Die Seminararbeit beschäftigt sich mit dem Verbrauchsgüterkauf. Dabei wird zunächst eine Betrachtung aus europäischer Sicht vorgenommen und insbesondere in Frage gestellt, inwieweit die europarechtlich bestimmten Zielvorgaben erreicht werden konnten. Anschließend erfolgt eine Vorstellung der einzelnen Vorschriften (§§ 474-479 BGB) unter Hinweis auf Systemwidersprüche innerhalb des BGB. Zuletzt erfolgt eine Erörterung der Frage, wie die halbzwingenden Vorschriften des Verbrauchsgüterkauf mit dem Grundsatz der Privatautonomie bzw. der Vertragsfreiheit vereinbar sind.
„Ein jeder Mensch hat rechtmäßigen Anspruch auf Achtung von seinen Nebenmenschen, und wechselseitig ist er dazu auch gegen jeden Anderen verbunden.“ Man könnte aus dieser Aussage folgern, dass sich die nachfolgende Arbeit mit einem Teilbereich der Philosophie beschäftigt. Dem ist jedoch nicht so, denn es besteht die Möglichkeit, einen der Kerngedanken der Aussage, die Beschränkung der Freiheit zugunsten der Freiheit anderer, auf das Kaufrecht zu übertragen. Insbesondere die Regelungen über (Kauf-) Verträge beruhen auf einer der tragenden Säulen des BGB : Privatautonomie. Diese trägt dem Bedürfnis der Freiheitsentfaltung des Einzelnen durch privatautonomes Handeln im Geschäftsverkehr Rechnung. Nichtsdestotrotz kann es im Geschäftsverkehr zwischen den Parteien durch divergierende Kräfteverhältnisse zu Konflikten kommen. Darauf basierend traf der Gesetzgeber mit den verbraucherschützenden Normen, die an die §§ 13 f. anknüpfen , eine einzelfallunabhängige Wertentscheidung zugunsten der Schutzwürdigkeit des Verbrauchers.
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
A. Einleitung
B. Harmonisierung des Verbrauchsgüterkaufs
I. Regelungsgeschichtlicher Hintergrund
II. Vorgaben und Umsetzung
1. Der Verbrauchsgüterkauf aus europäischer Sicht
a. Überschießende Umsetzung und die innere Kohärenz des BGB
b. Stärkung des europäischen Binnenmarktes durch „einheitlichen“ Verbrauchsgüterkauf?
c. Vollharmonisierung als Lösung?
d. Außerrechtliche Gründe
2. Der Verbrauchsgüterkauf aus nationaler Sicht: Die §§ 474 – 479 BGB
a. § 474 BGB
b. § 475 BGB
c. § 476 BGB
d. § 477 BGB
e. § 478 BGB
f. § 479 BGB
III. Privatautonomie und Verbrauchsgüterkauf - Ein Widerspruch?
1. Privatautonomie
2. Notwendigkeit der Relativierung der Privatautonomie beim Verbrauchsgüterkauf?
a. Ansicht Wagners
b. Ansicht Repgens
c. Stellungnahme
C. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A. Einleitung
„Ein jeder Mensch hat rechtmäßigen Anspruch auf Achtung von seinen Nebenmenschen, und wechselseitig ist er dazu auch gegen jeden Anderen verbunden.“1 Man könnte aus dieser Aussage folgern, dass sich die nachfolgende Arbeit mit einem Teilbereich der Philosophie beschäftigt. Dem ist jedoch nicht so, denn es besteht die Möglichkeit, einen der Kerngedanken der Aussage, die Beschränkung der Freiheit zugunsten der Freiheit anderer, auf das Kaufrecht zu übertragen. Insbesondere die Regelungen über (Kauf-) Verträge beruhen auf einer der tragenden Säulen des BGB2: Privatautonomie.3 Diese trägt dem Bedürfnis der Freiheitsentfaltung des Einzelnen durch privatautonomes Handeln im Geschäftsverkehr Rechnung.4 Nichtsdestotrotz kann es im Geschäftsverkehr zwischen den Parteien durch divergierende Kräfteverhältnisse zu Konflikten kommen. Darauf basierend traf der Gesetzgeber mit den verbraucherschützenden Normen, die an die §§ 13 f. anknüpfen5, eine einzelfallunabhängige Wertentscheidung zugunsten der Schutzwürdigkeit des Verbrauchers.6 Die Gründe des (europarechtlich determinierten)7 Gesetzgebers waren vielfältig. Eine Erwägung lag insbesondere darin, dass ein Unternehmer aufgrund der Professionalität seines Auftretens tendenziell einen Informationsvorsprung am Markt besitzt und damit häufig geschäftserfahrener ist.8 Des Weiteren ist der Verbraucher typischerweise in einer wirtschaftlich schwächeren Situation, was auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass er sich bei der gerichtlichen Durchsetzung seiner Interessen einem größeren (finanziellem) Risiko aussetzt, wenn auf der Beklagtenseite ein (finanziell starker) Unternehmer agiert.9
