In dieser Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, welcher Sprache sich Religion bedient und wie diese gebraucht wird, aber auch welche sprachlichen Besonderheiten in der Fachsprache Religion vorherrschen. Des Weiteren sollen die spezifischen Anforderungen an einen sprachsensiblen Religionsunterricht sowie Möglichkeiten zur Umsetzung beleuchtet werden.
Hierzu werden im ersten Teil der Arbeit Definition und Kennzeichen eines sprachsensiblen Unterrichts aufgezeigt, bevor nachfolgend dezidiert auf die theoretischen Voraussetzungen eines sprachsensiblen Religionsunterrichts eingegangen wird. Hierbei werden gesondert sowohl die sprachlichen Herausforderungen des Religionsunterrichts, als auch Modelle sprachsensibler Didaktik im Religionsunterricht erläutert.
Der letzte Teil der Arbeit befasst sich mit der praktischen Ausgestaltung des Unterrichts selbst, wobei auch mehrere Beispiele sprachsensibler Unterrichtsplanung vor der abschließenden Zusammenfassung präsentiert werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Abgrenzung von Alltags- bzw. Umgangssprache, Bildungssprache und Fachsprache
3. Definition und Kennzeichen eines sprachsensiblen Fachunterrichts sowie dessen förderungswürdige Kompetenzen
3.1. Definition von sprachsensiblem Fachunterricht
3.2. Kennzeichen eines sprachsensiblen Fachunterrichts
3.3. Förderungswürdige Kompetenzen des sprachsensiblen Unterrichts
4. Sprachsensibler Religionsunterricht
4.1. Kompetenzvermittlung im Religionsunterricht
4.2.Stellung der Sprache im Religionsunterricht der Grundschule
4.2.1. Religion als tradierte Sprachüberlieferung
4.2.2. Religionsunterricht als Möglichkeit zur Erschließung der „Wirklichkeit"
4.2.3. Besonderheiten der religiösen Sprache
4.2.4. Sprachliche Anforderungen im Religionsunterricht
Verschiedene Textsorten
Mündliche Kommunikation
Metaphern
Symbole
Gleichnisse
Bilder
4.3. Modelle sprachsensibler Didaktik im Religionsunterricht
a) Verstehen lernen (hermeneutischer Ansatz)
b) Sprechen lernen (kommunikationsorientierter Ansatz)
c) Wahrnehmen und ausdrücken lernen (performativer Ansatz)
d) Auskunft geben lernen (diskursorientierter Ansatz)
5. Praktische Umsetzung im evangelischen Religionsunterricht
5.1. Wodurch wird Sprache in meinem Unterricht gefördert?
5.2. Sprachsensible Unterrichtsplanung am Beispiel des Gleichnisses „Der barmherzige Samariter" (Lk 10, 25-37) in der 2. Klasse VS
5.2.1. Planungsrahmen zur sprachsensiblen Unterrichtsplanung
5.2.2. Unterrichtsplanung 1.Stunde
5.2.3. Unterrichtsplanung 2. Stunde
5.2.4. Schlüsselworttabellen
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Unterrichtsinhalte werden über Sprache vermittelt und durch sie reproduziert. Sprache ist also unverzichtbar beim Erwerb von Wissen und Darstellen von Erkenntnissen.
Wie schon Ludwig Wittgenstein (2001, S. 43) postuliert hatte: „die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache", so kann sprachtheoretisch zwischen Sprache und Sprachgebrauch unterschieden werden (Altmeyer 2011, S. 32). Während man unter Sprache das abstrakte Sprachsystem aus Zeichen und Regeln versteht, so ist der Sprachgebrauch die konkrete Realisierung von Sprache (Krämer 2006).
In dieser Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, welcher Sprache sich Religion bedient und wie diese gebraucht wird, aber auch welche sprachlichen Besonderheiten in der Fachsprache Religion vorherrschen. Des Weiteren sollen die spezifischen Anforderungen an einen sprachsensiblen Religionsunterricht sowie Möglichkeiten zur Umsetzung beleuchtet werden.
Zuvor möchte ich mich noch einigen Definitionen von Sprachregistern zuwenden und danach einen kurzen Überblick geben, was unter einem „sprachsensiblen" oder „sprachbewussten" Unterricht, wie er auch genannt wird, zu verstehen ist.
