Gesellschaftliche Faktoren wie der demographische Wandel oder auch die aktuelle Covid-19-Krise belasten das deutsche Gesundheitssystem. Immer deutlicher wird, wie wichtig ein funktionierendes System für unsere Gesellschaft ist. Die neuen Herausforderungen machen aber auch eine stetige Weiterentwicklung notwendig. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Stationsleitungen.
Wie zufrieden sind Stationsleitungen in deutschen Krankenhäusern? Und wie steht es um ihre Arbeitsleistung? Gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern? David Gößwein klärt diese Fragen mithilfe der Theorie des Psychologischen Kapitals.
Das Psychologische Kapital beschreibt, wie die Ressourcen Selbstwirksamkeit, Optimismus, Hoffnung und Resilienz in einer Person ausgeprägt sind. Alle vier Dimensionen tragen zu einer positiven Gemütslage bei und haben so Einfluss auf die persönliche Leistungsfähigkeit. Gößwein zeigt in seiner Publikation, wie es um das Psychologische Kapital in der Pflege bestellt ist und welche Maßnahmen dies positiv beeinflussen.
Aus dem Inhalt:
- Mitarbeiterzufriedenheit;
- Motivation;
- Mitarbeiterbindung;
- Pflege;
- Pflegemanagement
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abstract
1 Einleitung
1.1 Status Quo und Wandel im Krankenhaussektor
1.2 Pflegepersonal im Krankenhaus
1.3 (Pflege-)Management im Krankenhaus
1.4 Schlüsselposition Stationsleitung
2 Struktur, Zielsetzung und Forschungsfragen
3 Theoretischer Hintergrund
3.1 Psychologisches Kapital - Begriffsexplikation
3.2 Kapitalformen im Überblick
3.3 Psychologisches Kapital – Definition
3.4 PsyCap als Forschungsgegenstand der Positiven Psychologie
3.5 Positive Psychologie in der Arbeit: POS und POB
3.6 Das Prinzip der Veränderbarkeit
3.7 Die vier PsyCap-Dimensionen
3.8 PsyCap als sekundäres Konstrukt
4 Stand der Forschung / Externe Evidenz
4.1 Methodisches Vorgehen
4.2 Ergebnisse: PsyCap im Arbeitskontext
4.3 Ergebnisse: PsyCap im Setting Pflege
4.4 Limitationen, Diskussion und Fazit
5 Empirie
5.1 Methodik
5.2 Ergebnisse
5.3 Limitationen, Diskussion und Fazit
6 Stärkung des Psychologischen Kapitals
6.1 Antezedenzien als Anknüpfungspunkte
6.2 Mikrointerventionen
6.3 Strukturelle Interventionen
6.4 Projektplanung
6.5 Limitationen, Diskussion und Fazit
7 Diskussion
8 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anlagen
Anlage 1: Verwendete Suchbegriffe im Rahmen der Recherche
Anlage 2: Beschaffungsquellen
Anlage 3: Hierarchische Verortung der Schlagwörter in PubMed
Anlage 4: Recherchedokumentation
Anlage 5: Flussdiagramm zum Rechercheprozess
Anlage 6: Einschlusskriterien der Meta-Analyse von Avey et al. (2011)
Anlage 7: Ergebnisse der Meta-Analyse von Avey et al. (2011)
Anlage 8: Übersichtstabelle zu den Einzelstudien
Anlage 9: Beispielitems des Psychological Capital Questionnaire (PCQ)
Anlage 10: Anschreiben an die Stationsleitungen zur PsyCap-Studie
Anlage 11: Fotografie der Abwurfbox
Anlage 12: Korrelationsanalyse der PsyCap-Dimensionen
Anlage 13: Antezedenzien des Psychologischen Kapitals
Anlage 14: Struktur der Psychological Capital Intervention (PCI)
Anlage 15: Beschreibung der Psychological Capital Intervention (PCI)
Anlage 16: Bausteine des betrieblichen PsyCap-Managements
Anlage 17: Führungsstrategien des Positive Leadership
Anlage 18: Positive Leadership Assessment nach Cameron (2012)
Anlage 19: Checkliste zur Implementierung von Positive Leadership nach Cameron (2012)
Anlage 20: Weiterführende Eigenschaften „guter“ Ziele
Anlage 21: Projektstrukturplan (PSP)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Impressum:
Copyright © Social Plus 2020
Ein Imprint der GRIN Publishing GmbH, München
Druck und Bindung: Books on Demand GmbH, Norderstedt, Germany
Covergestaltung: GRIN Publishing GmbH
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Entwicklung zentraler Krankenhausindikatoren
Abbildung 2: Übersicht der Kapitalformen
Abbildung 3: State-Trait-Kontinuum
Abbildung 4: Dimensionen des Psychologischen Kapitals
Abbildung 5: Psychologisches Kapital als Mediatorvariable
Abbildung 6: Ergebnisse der Meta-Analyse
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Lage- und Streumaße in der Stichprobe
Tabelle 2: Teststatistik der ersten Hypothese
Tabelle 3: Teststatistik der zweiten Hypothese
Tabelle 4: Teststatistik der dritten Hypothese
1 Einleitung
Im Einleitungsteil werden die Stationsleitung1 und ihr berufliches Umfeld betrachtet. Die Stationsleitung wird hierbei als Element des sozialen Systems „Krankenhaus“, des Subsystems „Pflegedienst“ sowie des Subsystems „Pflegemanagement“ eingeordnet. Eine Betrachtung des deutschen Kliniksektors, des übergeordneten sozialen Systems der Stationsleitung, bietet den Ausgangspunkt der Thesis (Abschnitt 1.1). Dieser Passus mündet in eine Abhandlung zur aktuellen Situation des Pflegepersonals (Abschnitt 1.2) und einer Status Quo-Erhebung zum Management und Pflegemanagement im Klinik-Setting (Abschnitt 1.3). Hierauf aufbauend rückt das primäre Forschungssubjekt der vorliegenden Thesis - die Stationsleitung - in das Zentrum der Analyse (Abschnitt 1.4).
