Allem gesellschaftlichen Wandel zum Trotz tritt die parlamentarische Repräsentanz von Frauen in Deutschland auf der Stelle. Auf der Suche nach möglichen Gründen werden die Ergebnisse der Kommunalwahl 2014 in sechs kommunalen Gebietskörperschaften in Baden-Württemberg analysiert. Das Analysemodell basiert auf dem von Holtkamp et al. entwickelten Marktmodell, wonach drei Akteure die Repräsentation von Frauen in den Parlamenten maßgeblich beeinflussen: Kandidatinnenpool, Parteien und Wählermarkt. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Rolle der Parteien als Gatekeeper.
Das gewählte Analysemodell bietet den Vorteil, dass es den Dualismus von handlungsorientierten und institutionalistischen Ansätzen aufhebt und miteinander verzahnt. Die in verschiedenen Studien unter den Begriffen Sozialisations-, Abkömmlichkeits-, Sozialstruktur-, Diskriminierungs-, Quotenthese und Wählerverhalten herausgearbeiteten Erklärungsvariablen für die Unterrepräsentanz von Frauen, werden den drei oben genannten Adressaten zugeordnet.
Die Mandatsverteilung stellt sich in diesem Modell als Ergebnis eines Marktprozesses mit zwei Selektionsstufen dar. Eine zentrale Rolle spielen hierbei die Parteien bzw. Wählervereinigungen, die zum einen in parteiinternen Nominierungsprozessen Personen aus dem Kandidatenpool auswählen, und zum anderen diese zu einem Angebot für den Wählermarkt auf ihren Listen bündeln. Eine besondere Berücksichtigung erfahren in dieser Untersuchung auch die kommunalen Spezifika.
Die Untersuchung zeigt unter anderem, dass der Einfluss der Parteien zwar groß ist, durch das Wahlsystem in Baden-Württemberg aber auch eine deutliche Einschränkung erfährt, da hier die Rolle des Wählermarkts durch die Möglichkeit des Kummulierens und Panaschierens gestärkt wird.
Inhalt
1. Einleitung
2. Theoretischer Analyserahmen
2.1 Forschungsstand zur kommunalen Frauenrepräsentanz
2.2 Erklärungsmodell für kommunale Frauenrepräsentanz auf Grundlage des akteurzentrierten Institutionalismus
2.2.1 Der akteurzentrierte Institutionalismus
2.2.2 Das Erklärungsmodell für kommunale Frauenrepräsentanz
2.3 Angewandte Untersuchungsmethode, Aufbau und Zielsetzung
3. Frauenunterrepräsentanz in den sechs kommunalen Untersuchungseinheiten
3.1 Sitzanteile und Frauenanteile
3.1.1 Gemeinderäte der Großstädte
3.1.2 Kreistage
3.2 Listenaufstellungen der Quotenund Quorumsparteien für die Kommunalwahl
3.2.1 Listenaufstellung der Grünen
3.2.2 Listenaufstellung der Linken
3.2.3 Listenaufstellung der SPD
3.2.4 Listenaufstellung der CDU
3.3 Betrachtung des Wählermarkts
3.3.1 Verhalten des Wählermarkts in den Großstädten
3.3.2 Verhalten des Wählermarkts in den Landkreisen
3.3.3 Das Verhalten des Wählermarkts und die Größe der Listenwahlkreise
3.4 Kandidatenpool: Auswahl der Kandidatinnen –Untersuchung auf Grundlage von Interviews
3.4.1 Sozialisationsthese
3.4.2 Abkömmlichkeitsthese
3.4.3 Sozialstrukturthese
4. Diskussion der Ergebnisse
4.1 Rückbezug auf die Hypothesen und die Forschungsfrage
Hypothese H1
Hypothese H2
Hypothese H3
Hypothese H4
4.2 Überlegungen zum Erklärungsmodell für kommunale Frauenrepräsentanz
4.2.1 Der Akteur Partei
4.2.2 Der Akteur Kandidatenpool
4.2.3 Der Akteur Wählermarkt
5 Fazit und Ausblick
Abkürzungsverzeichnis
Interviewleitfaden
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Die qualitativen Interviews sind aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht Teil dieser Veröffentlichung.