2. Abgrenzung von Alltags- bzw. Umgangssprache, Bildungssprache und Fachsprache
Während man unter Alltagssprache diejenige Sprache versteht, die im täglichen Umgang verwendet wird und daher lt. Duden Online (2020) zwischen Standardsprache und Umgangssprache steht, ist die Bildungssprache ein formelles sprachliches Register.
Sprachbildung umfasst den angemessenen Erwerb eben dieser Bildungssprache. Nach Jürgen Habermas (1977, S. 40) ist „Bildungssprache dasjenige sprachliche Register, in dem man sich mit den Mitteln der Schulbildung ein grundlegendes Orientierungswissen verschaffen kann." Daher ist die Bildungssprache an das schulische Lernen gebunden. Einfach ausgedrückt ist die
Bildungssprache jene Sprache, die beim Lernen in der Schule zur Wissensvermittlung verwendet wird.
Einer Fachsprache wiederum ist ein bestimmtes Vokabular an Fachausdrücken eigen, die im jeweiligen Fachbereich vorkommen, aber sie zeichnet sich auch durch spezifische Merkmale im Bereich der Grammatik und des Textes aus, was oft das Verständnis des Lernstoffes erschwert. Das bedeutet, dass Bildungs- wie Fachsprache mit ihrer komplexen Syntax und mehrdeutigen sowie abstrakten Wörtern für Kinder eine große Hürde darstellen.
Laut Habermas (1977)unterscheidet sich die Bildungssprache von der Umgangs- oder Alltagssprache zum einen durch ihr hohes Maß an konzeptioneller Schriftlichkeit, zum anderen durch einen Wortschatz, der die Fachsprache miteinbezieht. Die Bildungssprache unterscheidet sich jedoch von der Fachsprache insofern, als sie allen zugänglich ist, die eine höhere Schulbildung haben. Das Beherrschen der Bildungssprache sei für den Alltag förderlich, da schwierige und anspruchsvolle Sinnzusammenhänge durch sie sprachlich durchdrungen und Informationen verarbeitet werden können.
Nach Leisen (2011, S. 6-7)zeigt sich Sprache im Fachunterricht in verschiedenen Ebenen und Formen. So sind in Fachtexten sowohl Ausführungen in Alltagssprache als auch in Fachsprache zu finden. Die Unterrichtssprache wiederum versucht den Lehr-Lern-Prozess zum Ausdruck zu bringen. Symbol-, Formal- und Bildsprache ergänzen die Fachsprache und alle gemeinsam spezifizieren die Bildungssprache.
3. Definition und Kennzeichen eines sprachsensiblen Fachunterrichts sowie dessen förderungswürdige Kompetenzen
3.1. Definition von sprachsensiblem Fachunterricht
Synonym wird für sprachsensiblen Fachunterricht auch oft „sprachbewusst" oder „sprachaufmerksam" verwendet.
Auf der Homepage des ISB (Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München) habe ich folgende Definition gefunden: „Unter sprachsensiblem Fachunterricht versteht man ein sprachbewusstes Arbeiten im Fach, bei dem Sprache nicht nur als Medium, sondern auch als Gegenstand des Unterrichts fungiert. [...] Fachliches und sprachliches Lernen erfolgen gemeinsam. Ohne sprachliche Kompetenz ist kein Fachlernen möglich und nur über den Erwerb der Fachsprache lassen sich fachspezifische Inhalte und Denkweisen erschließen und darlegen." Nach Leisen (2013) ist sprachsensibler Fachunterricht einfach der bewusste Umgang mit Sprache beim Lehren und Lernen im Fach.
Eine weitere Definition entnehme ich einem Internetartikel von Till Woerfel und Marlies Giesau (2018, S. 1): „Der Begriff sprachsensibler Unterricht steht für unterschiedliche Unterrichtskonzepte, die Sprache bewusst als Mittel des Denkens und Kommunizierens einsetzen, um fachliches und sprachliches Lernen zu verknüpfen. [...] Sie [Anm.: die Schüler*innen] lernen auch, diese sprachlichen Mittel inhaltlich, zweckbezogen, kontextuell und situativ angemessen selbst zu verwenden, indem sie unterschiedliche sprachliche Handlungen realisieren, z. B. beschreiben, erklären, diskutieren, argumentieren oder analysieren, um den Unterrichtsgegenstand aktiv zu verarbeiten." Als logische Konsequenz daraus ergibt sich, dass, wenn die sprachlichen Fähigkeiten fehlen, die Schüler*innen dem Unterricht nicht folgen und sie daher auch das Unterrichtsziel nicht erreichen können.
