Rezension zu Elisabeth Wehlings Publikation 'Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet-und daraus Politik macht'.
Denken beeinflusst Sprache und das vernunftgeleitete Individuum bedient sich- ganz im Sinne der Aufklärung- eines rationalen Geistes, der sich stetig an den ihm vorliegenden Fakten im Meinungsbildungsprozess orientiert und zum Ausdruck seiner Gedanken exakte Formulierungen findet- so unsere gängige Überzeugung vom animal rationale.
Dass diese Ansicht im Rahmen der modernen Kognitionswissenschaft als überholt und eben nicht mehr durchweg stimmig zu sein scheint, führt Elisabeth Wehling dem interessierten Leser in ihrem Buch „Politisches Framing“ vor Augen.
Elisabeth Wehling. 2016. Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet-und daraus Politik macht (edition medienpraxis). Köln: Herbert von Halem Verlag. 224 S.
Besprochen von Julia Eydt: Technische Universität Dresden, Institut für Germanistik, Lehrstuhl für Germanistische Sprachwissenschaft und Sprachgeschichte im Ausbaumodul Sprache und Kultur, Lehrveranstaltung zu „Sprache und Politik“.
eig.Anm.: Aufgrund der Lektüre mithilfe eines E-Book-Readers, in welchem die Seitenangaben leider nicht nachvollzogen werden konnten, bitte ich zu entschuldigen, dass entsprechende Angaben fehlen.
Thematik
Denken beeinflusst Sprache und das vernunftgeleitete Individuum bedient sich- ganz im Sinne der Aufklärung- eines rationalen Geistes, der sich stetig an den ihm vorliegenden Fakten im Meinungsbildungsprozess orientiert und zum Ausdruck seiner Gedanken exakte Formulierungen findet- so unsere gängige Überzeugung vom animal rationale.
Dass diese Ansicht im Rahmen der modernen Kognitionswissenschaft als überholt und eben nicht mehr durchweg stimmig zu sein scheint, führt Elisabeth Wehling dem interessierten Leser in ihrem Buch „Politisches Framing“ vor Augen.
Nicht die Faktenlage und eine objektive, analytisch-emotionslose Sicht auf eben diese, uns rational vor Augen liegenden Sachverhalte bestimmen unser Denken und Handeln, sondern die Frames und Metaphern in denen und mit denen wir uns bewegen.
Diese Deutungsrahmen, die Weltsicht konstruieren, bestimmen die Art und Weise unseres Denkens und Interpretierens von Situationen, unsere mentale wie körperliche Wahrnehmung, unseren politischen Entscheidungsprozess und unser gesellschaftliches Miteinander.
Sprachliche Frames bewirken in uns eine spezifische Art zu denken und lassen uns Kategorien entwerfen, in denen wir eine Vielzahl semantischer Netze hervorrufen können, die eben nicht der objektiven Faktenlage, sondern vielmehr unseren eigenen Emotionen, unserem bekannten Weltwissen sowie eigener Sozialisationserfahrungen entsprechen.
So führt das Wort „Steuern“, wie Wehling als eines von vielen Beispielen der fortwährend aktuellen Debattenkultur anführt, nicht zur automatischen Verknüpfung von Abgaben, die der Bürger zum Erhalt bspw. der städtischen Infrastruktur beiträgt, sondern zu einer Reihe von Verknüpfungen, die mit „Last“, „Bürde“, „Erleichterung“, „Hinterziehung“ einhergehen. Bedingt durch die, v.a. in der Politik verwandten Begrifflichkeiten von „Steuerlast“ und „Steuererleichterungen“, werden völlig unbewusst der Steuer-Frame als negativer „Lasten- Frame“ bedient, der eben nicht die faktisch positive Bedeutung der Steuern für unsere gesamtgesellschaftlichen Aufgaben in den Fokus rückt. Wie würde unsere Sichtweise von „Steuern“ aussehen, welche Frames würden in uns aktiviert werden, wenn der politisch- gesellschaftliche Diskurs diesen Begriff fortan positiver konnotiert? Von „Steuerbeitrag“ zu gesellschaftlichen Problemlösungen oder gar einem „Steuerprivileg“ (im Sinne von: „Ich darf Steuern zahlen und mich dadurch aktiv in die Gesellschaft einbringen!“)?
Hier führt Wehling zugleich vor Augen, dass die Wahl der Begriffe, vor allem in der politischen Sprache, nicht unideologisch eingesetzt werden, sondern im Sinne des eigenen ideologischen Denkens die Wahl bspw. auf „Steuerlast“ oder „Lohnuntergrenze“ fällt und eben nicht auf Alternativen. So bedient sich die Politik einer metaphernreichen Sprache, die an unsere Vorerfahrungen anknüpfen kann und in uns bereits vorhandene Frames aktiviert.
Dass dies kritisch betrachtet werden muss, ist verständlich, jedoch ist politisches Framing, wie Wehling anhand dieser und weiterer Beispiele illustriert, andererseits auch überaus notwendig, um die eigene Programmatik und Weltsicht adäquat zu transportieren. Politik, die ihre Programmatik und Ideologie nicht mehr framen kann, wirkt sinnentleert und wird in der Bevölkerung als ebenso inhaltslos wahrgenommen.
