Die folgende Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Stressentstehung, Stadt als Stressor, Natur als ursprüngliches Lebensumfeld des Menschen und Musik als ursprüngliche Ausdrucks- und Kommunikationsform. Lösen sich die Menschen zu stark von ihren evolutionären Wurzeln, könnte das Ursache für diverse, vor allem psychische Belastungszustände und Krankheiten sein oder diese zumindest begünstigen.
Naturentfremdung kann schon in der Kindheitsentwicklung zu Problemen führen und das ganze Leben belasten. Davon ausgehend, könnten solche Krankheiten unter Einbeziehung von Natur und Musik therapiert werden. Eine Kombination aus beiden, Natur und Musik, als Mittel in der Psychotherapie ist für viele betroffene Menschen sehr positiv wirksam.
Musik und Natur oder Natur und Musik haben in meinem persönlichen Leben die wesentlichen Interessensgebiete, Beschäftigungsfelder bzw. Lebensinhalte dargestellt. Immer wieder entdeckte ich Gemeinsamkeiten und Verknüpfungspunkte. Sei es z.B. der Gesang einiger Tiere, Naturklänge, die Wirkung von Musik auf den Menschen u.v.a.m., bei denen beide Wissensgebiete betroffen sind.
Obwohl ich glücklicherweise in ländlicher Umgebung wohne, bin ich oft, vor allem beruflich, in der Stadt unterwegs. Zunehmend fallen mir die anstrengenden Seiten des Stadtlebens auf und je nach aktuellem Entspanntheitsgrad empfinde ich Ansichten von Beton, Straßen- und Baulärm, Gestank und Menschengedränge als zunehmend belastend. Ausgehend von diesen Erfahrungen hat mich das Thema dieser Arbeit gefunden.
Gliederung
Einleitung
Begriffsdefinition
Biophilie
Musikophilie
Menschheitsgeschichtliche Entstehung von Musikophilie und Biophilie
Evolution des Menschen aus der Naturerfahrung
Evolution der Musik, Musikarchaeologie -
Musik als Teil unserer menschlichen Natur
Missachtung ursprünglicher menschlicher Bedürfnisse als Krankheitsursache
Entstehung und Wirkung von Stress
Auslöser / Ursachen von Stress
Großstadt und unerfüllte Biophilie als Stressor
Nature-deficit-disorder
Gefahren einer naturentfremdeten Kindheitsentwicklung
Ist die Umwelt „unsere“ Umwelt?
Gefahren des Verlustes von Alltagsmusik
T herapeutische Ansätze durch Musik und Naturerfahrung
Historische Entstehung der Musiktherapie
Historie der therapeutischen Gärten
Was bewirkt Musik im Körper, vor allem im Gehirn?
Depression als Rhythmusstörung
Was bewirkt ein Waldspaziergang in Körper und Gehirn?
Das Auge heilt mit – Physiopsychologische Effekte
Waldbaden – Psychoimmunologie
Glück im Schlamm – Dreckig und schlau – Immunologie
Die Finger im Gehirn – Neurobiologie
Es werde Licht – Physiologie
Genuss und Lebenssinn – Psychologie
Natur-Therapie gegen Depression
Systemische Naturtherapie
Community Music Therapie
Naturgestützte Intergrative Therapie
Musik in und aus der Natur – Klänge und Geräusche, Bioakustik und Biophonie
ADHS-Erfahrungen
Praktische Arbeitsbeispiele: Frühmusikalische Erziehung im Wald
Kontraindikationen
Fazit: Verbindung von Musik- und Naturtherapie – 54 mehr als Outdoor-Musiktherapie
Einleitung
Musik und Natur oder Natur und Musik haben in meinem persönlichen Leben die wesentlichen Interessensgebiete, Beschäftigungsfelder bzw. Lebensinhalte dargestellt. Immer wieder entdeckte ich Gemeinsamkeiten und Verknüpfungspunkte. Sei es z.B der Gesang einiger Tiere, Naturklän - ge, die Wirkung von Musik auf den Menschen u.v.a.m., bei denen beide Wissensgebiete betroffen sind.
Obwohl ich glücklicherweise in ländlicher Umgebung wohne, bin ich oft, vor allem beruflich, in der Stadt unterwegs. Zunehmend fallen mir die anstrengenden Seiten des Stadtlebens auf und je nach aktuellem Entspanntheitsgrad empfinde ich Ansichten von Beton, Straßen- und Baulärm, Gestank und Menschengedränge als zunehmend belastend. Ausgehend von diesen Erfahrungen hat mich das Thema dieser Arbeit gefunden.
Zwei Bilder (großformatig zum Betrachten im Anhang) und zwei Klangkulissen (https://ww - w.youtube.com/watch?v=5GZH5MMNYkc und https://www.youtube.com/watch?v=tSfqps2i- u2M) möchte ich zur Einstimmung auf mein Thema an den Beginn stellen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Leser sei zu einem kleinen Selbsttest eingeladen, zu betrachten, zu hören und auf das Ge - fühl zu achten, dass er bei der Vorstellung, an jenen Orten zu sein, jene Wege zu gehen, hat.
Breitet sich Ruhe oder Hektik aus? Möchte man durchatmen? Verweilen?
Die meisten Menschen assoziieren mit Natur Erholung und mit Stadt (-lärm) eher Stress.
Die folgende Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Stressentstehung, Stadt als Stressor, Natur als ursprüngliches Lebensumfeld des Menschen und Musik als ursprüngliche Ausdrucks- und Kommunikationsform. Lösen sich die Menschen zu stark von ihren evolutionären Wurzeln, könnte das Ursache für diverse, vor allem psychische Belastungszustände und Krankheiten sein oder diese zumindest begünstigen. Naturentfremdung kann schon in der Kindheitsentwicklung zu Problemen führen und das ganze Leben belasten. Davon ausgehend, könnten solche Krankheiten unter Einbeziehung von Natur und Musik therapiert werden. Eine Kombination aus beiden, Na - tur und Musik, als Mittel in der Psychotherapie ist für viele betroffene Menschen sehr positiv wirksam.
