Mit dem Hintergrund, dass Prostitution in Deutschland legalisiert ist und der Gesetzgeber nunmehr bemüht ist, angesichts der Vulnerabilität professioneller Prostituierten, für geeigneten Schutz zu sorgen, verfolgt diese Arbeit die Absicht, aus der Perspektive der Kunden neue Ansatzpunkte und Sichtweisen aufzuzeigen. Im Folgenden werden bisherige empirische Studien zum Konzept der Freier dargelegt, die patriarchale Struktur der Prostitution analysiert und Konzepte zur Freierarbeit vorgestellt. In einer empirischen Studie mit qualitativen Interviews wurden hierzu Meinungen, Vorwissen und Hintergründe von jenen Freiern explorativ erfasst und ausgewertet.
Table of Contents
1 Einleitung
2 Theoretischer und empirischer Hintergrund [33% = 22 Seiten]
2.1 Prostitution und Sexarbeit
2.2 Konzepte über „Den Freier“
2.3 Das Machtungleichgewicht zwischen den Geschlechtern
2.3.1 Geschlecht als Identitätskategorie
2.3.2 Männliche und weibliche Sexualität
2.3.3 Geschlechtergerechtigkeit
2.4 Beratungskonzepte für Kunden
2.4.1 „John Schools“ in den Vereinigten Staaten
2.4.2 Prostitutionsverbot durch Freierbestrafung
2.4.3 Deutschlands Freierarbeit
3 Methodische Herangehensweise [ 20% = 12 Seiten]
3.1 Forschungsinteresse und Wahl des Forschungsproblems
3.2 Sampling
3.3 Leitfadeninterview
3.4 Transkription
3.5 Der reziproke Einfluss von Interviewerin und Interviewten
3.6 Qualitative Evaluation
4 Ergebnisse [ 28% = 15-20 seiten]
4.1 Soziokultureller Hintergrund
4.2 Erfahrung mit dem Feld Prostitution
4.3 Präsenz in der Öffentlichkeit
4.4 Definitionen von Prostituierten und Freier
4.5 Annahmen über Prostitution
5 Schlussfolgerung [ 16% = 10 Seiten]
6 Ausblick
7 Literaturverzeichnis
Ehrenwörtliche Erklärung
Kurzfassung
Mit dem Hintergrund, dass Prostitution in Deutschland legalisiert ist und der Gesetzgeber nunmehr bemüht ist, angesichts der Vulnerabilität professioneller Prostituierten, für geeigneten Schutz zu sorgen, verfolgt diese Arbeit die Absicht, aus Perspektive der Kunden sogenannter „Freier“ neue Ansatzpunkte und Sichtweisen aufzuzeigen. In diesem Rahmen werden bisherige empirische Studien zum Konzept der Freier dargelegt, die patriarchale Struktur der Prostitution analysiert und Konzepte zur Freierarbeit vorgestellt. In einer empirischen Studie mit qualitativen Interviews wurden hierzu Meinungen, Vorwissen und Hintergründe von jenen Freiern explorativ erfasst und ausgewertet.
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Prostitution (P.) ist nicht nur ein politisch umstrittenes Thema, sondern auch auf der moralischen Ebene. In diesem fortlaufenden Diskurs sind Personen aus der Politik, aus sozialen Organisationen und (feministischen) Aktivitäten, sowie (Ex-) Prostituierte (Prost.) und neben Privatpersonen auch Wissenschaftler*innen beteiligt. Dieser Diskurs wird dabei permanent von Prozessen über das Ausfechten von Deutungskonflikten begleitet. In unserer heutigen westlichen Demokratie strebt eine jede Akteurin danach, ihre Meinung als die allgemeingültige hegemoniale öffentliche Meinung zu etablieren. Dies lässt sich einfach im Diskurs zur P. erkennen. Politiker, NGOs, Aktivisten, sowie darin tätige Personen kämpfen um die „richtige“ Sichtweise.
In den Medien und der Wissenschaft liegt die Betrachtung und Analyse vorwiegend auf der Prostituierten. In Medien wird sogar meistens einer negatives Bild gezeichnet, wohingegen Kunden kaum beachtet werden und wenn vornehmlich als hoch gebildete Einflussreiche Männer dargestellt werden (Höly 2014).
Prostitution historisch betrachtet neben Haushaltsberufen, eine der wenigen Möglichkeiten als Frau zu arbeiten. Sexualität wurde der Frau abgesprochen bzw. nur dem Manne zugeschrieben. Es ist anzunehmen, dass zwischen weiblicher und männlicher Ausübung von Sexualität starke Differenzen liegen.