1. Einleitung
100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland und allem gesellschaftlichen Wandel zum Trotz, der sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten u.a. im Bereich der Kinderbetreuung und bei den Bildungsabschlüssen von Frauen feststellen lässt (BMFSFJ 2016), tritt die parlamentarische Repräsentanz der Frauen auf der Stelle. Auf der einen Seite werden Frauen in der Politik zwar zunehmend sichtbar, wenn in Deutschland mit Angela Merkel seit 2005 eine Frau an der Regierungsspitze steht und mit Ursula von der Leyen im November die erste weibliche Kommissionspräsidentin ihr Amt antreten wird. Doch andererseits ist die politische Kultur in Deutschland nach wie vor sehr maskulin geprägt, wie Steg noch im vergangenen Jahr konstatierte (Steg 2018: 345).
Dies drückt sich auch in der parlamentarischen Unterrepräsentanz aus. Mitte der 1980er Jahre hatte der Anteil von Frauen im Bundestag und in den Landesparlamenten zum ersten Mal den Sprung in den zweistelligen Bereich geschafft und pendelte sich um die Jahrtausendwende bei ca. 30% ein. Dabei gibt es bei der Repräsentation von Frauen gerade in den Landesparlamenten große Unterschiede. Die Bandbreite reicht von 40,6% in Thüringen bis zu 24,5% in Baden-Württemberg (lpb 2018). Von einer flächendeckenden, stetigen Steigerung kann also nicht die Rede sein. In der aktuellen Wahlperiode fiel der Frauenanteil im Bundestag sogar wieder von seinem Höchststand mit 36,5% in der 18. Wahlperiode auf derzeit 31,3% Parlamentarierinnen (Deutscher Bundestag 2019).
Besonders schlecht scheint es um die Vertretung der baden-württembergischen Frauen bestellt zu sein. Nicht nur, dass Baden-Württemberg fast während seines gesamten Bestehens den geringsten Frauenanteil unter allen Landesparlamenten hatte (s. bspw. lpb 2018; Glück 2018), auch unter den 39 direkt gewählten Wahlkreisabgeordneten für den Bundestag waren 2017 lediglich drei weiblich, was einem Anteil von gerade einmal 8,1% entspricht (Deutscher Bundestag 2019)1. Ebenfalls 8% beträgt der Frauenanteil unter den Bürgermeister*innen in Baden-Württemberg, bei den Oberbürgermeister*innen sind es gar nur 6,8% (Schlager 2018: 7f), was aber immer noch eine deutliche Steigerung gegenüber dem Jahr 2015 bedeutet, als Baden-Württemberg mit einem Anteil von 4,8% Frauen unter den Bürgermeister*innen den letzten Platz unter den 16 Bundesländern belegte (Belschner 2016: 171).
Einzig in den Gemeinderäten scheint es um die Repräsentation der baden-württembergischen Frauen besser gestellt zu sein. Bei einem Vergleich von Holtkamp/Schnittke mit nordrhein-westfälischen Kommunen, war der Anteil weiblicher Räte in allen Gemeindegrößeklassen höher, was das Autorenteam auf die jeweiligen Nominierungsmuster, die das unterschiedliche Wahlrecht hervor bringt, zurückführt (Holtkamp/Schnittke 2008: 57ff). Auf diesen Aspekt wird das folgende Kapitel zum Forschungsstand gleich noch näher eingehen. Zunächst sei jedoch darauf hingewiesen, dass diese zunächst positiv erscheinende Feststellung auf den zweiten Blick einer gewissen Ernüchterung weicht. Da in Baden-Württemberg die kleinen und mittleren Kommunen mit einem niedrigen Frauenanteil dominieren, ergab sich als Gesamtschnitt bei der Kommunalwahl 2014 ein Frauenanteil von 23,9%. Und selbst dieser niedrige Prozentsatz wird noch dadurch relativiert, dass in dreiviertel aller Kommunen der Frauenanteil darunter liegt (Schlager 2018: 15ff). In 22 Gemeinderäten sind die Männer unter sich (Autzen 2014: 36). Grund genug also, sich mit diesem offensichtlichen Repräsentationsdefizit auf der kommunalen Ebene eingehender zu beschäftigen. Der Schwerpunkt dieser vorliegenden Untersuchung, die auf den Ergebnissen der Kommunalwahl 2014 in sechs kommunalen Gebietskörperschaften und auf sechs Interviews mit Gemeinderätinnen aus Stuttgart und Ulm basiert, wird dabei auf der Rolle der Parteien als „ Gatekeeper “ liegen.
