Diese Arbeit untersucht Heinrich von Kleists "Der Zerbrochne Krug" und geht hierbei auf das Zusammenspiel von Lustspiel und Gerichtsverhandlung. Dieses Werk befasst sich im Vordergrund mit dem sonderbaren Umstand, dass ein Richter über sein eigenes Vergehen zu urteilen hat und infolgedessen den Versuch anstrebt, seine Tat nicht publik werden zu lassen. Dass der Untertitel eines Lustspiels innerhalb des Werks in seiner ursprünglichen Bedeutung nur bedingt zum Tragen kommt und die komischen Umstände im Rahmen einer Gerichtsverhandlung tatsächlich einen tragischen Nachklang beinhalten, soll in dieser Arbeit kenntlich gemacht werden.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Begriffserklärung Lustspiel
Die Gerichtsverhandlung als Justizkritik
Die Tragik des Lustspiels
Literaturverzeichnis
Hausarbeit
Heinrich von Kleists, Der Zerbrochne Krug.
Lustspiel und Gerichtsverhandlung. Untersuchen Sie das Zusammenspiel dieser vermeintlich sich entgegenstehenden Merkmale.
Philip Ring
Einleitung
Das von Heinrich von Kleist verfasste Lustspiel Der zerbrochne Krug, befasst sich im Vordergrund mit dem sonderbaren Umstand, dass ein Richter über sein eigenes Vergehen zu urteilen hat und infolgedessen den Versuch anstrebt, seine Tat nicht publik werden zu lassen. Dass der Untertitel eines Lustspiels innerhalb des Werks in seiner ursprünglichen Bedeutung nur bedingt zum Tragen kommt und die komischen Umstände im Rahmen einer Gerichtsverhandlung tatsächlich einen tragischen Nachklang beinhalten, soll im folgenden kenntlich gemacht werden.
Begriffserklärung Lustspiel
Um der Begrifflichkeit des Lustspiels gerecht zu werden, ist es dienlich, ebendiesen im Vorfeld zu präzisieren. Das Lustspiel ist im Grunde genommen ein „Ersatzwort für [die] Komödie.“1 Der Literaturhistoriker August Wilhelm Schlegel sagt dem Lustspiel einen realistischen Bezug nach und beschreibt es als „eine Mischung aus Spaß und Ernst“2, in der die Komik, also das Lustige, nicht mehr als Produkt der Phantasie geschaffen werde, sondern vielmehr aus dem Hintergrund der Wirklichkeit heraus.3 Die Komödie in ihrer ursprünglichen Darstellung bezeichnet er hingegen als „phantastische Gaukelei“.4 Das Lustspiel suche einen „bündigen Zusammenhang, und hat mit der Tragödie eine förmliche Verwicklung und Auflösung gemein.“5 Der Vergleich zwischen dem Lustspiel und der Tragödie wird von Schlegel weitergeführt, indem er konstatiert, dass beide Formen des Dramas versuchen einen „Moment der Befriedigung“6 herzustellen, welcher gen Schluss erreicht werden soll. Diesen Moment markiert er als „Ruhepunkt für den Verstand“.7 Diesen Ruhepunkt könnte man als einen zu erreichenden Umstand verstehen, an dem alle entstandenen Widersprüche zu einem sinnstiftenden Momentum führen. Die von Schlegel postulierten Unterschiede legen nahe, dass sich das Lustspiel, obwohl es für gewöhnlich als schiere Übersetzung dient, dennoch von der üblichen Komödie abhebt. Folgerichtig lässt sich im Sachwörterbuch der Literatur folgende Abgrenzung finden: „Lustspiel bedeutet [...] im Unterschied zu der aus der Komik abgeleiteten Komödie die aus der Haltung des Humors entstandene Dramenform; sie bezweckt nicht Lächerlichkeit durch Aufdeckung der Unzulänglichkeiten, sondern reines Lachen der Heiterkeit, entstanden aus der Überlegenheit des Wissens um menschlich-irdische Bedingtheit“.8 Des Weiteren sorge das Lustspiel für eine „dramatische Gestaltung eines oft nur scheinbaren Konflikts, der nach Entlarvung der Scheinwerte und Unzulänglichkeiten des Menschenlebens mit heiterer Überlegenheit über menschliche Schwächen gelöst wird.“9
Die Gerichtsverhandlung als Justizkritik