In dieser Arbeit gehe ich der Frage nach warum Männer den Weg in die Prostitution als Käufer finden, inwieweit sie dieses System wahrnehmen, reflektieren und sich damit auseinandersetzen. Um auf diese Fragen Antworten zu finden, befasst sich das erste Kapitel mit der Empirie der wissenschaftlichen Befunde spezifisch in der Forschung mit und über Kunden von Prostituierten. Nach einer ersten Erörterung der Dimensionen von Prostitution und der Untergliederung in diverse Subbereiche folgt im nächsten Kapitel die Machtungleichgewichte zwischen Mann und Frau. Hierbei gehe ich der Frage nach, wie ein geschlechtergerechter Umgang mit der P. aussieht. Daran schließt sich der methodische Teil an, in der ich mein Vorgehen offen lege, um im Anschluss hieran meine Forschungsarbeit vorzustellen und meine Ergebnisse zu diskutieren.
2 Theoretischer und empirischer Hintergrund [33% = 22 Seiten]
In diesem Kapitel wird zuerst ein knapper Überblick über P. geschlagen (2.1) und folgend die empirische Datenlage der Freier (2.2) dargelegt. Anschließend folge ich der Frage nach dem Unterschied zwischen Mann und Frau (2.3). Im letzten Abschnitt stelle ich diverse Beratungsangebote für Freier (2.4).
2.1 Prostitution und Sexarbeit
Direkt zu Beginn geht es um die Klärung der Begrifflichkeiten „Prostitution“ und „Sexarbeit“. Prostitution (P.) leitet sich vom griechischen Wort „prostituere“ ab, welches so viel bedeutet wie „sich zur Schau stellen, öffentlich anbieten“. Seit jeher bezeichnet dieser Begriff ein Feld, dessen Kern sich um das Tauschgeschäft Sex/ sexuelles Kapital gegen Geld/ monetäres Kapital dreht. Personen, hauptsächlich Frauen, bieten gegen Entgelt sexuelle Praktiken für hauptsächlich Männer an. Dieser Austausch ist in vielfältige Strukturen eingebettet. Nach der deutschen Gesetzgebung ist Prostitution legal und wird durch das ProstG 2002 und das ProstSchG 2017 geregelt. Weiterhin differenziert sich die Art der Ausübung in Straßen-, Wohnungs- und Bordellprostitution. Es gibt Clubs- und Massagesalons sowie Escortservice, Haus- und Hotelbesuche. Pornographie zählt nicht minder als Prostitution. Menschenhandel, Zuhälterei, Zwangsprostitution sind Begriffe, die sich in diesem Diskurs immer wieder abzeichnen und die eine Unterteilung der Prostitution gemessen an ihrer Freiwilligkeit und Abhängigkeiten mit sich brachte.
Dahingegen ist der Terminus „Sexarbeit“ ein recht neuer und entstammt - angelehnt an die Haushaltsdebatte - der politischen Arbeiterperspektive aus den 70er Jahren. In dieser ging es um die damalige Rollenverteilung, in der Frau die Rolle als Hausfrau, Pflegerin und Erzieherin zugeschrieben wurde. Die Frauen kämpften um die Anerkennung ihrer Aufgaben als gleichwertige Arbeit der des Mannes (Maria Rosa della Costa). Da viele Frauen sich nicht als in der „sex use industry“ arbeitende bloßstellen wollten, führte die Prostituierte Carol Leigh schließlich den Begriff des „Sexwork“ ein. Hier angemerkt sei, dass im Diskurs meist von Frauen als Prostituierten die Rede ist, weitere sexuelle Geschlechterrollen sind eher als Minderheiten vertreten und finden daher wenig Beachtung. Die Übernahme des Begriffes erfolgte in Deutschland erst in den letzten Jahren und findet vor allem Verwendung im politischen Diskurs. Kennzeichnend für die Sexarbeit ist ihre Selbstbestimmtheit und Freiwilligkeit. Der Sozialwissenschaftler Udo Gerheim erachtet diesen Terminus als hilfreiche Maßnahme zu einer Professionalisierung und um ebenfalls Stigmatisierungen abzubauen. Dabei wird der Begriff vielseitig kritisiert, er vermittele der Öffentlichkeit ein