Robin Hood, der Held vieler englischer Balladen, beraubt weltliche und geistliche Herren um
mit deren Überfluss die Armen zu unterstützen. Hier wird das Jiddische als solch
ein Gerechtigkeitskämpfer dargestellt, der von reichen Sprachen oder deren Sprechern nimmt
und den Armen gibt. Was aber macht eine Sprache zu einer Wohlhabenden, zu einer die 'zu
viel des Guten' besitzt? Enteignet das Jiddische anderen Sprache manche Teile? Oder vielmehr deren Sprecher? Und wen begünstigt es mit dem Diebesgut? Eine weniger vermögende
Sprache oder eine an 'Spracharmut' leidende Gemeinschaft? Oder begünstigt der Krieger der
Gleichberechtigung namens Jiddisch hier nicht zuletzt sich selbst, beziehungsweise seine
Sprecher?
Gleichzeitig gibt sich Robin Hood hier als Gastfreund, der ohne Einschränkung und ohne Anforderung einer Gegenleistung jeden, der bei ihm anklopft, empfängt, ihm Quartier und Nahrung bietet. Demnach muss das Jiddische ja jede Sprache, die ihm begegnet, nicht nur vollständig aufnehmen, sondern zusätzlich bereichern. Gäste gehen aber wieder, und die wenigsten unter ihnen hinterlassen tatsächlich prägende Spuren bei ihrem ehemaligen Gastgeber.
Dies hieße, dass das Jiddische andere Sprachsysteme zuerst in das Seine aufnimmt, sie dann
aber wieder tilgt.
Inwieweit darf oder kann das Jiddische nun als Robin Hood, inwieweit es als Gastgeber bezeichnet werden ?
Inhalt
1 Einleitung
2 Ein kleiner historischer Abriss
3 Das Jiddische als Gastgeber
3.1 Die Hebräische Komponente
3.1.1 ...in der Graphemik
3.1.2 ...in der Lexik
3.1.3 ...in der Morphologie
3.2 Die romanische Komponente
3.3 Die deutsche Komponente
3.4 Die slawische Komponente
3.4.1 ...in der Lexik
3.5 Eine osteuropäisches Erscheinung in der Syntax
4 Das Jiddische als ein veritabler „Schmelztigel“?
5 Exkurs: Identität durch Sprache
6 Schluss
7 Bibliographie
1 Einleitung
„Jiddisch ist der Robin Hood unter den Sprachen. Es stiehlt bei den sprachlich Reichen und beschenkt mit seiner Beute die Armen und Schwachen. Es nimmt auch gern Gäste auf – denen es ohne Ansehen der Herkunft oder Religion freie Unterkunft und Verpflegung gewährt“[1]
Robin Hood, der Held vieler englischer Balladen, beraubt weltliche und geistliche Herren um mit deren Überfluss die Armen zu unterstützen[2]. In diesem Zitat wird das Jiddische als solch ein Gerechtigkeitskämpfer dargestellt, der von reichen Sprachen oder deren Sprechern nimmt und den Armen gibt. Was aber macht eine Sprache zu einer Wohlhabenden, zu einer die 'zu viel des Guten' besitzt? Enteignet das Jiddische anderen Sprache manche Teile? Oder vielmehr deren Sprecher? Und wen begünstigt es mit dem Diebesgut? Eine weniger vermögende Sprache oder eine an 'Spracharmut' leidende Gemeinschaft? Oder begünstigt der Krieger der Gleichberechtigung namens Jiddisch hier nicht zuletzt sich selbst, beziehungsweise seine Sprecher?
Gleichzeitig gibt sich Robin Hood hier als Gastfreund, der ohne Einschränkung und ohne Anforderung einer Gegenleistung jeden, der bei ihm anklopft, empfängt, ihm Quartier und Nahrung bietet. Demnach muss das Jiddische ja jede Sprache, die ihm begegnet, nicht nur vollständig aufnehmen, sondern zusätzlich bereichern. Gäste gehen aber wieder, und die wenigsten unter ihnen hinterlassen tatsächlich prägende Spuren bei ihrem ehemaligen Gastgeber. Dies hieße, dass das Jiddische andere Sprachsysteme zuerst in das Seine aufnimmt, sie dann aber wieder tilgt.