An diese Wertungsentscheidung des Gesetzgebers anknüpfend, wird in der folgenden Arbeit zunächst die rechtshistorische Entwicklung kurz aufgezeigt. Daran anschließend wird der Verbrauchsgüterkauf aus europäischer Sicht vorgestellt. Einerseits soll dabei die Umsetzungsweise des deutschen Gesetzgebers hinterfragt werden, wobei insbesondere ein Augenmerk auf der Frage liegen wird, inwieweit eine Rechtszersplitterung innerhalb des BGB vermieden werden konnte. Andererseits soll vor dem Hintergrund der europäischen Erwägungsgründe dargestellt werden, ob eine Vollharmonisierung für ein einheitliches europäisches Schutzniveau sinnvoller (gewesen) wäre. Danach wird der Verbrauchsgüterkauf aus nationaler Sicht anhand der einzelnen Vorschriften der §§ 474 ff. in Betracht genommen. Zum Abschluss der Arbeit soll die Frage beantwortet werden, in welchem Verhältnis der Verbrauchsgüterkauf zum Grundsatz der Privatautonomie steht.
B. Harmonisierung des Verbrauchsgüterkaufs
I. Regelungsgeschichtlicher Hintergrund
Die Entwicklung des Verbrauchsgüterkaufrechts geht auf das „Grünbuch über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienst“ aus dem Jahr 1993 zurück.10 Europarechtlich bestand das Bedürfnis, aufgrund mitgliedstaatlicher Regelungsunterschiede eine Vereinheitlichung hinsichtlich der Gewährleistungsrechte vorzunehmen, die sich strukturell am UN-Kaufrecht orientieren sollte.11 Begünstigend kam dieser Entwicklung hinzu, dass parallel einige Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene im Bereich der Gewährleistung Reformen anstrebten.12 Nach zwei Richtlinienvorschlägen, die 1996 und 1998 auf das Grünbuch folgten, nahm der Rat einen gemeinsamen Standpunkt13 an.14 Dieser wurde, wenn auch modifiziert, vom Europäischen Parlament in Form der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie15 im Jahr 1999 verabschiedet.16 Die Mitgliedstaaten waren anschließend gemäß Art. 11 I 1 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie bis zum 1.1.2002 zu deren Umsetzung verpflichtet.
Der deutsche Gesetzgeber nahm die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie als einer der Hauptanlässe für die Modernisierung des Schuldrechts.17 Dabei fanden auch die §§ 474 ff., welche inhaltlich Modifizierungen an den allgemeinen kaufrechtlichen Vorschriften vornehmen, Eingang in das BGB.18 Die nächste Etappe der Entwicklung lag in der Verbraucherrechte-Richtlinie.19 Zwar beinhaltete sie hauptsächlich Regelungen zur Neuordnung von Fernabsatz- und Haustürgeschäften20, sie veranlasste den deutschen Gesetzgeber jedoch auch zur Erweiterung des § 474 a.F.21 und diente damit als Ergänzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie.22 Zuletzt kam es mit Wirkung zum 1.1.201823 zur Verschiebung einiger Normen des Verbrauchsgüterkaufs, welche nun weitestgehend inhaltsgleich innerhalb der §§ 474 ff. aufzufinden sind.24
II. Vorgaben und Umsetzung
1. Der Verbrauchsgüterkauf aus europäischer Sicht
Gemäß der Erwägungsgründe 1 und 4 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zielte der europäische Gesetzgeber auf ein einheitlich hohes Verbraucherschutzniveau und die Vollendung des Binnenmarktes ab. Er ging davon aus, dass dem Käufer ein Anreiz am grenzüberschreitenden Handel geschafft werden kann, wenn zu seinen Gunsten ein Mindeststandard von Schutzrechten besteht.25 Die wesentlichen Aspekte der Richtlinie für den Verbrauchsgüterkauf lagen dabei auf der Harmonisierung von Gewährleistungsrechten, vertraglichen Garantien, Rückgriffsrechten und Ausschlussfristen.26 Dafür wird zunächst in Art. 1 II Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie der „Verbraucher“ und „Verkäufer“27 definiert.
