In den letzten Jahre gelang es rechtsextremen Szenen sich in ostdeutschen Kommunen zunehmend zu etablieren und ein Beziehungsgeflecht zwischen organisierten, zellulären Strukturen und informeller kultureller Dominanz rechtsextremer Jugendszenen aufzubauen. Ausgestattet mit einem ausdifferenzierten Angebot an rechtsextremem Lifestyle (Musik, Kleidung, Symbolik) wurde Rechtsextremismus zum jugendkulturellen Alltagsphänomen. Dynamisiert wurde dieses Problem durch das Fehlen kultureller Alternativstrukturen. Insbesondere in kleinen Ortschaften und in einzelnen Stadtteilen wurde die rechtsextreme Jugendclique zur einzigen Sozialisationsinstanz für die nachwachsenden Generationen.
Wurde auf die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock zu Beginn der 1990er Jahre noch mit der einseitigen Förderung von sog. akzeptierender Jugendarbeit reagiert, so entwickelte sich in Wissenschaft und zivilgesellschaftlicher Praxis in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ein kritischer und zugleich innovativer Diskurs über neue Perspektiven der Arbeit gegen Rechtsextremismus. Es entstand einerseits eine profunde kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit1und andererseits die Forderung nach Unterstützung ziviler Gegenkräfte.2Der zuletzt genannte Aspekt entwickelte sich aus den Praxiserfahrungen verschiedener zivilgesellschaftlicher Akteure, die über Jahre in der interkulturellen Arbeit oder in der Beratung von Maßnahmen gegen Rechtsextremismus tätig waren. Ihrer Erfahrung zu folge scheiterte eine wirkungsvolle Intervention nicht nur an starken rechtsextremen Strukturen, sondern v.a. an Blockaden lokaler Verwaltungen und der fehlenden Ressourcen für zivilgesellschaftliche Gegenkräfte im Sozialraum. Demokratieentwicklung, der Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen in Ost-deutschland wurden zu ihren zentralen Forderungen, denn Studien belegten hier Defizite: es bestünde ein geringer „zivilgesellschaftlicher Organisationsgrad“ bei einem gleichzeitig hohen Potential für wenig formalisiertes und flexibles „bürgerschaftliches Engagement“ in der Bevölkerung.
Inhaltsverzeichnis
a.) Einleitung
b.) Theoretische Grundlagen und Geschichte der Sozialraumanalyse
1. Geschichte und Hintergründe der Sozialraumforschung
1.1 Sozialräume als individuelle ‚Lebenswelten’
1.2 Sozialräume als Spiegelbilder der gesellschaftliche Verhältnisse
2. Sozialraumanalyse im Kontext Mobiler Kommunalberatung
2.1 Forschungsgegenstand
2.2 Ziel der Sozialraumanalyse in der Mobilen Kommunalberatung
2.3 Prinzipien der Sozialraumanalyse in MBT-Beratungsprozessen
c.) Methoden der Datenerhebung für Sozialraumanalysen
1. wissenschaftliche Methoden der Datenerhebung
1.1 Empirische Datenerhebung
1.2 Die aktivierende Befragung
1.2.1 Ablauf von aktivierenden Befragungen
1.2.2 Rahmenbedingungen für aktivierende Befragungen
1.2.3 Ziele und Formen und Grenzen Aktivierender Befragungen
1.2.4 Grenzen des sinnvollen Einsatzes von Aktivierenden Befragungen
2. (spielerische) Methoden der Datenerhebung bei Sozialraumanalysen
d.) Praxis der Sozialraumanalyse
1. Einleitung - „ BERGIDYLL “
2. Das Kulturbüro Sachsen e.V. in der Gemeinde Reinhardtsdorf-Schöna
3. Fragestellung & Projektziel
4. Methodisches Vorgehen
4.1 Theoretical Coding & Grouded Theorie als methodischer Ausgangpunkt
4.2. Methodenmix: standardisiertes Leitfadeninterview und Theoretical Coding
4.2 Erläuterungen zum verwendeten Expertenbegriff & Erfahrungen aus dem Prätest.
4.3 Interviews und Gespräche
4.4 Angaben zu den Interviewteilnehmerinnen und -teilnehmern
e.) Datenauswertung im Projekt
1. Kategorienbildung am konkreten Material „ theoretical coding “
2. Schlüsselkategorien zum Themenfeld Dorfentwicklung
2.1. rechtsextreme Taktik der kulturellen Subversion
2.1.1. Gesinnung tritt zu Tage
2.1.2. Symbole setzen
2.1.3. Räume besetzen durch Aggression oder kulturelle Subversion
2.2 Rechtsextremismus wird nicht als Problem gesehen
2.2.1 Leugnen und Wegsehen als Entlastungsstrategie
2.2.2 fehlende Positionierung (Angst, um den ‚Friedens’ im Dorf)
2.2.3 Grenzen & Regeln fehlen
2.2.4 rechtsextreme Deutungen sind verankert
2.3 Hinderungsgründe für Dorfentwicklung
2.3.1 Folge 1 der sozioökonomischen Transformation: Perspektivmangel & Abwanderung
2.3.2 Folge 2 der sozioökonomischen Transformation: Misstrauen gegenüber Demokratie
2.3.3 Folge 3: Rechtsextreme Einstellungen/Handlungen als Form „oppositionellen Handelns“
2.3.4 Frustration zivilgesellschaftlichen Engagements und Demokratiedefizite im Ort
2.3.5 Dorfgemeinschaft: geschlossenes System für ‚Fremde’ mit einem großen TABU
2.3.6 Kommunikationsdefizite
2.4 Ressourcen für demokratische Kultur und Dorfentwicklung
2.4.1. bauliche und formelle Infrastruktur
2.4.2 soziokulturelle Ressourcen
2.4.3 Vereinsvielfalt
2.4..4 politisches Engagement
2.4.5 konkrete Ideen/Arbeit gegen Rechtsextremismus
3. Ressourcen zivilgesellschaftlichen Engagements 35
f.) Literatur & Anhang
1. ANHANG
1. 1 Codierplan zum Thema Dorfentwicklung / Demokratisierung
1. 2 teilnehmende Beobachtungen
1. 3 Kategoriencluster mit Quellenangaben
1. 4 Vereins- und Initiativenliste (laut Nennung in den Experteninterviews)
1. 5 Ausgewählte Presseartikelüber Reinhardtsdorf-Schöna
"Der Zuschauer, das passive Wesen par excellence, ist weniger als ein Mensch.
Es tut not, ihn wieder zum Menschen zu machen, ihm seine Handlungsfähigkeit zurückzugeben.
Er muss Subjekt / Protagonist werden.
(Augusto Boal: Theater der Unterdrückten)
a.) Einleitung/Begründung des Forschungsansatzes
In den letzten Jahre gelang es rechtsextremen Szenen sich in ostdeutschen Kommunen zunehmend zu etablieren und ein Beziehungsgeflecht zwischen organisierten, zellulären Strukturen und informeller kultu- reller Dominanz rechtsextremer Jugendszenen aufzubauen. Ausgestattet mit einem ausdifferenzierten Angebot an rechtsextremem Lifestyle (Musik, Kleidung, Symbolik) wurde Rechtsextremismus zum ju- gendkulturellen Alltagsphänomen. Dynamisiert wurde dieses Problem durch das Fehlen kultureller Alter- nativstrukturen. Insbesondere in kleinen Ortschaften und in einzelnen Stadtteilen wurde die rechtsextreme Jugendclique zur einzigen Sozialisationsinstanz für die nachwachsenden Generationen.