B egriffsdefinitionen
Biophilie – Die Liebe zum Lebendigen
Der Begriff Biophilie taucht zum ersten Mal bei dem Psychoanalytiker und Sozialpsychologen Erich Fromm auf. In seinem Buch „Die Seele des Menschen“ (Fromm 1964) setzt er sich mit den verschiedenen Formen der Gewalt und deren möglicher Entstehung auseinander. Er betrachtet die Gegensätze „Necrophilie“ und „Biophilie“ und deren Auswirkung auf den Charakter des Menschen. Für Fromm ist Biophilie - Liebe zum Lebendigen - Ausdruck des Wunsches nach Wachstum und nicht nur in Bezug auf Lebewesen (Pflanzen, Tiere, Menschen) sondern auch in Bezug auf Ideen und Beziehungen (zwischenmenschliche sowie zur Natur). „Genau wie die Ne - krophilie besteht auch die Biophilie nicht aus einem einzigen Wesenszug, sondern sie stellt eine totale Orientierung, eine alles bestimmende Art zu leben dar.(…) Der biophile Mensch wird nicht von seinem Gewissen gezwungen, das Böse zu meiden und das Gute zu tun“ (Fromm 1964, S.41/44) Fromm berief sich auch auf die Ethik von Albert Schweitzer, der mit der „Ehrfurcht vor dem Leben“ eigentlich schon die Biophilie beschrieb, wenngleich er sie nicht so nannte. „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ (Schweizer in Scholl 1994, S. 38)) 20 Jahre später entwickelte der Verhaltensbiologe O.E. Wilson die Biophilie-Hypothese (Wilson 1984). Darin beschreibt er die Tendenz des Menschen, sich für alles Lebende besonders zu inter - essieren. Er geht davon aus, dass wir Menschen eine evolutionär entstandene natürliche Verbun - denheit zu Ökosystemen entwickelt haben, in denen wir am besten überleben können, d. h. die uns gut tun. Daraus entstand seine Idee der Umweltethik. „Wenn uns die Erhaltung der biologi - schen Vielfalt gleichgültig ist, laufen wir Gefahr, uns in eine feindliche Umwelt zu katapultieren. Der Mensch und die übrigen Lebensformen ...durchliefen eine Koevolution; für andere Zustände der Erde sind wir genetisch nicht gerüstet.“ (Wilson 1992)
Schon 1975 berichtete Hilarion G. Petzold von Erfahrungen, die in der Integrativen Therapie zur Entwicklung des Konzeptes einer Ökopsychosomatik und „korrektiver ökologischer Erfahrun- gen“ führte, das die konventionelle Psychotherapie durch Wege der Naturtherapie ergänzen soll- te. Das neue Konzept bestand in den „korrektiven ökologischen Erfahrungen“, die in der Thera- pie den negativen biographischen Einflüssen aus destruktiven Kontexten etwas entgegen setzen sollten. (Sieper 1975) Auf Grundlage der Wilsonschen Hypothese entwickelte auch der Biologe Clemens Arvay sein Konzept der Ökopsychosomatik (Arvay 2015), deren frühe Anfänge schon in der Antike und hippokratischer Medizin liegen. Weiterhin setzt er sich mit dem evolutionären Entstehen von Biophilie auseinander (Arvay 2016). „Unsere biologische Ausstattung, die in Mil- lionen von Jahren evolutionär herausgebildet wurde, macht es, dass wir eigentlich eine tiefe Aus - richtung auf die Natur haben. Und so suchen die Menschen danach, insbesondere in großen Städ - ten.“ (Petzold 2017)
„Die Natur muss gefühlt werden.“ ~ Alexander von Humboldt
Musikophilie – Die Liebe zur Musik
Der englische Neurologe Oliver Sacks schreibt in seinem Buch „Musicophilia – Tales of Music and the Brain“ von einer tief in der menschlichen Natur verwurzelten Liebe zur Musik. Diese Neigung zur Musik nennt er in Anlehnung an den von E.O.Wilson beschriebenen Begriff der Biophilie Musikophilie. Er schreibt: „(Vielleicht ist die Musikophilie eine Form der Biophilie, da uns die Musik selbst fast wie lebendig erscheint.)“. Dann wäre Musiktherapie auch eine Form der Naturtherapie. Weiterhin schreibt Sacks zu der außerordentlichen Beharrlichkeit unseres mu - sikalischen Gedächtnisses, dass unser Gehör, unsere Nervensysteme ausgezeichnet auf Musik eingestellt seien.
Überall auf der Erde und die meiste Zeit der Menschheitsgeschichte über war Musik alltäglicher Teil des Lebens und eine genauso natürliche Betätigung wie Atmen oder Laufen. Jeder konnte teilhaben. Erst in den letzten Jahrhunderten entstanden Konzerthallen, in denen Musik aufgeführt wurde (Levitin 2006). Die Trennung von Musikern mit speziellen Fähigkeiten und Menschen, die (nur noch) Musik konsumieren, wurde vollzogen. Das alltägliche Musizieren wurde nach und nach seltener. Selbst gemeinsames Singen, sogar mit Kindern, gehörte nicht mehr zum Alltag. Damit einher ging der Verlust einer natürlichen Ausdrucksform des Menschen, die jedoch in je - dem noch schlummert.
Menschheitsgeschichtliche Entstehung von Biophilie und Musikophilie
Evolution des Menschen aus und in der Natur
Im 18.Jhd. wurde der Mensch vom schwedischen Naturwissenschaftler Carl von Linné erstmals seit der Antike wieder der Ordnung der Primaten („Herrentiere“) und damit dem Tierreich zuge - ordnet. Er entwickelte die binäre Nomenklatur für alle Lebewesen, wie sie bis heute verwendet wird. Der Mensch wurde zum Homo sapiens („der wissende Mensch“). Durch diese Einordnung verlor der Mensch seine von der Bibel gegebene Sonderstellung in der Natur – wenigstens zum Teil (Grupe et al. 2012). Bis heute jedoch betrachten sich viele Menschen als der Natur überge - ordnet. Daraus entsteht ein Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit. Wir betrachen, beobachten, analysie- ren, erforschen, wir nutzen und zerstören die Natur.
„Es ist unbestritten, dass menschliches Verhalten und menschliche Kultur eine biologische Grundlage haben. Die Bandbreite, wie wir lernen und wie wir uns verhalten können, ist durch die Fähigkeiten unseres Gehirns und anderer Organe gegeben. Da das Gehirn eine evolutionäre Ge- schichte hat und über unzählige Generationen hinweg geformt wurde, ist es naheliegend , dass menschliches Verhalten nicht nur durch Lernprozesse nach der Geburt entsteht, sondern auch durch die Stammesgeschichte des Menschen – also evolutionär.“ (Arvay 2016)
Vermutlich vor etwa 200 000 Jahren tauchen die ersten Homo sapiens in Afrika auf. Allerdings sind die Merkmale der gefundenen Überreste nicht ganz eindeutig und es gibt ein breites Spek - trum an Variationen, so dass keine Einigkeit darüber besteht, was der „moderne“ Mensch ist. Si - cher belegt sind Funde aus Marokko, die bis zu 70 000 Jahre alt sind (Sawyer & Deak 2008) Bis dahin hatte der H. sapiens schon eine lange Evolutionsgeschichte hinter sich, die möglicherweise vor allem in afrikanischen Savannen stattfand. Nach der „Savannenhypothese“ entwickelte sich der aufrechte Gang in der offenen, baumarmen Savanne, um besseren Überblick zu erhalten. For - schungen belegen jedoch, dass vor ca. 6 Mio. Jahren in Afrika Feuchtperioden häufiger waren und Seen von teilweise großen Dimensionen die Landschaften prägten. Der Evolutionsbiologe Niemitz geht davon aus, dass sich die ersten Hominiden aufrichteten, weil sie Uferwesen waren und lange Zeit im Wasser wateten und ihre Nahrung suchten. Etliche physiologische und verhal- tensbiologische Indizien sprechen neben den Begleitfunden der paläontologischen Hominiden aus der Fauna dafür, dass wir Ufermenschen sind (Niemitz 2004). Der Mensch ist tatsächlich bis - her die einzige Spezies, die dauerhaft aufrecht geht. Die meisten unserer Eigenschaften teilen wir jedoch mit dem Tierreich. Der Mensch ist ein Säugetier! Der Verhaltensbiologe Kurt Kortschlag warnt davor, unser Bild von den Tieren zu anthromorphisieren. Angesichts der Tatsache, dass die uralten biologischen Anlagen für unsere Grundemotionen über Artgrenzen hinweg evolutionär stabil geblieben sind, erscheint das wenig sinnvoll. „Neue Funktionen – wie die menschliche Großhirnrinde – haben sich den ursprünglichen aufgelagert, ohne diese auszulöschen oder abzu - schalten. Der Kern des Säugergehirns ist mehrere hunderttausend Jahre alt, seine Funktionsweise ebenso. Weil bei Säugetieren Partnerwahl und Pflege der Nachkommen im Zentrum stehen, ist Bindung für alle von ihnen entscheidend.“ (Weber 2012)
Schon Voltaire stritt sich mit Descartes im 17. Jhd. über dieses Thema. Descartes, der überzeugt war, dass nur Menschen Subjekte seien und Tiere bewusstseinslose gefühlslose Automaten, wur - de von Voltaire gefragt, ob die Natur all diese Mittel des Fühlens in den Tieren nur angelegt habe, um nicht zu fühlen und ob die Nerven nur dazu da wären, um keine Reize aufzunehmen und durchzulassen. Der Neurowissenschaftler Antonio Damasio nahm diesen Streit als Aufhänger für den Titel seines Buches „Descartes´ Error“, in dem er seine bahnbrechenden Forschungsergeb - nisse dahingehend auswertet, dass Gefühl und Verstand sehr eng miteinander verknüpft sind und alle Funktionen, auch die evolutionär neueren Fähigkeiten, oft sehr alte Strukturen im Gehirn nutzen müssen. Der Verstand ist eben nicht nur ein Softwareprogramm, dass auf der Hardware des Gehirns läuft, und der Körper ist eben nicht nur die Versorgungseinrichtung, die das Gehirn am Leben erhält (Damasio 1994).