Anschließend wurde in Art. 2 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie ein gemeinsamer Fehlerbegriff festgelegt, nachdem sich die Haftung des Verkäufers bestimmt, wenn er nicht vertragsgemäß erfüllt haben sollte. Dafür folgt das Gewährleistungssystem des Verbrauchers einer zweistufigen Regelung, wonach der Verbraucher gem. Art. 3 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zunächst „Nachbesserung“ oder „Ersatzlieferung“ verlangen können soll. Daneben stehen ihm bei Ausschluss dieser Rechte die Möglichkeit der „Vertragsauflösung“ und „Minderung“ zu. Sollte die Vertragswidrigkeit jedoch nur geringfügig sein, ist er auf die „Minderung“ beschränkt. Um die Rechte des Verbrauchers jedoch nicht unbegrenzt auszuweiten, bestimmt Art. 5 I Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie eine zweijährige Frist zur Geltendmachung der Verbraucherrechte.
a. Überschießende Umsetzung und die innere Kohärenz des BGB
Schon jetzt fällt auf, dass die Richtlinienvorgaben ursprünglich für das Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis bestimmt waren. Der deutsche Gesetzgeber erstreckte jedoch einen Großteil der Regelungen auf das allgemeine Kaufrecht, welches gerade nicht durch das Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis charakterisiert ist.28 Somit wurde der Verbrauchsgüterkauf im Sinne des europäischen Gesetzgebers über seinen persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich hinaus ausgedehnt. Damit entschied sich der deutsche Gesetzgeber für eine sogenannte „große Lösung“, wonach er die Richtlinie als Anlass für eine umfassende Neuregelung des Kaufrechts nahm.29
Diese überschießende Umsetzung war ihm, wie sich aus Art. 8 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie ergibt, möglich, da der Richtlinie das Konzept der Mindestharmonisierung zugrunde liegt.30 Das bedeutet, dass die einzelnen Mitgliedstaaten zunächst verpflichtet waren, einen Mindeststandard an Verbraucherrechten zu schaffen.31 Die Erreichung eines höheren Schutzniveaus stand ihnen dabei jedoch frei.32 Diese Art der Umsetzung ist bei weitem nicht unumstritten und wird teilweise bis heute kritisiert. Dabei wird insbesondere hinterfragt, inwieweit das Verbraucherschutzrecht Sonderrechtscharakter besitzt und folglich außerhalb des BGB anzugliedern gewesen wäre.33 Für den Verbrauchsgüterkauf könnte dies beispielsweise die Schaffung eines eigenen Verbrauchsgüterkaufgesetzes bedeuten. Eine solche Zersplitterung hätte jedoch die Stellung des BGB als die zentrale Zivilrechtskodifikation in Frage gestellt, ganz zu schweigen von den Praktikabilitätsverschlechterungen für die Bevölkerung.34
An der großen Lösung des Gesetzgebers wird daher begrüßt, dass sie eine Vierteilung des Kaufrechts durch ein weiteres Nebengesetz vermeiden konnte.35 Des Weiteren erfuhr der Verbraucherschutzgedanke auch inhaltlich durch die Verortung im BGB eine gewisse Aufwertung, da er nun kein Schattendasein als Nebengesetz führen muss.36
Nichtsdestotrotz darf nicht unerwähnt bleiben, dass die große Lösung zu Problemen bei der Auslegung und systematischen Widersprüchen innerhalb des BGB geführt hat.37 Im Speziellen geht es dabei um die Frage, inwieweit überschießend umgesetzte Normen in Nicht-Verbrauchsgüterkaufverhältnissen richtlinienkonform im Sinne des europäischen Verbrauchsgüterkaufs ausgelegt werden müssen. Aus europarechtlicher Sicht besteht zumindest keine Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung von Normen, die Nicht-Verbrauchsgüterkaufverhältnisse betreffen.38 Folglich wäre die gespaltene Auslegung einer Norm, in Verbrauchsgüterkauf- und Nicht-Verbrauchsgüterkaufverhältnisse ohne weiteres möglich gewesen.39 Eine solche Auslegung führt jedoch wiederum zu einer Zersplitterung des Kaufrechts, wenn man dem Wortlaut einer Norm zwei unterschiedliche Bedeutungen beimisst.40 Dieses Ergebnis wäre mit der inneren Kohärenz des BGB nicht vereinbar. Aus diesem Grund wird eine einheitliche Auslegung begrüßt und vorgenommen.41