Wurde auf die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock zu Beginn der 1990er Jahre noch mit der einseiti- gen Förderung von sog. akzeptierender Jugendarbeit reagiert, so entwickelte sich in Wissenschaft und zivilgesellschaftlicher Praxis in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ein kritischer und zugleich innovativer Diskurs über neue Perspektiven der Arbeit gegen Rechtsextremismus. Es entstand einerseits eine profun- de kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit1 und andererseits die Forderung nach Unterstützung ziviler Gegenkräfte.2 Der zuletzt genannte Aspekt entwickelte sich aus den Praxiserfahrungen verschiedener zivilgesellschaftlicher Akteure, die über Jahre in der interkulturellen Ar- beit oder in der Beratung von Maßnahmen gegen Rechtsextremismus tätig waren. Ihrer Erfahrung zu folge scheiterte eine wirkungsvolle Intervention nicht nur an starken rechtsextremen Strukturen, sondern v.a. an Blockaden lokaler Verwaltungen und der fehlenden Ressourcen für zivilgesellschaftliche Gegen- kräfte im Sozialraum. Demokratieentwicklung, der Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen in Ost- deutschland wurden zu ihren zentralen Forderungen, denn Studien belegten hier Defizite: es bestünde ein geringer „zivilgesellschaftlicher Organisationsgrad“ bei einem gleichzeitig hohen Potential für wenig for- malisiertes und flexibles „bürgerschaftliches Engagement“ in der Bevölkerung.3 Obgleich also in Ost- deutschland ein hohes demokratisches Potential besteht entwickelt sich ein vom Staat unabhängiger „drit- ter Sektor“, der in der DDR nur sehr rudimentär vorhanden war4, auch nach 1990 nicht „von selbst“.
Die Sozialraumanalyse innerhalb des innovativen Konzeptes der Mobilen Kommunalbetratung untersucht, dem Leitbild des Bundesaktionsprogramms "Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus" und seines Förderprogramms CIVITAS folgend, das soziokulturelle Innenleben sozialer Räume bezüglich ihres Veränderungspotenzials für demokratieorientiertes Handeln (Ressourcen) einerseits und bezüglich ihres Problempotenzials an demokratiegefährdendem, rassistischem, antisemitischem und völkisch/nationalistischem Handeln (Defizite) andererseits. Dies umfasst folgende spezifischen Forschungsgegenstände:
- soziale Systeme (Kommunikation und Akteure mit ihren Interaktionen) beschreiben
- Kompetenzen und soziokulturelle Ressourcen5 der Menschen vor Ort untersuchen
- lokale Vernetzungsstrukturen daraufhin untersuchen, ob man diese zur Hilfe nehmen kann oder ob neue Netzwerke notwendig sind
- lokale Problemträger und -löser (Stärken-Schwächen-Analyse) untersuchen
Die Sozialraumanalyse in der Mobilen Beratung soll ein hinsichtlich seiner spezifischen Problemlage und seiner Topografie abgegrenztes Gebiet, von möglichst vielen problemrelevanten Seiten und mit den dafür am besten geeigneten verschiedenen Methoden komplex und tiefenscharf darstellen. Das umfasst folgende spezifische Analyseziele:
- rechtsextremes Gefährdungspotenzial (soziale Problemlage) beschreiben und einem geografischen Raum zuordnen
- Akteure im Raum kennen lernen und ihre demokratischen Veränderungspotenziale abschätzen
- lokale Akteure stärken und dazu befähigen eigene (Demokratisierungs-)Ziele entsprechend ihrer Ressour- cen zu erkennen/bearbeiten
- externe Reflexionsinstanz für lokale Akteure bieten
Das Ziel des hier vorgestellten Projektes besteht darin, die Besonderheiten der soziokulturellen Situation der analysierten Gemeinde in einem sog. „Gemeindeporträt“ herauszuarbeiten. Insbesondere soll die So- zialraumanalyse die Stärken und Schwächen (Akteure und ihre Ressourcen bzw. Defizite) der analysierten Kommunen benennen und konkrete Potenziale für demokratieorientiertes Handeln aufzeigen. Angestrebt wird mit dem Projekt gleichzeitig eine höhere Identifikation der BewohnerInnen mit ihrer Gemeinde, die u.a. durch eine aktivere Beteiligungskultur innerhalb des konkreten Gemeinwesens erreicht werden soll.
b.) Theoretische Grundlagen und Geschichte der Sozialraumanalyse
1. Geschichte und Hintergründe der Sozialraumforschung
Die Geschichte der Sozialraumanalyse ist beinahe 100 Jahre alt und eng mit der Geschichte sozialer Be- wegungen gegen soziale, kulturelle und ökonomische Missstände verbunden. Die Grundlagen systemati- scher, raumbezogener Analysen legte die ‚Chicago-School’ um 1920. Ihre Analysen sog. ‚Urban Areas’ gliederten den urbanen Raum nach Zonen, die ein signifikantes Struktur- und Nutzungsprofil aufwiesen. Dabei untersuchten die Forscherinnen und Forscher typische Entwicklungs- und Verteilungsmuster von und in modernen Städten und deuteten diese als Ergebnis der Interaktion von räumlichen und sozialen Strukturen.
Sozialraumanalysen bilden also die Verknüpfung der strukturellen Raumebene mit der personalen Handlungsebene in räumlich begrenzten Forschungsgebieten ab.6 Die Forschung der Chicago-School entwickelte erstmals theoretische Darstellungsmodelle sozialer Räume und spezifische Erfassungsmethoden. Diese theoretischen Annahmen und praktischen Handlungsschritte wurden in den späten 1940er Jahren unter der Begrifflichkeit „Humanökologie“7 zu dem Instrumentarium entwickelt, dass noch heute die theoretische und praktische Grundlage für die Charakterisierung sozialer Räume ist. Menschliche Siedlungen können demnach in dreierlei Hinsicht abgebildet werden, nämlich durch:
1) die Betrachtung der subsozialen Beziehungen der BewohnerInnen (wirtschaftliche Produktionsweise, Wettbewerb zwischen sozialen Gruppen) = ‚study of sub-social relations’
2) die Betrachtung der soziokulturellen Raumidentität, die sich aus Institutionen, sozialen Prozessen und aus physischen Merkmalen des Raums und seiner Bewohnerschaft bildet (soziokulturelle Interaktion sozialer Gruppen8 ) = ‚study of social-cultural areas’
3) die Untersuchung von räumlichen Verteilungen sozialer Phänomene = study of spatial distributions’ Diese drei Typisierungen sozialer Räume wurden von unterschiedlichen Forscherschulen der Humanökologie verschieden stark gewichtet und ausgeformt9. Das spezifische Verfahren der Sozialraumanalyse bestand aber in allen „Schulen“ einheitlich aus vier aufeinanderfolgenden Schritten:
4) die Abgrenzung (Zonierung) eine Raums
5) die Beschreibung der internen Charakteristik nach räumlich-funktionalen Strukturen und Verteilungen
6) die Ermittlung der Beziehungen und Differenzen zu anderen Gebieten
7) das Vorhandensein fester sozialer und physischer Potenziale im Raum
Die ursprüngliche humanökologische Form der Sozialraumanalyse fand in der bundesdeutschen Fachde- batte erst in den 70er Jahren Bedeutung. Der Bedarf an analytischer Vorarbeit für die aufstrebende Ge- meinwesenarbeit in der BRD der 70/80er Jahre war eine Ursache für die Renaissance räumlicher Struktur- analysen. Schnell geriet dabei die Fokussierung auf strukturelle Faktoren in der humanökologischen Raumanalyse in die Kritik.
1.1 Sozialräume als individuelle ‚Lebenswelten’
Der Rückbezug auf die Dokumentation und Deutung (sozialer und kultureller) Phänomene der alltägli- chen Erfahrung unterhalb messbarer statistischer Indikatoren veränderte das Konzept der Sozialraumana- lyse später. Im veränderten Sozialraumbegriff ging es vor allem um die Frage, „welche Merkmale des Raumes von den Menschen aus ihrer jeweiligen individuellen Sicht erfasst und mit relativen Bedeutungen aufgeladen werden“.10 Dieser phänomenologische Zugang11 orientierte die Sozialraumanalyse in Abkehr von den objektivierenden und quantifizierenden Wissenschaftsansätzen wieder zurück auf die Bedürfnisse, Problemlagen und Diskurse der Menschen in sozialen Systemen. Diesem qualitativen Bezug auf die Le- benswelt als soziokulturell überformte Umwelt wurde mit einer Fokussierung auf die Sprache als Ort der Interaktion und der Sinnaushandlung der Menschen Rechnung getragen.12 Neben den quantifizierbaren Sozialdaten und makrosoziologischen Erhebungen sollte wieder stärker mit qualitativen Datenerhe- bungsmethoden gearbeitet werden. Teilnehmende Beobachtung, standardisierte Befragungen oder For- men der aktivierenden Befragung standen nun wieder hoch im Kurs.