Sowohl für den gesellschaftlichen und politischen Diskurs, als auch für den privaten Bereich ist Framing als Denkschema hochinteressant, denn nicht nur in politischen Debatten finden sich Frames, die in uns aktiviert werden, sondern auch in persönlichen Auseinandersetzungen mit unterschiedlichsten Themen und Situationen.
Lässt man sich auf diese Konzeption ein, so gewinnt man in jedem Fall ein stärkeres Bewusstsein darüber, wie und in welchem Ausmaß uns Frames beeinflussen (können) und ist fast automatisch stärker sensibilisiert für die eigenen Frames und sprachlichen Bilder, die man nutzt.
Zielgruppe
„Politisches Framing“ eignet sich sowohl für den interessierten Laien als auch für den Leser im wissenschaftlichen Kontext, vor allem als angemessene Einstiegslektüre in das weite Feld der Framesemantik. Insbesondere um erste Begrifflichkeiten (z.B. verkörperte Kognition, Metaphoric Mapping, Hypokognition, Hebbian Learning, etc.) einzuführen, die im vertieften Diskurs um die Bedeutung von Frames nötig werden und um diese auch gedanklich zu durchdringen, ist dieses Buch gut geeignet.
Vornehmlich durch eine klare Sprache, die auch kompliziertere Zusammenhänge einfach kommuniziert, ermöglicht dieses Buch, dass man als Leser am Ende der Lektüre durchaus in der Lage ist, selbst deutlich zu formulieren, was Frames und Metaphern sind, und wie sie unser Denken beeinflussen. Dies erscheint (mir) ein wirklicher Zugewinn zu sein in der wissenschaftlichen Landschaft, da Verständlichkeit und Klarheit in der Sprache oftmals leider viel zu kurz kommen.
Wehlings „leichte“ Ausdrucksweise ist insbesondere hoch zu schätzen, da die größte Schwierigkeit (für Wissenschaftler allgemein) ja vorrangig in der Darstellung komplexer Inhalte in größtmöglicher Vereinfachung besteht, ohne den Inhalt zu verfälschen oder zu verfremden.
Die einfache, metaphernreiche und beispielhafte Sprache vereinfacht den Zugang zu einem größeren als dem eigenen Fachpublikum, was auch als gesellschaftlicher Mehrwert gedeutet werden kann. Nicht nur in Hinblick auf höhere Verkaufszahlen macht sich dieser Ansatz bezahlt, da dieses Buch nicht nur Einblicke in die aktuelle Forschung gibt, sondern auch Denkanstöße- anhand von eigens gewählten Beispielen- liefert, die zum eigenen reflektieren über bestehende Frames einladen- und dies eben ganz bewusst für JEDEN interessierten Leser.
In der Auseinandersetzung mit den im Internet befindlichen Rezensionen (z.B. in den Bewertungskommentaren auf Amazon) zu Wehlings Werk wurde oft der Vorwurf erhoben, zu einfach, zu oberflächlich und zu wenig erkenntsnisreich zu sein, zu welchem ich mich im Fazit des Buches auch noch einmal intensiver äußern möchte.
Im Rahmen der Zielgruppendefinition erhebt Wehling jedoch zu keiner Zeit den Anspruch, ein, an das wissenschaftliche Fachpublikum adressiertes Buch vorzulegen, sondern lässt klar erkennen, dass es sich um eine populärwissenschaftliche Publikation handelt, die zugleich auch Wissenschaftlern in einem Erstkontakt mit der Framesemantik als hilfreich erscheinen kann.
Aufbau Teil I
In ihrem Buch „Politisches Framing“ widmet sich die Linguistin, Soziologin und Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling, der umfangreichen Thematik der Framesemantik, jedoch nicht ausschließlich dem politischen Milieu, weshalb der Titel „Politisches Framing“ eventuell sogar zu kurz greift.
Dem grundsätzlichen Aufbau ihres Buches folgend, fokussiert sich Wehling im ersten Teil auf eine Einführung in die Grundlagen kognitionswissenschaftlicher Forschung, die Arbeitsweise unseres Gehirns und dessen Beeinflussbarkeit, was durch Studien veranschaulicht und dadurch auch wissenschaftlich untermauert wird.
Sie stellt die Gesamtthematik vor und erklärt die wesentlichen Termini, mit denen Sie auch im weiteren Verlauf umgeht. Hierunter fallen natürlich die Kernbegriffe des Frames, Framings, der (konzeptuellen) Metaphern und was die Wissenschaft bspw. unter Hypokognition ( „gedankliches Vakuum“ als Resultat mangelnder Ideen zur sprachlichen Umsetzung der eigenen Gedanken, Ansichten und Vorstellungen) versteht.