1.1 Status Quo und Wandel im Krankenhaussektor
Die Position der Stationsleitung kann nicht unabhängig von ihrem sozialen beruflichen Umfeld, dem Krankenhaus, charakterisiert werden. Um aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen im Kliniksektor - und weiterführend im Pflegemanagement - klarer deuten zu können, erscheint wiederum die Darstellung zentraler aktueller Daten sowie prägender Momente der jüngeren Krankenhausevolution2 lohnenswert (vgl. Haan 2011: 27 f.).
Im Jahr 2016 wurden in Deutschland insgesamt 498.796 Krankenhausbetten, verteilt auf 1.942 Kliniken vorgehalten (vgl. Destatis 2018a). Im internationalen OECD-Vergleich liegt die BRD mit einem Wert von 8,1 Klinikbetten pro 1000 Einwohner an vierthöchster Stelle nach Japan, Korea und Russland (13,1; 12,0; 8,2;) (vgl. OECD 2018). In diesem Zusammenhang wird seit Jahren regelmäßig, durchaus auch abseits des Fachmilieus, medial von Überkapazitäten und Überversorgung berichtet (vgl. u.a. Kaiser 2013; n-tv 2012; Deutschlandfunk 2008). Bereits seit vielen Jahrzehnten sind diese mit hohen Kosten einhergehenden Überkapazitäten ein wesentlicher Anlass zu politischen Umgestaltungsprozessen (vgl. Neubauer 2003: 80).
1.1.1 Marktwirtschaftlicher Umbau
Seit den 1990er-Jahren wurden zahlreiche Reformen im Krankenhauswesen vollzogen, um die Gesundheitsdienstleistungen dieses Sektors nutzenorientierter und effizienter zu gestalten. Die international ab den 1990er-Jahren einflussreiche „New Public Management“ (NPM)-Programmatik3 bot hierfür den konzeptionell-gedanklichen Ankerpunkt (vgl. Wilkesmann 2016a: 358; Wilkesmann 2016b: 216).
Darüber hinaus bestand Anfang der 1990er-Jahre erheblicher Druck auf den politischen Entscheidungsträgern zur Einleitung eines Gesundheitsreform-prozesses. Die Kosten im Krankenhaussektor hatten sich nach Einführung des Selbstkostendeckungsprinzips im Rahmen des Krankenhaus-finanzierungsgesetzes (KHG) nach 1972 expansiv entwickelt (vgl. Bundesärztekammer BÄK 2007: 12). Dies zog eine verschlechterte Finanzierungssituation der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) und steigende Beitragssätze nach sich. Als Reaktion der Legislative wurde 1993 das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) und mit ihm eine weitreichende Reformierung des Krankenhauskosten-Vergütungssystems verabschiedet (vgl. Tuschen/Trefts 2010: 31). Das wesentliche Ziel des GSG lag in der Aufrechterhaltung der GKV-Beitragsstabilität begründet. Dieser Kostendämpfungsmechanismus sollte über die Ablösung des Selbstkostendeckungsprinzips durch ein leistungsorientiertes und differenziertes Vergütungssystem erreicht werden (vgl. Tuschen/Trefts 2010: 34). Das Herzstück der Reform nahmen die Pflegesätze ein, deren Gesamtvolumen das krankenhausindividuelle Budget für die Betriebskosten darstellten. Das individuelle Klinikbudget wurde hierbei kausal mit der Finanzlage der GKV verknüpft - die sogenannte „Deckelung“ war geschaffen (vgl. Tuschen/Trefts 2010: 34 f.). Gleichzeitig entstand mit der Abkehr vom Selbstkostendeckungsprinzip für Kliniken ein bislang in dieser Form nicht gekanntes Verlustrisiko (vgl. Simon 2016: 34).