Nach der Definition auf der Seite des ISB sei aber genau das als wichtigstes Ziel zu sehen, dass die Schülerinnen und Schüler dem Unterricht folgen können. Daher soll die Aufmerksamkeit bewusst auch auf individuelle sprachliche Defizite und den Umgang mit Sprache gelegt werden, wobei die Sprachverwendung der Lehrkraft als Vorbild effektiv genutzt werden soll.
Dementsprechend bedeutet sprachsensibler Unterricht auch, sich an den Bildungsvoraussetzungen der Schüler*innen zu orientieren und die sprachlichen Herausforderungen bewusst zu gestalten.
Sprachsensibles Unterrichten gehört zu den drei Säulen der Sprachförderung für ordentliche wie außerordentliche Schüler*innen und Schüler (BMBWF, 2017). Jeder Unterricht sollte auch Sprachunterricht sein (vgl. Fuchs, Haberfellner, Öhlerer, 2014)."
3.2. Kennzeichen eines sprachsensiblen Fachunterrichts
Diese lassen sich am besten anhand einer Grafik von Josef Leisen (2020) darstellen, die ich seiner Homepage entnommen habe:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Sprachlernen im sprachsensiblen Fachunterricht
Nach Josef Leisen (2020) lernt man Bildungssprache dadurch, dass man „umfänglich von Bildungssprache umspült wird, indem man im Unterricht in ein Bildungssprachbad eintaucht. Das Sprachbad muss jedoch sprachlich reichhaltig sein."
Man kann sich dabei an folgenden Leitlinien orientieren:
1. Die Lerner werden in fachlich authentische, aber bewältigbare Sprachsituationen (Sprachbad) gebracht.
2. Die Sprachanforderungen liegen knapp über dem individuellen Sprachvermögen (kalkulierte sprachliche Überforderung).
3. Die Lerner erhalten so viele Sprachhilfen, wie sie zum erfolgreichen Bewältigen der Sprachsituationen benötigen (Sprachförderung).
Sprachsensibler Unterricht findet im Regelunterricht und in allen Fächern statt und ist ganz besonders auf Bildungssprache und Fachsprachen fokussiert (nach Fuchs et. al., 2015)
3.3. Förderungswürdige Kompetenzen des sprachsensiblen Unterrichts
Im sprachsensiblen Fachunterricht werden laut ISB folgende Kompetenzen gefördert:
- Sprechen und Zuhören
- Lesen und Schreiben
- Aussprache und Intonation
- Orthographie
- (Fach-)Wortschatzerweiterung
- Grammatik
Nach Buttler (2017) muss sowohl in Mündlichkeit (Kompetenzbereiche „Hören", „Sprechen" und „Miteinander Reden") als auch in Schriftlichkeit („Lesen", „Umgang mit Texten und Medien", „Texte verfassen" und „Rechtschreiben")" auf den Aufbau aktiver und passiver bildungssprachlicher Kompetenzen hingewirkt werden.
Josef Leisen (2020) bezeichnet die Förderungsmittel als „Methoden-Werkzeuge". Diese sind „lehrergesteuerte oder schüleraktive Verfahren, Materialien, Hilfsmittel zur Unterstützung von Lehr- und Lernprozessen. Methoden-Werkzeuge werden in sprachlichen Standardsituationen des sprachsensiblen Fachunterrichts als Materialien und Lehr- und Lernhilfen eingesetzt." Dabei handelt es sich z.B. um Wortlisten, Wortgeländer, Sprechblasen, Lückentexte, Textpuzzles, Wortfelder, Bilder, Zuordnungen und vieles mehr.
Eine spezielle Methode des sprachsensiblen Unterrichts ist „Scaffolding". Bei dieser Hilfestellung handelt es sich um ein „Gerüst", das es dem Lernenden ermöglichen soll, Aufgaben selbständig zu bearbeiten. Es wird jedoch nur so viel Hilfe angeboten, wie unbedingt gebraucht wird, um eine Aufgabe zu erfüllen. Das Grundziel ist der Aufbau von Verständnis und sprachlicher Handlungsfähigkeit. „Scaffolding" kann auch als Überbegriff für ein breites Spektrum an unterstützenden Maßnahmen verstanden werden.