Inwieweit darf oder kann das Jiddische nun als Robin Hood, inwieweit es als Gastgeber bezeichnet werden ?
2 Ein kleiner historischer Abriss
„Über die älteste Periode der jüdischen Geschichte in Europa“[3] bestehen nur sehr wenige Kenntnisse. Die ersten Niederlassungen kann man in den mediterranen Regionen festmachen, von wo die Juden sich nordwärts in das römische Reich verbreiteten.
Nach Deutschland sind die Juden dann der Legende nach zur Zeit Josuas[4] und der Richter[5] gekommen.[6] Historisch bezeugt sind jüdische Ansiedlungen allerdings erst für das Jahr 321, nämlich durch eine Erwähnung der Juden im konstantinischen Edikt vom 11. Dezember an den Kölner Magistrat[7]. Vermutlich existierten aber auch andernorts jüdische Gemeinden. Unbekannt ist jedoch, ob jene die Völkerwanderungen überhaupt überlebt haben.
Schließlich ist aber gewiss, dass im 9. Jahrhundert – also zur Zeit der Karolinger – ein Zuzug nach Deutschland stattgefunden hat[8] ; denn wie man weiß, pflegte Karl der Große Kontakte mit Juden.[9] Die neu hinzugezogenen Bewohner der Rheingegend übernahmen zum größten Teil die ansässige Sprache[10].
Nachdem anfangs ein friedliches Zusammenleben durch die Obrigkeit geschützt und garantiert wurde[11], kamen die Juden nach und nach in politische und gesellschaftliche Bedrängung[12], die schließlich 1349, im Jahr des 'Schwarzen Todes', welcher Judenverfolgungen und Massaker auslöste[13], gipfelte und sie zur Migration gegen Osten, vor allem nach Polen und Litauen zwang. Besonders in ersterem wurden sie von dem liberalen König Kasimir dem Großen freundlich aufgenommen[14], wohl vor allem im Sinne der 'Liberalisierung[15] '[16]. Aber es fanden auch Aussiedlungen Richtung Westen, nach Holland und Dänemark statt.
Während im Westen im Zuge der Aufklärung und der Emanzipation die religiösen Traditionen und somit auch das Jiddische größtenteils aufgegeben wurden trug die Entjudaisierung im Osten aufgrund der großen jüdischen Bevölkerungsdichte nur wenige Früchte.
Das Jiddische als Sprache und vielleicht auch als eine Ausdrucksform der jüdischen Kultur war stets Begleiter der Migranten. Und es blieb ebenso wenig wie seine Sprecher unberührt von den immer wieder wechselnden äußeren sprachlichen und sonstigen Einflüssen.
3 Das Jiddische als Gastgeber
Das Jiddische, das „gern Gäste auf[nimmt] – denen es (...) freie Unterkunft und Verpflegung gewährt besteht in seiner heutigen Form in erster Linie aus vier Komponenten: am deutlichsten zeigt sich, daß es „eine Schwester des Deutschen, seine engste Verwandte überhaupt auf der Welt”[17] ist, die aus den rheinfränkischen Mundarten[18] geboren wurde und sich in Lexik, Morphologie und Syntax äußert. Ein weiteres Element stellt das Hebräische-Aramäische[19], die ursprüngliche Muttersprache der Juden, dar, auf dem ersten Blick erkennbar an der Graphemik, auf dem zweiten vor allem an bestimmten Lexemen. Einen fast schwindenden Bestandteil macht das Romanische aus, während die slawische Komponente vor allem in der Lexik, aber auch in Syntax und Morphologie wieder stärker präsent ist.
So hat sich „im Schmelztigel des Jiddischen (...) die Integration [mindestens] zweier indoeuropäischer und einer semitischen Sprache vollzogen.“[20] Hier stellt sich nun die Frage, welche Sprache welche andere einbezogen hat. Der Grammatik nach ist es das ins Frühneuhochdeutsch übergehende Mittelhochdeutsche, angesichts des kulturellen Ursprungs stellt das Hebräische den Anspruch integrierende Sprache zu sein.[21]
Man könnte den Gastfreund 'Jiddisch', ganz nach dem Bild des Schmelztigels, als eine Mischsprache bezeichnen, denn seine Sprechergemeinschaft wechselte oft den Lebensort, sodass die Sprecher mit ihrer Sprache immer wieder aufs neue mit veränderten inner- und außersprachlichen Umständen konfrontiert wurden.