Die für diese veränderte Bedürfnislage geeignetste und am weitesten entwickelte Methodologie stellte die Soziografie dar, die ebenfalls in den 1920er Jahren im Rahmen der bekannten “Marienthalstudie“ von der Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle der Universität Wien entwickelt wurde.13
1.2 Sozialräume als Spiegelbilder der gesellschaftliche Verhältnisse
Nach dem Siegeszug des individualisierenden Lebensweltparadigmas innerhalb der Sozialforschung ist im letzten Jahrzehnt eine leichte Rückbesinnung hin zu makrosoziologischen Fragestellungen nach gesell- schaftlichen Rahmenbedingungen eingetreten. Insbesondere Pierre Bourdieu hat die Handlungstheoretiker darauf hingewiesen, dass lokale Sinnaushandlungen nicht ohne den Hintergrund gesellschaftlicher Ver- hältnisse und Diskurse gedacht und dargestellt werden können. Er weist darauf hin, „dass das Wesentliche des vor Ort zu Erlebenden und zu Sehenden [...], ihren Kern ganz woanders haben.“14 Die in konkreten, abgrenzbaren Sozialräumen erkennbaren Sozialstrukturen, Lebensverhältnisse, Nutzungs- und Wahrneh- mungsmuster konstituieren sich nicht im Nahraum allein. Sie sind vielmehr auch Ausdruck gesellschaftli- cher Lebens- und Machtverhältnisse, der Positionierung von Personen und Gruppen im gesellschaftlichen Raum. Bourdieu stellt zwei in Bezug stehende Dimensionen des sozialen Raumes dar:
(1) Den metaphorischen Habitus, der aus den mentalen und körperlichen Ressourcen der sozialen Akteure (ökonomisches, soziales, kulturelles und symbolisches Kapital) gebildet wird.
(2) Das soziale Feld, den durch die Akkumulation und Distribution materieller Ressourcen - mit BOURDIEU gesprochen, durch die Verfügbarkeit von Kapitalarten innerhalb verschiedener Milieus - sozial angeeigneten geografischen Raum.15
Im physisch-geografisch lokalisierbaren Sozialraum (2) bilden sich Bewegungs-, Nutzungs- und Wahr- nehmungsmuster von Akteuren ab, die im metaphorisch-gesellschaftlichen Raum (1) konstituiert werden, und zwar auf Grundlage des jeweils individuell angeeigneten ökonomischen, sozialen, kulturellen oder symbolischen Kapitals.
Lokale Veränderungsprozesse verdichten sich nach dieser Vorstellung im physisch-geografischen Sozialraum und sind in diesem ablesbar; sie werden grundlegend aber im gesellschaftlichen Sozialraum gebildet und sind auch nur dort wirklich (nachhaltig) beeinflussbar. Eine wirklich nachhaltige Veränderung lokaler Diskurse und Machtgefüge kann also nur durch eine Beeinflussung der im Habitus immer wieder reproduzierten gesellschaftlichen Werte- und Normvorstellungen der Menschen erwirkt werden.
2. Sozialraumanalyse im Kontext Mobiler Kommunalberatung
Um den vielfältigen Anforderungen von Auftraggebern gerecht zu werden, erfordert gelingende Mobile Kommunalberatung einen ganzheitlichen und nachhaltigen Sozialraumbegriff sowie effiziente Analysetechniken zu seiner Beschreibung. Makrosoziologische Problembeschreibungen (Rechtsextremismus in Ostdeutschland allgemein) sind der spezifischen Problembewältigung der Akteure vor Ort nicht dienlich.16 Deshalb untersucht Mobile Beratung die spezifischen Problemlagen vor Ort und die hiermit in Zusammenhang stehenden Akteursgruppen. Eine komplexe und tiefenscharfe Problembeschreibung ist für erfolgreiches Veränderungsmanagement im kommunalen Kontext unerlässlich. Voraussetzung für ein solches analytisches Vorgehen ist demnach eine Eingrenzung des Betrachtungsgegenstands und der zu seiner Betrachtung am besten geeigneten Forschungsmethoden.
2.1 Forschungsgegenstand
Die Sozialraumanalyse der Mobilen Kommunalbetratung für Demokratieentwicklung untersucht, getreu den in den Förderrichtlinien des Bundesaktionsprogramms "Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus" und der darin zusammengefassten För- derprogramme formulierten Leitbildern, das soziokulturelle Innenleben sozialer Räume bezüglich ihres Veränderungspotenzials für demokratieorientiertes Handeln (Ressourcen) einerseits und bezüglich ihres Problempotenzials an demokratiegefährdendem, rassistischem, antisemitischem und völ- kisch/nationalistischem Handeln (Defizite) andererseits.17 Sozialraumanalyse im Kontext Mobiler Bera- tung ist also kein Selbstzweck zur soziologischen Erforschung von Lebenswelten, sondern handlungstheo- retische Grundlage für angestrebte sozialräumliche Veränderungs- und Demokratisierungsprozesse. Sozi- alraumanalyse in diesem Sinne umfasst folgende spezifischen Forschungsgegenstände:
- soziale Systeme (Kommunikation und Akteure mit ihren Interaktionen) beschreiben
- Kompetenzen und soziokulturelle Ressourcen18 der Menschen vor Ort untersuchen
- lokale Vernetzungsstrukturen daraufhin untersuchen, ob man diese zur Hilfe nehmen kann oder ob neue Netzwerke notwendig sind
- lokale Problemträger und -löser (Stärken-Schwächen-Analyse) untersuchen
2.2 Ziel der Sozialraumanalyse in der Mobilen Kommunalberatung
Die Sozialraumanalyse soll ein hinsichtlich seiner spezifischen Problemlage und seiner Topografie abge- grenztes Gebiet, von möglichst vielen problemrelevanten Seiten und mit den dafür am besten geeigneten verschiedenen Methoden komplex und tiefenscharf darstellen. Das umfasst folgende spezifische Analyse- ziele:
- rechtsextremes Gefährdungspotenzial (soziale Problemlage) beschreiben und einem geografischen Raum zuordnen
- Akteure im Raum kennen lernen und ihre demokratischen Veränderungspotenziale abschätzen
- lokale Akteure stärken und dazu befähigen eigene (Demokratisierungs-)Ziele entsprechend ihrer Ressour- cen zu erkennen/bearbeiten
- externe Reflexionsinstanz für lokale Akteure bieten
2.3 Prinzipien der Sozialraumanalyse in MBT-Beratungsprozessen
- Analyseschwerpunkt liegt auf den für die Unterstützung von Projekten für demokratische Kultur und deren lokaler Verankerung wichtigen Informationen
- Analyseformen nach dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe als nachhaltigste Form der Unterstützung (Empo- werment) verwenden
- Change agency’ (Lokalraumveränderung): aus dem System heraus und mit der Sprache der im System le- benden Menschen analysieren, bzw. geeignete Schlüsselpersonen als Transformatoren (Dolmetscher im Veränderungsprozess) finden
c.) Methoden der Datenerhebung für Sozialraumanalysen
3. wissenschaftliche Methoden der Datenerhebung
3.1 Empirische Datenerhebung
1. Vergleichsanalyse19 (vergleichende Studien) Unterschiede zu benachbarten Räumen werden fest- gehalten
2. Teilnehmende Beobachtung20 quantitativ bspw.: Häufigkeiten von Kommunikation und sozialen Beziehungen dokumentieren (Foto, Zeichnungen) Auswertung von Sekundäranalysen (Wirtschaftsdaten, kommunale Entwicklungsplanungen, Bevölkerungsstatistiken, Kinder- / Jugendhilfeplanung, Statistiken sozialer Einrichtungen, etc.)