Molekulargenetische Untersuchungen unterstützen die „Out of Africa-Hypothese“, nach der alle heutigen Menschen von einer afrikanischen Form des Homo sapiens abstammen (Stix 2009).
„Bislang galt der Homo erectus als der erste Mensch, der Afrika verließ. Vor -1,8 Mio. Jahren mag er in Asien aufgetaucht sein.“ (Blenau, W. 2017). Die 2013 in Südafrika entdeckten Über - reste einer bislang unbekannten Frühmenschenart: Homo naledi, erinnern an grazile Individuen, die als H. erectus in Georgien identifiziert wurden. Noch ist das Alter der Knochen nicht genau genug bestimmt, aber es könnte sein, dass sie über 2 Mio. Jahre alt sind und damit aus der kriti - schen Phase der Entstehung unserer Gattung stammen. Weiterhin könnten die Funde darauf hin - weisen, dass es sich um den frühesten Beleg für Bestattungen handelt. (Shreeve & Clark 2015). Die jetzigen Menschen teilen sich unseren Planeten Erde mit allen heute rezenten Tierarten. Die Jetztmenschen besiedeln alle Lebensräume und beeinflussen sie damit mehr oder weniger. Auch die Tiere und Pflanzen teilen sich die Lebensräume mit dem Menschen. Wir haben eine gemein- same Koevolotion durchlaufen, d.h. aber auch, dass wir abhängig von unserer Umwelt sind. Manche Arten konnten von der menschlichen Einflussnahme profitieren, andere sind selten ge - worden oder ausgestorben. Der Mensch ist die erste Species, die derart Lebensräume (um-) ge - stalten kann. Dieser Prozess hat verschiedene Geschwindigkeiten. Während der frühen Phase, in der die Individuenzahl gering war und die Eingriffe ebenso, waren Veränderungen global nicht entscheidend. Erst mit Zunahme der Menge und Zunahme der Technologien werden menschge- machte Veränderungen auf der ganzen Erde spürbar, selbst an Orten, an denen sich selten Men - schen direkt aufhalten.
„Der Homo sapiens entwickelte sich über Jahrmillionen aus der Natur, in der Natur und mit der Natur. Klar sind wir, aus evolutionären Gesichtspunkten, innerlich mit natürlichen Lebensräumen mehr verbunden als mit städtischen, technologischen und hochmodernen. ...Biophilia ist ein Pro - dukt der menschlichen Stammesgeschichte.Dass in unseren Gehirnen unbewusste Bilder von ei - nem evolutionären Zuhause existieren, ist also ebenso wenig verwunderlich wie die Tatsache, dass es sich dabei meist um Bilder von unberührten, wilden Naturlandschaften handelt.“ (Arvay 2015)
„Die Ökosysteme sind unser evolutionäres Zuhause, und dadurch lässt sich – völlig logisch und ohne esoterische Verrenkungen – die gesundheitsfördernde Wirkung der Natur ableiten. (Arvay 2016, S.72) „Biologisch gesehen sind wir nicht viele Generationen von der Jäger-und-Sammler- Gesellschaft entfernt,...“ (Louv 2011, S. 213) Unsere moderne westliche Welt ist jedoch mit „Blindheit geschlagen“. Die Qualität der Erfahrungen, mit der wir die Welt so sehen könnten wie frühere Menschen sie gesehen oder durchschaut haben, ist verlorengegangen. Eine animistische Weltanschauung kann gerade das leisten: Die Welt, wie durch ein Guckloch, mit anderen Augen und aus anderer Perspektive zu durchschauen (Roszak 1994).
Geht man davon aus, dass der menschliche Embryo die Stammesgeschichte (gesamte Evolution) im Zeitraffer durchläuft, kann man auch sagen dass das Menschenkind die Menschheitsgeschich - te (Evolution des Homo sapiens) im Zeitraffer durchläuft. Dafür ist es förderlich, wenn er die elementaren Erfahrungen machen kann, die die frühen Menschen auch erfuhren. Elementar heißt: im Wasser spielen, Sand durch die Finger rieseln lassen, Feuer machen, Pusteblumen abblasen. Intuitives naturwissenschaftliches Wissen, Grundkonzepte der Mathematik und Physik werden dabei erworben. Es geht meist um uralte Motive, wie Jagen, Kämpfen, Behausung bauen, Ko - chen...Dieses Spiel ist energieaufwendig, risikoreich und manchmal mit Entbehrungen verbun - den und findet trotzdem mit Hingabe statt. Es ist letztendlich ein Training unter evolutionärem Diktat. Spiel ist Lernen! Und Lernen funktioniert bei Kindern vor allem als Spiel! (Renz-Polster et al. 2013)
Evolution der Musik - Musikarchäologie – Musik als Teil unserer menschlichen Natur
„Erste Belege einer Existenz des Tanzen – vielleicht sogar des Bauchtanzes – sind prähistorische Zeugnisse Nordafrikas. Auf steinzeitlichen Fresken des Tassil-n´Ajjer in der Zentral-Sahara (…) hat man bunte Szenen gefunden, bei denen Tänze, und gerade Tänze mit Masken, eine wichtige Rolle spielen; […] Da der Tanz auf einem urwüchsigen menschlichen Trieb beruht, der sich schon im frühen Kindesalter ausdrücken will, ist er auch als die ursprünglichste aller Künste an- zusehen.“ (Karkutli 1983) „Statuetten, die bauchtanzende Frauen darzustellen scheinen, wurden in so weit auseinanderliegenden Ländern wie Indien und Spanien gefunden. Einige davon ent- standen Jahrtausende vor Christus und stellen den Körper in Tanzstellung dar, die auf ausgepräg- te Hüft- und Bauchbewegung hinweisen.“ (Buonoventura 1998). Sehr naheliegend ist auch die frühe Entstehung von Tänzen als Fruchtbarkeitstänze oder Gebärtänze (Al-Rawi 2007).
Kleine Geschichte: Meine Tochter war nur reichlich 1 Jahr alt und konnte schon stehen, aber noch nicht laufen. Von einer Dienstreise nach Südafrika brachte der Vater eine CD mit afrikanischer Musik mit. Ich werde dieses Bild nicht vergessen, wie das kleine Mädchen, noch wackelig auf den Beinen stehend, als die ersten Takte erklangen, sofort anfing in den Knien rhythmisch zu wippen, wie ein glückliches Lächeln über ihr Gesicht zog.