[...]
[1] Leo Rosten, Jiddisch, Eine kleine Enzyklopädie, München, 2002, S. 23
[2] Meyers großes Taschenlexikon, Mannheim, 2001
[3] Salomo A. Birnbaum, Die jiddische Sprache: Ein kurzer Überblick und Texte aus acht Jahrhunderten, Hamburg, 1997, S. 23
[4] Josua ist von Moses zu seinem Nachfolger und dem Anführer des israelitischen Volkes ernannt: 5. Mose 31,7: „Und Mose rief Josua und sprach ihm vor den Augen von ganz Israel: Sei getrost und unverzagt; denn du wirst dies Volk in das Land bringen, das der HERR ihren Vätern geschworen hat, ihnen zu geben, und du wirst es unter sie austeilen.“
[5] Ri 2,18: „Wenn aber der HERR ihnen Richter erweckte, so war der HERR mit dem Richter und errettete sie aus der Hand ihrer Feinde, solange der Richter lebte.“
[6] Josef Weissberg, Jiddisch, Eine Einführung, Bern, 1988, S. 21
[7] Ebd., S. 22
[8] Bettina Simon, Jiddische Sprachgeschichte, Versuch einer neuen Grundlegung, Frankfurt am Main, 1993, S. 7
[9] Josef Weissberg, Jiddisch, Eine Einführung, Bern, 1988, S. 22
[10] Bettina Simon, Jiddische Sprachgeschichte, Versuch einer neuen Grundlegung, Frankfurt am Main, 1993, S.7; Jakob Allerhand, Jiddisch, Ein Lehr- und Lesebuch, Wien, 2002, S. 37
[11] "Ludwig der Fromme gab den Schutzlosen Schutzbriefe. Heinrich IV. Nahm alle Juden unter königlichen Schutz“ (Josef Weissberg, Jiddisch, Eine Einführung, Bern, 1988, S. 22)
[12] Vor allem „drei Faktoren fügten sich zuungunsten der Juden zusammen und führten zu einer Verschärfung der Lage in jeder Hinsicht (...): 1. Die steigende Macht und der Einfluß der Kirche (...). 2. Der anwachsende Einfluß der Massen. 3. Die Zunahme der Stadtbevölkerung [zitiert nach: Avraham Grossmann, The early sages of Ashkenaz, Jerusalem, 1981, S.12]“ (Josef Weissberg, Jiddisch, Eine Einführung, Bern, 1988, S.22f)
[13] Jacob Allerhand, Jiddisch, Ein Lehr- und Lesebuch, Wien, 2002, S. 38
[14] Ebd.
[15] Im 12. Jh. fand eine intensive Kolonisierung aus dem Gebiet des Hl. Röm. Reiches statt, als kirchliche Institutionen und Fürsten versuchten, neue Siedler für ihre Güter zu gewinnen. (Meyers großes Taschenlexikon, Mannheim, 2001)
Dies spiegelt sich auch in dem Textausschnitt „Deutsche Weber ziehen nach Polen“, Zeile 5, wieder:
די לײב־שקלאַפן פון די פּריעים
[16] Josef Weissberg, Jiddisch, Eine Einführung, Bern, 1988, S. 23
[17] Lutz-W. Wolff, „Woher dieses Buch kommt“, in: Leo Rosten, Jiddisch, Eine kleine Enzyklopädie, München, 2002, S.7-10, S. 7
[18] Metzler „Lexikon Sprache“, hg. von Helmut Glück, Stuttgart, Weimar, 1993
[19] Da das Aramäische neben dem Hebräischen nur von wenigen Sprechern benutzt wurde und es wegen der großen Ähnlichkeit im System Letzteres nur wenig beeinflusste, werde ich es in meiner Untersuchung ausklammern. (vgl. Josef Weissberg, Jiddisch, Eine Einführung, Bern, 1988, S. 33f)
[20] Josef Weissberg, Jiddisch, Eine Einführung, Bern, 1988, S. 27
[21] Ebd.;S. 28
- Arbeit zitieren
- Nike-Marie Steinbach (Autor:in), 2005, Jiddisch "der Robin Hood unter den Sprachen" und ein Gastgeber?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53025
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