formen, ergeben sich etliche Überschneidungen. Zur Verdeutlichung sollen im Folgenden einige der 'verwandtschaftlichen Beziehungen' aufgezeigt werden.4 „In jedem Falle aber ist das Tagebuch … Selbstzeugnis, gehört also zu den autobiographischen Gattungen“5.
Die Zeitung kommt der Herstellungsart des Tagebuchs am nächsten. Beiden Formen ist „die Regelmäßigkeit der Berichterstattung und die zeitliche Nähe zu den berichteten Ereignissen“6 gemeinsam. Dennoch sind sie wegen ihres unterschiedlichen Horizonts leicht auseinander zu halten. Während das Tagebuch lediglich den Erfahrungsbereich des Schreibers erfasst, steht der Zeitung das gesamte Weltwissen zur Verfügung, da sie auf mehrere Schreiber zurückgreifen kann. Zudem stellt das Tagebuch ein Unikat dar, wohingegen die Zeitung für die Veröffentlichung in großen Mengen vervielfältigt wird.7
Die Chronik kann ebenso wie das Tagebuch Aufzeichnungen über private Erlebnisse oder öffentliche Angelegenheiten beinhalten. Im Gegensatz zum Tagebuch liegen hier jedoch keine regelmäßigen Eintragungen vor. Das Tagebuch berichtet „von einem Tag zum anderen, die … Chronik dagegen von Ereignis zu Ereignis.“8
Wuthenow vertritt die Ansicht, dass Briefe „doch nur Fragmente, Ausschnitte von möglichen Tagebüchern“9 sind. Denn einerseits ähneln sich Tagebuch und Brief in ihrem formalen Aufbau mit Orts- und Zeitangabe sowie Angabe eines Adressaten.10 Andererseits unterscheiden sie sich in der Art des Adressaten. Während beim Tagebuch Schreiber und Leser identisch sind, ist beim Briefwechsel die Beteiligung von mindestens zwei verschiedenen Personen erforderlich.11
Bei der Autobiographie besteht der entscheidende Zusammenhang im Grad der Subjektivität. Beide Formen dienen einem Individuum dazu sich selbst darstellen zu können. Ereignisse werden allein aufgrund der Wahrnehmung dieser Person beschrieben, wobei das wesentliche Unterscheidungsmerkmal dabei die Distanz zu den geschilderten Ereignissen ist. Der Tagebuchschreiber erzählt stets unmittelbar von Erlebtem, Gedachtem und Gefühltem. Der Autobiograph wiederum verfasst seinen Bericht rückblickend, von einem bestimmten Punkt seiner Entwicklung aus, d.h. er kann die dargestellten Ereignisse in ihrer Entwicklung überblicken und somit in einem temporalen und kausalen Zusammenhang präsentieren, schildert die Ereignisse demnach mit gesteigerter Objektivität.12
Neben diesen äußeren Abgrenzungskriterien tragen die differenten Erscheinungsformen dieser Textsorte erheblich zur Problematik der Gattungsbestimmung bei. Die Palette reicht von Künstlertagebüchern über „dokumentarische Diarien, Reistagebücher, Gedankenbücher aphoristischer Prägung, religiöse Selbstbesinnung in fortlaufenden Notizen, Werkstattjournale“13 bis hin zu politischen Tagebüchern. Zwar bestehen zwischen diesen Erscheinungsformen keine grundsätzlichen Unterschiede, sondern lediglich graduelle. Aber gerade diese fließenden Grenzen „machen es auch unmöglich einzelne Erscheinungsformen des Tagebuchs … aus dem Gesamtkomplex seiner verschiedenen Manifestationen herauszulösen“14. Da dem Schreiber zudem „weder in bezug auf den Inhalt noch auf den Umfang oder die äußere Form“ Regeln oder Muster gegeben werden, ist jedes Tagebuch im Grunde einzigartig und muss individuell
[...]
1 Hüttenberger, S. 27
2 Heinrich-Korpys, S. 72
3 Zit. nach Boerner, S. 33Auch Wuthenow erklärt, dass „eine genauere Typologie noch nicht oder höchstens im Sinne von vorläufigen Markierungen gewährleistet [werden kann], die Hinweis-, nicht aber Definitionscharakter besitzen.“ Vgl. Wuthenow, S. 8
4 Vgl. dazu Boerner, S. 12 f.
5 Zit. nach Wuthenow, S. 1
6 Zit. nach Boerner, S. 12
7 Vgl. dazu Boerner, S. 12 f.
8 Zit. nach Boerner, S. 12
9 Zit. nach Wuthenow, S. 2 Eine genaue Wesensbestimmung samt Grundfunktionen und Verwendung liefert Reinhard M.G. Nickisch (Metzler Sammlung, Bd. 260/ Stuttgart 1991). Vgl. dazu ebenfalls Pandel, S. 43f.
10 Da Schreiber und Leser beim Tagebuch meist identisch sind, bezeichnet Görner dieses als „adressatenfrei“. Vgl. S. 12 Allerdings nennen manche Tagebuchschreiber einen fiktiven Adressaten, wie beispielsweise bei Anne Frank, die an ihre Freundin Kitty schreibt. Ein gutes Beispiel für die fließenden Übergänge zwischen den Gattungen.
11 Vgl. Boerner, S. 13
12 Vgl. Heinrich-Korpys, S. 72f.
13 Zit. nach Wuthenow, S. 11
14 Zit. nach Boerner, S. 34 Auf den Seiten 14-16 macht Boerner den Versuch einer Systematisierung der Erscheinungsformen des Tagebuchs. Er zeigt unterschiedliche Ansätze auf und gibt weiterführende Literatur an.
- Arbeit zitieren
- Nicole Nette (Autor:in), 2005, Das Tagebuch als historische Quelle im Geschichtsunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53717
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