Der Autor befasst sich mit der Frage, wie genau Medienrezeption als Widerstand verstanden werden kann. Dazu ist es vorweg nötig den Gegenstand der Cultural Studies näher ins Augen zu fassen, um von dort aus die Verbindung zur Medienrezeption und ihrem Widerstandspotenzial herzustellen.
Wenn man als Laie die Begriffe Cultural Studies und Medienrezeption hört ist Widerstand nicht unbedingt das Erste was einem dazu in den Sinn kommt. Unter Kultur kann vieles subsumiert werden und bei Medienkonsum denken die Meisten vielmehr an das Gegenteil von Widerstand: Entspannung, Ablenkung und Zerstreuung präsentieren sich als naheliegende Beschreibung. Und doch spannen die Cultural Studies den Bogen zum anderen Ende des begrifflichen Kontinuums und begreifen Medienrezeption auch als Widerstand.
Wie kommt der Widerstand in die Medienrezeption? Ein kurzer “Werdegang“
Wenn man als Laie die Begriffe Cultural Studies und Medienrezeption hört ist Widerstand nicht unbedingt das Erste was einem dazu in den Sinn kommt. Unter Kultur kann vieles subsumiert werden und bei Medienkonsum denken die Meisten vielmehr an das Gegenteil von Widerstand: Entspannung, Ablenkung und Zerstreuung präsentieren sich als naheliegendere Beschreibung. Und doch spannen die Cultural Studies den Bogen zum anderen Ende des begrifflichen Kontinuums und begreifen Medienrezeption auch als Widerstand. Nachfolgend möchte ich mich mit der Frage befassen wie genau Medienrezeption als Widerstand verstanden werden kann. Dazu ist es vorweg nötig den Gegenstand der Cultural Studies näher ins Augen zu fassen, um von dort aus die Verbindung zur Medienrezeption und ihrem Widerstandspotenzial herzustellen.
Verglichen im anderen Disziplinen sind die Cultural Studies noch ein sehr junger und in seinen Anfangszeiten nicht unumstrittener Ansatz in den Sozial- und Kulturwissenschaften (vgl. Hepp et al. 2015: 9). Obwohl mittlerweile etabliert und in vielen Studienprogrammen zu finden, sind sich doch viele Vertreter dieser Disziplin einig, dass es DIE Cultural Studies im Grunde nicht gibt (Pirker 2010: 145). Vielmehr versammeln sich darunter „verschiedenen Ansätze, Zugänge, Positionen und Sichtweisen“ (Pirker 2010: 145). „Cultural Studies is a familiar presence in intellectual discourse today, but there is little agreement about what it stands for“ (Ang 2008: 227 zitiert nach Hepp et al. 2010: 9). In diesem Zusammenhang sind sie daher eher als eine „undisziplinierte“ Disziplin zu verstehen. Im Einzelnen bedeutet das, dass die Vertreter der Cultural Studien Lehrstühle unterschiedlicher Fachrichtungen besetzten, dies aber keinen Widerspruch bedeutet, da der Zugang zur Kultur nicht einseitig beschritten werden kann, sondern „Inter-, Trans- und Multidisziplinarität“ (Pirker 2010: 145) benötigt. Nach Hepp et al. lassen sich die Cultural Studies anhand von fünf Charakteristika beschreiben: (1) Ihrer radikalen Kontextualität, (2) dem Theorieverständnis, (3) ihrem interventionistischen Charakter, (4) der Interdisziplinarität und schließlich (5) ihrer Selbstreflexion (Hepp et al. 2015: 10). Kontextualtität bedeutet, dass sie Kultur nicht als etwa im luftleeren Raum losgelöstes betrachten, sondern als immer in einen bestimmten Kontext eingebettet. „Kein kulturelles Produkt und keine kulturelle Praxis [ist] außerhalb seines bzw. ihres kontextuellen Zusammenhangs fassbar“ (Hepp et al. 2015: 10). Das Theorieverständnis resultiert aus der Pluralität ihrer Vertreter, welche aus unterschiedlichen Disziplinen unterschiedlichen Theorien und Methoden kennen und dadurch ein Mix aus Ethnographie, Feminismus, Marxismus, Sprachphilosophie, Politischer Ökonomie, Pragmatismus, Psychoanalyse u.v.m. bereitstellen (Pirker 2010: 145). „Die Disziplinungebundenheit der Cultural Studies [bildet] für die angemessene Erforschung kultureller Praxen und deren unterscheidbaren Kontexten die notwendige Voraussetzung“ (Göttlich/Winter 1999: 28 zitiert nach Pirker 2010: 145). Hier ist besonders der Nutzen der Interdisziplinarität sichtbar. Um den Interventionscharakter zu verstehen muss man zu aller erst