Im Rahmen der Geschäftsordnungsreform 1969, die auch unter dem Namen ‚kleine Parlamentsreform’ bekannt wurde, schuf der Bundestag die Möglichkeit, zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe Enquete-Kommissionen einzusetzen (§ 56 Abs. 1 GOBT). Hintergrund war ein verändertes Verhältnis zwischen Politik und Wissenschaft im Verlauf der 60er Jahre. Hatte sich der Staat bis dahin auf die administrativ-professionelle Kompetenz seiner Beamtenschaft verlassen, wurden nun die Schaffung von verwaltungsinternen Planungs-, Informations- und Analysekapazitäten sowie die Nutzung wissenschaftlicher Beratungsleistungen durch externe Forscher zur Vorraussetzung für modernes Regieren. Von den Enquete-Kommissionen als institutionalisierte Form der Politikberatung wurde eine „Stärkung der Position des Parlaments in all seinen Funktionen“ sowie eine „Verbesserung der Gesetzgebungsarbeit und Kontrolle durch planvollere Behandlung größerer Aufgabenbündel“ erwartet. Die starke Abhängigkeit der Abgeordneten von den Informationen und Vorlagen aus den Ministerien, die keinen Raum für die eigenständige Bearbeitung von Themen ließ, sollte damit der Vergangenheit angehören.
Bis heute hat die Politik auf Bundesebene 23 Enquete-Kommissionen eingerichtet. Die zentrale Fragestellung in dieser Hausarbeit lautet: Hat sich die Enquete-Kommission als Instrument der Politikberatung bewährt? Nach einer gründlichen Darstellung ihrer Entstehungsgeschichte, Rechtsgrundlagen, Zusammensetzung und Arbeit soll untersucht werden, ob die Ergebnisse der Kommissionen Eingang in den Policy Cycle fanden. Ist dies nicht der Fall, soll dargelegt werden, woran die Kommissionen scheiterten. Auf Grund der Materialfülle kann dabei nicht auf jede Kommission eingegangen werden, vielmehr soll die Frage aus der Vogelperspektive beantwortet werden, ohne dabei Unterschiede zu vernachlässigen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Zum Begriff der Politikberatung
2. Entstehungsgeschichte
3. Rechtsgrundlagen der Enquete-Kommissionen: § 56 GOBT
a) Aufgabe und Einsetzungsverfahren
b) Zusammensetzung
c) Berichterstattung
4. Problemerörterung
a) Einschränkungen hinsichtlich der Gesetzgebungsfunktion
b) Einschränkungen hinsichtlich der Öffentlichkeitsfunktion
c) Die Beziehungen zwischen Wissenschaftlern und Politikern
d) Rechtlicher Status
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Im Rahmen der Geschäftsordnungsreform 1969, die auch unter dem Namen ‚kleine Parlamentsreform’ bekannt wurde, schuf der Bundestag die Möglichkeit, zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe Enquete-Kommissionen einzusetzen (§ 56 Abs. 1 GOBT). Hintergrund war ein verändertes Verhältnis zwischen Politik und Wissenschaft im Verlauf der 60er Jahre. Hatte sich der Staat bis dahin auf die administrativ-professionelle Kompetenz seiner Beamtenschaft verlassen, wurden nun die Schaffung von verwaltungsinternen Planungs-, Informations- und Analysekapazitäten sowie die Nutzung wissenschaftlicher Beratungsleistungen durch externe Forscher zur Vorraussetzung für modernes Regieren.[1] Von den Enquete-Kommissionen als institutionalisierte Form der Politikberatung wurde eine „Stärkung der Position des Parlaments in all seinen Funktionen“[2] sowie eine „Verbesserung der Gesetzgebungsarbeit und Kontrolle durch planvollere Behandlung größerer Aufgabenbündel“[3] erwartet. Die starke Abhängigkeit der Abgeordneten von den Informationen und Vorlagen aus den Ministerien, die keinen Raum für die eigenständige Bearbeitung von Themen ließ, sollte damit der Vergangenheit angehören.
Bis heute hat die Politik auf Bundesebene 23 Enquete-Kommissionen eingerichtet.[4] Die zentrale Fragestellung in dieser Hausarbeit lautet: Hat sich die Enquete-Kommission als Instrument der Politikberatung bewährt? Nach einer gründlichen Darstellung ihrer Entstehungsgeschichte, Rechtsgrundlagen, Zusammensetzung und Arbeit soll untersucht werden, ob die Ergebnisse der Kommissionen Eingang in den Policy Cycle fanden. Ist dies nicht der Fall, soll dargelegt werden, woran die Kommissionen scheiterten. Auf Grund der Materialfülle kann dabei nicht auf jede Kommission eingegangen werden, vielmehr soll die Frage aus der Vogelperspektive beantwortet werden, ohne dabei Unterschiede zu vernachlässigen.
1. Zum Begriff der Politikberatung
Politikberatung ist definiert als „das Verfügbarmachen von Informationen und Handlungsempfehlungen für politisch Handelnde und Entscheidende durch Wissenschaftler […] sowie durch Fachleute aus Wirtschaft und Gesellschaft“[5]. Göttrik Wewer merkt zu recht an, dass Politiker auch von anderen Stellen wie Parteifreunden, Journalisten, Lobbyisten und Wählern Ratschläge erhalten.[6]
Jürgen Habermas hat in seinem Aufsatz „Verwissenschaftlichte Politik und öffentliche Meinung“ drei Modelle der Politikberatung herausgearbeitet, die bis heute gültig sind. Das dezisionistische Beratungsmodell „geht von einer strikten Trennung zwischen den Funktionen des Sachverständigen und des Politikers aus“[7]. Demnach sei Politik nicht rational und wissenschaftlich begründbar. Umgekehrte Verhältnisse herrschen im technokratischen Beratungsmodell. Dort scheint sich „der Sachzwang […] gegen die Dezision der Politiker durchzusetzen.“[8] Der Politiker setzt hierbei lediglich die Entscheidungen der Wissenschaft um. Im pragmatischen Beratungsmodell stehen Politiker und Sachverständige in einem „kritischen Wechselverhältnis“[9], in dem Experten die Politiker beraten und die Wissenschaftler von den Politikern nach ihren Bedürfnissen beauftragt werden.
