„Voltaire und die Frauen − das klingt nicht nach einem aufregenden Thema.“ 1 Diesem Statement Stackelbergs kann und möchte ich mich nicht anschließen, im Gegenteil bin ich der Meinung, dass dieser in der Voltaireforschung relativ wenig Beachtung zukommenden Thematik mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Diese Arbeit setzt sich deshalb mit der Frage auseinander, inwiefern sich Voltaires Frauenbild in den weiblichen Figuren seiner „romans et contes“ manifestiert und ob − etwa bei späteren Werken im Vergleich zu früheren − eine Veränderung seines Frauenbildes sichtbar wird. Aus Voltaires Privatleben sind mehrere Frauen und Affären bekannt; eine der ersten Liaisons wohl die mit Pimpette, wegen der Voltaire (1694-1778) im Alter von 19 Jahren seine Sekretärsanstellung beim Marquis de Châteauneuf aufgeben musste. In der seinem Werk Voltaire hintangestellten Lebens-Chronologie des Aufklärers berichtet Pomeau von mehreren Frauen, die Voltaire unterstützten: In seiner Kindheit wurden Voltaire von der 84-jährigen Ninon de Lenclos 1000 Franc „zur Anschaffung von Büchern“ vermacht; mit Mme de Rupelmonde unternahm er im Alter von 28 Jahren Reisen nach Cambrai, Brüssel und Den Haag; 1725 stand er bei der allmächtigen Mme de Prie in Gunst. 2 Die Frau, die ohne Zweifel die größte Rolle in Voltaires Leben gespielt hat, war Emilie du Châtelet, von Voltaire als „grand homme“ bezeichnet. 3 Von 1734 bis zu dem Tod der Marquise 1749 lebte und arbeitete Voltaire zumeist in Cirey auf dem Schloss der Châtelets, während Emilies Ehemann auf Reisen war. Die Beziehung Voltaires zu Mme du Châtelet gründete sich vor allem auf beider naturwissenschaftliches Interesse, war jedoch, so Stackelberg, nicht ausschließlich platonisch. 4 1748 überraschte Voltaire Emilie in den Armen Saint-Lamberts; die Marquise wurde schwanger und starb später im Kindbett, was Voltaire tief betrauerte. Von seiner Nichte, Mme Denis, hatte Voltaire hingegen offenbar keine ganz so hohe Meinung. Im Dezember 1760 adoptierte Voltaire Mlle Corneilles, unternahm in den folgenden Jahren einige Anstrengungen, um sie mit einer Aussteuer zu versehen, damit sie 1763 heiraten konnte. Auch im Alter wurden Voltaire noch amouröse Abenteuer nachgesagt. Er heiratete nie und hatte auch keine Kinder. [...]
Inhalt
Einleitung
1. Voltaires Roman L’Ingénu
1.1 Zur Entstehungsgeschichte
1.2 Zusammenfassung des Inhalts
2. Die Frauenfiguren in L’Ingénu
2.1 Mlle Kerkabon
2.2 Mlle de St. Yves
2.3 Mlle du Tron, Mme de Lesdiguières, Mlle de Mauléon
2.4 L’amie dévote de Versailles
3. Vergleichende Betrachtung einiger Frauenfiguren aus Cosi-Sancta,
Micromégas, Le monde comme il va und Candide ou l’optimisme
4. Fazit: Voltaires Frauenbild
Verwendete Literatur
Einleitung
„Voltaire und die Frauen - das klingt nicht nach einem aufregenden Thema.“[1] Diesem Statement Stackelbergs kann und möchte ich mich nicht anschließen, im Gegenteil bin ich der Meinung, dass dieser in der Voltaireforschung relativ wenig Beachtung zukommenden Thematik mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Diese Arbeit setzt sich deshalb mit der Frage auseinander, inwiefern sich Voltaires Frauenbild in den weiblichen Figuren seiner „romans et contes“ manifestiert und ob - etwa bei späteren Werken im Vergleich zu früheren - eine Veränderung seines Frauenbildes sichtbar wird.
