Im 3. Jahrhundert kam es zu mehreren Seuchenwellen in Alexandria, Carthago und anderen Orten. Diese Seuchen wurden von der Forschung lange als eines von diversen Phänomenen einer Globalkrise der Römischen Reichs angesehen. Eng verbunden damit ist die Diskussion um Ursachen für den Untergang des Reichs.
Neben den Seuchen kam es zu wirtschaftlichen Krisen, zu gewaltsamen und schnellen Thronwechseln, zu zahlreichen „Barbaren“-Einfällen, unsicheren Grenzen und anderen „Krisen“-Phänomenen. Die Interpretation einer umfassenden Krise wird von der neueren Forschung jedoch zunehmend hinterfragt (Vgl. v.a. Witschel 1999).
In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, was den vorhandenen Quellen tatsächlich an brauchbaren Informationen entnommen werden kann. Es soll abgewogen werden, welche Schlussfolgerungen daraus für das Ausmaß und die demographischen Auswirkungen der Seuchen möglich sind. Des weiteren stellt sich die Frage, ob die Seuchen subjektiv als Krisenphänomen wahrgenommen wurden.
Das Fehlen statistischer Daten zwingt dazu, sich vor allem an literarischen Quellen zu orientieren, also an Briefen, Chroniken usw., in denen allein direkte Aussagen zu Seuchen zu finden sind. Die überlieferten zeitgenössischen Quellen (Dionysius, Cyprian) sowie spätere, historiographische Zeugnisse der Antike (Zosimus, Orosius, Historia Augusta, Eutropius, Zonaras) werden kritisch untersucht.
Des weiteren werden die verschiedenen Versuche der Forschung, aus anderen Quellen indirekte Hinweise zu Seuchen und demographischen Entwicklungen des 3. Jahrhunderts herauszulesen, vorgestellt und eingeschätzt. Wierschowski (1994), Duncan-Jones (1996), Haberman (1998). Die grundsätzliche Möglichkeit, demographische Aussagen für die Antike zu machen, wurde u.a. von Boak (1955), Finley (1958), Wierschowski (1994) und Witschel (1999) diskutiert. Die Diskussion wird hier zusammengefasst und auf die Frage von Seuchen bezogen.
Es wird ein abgewogenes Fazit auf der Grundlage von Quellen und Forschungslage gezogen. Antike Quellen vermitteln zunächst ein ausschnittartiges Bild von einem individuellen Beobachterstandpunkt. Ihre objektive Aussagekraft gilt es einzuschätzen. Bei allen Problemen, das Ausmaß der Seuchen zu erfassen, ist es bemerkenswert, dass sie sich wie ein roter Faden durch die Geschichtsschreibung der nächsten Jahrhunderte zieht. Ihre Wirkung auf das kollektive Bewusstsein der Spätantike scheint gegeben. Dennoch ist die Kritik gegenüber globalen Krisenmodellen zu betonen.
Inhalt
1.) Einleitung
2.) Quellen
2.1) Literarische Quellen
2.1.1) Zeitgenössische Überreste
2.1.1.1) Dionysius
2.1.1.2) Cyprian
2.1.2) Spätere, historiographische Zeugnisse
2.1.2.1) Zosimus
2.1.2.2) Orosius
2.1.2.3) Historia Augusta
2.1.2.4) Eutropius
2.1.2.5) Zonaras
2.1.3) Fazit der Quellenanalyse
2.2) Indirekte Hinweise auf Bevölkerungsrückgänge
3.) Antike und Demographie
4.) Schluss
5.) Literatur
6.) Anhang: Quellen
1.) Einleitung
“Das Faktum mehrerer Seuchenwellen in der Mitte des 3. Jhs. mit zahlreichen Toten in Alexandria, Carthago und an anderen Orten ist als solches sicherlich unbestreitbar.”1 So schreibt Witschel in seinem Aufsehen erregenden Werk “Krise - Rezession - Stagnation? Der Westen des römischen Reiches im 3. Jahrhundert n. Chr.” Es gelte aber, nach der tatsächlichen Bedeutung der Epidemien zu fragen, aus denen “man gerne auf einen erheblichen Bevölkerungsrückgang als einem weiteren Krisenfaktor geschlossen hat.”2
Es geht Witschel darum, die bisher vorherrschende Sichtweise, das 3. Jahrhundert sei eine Zeit gewesen, in der vielfältige Krisenfaktoren zu einer Globalkrise des römischen Reiches zusammen kamen, zu hinterfragen. Neben den Seuchen kam es zu wirtschaftlichen Krisen, zu gewaltsamen und schnellen Thronwechseln, zu zahlreichen “Barbaren”-Einfällen, unsicheren Grenzen und ähnlichen Ereignissen, die als “Krisen”-Phänomene gewertet werden können. HistorikerInnen müssen jedoch der Versuchung widerstehen, Einzelphänomene in ein vorgefertigtes Bild einzupassen. Witschel versucht, durch eine umfassende Kritik von Wissenschaft und Quellen Schritte zu einem differenzierteren Bild vom 3. Jahrhundert zu machen.