Es darf dabei jedoch nicht vernachlässigt werden, dass eine einheitliche Auslegung zu einer (selbstgemachten) Beschränkung des Rechtsanwenders in Nicht-Verbrauchsgüterkaufverhältnissen führt.42 Eine gespaltene Auslegung hätte den Vorteil, dass flexiblere Ergebnisse erreicht werden könnten, was jedoch zwangsläufig zu den eingangs erwähnten Widersprüchen führt. In der Praxis wird die gespaltene Auslegung durch Gesetzesänderungen gelöst. Für den Schwebezustand zwischen Auslegungsentscheidung des EuGH und Gesetzesänderung, der auch häufig mehrere Jahre umfasst43, besteht jedoch auch weiterhin die Gefahr gespaltener Auslegung und Systemwidersprüchen. Inwieweit die überschießende Lösung im Ergebnis wirklich eine Zersplitterung vermeiden konnte, muss vor diesem Hintergrund kritisch hinterfragt werden.
b. Stärkung des europäischen Binnenmarktes durch „einheitlichen“ Verbrauchsgüterkauf?
Schließlich ist noch zu klären, ob der europäische Binnenmarkt durch die Vorschriften des Verbrauchsgüterkaufs vereinheitlicht und gestärkt werden konnte. Zunächst ist festzustellen, dass durch die Mindestharmonisierung der europäische Gesetzgeber in den Mitgliedstaaten weiterhin den Nährboden für unterschiedliche Umsetzung geschaffen hat, wie sich am Beispiel der Rügeobliegenheit zeigt. Den Mitgliedstaaten stand es gemäß Art. 5 II Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie frei, eine solche für den Verbrauchsgüterkauf einzuführen. Der Verbraucher verliert danach seine Rechte, wenn er nicht binnen zwei Monaten nach Kenntniserlangung der Vertragswidrigkeit den Unternehmer unterrichtet.44 Länder wie Italien, Spanien und Dänemark setzten diese Rügeobliegenheit auch in das jeweilige innerstaatliche Recht um.45 In Deutschland ist eine Rügeobliegenheit aus § 377 HGB bekannt, für den Verbrauchsgüterkauf ist eine solche jedoch nicht eingeführt worden. Gerade bei grenzüberschreitenden Käufen ist das Wissen über die Existenz einer solchen hinsichtlich der Ausübung von Verbraucherrechten entscheidend, sodass eine einheitliche Regelung wünschenswerter gewesen wäre.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass beispielsweise Litauen dem Verbraucher ein vollständiges Wahlrecht zwischen seinen Rechtsbehelfen zubilligt.46 Eine zweistufige Untergliederung wie in Deutschland, wonach dem Verkäufer zunächst das „Recht zur zweiten Andienung“47 zusteht, existiert dort beim Verbrauchsgüterkauf folglich nicht. Auch hier werden die Schwächen ersichtlich, die sich daraus ergeben, wenn den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gegeben wird, die Richtlinienvorgaben überschießend umzusetzen.
Daneben operieren auch einige Länder mit „kleinen Lösungen“ der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, indem sie lediglich das Minimum der Vorgaben umsetzten oder ein selbstständiges Verbrauchsgüterkaufgesetzbuch schafften.48
Eine Stärkung der Verbraucher fand damit zwar in allen Mitgliedstaaten statt, von einem wirklich einheitlichen Mindeststandard an Schutzrechten kann man jedoch nur bedingt sprechen, wenn man bedenkt, wie unterschiedlich die jeweiligen Rechte von Verbrauchern ausgestaltet sind.
c. Vollharmonisierung als Lösung?