In einem Science-Artikel stellen Patrica M. Gray und ihr Team die Frage, ob Musik universell sei und nicht nur uns Menschen eigen. Sie beschäftigt sich darin mit Tiergesängen und vergleicht, wie Wale, Vögel, Menschen u.a. musizieren und was sie dazu antreibt. Aufgrund der Gemein - samkeiten von Walgesängen und Menschenmusik und weil die gemeinsamen Vorfahren schon vor sehr langer Zeit lebten, lässt sich vermuten, dass Musik schon mehr als 60 Millionen Jahre auf der Erde erklingt. Auch Vogelgezwitscher hat ähnliche Strukturen wie unsere Musik – es gibt pentatonische und diatonische Vogelarten, es gibt „Call and response“ und sogar mit Instrumen - ten (Stock auf hohlem Baumstamm) trommelnde Kakadus (Gray et.al. 2001). Einige Vogelarten tanzen. Es könnte also sein, dass Musik älter ist als der Mensch. Gray et al. vermuten, dass die Wurzeln der Musik eher im alten Reptiliengehirn zu suchen sind, als in evolutionär jüngeren Ge - hirnregionen. Das würde auch die enge Verknüpfung zu unseren Grundemotionen erklären.
Die enge Verknüpfung von Musik und Emotionen begründet auch ihre Bedeutung im menschli - chen Zusammenleben. Musik kann sowohl als Machtmittel, als auch als Wiegenlied fungieren. Musik kann Trost in Grenzsituationen sein oder Ausdruck überschwänglicher Freude. Über Mu- sik lassen sich Gefühle oft leichter ausdrücken als mit Worten. Für mich ist vorstellbar, dass Mu - sik in urzeitlichen Gemeinschaften, in denen die Sprache erst im Entstehen war, sogar eine wich - tigere Kommunikationsform war als heute. Dafür, dass die emotionale Wahrnehmung von Musik sehr alt ist, sprechen Untersuchungen zur Universalität musikalischer Emotionen überall auf der Welt. Auch afrikanische Mafa, die nie zuvor westeuropäische Musik gehört hatten, empfanden die gleichen Grundemotionen, die wir entsprechenden Musikstücken zugeordnet hätten (Fritz 2009). Diese musikalischen Gemeinsamkeiten sind in allen Musikkulturen der Erde zu finden und erst die kulturell bedingten Besonderheiten führen zu unterschiedlicher Musik (Fritz 2010). "Die emotionalen Ausdrücke der Musik sind universell, so wie Gesichtsausdrücke." (Thomas Fritz) Es ist zu vermuten, dass Menschen schon sehr lange Musik machen, auch wenn die archäologische Beweislage sehr dünn ist. Wahrscheinlich mehr als 40000 Jahre alte Höhlenzeich - nungen, zeigen offensichtlich tanzende Menschen (Stevenson 1979). Anders als steinerne Artefakte, sind mögliche Instru- mente einfach verrottet oder sie sind noch nicht als solche er - kannt worden. Die ältesten gefundenen Flöten aus Röhren- knochen, die sich erhalten haben, sind 45 000 bis 50 000 Jahre alt. Es ist aus archäologischer Sicht sehr wahrscheinlich, dass Neandertaler auf den Flöten musizierten. „Holzflöten hat es daher wahrscheinlich noch früher gegeben als Knochenflö- ten“, die schwieriger herzustellen sind (Spitzer 2002). „...die Existenz von Musikinstrumenten setzt nämlich eine bereits lang bestehende Musiktradition voraus.“ (Stevenson 1979)
Entgegen Studien aus den 70er Jahren, die sich als fehlerhaft erwiesen, war der Neandertaler auch anatomisch fähig zu singen. Warum er das wahrscheinlich getan hat? – darüber lässt sich spekulieren. Vielleicht waren Gesang und Musik dem Werben um Sexualpartner dienlich und be - wiesen einfach eine gute Fitness. Obwohl „unnötiger Krach“ Feinde anlocken könnte und Ener - gie verbraucht, scheint dieses Verhalten einen evolutionären Vorteil geboten zu haben. Gerade, weil sie nutzlos ist, ist sie ein geeigneter Fitness-Indikator, wie das Rad des Pfaus oder das Ge- weih des Hirschs (Spitzer 2002). Das Interesse an Musik erreicht bei vielen Heranwachsenden einen Höhepunkt und stärkt damit die Vermutung, Musik sei ein Merkmal der sexuellen Evoluti - on. Musik und Tanz sind geeignet, die sexuelle Fitness zu veranschaulichen, demonstrieren sie doch oft Kraft und Ausdauer (Levitin 2006).
Charles Darwin beschrieb in seinem Werk „Die Abstammung des Menschen“ wie natürliche Se- lektion auch die Entstehung des modernen Menschen ermöglicht hat und er entwickelte die Hy- pothese der sexuellen Selektion. Demnach sind Merkmale, die die Fortpflanzung begünstigen, genetisch festgelegt. In Erweiterung dessen sollten Gene, die sowohl das Fortpflanzungs- als auch das Brutpflegeverhalten verbessern, sich stärker ausbreiten. Nach Darwins Ansicht ist die Musik ein solches Merkmal und ging der Sprache voraus. (Darwin 1871 / 2005)
Allerdings sind in noch lebenden isolierten Völkern die Liebeslieder nicht vorherrschend, was man annehmen könnte, wenn sie die alleinige Entstehungsursache von Musik wären (Honolka 1976). Denkbar sind auch Beschwörungen in Form von Tönen. In verschiedenen Naturvölkern hat der Musikethnologe Kurt Reinhart diese als Grund für musikalische Lebensäußerungen gese- hen. Aus ihnen ging vermutlich die Musik der Schamanen und Medizinmänner hervor (Honolka 1976).
Durchaus „nützlich“ erscheint mir die Verwendung von leise gesungenen Wiegenliedern, denn ein schreiendes Kind kann sehr wohl Feinde aufmerksamer machen. Mütter auf der ganzen Welt haben über unvorstellbar viele Generationen ihre Kinder mit Liedern beruhigt oder sie von Un - schönem abgelenkt und getröstet (Levitin 2006). Evolutionär macht das Singen von Kinderlie - dern durchaus Sinn, denn das Singen erhält die Mutter-Kind-Bindung aufrecht, auch wenn gera - de kein Körperkontakt besteht. Und eine gesunde Mutter-Kind-Bindung ist essentiell für die In- dividualentwicklung. „Das Singen und der Singsang der Mutter für das Kind und mit dem Kind ist eine Verhaltensstrategie, die höchstwahrscheinlich adaptiv ist, (…) Sie erfüllt die lebenswich- tige biologische Funktion der Bindung, sie ist eine Universalie (…), geschieht intuitiv und spricht angeborene Wahrnehmungsmuster an. Gewissermaßen eine musikalische Weiterentwick- lung der Motherese ist das Wiegenlied. (…) Einige Wissenschaftler sehen daher in der Motherese und im Wiegenlied eine – vielleicht sogar die stärkste Wurzel unserer Musik und unserer Musi - kalität.“ (Lehmann 2010) Vielleicht zählt das zum Selektionsmerkmal der Brutpflege.