Aus Voltaires Privatleben sind mehrere Frauen und Affären bekannt; eine der ersten Liaisons wohl die mit Pimpette, wegen der Voltaire (1694-1778) im Alter von 19 Jahren seine Sekretärsanstellung beim Marquis de Châteauneuf aufgeben musste. In der seinem Werk Voltaire hintangestellten Lebens-Chronologie des Aufklärers berichtet Pomeau von mehreren Frauen, die Voltaire unterstützten: In seiner Kindheit wurden Voltaire von der 84-jährigen Ninon de Lenclos 1000 Franc „zur Anschaffung von Büchern“ vermacht; mit Mme de Rupelmonde unternahm er im Alter von 28 Jahren Reisen nach Cambrai, Brüssel und Den Haag; 1725 stand er bei der allmächtigen Mme de Prie in Gunst.[2] Die Frau, die ohne Zweifel die größte Rolle in Voltaires Leben gespielt hat, war Emilie du Châtelet, von Voltaire als „grand homme“ bezeichnet.[3] Von 1734 bis zu dem Tod der Marquise 1749 lebte und arbeitete Voltaire zumeist in Cirey auf dem Schloss der Châtelets, während Emilies Ehemann auf Reisen war. Die Beziehung Voltaires zu Mme du Châtelet gründete sich vor allem auf beider naturwissenschaftliches Interesse, war jedoch, so Stackelberg, nicht ausschließlich platonisch.[4] 1748 überraschte Voltaire Emilie in den Armen Saint-Lamberts; die Marquise wurde schwanger und starb später im Kindbett, was Voltaire tief betrauerte. Von seiner Nichte, Mme Denis, hatte Voltaire hingegen offenbar keine ganz so hohe Meinung. Im Dezember 1760 adoptierte Voltaire Mlle Corneilles, unternahm in den folgenden Jahren einige Anstrengungen, um sie mit einer Aussteuer zu versehen, damit sie 1763 heiraten konnte. Auch im Alter wurden Voltaire noch amouröse Abenteuer nachgesagt. Er heiratete nie und hatte auch keine Kinder.
Den folgenden Ausführungen über die Frauengestalten des L’Ingénu, den vergleichenden Betrachtungen einiger anderer weiblicher Figuren der „romans et contes“ und der abschließenden Darstellung zu Voltaires Frauenbild voranstellen möchte ich einen Auszug aus dem erstmals im Juli 1764 erschienenen, von Voltaire verfassten Dictionnaire philosophique (widergegeben ohne die Fußnoten und Absätze des Originals), Stichwort „femme“:
En général elle est bien moins forte que l’homme, moins grande, moins capable de longs travaux ; son sang est plus aqueux, sa chair moins compacte, ses cheveux plus longs, ses membres plus arrondis, les bras moins musculeux, la bouche plus petite, les fesses plus relevées, les hanches plus écartées, le ventre plus large. Ces caractères distinguent les femmes dans toute la terre, chez toutes les espèces, depuis la Laponie jusqu’à la côte de Guinée, en Amérique comme à la Chine [...] Le physique gouverne toujours le moral. Les femmes étant plus faibles de corps que nous ; ayant plus d’adresse dans leurs doigts, beaucoup plus souples que les nôtres ; ne pouvant guère travailler aux ouvrages pénibles de la maçonnerie, de la charpente, de la métallurgie, de la charrue ; étant nécessairement chargées des petits travaux plus légers de l’intérieur de la maison, et surtout du soin des enfants ; menant une vie plus sédentaire ; elles doivent avoir plus de douceur dans le caractère que la race masculine ; elles doivent moins connaître les grands crimes : et cela est si vrai que, dans tous les pays policés, il y a toujours cinquante hommes au moins exécutés à mort contre une seule femme [...] Il n’est pas étonnant qu’en tout pays l’homme se soit rendu le maître de la femme, tout étant fondé sur la force. Il a d’ordinaire beaucoup de supériorité par celle du corps et même de l’esprit. On a vu des femmes très-savantes comme il en fut de guerrières ; mais il n’y en a jamais eu d’inventrices. L’esprit de société et d’agrément est communément leur partage. Il semble, généralement parlant, qu’elles soient faites pour adoucir les mœurs des hommes. Dans aucune république elles n’eurent jamais la moindre part au gouvernement ; elles n’ont jamais régné dans les empires purement électifs ; mais elles règnent dans presque tous les royaumes héréditaires de l’Europe, en Espagne, à Naples, en Angleterre, dans plusieurs États du Nord, dans plusieurs grands fiefs qu’on appelle féminins. La coutume qu’on appelle loi salique les a exclues du royaume de France ; et ce n’est pas, comme le dit Mézerai, qu’elles fussent incapables de gouverner, puisqu’on leur a presque toujours accordé la régence.[5]
1. Voltaires Roman L’Ingénu
1.1 Zur Entstehungsgeschichte
L’Ingénu, nach Candide ou l’optimisme zu den bedeutendsten der „romans et contes philosophiques“ gehörig, verfasste Voltaire während seiner größten Schaffensphase, die ihren Höhepunkt erlebte, nachdem er sich 1760 auf sein als Alterssitz erwähltes Landschloss Ferney zurückgezogen hatte.[6] Die Veröffentlichung des L’Ingénu im Jahr 1767 - zunächst unter dem Namen Voltaires, später auch dem niederländischen Skandal-Autor Dulaurens zugeschrieben - ging nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten: am 3. September erschienen, wurde zeitgleich ein Veröffentlichungsverbot ausgesprochen, das jedoch am 17. September wieder aufgehoben wurde, nachdem schon viertausend Exemplare des Werks verkauft worden waren.[7]
Mit den vorromantischen Merkmalen seines Romans L’Ingénu passte sich der Ironiker Voltaire dem in Mode gekommenen Sentimentalismus mehr an, als dies bei früheren Werken der Fall gewesen war.[8] Nichtsdestotrotz begegnet man auch in L’Ingénu Voltaires schon bekannten Themen und Zielen: dem Kampf gegen den - religiösen und sonstigen - Fanatismus, dem Kampf gegen die Scheinheiligkeit der Kirche und ihrer Repräsentanten, dem vehementen Eintreten für Bildung und Aufklärung.