verharmlostest Bild, bei der es sich um einen ganz „normalen“ Beruf handele. Der Verband „Ex-Prostitutes Against Legislated Sexual Servitude” spricht stattdessen von Zwangsarbeit, da sie grundlegend der Auffassung sind, dass keine Prostituierte tatsächlich als solche arbeiten würde, wenn sie eine realistische Alternative hätte. Ebenfalls bezweifeln sie, dass jegliche Regulierungsmaßnahmen tatsächlich vor Gewalterfahrungen schützen können. Auch die Feminstin und Anwältin Dr. MacKinnon kommt 2011 zu dem Schluss, dass durch Prostitution praktisch keine*r der Armut entkommt. Nach einer Studie von der Politikwissenschaftlerin Faika El-Nagashi aus 2010 geht hervor, dass lediglich 3-5% aller Prostituierten Sexarbeiter*innen im Sinne der Freiwilligkeit sind. Eine weitere Studie von Dr. rer. pol. Cho, Prof. Neumayer und Prof. Dr. Dreher verglich 2012 150 Staaten, in denen Prostitution entweder legal oder illegal war. Es zeigte sich, dass die Nachfrage durch Legalisierung stark zunahm, beispielsweise ist der Markt in Deutschland verglichen mit Schweden 60 Mal größer. Gleichzeitig habe Deutschland rund 62 Mal so viele Opfer von Menschenhandel wie Schweden, obwohl die Bevölkerung nur neunmal so groß ist wie die schwedische. MacKinnon, die Gründerin von „Prostitution Research and Education“, Melissa Farley und Alice Schwarzer fordern deshalb gesetzliche Regulierungen, um die Frauen besser zu schützen. Sie fassen Prostitution als Zwangsprostitution und Sklaverei auf und fordern deshalb gleichzeitig ein generelles Verbot. Anita Kiensberger, Mitbegründerin der Initiative „Stopp Sexkauf“, setzt sich mit diesem Normalisierungsdiskurs kritisch auseinander und kommt zu dem Schluss, dass vor allem die Bedingungen, die zur Prostitution führen, verbessert werden müssen (Kienesberger 2014).
Der Soziologe Dr. phil Thorsten Benkel fasst zusammen, wie veränderte Sichtweisen auf Geschlechterverhältnisse, Beziehungsnormen und -Sexualität, Globalisierungsregelungen sowie Migrationsschübe, genauso wie eine Zunahme des Autonomiebewusstseins und der Verlust der ökonomischen (Über-)Lebenskraft neue Betrachtungswinkel und ebenso Wertungen auf Sexarbeit mit sich bringen, die „man moralisch verdammen oder bald liberal, bald komplexitätsreduzierend ignorieren kann“ (Klimke und Lautmann 2016).
Prostitution meint folglich nicht genau dasselbe wie Sexarbeit, vielmehr ist unter Sexarbeit der Teil in der Prostitution zu verstehen, in dem die Personen vermeintlich selbstbestimmt einer Tätigkeit nachgehen. Machthierarchien oder jegliche Suppressionsmechanismen, die hier vermehrter als sonst in der Gesellschaft auftreten mögen, werden ausgeschlossen. Deshalb werde ich, angelehnt an zahlreiche andere wissenschaftliche Schriften ebenfalls, den Begriff der Prostitution wählen, da ich nicht denke, dass sie derzeit komplett losgelöst hiervon funktioniert.
Nach Erich Fromm, Angehöriger der Frankfurter Schule, sind Menschen vom Gefühl der Einsamkeit geleitet. Die einzige Erlösung, die wir finden können liegt in der Liebe. Alle weiteren Versuche vor allem wie sie in unserer Zeit durch den Kapitalismus bestimmt werden dienen lediglich der temporären Zufriedenstellung. Hierunter fasst er auch die Prostitution (vgl. Fromm 1980). Wie kommt es also, dass mehrheitlich Männer als Käufer von sexuellen Diensten auftreten und Frauen als Prostituierte arbeiten?
2.2 Konzepte über „Den Freier“
Der Begriff „Freier“ leitet sich aus dem altertümlichen „um eine Frau freien“ ab, womit das Werben um die Hand einer Frau gemeint ist. In der P. werden die Kunden von Prost. damit umschrieben.