Der amerikanische Neurologe Steven Brown vermutet aufgrund der bei Sprache und Musik über- lappenden Hirnareale, dass es ein gemeinsames Vorgängerstadium gab, aus dem sich dann Kom- munikationsformen entwickelten (Brown, 2000). Neurophysiologisch beanspruchen Sprache und Musik ähnliche Areale in unserem Gehirn. Beide bilden eine Einheit aus Klang, Melodie und Rhythmus. Beide können Gefühle ausdrücken. Sprache ist allerdings eher mit Information und Verstehen verbunden, Musik mit Miteinander teilen. Wörter haben Symbolgehalt, Musik entsteht aus dem Innern, der Intuition. (Güvenç 2009). Es ist auch denkbar, dass sich Menschensprache und Menschenmusik gemeinsam bzw. parallel entwickelt haben. „Die Parallelen von Sprache und Musik sind sehr groß.“ (Sloboda 1999). Tomatis, der Entwickler der Audio-Psycho-Phonolo- gie, betonte, dass das Sprechen etwas völlig Unphysiologisches sei. Die dafür verwendeten Orga - ne seien ursprünglich für andere Funktionen vorgesehen: Lippen, Mund Gaumensegel, Zunge, Zähne als Teile des Verdauungsapparates und Nasenhöhlen, Kehlkopf, Zwerchfell, Lungen, Brustkorb als Teile des Atmungssystems. Außerdem hängen Hören und Lautbildung eng zusam - men und wir sprechen (und singen) in genau dem Frequenzbereich, den wir akustisch wahrneh - men können. Ohr und Kehlkopf hängen organisch sowohl anatomisch als auch neurophysiolo - gisch zusammen (Tomatis 1995).
Carl Stumpf, Psychologe und Musikethnologe dachte, dass Musik aus Verständigungsschreien hervorgegangen sei. Gesungene Stimme trägt sehr viel weiter als reine Sprechstimme. (Stumpf 1911). Nach ähnlichem Prinzip funktioniert noch heute das Jodeln, das weite Distanzen akustisch überbrücken kann. Die Pfeifsprache El Silbo auf La Gomera oder der Pfeifsprache an der türki - schen Schwarzmeerküste nutzen ebenfalls musikalische Elemente der Sprache, die weiter hörbar ist als Sprechstimmen. Für mich ist vorstellbar, dass unsere Musikevolution multicausal verlau - fen ist. Musik ist so sehr Teil des Menschen, dass sie für mehrere Bereiche von Bedeutung ist und sich auf vielen Verhaltensebenen bewährt hat, ähnlich den Vogelfedern, die sowohl zur Wär - meregulation, als auch zum Fliegen taugen.
Die Kommunikation, das Schaffen und Koordinieren von Gruppen sind evolutionär wichtige Funktionen. Sie werden u.a. von Hören und Ausüben von Musik erfüllt. (Koelsch & Siebel, 2005) In der Evolution des Menschen war die Entwicklung von Beharrlichkeit eine wesentliche Entwicklungsstufe. Die Folgen von Handlungen berechenbar zu machen, vorherzusehen, wie Wild oder auch gleichartige Hominiden über längere Zeiträume reagieren, brachte große Vorteile mit sich. Die vor ca. 100 000 Jahren (vielleicht bis 200 000 Jahren) folgende Erinnerung an die Vergangenheit und auch an gestorbene Verwandte, war wichtiger Teil der Menschwerdung. Eine Form, Vergangenes mit einem Objekt zu verbinden, ist die erste Form von Kunst. So half künst - lerisches Wirken, sich Personen, Orte, Geschehnisse bildlich vorzustellen, ohne, dass sie gerade präsent waren. Die künstlerischen Produkte sind wesentliche logische Hilfsmittel, „um die natür - lichen Phänomene der Zeit und der Töne in eine menschliche Ordnung zu zwingen.“ (Fletscher 2004). „Doch noch im Laufe der Vorgeschichte entwickelte er (der Mensch) die Fähigkeit, bis zu einem gewissen Grad zu abstrahieren und sich in Symbolen auszudrücken, indem er Abbilder der Wirklichkeit schuf.“ (Calendoli 1985) Ein Symbol waren sicher die paläolithischen Höhlenzeich - nungen der tanzenden Menschen, z.B. in Italien oder Spanien. Der Tanz an sich war aber schon ein Symbol und ein Ausdrucksmittel.
„Die Menschen spielten Flöte, lange bevor sie Häuser bauten und das Rad erfanden.“ (Lehmann 2010) Musik wie Sprache sind menschliche Fähigkeiten überall auf der Erde und durch alle Kul- turen. Sie ist uns angeboren und wir haben in unserem Gehirn besondere Strukturen, die mit Mu - sik in Zusammenhang stehen. Die biologischen Grundlagen sind genetisch festgelegt (Peretz 2006). Der Kognitionspsychologe Roger Shepard, der sich mit Psychologie-Evolution befasst, bemerkt, dass nicht nur unsere Körper, sondern auch unser Geist sich in Millionen von Jahren evolutionär entwickelt hat. Unser Geist hat eine Koevolution mit unserer physikalische Welt hin - ter sich und hat seine Reaktionen den immerzu veränderlichen Bedingungen angepasst (Levitin 2006).
Musik wird benutzt, um unsere Emotionen zu manipulieren, sei es in der Werbung oder z.B. in Filmen. Szenen, deren rein bildliche Darstellung von verschiedenen Menschen gefühlsmäßig verschieden gedeutet werden können, bekommen mit der entsprechenden Musik eine eindeutige Emotion zugeordnet – für nahezu alle Menschen gleich verständlich. „Musik ist durch die Physik schwingender Körper und die Physiologie des Gehirns bestimmt. (...) Dies legt nahe, dass Musik, wenn sie auch nicht für das Überleben der Art Mensch unbedingt notwendig ist, doch einen Bei - trag zu unserem geistigen und körperlichen Wohlbefinden leisten kann.“ (Spitzer 2003).
Während der langen Menschheitsgeschichte nach der Verbreitung des Menschen auf der ganzen Erde entstanden dann sehr unterschiedliche Stilrichtungen, Anwendungsbereiche und Musiktra - ditionen. Doch allen liegen die emotionsbezogenen musikalischen Gemeinsamkeiten zugrunde, die Fritz in seinem „Anchor model of musical culture“ beschreibt (Fritz 2010, S. 143). Sie sind ein Teil unserer Natur und unseres evolutionären Zuhauses. Es liegt nahe, dass gerade diese emo- tionbezogenen Bestandteile der Musik bei Störungen der Grundemotionen therapeutisch wirksam sind.
Missachtung ursprünglicher menschlicher Bedürfnisse als Krankheitsursache
Entstehung und Wirkung von Stress
Der Begriff Stress bedeutet so viel wie Anspannung. Stressoren verschiedener Art können diesen Zustand ganz natürlich in Gang setzen. In diesen „Notsituationen“ reagiert unser Körper, egal, was der Auslöser ist, mit einer allgemeinen Stressantwort. Außerdem gibt es stressorspezifische Reaktionen (Rensing et al.2006 S.5), auf die hier nicht näher eingegangen wird.
Unsere erste sekundenschnelle natürliche Reaktion auf akuten Stress ist die Aktivierung des Sympathikus. Die Botenstoffe Adrenalin und Noradrenalin werden aus dem Nebennierenmark ausgeschüttet. Körperliche Reaktionen wie Verengung von Muskeln und Blutgefäßen werden da - durch ausgelöst, der Blutdruck steigt, der Herzschlag wird schneller, die Nackenmuskeln span - nen sich an. Um bei eventueller Verwundung besser gewappnet zu sein, nimmt die Gerinnungsfä - higkeit des Blutes zu. Die Neuronen des Gehirns feuern stärker. Die zweite minutenschnelle Re - aktion ist das Hochfahren der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse. In deren Resultat Kortisol in die Blutbahn entlassen wird. Das bedingt, dass sich der Energiehaushalt än - dert. Energiereserven werden angezapft und der Blutzuckerspiegel angehoben. Gleichzeitig setzt ein Kontrollsystem ein, damit der Kortisolspiegel nicht zu hoch wird. Hohe Kortisolblutwerte wirken wieder über den Hypothalamus und die Hypophyse und setzen eine hormonelle Kortisol- bremse in Gang. Adli vergleicht sie mit einem Thermostat (Adli 2017, S.33). Diese sehr kurze und etwas vereinfachte Beschreibung soll in diesem Zusammenhang genügen. Natürlich ist das Reaktionsgefüge sehr viel komplexer und der gesamte Körper bis in jede Zelle ist involviert.