Auch die Ausgestaltung dieser Themen im Roman geschieht auf eine für Voltaire typische Weise. Er nimmt Bezug auf historische Daten, siedelt zum Beispiel die Handlung des L’Ingénu im Jahr 1689 an, vier Jahre nach dem Widerruf des Edikts von Nantes.
Der Untertitel des L’Ingénu, „Histoire véritable. Tirée des manuscrits du P. Quesnel“, stellt eine fiktive Verbindung zu dem französischen Theologen und Jansenisten Pasquier Quesnel (1634-1719)[9] dar und soll dem Leser vermeintliche Authentizität vorgaukeln.
Mit dem Protagonisten seines Romans, einem Huronen aus Nordamerika, greift Voltaire das durch Reisende und Entdecker geweckte Interesse an fremden Ländern und Völkern auf. Die von Voltaire in L’Ingénu verwendeten Details in Bezug auf die huronische Kultur und Sprache lassen sich zurückverfolgen zu dem Werk Grand voyage au pays des Hurons von Pater Sagar Théodat, dem ein Dictionnaire de la langue huronne beigefügt war und das sich auch in Voltaires Bibliothek in Ferney befand.[10]
Sogar die französische Abstammung des Ingénu lässt sich laut Castex möglicherweise auf eine reelle Begebenheit zurückführen: „Il semble enfin que Voltaire ait été instruit de l’exploration qui conduisit Jolliet et Cavelier de la Salle vers les terres des Hurons en 1669, c’est-à-dire l’année même où aurait été conçu de père et de mère français le héros du conte.“[11]
Voltaire lässt reale Personen des 18. Jahrhunderts in seinem Werk auftreten und spielt durch seine Romanfiguren auf andere an. Des Weiteren nimmt er Anleihen bei den Protagonisten anderer literarischer Werke - auch bei den eigenen - um seine Figuren mit den Eigenschaften der anderen auszustatten oder sie ähnliche Erlebnisse haben zu lassen.[12]
[...]
[1] Stackelberg, Jürgen von: Über Voltaire, München: Wilhelm Fink Verlag, 1998, S. 78.
[2] Vgl. dazu Pomeau, René: Voltaire, Fankfurt: Peter Lang, 1994, S. 219-230.
[3] Vgl. dazu Adams, D.J.: La femme dans les contes et les romans de Voltaire, Paris: A.G. Nizet, 1974, S. 127.
[4] Vgl. dazu Stackelberg, S. 78.
[5] Voltaire: Œuvres complètes de Voltaire. Dictionnaire philosophique III, à l’édition de Beuchot, Paris: Garnier Frères, 1879, S. 95-99.
[6] Vgl. dazu Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 19, Wiesbaden: F. A. Brockhaus, 1974, S. 718-720 und Castex, P.-G.: Voltaire: Micromégas, Candide, L’Ingénu, Paris: C.D.U. et SEDES réunis, 1982, S. 210.
[7] Vgl. dazu Voltaire: Romans et contes, édition établie par René Pomeau, Paris: Garnier-Flammarion, 1966, Note sur L’Ingénu (R. Pomeau), S. 317 f.
[8] Vgl. dazu Voltaire, Note sur L’Ingénu (R. Pomeau), S. 321: „Voltaire connaît la vogue des romans imités de l’anglais, telle la Nouvelle Héloïse. Dans les années 1760-1770, il s’efforce de suivre la mode, en la corrigeant. Un roman à l’anglaise écrit avec goût, sans outrance ni déclamation, n’est-ce pas l’Ingénu ?“
[9] Vgl. dazu Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 15, S. 324.
[10] Vgl. dazu Castex, S. 220 f.
[11] Castex, S. 221.
[12] Vgl. dazu Castex, S. 225: „De ces mésaventures [de Melle de Saint-Yves], en effet, doivent être rapprochées celles d’une héroïne de Charles Pinot-Duclos, romancier fort célèbre en son temps [...] Le personnage de Duclos est notamment en butte aux assiduités d’un conseiller au Parlement, M. Thurin, dont dépend le sort de son mari impliqué dans une conspiration ; elle commence par lui résister, comme Melle de Saint-Yves à Saint-Pouange, avant de se résigner au sacrifice.“ und S. 226: „Déjà Voltaire avait développé de telles considérations dans un conte de jeunesse, Cosi-Sancta.“
- Arbeit zitieren
- Silvia Bannenberg (Autor:in), 2001, Die Frauenfiguren in Voltaires Roman L'Ingenu - Eine Betrachtung von Voltaires Frauenbild, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53157
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