qualitativ
verbale oder schriftliche Dokumente auswerten
ausführliche Interviews von Personen und Gruppen
eigene Eindrücke verarbeiten/Bewerten (ggf. reflektierendes Team als Hilfe)
3. standardisiertes Leitfadeninterview
qualitativ
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3.2 Die aktivierende Befragung
Die Methode der aktivierenden Befragung hat eine lange Tradition in der Gemeinwesenarbeit. Sie hat ihre Stärken in Quartieren mit großem Problemlösungsbedarf und wenigen/bzw. deprivierten Akteuren. An- ders als bei standardisierten Meinungsumfragen mit vorgegebenen Antwortkategorien sind Aktivierende Fragen erzählgenerierend, d.h. offen.21 Bei allen benannten Problemen wird nach eigenen Lösungsideen oder Verbesserungsvorschlägen gefragt und die Bereitschaft zur Mitwirkung an deren Umsetzung und zur Zusammenarbeit mit anderen Interessierten erkundet. Sind die notwendigen Rahmenbedingungen gege- ben, können aktivierende Befragungen einen wichtigen Beitrag zur Demokratieentwicklung von unten leisten. Ohne Aktivierung benachteiligter Bevölkerungsgruppen, die sich mit ihren Interessen in der Regel nicht in den demokratischen Prozess einbringen, ist Demokratie nicht umsetzbar. Aktivierende Befragun- gen sind nur da sinnvoll, wo es eine Wertschätzung für offene demokratische Prozesse gibt, wo verschie- dene Meinungen und Blickwinkel sowie eigenständiges Denken erwünscht sind und als eine Bereicherung auf dem Weg zu guten Lösungen gesehen werden.
Vor dem Beginn von Aktivierenden Befragungen sollten die Bezüge zu diesen demokratischen Grundwer- ten bei AuftraggeberInnen, FinanziererInnen und DurchführerInnen klar dargestellt und in die Aufträge mit »eingeflochten« werden. Hier ist es notwendig, mit Sensibilität für die Interessen des Auftraggebers Profil zu zeigen, ethische und demokratische Standards deutlich zu machen und Freiräume für spätere demokratische Prozesse auszuhandeln.22 Wenn dies nicht vermittelt werden kann, ist eine aktivierende Befragung nicht das geeignete Mittel. Eine solche Klarstellung am Anfang beugt nachträglichen mühsa- men Debatten vor, wenn das, was ursprünglich mit der Befragung beabsichtigt worden ist, angeblich nicht erreicht wurde. Es ist schließlich praktische Wahrnehmung von demokratischen Grundrechten, wenn aktivierte EinwohnerInnen sich nicht nur ehrenamtlich am Umbau der alten Schule beteiligen wollen, sondern sich darüber hinaus für die Umsetzung weiterer eigener Projektideen engagieren.
3.2.1 Ablauf von aktivierenden Befragungen
1. Voruntersuchung (Sozialraum bestimmen & Schlüsselpersonen kennen lernen).
Voruntersuchungen beinhalten die Möglichkeit zur Überprüfung, ob das geplante Vorgehen für das Quartier das angemessene ist. Im Unterschied zu qualitativen Befragungen (bei denen es vor allem um die Erfassung von Daten und Sichtweisen geht) wird hier die (Nach-)Wirkung enttäuschter Erwartungen einbezogen und echte, aktive Beteiligung am Analyseprozess ermöglicht.
2. Hauptbefragung (mündlich und persönlich - wird vorher angekündigt).
Typisches Instrument der Hauptbefragung sind Interviews mit Schlüsselpersonen und Multiplikator(inn)en, Kontak- te zu Bewohner(innen), Auswertung vorhandener Materialien sowie allgemeine Beobachtungen des Lebensalltags (Wo treffen sich die Leute? Wo gibt es erkennbare Probleme?). Die Voraussetzung für ein aktivierendes Interview bildet ein Interviewleitfaden, der Spielräume für Nach- und Verständnisfragen lässt („Warum ist das so?“). So erhal- ten die Befragten die Möglichkeit, von sich aus Probleme anzusprechen, die ihnen auf der Seele liegen.
3. Auswertung der Befragungsergebnisse durch Aktivierungsteam
In die Auswertung der Befragung fließen alle bei der Voruntersuchung und der Hauptbefragung erhobenen Daten ein. Interviews, offiziell zugängliche sozioökonomische Statistiken und Pläne (ökonomische Planungsdaten, Flä- chennutzungspläne, Sozialplanungsdaten, etc.) werden ausgewertet, mit den Interviewergebnissen verglichen und bewertet.
4. Bewohnerversammlung (Vorstellung & Diskussion der Befragungsergebnisse)
Damit Aktivierungseffekte nicht verloren gehen, soll die Versammlung zeitnah (max. 4 Wochen) nach der Befragung erfolgen. Der Tagungsort sollte für möglichst alle Bevölkerungsgruppen gut erreichbar sein. Zentrales Ziel der Versammlung ist es, zu gemeinsamen Handlungsschritten zu kommen. Für ihre Umsetzung werden Aktionsgruppen gebildet. Wichtig ist, dass sich dann auch bald etwas tut und erste Resultate sichtbar werden.23
3.2.2 Rahmenbedingungen für aktivierende Befragungen
1. aktivierende Befragungen brauchen offene Fragen
In der Erforschung der ganz persönlichen Sichtweisen, Interessen und Ressourcen lokaler Akteure liegt der Kern der Aktivierung. Diese Quellen können nur sprudeln, wenn sie verbunden sind mit der Erfahrungswelt und den Visionen der Befragten. Offene Fragen lassen eigene Antworten zu, sie können nicht nur mit Ja/Nein-Kreuzchen oder in vorher festgelegten Kategorien beantwortet werden.
2. aktivierende Befragungen sind der Beginn eines längerfristigen Prozesses
Im Aktivierungsprozess sind immer wieder Schlüsselerlebnisse (Meilensteine) nötig. Aktivierung ist, wenn über mehrere Schritte hinweg die Erfahrung gemacht werden kann,
- Meine Meinung ist wichtig
- es lohnt sich aktiv zu werden,
- ich kann durch mein Tun gemeinsam mit anderen etwas bewirken,
- ich bin nicht nur Opfer einer Situation oder eines Konfliktes sondern handelndes Subjekt, (Mit- )Gestalter/in.
Dies kann passieren, „wenn kollektive Lernprozesse initiiert werden, die nicht durch Informationen von oben gesteuert werden, sondern sich an elementaren Bedürfnissen des Nahbereichs orientieren, also selbst erlebte Konflikte, Leidensdruck und Befreiungserfahrungen von Ohnmacht und Fremdbestimmung ein- schließen“.24
3. aktivierende Befragungen benötigen Transparenz
Die Befragten müssen wissen, wozu ihre Äußerungen benötigt werden und wer darüber informiert wird. Es muss klar sein, dass die Ergebnisse der Befragung zuallererst den Befragten und Aktivierten gehören. Sie werden ihnen zur Verfügung gestellt und z.B. bei einer Versammlung am Ende der Befragungszeit vorgestellt. Was mit den Ergebnissen geschieht (ob bspw. Eine Projektidee umgesetzt wird), liegt demnach in der Entscheidungskompetenz der lokalen Akteure.
4. Aktivierung braucht qualifizierte Begleitung
Die Befragenden übernehmen die Verantwortung dafür, dass wirkliche Handlungsschritte angegangen und die dafür angemessenen Organisationsform entwickelt werden.
Wenn keine (professionelle) Begleitung bei der Planung und Durchführung weiterer Schritte vorhanden ist, werden nur diejenigen aktiv bleiben, die sich sowieso schon auskannten, die die nötigen Verbindungen und Kenntnisse haben. Für die anderen wird es eine erneute Erfahrung von: „Siehste, man kann ja doch nix erreichen. Die da oben machen ja doch was sie wollen...“. Mit solchen Erlebnissen wird Hoffnungslo- sigkeit und Apathie verstärkt.