An dieses Ergebnis anknüpfend ließe sich die Frage stellen, ob eine Vollharmonisierung, wie sie in Art. 4 Verbraucherrechte-Richtlinie angelegt ist49, geeigneter gewesen wäre, um dem Verbraucher einen europaweit einheitlichen Schutz zu bieten. Unter Vollharmonisierung versteht man eine umfassende Angleichung, bei der den Mitgliedstaaten kein oder nur ein sehr beschränkter Handlungsspielraum verbleibt.50 Diese könnte die Schwächen hinsichtlich der Diversität der Sekundärrechte ausgleichen. Sofern die rechtlichen Rahmenbedingungen des Verbrauchers denen seines Heimatlandes entsprechen würden, könnte dieser weniger davor abgeschreckt sein, seine Rechte auch tatsächlich wahrzunehmen.
Problematisch ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass eine Vollharmonisierung hinsichtlich Interpretation, Umsetzungskontrolle und Rechtsänderung die Gefahr eines Kompetenztransfers von den Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft in sich birgt und aus diesem Grund häufig kritisiert wird.51 Daneben darf auch die Komplexität nicht vernachlässigt werden. Je mehr Bereiche von einer Richtlinie betroffen sind, desto schwieriger und langwieriger gestaltet sich die Kompromissfindung.52 Der Grund dafür liegt in der Problematik, den individuellen Rechtsordnungen in den Mitgliedstaaten gerecht zu werden.53 Inwieweit im Nachhinein eine Vollharmonisierung des Verbrauchsgüterkaufs möglich wäre, ist daher schon aus Umsetzungsgesichtspunkten fraglich.
Des Weiteren könnte die Vollharmonisierung für Deutschland eine Verschlechterung des aktuellen Verbraucherschutzes bedeuten, wenn beispielsweise eine Rügepflicht beim Verbrauchsgüterkauf eingeführt werden würde. Auch eine künftige Weiterentwicklung des Verbrauchsgüterkaufs durch den deutschen Gesetzgeber wäre durch eine Vollharmonisierung weitestgehend ausgeschlossen.54 Die Vollharmonisierung im Bereich des Verbrauchsgüterkaufs stellt durch die spezifischen Länderbedürfnisse vorerst keine Lösung dar, sofern das aktuelle Verbraucherschutzniveau in den Mitgliedstaaten aufrechterhalten werden soll. Pfeiffer erklärt daher zutreffend, dass ein vollharmonisiertes Verbraucherschutzrecht ohne ein harmonisiertes Privatrecht nicht sinnvoll umsetzbar ist.55 Ein harmonisiertes Privatrecht könnte die Rechtsvereinheitlichung des Verbrauchsgüterkaufs zur Folge haben, wodurch Disparitäten zwischen den Mitgliedstaaten gelöst werden würden. Schlussendlich darf diese Möglichkeit aber nicht davor hinwegtäuschen, dass zu Gunsten der Gleichheit die Gefahr der Senkung des aktuellen Verbraucherschutzniveaus in einzelnen Mitgliedstaaten besteht.
d. Außerrechtliche Gründe
Allen voran vernachlässigt der Harmonisierungsgedanke einen hauptsächlichen Aspekt: Die Bereitschaft des Verbrauchers für grenzüberschreitende Käufe wird hauptsächlich von den Kosten der Ware geleitet.56 Der Gedanke, dass möglicherweise Vertragsstörungen auftreten könnten, tritt dabei sehr häufig in den Hintergrund.57 Gemäß dem Fall, dass es zu Vertragsstörungen kommt, darf dennoch die Bereitschaft des Verbrauchers nicht überbewertet werden, an der Rechtsdurchsetzung ein hohes Interesse zu haben. Vielmehr sorgen Sprachbarrieren, Probleme bei der Rechtsdurchsetzung, lange Verfahren und die Angst vor Anwaltskosten häufig dafür, dass der Verbraucher auf die Wahrnehmung seiner Rechte im Vorhinein verzichtet.58 Zwar sind durch die Regelungen des Verbrauchsgüterkaufs prinzipiell alle gleichermaßen geschützt, in der Realität profitieren jedoch vor diesem Hintergrund meist nur informierte und finanziell stärkere Verbraucher von dem Schutz.59
Der europäische Binnenmarkt kann daher durch einheitliche Verbraucherschutzvorschriften unterstützt werden, auch wenn die Bedeutung der Vorschriften nicht so weit gehen darf, dass sie für den Verbraucher für grenzüberschreitende Käufe ausschlaggebend sind.