Die wichtigsten Erkenntnisse der bisher im Forschungsfeld erschienenen Beiträge werden im nachfolgenden Kapitel 2.1 resümiert. Daran schließt sich die Vorstellung des theoretischen Analyserahmens in 2.2 sowie die Beschreibung von Untersuchungsmethode und –ziel in 2.3 an. Der analytische Teil ist in zwei Bereiche gegliedert: der erste mit den Kapiteln 3.1 und 3.2 widmet sich dem deskriptiven Vergleich, während der zweite (Kapitel 3.3 und 3.4) sich mit der Ursachenanalyse beschäftigt. Anschließend werden die Ergebnisse im 4. Kapitel diskutiert, ehe im letzten Kapitel 5 ein Fazit gezogen und ein kleiner Ausblick gegeben wird.
2. Theoretischer Analyserahmen
2.1 Forschungsstand zur kommunalen Frauenrepräsentanz
Von einer Unterrepräsentanz der Frauen spricht die Forschung, wenn ihr Sitzanteil im Parlament deutlich unter dem Bevölkerungsanteil liegt, der im vergangenen Jahr in Deutschland 51% betrug2 (Holtkamp/Schnittke 2010: 73). Paritätisch besetzte Kommunalparlamente gab es nach den Wahlen 2014 in Baden-Württemberg lediglich in 10 von 1101 Gemeinden, eine weibliche Ratsmehrheit fand sich in keinem Gemeinderat (Autzen 2014: 36).
Mit Ausnahme der baden-württembergischen Kommunalräte, werden alle in der Einleitung aufgeführten Positionen über eine Direktkandidatur vergeben. Das gilt für die Wahlkreisabgeordneten für den Bundestag, genauso wie für alle Landtagsmandate in Baden-Württemberg und die Wahl der (Ober-) Bürgermeister*innen. Frauen haben es in Duellsituationen – also in direkter Konkurrenz mit anderen Kandidat*innen um lediglich ein zu vergebendes Mandat – schwer, sich durchzusetzen (s. bspw. Norris 2004: 187). Solche stark personenbezogene Elemente im Wahlsystem stellen für den Wahlerfolg von Frauen ein Hindernis dar (Holtkamp/Schnittke 2008: 56), wie auch die in der Einleitung angeführten Zahlen belegen. Die Studie von Davidsohn-Schmich/Kürschner zeigt, dass bei den Direktkandidaturen für den Bundestag 2009 auch die Quotenparteien Grüne und Linke mit einem Frauenanteil von 36% bzw. 28% deutlich hinter dem selbstgesteckten Ziel einer paritätischen Besetzung zurückblieben (Davidsohn-Schmich/Kürschner 2011: 31).