Durch die Rückkopplungseffekte wird der Körper, nachdem der Stressor nicht mehr einwirkt, wieder in seinen Normalzustand versetzt. Hält der Stressor, z.B. familiäre Probleme, Dauerstreit, ständige Überforderung usw. an, bleibt der Körper in Alarmbereitschaft. Eine zu lang anhaltende Reizung der Kortisolrezeptoren in Hypothalamus und Hirnanhangdrüse setzt diese außer Betrieb. Dadurch wird weiterhin Kortisol aus der Nebennierenrinde freigesetzt, sogar, wenn die „Gefahr“ vorüber ist, d.h. selbst in Ruhepausen kommt der Körper nicht mehr in seinen normalen Erre - gungslevel. „Chronischer Stress geht mit einem anhaltenden Gefühl von Angst, Überforderung oder Bedrohung einher. Hinzu kommt oft das Gefühl des Kontrollverlusts. Man befindet sich in einer Situation, die sich aus eigener Kraft nicht beeinflussen und verbessern lässt. (…) Dieses Überangebot von Kortisol im Organismus hat eine Reihe von Folgen für den Stoffwechsel, den Energiehaushalt und die psychischen Funktionen. (…) Chronischer Stress macht krank.“ (Adli 2017, 34f) Neben den physiologisch und immunologisch negativen Folgen sind es die psycholo - gischen Folgen, um deren Therapie es im Folgenden gehen soll. Durch Dauerstress entstehen häufig Depressionen, verschiedene neurotische Belastungs- und somatoforme Störungen u.a. Auch bei Entwicklungs- und Verhaltensstörungen im Kindesalter spielt Dauerstress eine wesent - liche Rolle.
Auslöser / Ursachen von Stress
Stressoren gibt es sehr viele verschiedene. Akute Gefahren oder auch scheinbare Gefahren (z. B. eine Ringelnatter) können eine kurzzeitige Stressreaktion auslösen. Auch das Auftreten von ei - nem Publikum wirkt als Stressor. Stress kann unser Leben retten, denn nur mit ihm ist es uns möglich, uns für Flucht oder Kampf zu entscheiden. Er ermöglicht es uns, Grenzsituationen zu überstehen, denn er kann ungeahnte Kräfte in uns mobilisieren. Stress und Spaß hängen beim Kicksuchen eng zusammen. Aufregung kann Spaß machen. Entscheidend, ob sich dieser Stress wirklich negativ auf den Mensch auswirkt, ist die Intensität des Angstgefühls, des Frierens, des Schmerzes usw. und die Dauer der Einwirkung des Stressors, so dass der Mensch nicht mehr fä - hig ist, den Stressablauf herunterzuregulieren oder zu stoppen (s.o.). Ebenfalls entscheidend, ob Stress negativ wirkt, ist die individuelle Resilienz, die auch über die Lebensspanne veränderlich ist, und die innere Einstellung, die dem Stressor entgegengebracht wird. Die Lärmempfindlich- keit ist z.B. bei den Menschen sehr unterschiedlich sowohl in Bezug auf die Lautstärke als auch die Qualität ausgeprägt. Was für den einen Musik sein mag, ist für den anderen Lärmbelästigung.
„Stressreaktionen sind ungemein vielgestaltig und variabel. Es ist deshalb kaum vorstellbar, dass es für jeden Einzelaspekt von Stress (…) ein jeweils eigenes und spezifisches neurophysiologi - sches Konzept gibt. Tatsächlich hat die Natur das Problem der Vielgestaltigkeit und Unvorher - sehbarkeit von Stress anders gelöst: Die Vielzahl von Stressreaktionen und emotionalen Verhal - tensweisen werden durch ein mehr oder weniger einheitliches System im Gehirn orchestriert, welches als „lymbisches System“ bezeichnet wird. Es ist ein stammesgeschichtlich relativ alter Teil des Gehirns, welcher vor allem das Zusammenwirken von Stressreaktionen und emotionalen Verhaltensweisen koordiniert.(…) Es ist das wichtigste Kontroll- und Steuerzentrum der zentral- nervösen Stressantwort auf Verhaltensebene.“ (Rensing et al.2006 S.102).
Unser Nervensystem ist viel älter als die „zivilisierte“ Welt. Wenn sympathische und parasympa- thische Aktivität wegen Dauerstress aus dem Gleichgewicht geraten, entstehen Krankheiten. Eine von unseren evolutionären Wurzeln entfernte Lebensweise, wie z.B. Stadtleben, birgt neben posi- tiven Aspekten vor allem auch ein hohes Stresspotential. Als einer der vordringlichsten Stresso - ren ist hier neben Gestank, Hektik, Enge, Menschendichte u.a. der Lärm zu nennen. Die meisten Menschen empfinden den Verkehrs- und Baulärm als anstrengend. Selbst in den eigenen vier Wänden kann man sich diesem kaum entziehen. Hinzu kommen Geräusche der dicht beieinander lebenden, oft nicht rücksichtsvollen Mitmenschen. Auf den akustischen Stress möchte ich etwas näher eingehen.
Anders als die Augen, können wir Nase und Ohren nicht schließen – nicht mal im Schlaf. Sie dienen uns als Warnsystem, das allzeit in Bereitschaft ist. Auch wenn nicht jedes Geräusch den Schlaf unterbricht, hören wir es. Erscheint es uns zu laut oder gefährlich, wachen wir auf und sind sofort im Alarmzustand. Passiert das oft, sind Schlafprobleme mit all ihren Folgen vorpro - grammiert. Tagsüber kann uns Lärm aufschrecken und in anderen Tätigkeiten unterbrechen, uns die Entspannung aber auch die Konzentration unmöglich machen usw. „Lärm ist das ungewollte Geräusch. (…) Wissenschaftlich sind die Effekte von Lärm auf den Menschen recht gut unter - sucht. Störender Lärm führt zur Ausschüttung von Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol. Und dann nimmt die bekannte Kaskade der Stressreaktionen im Organismus ihren Lauf: Blutdruck und Herzfrequenz steigen, die Gerinnungsfähigkeit des Blutes und der Zucker- und Fettgehalt des Blutes nehmen zu. Und damit wächst das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. Diese Re- aktion wird übrigens auch ausgelöst, wenn wir den Lärm gar nicht bewusst wahrnehmen, etwa im Schlaf. Hiervon sind vor allem Menschen mit bereits gestörter Schlafstruktur, chronisch kran - ke Menschen, ältere Menschen oder Schichtarbeiter, betroffen. Und übrigens: Je mehr man sich über Lärm ärgert, desto mehr Stresshormone werden ausgeschüttet. Die wichtigsten Lärmfolgen sind neben Hörminderung, Schlafstörungen und Herz-Kreislauferkrankungen auch psychische Probleme wie Konzentrationsminderung oder Gereiztheit (Adli 2017). „Chronischer Lärm kann zu Bluthochdruck, und einer Erhöhung des Herzinfarktrisikos führen, selbst dann, wenn er nicht mehr als störend wahrgenommen wird.“ (Rensing et al. 2006 S.43)
Kinder reagieren besonders empfindlich auf Dauerlärm, weil sie chronischen Stress schlechter kompensieren können als Erwachsene.“ (Adli 2017, S.81) „In children, chronic aircraft noise expos- ure impairs reading comprehension and long-term memory and may be associated with raised blood pressure. (…) Studies of children exposed to environmental noise have consistently found effects on cogni- tive performance. The studies which are most informative in terms of the effects of noise on cognition have been field studies focusing on primary school children. (…) The effects of noise have not been found uniformly across all cognitive functions. The research evidence suggests that chronic exposure to noise af - fects cognitive functions involving central processing and language comprehension.“ (Stansfeld & Ma- theson 2003, S. 243, 250) [Übersetzung im Anhang] Wird die Gehirnentwicklung und natürlich auch die körperliche Entwicklung (Bewegungsarmut) im Kindesalter durch Stadtstress länger - fristig gestört, wirkt sich das ein Leben lang aus.