5. Aktivierung erfordert eine glaubwürdige, offene und respektvolle Grundhaltung
Für gelingende Aktivierung gibt es keine Patentrezepte. Aktivierung ist ein Prozess, der in der aktivierten Person selber stattfindet. Das können Befragende durch ihr Tun anregen und unterstützen - aber auch stören und behindern. Die professionelle Haltung einer/s Aktivierenden reflektiert die Grundeinstellun- gen der qualitativen Sozialforschung.25 Die Kunst nachzufragen ohne den anderen unter Rechtfertigungs- druck zu setzten, nicht zu schnell zu verstehen, eine konstruktive Spannung zu erzeugen, so dass neue Antworten und Einsichten gewonnen werden können, ist das Geheimnis der Aktivierung. Im systemi- schen Kontext wird dies »konstruktive Verstörung« genannt: „Der Effekt sind neue Anregungen und Ideen, die die bisherigen nicht kritisieren, aber in deren Licht jene irrelevant werden.26
3.2.3 Ziele und Formen Aktivierender Befragungen
Aktivierende Befragungen können bei verschiedenen Zielsetzungen eingesetzt werden. Das Hauptziel aktivierender Befragungen ist die Veränderung der Situation im Gemeinwesen im Sinne der dort lebenden und betroffenen Bürger/innen durch deren Aktion.27 Es mag paradox klingen, aber mit solchen Aktionen kann auch erreicht werden, dass Leute erst recht passiv bleiben.28 Dann nämlich, wenn z.B. die Bedürfnis- se erfragt werden um danach allein mit schönen neuen Angeboten oder veränderten Strategien für die Öffentlichkeitarbeit die genannten Ärgernisse autoritär zu “regeln“. Damit es gelingen kann, dass wirklich neue Menschen aktiv werden, ist es für alle Praktiker/innen notwendig, folgende Fragen zu klären:
- Wer bestimmt die Ziele?
- Was ist das Ziel? Was sind die Ziele?
- Wem gehören die Ergebnisse?
- Was geschieht nach der Befragung?
Im Folgenden werden verschiedene Ziele kurz vorgestellt und Anfragen dazu formuliert:
1. aktivierende Befragungen als Projektanalyse
Meist gibt es für Problemquartiere schon eine Voreinschätzung, dass hier „etwas passieren“ sollte - möglichst gemeinsam mit den Bürger/innen. Die Professionellen formulieren hierbei das vorläufige Ziel, machen aber von Anfang an deutlich, dass die Aktivitäten nach der Befragung in die Hände der Aktivierten übergehen werden. Die Ziele lauten dann:
- Förderung selbstbestimmten Engagements durch Kontakte zu Bewohner/innen
- Bewohner/innen darin unterstützen, die eigenen Interessen zu erkennen
- Transparenz der Befragungsergebnisse (moderierte Bewohnerversammlung)
- hier können potentielle Mitstreiter/innen gemeinsame Ziele formulieren/sich vernetzen29
- selbst bestimmte Aktivitäten der Bewohner/innen werden von Fachkräften weiter begleitet
Ob es gelingt, dass die Bewohner/innen nach der Aktivierenden Befragung anfangen als eigenständige Akteure zu handeln, hängt auch vom Vorgehen der professionellen Begleitung zu folgenden Fragen ab:
- Werden die Bewohner/innen darin unterstützt eigene Organisationsformen zu entwickeln?
- Werden örtliche Schlüsselpersonen als gewählte Vertreter/innen gestärkt oder werden sie eher als ehren- amtliche Helfer/innen der Professionellen angesehen?
2. aktivierende Befragungen im Rahmen von Sozialraumanalysen
Im Rahmen von Sozialraumanalysen werden durch Aktivierende Befragungen insbesondere qualitative Daten erhoben. Das Ziel der Befragung lautet hier:
- mehr und qualitativ bessere Informationen zu einem Quartier wurden erhoben
Wichtig ist, zu klären, wem die Ergebnisse gehören. Es bedarf einer klaren Abgrenzung zwischen dem Forschungs- und Datendokumentationsprojekt von Sozialwissenschaftler/innen und dem ganz eigenen »Produkt« der Aktivierung von Menschen mit offenem Ausgang. Deshalb ist die Aktivierende Befragung eher die geeignete Methode, wenn klar ist (z.B. nach einer Sozialraumanalyse), dass in einer bestimmten Gegend, gemeinsam mit den Bürger/innen nach besseren Wegen zur Lösung von Problemen oder Behebung von Benachteiligungen gesucht werden soll.30
3. aktivierende Befragungen von/durch bestehenden NGO ’ s
Wenn Bürgerinitiativen - meist mit Unterstützung von professionell Tätigen - aktivierende Befragungen durchführen, dann sind die Ziele:
- Themen und Sichtweisen der Bewohner/innen wurden identifiziert bzw. ins Gespräch gebracht
- die Aktivitäten und das Programm der (Bürger/innen) Organisation wurden erneuert
- Anknüpfungspunkte für die Miteinbeziehung neuer aktiver Mitstreiter/innen wurden gefunden
Solche Befragungen werden vor allem von Bewohner/innen selber oder von Professionellen gemeinsam mit aktiven Bewohner/innen durchgeführt. Es geht dabei um die Stärkung einer bestehenden Bewohner- Organisation. Bei dieser Form der Befragung ist die Vorbereitung und das Training der Befragenden in folgenden Aspekten besonders wichtig:
- Vertraulichkeit der Gespräche
- Respekt vor verschiedenen Meinungen
- Offenheit für neue Interessierte, die aktiv werden wollen und deren Sichtweisen
3.2.4 Grenzen des sinnvollen Einsatzes von Aktivierenden Befragungen
Aktivierende Befragung ist nur dort sinnvoll, wo drei Faktoren zusammen kommen:
1. Rahmenbedingungen die Leidensdruck bewirken und Anlass zur Veränderung geben
Am Besten geeignet sind solche Quartiere, in denen der Handlungsdruck Missstände zu beheben offensichtlich ist. Außerdem sollte absehbar sein, dass Menschen durch gemeinsames Handeln wirklich etwas erreichen können. Es sollte eine ausreichende Anzahl von Menschen zur Verfügung stehen, damit Wahlfreiheit besteht sich zu engagieren oder nicht. Wenn 1-10% der Menschen sich engagieren, ist dies ein guter Schnitt.
2. persönliche Ressourcen der Aktivierten - Entscheidend ist Eigeninteresse (Motivation)
Aktivierende Befragungen machen dann keinen Sinn, wenn deutlich wird, dass die Ressourcen der lokalen Akteure nicht ausreichen oder nicht genügend Menschen gefunden werden können, die sich für eine demokratische Veränderungsprozesse engagieren. Ressourcen können sein: Zeit, Kontakte, Beziehungen, familiäre Netzwerke (bei Migrant/innen), (Konflikt)- Erfahrungen, Arbeitslosigkeit, Kontaktwünsche, Wünsche nach sinnstiftender Tätigkeit. Solche Ressourcen werden selten im ersten Gespräch erkannt!
3. offene Haltung der Aktivierenden sowie der Ergebnisoffenheit des/der Auftraggeber/in
Grenzen hat die Methode dort, wo es an der Offenheit des Auftraggebers mangelt, wo Menschen über Befragungen manipulativ zu bestimmtem Verhalten oder Meinungen gedrängt werden sollen. Grenzen sind auch dort erreicht, wo nicht klar ist, wer die Ergebnisse erhält (Transparenz) bzw. wenn die Ergebnisse anders genutzt werden, als zunächst behauptet. Aktivieren kann außerdem nur eine Person die persönlich daran glaubt, dass sich etwas bewegen lässt, die eigene Erfahrungen in der Bewältigung von Konfliktsituationen gemacht hat und neben einer guten Portion Humor und Hoffnung immer einige mögliche praktische Schritte vor Augen hat.31
Gründe für den Abbruch des Vorhabens einer Aktivierenden Befragung könnten sein:
- Zu wenig Empörung, es sind keine Ansatzpunkte für den Einstieg in konkrete Aktionen erkennbar
- die zentralen Probleme betreffen Entscheidungsebenen, die nicht auf lokaler Ebene zu beeinflussen sind
- Apathie, die Leute regen sich nicht (mehr) auf und haben kein Vertrauen in mögliche Veränderungsprozesse32
4. (spielerische) Methoden der Datenerhebung bei Sozialraumanalysen
1. Kinder-(Jugend-) INTEVIEWS
Prinzip: Erwachsene/Macher fragen, Jugendliche/TeilnehmerInnen antworten Zweck: Kontaktaufnahme,
Information zu Meinungen und Motivation erstes Interesse wecken
Thema bekannt machen
Inhalt u.a.: Wo wärt Ihr bereit mitzumachen?