In der Wissenschaft finden sich seit den 90er Jahren vereinzelte Studien zu den Personen, die Sex kaufen – vorab ein grober Überblick: Anerkannte Forschungen, die im nationalen Rahmen durchgeführt wurden, sind einmal Kleiber und Velten 1994, Rothe 1997, Grenz 2005 und Gerheim 2012. Auf internationaler Ebene finden sich die Forschungen von Rissel 2003, Mansson 2005 und 2006, Lautrup 2005, Sanders 2008, Monto 2010 und Regushevskaya und Tuormaa 2014 (Klimke und Lautmann 2016).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Übersicht der Studien zu „Freiern“
Hydra 1991 stellt fest, dass „Freier – sein“ üblich und normal ist und jeder Mann ein potentieller Freier. Weiterhin gibt es die Arbeit von Hoigard und Finstad (1992), die sich vornehmlich Straßenprostituierten in Oslo zuwendendeten und die Freier miteinbezogenn. Ihrer Statistik nach sind 13 % der norwegischen Männer überhaupt jemals zu einer Prost. gegangen. Dieter Kleiber und Doris Velten 1994 kommen in ihrer Studie zu der Schlussfolgerung, dass 18% aller geschlechtsreifen Männer regelmäßige Freier sind. Ihre Studie gilt derzeit als einzig repräsentative in Deutschland. Nach der sogenannten „Jedermann – Hypothese“ sind Freier „Männer aller Altersklassen (15-74), jedes Familienstandes, jedes Bildungsniveaus, verschiedenster Tätigkeits-, Berufs- und Einkommensgruppen“ und unterscheiden sich auch in psychologischen sowie gewaltbezogenen Parametern nicht von der durchschnittlichen männlichen Gesamtbevölkerung (Kleiber 2010). Weiterhin arbeiten sie sechs verschiedene Typen von Freiern heraus, die eher als Strukturversuch zu werten sind denn als homogen voneinander abzugrenzende Gruppen.
1. Der enttäuschte Romantiker sucht einen Ersatz für sexuelle Defizite in privaten Partnerschaften, wünscht sich jedoch eine feste Beziehung. Im Durchschnitt ist er über 40 Jahre alt und verheiratet, kann jedoch auch ledig oder geschieden sein, und kommt in allen Bildungsschichten vor.
2. Dem rationalen Strategen sind seine Defizite zudem bewusst, er sieht jedoch keinen Anlass, dass hierdurch seine Partnerschaft zu Schaden kommen könnte. Der Altersdurchschnitt liegt bei 39 Jahren und er ist entweder Single, verheiratet oder geschieden.
3. Der liberalisierte Freier sucht die Lust an der Grenzüberschreitung und gilt als Ausnahme. Sein erster Besuch erfolgte möglicherweise durch selbes Defizitgefühl. Durchschnittlich ist er meist um die 40 Jahre, meist geschieden, hat liberale Partnerschaftsvorstellungen und meist ein geringeres Bildungsniveau.
4. Der Hedonist empfindet Lust an der Prostitution und kann dies gut mit seinem Selbstbild vereinbaren. Mit durchschnittlich 30 Jahren kommt er aus unterschiedlichen Bildungsschichten und verfolgt unkonventionelle Partnerschaftsideale.
5. Der zwiespältige Freier leidet unter Minderwertigkeitsgefühlen, die er durch den Besuch bei Prost. kompensiert um sich „als Mann“ zu fühlen. Obwohl er ihn dies zur Wiederholung zwingt, kann er sein „Freier – sein“ nicht mit seinem Selbstbild vereinbaren. Auch er verfolgt keine traditionellen Partnerschaftsideale, ist im Durchschnitt zwischen 20 und 30 Jahren.
6. Der neugierige Single gilt ebenfalls als Ausnahme. Sein Beweggrund ist, wie der Name bereits impliziert, Neugier. Er geht meist nur wenige Male in seinem Leben zu Prost. , da er dies nicht mit seinem Selbstbild vereinbaren kann und auch nicht erotisch empfindet. Zusätzlich hat er auch außerhalb der P. mehr sexuelle Spontankontakte verglichen mit anderen Freiern.
All diese Freiertypen haben jedoch den Umstand gemein, ihre sexuelle Unzufriedenheit durch Prostitutionskontakte zu minimieren (vgl. Grenz 2007, S. 19). In ihrer Studie 1997 zum Thema Sextourismus fügt Andrea Rothe hinzu, dass es nicht um die reine Lust der Männer auf Sex allein geht, sondern ebenfalls um die Lust auf eine Frau.
Plumridge et al. (1997) befassen sich in einem Artikel mit europäischen Freiern in Neuseeland und ziehen ähnliche Rückschlüsse wie später Gerheim 2012 auf deren Motivation. Diese sind mitunter sexuelle Fantasien, die sie nicht mit ihren Sexualpartner*innen ausleben können, Erweiterung des Sexlebens, einfacher Zugang ohne zusätzliche Verbindlichkeiten oder Zuneigung ohne sexuelle Konnotation.