[...]
1 Immanuel Kant in Kirchmann, Metaphysik, S. 314.
2 Alle folgenden Paragraphen ohne anderweitige Kennzeichnung meinen solche des BGB.
3 Paulus, Privatautonomie, S. 1.
4 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, § 1 Rn. 2
5 Die Umsetzung der §§ 13f. bei weitem nicht unumstritten. Zwar ist eine Besserstellung schwächerer zu begrüßen, insbesondere Kreutz, Gemeinschaftsrechtlicher Verbraucherschutz, S. 135ff. sieht jedoch Probleme in der systematischen Stellung der §§ 13f. Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, § 1 Rn. 6a und Paulus, Privatautonomie, S. 6 mahnen in diesem Zusammenhang, dass die pauschale Privilegierung durch die Verbrauchereigenschaft auch gerade nicht schutzwürdigen Privatpersonen unverdientermaßen zugutekommen kann.
6 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, § 1 Rn. 6.
7 Zur Entwicklung des europäischen Verbraucherbegriffs: Alexander, BeckOGK, Stand: 1.10.2019, §13 Rn. 25 ff.
8 Tamm, Verbraucherschutzrecht, S. 15.
9 Tamm, Verbraucherschutzrecht, S. 18; Weitere Gründe für die Unterlegenheit des Verbrauchers in Wiedenmann, Verbraucherleitbilder, S. 116 – 128.
10 Lorenz, MüKo, Vor § 474 Rn. 1.
11 Augenhofer, BeckOGK, Stand: 1.10.2019, § 474 Rn. 7.
12 Augenhofer, BeckOGK, Stand 1.10.2019 § 474 Rn. 9.
13 Gemeinsamer Standpunkt, ABl. EG 1998 C 333, 46.
14 Lorenz, MüKo, Vor § 474 Rn. 1.
15 Richtlinie 1999/44/EG vom 25.5.1999, ABl. L 171, S. 12 – Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter
16 Augenhofer, BeckOGK, Stand: 1.10.2019, § 474 Rn. 11 f.
17 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001, BGBl. 2001 I, 3138 (3158); Hartmut/Maultzsch, Schuldverhältnisse, § 2 Rn. 2.
18 Weidenkaff, Palandt, Vor § 474 Rn. 1.
19 Richtlinie 2011/83/EU vom 25.10.2011, ABl. L 304, S. 64 – Rechte der Verbraucher.
20 Hartmut/Maultzsch, Schuldverhältnisse, § 1 Rn. 10.
21 Seit dem 1.1.2018: § 475 I, II.
22 Augenhofer, BeckOGK, Stand: 1.10.2019, § 475 Rn. 5; Umgesetzt durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.9.2013, BGBl. 2013 I, 3642 (3652 f.)
23 Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung vom 28.4.2017, BGBl. 2017 I, 969 (970 f.).
24 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, § 9 Rn. 441.
25 Alexander, Verbraucherschutzrecht, § 12 Rn. 4.
26 Weisner, EG-Richtlinie, S. 759.
27 Der Unternehmerbegriff wurde zwar erst in der Verbraucherrechte-Richtlinie verwendet, jedoch entspricht der Verkäuferbegriff im Wesentlichen dem des Unternehmers aus § 14.
28 Der „Fehlerbegriff“ entspricht § 434, die Rechte des Verbrauchers entsprechen mit Ausnahme des Schadensersatzes den §§ 437 ff., die Verjährungsfrist fand durch § 438 ihren Einklang in das allgemeine Kaufrecht.
29 Büdenbender, Bedeutung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, S. 36.
30 Augenhofer, BeckOGK, Stand: 1.10.2019, § 474 Rn. 19.
31 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 32 Rn. 35.
32 Augenhofer, BeckOGK, Stand: 1.10.2019, § 474 Rn. 18.
33 Wiedenmann, Verbraucherleitbilder, S. 269f.; Tamm, Verbraucherschutzrecht, S. 130f; Tamm, Beratungshandbuch, § 1 Rn. 18.