Welche Themen interessieren Euch noch?
Was müsste gegeben sein, damit Ihr mitmacht?
Achtung: Eine Befragung ist viel Aufwand. Der Fragebogen sollte gut vorbereitet und getestet sein. Holt Euch einfach Hilfe von Leuten, die so etwas schon mal gemacht haben.
2. DIALOG- & (Kommunikations-) WäNDE
Prinzip: Bei Veranstaltungen wird auf Wandplakaten die Meinung abgefragt
Variation: Es können auch Fragen mit Antwortraster vorgegeben werden. Zweck: zum „Anwärmen“
als Gesprächsanstoß
Erstellung eines Meinungs- und Stimmungsbildes
gut geeignet bei Veranstaltungen und öffentlichen Aktionen
Achtung: Die Fragen sollten ansprechend/provokativ sein. (Bsp.: Was würdet Ihr als erstes tun, wenn es
keine Erwachsenen mehr gäbe?)
3. FOTOSTREIFZUG
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zweck: - Einstieg in Thematik
- auch für artikulationsschwache Personen/Gruppen geeignet
- Information: Wie nehmen Jugendliche/TN ihr Lebensumfeld war
Ablauf: 1. Einführung in die Vorgehensweise (Zeitrahmen nicht vergessen)
2. Streifzug evtl. mit Begleitung
3. Austausch/Collagenerstellung/Präsentation mit Ausstellung
4. INTERVIEWSTREIFZUG
Prinzip: Jugendliche/TN befragen Altersgenossen oder Erwachsene bzw. Nachbarn sonst: wie bei Fotostreifzug Forschungsauftrag:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
5. Dorf-RALLYE zum Thema ‚ Was ist Fremd ’ 33
Zeitumfang: ½ Tag Schulung für die Spielleiter
1 Tag Vorbereitung der Rallye
1 Tag Durchführung
Materialbedarf: Papier, Stifte, Kamera für die Dokumentation des weiteren siehe Not- und Überlebenspaket weiter unten.
Altersgruppe/Gruppengröße: Teilnehmer ab der 5. Klasse, Spielleiter ab der 8.oder 9. Klasse/ ca. 4 Gruppen mit jeweils ca.10-15 Personen (je kleiner desto besser)
Benötigte Ressourcen: Erwachsene BetreuerInnen. PartnerInnen vor Ort
Ablauf: Inhalte zur Ausarbeitung der Stadtrallye; Die Expedition beginnt: Die Mitspielenden werden in Kleingruppen eingeteilt (Forschungsteams) Prinzip: Freiwilligkeit
In Form einer Spielgeschichte bekommen die Kleingruppen einen Forschungsauftrag“:
Das Forschungsinstitut F.U.N. (Fremdes & Neues) hat durch Umfragen, Fotografien, Vermessungen, historischen Nachforschungen und Zeitzeugenbefragungen, eine „Ork“ (Orientierungskarte) entwickelt. Die Karte soll dazu dienen, die Hemmschwellen gegenüber fremden Orten, Personen, Ansichten und Denkweisen in meinem Heimatort abzubauen.
Es hat sich gezeigt, dass es Kräfte gibt, die einer solchen Entwicklung und Offenheit entgegenwirken, die Gerüchte in die Welt setzen, böse Behauptungen aufstellen und durch Hetzkampagnen diese Arbeit zunichte machen. Die Arbeit von F.U.N. unterliegt deshalb der höchsten Geheimhaltungsstufe.
Die Mitarbeiter des Instituts sind an uns mit der Bitte herangetreten, sie in ihrer Arbeit zu unterstützen. Wir haben ihnen unsere Mitarbeit zugesichert. Die Anforde- rungen an jeden von Euch sind nicht einfach, aber lösbar: Der Forschungsauftrag besteht darin, fremde und unbekannte Orte in der Umgebung aufzusuchen und zu erforschen. Da eine gewisse Geheimhaltung gewährleistet werden muss, werden die aufzusuchenden Orte zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Plätzen ausgegeben.
Das Ziel bzw. die Aufgabe ist es nun unter Berücksichtigung aller Sicherheitsvorkehrungen die zu erforschenden Gebiete aufzusuchen, die dort gestellten Forschungsaufträge zu erledigen, die Forschungsergebnisse zu sammeln und an einem Ort, der noch bekannt gegeben wird, vorzustellen.
Wir wünschen allen Forschungsteams Glück und sind davon überzeugt, dass wir dem Forschungsinstitut F.U.N. gute Ergebnisse für ihre weitere Arbeit liefern können.
Wir setzen große Hoffnung in die von uns ausgewählten Forschungsteams!
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
d.) Praxis der Sozialraumanalyse
1. Einleitung -„BERGIDYLL“
Die Gemeinde Reinhardtsdorf-Schöna ist einer der bekanntesten Urlaubsorte in der Sächsischen Schweiz. Oberhalb des Elbtals in unmittelbarer Nähe zu Tschechien gelegen, ist sie überregional aufgrund ihrer landschaftlichen Schönheiten und touristischen Möglichkeiten weitbekannt. Alljährlich suchen zehntau sende Touristen in Mitten der felsigen und waldreichen Berglandschaft der Sächsischen Schweiz Ruhe und Erholung.
Die 1973, also schon in Zeiten der DDR, in eine Verwaltungsgemeinschaft überführte Gemeinde mit heute 1637 EinwohnerInnen besteht ursprünglich aus den drei Dörfern Kleingießhübel, Reinhardtsdorf und Schöna (von Nord nach Süd). Das am Fuße des 560m hohen Großen Zschirnsteins malerisch gelege- ne Waldhufendorf Kleingießhübel ist die kleinste der drei „Geschwister“, mit heute 202 Einwohnern. Eingeschmiegt in das Tal des Krippenbaches hat es nur Platz für Wohn- und Ferienhäuser und einige kleine Handwerker mit ihren Werkstätten. Das 935 Einwohner zählende Bauerndorf Reinhardtsdorf ist die größte der drei Ortschaften und von Kleingießhübel durch den Cunnersdorfer Forst getrennt. Es liegt umschlossen von Acker- und Weideland auf einer Hochebene über der Elbe mit einem phantastischen Blick auf die weltbekannten Schrammsteine. Der Grenzort Schöna zieht sich vom Ufer der Elbe hinauf zu den bei Wandernden beliebten Aussichtsgipfeln von Kaiserkrone (351m) und Zirkelstein (384m). Mit 500 Einwohnern ist Schöna, die Mittlere der drei Schwestern, in der Region am bekanntesten. Täglich steigen hier hunderte von Tagestouristen aus der von Dresden kommenden S-Bahn aus, um mit der Fähre ins tschechische Hrensko hinüberzusetzen und dort zu wandern, billig einzukaufen oder essen zu gehen.
Die ca. 150 Höhenmeter über dem Endhaltepunkt der Dresdner S-Bahn gelegene Gemeinde Reinhardtsdorf-Schöna brachte sich aber den meisten Tagestouristen, Wanderfreunden und der europäischen Öffentlichkeit erst durch die Kommunalwahl ins Bewusstsein:
Julfest
Das Julfest feierten die heid- nischen Germanen zur Win- tersonnenwende. Der Begriff „Jul“ stammt aus vorchristli- cher Zeit und bedeutet „Rad“, das Symbol der Sonne.
Zu früherer Zeit wurde es durch ein brennendes stroh- umwickeltes Wagenrad dar- gestellt, das man den Berg hinunterrollen ließ in dem Glauben, dass sie die Felder dadurch fruchtbar werden.
Beschaut man ein solches brennendes Rad von der Seite, erkennt man ein Ha- ckenkreuz (Triskele).