In dieser Hausarbeit soll der Aspekt der Seuchen im 3. Jahrhundert diskutiert werden. Es soll der Frage nachgegangen werden, was den vorhandenen Quellen tatsächlich an brauchbaren Informationen entnommen werden kann. Es soll abgewogen werden, welche Schlussfolgerungen daraus für das Ausmaß und die demographischen Auswirkungen der Seuchen möglich sind. Des weiteren stellt sich die Frage, ob die Seuchen subjektiv als Krisenphänomen wahrgenommen wurden.
Das Fehlen statistischer Daten3 zwingt dazu, sich vor allem an den literarischen Quellen zu orientieren, also an Briefen, Chroniken usw., in denen allein direkte Aussagen zu Seuchen zu finden sind. Des weiteren müssen die verschiedenen Versuche, andere Quellen mit “indirekten” Hinweisen zu Seuchen für demographische Aussagen zu nutzen, vorgestellt und eingeschätzt werden.
Verschiedene Positionen der Forschung, die mehr oder weniger aufgeschlossen bzw. skeptisch gegenüber der Möglichkeit sind, demographische Aussagen für die Antike zu machen, gilt es gegenüber zu stellen, um so die Frage des objektiven Ausmaßes der Seuchen besser beurteilen zu können. Ich stütze mich in meinen Ausführungen vor allem auf Witschels Kritik.
2.) Quellen
2.1) literarische Quellen
1967 schrieb Alföldi: “ [...] damals [unter Gallus und Volusianus] nahm die furchtbare Pest ihren Anfang, die 15 Jahre hindurch im Reiche überall wütete.”4
Alföldi schrieb diesen Satz nicht im Rahmen einer Diskussion der damaligen Seuche, sondern er schilderte relativ knapp den “Gang der Ereignisse der Jahre 249 bis 270. Trotzdem mag überraschen, dass er mehrere Fakten in den Raum stellte, ohne diese zu belegen, auf die Forschung zum Thema zu verweisen oder wenigstens einen Hinweis auf entsprechende Quellen zu geben. Zumal er genau das bei der Nennung einiger Ereignisse der politischen Geschichte kurz vorher tut.
Deshalb vermute ich, dass dafür nicht der teilweise eher erzählende Charakter seiner Ausführungen verantwortlich ist, sondern dass diese vermeintlichen Fakten als common sense der Forschung galten. Sie passten sich bestens in das vorherrschende Bild der “Krise des 3. Jahrhunderts”5 ein.
Angesichts der Schwierigkeiten, die für die historische Demographie besonders in der Antike bestehen6, stellt sich jedoch die Frage, wie solche Fakten gewonnen und von der Wissenschaft übernommen werden.
Direkte Aussagen zu antiken Ereignissen liefern vor allem literarische Quellen. Die Aufgabe der Geschichtswissenschaft ist es, diese der Kritik zu unterziehen und auf ihre Aussagefähigkeit hin zu befragen. Ein besonders drastisches Beispiel für die Wichtigkeit dieser Kritik liefert der Übersetzer der Historia Ecclesiastica des Eusebius, August Cloß, 1839 in seinen Anmerkungen zu der Pest:
“ Sie [die Pest] dauerte vom Jahre 250 bis zum Jahre 265 ohne Unterbrechung und wüthete nicht blo ß in Aegypten, sondern in jeder Provinz, jeder Stadt und fast jeder Familie des römischen Reichs. Eine Zeit lang starben in Rom täglich 5000 Menschen und viele Städte wurden gänzlich entvölkert. ” 7 Hier übernimmt Cloß die Aussagen von Orosius8, der Historia Augusta 9 und des Zosimus10 fast wörtlich. Antike Literatur gilt ihm als Faktum.