4. Sprachsensibler Religionsunterricht
4.1. Kompetenzvermittlung im Religionsunterricht
Laut dem neuen Evangelischen Lehrplan (BMBWF, 2019) sollen im Religionsunterricht prozessbezogene Kompetenzen in den Kompetenzbereichen der Perzeption (Wahrnehmen und Beschreiben), der Kognition (Verstehen und Deuten), der Performanz (Gestalten und Handeln), der Interaktion (Kommunizieren und (Be)urteilen) und der Partizipation (Teilhaben und Entscheiden) vermittelt werden. Als Grundkompetenzen werden folgende Ziele formuliert (BMBWF, 2019: S. 1-2)
- Sich selbst und das eigene Lebensumfeld offen und differenziert wahrnehmen
- Beziehungen achtsam und wertschätzend gestalten
- Grundlagen und Grundformen evangelischen Glaubens verstehen
- Ausdrucksformen des Glaubens kennen, reflektieren, gestalten
- Inhalte und Deutungsmuster eigener und anderer Konfessionen/Religionen/Weltanschauungen kennen und respektvoll kommunizieren sowie Zweifel und Kritik artikulieren
- Herausforderungen unserer Welt wahrnehmen, auf Grund des evangelischen Glaubens Stellung beziehen und ethisch verantwortlich handeln
Es lässt sich feststellen, dass genaugenommen keine der Kompetenzen ohne Sprache auskommt, wobei die Sprachhandlungen „Wahrnehmen und Beschreiben", „Verstehen und Deuten", „Kommunizieren und Beurteilen" die Kernbereiche von religiöser Sprache betreffen. In den Grundkompetenzen sind die sprachlichen Anteile in den Worten „reflektieren", „respektvoll kommunizieren", „Zweifel und Kritik artikulieren" und „Stellung beziehen" zu finden. Dies zeigt deutlich, wie Inhalte und Spracherwartungen miteinander verwoben sind. Somit ist der Religionsunterricht auch als wertvoller Beitrag zur Entwicklung allgemeiner Sprachkompetenz zu sehen und erfüllt durch den gezielten Aufbau bildungs- und fachsprachlicher Kompetenzen ebenso die Anforderungen eines sprachsensiblen Unterrichts.
4.2. Stellung der Sprache im Religionsunterricht der Grundschule
4.2.1. Religion als tradierte Sprachüberlieferung
Im Religionsunterricht werden sowohl die biblische Überlieferung als auch die kirchliche Glaubenstradition sprachlich vermittelt. Die religiösen Erfahrungen und Traditionen besitzen ihre eigenen charakteristischen Sprachformen, die aber erst von den Lernenden erschlossen werden müssen. Sprache ist also der entscheidende Schlüssel für „spezifisch religiöse Lernprozesse", so Altmeyer (2013, S. 365).
Sogar die biblischen Verfasser wussten schon um die Bedeutung und Macht der Sprache, wenn im Johannesevangelium (Joh 1, 1 ) zu lesen ist: „ Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort." Besonderes Gewicht erhält das „Wort" im Schöpfungsbericht, in dem Gott das ganze Universum nur durch das „Wort" erschuf: „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht!", wie in der Lutherbibel (2017)unter Gen 1,3 nachzulesen ist.
4.2.2. Religionsunterricht als Möglichkeit zur Erschließung der „Wirklichkeit"
Die biblischen Geschichten berichten von menschlichen Grunderfahrungen. Sollen sich Kinder mit ihrer Erfahrungs- und Erlebniswelt einerseits in dieser Projektionsfläche wiederfinden, so bieten die Geschichten andererseits auch einen Anlass für das Hinterfragen des eigenen Erlebens. Beides stellt wiederum hohe Anforderungen an Grundschüler. Um ihnen gerecht zu werden, müssen sie ihre eigenen Gefühle, Meinungen und Überzeugungen reflektieren und verbalisieren zu können.
„In der Sprache erschließt sich der Mensch die Wirklichkeit", so Schulte (2018, S. 7).Eigenes Erleben wird im religiösen Kontext in einen Sinnzusammenhang gebracht, der Orientierung bieten kann und dazu bedarf es der Sprache. Außerdem lässt sich Glaube weitgehend nur durch Sprache mitteilen. Nach Schulte gibt die religiöse Sprache Hoffnung auf die Möglichkeiten des Menschseins.
