„Regeln“ lassen sich nur kognitive Prozesse und die literarischen Strukturen, die sich dem rationalen Zugriff anbieten, nicht aber das, was Leser an literarischen Texten interessiert: ihr emotionales Potential.
Die Grundlage meiner Hausarbeit bildet Simone Winkos „Emotionsbezogenes Analyseverfahren“, das sie eigens für lyrische und poetologische Texte entwickelt hat und welches ich kurz in seinen wichtigsten Schritten beschreiben werde. Auch wenn dieses Verfahren ursprünglich auf lyrische Texte bezogen wurde, ist es auch auf Prosa-Texte anwendbar, wie ich an einem Beispiel aus Theodor Fontanes Werk „Effi Briest“ zeigen möchte.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Stimmungs- und Emotionsbegriff
3. Typen der sprachlichen Gestaltung von Emotionen
3.1 Thematisierung von Emotionen
3.2 Präsentation von Emotionen
4. Emotionsbezogenes Analyseverfahren nach Simone Winko
4.1 Erster Schritt: Textbeschreibung und -analyse
4.2 Zweiter Schritt: Kulturelle Kontextualisierung und minimal autorintentionale Ausrichtung
5. Effi Briest – Anwendung des Verfahrens von Simone Winko
6. Ausblick und Schlusssatz
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Regeln“ lassen sich nur kognitive Prozesse und die literarischen Strukturen, die sich dem rationalen Zugriff anbieten, nicht aber das, was Leser an literarischen Texten interessiert: ihr emotionales Potential.[1]
Die Grundlage meiner Hausarbeit bildet Simone Winkos „Emotionsbezogenes Analyseverfahren“, das sie eigens für lyrische und poetologische Texte entwickelt hat und welches ich kurz in seinen wichtigsten Schritten beschreiben werde. Auch wenn dieses Verfahren ursprünglich auf lyrische Texte bezogen wurde, ist es auch auf Prosa-Texte anwendbar, wie ich an einem Beispiel aus Theodor Fontanes Werk „Effi Briest“ zeigen möchte.
2. Stimmungs- und Emotionsbegriff
Terminologische Probleme treten hier schon in der Benennung der einzelnen Phänomene auf. Es seien zu Beginn nur die am häufigsten verwendeten Begriffe in der literaturwissenschaftlichen Forschung zum Thema aufgeführt: Gefühl, Empfindung, Eindruck, Emotion, Affekt, Leidenschaft oder Stimmung. Die Verwendung der unterschiedlichen Begrifflichkeiten wäre nicht weiter problematisch, wenn mit jedem dieser Begriffe trennscharf ein anderer Gegenstand bezeichnet würde. Vielmehr werden diese unterschiedlichen Begriffe eingesetzt, um ein und dasselbe Phänomen zu beschreiben, und jeder der Begriffe kann auf unterschiedliche Phänomene bezogen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass in der historischen Begriffsverwendung die Begriffe ebenfalls Uneinheitliches bezeichnen.[2]
Individualpsychologisch gesehen zeichnen sich Emotionen mindestens durch die im Folgenden genannten Merkmale aus: Emotionen manifestieren sich im Bewusstsein als physisch-psychischer Zustand mit hoher Ich-Beteiligung. Sie werden als Zustände erfahren, die nicht extra herbeigeführt werden können und sich nicht beeinflussen lassen; der Erfahrende ist passiv. Der Fühlende hat einen besonderen, nur ihm möglichen Zugang zu seinen Emotionen. In der Regel sind Emotionen auf ein Objekt im weiten Sinne gerichtet und drücken die Beziehung des Subjekts zum Objekt aus. Emotionen sind an der Wahrnehmung und Deutung der Umwelt beteiligt. Sie tragen zur Motivation und Orientierung menschlichen Verhaltens bei. Emotionale Interaktionen sind an soziale und kulturelle Kontexte gebunden und werden im Umgang mit anderen Menschen erlernt und geprägt. Emotionen sind in jedem Fall von Triebgefühlen und Empfindungen abzugrenzen, die Reaktionen auf elementare Körperfunktionen bilden wie etwa Hunger, Schmerzempfinden oder dergleichen.[3]