2. Das Kulturbüro Sachsen e.V. in der Gemeinde Reinhardtsdorf Schöna
Das Mobile Beratungsteam Pirna des Kulturbüro Sachsen e.V. (MBT) ist seit Januar 2003 in Reinhardtsdorf-Schöna im Beratungsprozess tätig. Anlass für unser Erstgespräch beim ehrenamtlichen Bürgermeister war folgende Situation: Der einzige Jugendclub im Ort war bis zu seiner Schließung von rechtsorientier- ten und rechtsextremen Jugendlichen dominiert. Hier trafen sich u. a. Mitglieder der Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) und Sympathisanten. Im November 2002 wurde der Jugendclub in Schöna nach rechtsextremistischen Vorfällen (u.a. Skinheadkonzerte) geschlossen. Ein neuer Club sollte im Heizhaus der alten Schule entstehen. Am Aufbau des neuen Clubs beteiligten sich ausnahmslos die rechts-orientierten und rechtsextremen Jugendlichen des Ortes. Der weitere Ausbau der Räume wurde nach Intervention durch das Amt für ländliche Neu- ordnung wegen „fehlender finanzieller Mittel“ bis auf Weiteres eingestellt. Die Jugendlichen treffen sich an den Bushaltestellen, am Waldrand, im Freibad, am Getränkestützpunkt, am Aussichtspunkt „Hundskirche“. Es gibt eine starke rechts-orientierte Szene im Ort. Im Kern agieren Personen aus dem SSS-Umfeld. Auffällig ist die große Zahl an jugendlichen Mitläufern, die zum Teil noch SchülerInnen an der Mittelschule Prossen sind. Weniger auffällig sind im Hintergrund junge und ältere Erwachsene.
Im Frühjahr 2003 mehrten sich Belästigungen und Zerstörungen durch eine Gruppe rechter Jugendlicher am Naturfreundehaus und dem von der Umweltgruppe „Rotfüchse“ geschaf- fenen Baumhaus in unmittelbarer Um- gebung des Hauses. Ähnliche Vorfälle ereigneten sich an der Gaststätte „Waldhof“ und der Pension „Kaiser- krone“ im Zusammenhang mit Auf- enthalten von Jugendgruppen. Für das Naturfreundehaus „Zirkelstein“ war nun angesichts massiver Belästigungen und Zerstörungen und eines Rückgangs von Gästen aus den Städten Berlin und
Hamburg um 80% ein längeres Zuwarten nicht mehr möglich. Das Naturfreundehaus bat verschiedene Organisationen um Unterstützung bei
der Zurückdrängung rechtsex- tremistischer Aktivitäten im Umfeld
NPD - Geschichte und Entwicklung
Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) wurde am 28. November 1964 in Hannover gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten maßgebliche Vertreter der Deutschen Partei, die Gesamtdeutschen Partei/Bund der Heimatvertriebenen und Ent- rechteten sowie die Deutschen Reichspartei (DRP).
Mit der Wahl des bayerischen NPD-Landesvorsitzenden Udo VOIGT zum Bundesvorsit- zenden 1996 vollzog die Partei eine strategische Neupositionierung von einer traditionel- len rechtsextremistischen Wahlpartei zu einer Partei, die sich als Spitze einer nationalisti- schen, sozialen und kulturellen Protestbewegung versteht. Die Partei suchte stärkere Verbindungen zu neonazistischen Gruppierungen. Jetzt werden Elemente eines "nationa- len Sozialismus" (angelehnt an den "linken" Flügel der historischen NSDAP) stärker be- tont. Die NPD wählte dafür die Bezeichnung Nationale Außerparlamentarische Opposition (NAPO). Ursächlich für die Radikalisierung war u. a. die Zusammenarbeit mit ehemaligen APO-Funktionären, wie dem RAF-Mitbegründer Horst Mahler u.A. und die bewusste Einbindung freier Kameradschaftsszenen, Neonazis und Skinheads, die nach zahlreichen Verboten neonazistischer Organisationen in den Jahren 1992 bis 1996 eine neue politi- sche Heimat in der NPD fanden.
Zur Durchsetzung ihrer Zielsetzung der "nationalen Befreiung Deutschlands" bedient sich die NPD einer Taktik, die der italienische marxistische Revolutionstheoretikers Antonio Gramsci entwickelt hatte. Gramsci hatte die Bedeutung der Erringung der kulturellen Hegemonie als Vorbedingung für einen revolutionären Umsturz herausgearbeitet. Die NPD strebt unverändert die ideologische Vorherrschaft im vorpolitischen Raum an. "Be- freite Zonen" sollen die Keimzellen für eine spätere Machtübernahme im gesamten Land bilden.
des Hauses. Das Mobile Beratungsteam des Kulturbüro Sachsen e.V. übernahm die Moderation der Arbeitsgruppe.
Im Herbst 2003 wurden ein Gemeinderat und ein ehemaliger Gemeinderat34 in den NPD-Kreisvorstand Sächsische Schweiz gewählt. Beide waren in den vergangenen Jahren für die Wählervereinigung 94 im Gemeinderat. Den Wahlkampf der NPD im Frühsommer und Herbst 2004 in der Gemeinde unterstütz- ten rechtsextreme Jugendliche aktiv (Plakatierung; Bewachen der Plakate). Rechtsextreme Jugendliche werden im Waldbad und am Naturfreundehaus durch rassistische Sprüche und Pöbeleien im Sommer 2004 auffällig. Hakenkreuzschmierereien auf dem Weg zum Naturfreundehaus, auf der Straße oder am Gartentor und „Sieg-Heil-Rufe“ im Ort sollen verdeutlichen, wer hier das Sagen hat. Rechtsextrem belegte Tage wie der 20. April oder das „Julfest“ am 21. Juni werden von den Jugendlichen meist am Lagerfeuer gefeiert. Selbst gewalttätige Übergriffe auf nichtrechte Jugendliche kommen nicht zur Anzeigen. Angst bestimmt das Klima im Ort. In den letzten Wochen geriet die Gemeinde durch sehr hohe Wahlergebnisse rechtsextremer Parteien in den Blick der Öffentlichkeit. Titel wie: „Die braunste Kommune in Ost- deutschland“ (Spiegel TV am 8.7.2002), „Rechter Spuk im Märchenland“ (Süddeutsche Zeitung vom 19.6.2004) oder „Ein Hitlergruß hat noch keinen Umgebracht“ (STERN vom 29.7.2004) machen Schlagzeilen. Aus den Gemeinderatswahlen im Juni 2004 ging die NPD in Reinhardtsdorf-Schöna bei einer ü- berdurchschnittlich hohen Wahlbeteiligung von 65,1% als zweitstärkste politische Kraft hervor (25,2%); im Ortsteil Kleingießhübel erreichte sie sogar 36% der abgegebenen Stimmen und könnte damit 3 von 12 Sitzen im Gemeinderat besetzen. Mit einem solchen Ergebnis hatte die NPD selbst nicht gerechnet, sie hatte nur zwei Kandidaten aufgestellt. Die zwei Kandidaten aus dem Ort traten auch für die Kreistagswahl an und erreichten hier 26,0% der abgegebenen Stimmen.
17,8% der Wähler haben bei der Europawahl für die NPD gestimmt. Ähnlich hohe Wahlerfolge (23,1%) errang die NPD in Reinhardtsdorf-Schöna auch zu den Landtagswahlen am 19. September 2004. Einen so hohen Zustimmungswert hatte diese 1964 im wesentlichen aus der Deutschen Reichspartei hervorgegangene und ideologisch stark an den nationalrevolutionären „Strasser-Flügel der NSDAP angelehnte rechtsextremistische Partei noch nie zuvor in einer Kommune erreicht. Bereits zur letzten Bundestagswahl konnte die NPD in Reinhardtsdorf- Schöna über 10 % der Stimmen erzielen, ohne das damals schon Einwohner des Ortes offen zur NPD gestanden wären.
3. Fragestellung & Projektziel
Das Ziel des Projektes „Gemeindeporträt“ besteht darin, die demokratischen Potenziale in Reinhardtsdorf - Schöna, die Meinungen und Bedürfnisse lokaler Akteure und Hinderungs- faktoren für einen lokalen Veränderungsprozess (Demokratisierung) zu erfassen und zu beschreiben. Unsere mehrjährigen Erfahrungen mit der Gemeinde lassen sich in folgender Kurzanalyse zusammenfassen: Der Gemeinde fehlt es an vernetzten, sich in der Öffentlichkeit artikulierenden und Meinung bildenden Akteuren mit Demokratischen, partizipativen Wertevorstellungen.