Altmeyer (2014 S. 154-174)behauptet, dass „Sprache nicht allein Medium zur Wissensvermittlung sei, sondern Mittel zur Ausbildung religiöser Sinnhaftigkeit. Sie soll den Lernenden Impulse zur und Hilfestellung bei der Entwicklung einer eigenen Religiosität geben". Außerdem sei „zum Verständnis religiöser Sprache die individuelle Erfahrung des Einzelnen notwendig sowie das Gespräch darüber damit sich der tiefere Sinn der theologischen Aussage erschließen kann."
4.2.3. Besonderheiten der religiösen Sprache
Unabhängig davon, wie gut die Kinder die Sprache beherrschen, in der ihnen Unterricht erteilt wird, ist festzuhalten, dass die sprachliche Thematisierung religiöser Erfahrungen schon per se eine Herausforderung darstellt. Religiöse Sprache stößt im Ausdrücken religiöser Inhalte immer wieder an Grenzen, denn sie lässt manches im Unklaren, da sie über die eigentliche Bedeutung der Inhalte hinausweist. Als Sprache der Tradition muss sie erst verstanden und verarbeitet werden (vgl. Schulte 2001, S. 34-43). Da sich religiöse Sprache dadurch auszeichnet, dass sie transzendente Wahrheiten abbildet, fungiert der Religionslehrer quasi als sprachlicher Vermittler und die Interpretation von Sprache ist ein zentraler Bestandteil von Religion.
Die Glaubenssprache mit ihren abstrakten und verdichteten Begriffen sowie ihren veralteten Sprachformen hat sich mittlerweile auch sehr weit von der Alltagssprache entfernt und daher sind zentrale Begriffe, wie z.B. Segen, Himmel oder Auferstehung in ihrer Bedeutung nicht mehr geläufig. Halbfas (2009, S. 458) spricht in diesem Zusammenhang sogar von „religiöser Alphabetisierung", die vom Religionsunterricht geleistet werden muss.
Aufgrund der vielfältigen Anforderungen bezeichnet Stefan Altmeyer (2018: S. 193 f.) die „Religionssprache" sogar als „Fremdsprache", die in unserer heutigen Welt erst erlernt werden muss, um verstanden und angewendet werden zu können. Daher sei der Religionsunterricht als Ort der religiösen Sprachbildung zu sehen. Altmeyer vergleicht sogar Kinder, die nicht religiös sozialisiert sind mit den nicht-Muttersprachlern (ebenda S. 192). Die Kernaufgabe religiöser Bildung sieht Altmeyer darin, „den Lernenden zu helfen, ihre eigene Sprache zu entdecken, eine Sprache, in der sie plausibel und verständlich religiös und über Religion sprechen sowie den Unterschied beider Perspektiven benennen und ihre Position begründen können" (Altmeyer 2018, S. 202 f.). Der deutsche Theologe und Schriftsteller Paul Konrad Kurz (2004, S. 95) nennt die Sprache der Religion übrigens „Anderssprache" oder „Gegensprache".
Eine besondere Herausforderung stellt die religiöse Sprache unter diesen Umständen für Kinder dar, die mehrsprachig aufwachsen und noch mit dem elementaren Spracherwerb beschäftigt sind. Auch bei konfessionslosen Kindern, die den Religionsunterricht besuchen, sind meist andere sprachliche Voraussetzungen gegeben als bei religiös sozialisierten Kindern, denen die religiöse Sprache schon etwas vertrauter ist.
Aber nicht nur Sprache im linguistischen Sinn spielt im Religionsunterricht eine Rolle, sondern auch die Bildersprache, die Sprache der Musik, des kreativen Ausdrucks und nicht zuletzt auch die Körpersprache eröffnen verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten, die gelernt werden können, aber auch gelernt werden müssen, um in Religion hineinzuwachsen. Diese „Sprachen" überschneiden und ergänzen sich gegenseitig. Und so verstehe ich auch den Religionsunterricht als Auftrag, diese „Mehrsprachigkeit" zu fördern.
4.2.4. Sprachliche Anforderungen im Religionsunterricht
Verschiedene Textsorten
Im Religionsunterricht hat man es mit verschiedenen Textsorten zu tun wie Gebeten, Psalmen, Liedern, Bibeltexten, Texten auf Arbeitsblättern usw., denen jeweils eine bestimmte Form von Sprache eigen ist. Daher ist auch das Verstehen und Verwenden von Fachsprache gefordert, um die Metaphern, Synonyme und Symbole richtig zu begreifen.