O’Connell Davidson untersuchte 1998 einerseits Freier in Großbritannien als auch europäische Sextouristen in Entwicklungsländern. Sie eruiert die komplexe Beziehung von Wirtschaft, Machtbeziehungen, Geschlecht, Alter, Klasse und „Freiwilligkeit“ in der Prostitution. Hierin entwirft sie das Freien als eine sexuelle Vorliebe, die jedoch durch frühkindliche Verletzungserfahrungen und Rachewünsche pathologisiert ist. In ihrer männlichen Identität unterscheiden sich Freier jedoch nicht von Männern, die nicht für Sex bezahlen. Für sie spielt auch der Ritualcharakter zur Stärkung des männlichen Gruppengefühls eine Motivation dar, warum Männer zu Prost. gehen (vgl. Grenz 2007). S.26
Aus den vorhergehenden Untersuchungen widmet sich Sabine Grenz 2005 dem Zusammenhang von Sexualität und männlicher Identität und wie diese durch käuflichen Sex reproduziert wird. Ihre Argumentation ist, dass Sexualität zur Identitätsbildung beiträgt. „Freier-sein“ begreift sie jedoch nicht als eigenständige sexuelle Identität, vielmehr rekonstruiert der Freier seine „normale Heterosexualität“ durch den Besuch einer Prost (ebd.). (S.34)
Udo Gerheim 2012 forschte nach der Grundmotivation, warum Männer käuflichen Sex nachfragen und versuchte diese anhand Bourdieus Habitus – Theorie und ihrer Sozialisation zu erklären. Als Resultat stellt er vier generalisierte Muster vor, die er in sexuelle, soziale und psychische Motive und in die Subkulturelle Erotisierung des Prostitutionsfeldes unterteilt. Ihr sexuelles Motiv folgt dem Bedürfnis nach Sexualität und Körperlichkeit, das sie ohne Werbephase, soziale Erwartungen oder Angst vor Zurückweisung, allzeit verfügbar erreichen können, teils auch von sonst unerreichbaren Personen. Mit sozialen Motiven meint er den Wunsch nach Kommunikation und Zärtlichkeit. Manche sind einsam oder einfach schüchtern und finden hier einen vertraulichen Rahmen. Das psychische Motiv fungiert als Bewältigungsstrategie von privaten Schwierigkeiten wie Depressionen oder einer Selbstwertkrise. Und letztlich verlockt das Geheimnisvolle, Verruchte das dem Rotlichtmilieu obliegt. Das heißt, die Motive sind entgegen der Vorurteile überwiegend nicht destruktiv, frauenverachtend, gewaltförmig oder von machtgetriebener Unterwerfungslust geleitet. Derlei Verhalten verordnet er eher in den Bereichen der Zwangsprostitution, in der die Prost. ohne Machtressourcen solch einem Verhalten ausgeliefert sind. Des Weiteren bedienen sich die Freier vier Rechtfertigungsstrategien. Nach der Tausch-Disposition wird die Möglichkeit, Sex zu kaufen, anhand kapitalistischer Logik („Ware gegen Geld“) legitimiert. Vergleichbar mit alltäglichen Kauf- und Tauschtransaktionen rückt die Person, die dies anbietet, in den Hintergrund. Habitusmuster im Bereich der Sexualität meinen nicht nur sexuelle Selbstkonzepte, sondern auch deren Abstimmung auf das Prostitutionsfeld. Der männliche Trieb wird hierbei als unkontrollierbar dargestellt. Ebenso wird Männern die Fähigkeit, Sex und Liebe voneinander zu trennen und ein promiskuitives Verhalten zu haben, zugeschrieben. Die pragmatisch-funktionale Disposition ermöglicht den Freiern auf Handlungsprobleme wie bspw. sexuelle Probleme in der Beziehung schnelle, klare und „rationale“ Lösungsstrategien zu finden. Die Dominanz-Disposition definiert die Prostitutionsnachfrage als patriarchale Machtstruktur. Diese sichert den Männern nicht nur Macht zu, sondern ermöglicht auch deren Ausübung durch einfache Zugänge in der sozialen Praxis. Als soziales Feld fasst er P. als Teil anderer gesellschaftlicher Felder wie bspw. der Ökonomie. Speziell in der Ökonomie weist er ihr veraltete Strukturen zu, deren Verbesserung zu einer arbeits- und sozialrechtlichen Gleichstellung und Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen ähnlich mit anderen Erwerbstätigkeiten führen würde (vgl. Gerheim 2012).