wissen, wo die Vertreter der Cultural Studies sich im Forschungsfeld verorten. Die Meisten sehen sich innerhalb ihres Forschungsobjektes am besten aufgehoben, weil sich so eine Innensicht des Gegenstandes ergibt. In dieser „Eingebundenheit in das Feld [sehen sie] die Möglichkeit zur Intervention und Kritik sowie zur Reflexion der eigenen Vorannahmen und des eigenen kulturellen Kontextes“ (Pirker 2010: 146). Auf diese Weise zielen die Cultural Studies darauf ab, „ein Wissen zu produzieren, das […] Interventionen und Veränderungen in der Gesellschaft ermöglicht (Hepp et al. 2015: 10). Bettina Pirker zitiert hierzu sehr zutreffend Chris Barker (2004):
„Cultural studies is concerned with an exploration of culture, as constituted by the meanings and representations generated by human signifying practices, and the context in which they occur. Cultural studies has a particular interest in the relations of power and the political consequences that are inherent in such cultural practices. The prime purposes of cultural studies, which is located in the institutions of universities, publishing houses and bookshops, are the processes of intellectual clarification that could provide useful tools for cultural/political activists and policy makers.“
Die Kultur ist hier als Gegenstand zentral. Wobei Kultur nicht als etwas festgelegtes und unveränderliches verstanden wird, sondern vielmehr als ein ständiger „struggle over meaning“ (Pirker 2010: 146), also als etwas bewegliches und ständig im Werden begriffenes. Darüber hinaus ist Kultur nicht gleich Kultur. Einmal abgesehen davon, dass es unterschiedliche Kulturkreise gibt, unterscheiden die Cultural Studies innerhalb eines Kulturkreises zwischen der hegemonialen Hochkultur der herrschenden Elite eines Landes und einer populären Kultur des “kleinen Mannes“. Wobei anfänglich Populärkultur als deterministisches Werkzeug der herrschenden Eliten, welches die Massen manipuliert, verstanden wurde. In diesem Zusammenhang werden die Medien als Gegenstand interessant, denn Medien waren und sind es heute sogar noch viel mehr ein zentraler Kanal für Kultur. Kultur ist von Medien durchdrungen und reproduziert sich ständig durch diese neu. „Vor diesem Hintergrund lässt sich argumentieren, dass sich viele der gegenwärtigen Arbeiten der Cultural Studies als kritische Beschäftigung mit dem Wechselverhältnis von Kultur – Medien – Macht begreifen lassen. […] und bis heute die meisten Analysen in der Tradition der Cultural Studies Medienanalysen sind“ (Hepp et al. 2015: 11). Womit wir nun bei der Medienrezeption und ihren Akteuren angelangt wären, denn die Medien benötigen den Rezipienten, um ihr Potenzial im Kultur-Medien-Macht-Gefüge überhaut entfalten zu können.
Der Rezipient galt in diesem deterministischen Medienverständnis als rein passiver Konsument der medialen Produkte. Einflussreiche Überlegungen dieser Art stammen zu dieser Zeit von den Philosophen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Erfahrungen mit der Propagandamaschinerie des Nationalsozialismus, Medien und Populärkultur nichts Positives abgewinnen konnten und es vielmehr als bloßes Werkzeug der herrschenden Eliten sahen. „Sie verstanden Populärkultur als die Gesamtheit industrieller Güter, die insofern eine kulturzersetzende Wirkung hätten, als dass sie das Individuum den kommerziellen Zielen des herrschenden Kapitals unterwürfen“ (Kramp 2015: 209). Somit galt der Rezipient als hilflos der herrschenden Ideologie unterworfen, der gewollte Werte und Grundhaltungen quasi osmotisch aufnahm. Die Fähigkeit zum Widerstand im Umgang mit Medien wurde ihm gar nicht zuerkannt. Vielmehr sah man auf diesem Weg Herrschaft „nicht durch Zwang, sondern durch die freiwillige Übernahme von Ideen, Vorstellungen und Bedeutungen der herrschenden Klasse und deren Anerkennung als Wissen, Wahrheit und Normalität im Alltag der Menschen [etabliert]“ (Pirker 2010: 153). Dieses Verständnis, vom hilflos ausgelieferten Konsumenten medialer Inhalte, änderte sich Mitte der 1970er Jahre mit dem encoding-decoding-Modell von Stuart Hall.