Mündliche Kommunikation
Zentraler Bestandteil meines Religionsunterrichts in der Grundschule ist das Erzählen von Geschichten. Dabei spielt natürlich auch das offene Unterrichtsgespräch mit gezielter Fragestellung eine große Rolle, denn so können Kinder ihre persönlichen Ansichten und Erfahrungen kommunizieren, was ihnen nicht immer leichtfällt. Ebenso sind die verbalen Fähigkeiten besonders hinsichtlich Wortwahl und Syntax bei der Reproduktion von biblischen Erzählungen gefordert. Aber gerade im Umgang mit religiösen Texten, Liedern und Gebeten entdecken Kinder eine Sprache, die Gefühle, Ängste und Hoffnungen zum Ausdruck bringt.
Nach Oberthür (1997) lösen Geschichten bei Kindern den Prozess des Nachdenkens aus und wecken Fragen, Assoziationen, Imagination und Fantasie. Um diese inneren Eindrücke zu verbalisieren, braucht es sprachliche Fähigkeiten. Schließlich soll der Religionsunterricht Schüler*innen auch dazu befähigen, sich mit ethischen und philosophischen Fragestellungen verbal auseinanderzusetzen und eine begründete Position dazu einnehmen zu können.
Metaphern
Nach Pietz, Volke und Voßen (2012) sind die besonderen sprachlichen Anforderungen im Religionsunterricht vor allem in Metaphern, Symbolen und Gleichnissen zu sehen. Biblische Texte sind reich an Metaphern. Diese Bilder sprechen Glaubenswahrheiten an, welche die menschliche Vorstellungskraft und das Sprachvermögen übersteigen, weil sie versuchen, die transzendente Wirklichkeit zu verbalisieren. Nach Oberthür (1995, S. 33) „eröffnen Metaphern ein ,Mehr' an Bedeutung [...] und sind unübersetzbar". Die Vieldeutigkeit dieser bildhaften Sprache macht es möglich, dass persönliche Erfahrungen gut mit ihr verknüpft werden können. Zugleich stellen Metaphern eine sprachliche und kognitive Herausforderung dar, die es vor allem in der Grundschule zu bewältigen gilt.
Symbole
Auch Symbole gehören zur Ursprache des Glaubens, denn sie teilen Botschaften mit, welche durch ihren Bedeutungsüberschuss ebenfalls die sprachlichen Möglichkeiten übersteigen. Daher kommt der Symboldidaktik im Religionsunterricht eine wichtige Aufgabe zu (Biehl, 1991). Nach Halbfas (2012, S. 58) wollen Symbole und Metaphern erstens „erzählt, bedacht, assoziativ umrundet, gespielt, meditiert und erlebt" sowie zweitens auch immer „befragt, analysiert, auf Herkunft und Wirkung hin kritisch untersucht werden." Mit Symbolen lässt sich die Welt des christlichen Glaubens verstehen und erschließen, aber dazu braucht es die Anleitung der Religionslehrer*innen (Schulte 2001). Laut Altmeyer (2014) finden Grundschulkinder jedoch eher leichter Zugang zu religiöser Sprache, da sie Symbole, Legenden usw. meist unkritisch gebrauchen, was mit zunehmender kognitiver Entwicklung schwieriger wird.
Gleichnisse
Biblische Gleichnisse gehören zur Weltliteratur. Sie beinhalten eine Lehre, die jedoch Raum für unterschiedliche Deutungen und Sichtweisen lässt. Das zentrale Problem darin kann unterschiedlich beurteilt werden. Da Gleichnisse für das einfache Volk gedacht waren, folgen sie meist einer einfachen Erzählstruktur und berichten von Ereignissen aus dem täglichen Leben (Epping 2009, S. 108-110). Daher sind sie vielleicht leichter verständlich als Symbol und Metapher.
Bilder
Einen besonderen Stellenwert haben Bilder im Religionsunterricht, vor allem die sogenannten „Deute-Bilder" (Orth 2002, S. 489 ff) Sie können dabei helfen, eine tiefere Dimension der Wirklichkeit zu eröffnen, da sie intensivere Eindrücke beim Betrachter hinterlassen und sich stärker einprägen als Worte (Orth 2002, S. 490).Darüber hinaus werden sie ja im Unterricht beschrieben, analysiert und gedeutet und mit eigenen Erfahrungen verknüpft, was die sprachliche Ausdrucksfähigkeit enorm fördert.