An dieser Stelle möchte ich noch den Stimmungsbegriff von dem der Emotionen abgrenzen, da diese beiden Phänomene nicht immer klar voneinander zu unterscheiden sind, aber dennoch zur Analyse von Literatur herangezogen werden. Gerade beim Umgang mit lyrischen Texten spielt der Stimmungsbegriff traditionellerweise eine wichtige Rolle. Wesentliche Unterschiede zwischen Stimmung und Emotion sind die Intensität und die Dauer. Während Emotionen in der Regel als mentaler Zustand betrachtet werden, der nur für eine kurze Zeit andauert, intensiv empfunden wird, der abrupt einsetzt, einen Auslöser hat und auf ein Objekt gerichtet ist, gilt all das für die Stimmung nicht. Stimmungen werden als lang anhaltende Zustände aufgefasst, die meist unbewusst verlaufen, aber bewusst gemacht werden können, deren Auslöser unspezifischer und deren Objektbezüge unklarer sind oder sich auf gar keine Objekte beziehen lassen. Stimmungen werden von körperlichen, kognitiven und emotionalen Zuständen hervorgerufen.[4]
3. Typen der sprachlichen Gestaltung von Emotionen
In literarischen Texten werden Emotionen auf unterschiedliche Weise sprachlich gestaltet. Diese Operationen werden als Gestaltung, Verbalisierung oder Darstellung von Emotionen bezeichnet. Sie enthalten immer auch ein Moment des Kodierens. Autoren setzen Emotionskodes ein, um Emotionen, welche sie vermitteln wollen, sprachlich zu gestalten. Besonders in der Literatur können derartige Kodes sehr vielfältig sein; so gibt es mehr Kodes als Emotionen. Ohne Kodes kann literarische – sowohl kognitive als auch emotional ausgerichtete – Kommunikation nicht funktionieren.[5]
Man unterscheidet zwei Typen der sprachlichen Gestaltung von Emotionen: die Thematisierung und Präsentation von Emotionen.
3.1 Thematisierung von Emotionen
Um die Thematisierung von Emotionen literarischer und nicht-literarischer Texte analysieren zu können, ist vorerst zu fragen, welche Propositionen, die sich auf Emotionen beziehen, ein Text enthält. In der Regel werden sie explizit formuliert. Es ist jedoch auch möglich, dass die thematisierte Emotion in der Analyse erst explizit wird, da sie im Text nur umschrieben und nicht direkt benannt wird. Es gilt zu untersuchen, was über Emotionen wie gesagt wird. Das „Was“ beinhaltet Aussagen über das Wesen oder Eigenschaften und Funktionen von Emotionen. Das „Wie“ der Thematisierung lässt sich erschließen, indem man nach der Begrifflichkeit und der Bildlichkeit fragt, nach der Sprachebene, auf der man sich über Emotionen äußert, und nach der Häufigkeit, mit der sie thematisiert werden.[6]
Die größte Schwierigkeit liegt in der Identifizierung von Emotionen, welche in Texten thematisiert werden. Ein Einstieg in die Analyse bieten zunächst einmal explizite Benennungen von Emotionsbegriffen wie „Trauer“, „Freude“, „Mitleid“ oder auch übergeordnete Begriffe wie „Gefühl“ oder „Affekt“.[7] Die Verwendungsweisen von Emotionsbegriffen und ihrer Synonyme oder bildlichen Umschreibungen sind textintern zunächst durch eine Analyse der Argumentation, der Parallel- und Oppositionsbegriffe zu rekonstruieren. Das Ziel dabei ist die genaue Erfassung der Bestimmungen und Funktionalisierungen von Emotionen. Jedoch müssen auch immer soziale und kulturelle Ereignisse und Entwicklungen der Untersuchungszeit bei der Analyse des Textes mit einbezogen werden, da es Abweichungen in der Verwendung von Emotionsbegriffen gibt.[8]
3.2 Präsentation von Emotionen
Wenn Emotionen im Text „präsentiert“ werden, so ist die sprachliche Bezugnahme auf diese auf den ersten Blick direkter als im Falle der Thematisierung. Der Begriff der „Präsentation“ sei so verstanden, dass er Komponenten der Begrifflichkeiten „Ausdruck“ und „Inszenierung“ aufnimmt, ohne deren Probleme mit zu übernehmen.[9]