Aus den Studien im internationalen Wissenschaftsdiskurs von Rissel 2003, Mansson 2005 und Lautrup 2005 leitet Gerheim die Hypothese ab, dass nur ein sehr geringer Anteil des männlichen Gesamtkollektivs Sexkäufer ist.
2008 führte Teela Sanders eine qualitative Interviewstudie mit 50 Freiern durch. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass kommerzieller Sex mehrheitlich ohne Gewalt oder Diebstahl einhergeht und unter Erwachsenen im Konsens stattfindet. Dies bestätigt vorhergehende Studien, die ebenfalls zu dem Ergebnis kamen, dass die Kunden zunehmend Authentizität und Intimität im Einvernehmen suchen.
Monto 2010 befragt in seiner Studie 1.672 Kunden von Prostituierten und kommt zu dem Schluss, dass 16 % der Männer je eine Prost. aufgesucht hatten. In einer vorangehenden Studie ließen sich im Vergleich zur männlichen Durchschnittsbevölkerung keine Abweichungen in psychologischen oder aggressiven Komponenten finden. Sie hatten geringe Tendenzen, nicht verheiratet oder nicht glücklich verheiratet oder generell unglücklicher zu sein. Ihrer Sexualität begegneten sie mit einer freizügigeren Einstellung und dachten auch öfters über solche Themen nach.
Melissa Farley et al. untersuchten 2011 in einer vergleichenden Studie „sexbuyers with men who don’t buy sex“. Zwischen den Ansätzen P. als Arbeit zu begreifen und somit wie in Deutschland zu legalisieren oder P. als sexuelle Aggression zu begreifen und somit dem Beispiel von Schweden zu folgen, in dem zwar das Sich-Prostituieren erlaubt ist, doch der Sexkauf strafbar, versuchen sie eine Positionierung aus den Interviews herauszuarbeiten. Objektifizierung wird mit Aggressionen in Verbindung gebracht, in diesem Kontext schließen sie, wer an Mythen von Vergewaltigung glaubt, der glaubt auch Mythen der P. Entgegen der Annahme, P. würde Vergewaltigungsraten verringern, nehmen diese sogar zu, auch liege die Bereitschaft sexueller Aggressionen bei Freiern generell höher. Die Studien von Anderson & O’Connell-Davidson 2003, Di Nicola, Cuaduro, Lombardi, & Ruspini, 2009 und Shively, Kliorys, Wheeler, & Hunt 2012 zeigen, dass „ men who buy sex are increasingly recognized as drivers of the sex trafficking industry” (Farley et al. 2015). Im “Confluence Model of sexual aggression” sehen sie neben den Faktoren Narzissmus, Geschichte von familiärer Gewalt, jugendliches Ungehorsam, Nutzen von Pornografie und positive Einstellungen zu Aggressionen vor allem Promiskuität und „hostile masculine identification“ als entscheidende Faktoren. Letzteres umschreibt ein Persönlichkeitsprofil, welches durch misstrauisches und feindseliges Verhalten gegenüber Frauen charakterisiert ist. Empathie scheint sexuelle Aggressionen abzumildern. Ihr Ergebnis: Freier haben vermehrt eine „hostile masculine identity“; Promiskuität und Feindseligkeit gegenüber Frauen bedingen Sexkauf; der Mythus, dass ohne P. mehr Vergewaltigungen stattfinden, ist ein generelle Vorurteil der Population; Freier weisen häufiger eine Vergangenheit mit sexuellen Aggressionen auf; Freier sehen Frauen in der P. als eher minderwertiger als andere Frauen und empfinden ihnen gegenüber weniger Empathie; Freier weisen häufiger sexuellen Missbrauch im Kindesalter auf. Schlussfolgernd ordnen sie P. als sexuelle Aggression anstatt als Arbeit ein (Farley et al. 2015). Ihre Studie wurde vielseitig kritisiert, nicht repräsentativ zu sein aufgrund Farleys Voreingenommenheit (Abolitionistin) und der Wahl der Vergleichsstudie von Prostituierten (Hanson 2015).