4.3. Modelle sprachsensibler Didaktik im Religionsunterricht
Altmeyer (2014, S. 164-169)stellt in seiner Publikation „Sprache im Religionsunterricht" vier Modelle vor:
a) Verstehen lernen (hermeneutischer Ansatz)
Relevant bei diesem Modell ist, wie die Inhalte religiöser Bildung von den Schüler*innen erschlossen werden können und auf welche Weise Sprache eingebracht wird, damit sie den Lernenden zugänglich wird. Sprache wird dabei in ihrer darstellenden und symbolischen Funktion betrachtet.
b) Sprechen lernen (kommunikationsorientierter Ansatz)
Hierbei geht es vor allem um den Gebrauch religiöser Sprache in authentischen und religiösen Kommunikationssituationen (vgl. Schulte 2001).Es reicht nicht, die Sprache der Religion zu verstehen, sondern Sprachkompetenz ergibt sich erst aus der Aneignung und Anwendung. Dies wiederum gelingt nur durch Kommunikation über religiöse Fragestellungen und in der Reflexion über religiöses Sprechen. Bei diesem Modell wird Sprache als Medium der Kommunikation verstanden.
c) Wahrnehmen und ausdrücken lernen (performativer Ansatz)
Im performativen Ansatz geht es darum, für die individuelle Religiosität zu sensibilisieren und Formen einer subjektiven „Sprache für Religiöses" (Kohler-Spiegel 2002, S 58) zu entdecken. Dies kann z.B. mit der Methode des Bibliodramas erreicht werden. Sprache fungiert hier als Mittel, um die eigene religiöse Identität zu entdecken und zu artikulieren.
d) Auskunft geben lernen (diskursorientierter Ansatz)
In diesem Modell wird Sprache als Kommunikationskompetenz aufgefasst. Auf dem Gebiet der Religion bedeutet dies, dass ein kompetenter Sprecher hier ein religiöses Basiswissen und Vokabular zur Hand hat, um am gesellschaftlichen Diskurs über Religion teilzunehmen und auch religiöse Urteilsfähigkeit zu erlangen. Die Sprache wird dabei als Medium wahrgenommen, um Bedeutungen zu artikulieren, aber auch um Geltungsansprüche und Machtinteressen zu vertreten.
Altmeyer plädiert für einen multiperspektivischen Ansatz, je nach Lernsituation, da alle Modelle relevant sind.
5. Praktische Umsetzung im evangelischen Religionsunterricht
5.1. Wodurch wird Sprache in meinem Unterricht gefördert?
In erster Linie bietet mein Religionsunterricht vielfältige Sprechanlässe, jedoch wird auch das konzentrierte Zuhören bei Geschichten eingeübt und in der Vertiefungsphase werden die Schüler*innen sowohl im kreativen Ausdruck als auch in ihrer Lese- und Schreibkompetenz gefordert.
5.2. Sprachsensible Unterrichtsplanung am Beispiel des Gleichnisses „Der barmherzige Samariter" (Lk 10, 25-37) in der 2. Klasse VS
Für das Thema habe ich zwei Unterrichtseinheiten in einer altershomogenen Gruppe mit fünf Schüler*innen geplant. Ein Kind in der Gruppe hat Englisch als Muttersprache, verfügt aber bereits über einen guten deutschen Wortschatz und nahezu richtiger Sprachstruktur.
Der thematische Zugang ergibt sich aus dem Lehrplanbezug mit dem Lernschwerpunkt: „Augen haben wie Jesus - wir nehmen einander wahr". In der ersten Stunde konzentrierte ich mich auf das Wahrnehmen und genaue Hinsehen, in der zweiten Unterrichtsstunde wurde das Gleichnis erarbeitet.
5.2.1. PLANUNGSRAHMEN zur sprachsensiblen Unterrichtsplanung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
5.2.2. Unterrichtsplanung l.Stunde
In dieser Stunde soll überwiegend folgende religiöse Grundkompetenz angesprochen werden: „sich selbst und das eigene Lebensumfeld differenziert wahrnehmen". Von den Sprach- handlungen her, nimmt das Sprechen in dieser Stunde den meisten Raum ein.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
5.2.3. Unterrichtsplanung 2.Stunde
Religiöse Grundkompetenzen in dieser Stunde sind: „Grundformen und Grundlagen des evangelischen Glaubens verstehen" und „Herausforderungen unserer Welt annehmen, aufgrund des evangelischen Glaubens Stellung beziehen und ethisch verantwortlich handeln".