Da Enquete-Kommissionen als direkte Politikberatung mit einem unmittelbaren Informationsaustausch zwischen Politikern und Sachverständigen angelegt sind, in denen „wechselseitige Lernprozesse“ in Gang gesetzt werden, sind sie dem pragmatischen Modell zuzurechnen.[10]
2. Entstehungsgeschichte
Das Recht, Enqueten und Untersuchungen durchzuführen, gehört zu den ältesten Rechten eines Parlaments. Es resultiert aus dem Misstrauen der Legislative gegen die Exekutive und fand sowohl in der Paulskirchenverfassung von 1848 als auch in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 Berücksichtigung.[11]
Die Einrichtung des Instituts Enquete-Kommission im Jahr 1969 fand in einem Klima statt, in dem von der Studentenbewegung bis in die Sozialdemokratie die Rufe nach einer Demokratisierung von Staat und Gesellschaft ertönten und eine Parlamentsreform unabwendbar schien.[12] Zu Zeiten der Adenauerschen Kanzlerdemokratie hatten demokratisch nicht legitimierte Beiräte und Sachverständigenräte Einzug in den vorparlamentarischen Bereich gehalten, so dass Kritiker bemängelten, dem Parlament bliebe nur noch „die formelle Sanktion des bereits Beschlossenen übrig.“[13] Mit den Enquete-Kommissionen sollte dem Parlament ermöglicht werden, eigene umfangreiche Untersuchungen durchzuführen. Auf dem Deutschen Juristentag 1964 wies Horst Ehmke bereits darauf hin, dass die Untersuchungsausschüsse nach Art. 44 GG dafür nicht ausreichten, da diese sich lediglich mit Missständen befassten.[14]
Neben den Aspekt der Eigenständigkeit des Parlaments trat die Öffentlichkeitsfunktion. Das Parlament könne sich „in Fragen der Sozialgestaltung, die das Schicksal des Volkes unmittelbar [betreffen]“, das Instrument der Enquete-Kommission zu Nutze machen.
Auf Initiative der SPD-Fraktion wurde 1969 der neue § 74a in die Geschäftsordnung des Bundestages (GOBT) aufgenommen und damit die rechtlichen Voraussetzungen für die Einsetzung von Enquete-Kommissionen geschaffen. Seit der GOBT-Reform 1980 ist das Enqueten-Recht unter § 56 GOBT zu finden.[15]
3. Rechtsgrundlagen der Enquete-Kommissionen: § 56 GOBT
a) Aufgabe und Einsetzungsverfahren
Dem Grundgesetz ist ein Enqueten-Recht expressis verbis nicht zu entnehmen, ebenso wenig existiert ein entsprechendes Bundesgesetz.[16] Vorschläge der Enquete-Kommission „Verfassungsreform“ sowie ähnliche Vorhaben nach der Wiedervereinigung und aus den Reihen der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat, Enquete-Kommissionen ins Grundgesetz zu übernehmen, scheiterten.[17] Lediglich § 56 Abs. 1 Satz 1 GOBT sieht vor, dass der Bundestag „zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe“ eine Enquete-Kommission einsetzen kann. Damit wird deutlich, dass sie keineswegs nur den Wissensstand erhöhen, sondern ausdrücklich Entscheidungen vorbereiten soll.
[...]
[1] Vgl. Wollmann, Hellmut: Politikberatung. In: ellmut: Nohlen, Dieter (Hrsg.): Kleines Lexikon der Politik. München 2002, S. 377 (zukünftig zitiert: Wollmann)
[2] Ismayr, Wolfgang: Der Deutsche Bundestag. Funktionen, Willensbildung, Reformansätze. Opladen 2002, S. 500 (zukünftig zitiert: Ismayr)
[3] ebd.
[4] Eine Auflistung bis 2002 findet sich in Altenhof, Ralf: Die Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages. Wiesbaden 2002, S. 14 (zukünftig zitiert: Altenhof). Spätere Kommissionen sind unter http://www.bundestag.de/parlament/kommissionen/index.html zu finden.
[5] Wollmann, S. 376
[6] Wewer, Göttrik: Politikberatung und Politikgestaltung. In: Schubert, Klaus und Bandelow, Nils: Lehrbuch der Politikfeldanalyse. Oldenbourg 2003, S. 361
[7] ebd., S. 365
[8] ebd.
[9] ebd.
[10] Ismayr, S. 502
[11] Lompe, Klaus u. a.: Enquête-Kommissionen und Royal Commissions. Beispiele wissenschaftlicher Politikberatung in der Bundesrepublik Deutschland und in Großbritannien. Hannover 1981, S. 185f (zukünftig zitiert: Lompe)
[12] vgl. Euchner, Walter u. a.: Länder-Enquete-Kommissionen als Instrumente der Politikberatung. Baden-Baden 1993, S. 4f
[13] ebd., S. 5
[14] ebd.
[15] ebd., S. 4
[16] Schmittner, Konrad: Die Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Jahrgang 1972, S. 254
[17] vgl. Altenhof, S. 74f
- Citation du texte
- Daniel Neugebauer (Auteur), 2004, Enquete-Kommissionen als Beispiel pragmatischer Politikberatung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/52497
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