Sie schildert die Bedeutung von Frames in unserem Denken und (sprachlichen) Handeln und erklärt, wie Verknüpfungen im Gehirn entstehen und wie eng unser Denken mit unserem Körper, unseren Gefühlen und Sinneseindrücken (Gerüche, Geschmäcke) verbunden ist und wie Metaphern und Frames überhaupt gebildet werden (können). Daraus resultiert, wie wenig bewusst unsere Denkprozesse im Wesentlichen ablaufen und dass die meisten Handlungen unbewusst und durch aktivierte Frames bestimmt und- wie Studien zeigen- sogar vorhersagbar sind.
Die hierbei aufkommende Frage, ob und wie man Frames denn vermeiden könnte, wird von Wehling im ersten Teil bereits beantwortet und erscheint beinahe logisch: Gar nicht.
Es ist für uns Individuen unmöglich, ohne Frames zu denken und zu leben, jedoch ermöglicht die stetige Bewusstmachung über die eigenen Frames durchaus einen kritischeren Blick auf eigene Sichtweisen und Weltdeutungen, lässt demnach zumindest eine bewusste Reflexion zu.
Aufbau Teil II
Bemerkenswert ist, dass Wehling, bevor Sie den zweiten Teil ihrer Arbeit einleitet, darauf verweist, dass ihre Analyse nicht frei sein kann von persönlichen (politischen) Einstellungen, da auch Sie selbst in Frames verhaftet ist, auch wenn ihr dies bewusster zu sein scheint, als dem kognitionswissenschaftlichen Laien.
Hierdurch nimmt Sie die Kritik derer vorweg, die ihr ein zu einseitiges oder von persönlichen Einstellungen zu stark gefärbtes Buch unterstellen (vgl. Bewertungskommentare Amazon) Zudem bestärkt sie dadurch indirekt ihr Frame-Paradigma, wenn Sie sich selbst-ob mit oder ohne Reflexion darüber- wie jeder andere Mensch auch der Notwendigkeit des Frame- Gebrauchs beugen muss.
Ebenso kann über die Einteilung politischer Positionen in ausschließlich konservativ oder progressiv durchaus gestritten werden, da diese bei der Komplexität und Vielzahl der politischen und gesellschaftlichen Debatten eher ungenügend erscheinen. Zu vielschichtig sind die Themen, als dass man sich selbst in lediglich einem dieser Bereiche verorten könnte. Vielmehr kommt es zu „Mischerscheinungen“, die den politisch-gebildeten Bürger mit Positionen von „grün“ bis „konservativ“ durchaus begleiten können und ihm dadurch eher ein breiteres Spektrum politischer Urteilskraft bescheinigen und möglicherweise sogar einen „Ausbruch“ aus bestehenden Frames. Wie ist ein Wechsel in politischen Ansichten sonst zu erklären?
Zudem bedeute ein Konservativ-oder- progressiv-Denken im Umkehrschluss, dass sowohl ein Alt-Kommunist als auch ein bekennender Nationalist, beide politisch nicht dem Konservatismus zuzuordnen, nun zum progressiven Fortschrittsdenken gehören müssten.
Doch da dies nicht das Kernanliegen des Buches ist, möchte ich diesen Kritikpunkt auch nicht zu sehr ausbauen, da Elisabeth Wehling diesen Kontext im Buch auch nicht allzu sehr aufmacht. Vielmehr widmet Sie sich einer Vielzahl von anschaulichen Beispielen, die Sie nacheinander abarbeitet, um hier die aktivierten Frames in unserem Gedächtnis einmal aufzuzeigen.
Die Beispiele, die Sie wählt, reichen von Steuern und Soziale Hängematte, über Leistungsträger der Gesellschaft bis hin zu Anti-Baby-Pille, Schwangerschaftsabbruch, Islamophobie und Klimawandel. Insgesamt bedient Sie ein vielfältiges Repertoire aus unterschiedlichen Themen des gesellschaftlichen Diskurses, die jeden Bürger mindestens gedanklich tangieren. Dadurch sind diese Exemplare zur Veranschaulichung der Wirksamkeit von Frames sehr gut geeignet. Wehling ruft mit jedem einzelnen Begriff unweigerlich einen bestehenden Frame auf, der vor dem geistigen Auge sichtbar wird. Auf diese Weise gelingt es ihr auch, dass man als Leser beginnt, in Frage zu stellen, ob es nicht auch sprachliche Alternativen gäbe.
Wie diese Alternativen lauten könnten, lässt Sie bis auf Steuern beitragen anstelle von Steuern zahlen offen. Ein Mangel an alternativen Sprachmustern muss an dieser Stelle jedoch nicht unbedingt kritisch angemerkt werden, da es eben nicht „den einen, letztgültigen Frame“ gibt. Mit Verweis auf Wehlings Aussage, dass ein Begriff auch in den eigenen Deutungsrahmen, den Frame, hineinpassen muss, können verschiedene Alternativen auch nebeneinander bestehen.
Wer, ob der Reflexion dieses Begriffes, keinen Anstoß an der Deutungshoheit Steuerlast nimmt, muss über eine alternative Verwendung auch nicht weiter nachdenken.
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- Quote paper
- Julia Eydt (Author), 2016, Rezension zu Elisabeth Wehlings Publikation "Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet- und daraus Politik macht", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/520587