Das muss meiner Meinung nach im Hinblick auf den im 19. Jahrhundert dominierenden Historismus gesehen werden, welcher die “ Suche nach Wahrheit ” 11 forderte. Simon erläutert:
“ Eine konsequentere Handhabung des Postulats, direkt auf die Originalquellen zurückzugehen, gehörte zu den Kennzeichen der neuen Historie. [...] jetzt hie ß historische Kritik die Anwendung philologischer Verfahren zur Rekonstruktion des wahren Textes und dann Rekonstruktion von Sachverhalten, Ereignissen und Intentionen von Menschen aus den so vorbereiteten Texten. Eine wahre historische Aussage mu ß te sich auf einen more philologico gesichterten Text stützen [...] ” 12
Ohne Frage bedeutete das einen wichtigen methodischen Fortschritt. In über anderthalb Jahrhunderten Wissenschaftsgeschichte wurden weitere Schritte hin zu einer modernen Quellenkritik gemacht.13 Ein gutes Beispiel hierfür ist die Interpretation einiger für unsere Fragestellung wichtigen Quellen bei Strobel.14 Es wird ihm Rahmen dieser Hausarbeit nicht möglich sein, alle Quellen mit diesen Methoden und in diesem Umfang zu untersuchen. Es soll jedoch der Versuch unternommen werden, die Frage nach Seuchen im 3. Jahrhundert als einem Krisenphänomen im Lichte der kritischen Untersuchungen Strobels und Witschels und anhand eigener Überlegungen zum Aussagewert der Quellen zu umreißen und gegebenenfalls zu beantworten.
Es erscheint mir sinnvoll, die vorhandenen schriftlichen Quellen zur Thematik15 methodisch in zeitgenössische Überreste und in Traditionsquellen, also spätere, historiographische Zeugnisse, zu gliedern. Wie im folgenden zu zeigen sein wird, spielt dabei die Frage der subjektiven Krisenwahrnehmung eine wichtige Rolle.
2.1.1) Zeitgenössische Überreste
Augenzeugenberichte der Seuchenwelle des 3. Jahrhunderts sind uns von Dionysius und Cyprian überliefert.16
2.1.1.1) Dionysius
Die “Historia Ecclesiastica” des Eusebius -im Original auf syrisch verfasst- zählt zu den Chroniken christlicher Autoren, enthält also heils- und kirchengeschichtliche Aspekte.17 Eusebius zitiert in seinen Ausführungen zu Bürgerkriegsereignissen in Alexandria einen Brief, den der Bischof Dionysius Ostern 249 formell an den ägyptischen Bischof Hierax schrieb, der sich jedoch an die christliche Gemeindeöffentlichkeit richtete.18 Denn diese Art von Brief war ein “offizielle[s] kirchenpolitische[s] ... Dokument ...”, für das Dionysius eine “eigenständige ... inhaltliche ... Konzeption” entwickelte.
Zunächst geht Dionysius auf die Bürgerkriegsereignisse infolge eines lokalen antichristlichen Pogroms ein, bei deren Schilderung er sich deutlich an das Alte Testament anlehnt. Die Pest, die mit dem Bürgerkrieg in Zusammenhang stand, muss nach Strobel von “der großen Epidemie” getrennt werden, die erst später einsetzte. Auch Dionysius macht den Zusammenhang von Pest und Bürgerkrieg deutlich:
“ Die Dämpfe der Erde, die Winde des Meeres, die Dünste der Flüsse und die Nebel der Häfen sind der Art, da ß der Tau Blutwasser ist, da in allen Stoffen, aus denen er entsteht, Leichen faulen. Und da wundert man sich und fragt, woher die andauernde Pest, die schweren Krankheiten, die verschiedenartigen Seuchen, das mannigfaltige und häufige Sterben der Menschen kommen [...] ” 19
Nach Strobel müssen an das gesamte von Eusebius gezeichnete Schreckensgemälde kritische Mäßstäbe angelegt werden, da dieser in einem rhetorisch-dramatischen Stil schreibt und -besonders in oben zitiertem Abschnitt- zu “rhetorischen Übersteigerungen” kommt. Des weiteren sei das “mannigfaltige” Sterben eben nicht nur eine Folge der Seuche, sondern vor allem des Bürgerkriegs, dessen Begleiterscheinung die Seuche war. Deshalb muss mit Schlussfolgerungen in Bezug auf die Auswirkungen der Seuche vorsichtig umgegangen werden.