Großstadt und unerfüllte Biophilie als Stressor
Neben Lärm und Gestank sind stressauslösende Faktoren auch ein hohes Tempo / Hektik, die Unübersichtlichkeit, Reizüberflutung, ständiges Licht, Menschengedränge, soziale Dichte aber auch Einsamkeit, das Gesehenwerden (direkt oder durch Kameras), Beton und Steinflächen ohne Grün, Dreck und Müll, tatsächliche Gewalt oder die Angst davor u.v.a.m. Das fortbestehende Einwirken all dieser Stressoren führt nachweislich zu einer erhöhten psychischen Belastung und damit zu einer höheren Vulnerabilität für psychiatrische Erkrankungen.
Problematisch sind neben Lärm, vor allem mit Licht- zufuhr in Zusammenhang stehende, in Städten ver- mehrt auftretende Schlafstörungen. Einerseits wird der biologisch günstige Biorhythmus durch den äußeren Stadtrhythmus verschoben (Arbeit, Schichten, Freizeit- aktivitäten, Fernsehen) und andererseits gibt es selbst in den Ruhephasen nicht wirkliche Dunkelheit. (Lee 2010) Das beeinflusst den Melatoninhaushalt und da- mit den gesamten Rhythmus im Körper.
„Studien zeigen, dass das Risiko für bedeutsame psychiatrische Erkrankungen in Städten gene- rell höher ist als in ländlichen Gebieten. Epidemiologische Studien bestätigen, dass Menschen, die in Städten aufwuchsen, ein höheres Schizophrenierisiko haben.“ (Gruebner et al. 2017, S. 121) Gruebner et al. haben ein sehr komplexes Wirkungsgeflecht aufgezeichnet, warum z.B. af- fektive Störungen und Schizophrenien in deutschen Großstädten häufiger auftreten als im ländli- chen Raum.
Für Kinder scheint das Stadtleben besonders nachteilig zu wirken. „Wenn jemand innerhalb der ersten fünf Lebensjahre in eine Stadt zog, die größer war oder kleiner war als der Ausgangsort, änderte sich auch das Schizophrenierisiko. Beim Umzug in eine größere Stadt stieg es an, wäh- rend es geringer wurde, wenn man in eine kleinere Stadt zog. Auch wer zwischen dem fünften und zehnten Lebensjahr noch den Wohnort wechselte, veränderte sein Erkrankungsrisiko im Er- wachsenenalter. In Zahlen ausgedrückt: Ein Umzug während der Kindheit in eine größere Stadt resultierte in einem 1,4-fach erhöhtem Schizophrenierisiko, während dieses durch den Wechsel in eine kleinere Stadt oder aufs Land auf den Faktor 0,8 gesenkt wurde. Wer in der Großstadt gebo- ren wurde und dort blieb, hatte gegenüber denjenigen, die schon immer auf dem Land gelebt hat- ten, ein sogar knapp dreifach erhöhtes Schizophrenierisiko.“ (Adli 2017, S.135)
Nature-deficit-disorder
„Damit beschäftigt, die Wildnis an den Rand der Zivilisation zu verbannen, hat unsere heutige Industriegesellschaft nicht bemerkt, dass die uralten schicksalshaften Bande zwischen Mensch und Natur, zwischen Zivilisation und Wildnis, zwischen innerer und äußerer Natur noch immer bestehen. Nun, durch den gegenwärtigen Zustand der Welt, erkennen wir jedoch, dass das, was in der Natur geschieht, sich gleichermaßen in der menschlichen Seele widerspiegelt, und sich in un - serem körperlichen und seelischen Befinden verdichtet und manifestiert. Die Wunden der Erde tun auch uns weh.“ (Fischer-Rizzi 2015)
„»Im Osten geht die Sonne auf, im Westen geht sie unter«, haben die Kinder früher gesungen. Der Song ist aus der Mode gekommen – und nicht nur das. Obwohl sich die Jugend trotz Klima - katastrophe auf nichts mehr freut als auf einen heißen Sommertag, sind der sphärische Lauf des Wärmespenders oder die von der Sonne markierten Himmelsrichtungen fast der Hälfte fremd. Je - der Neunte lokalisiert die Sonne sogar im Norden, wo sie (zumindest in unseren Breiten) nim - mermehr hingelangt.“ (Brämer et.al. 2010)
So manches Kind hat inzwischen merkwürdige Vorstellun- gen von der Natur: Enten sind gelb (wie die Badewannen- Quietschente), Kühe sind lila (weil sie auf Schokoladenta - feln schließlich immer so aussehen), Das Reh ist die Frau vom Hirsch, der kleine Käfer ist das Baby vom großen und an den Punkten kann man zählen, wie alt er ist, Spinnen und Schlangen sind eklig bis gefährlich. Ich habe Jugendli - che erlebt, die um Gräser, Zweige oder Bodenproben anzu- fassen, nach Einweghandschuhen fragten, in ihrem Alltag aber ohne Bedenken Griffe von Einkaufswagen oder Halte- stangen in der Bahn anfassen. Nach einem Vormittag im Wald trauten sich dann doch einige, sogar die Kröte in die Hand zu nehmen.
B äume erklettern schult Gleich- gewichtssinn, Planungsvermö- gen, Tastsinn, Zielstrebigkeit, Materialkenntnis u.a.m.
Durch Nichtwissen um Keime, durch Nichtwissen um Zusammenhänge in der Natur, wird diese entweder als Gefahrenraum angesehen oder zur Idylle erklärt. Nach dem Motto Bäume zu pflan - zen ist gut, Bäume zu fällen ist schlecht. Ein gutes Forstmanagement und die Pflege von Kultur - landschaft oder besonders wertvollen Biotopen macht aber das Fällen von Bäumen unabdingbar notwendig. Und Wildnis ist kein größerer Gefahrenraum als die Stadt, auch wenn man mit Bedacht durch sie gehen sollte. Schon 1985 beschrieb Matt Cartmill die Verniedlichungs-Phäno- mene und nannte sie das "Bambi-Syndrom“. (Cartmill 1985)
Den Begriff „Nature deficit disorder“ verwendete der Autor Richard Louv in seinem beeindru - ckenden Buch „Das letzte Kind im Wald – geben wir unseren Kindern die Natur zurück“, Origi - nal: „Last Child in the Woods: Saving Our Children from Nature-Deficit Disorder.” Auch,wenn er die Folgen der Naturentfremdung nicht als eine medizinische Diagnose nennt, geht er auf mögliche gesundheitliche Folgen vor allem im mentalen Bereich ein (Louv 2011). Nach meinen eigenen Erfahrungen mit wirklichen Stadtkindern, sollte eine medizinische Diagnose durchaus bedacht werden, denn die körperlichen und psychischen Folgen sind unübersehbar. Oft äußern sie sich in Symptomatiken, die im ICD 10 anders verortet sind – wie so manche Fälle von ADHS, Konzentrations- und Schlafstörungen, Lernprobleme, gestörtes Sozialverhalten u.a.