Das Modell von Stuart Hall führte den Begriff der Aneignung ein, einem aktiven Prozess, der den Rezipienten bewusste Nutzung und Selektivität von Medieninhalten zuerkennt. Dabei wird impliziert, dass der bis dato geführte Theoriediskurs „die Rolle der Mediennutzerinnen und Mediennutzer […] unterschätzt“ (Kramp 2015: 209). Hall begreift die Medienkommunikation als ein Gebilde mit zwei Sinnstrukturen. Dabei findet sich die hegemoniale Macht auf Seiten der Produzierenden, „die im Encoding bestimmte Bedeutungen in die Medienangebote einschreiben“ (Röser 2015: 125). Dem gegenüber steht der Mediennutzer, der „die Medienangebote im Decoding entschlüsselt und dabei eigene Bedeutungen produzier[t]“ (Röser 2015: 125). Im Moment des Decodierens identifiziert Hall die Handlungsmacht des Rezipienten und widerspricht damit der damals vorherrschenden Meinung, Mediennutzung sei schlichte Informationsübertragung. Er konstatiert, dass Medieninhalte, obwohl mit bestimmter Absicht hergestellt, keine objektive Bedeutung, sondern vielmehr „Bedeutungspotenziale“ besäßen, die erst im Decodieren, abhängig von den Rezipienten, zur Entfaltung kämen (vgl. Röser 2015: 126). „Erst in der Aneignung durch die Subjekte entsteht die Bedeutung der Medientexte“ (Röser 2015: 126). Diese Bedeutung entsteht jedoch nicht völlig willkürlich und ist auch nicht „unendlich vielfältig“, weil die Rezipienten in ihrer Lebenswelt in bestimmte Kontexte eingebunden und von ihnen beeinflussbar sind. „Medienkommunikation [findet] in einem gemeinsamen gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhang [statt]“ und bezieht sich somit immer auf „gemeinsame “Wissens-Rahmen“ und “Produktionsprozesse“ (Röser 2015: 126). Das heißt also der Rezipient decodiert die Medieninhalte durch einen eigenen sozio-ökonomischen Filter und schreibt so den Medieninhalten für ihn spezifische Bedeutung zu oder eben nicht. An dieser Stelle lässt sich nun das Widerstandspotenzial verorten. Leif Kramp (2015: 209) schreibt dazu:
Das Volk bzw. die Masse werden von den Cultural Studies als Leute (the people) re-konzeptualisiert, die als mächtige soziale Kraft begriffen werden, welche sich mit Aneignungstaktiken gegen die Strategien der Überzeugungen, Manipulation oder Unterdrückung seitens gesellschaftlicher Machtinstanzen zur Wehr setzt. Kulturelle Waren sind demnach keine Instrumente der Unterdrückung, obwohl mit ihnen Intentionen der (kommerziellen) Ausnutzung und ideologischen Einflussnahme verbunden sein können, sondern dienen der Nutzerin und dem Nutzer vielmehr dazu, aus dem Produkten Sinn zu schöpfen, die eigene Position zu stärken, sich zu emanzipieren und Manipulationsversuchen zu widerstehen.“
Schlussendlich kann man auf die Frage wie Medienrezeption als Widerstand verstanden werden kann, resümierend sagen, dass das Rezipieren an sich immer die Möglichkeit der Ablehnung mit sich bringt. Das Konsumieren von Medieninhalten ist ein aktiver und schöpferischer Prozess, der sowohl das Identifizieren mit den hegemonialen Überzeugungen wie auch ihre Ablehnung – also Widerstand – beinhaltet und dadurch möglich macht. Indem die bereitgestellten “Bedeutungspotenziale“ interpretiert und auf die eigene Lebenswelt angewandt werden, können Bedeutungen entstehen, die bei der Produktion gar nicht intendiert waren und auch gar nicht vorhergesehen werden konnten, weil sie erst beim decodieren in einem bestimmten Kontext möglich geworden sind. Kultur und in ihr die Mediennutzung ist somit ein „dauerndes Schlachtfeld“ und der Mensch laut Hall, ein „grundsätzlich widerständiges Wesen, das versucht, die Vorgaben der Mächtigen […] zu untergraben“ (Kramp 2015: 210).
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- Citar trabajo
- Anónimo,, 2017, Wie kommt der Widerstand in die Medienrezeption?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/535316