Die Ausführungen des Dionysius gelten unter den Quellen in der Hinsicht als Ausnahme, dass hier die einzige Zahlenangabe über demographische Folgen einer Seuche gemacht wird, die auf exakten Unterlagen zu beruhen scheint:
[Und da wundert man sich und fragt ...] “ warum die so gro ß e Stadt, einschlie ß lich der kleinen Kinder und derältesten Greise, an Einwohnern nicht mehr die Zahl derer aufweist, die sie vormals als das sogenannte beginnende Alter20 verpflegte. Dieser Vierzig- bis Siebzigjährigen21 waren seinerzeit so viele, da ß ihre Ziffer heute nicht mehr erreicht würde, selbst wenn man die Leute vom vierzehnten bis zum achtzigsten Lebensjahre in das Verzeichnis deröffentlich Verpflegten eintrüge und mitzählte. Und die dem Aussehen nach Jüngsten sind gleichsam Altersgenossen der betagtesten Greise von einst geworden. ”
Parkin geht -wenn auch vorsichtig- davon aus, dass diese Unterlagen bzw. diese Angaben durchaus ernst genommen werden müssen. Er hat errechnet, dass eine Dezimierung der Bevölkerung um 310.000 und somit 62% stattgefunden haben müsste. Er urteilt: ”This is indeed a catstrophic decline in numbers, though not impossible as a short term phenomenon.”22
Strobel verweist jedoch auf die Schwierigkeiten, überhaupt eine Zahl für die Gesamtbevölkerung Alexandrias zu nennen. Witschel geht noch kategorischer vor:
“ Ohne die modernen Methoden der Demographie war in der Antike selbst bei einem durchaus vorhandenen Archivmaterial kaum eine statistische Auswertung möglich. ” 23
Auch Grant meint, dass Dionysius
“ von seiner Stellung her Daten und Fakten zugänglich waren. Die Auswirkungen der Pest auf die Bevölkerung, die christliche ebenso wie die nichtchristliche, müssen verheerend gewesen sein. ” 24
Strobel kritisiert jedoch den Kontext der Ausführungen. Zum einen weist er auf die Probleme des Bischof hin, in der beschriebenen chaosartigen Situation genaue Unterlagen oder Angaben zu beschaffen. Des weiteren bleibe bei vielen Interpretationen unberücksichtigt, dass es eine Fluchtbewegung, vor allem von Christen, gegeben habe, die ebenfalls zu einem Nichterscheinen bei der annona, der städtischen Getreideausgabe, führte. Die Altersangaben sieht Strobel als
“ eine von ihm so ad hoc im rhetorischen Zusammenhang aufgestellte illustrierende Behauptung, die nichtsüber die tatsächlichen Bevölkerungszahlen aussagt, die sich nach der allgemeinen Beruhigung der Lage einstellten. ” 25 (Hervorhebung durch mich, C.W.)
Witschel ergänzt diese Anmerkungen Strobels:
“ Selbst wenn die Zahlen jedoch einigerma ß en korrekt sein sollten, so bieten sie nur eine Momentaufnahme, die nichtsüber die längerfristige Bevölkerungsentwicklung in Alexandria aussagt. ” 26
Ich stimme in diesem Streitfall den Skeptikern Strobel und Witschel zu. Dabei ist für mich entscheidend, dass der gesamte Osterbrief nicht mit der Absicht verfasst wurde, korrekte wissenschaftliche Angaben zu machen. Für Dionysius war vielmehr die Wirkung auf die Gemeinde entscheidend.
Diese Absicht findet sich auch in dem von Eusebius anschließend zitierten Osterbrief wieder. Dieser leitet mit den Worten “Da [im Jahre 251/252] dem Kriege eine pestartige Krankheit folgte” den Osterfestbrief “an die Brüder in Alexandria” ein, in dem Dionysius genauer auf die Pest und deren Auswirkungen eingeht.