Nachdem die meisten menschlichen Gesellschaften sesshaft geworden sind – also mit Beginn des Ackerbaus – bewegen sich die Menschen immer weniger im Freien. Inzwischen sind die urbanen Räume so gestaltet und der technologische Fortschritt so weit entwickelt, dass ein Leben in ge - schlossenen Räumen möglich ist. Und dennoch sind wir Menschen Naturwesen, über unsere ur- alte Evolution mit der Umwelt gemeinsam entstanden. Dieses Negieren der eigenen Wurzeln kann zu massiven Problemen führen, die oftmals gar nicht bewusst werden. Wir sind abhängig von der Natur – denn unsere Nahrung kommt aus unserer Mitwelt, selbst wenn sie mit dem Com- puter bestellt wird und z.B. nur als Formfleisch oder viereckiges Tofustück in Kunststoff ver - packt bei uns landet. Wir brauchen das natürliche Sonnenlicht für unseren Melatonin- und Vit - amin-D-Haushalt. Mikroorganismen im Boden pushen unser Immunsystem und vermutlich den Serotonin-Stoffwechsel (Lowry 2007, Marano 2008/2016, Biermann 2007). Waldluft enthält Be- standteile, die physiologisch, immunologisch und sogar psychologisch heilend wirken (Li 2016).
Ich bin durchaus eine Freundin des technologischen Fortschritts. Er ermöglicht uns ungeahnte Erweiterungen unserer natürlichen Fähigkeiten, große Erleichterung im alltäglichen Leben und natürlich Spaßgewinn und eine besondere Form von Freiheit. Gefährlich scheint es mir jedoch, wenn wir vor lauter Erweiterung die natürlichen Fähigkei- ten verlernen. Nach meinen Beobachtungen gehen vor al- lem Fähigkeiten der Sinneswahrnehmung verloren. Eben- so problematisch ist der Beziehungsverlust zu unserer Mitwelt, der sich auch auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen erstreckt. Und ohne all diese Beziehungen ist ein Mensch – ein soziales Lebewesen – nicht gesund lebensfähig. Mir erscheint die sehr einleuchtend beschrie- bene Nature-deficite-Disorder wie ein guter Nährboden für die Entstehung echter psychischer Erkrankungen wie sie schon im Kapitel über den Stress in der Stadt aufge - zählt wurden.
Ein weiteres Problem der Entfremdung von der Natur und des Verlustes von Sinneserfahrungen entsteht im Nicht-mehr-Erfahren und darum Nicht-mehr-Wissen um die Natur. Ein Kind, das x- Mal ein Eimerchen voll Wasser gefüllt und wieder ausgegossen hat, weiß, dass das Wasser nach unten fließt. Es hat das Wasser gesehen, sein Gewicht und seine Konsistenz gespürt und sich da - mit nass gemacht. Das Wasser kann kalt oder warm sein, aber immer nass usw. Freies Spielen trainiert die Sinne. Was man nicht mit allen Sinnen erfahren konnte, kann man nicht wirklich ver - stehen und schon gar nicht lieben. Meyer-Abich schrieb schon 1990: „Der Gedanke, es gelte vor allem an die Klugheit der Menschen zu appellieren, sich selber nicht zu schaden, gehört zu den dümmsten in der Umweltpolitik. Ein politischer Wille bildet sich erst, wenn Menschen von etwas bewegt sind, und zwar nicht primär in ihren Interessen, sondern in ihren Herzen.“ Auch er plä - dierte damals für die „Wiederbelebung der Sinne“ und stellte fest: „ Umweltprobleme sind Wahr- nehmungsprobleme im vollen Sinne, nicht nur im beobachtenden Verhältnis, sondern im auf- merksamen tätigen Umgang – mit Autos, mit Licht und überall.“ (Meyer-Abich 1990)
Richard Louv möchte nicht „zurück zur Natur“ im romantischen und unrealistischen Sinne. Es geht vielmehr um den Erhalt einer Lebendigkeit, Gesundheit, Kreativität und Natürlichkeit von Kindern und um den Weg zu instinktivem Selbstvertrauen durch erhöhte Aufmerksamkeit in der Natur. (Louv 2011). In seinem nächsten Buch: „The Nature Principle: Reconnecting with Life in a Virtual Age“ (Louv, 2012) erweitert er die Problematik auch auf Erwachsene, die unter technologischer Überlastung und Naturent- fremdung, Sinnentleerung und Achtlosigkeit leiden. In Ergänzung und als sozusagen ganz praktische Abhilfe verfasste er „Vitamin N“ (Louv 2016).
Schon Rousseau nannte in seinem Buch „Emile“ drei Lehrer, die ein Mensch braucht: die Natur, die Menschen und die Dinge (Rousseau 1762). Fehlt eine dieser Säulen, ist die Statik gefährdet, d.h. der Erziehung fehlt ein wesentlicher Baustein.
„Wir sind durch die Sprache so benebelt, daß wir nicht klar denken können, und es ist ange - bracht, sich manchmal daran zu erinnern, daß wir tatsächlich Säugetiere sind.“ (Bateson 1972) Wie wir heute wissen, spielt die Umwelt nicht nur für unser persönliches Leben und unsere Ent - wicklung, sondern auch für die folgenden Generationen eine entscheidende Rolle. Heute sind die molekularen Grundlagen der epigenetischen Einflüsse, die unsere Evolution neben der natürli - chen Auslese, die Darwin beschrieb, eben auch beeinflussen, recht gut untersucht und nachge - wiesen. Autoren und Wissenschaftler wie Butler, Freud und Jung haben das schon vorher geahnt, als sie von Vererbung als Formen des Gedächnisses und des Unbewussten schrieben (Butler 1887).
Gefahren einer naturentfremdeten Kindheitsentwicklung
In vielen Jahrtausenden lebten die Menschen in und mit der Natur und gaben ihr überlebenswich - tiges jeweiliges Wissen über Nutzen und Gefahren, Nahrung und Heilung an die nächste Genera - tion weiter. Viele der Zusammenhänge in der Natur waren ihnen bewusst. Unerklärliches wurde durch Mythen, Märchen, Götter und Geisterglauben verarbeitet. Erst in einer, menschheitsge - schichtlich gesehen, sehr kurzen Zeit löste sich der Mensch von der Natur. Nicht nur, dass er un - abhängiger wurde oder unabhängig zu werden glaubte, er stellte sich über sie und begann, sie zu vernichten, ohne zu bemerken, dass er sich seiner Wurzeln, seiner Heimat, seiner Versorgungs- quelle beraubte und „sich den Ast abzusägen begann, auf dem er saß“. Städte kommen scheinbar ohne Natur aus. Die Kinder, die in ihnen aufwachsen, halten sich überwiegend in Innenräumen auf. Vor lauter Ängsten, lassen Eltern die Kinder nicht mehr (alleine) rausgehen (Valentine 1997).
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- Friederike Blenau (Autor), 2018, Der therapeutische Nutzen von Musikophilie und Biophilie, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/535369
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