Regushevskaya und Tuormaas Studie 2014 analysierte Online-Freier-Foren in Finnland nach Einstellungen bezüglich der Gesundheit. Die Hauptthemen drehten sich um sexuelle Unterhaltung und Befriedigung, gesundheitliche Themen fanden jedoch wenig Beachtung. Auf gesundheitliche Risiken bei ungeschütztem Verkehr wurde zwar teilweise verwiesen, doch prahlten die User damit, keine Kondome verwendet zu haben. Sie entdeckten falsche Annahmen über HIV, dass ein Fünftel der nordischen Männer immun sei, die Infektionsrate von medizinischen Spezialisten übertrieben würde und sie ihr Verhalten kontrollieren sollten, um die Prost. nicht zu entwürdigen. Dies bedarf weiterer Studien (Regushevskaya und Tuormaa 2014).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass a) Freier bereit sind und Gesprächsbedarf haben, darüber zu reden, b) nur ein geringer Teil der männlichen Gesamtbevölkerung in Deutschland und auch in anderen Ländern, auch wenn nicht klar zu sagen ist wie viele genau, zu Prost. geht, c) die Mehrheit sich nicht von der männlichen Gesamtgesellschaft unterscheidet – entsprechend der „Jedermann-Hypothese“, d) sich sexuelle Praktiken gegen Entgelt nicht wesentlich von „normalem“ Sex unterscheiden, wobei Farleys Studie zu dem Ergebnis kommt, dass Freier vermehrt zu sexuellen Aggressionen neigen als Nicht-Freier.
Weiterhin wird angemerkt, dass die Nachfrage seit dem 19. Jahrhundert tendenziell abnimmt. Verantwortlich dafür können gesellschaftliche Veränderungen wie die Liberalisierung der sexuellen Normen in der Öffentlichkeit und auch im Privaten sein, sowie einfachere Zugangsmöglichkeiten via Internetportalen und Social Media. In diesem Zuge lässt sich vermuten, dass Freier zunehmend als „Loser“ stigmatisiert werden, da sie es nicht auf „normalem“ Wege schaffen, ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen (Gerheim 2012, Monto 2010).
2.3 Das Machtungleichgewicht zwischen den Geschlechtern
Wo liegt der Unterschied zwischen Mann und Frau? Im Geschlecht, auf strukturaler Ebene, in der Sexualität und wie sie gelebt wird. Aufgrund der sogenannten „Doppelmoral“ in der Prostitution, in der die freie Sexualität des einen gleichzeitig die sexuelle Unterdrückung des anderen bedeutet, fragt sich doch, wie genau Sexualität zwischen Männern und Frauen differenziert wird.
2.3.1 Geschlecht als Identitätskategorie
Geschlecht kann unter drei Perspektiven betrachtet werden: als biologisches Geschlecht, als soziales Konstrukt oder als psychisches Charakteristikum. Weiblichkeit und Männlichkeit werden oft als sich gegenseitig anziehende Pole verstanden, die auf ihrem biologischen Geschlecht gründen. Damit schließen sie sich gegenseitig aus; was männlich ist, kann nicht weiblich sein. Mitunter durch diese Abgrenzung ist dieses Modell besonders identitätsstiftend. Diese teils noch weit verbreitete Annahme lässt sich jedoch nicht empirisch bestätigen. Ein dualistisches Modell scheint treffender, denn hierbei werden Männlichkeit und Weiblichkeit als zwei unabhängige Dimensionen begriffen, die gemeinsame und unterschiedliche Eigenschaften aufweisen können. Diverse Verhaltensmuster werden auf gesellschaftlicher Ebene zwar eher mit männlich oder weiblich assoziiert, jedoch schließt dies nicht aus, dass ein Mann weibliche Eigenschaften haben kann oder eine Frau männliche. Die meisten Menschen identifizieren sich mit ihrem eigenen Geschlecht, entwickeln Stolz auf diese Zugehörigkeit und empfinden dafür das andere Geschlecht als begehrenswert (Franz und Karger 2017). Geschlecht kann somit als Identitätskategorie aufgefasst werden.
2.3.2 Männliche und weibliche Sexualität
Historisch betrachtet wurde seit dem 18. Jahrhundert ein starker männlicher Sexualtrieb propagiert, im Einklang mit dem gegensätzlichen schwachen Trieb der Frau (Grenz 2007; Gerheim 2012). Im Nationalsozialismus erfolgte eine „Radikalisierung der Männlichkeit“, die Männer zur Härte sich selbst und anderen gegenüber erzog. Ihre Empathiefähigkeit wurde gezielt abgesenkt und autoritäres Verhalten gestärkt (Franz und Karger 2017).