Dem Verhältniswahlrecht dagegen wird eine positive Auswirkung auf die Geschlechterparität bescheinigt. Hier findet kein direkter Vergleich zwischen den Kandidat*innen statt und die Entscheidungsprozesse im Nominierungsverfahren sind anders geprägt als in Duellsituationen, die für die beteiligten Akteure ein Nullsummenspiel darstellen. Quotenregelungen lassen sich bei der Listenaufstellung im Verhältniswahlrecht besser anwenden. Dadurch dass mehrere Kandidaturen sozusagen „im Paket“ vergeben werden, besteht ein Anreiz für die Parteien, die Listen ausgewogen nach strategischen Gesichtspunkten zu besetzen (Holtkamp et al. 2013: 7f). Dieses als „ ticket-balancing “ bezeichnete Vorgehen, wird mit Blick auf die Balance der Geschlechter von den Parteien, die eine Quote eingeführt haben, entsprechend ihrer freiwilligen Selbstverpflichtung in der Regel zumindest in den Großstädten eingehalten, wie auch diese Analyse in Kapitel 3.2 zeigt3. Bei den Parteien ohne feste Quote bekommt das geschlechterparitätische „ ticket-balancing “ allerdings verschiedentlich eine Schlagseite. So stellt Steg in seiner Untersuchung fest, dass Frauen seltener auf aussichtsreichen Plätzen aufgestellt werden (Steg 2018: 347). Auch die Landesliste der CDU Baden-Württemberg zur Europawahl 2019 ist dafür ein anschauliches Beispiel. Das Quorum von einem Drittel wurde mit einem Frauenanteil von 45% bei den Erstkandidat*innen4 deutlich übererfüllt. Aber dadurch, dass beim „ ticket-balancing “ der Regionalausgleich höher gewichtet wurde als das Quorum nach Geschlecht, fand sich mit Dr. Inge Gräßle die erste Frau erst auf Rang 5 der Landesliste wieder (CDU BW 2019). So stellen auch Kunovich/Paxton in ihrer Untersuchung fest, dass in Verhältniswahlsystemen zwar 5% mehr Frauen aufgestellt werden, die innerparteilichen Machtverhältnisse aber vom Wahlsystem selbst unberührt bleiben (Kunovich/Paxton 2005: 532).
Am gewählten Beispiel kommt noch ein anderer wichtiger Aspekt des Verhältniswahlrechts in den Blick, auf den Matland hinweist, der die „ party magnitude “ als wichtigen Faktor hervorhebt. Gemeint ist damit die Anzahl der Sitze, die eine Partei unter den divergierenden innerparteilichen Interessen zu verteilen hat (Matland 1993: 752). Auch Hennl/Kaiser heben das Potenzial gewinnbarer Mandate für eine Partei als wichtige Einflussgröße hervor (Kaiser/Hennl 2008: 180). Mit Blick auf das Beispiel der CDU in Baden-Württemberg bestätigte sich am Wahltag, was sich bereits im Vorfeld abgezeichnet hatte (Bäuerlein 2019): vier Sitze – einer für jeden Bezirk – entfielen auf die CDU und die Frauenquote unter den neuen CDU-Europaabgeordneten aus Baden-Württemberg beträgt trotz einem Anteil von 45% Erstkandidatinnen null Prozent (Statistik BW 2019a).
Und noch ein weiterer Einflussfaktor, die Größe der Listenwahlkreise, wird an diesem Beispiel deutlich (Hennl/Kaiser 2008: 180). Hätte die CDU wie die anderen Parteien keine Landeslisten sondern eine Bundesliste aufgestellt (lpb 2019), wäre die Wahl für Dr. Inge Gräßle vermutlich anders ausgegangen. Denn in einem größeren Listenwahlkreis hätte die CDU einen größeren Spielraum zum „ ticket-balancing “ gehabt, und es wäre einfacher gewesen, einen aussichtsreichen Listenplatz mit der langjährigen Europaabgeordneten zu besetzen, die das Brüsseler Politmagazin „Politico“ im April d.J. auf Platz 12 der Liste der einflussreichsten EU-Abgeordneten führte5 (Bäuerlein 2019).
[...]
1 Zwischenzeitlich erhöhte sich der Anteil durch eine Nachrückerin über die Landesliste auf 10,25%.
2 https://de.statista.com/themen/1775/frauen-in-deutschland/
3 Lediglich die Quotenpartei die Linke scheint in Baden-Württemberg bei der Suche nach genügend Frauen Probleme zu haben, ohne dass diesem Hinweis näher nachgegangen werden konnte (vgl. Abb. 4 im Anhang)
4 Bei den Ersatzkandidat*innen betrug der Frauenanteil sogar 55%.
5 Zum Vergleich: Der Spitzenkandidat von CDU/CSU für das Amt des Kommissionspräsidenten, Manfred Weber, wurde vier Ränge schlechter auf dem 16. Platz gelistet.
- Citation du texte
- Angelika Holzäpfel (Auteur), 2019, Die Repräsentation von Frauen auf kommunaler Ebene in Baden-Württemberg. Parteien als "Gatekeeper"?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/536257
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