34 Dies kann auch nicht durch den Regelungsadressaten gerechtfertigt werden. Nach Wiedenmann, Verbraucherleitbilder, S. 273 sei dies stets der ausgebildete Jurist. Zutreffender ist jedoch, auch den stets von der Norm betroffenen als Adressaten anzusehen, zu dessen Lasten sich eine solche Zersplitterung auswirkt.
35 Vgl. Augenhofer, BeckOGK, Stand: 1.10.2019, § 474 Rn. 20: neben dem allgemeinen Kaufrecht §§ 433 ff. bestünden dann die Sonderregelungen zum HGB, das internationale UN-Kaufrecht für Handelsverträge und das Verbraucherkaufrecht. Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, § 9 Rn. 441 sieht in einem solchen Fall eine weitere Untergliederung in „besondere Kaufrechtsordnungen“, da es notwendigerweise auch eines separaten Unternehmer-, Verbraucher- und umgekehrten Verbrauchsgüterkaufrechts bedürfe.
36 Tamm, Verbraucherschutzrecht, S. 73; Nach Tamm, Verbraucherschutzrecht, S. 74 wird diese Aufwertung jedoch abgemildert, da Verbraucherschutzrechte im Allgemeinen und der Verbrauchsgüterkauf im Besonderen regelungstechnisch häufig als Ausnahmevorschriften auftreten und eben nicht die Regel darstellen.
37 Diese Widersprüche entstehen aufgrund des Umstandes, dass die Richtlinien einer anderen Systematik als der des BGB folgen. Abgeschlossene Regelungen in das BGB zu integrieren führt daher notwendigerweise zu Systemkonflikten, vgl. Tonner, Beratungshandbuch, § 3 Rn. 47.
38 Augenhofer, BeckOGK, Stand: 1.10.2019, § 474 Rn. 23.
39 Und wurde auch praktiziert, vgl. Fußnoten 43, 78 und 80.
40 Augenhofer, BeckOGK, Stand: 1.10.2019, § 474 Rn. 23.
41 Büdenbender, Bedeutung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, S. 47; Tamm, Verbraucherschutzrecht, S. 576f.
42 Büdenbender, Bedeutung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, S. 40.
43 Zwischen EuGH, Urteil v. 16.6.2011 – Az.: C-65/09 – juris, Rn. 55 und der (extensiven) gesetzgeberischen Umsetzung in § 439 III zum 1.1.2018 durch das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung vom 28.4.2017, BGBl. 2017 I, 969 (969 f.), der die gespaltene Auslegung aufhob, lagen über 6 Jahre, Augenhofer, BeckOGK, Stand: 1.10.2019, § 474 Rn. 25.1.
44 Die Richtlinie führt die Rechtsfolge nicht näher aus, der Verlust der Mängelrechte wäre aber nur logisch, so Weisner, EG-Richtlinie, S. 762.
45 Trietz, Praxisbericht, S. 204; Zu den insgesamt 17 Mitgliedstaaten, die die Rügeobliegenheit einführten: Augenhofer, BeckOGK, Stand: 1.10.2019, § 474 Rn. 12.1.
46 Reich, Privatrechtsdrama, S. 31.
47 Looschelders, Besonderer Teil, § 4 Rn. 1.
48 Glöckner, Konkretisierung, S. 665.
49 Augenhofer, BeckOGK, § 474 Rn. 26.
50 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 32 Rn. 35.
51 Reich, Privatrechtsdrama, S. 17; Augenhofer, BeckOGK, § 474 Rn. 26.
52 Gsell, Staudinger, L. Rn. 3.
53 Gsell, Staudinger, L. Rn. 3.
54 Oehler, Vollharmonisierende Richtlinien, S. 100.
55 Pfeiffer, Konstruktionsprinzipien, S. 2610.
56 Augenhofer, BeckOGK, § 474 Rn. 16.
57 Reich, Privatrechtsdrama, S. 10.
58 Trietz, Praxisbericht, S. 208.
59 Lurger, Schattenseiten, S. 818.
- Citar trabajo
- Johannes Frank (Autor), 2019, Harmonisierung des Verbraucherschutzrechtes. Der Verbrauchsgüterkauf gemäß §§ 474 ff. BGB, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/520977
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