Unter der „Präsentation“ von Emotionen in Texten wird also die sprachliche Gestaltung von Emotionen verstanden, deren Vorkommnisse nicht selbst Propositionen bilden (wohl aber Bestandteil von Propositionen sein können) und die im Text durch implizite sprachliche und strukturelle Mittel umgesetzt wird. Zu beachten ist hierbei, dass textuelle Ausdrucksmöglichkeiten kulturell geprägt sind und so eine Distanz zwischen dem Sprecher und seinem Gegenstand schaffen.[10]
In Bezug auf literarische Texte muss der Sprecher (Autor oder Erzähler) als Subjekt aufgefasst werden, welches im Text seine emotionalen Einstellungen zum jeweiligen Thema artikuliert. Allerdings muss dabei beachtet werden, dass nicht jede Emotion, die in einem Text gestaltet ist, auch auf einen inneren Zustand des Sprechers verweist beziehungsweise dem Sprecher zuzurechnen ist.[11]
Um Emotionen in einem Text zu präsentieren, können prinzipiell alle sprachlichen und formalen Mittel eingesetzt werden, die zur Gestaltung von Texten zur Verfügung stehen. Sowohl Inhalts- als auch sprachliche Ebene können an der Präsentation von Emotionen beteiligt sein, denn es ist durchaus möglich, dass Emotionen in literarischen Texten über die Handlung präsentiert werden können, ohne dass sie explizit benannt werden.[12]
Das Verhältnis zwischen thematisierten und präsentierten Emotionen im Text ist variabel. Beispiele für Texte, in denen Emotionen thematisiert, aber nicht präsentiert werden, sind anthropologische Traktate oder philosophische Essays über einzelne Emotionen. Texte, die Emotionen präsentieren, aber nicht thematisieren, sind beispielsweise Prosaskizzen oder Gedichte, in denen es thematisch um die Beschreibung einer Landschaft oder einer Figur geht, wobei für diese Beschreibung aber syntaktische und semantische Mittel eingesetzt werden, die emotional konnotiert sind. Am häufigsten allerdings kommen Mischformen vor; es sind also sehr viel häufiger präsentierte als thematisierte Emotionen in einem Text zu finden.[13]
4. Emotionsbezogenes Analyseverfahren nach Simone Winko
Ein Charakteristikum von Literatur ist es, Emotionen sprachlich zu vermitteln – zu thematisieren und zu präsentieren. Auf der anderen Seite ist Sprache, wie Reuven Tsur betont, „a highly differentiated logical tool by its very nature, and it requires special manipulations to convey or evoke low-differentiated, diffuse emotional qualities“.[14] Zur Analyse dieser „special manipulations“ ist ein besonderes Instrumentarium erforderlich; so entwickelte Simone Winko ein Verfahren zur Rekonstruktion von Emotionen, da es bis dato keines gegeben hat. Winkos Verfahren soll, wie sie selber betont, nur als „Vorschlag“ dienen. Sie orientierte sich dabei an den Ergebnissen der Forschung. In ihrem Verfahrensvorschlag beschränkt sich Simone Winko nur auf lyrische Texte.[15]
[...]
[1] Winko: Über Regeln emotionaler Bedeutung in und von literarischen Texten, S. 329
[2] Winko: Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900, S. 64
[3] Winko: Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900, S. 74
[4] Ebd., S. 77
[5] Ebd., S. 110 f.
[6] Winko: Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900, S. 112
[7] Ebd.
[8] Ebd., S. 113
[9] Ebd., S. 114
[10] Winko: Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900, S. 116
[11] Ebd., S. 114 f.
[12] Ebd., S. 117
[13] Ebd., S. 116 f.
[14] Ebd., S. 129
[15] Winko: Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900, S. 129
- Quote paper
- Doreen Fräßdorf (Author), 2005, Rekonstruktion der sprachlichen Gestaltung von Emotionen in literarischen Texten am Beispiel von "Effi Briest", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53619
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