Dionysius schildert die Ereignisse der letzten Zeit als eine Art Leidensgeschichte.27 Nach Verfolgung, Krieg und Hunger kam auf die Gemeinde auch noch “die gegenwärtige Krankheit” zu. Dionysius spricht den Christen Trost zu, indem er “die Epidemie mit dem Dogma der Güte und des allmächtigen Willens Gottes, ja mit seinem Heilsplan in Einklang zu bringen” versucht. Für Christen sei die Seuche “Erziehung und Prüfung”. Sie bringe ihre Nächstenliebe gegenüber Angehörigen zum Vorschein, während Heiden ihre infizierten Angehörigen im Stich lassen würden. Für Heiden sei somit die Seuche ein einziger Schrecken. Die Christen hingegen würden trotz allem das Osterfest begehen.
Ob die von Dionysius dargestellten Verhaltensmuster von Christen und Heiden der Realität entsprachen, bleibt meiner Meinung nach fraglich. Ich halte es -auch vor dem Hintergrund der religiösen Argumentation- für wahrscheinlich, dass er diese Verhaltensmuster mit pädagogischer Absicht predigte, damit sie sich so in der Realität vollzögen. Auch in dieser Quelle werden ganz wage Angaben zu Verlustzahlen gemacht. Dionysius zitiert das Alte Testament (Exodus 12, 30): “kein Haus ist, in dem nicht ein Toter wäre”, und fährt fort: “Und wenn es nur ein Toter wäre!” (Hervorhebung im Original) Diese Angabe steht jedoch im Zusammenhang mit der Schilderung des Leidensweges (“viel Schreckliches”) und ist zudem so ungenau und so wenig von der Absicht diktiert, eine korrekte demographische Aussage zu machen, dass diese Angabe für die Demographie vollends wertlos ist.
2.1.1.2) Cyprian
Cyprian war seit dem Jahr 248 Bischof von Karthago. 252 schrieb er angesichts der Seuche, über die bereits Dionysius geschrieben hatte, seine Schrift “De mortalitate”28. Darin schildert er zunächst die Symptome der Seuche und stellt allen Verheerungen gegenüber: “ad documentum proficit fidei”. Angesichts der Seuche nicht zu verzweifeln, bedeute Mut, Erhabenheit und Hoffnung auf Gott. Christen müssten den Tod nicht fürchten. Diese Ausführungen sind schon deshalb wenig aussagekräftig, weil sie vor allem topisch sind. Witschel erklärt:
“ Allerdings gab es auch eine Art von zeitloser Topik, etwa die verschiedenen Formen christlicher Naherwartung, die sich zwar in recht hohem Ma ß e aus Alltags erfahrungen und -ängsten der Menschen speisten, aber gerade deshalb fast ohne aktuelle Zeitbezüge auskamen und beliebig einsetzbar waren. ” 29
Im Abschnitt 16 greift Cyprian ein ähnliches Motiv auf wie Dionysius: Durch die Herausstellung des von ihm erwarteten Verhaltens mahnt er zur Nächstenliebe. Letztlich schließt er mit den Worten
“ Ut nihil aliud mortalitas ista contulerit, hoc Christianis & Dei servis plurimum praestitit, quod martyrium coepimus libenter appetere, dum mortem discimus non timere. Exercitia sunt nobis ista, non funera; dant animo fortitudinis gloriam, contemtu mortis praeparant ad coronam. ” 30
Damit tritt er der offensichtlich weit verbreiteten “Verzagtheit, Todesfurcht und Verzweiflung über die schicksalhafte Prüfung der Epidemie”31 entgegen. Wie also auch schon im Falle des Dionysius finden sich hier Aussagen über Sozialgeschichte nur im religiösen Zusammenhang, in diesem Falle einer Trostpredigt.
Parkin ordnet Cyprians Schrift ein. Zum einen meint er “Cyprians observations were determined by the negative images surrounding him.”32 Diese sicherlich richtige Beobachtung erklärt den konkreten, natürlich ebenfalls dramatischen, Stil. Zur wissenschaftlichdemographischen Einordnung meint er:
[...]
1 Witschel, Christian: Krise - Rezession - Stagnation? Der Westen des römischen Reiches im 3. Jahrhundert n. Chr. Frankfurt am Main 1999. S.40.