Ein scheinbarer Konflikt ist in Kleists Werk nur auf den ersten Blick vorhanden. Die Gerichtsverhandlung kennzeichnet einen Schauplatz, an dem mit komödiantischen Charakter eine wenig komische Spannung zur Geltung gebracht wird. So versteht der Germanist Wolfgang Wittkowski den Zerbrochnen Krug zum einen als „ironisch verschleierte Satire [...] auf die Autorität der Institutionen, Ideologie und ihrer Repräsentanten“10 und zum anderen als Satire „auf die Autorität der Autorität überhaupt, die Autoritätsgläubigkeit.“11 Satirische Elemente, die sich durch literarische Verspottung von Missständen, Unsitten und Personen definieren,12 können im Lustspiel vermehrt gefunden werden. Hierbei ist es wichtig, die einzelnen Personen des Lustspiels hinreichend zu beleuchten, um Aussagen über eine mögliche Kritik gegenüber autoritären Instanzen festzumachen. Hans-Peter Schneider widmet sich dieser Aufgabe und bezeichnet Wittkowskis Titel Gaukelspiel der Autorität als „viel zu allgemein und abstrakt, als daß es geeignet wäre, die spezifisch juridischen Mißstände, Verfahrensfehler und Verfahrensverstöße der Beteiligten [...] hinreichend klar zu benennen und ins Bewußtsein zu heben.“13 Er konstatiert, dass die Justizkritik nur durch „genaue Beobachtung und Analyse des Verhaltens der handelnden Gerichtspersonen [...] ermittelt werden kann.“14 So beschreibt Schneider den Dorfrichter Adam wenig überraschend als gewissenlos und korrupt, der jedoch als „Jurist, so paradox das klingen mag, nicht nur verständlich, sondern bis zu einem gewissen Grade sogar vertretbar“15 erscheint. Diese offenkundige Paradoxie lässt sich nach Schneider anhand des damaligen Konflikts zwischen der staatlichen Zentralverwaltung und den lokalen Autoritäten aufheben.16 Infolgedessen hat der Kontrast zwischen auf Einheitlichkeit pochender Macht auf Seiten des Territorialherrn und dem althergebrachten Recht der Städte und Gemeinden dafür gesorgt, dass Adam die Gerichtsverhandlung nach dem durchaus problematischen, aber dennoch ortsüblichen Brauch, nach den Huisumer Statuten, durchführt.17 Im Gegensatz zu Adam handelt der Schreiber Licht nicht „um der Autorität des örtlichen Gerichts willen, sondern allein im Interesse seiner eigenen Karriere, weil er auf diese Weise [...] Adam entheben“18 kann. Die neutralen und objektiven Interventionsversuche von Licht sind im Umkehrschluss weniger als höhere Gerechtigkeitsvorstellung zu verorten, sondern liegen eigennützigen Motiven zugrunde. Licht wird von Schneider hierbei als „subalterner, karrierebesessener und obrigkeitshöriger“19 Schreiber taxiert. Auch Catholy beschreibt Licht als Unsympath: Es sei keine Zufälligkeit, dass ihm schließlich ein Schnippchen geschlagen wird, indem er den Posten des Richters nur vorübergehend repräsentieren darf.20 Den Gerichtsrat Walter mit einer Justizkritik in Assoziation zu bringen, gestaltet sich im Vergleich zu den anderen Figuren, zunächst als schwierigeres Unterfangen: Walter geht es weniger um menschliche Schwächen, wie es bei Adam oder Licht der Fall ist, „sondern um die Aufdeckung struktureller Mängel eines Gerichtssystems.“21 So kommt uns Walter zu Beginn als „untadeliger, ebenso pflichtbewusster wie objektiver Sachwalter staatlicher Interessen“22 vor, doch nachdem sich Adam als Täter entlarvt, handelt auch Walter nicht im Sinne eines gesunden Rechtsverständnis. So stärkt er Adam im Nachhinein den Rücken und plädiert, im Falle einer korrekt geführten Kasse darauf, dass er weiterhin im Wirkungskreis der Justiz tätig bleibt: „Doch sind die Kassen richtig, wie ich hoffe, zur Desertion ihn zwingen will ich nicht.