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
5.2.4 Schlüsselworttabellen nach Tajmel (2011):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
6. Fazit
Zusammenfassend möchte ich feststellen, dass Sprache im Religionsunterricht aufgrund der biblischen Erzähltradition einen besonders hohen Stellenwert hat. Ich behaupte sogar, dass Sprache und Religion untrennbar miteinander verbunden sind und, dass gerade der Religionsunterricht „die" Plattform für einen sprachsensiblen Fachunterricht ist. Bei den Schü- ler*innen muss erst, durch die Besonderheiten der religiösen Sprache mit ihrem Bedeutungsüberhang, Sensibilität dafür aufgebaut und geschaffen werden. Ludwig Wittgenstein (2001, S. 134) hat einmal gesagt: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." Das trifft sicher meistens zu, aber, meiner Meinung nach, gerade nicht für die religiöse Sprache, die versucht unser Dasein transzendent zu beleuchten und damit über die Grenzen unserer Welt hinaus eine andere Dimension eröffnet.
Literatur
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BMBWF (2020): Lehrpläne für den Evangelischen Religionsunterricht https://www.ris.bka.gv.at/eli/bgbl/II/2019/395; Anlage1: BGBl. II Nr. 395/2019 (S. 1-4) (besucht am 22.02.2020)
Duden online: Bibliographisches Institut GmbH (2020): Alltagssprache: https://www.duden.de/rechtschreibung/Alltagssprache (besucht am 22.02.20)
ISB (Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München)(o.J.): 1.Was versteht man unter einem sprachsensiblen Fachunterricht und warum ist dieser notwendig? https://www.isb.bayern.de/schulartuebergreifendes/schule-und-gesellschaft/migration- interkulturelle-kompetenz/fluechtlinge/sprachfoerderung/sprachsensiblerunterricht/ (besucht am 22.02.2020)
ISB (o.J.): 2. Welches sind die wichtigsten Ziele eines sprachsensiblen Fachunterrichts? https://www.isb.bayern.de/schulartuebergreifendes/schule-und-gesellschaft/migration- interkulturelle-kompetenz/fluechtlinge/sprachfoerderung/sprachsensiblerunterricht/ (besucht am 26.01.2020)
ISB (o.J.): 3. Welche sprachlichen Kompetenzen sollten auch im sprachsensiblen Fachunterricht gefördert werden? https://www.isb.bayern.de/schulartuebergreifendes/schule-und- gesellschaft/migration-interkulturelle- kompetenz/fluechtlinge/sprachfoerderung/sprachsensiblerunterricht/ (besucht am 26.01.2020)
Leisen, Josef: Praktische Ansätze schulischer Sprachförderung - Der sprachsensible Fachunterricht. In: http://www.hss.de/download/111027 RM Leisen.pdf (besucht am 26.01.2020)
Leisen, Josef (2020): Sprachlehren und Sprachlernen http://www.sprachsensiblerfachunterricht.de/sprachbildung (besucht am 26.01.2020)
Leisen, Josef (2020): Sprachlehren und Sprachlernen 2020 http://www.sprachsensiblerfachunterricht.de/methoden-werkzeuge (besucht am 26.01.20)
Peter, Karin (o.J.): Zwischen Sprachlosigkeit, Alltagssprache und Sprache, die über alles hinausführt https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:PI778smtE4wJ:https://uscholar.u nivie.ac.at/get/o:930778+&cd=11&hl=de&ct=clnk&gl=at&client=firefox-b-d (besucht am 19.01.2020)
Pietz, Sabrina; Volke, Saskia; Vossen, Nina (2012): Sprache und Glaube? Eine Herausforderung für den Religionsunterricht https://www.uni- due.de/imperia/md/content/prodaz/pietz volke vossen sprache und glaube.pdf (besucht am 01.02.2020)
Vortrag religiöse Kompetenz (2015): https://www.institut-fuer-sozialstrategie.de/wp- content/uploads/2015/05/rel vortrag religioese kompetenz.pdf (besucht am 19.01.2020)
Woerfel, Till & Giesau, Marlis (2018): Sprachsensibler Unterricht. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache (Basiswissen sprachliche Bildung): https://www.mercator-institut- sprachfoerderung.de/de/themenportal/thema/sprachsensibler-unterricht/ (besucht am 18.01.2020)
- Arbeit zitieren
- Margrit Springer-Schwarz (Autor:in), 2020, Wie gelingt sprachsensibler Fachunterricht an der Grundschule? Der evangelische Religionsunterricht als Beispiel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/537147
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