2 Ebd.
3 Auf die vermeintliche Ausnahme Alexandria wird noch einzugehen sein. 2
4 Alföldi, Andreas: Studien zur Geschichte der Weltkrise des 3. Jahrhunderts nach Christus. Darmstadt 1967. S.345.
5 Vgl. Wierschowski, Lothar: Die historische Demographie - ein Schlüssel zur Geschichte? Bevölkerungsrückgang und Krise des römischen Reiches im 3. Jh. n. Chr., Klio 76, 1994, 355-380; hier: S.355.
6 Vgl. Witschel, Krise, 1999, S.42.
7 Eusebius‘, Bischofs von Cäsarea, Kirchengeschichte. Zum ersten mal vollständig übersetzt mit Anmerkungen und dem Leben des Verfassers von August Cloß. Stuttgart 1839.
8 Oros. hist. 7, 21, 5 (“nulla ferre prouincia Romana, nulla ciuitas, nulla domus fuit, quae non illa generali perstilentia correpta atque uacuata sit.”)
9 HA v.Gall. 5, 5 (“nam et pestilentia tanta existiterat vel Romae vel in Achaicis urbibus, ut uno die quinque milia hominum pari morbo perirent.”)
10 Zos. 1, 37, 3 (“Unter ihrem Eindruck priesen sich die von der Krankheit ergriffenen Menschen glücklich und ebenso die bereits betroffenen Städte, nachdem sie ganz und gar entvölkert waren.” übersetzt von Otto Veh )
11 Simon, Christian: Historiographie. Stuttgart 1996. S. 107.
12 ebd., S.109f.
13 Vgl. Witschel, Krise, 1999, S. 25ff.; Vgl. Sommer, Michael: Die Soldatenkaiser. Darmstadt 2004. S. 13ff.; Vgl. Günther, Rosmarie: Einführung in das Studium der Alten Geschichte. Paderborn 2001. S. 60ff.
14 Strobel, Karl: Das Imperium Romanum im ‚3. Jahrhundert‘. Modell einer historischen Krise? Zur Frage mentaler Strukturen breiter Bevölkerungsschichten in der Zeit von Marc Aurel bis zum Ausgang des 3. Jahrhunderts n.Chr. Stuttgart 1993. S.167ff.; S.185ff.
15 Witschel, Krise, 1999, listet die Belege auf: S. 39.
16 Für eine vollständige Wiedergabe der Quellen siehe Anhang, S.21
17 Vgl. Sommer, Soldatenkaiser, 2004, S. 14f.
18 Vgl. Strobel, Imperium, 1993. S.187; ebenso zu den folgenden Ausführungen: Strobel, S.187ff.
19 Eusebius, Kirchengeschichte, 1989.
20 ȫµȠȖȑȡȠIJİȢ. Diese erhielten auf Staatskosten Getreide und waren in ein eigenes Verzeichnis eingetragen.
21 Diese sind die ȫµȠȖȑȡȠIJİȢ.
22 Parkin, Demography, S.63f.
23 Witschel, Krise, 1999, S.39.
24 Grant, Robert M.: Christen als Bürger im Römischen Reich. Göttingen 1981. S.19.
25 Strobel, Imperium, 1993, S.198.
26 Witschel, Krise, 1999, S.39.
27 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Strobel, Imperium, S.199ff.
28 Cyprian, Thascius Caecilius: Opera. Oxonii 1682. Herausgegeben von John Fell.
29 Witschel, Krise, 1999, S.29.
30 Selbst wenn diese Sterblichkeit nichts weiter genützt hätte, so hat sie uns Christen und Dienern Gottes schon damit einen großen Dienst erwiesen, daß wir jetzt begonnen haben, mit Freuden nach dem Märtyrertum zu verlangen, indem wir lernen, uns vor dem Tode nicht zu fürchten. Nur Übungen sind das für uns, nicht Heimsuchungen; sie verleihen dem Herzen den Ruhm der Tapferkeit, und durch die Verachtung des Todes bereiten sie zur Märtyrerkrone vor. (Cyprian: De mortalitate, 14.)
31 Strobel, Imperium, 1993, S.168.
32 Parkin, Tim G.: Demography and Roman Society. Baltimore, London 1992. S.62. 8
- Quote paper
- Christoph Wälz (Author), 2004, „Magna mortalitas fuit” - Seuchen im dritten Jahrhundert und die „Krise“ des römischen Reiches, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/52894
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