“ (V. 1965-1966).23 Diese Nachsicht bringt das Justizwesen nun endgültig um den letzten Kredit. Der Gerichtsrat hätte den Dorfrichter festnehmen müssen, aber verlangt stattdessen, Adam aus Gründen der Wahrung richterlicher Würde zurückzuholen: „Geschwind, Herr Schreiber, fort! Holt ihn zurück! Dass er nicht Übel rettend ärger mache.“ (V. 2416). Das Anliegen der allgemeinen Gerichtsordnung besteht darin, neue Verfahren und Instrumente zu schaffen, mit denen man nicht nur den Beschwerden der Bürger eine rechtmäßige Abhilfe verschafft. Auch die Mängel im Justizwesen, wie unfähige und korrupte Richter sollen zur Verantwortung gezogen werden. Die Nachsicht des aufrichtig scheinenden Gerichtsrats ist nicht zu entschuldigen.24 Für ihn spielt letztendlich die schiere Ehre des Gerichts und der Autorität im Kontrast zur Gerechtigkeit eine übergeordnete Rolle. Sein Handeln desavouiert das Vertrauen in die Integrität der Justiz. Dirk Grathoff bringt diese Problematik zum Ausdruck, indem er darauf aufmerksam macht, dass die Entschlüsse des Gerichtsrats die „Beliebigkeit, die mit den Institutionen Einzug in die Geschichte gehalten hat - nicht aufheb[t], sondern überhaupt erst artikuliert.“25 So „kann [man] Pech haben und an einen unfreundlichen Richter geraten, man kann aber auch Glück haben und an einen freundlichen Richter geraten.“26 Die Gerichtsverhandlung markiert demnach im satirisch, komischen Stil den desolaten Zustand der Justiz und das damit verbundene korrupte und selbstsüchtige Handeln der Autoritären. Unter Beleuchtung der auftretenden Figuren und der Tatsache, dass der Prozess noch immer, wenn auch in Utrecht, fortgesetzt werden muss, kann festgehalten werden, dass Recht und Ordnung „mit Gewissheit nicht wiederhergestellt [ist]. Sie bleiben zerbrochen in dieser gebrechlichen Welt [...] nur scheinhaft, äußerlich stellen sich Recht und Ordnung wieder her.“27
[...]
1 Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart: Kröner, 7. Aufl. 1989. S. 487.
2 Schlegel, August Wilhelm: Ueber dramatische Kunst und Litteratur. Vorlesungen. Erster Theil. Heidelberg 1809. S. 158.
3 Vgl.: Ebd., S. 158
4 Ebd., S. 159.
5 Ebd., S. 159.
6 Ebd., S. 159.
7 Ebd., S. 159.
8 Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. S. 487.
9 Ebd., S. 487.
10 Wittkowski, Wolfgang: Wert - Ethik, Wahrheit, Widerstand und Wieder-Auf-Er-Stehung. Frankfurt am Main: Lang- Ed. 2013. S. 95.
11 Ebd., S. 95.
12 Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. S. 718.
13 Schneider, Hans-Peter: Justizkritik im „Zerbrochnen Krug“. In: Kleist-Jahrbuch 1988/89. Hrsg. Von Hans Joachim Kreutzer. Berlin: Erich Schmidt Verlag 1988. S. 310.
14 Ebd., S. 313.
15 Schneider: Justizkritik im „Zerbrochnen Krug“. S. 313.
16 Vgl.: Ebd., S. 314.
17 Vgl.: Ebd., S. 314.
18 Ebd., S. 314.
19 Ebd., S. 315.
20 Catholy, Eckehard: Das deutsche Lustspiel. Von der Aufklärung bis zur Romantik. Kohlhammer, Stuttgart et al. 1982. S. 175.
21 Schneider: Justizkritik im „Zerbrochnen Krug“. S. 315.
22 Ebd., S. 315.
23 Kleist, Heinrich von: Der zerbrochne Krug. Ein Lustspiel. Husum/Nordsee: Hamburger Lesehefte Verlag, 2012 (Hamburger Leseheft Nr. 33). Fortan sind Versangaben auf diese Quelle zurückzuführen.
24 Schneider: Justizkritik im „Zerbrochnen Krug“. S. 325.
25 Grathoff, Dirk: Geschichte, Politik, Sprache. Aufsätze zu Leben und Werk Heinrich von Kleists. Opladen: Westdeutscher Verlag, 2. Aufl. 2000. S. 48.
26 Ebd., S. 48.
27 Wittkowski: Wert - Ethik, Wahrheit, Widerstand und Wieder-Auf-Er-Stehung. S. 117.
- Arbeit zitieren
- Philip Ring (Autor:in), 2019, Lustspiel und Gerichtsverhandlung in Heinrich von Kleists "Der Zerbrochne Krug", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/534842
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