Dieser „männliche Trieb“ wird immer wieder als Argument für bezahlten Sex geäußert. Damit einher geht die Annahme, ohne dies würden die Vergewaltigungszahlen steigen. Nach dieser Logik wäre eine Vergewaltigung keine mehr, alsbald sie mit Geld abgegolten wird, wodurch Prostitution per se als Vergewaltigung zu betrachten wäre. Einerseits degradiert dies Frauen zu passiven Objekten und andererseits zeigen Studien zu Freiern, dass Männer, die Sex kaufen, meist den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr suchen. Warum wird also immer wieder auf dieses konservative Männlichkeitskonstrukt zurückgegriffen? (Grenz und Lücke 2006)
Frauen werden über ihr Geschlecht identifiziert, Männer vielmehr über ihre Sexualität. Dies wird bspw. in der Öffentlichkeit ersichtlich, wenn Frauen, die sich küssen oder Arm in Arm laufen, weniger Aufsehen erregen, als wenn dies zwei Männer wären. Frauen werten sich weniger über ihre Sexualität, sondern identifizieren sich stärker über ihre Persönlichkeit und ihr Geschlecht. Gleichzeitig wird die weibliche Sexualität stark von außen bewertet. So gelten Frauen schnell als Nymphomanin, als frigide, als „Schlampe“ usw. Auch findet sich dies im Prostitutionsbereich wieder, Männer gehen nicht zu irgendeiner Person, um Sex zu kaufen, sondern speziell zu Frauen zur (Wieder-)Herstellung ihrer männlichen heterosexuellen Identität. Da Männer als differenzierter und individualisierter konstruiert und somit distanzierter von der Natur betrachtet werden, suchen sie diese Distanz im Sexualakt zu überwinden (vgl. Grenz 2007, S.238). Das Feld der Prostitution bietet hierzu eine große sexuelle und soziale Optionalität und garantiert vielfältige Bedürfnismuster von bedürftig, hedonistisch oder leidend, depressiv bis zu gewalttätig und misogyner Destruktivität zu erfüllen (Gerheim 2012).
Dies verweist auf die Struktur als Patriarchat, in dem der Mann das Verfügungsrecht über die Frau und ihren Körper innehat. Auch wenn sich heutzutage viel in Richtung Gleichstellung der Geschlechter getan hat, sind Frauen in ökonomischer Hinsicht auch heute noch schlechter gestellt als Männer. Sie sind öfters im Niedriglohnsektor vertreten und weiterhin nur wenige in Führungspositionen. Studien zeigen, dass die meisten Frauen in der P. einen niedrigen bis keinen Schulabschluss haben und neben der P. keine realistische Möglichkeit haben, einen besser bezahlten und interessanteren Beruf auszuüben. Jenes Ungleichgewicht verschärft sich noch, wenn Frauen aus anderen Ländern nach Deutschland kommen und nun zusätzlich mit Hürden der Migration konfrontiert sind. Trotzdem wollen die meisten Frauen nicht länger als fünf Jahre in der P. tätig sein, meist fehlen ihnen jedoch die Ausstiegsmöglichkeiten, wodurch sie weitaus länger als Prost. arbeiten. Angemerkt sei, dass es auch hochqualifizierte Prost. gibt, die selbstbestimmt diesen Beruf gewählt haben (ebd.). Im Sinne der Haushaltsdebatte scheint Prostitution eines der Arbeitsfelder neben Pflege, Erziehung, Reinigungskraft und Köchin zu sein, die sich zwar auch wieder um die Annehmlichkeiten des Mannes kümmert, ihn „entlastet“, doch gleichzeitig emanzipatorisch zu sein scheint. Die Prost. entzieht sich der Monogamie und der Ehe und befreit sich von der gesellschaftlichen Norm, die Sex und Liebe verbindet. Inwieweit Prost. die Freiheit ihrer eigenen sexuellen Selbstbestimmung im Gegenzug mit Geld vom Freier entfalten kann, kann pauschal nicht beantwortet werden, sondern muss jede Frau für sich selbst entscheiden. Inwiefern sie hiermit das „Recht auf Sex“ des Mannes reproduziert ist fraglich. Nach ihrer geschlechtsspezifischen und geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung ist die P. jedoch immer noch als männliches Privilegiensystem einer epochenübergreifenden Institution des Patriarchats zu charakterisieren (vgl. Gerheim 2012).
Grenz kritisiert, dass Gerheim die soziale, kulturelle und historische Konstruktion von Geschlecht lediglich als Begründung für die Bedürfnisse der Freier anerkennt und nicht als Ausgangspunkt für emanzipative Veränderungen. Es enthebt die Freier ihrer Verantwortung, die konservativen Geschlechtskonstruktionen kritisch zu hinterfragen und sich mit dieser patriarchalen Institution auseinanderzusetzen (Grenz 2014).
[...]
- Quote paper
- Sara Ellsässer (Author), 2018, Der männliche Blick auf Prostitution, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/520731
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