Das beim Förderprogramm LEADER beantragte Projekt „Lokale Dorfentwicklung für ausgewählte Kommunen im Leader-Gebiet Sächsische Schweiz 2005/06“ soll die not- wendigen Grundlagen zur Überwindung dieses Zustandes mit einer Beschreibung der Ursachen verbinden, um lokale sozio- kulturelle Entwicklungspotenziale zu beschreiben und stärken zu können. Phase 1 dieses Dorfentwicklungskonzeptes soll in Reinhardtsdorf - Schöna im September 2005 - Dezember 2006 stattfinden und mit einem Gemeindeporträt beginnen. So soll ein lokal verankerter und extern begleiteter und moderierter Dorfentwicklungsprozess befördert und entwickelt werden. Die Stärkung und Aktivierung eines sozialen und kulturellen Skinheads Sächsische Schweiz - SSS Die SSS ist eine militante, straff organisierte Neonazi- Gruppierung mit dem politischen Ziel, Menschen ande- rer Hautfarbe, aus anderen Ländern, Linke und An- dersdenkende mit Gewalt zu bekämpfen. Die Grün- dungsmitglieder kommen u.A. von der Wiking Jugend & der NPD. Im Gegenzug übernahmen die Naziskins den Schutz von NPD-Veranstaltungen und leisteten Hilfe beim NPD-Wahlkampf. Hauptinitiator ist der Fahrschul- lehrer, NPD-Kreisgeschäftsführer und MdL Uwe Leich- senring. Der bedankte sich nach der Bundestagswahl 1998 bei "den Kameraden der SSS und der SSS/AO für die hervorragende Absicherung unserer Veranstaltun- gen und Infotische."
Die Kameradschaft gliedert sich in fünf lokale Riegen. Zunächst erfolgt die Aufnahme jüngerer Kameraden in die SSS/AO, der sog. Aufbauorganisation, in der sie sich bewähren sollen. Die SSS produziert zwei Zeitun- gen: „Froindschaft“ für die Älteren, „Parole“ für die Jün- geren. Eine SSS-Gründungsmitglied war noch wenige Monate vor dem Verbot der SSS im April 2001 als Sozialarbeiter bei der AWO in Pirna beschäftigt.
Die SSS wurde 2003 vom Dresdner Landgericht als „kriminelle Vereinigung“ verboten. Im Prozess machte ein 20-Jähriger detaillierte Angaben über Ziele und Aktivitäten, in deren Mittelpunkt die Freizeitgestaltung unter Gleichgesinnten & die politische Arbeit für die NPD standen. Vor Wahlen habe man Plakate geklebt, Flugblätter verteilt oder den Saalschutz gestellt. Die "Aufbauorganisation Oberes Elbtal" (AO), der er ange- hörte, sei ein Sammelbecken für unter 18jährige gewe- sen. Ihr Ziel hätte darin bestanden, die Mitglieder an die SSS heranzuführen, Aktionen gegen "Zecken" und "Kiffer" zu unternehmen, Drogenhändler bei der Polizei anzuzeigen & gegen Linksautonome mit Gewalt vorzu- gehen.
Lebens im Ort, an dem sich viele Bürgerinnen und Bürger beteiligen, insbesondere auch Kinder, Jugendli- che, Frauen, Seniorinnen und Senioren, befähigt dazu, demokratiefeindliche Tendenzen zu erkennen und ihnen durch eigenes projekthaftes Handeln und eine bewusstere Kommunikation in der Gemeinde ent- schiedener entgegen treten zu können. Im Projekt „Gemeindeporträt“ soll insbesondere das ländliche Milieu genauer beschrieben werden: Was bedeutet Leben im Dorf? Welche qualitativ und quantitativ eige- nen Wertigkeiten besitzen die über Jahrhunderte entstandenen Kulturformen auf dem Land? Ziel ist es, das dörfliche Milieu mit seinen Möglichkeiten und Optionen auch für Jugendliche zu beschreiben, um es später weiterentwickeln zu können. Sie sollen sich nicht fremd im eigenen Dorf fühlen, sondern mit der Anerkennung und Aufwertung, die ihr Dorf erfährt, stolz auf Reinhardtsdorf-Schöna sein können.
Mit dem aus dem Gemeindeporträt später abgeleiteten Handlungskonzept und der Umsetzung konkreter Vorhaben wird im Dorfentwicklungsprojekt ein wichtiger Beitrag zur sozialen Dorferneuerung geleistet.
[...]
1 Vgl. Buderus 1998 und Zentrum Demokratische Kultur 1999.
2 Vgl. Kalb/Sitte/Petry 1999 u. Zentrum Demokratischer Kultur 2000.
3 Vgl. Backhaus-Maul/Ebert/Jakob/Olk 2003.
4 Vgl. ebd.: 14.
5 vgl. Riege, Schubert (Hg.) 2002: Sozialraumanalyse. Grundlagen - Methoden - Praxis. Leske & Budrich, S. 183
6 Hamm 1984: 282-286 In: Riege/Schubert 2002: S. 12
7 der ‚human ecology’-Ansatz geht von der Annahme aus, dass Sozialforschung immer auch die räumliche Eingebundenheit von Menschen zu berücksichti- gen habe
8 die spezifische Betrachtung kultureller Werte, Normen und Symbole mit denen Bevölkerungen organisatorisch und mit den vorhandenen technischen Möglichkeiten Strukturen bildend reagieren wurde insbesondere von Duncan in den späten 1950er Jahren in die humanökologische Debatte eingebracht (Duncan 1959: S. 675 ff)
9 vgl. dazu Riege/Schubert 2002: S. 11 f
10 Riege/Schubert 2002: S. 16
11 zur Phänomenologie Husserls vgl. Meiner 1996: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie
12 vgl. Riege/Schubert 2002: S. 16 f
13 vgl. dazu Jahoda/Lazarsfeld/Zeisel 1975: Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziografischer Versuch.
14 Bourdieu 1997: Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leidens an der Gesellschaft. S. 159
15 vgl. Bourdieu, Pierre/Wacquant, Loic J. D., 1996: Reflexive Anthropologie. S. 24 f.
16 vgl. Korgel/Bringt (2004) In: MBR Berlin (2004) Bulletin
17 e.b.d.
18 vgl. Riege, Schubert (Hg.) 2002: Sozialraumanalyse. Grundlagen - Methoden - Praxis. Leske & Budrich, S. 183
19 das. S. 10f
20 das. S: 17f
21 Vgl. Abs. zur offenen Befragung in diesem Text
22 vgl. Richers (2003): Vorabdruck In:www.fo-co.info/hille_richers_aktivierende_befragung.htm
23 e.b.d.
24 vgl. Habermas, Wissenschaftstheorie, S. 164
25 vgl. von Spiegel (2001) & Richers (2003): Vorabdruck In: www.fo-co.info/hille_richers_aktivierende_befragung.htm
26 Schlippe (1998), S. 123 Friedemann Bringt zur Vorlage beim ZPSA Berlin
27 vgl. Hinte/Karas (1989), S. 47
28 vgl. Ebbe, Friese (1989), S.171
29 Seippel, 1976:171
30 vgl. Richers (2003): Vorabdruck In: www.fo-co.info/hille_richers_aktivierende_befragung.htm Friedemann Bringt zur Vorlage beim ZPSA Berlin
31 e.b.d.
32 vgl. Kulturbüro Sachsen e.V. (2002) Handbuch Friedemann Bringt zur Vorlage beim ZPSA Berlin
33 e.b.d. Friedemann Bringt zur Vorlage beim ZPSA Berlin
34 er hatte sein Mandat im Zusammenhang mit Ermittlungen im SSS-Prozess niedergelegt
- Citar trabajo
- Dipl. Soz.Päd. (FH) Friedemann Bringt (Autor), 2005, Qualitative Sozialraumforschung - Grundlage Mobiler Beratung für Demokratieentwicklung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53415
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