Die BÄK (2007: 13) konkludiert, dass Krankenhäuser seit den 1990er-Jahren durch einen betriebswirtschaftlich-manageriellen Reformprozess, basierend auf der NPM-Philosophie, von rein karitativen Einrichtungen zu Dienstleistungs-unternehmen avancierten. Das Primat der Ökonomie hielt in den Kliniken der BRD Einzug (vgl. BÄK 2007: 13 f.). Krankenhäuser wurden folglich immer mehr zu autonom agierenden Unternehmen, die den Mechanismen des Marktes unterliegen (vgl. u.a. Simon 2016: 29; Hansen 2007: 1).
Die Anpassung der Kliniken an die neuen Anforderungen geschah verschieden erfolgreich. Für viele Kommunen führten defizitäre Klinikentwicklungen zu klammen Haushaltslagen. Dies wiederum wirkte katalysatorisch auf Privatisierungsprozesse im Krankenhausmarkt (vgl. BÄK 2007: 14). Offizielle statistische Daten zeigen, dass sich der Anteil von Krankenhäusern in privater Trägerschaft seit den 1990er-Jahren mehr als verdoppelt hat. Während 1991 nur 14,8% aller Kliniken als privatgewerbliche Unternehmen betrieben wurden, waren es 2016 bereits 36,2 % (öffentliche Trägerschaft 2016: 29,2%; freigemeinnützige Trägerschaft 2016: 34,5%) (vgl. Destatis 2018b: 8). Diese Entwicklung wird gemeinhin unter der Begrifflichkeit der Krankenhaus-Privatisierung4 zusammengefasst (vgl. Bönsch 2009: 24).
Die Privatisierung von einst staatlichen Institutionen entsprach indes politischen Positionen des Neoliberalismus, die generell einen Rückzug des Staates aus dem Gesundheitsbereich und anderen Gesellschaftssphären zugunsten des Marktes befürworteten. Als zentrales Argument für diese „Wirtschaftsliberalisierung“ wurden in der Regel Effizienzvorteile und Produktivitätszuwächse in der Dienstleistungserbringung angeführt. Risiken, wie der drohende Verlust demokratischer Einflussmöglichkeiten, wurden hingegen weitestgehend ignoriert (vgl. Bokelmann 2007: 4).
1.1.2 Auswirkungen der DRGs
Mit den Dignoses Related Groups (DRGs) wurde ab dem Jahr 2003 ein „durchgängiges leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem (§17 Abs. 1 KHG)“ eingeführt. Über DRGs werden Gruppen von Krankenhausfällen mit vergleichbarem ökonomischem Aufwand zusammengefasst und entsprechend vergütet. Mit den DRGs wurde das Prinzip „Geld folgt Leistung“ umgesetzt (vgl. GKV Spitzenverband 2018).
Für die Kliniken führte das DRG-System im Laufe der 2000er-Jahre zu einer weiteren Bedeutungsrelevanz von Wirtschaftlichkeitsfaktoren (vgl. Hilgers 2011: 2). Nach Abschluss einer Übergangsphase konnten die DRGs ab 2005 zu Überschüssen oder Fehlbeträgen der Klinikunternehmen führen (vgl. Simon 2016: 36). Ein wesentlicher Effekt der erneut gestärkten Kostenverantwortlichkeit der Kliniken waren starke Anreize zur Senkung der Betriebskosten (vgl. Hilgers 2011: 2), was sich kausal auf die Pflegepersonalpolitik der Krankenhäuser auswirkte (vgl. Abschnitt 1.2).
Additiv zur DRG-Transformation resultierte in den 2000er-Jahren aus der rückläufigen Investitionsförderung der Bundesländer zusätzlicher ökonomischer Druck. Im Bundesdurchschnitt betrachtet sank das Gesamtvolumen der Fördermittel zwischen 1991 und 2015 um fast 50% (vgl. DKG 2017: 73). Dieses Investitionsdefizit führte zur Überalterung der Bausubstanz vieler Kliniken und wirkte sich katalysatorisch auf den Abbau von Pflegepersonal aus (vgl. Simon 2016: 37).
Der progressive Ökonomisierungsprozess unter DRG-Bedingungen führte zu zugespitzten Konkurrenz- und Wettbewerbssituationen in den regionalen Krankenhausmärkten. Hierauf reagierten viele Kliniken mit einer zunehmenden medizinischen Spezialisierung zwecks Abgrenzung gegenüber anderen Anbietern (vgl. Höhne 2014: 25; Hansen 2007: 1;). Gleichfalls nahm im Zuge der oben skizzierten marktwirtschaftlichen respektive neo-liberalistischen Entwicklungen im Krankenhausmarkt die Arbeitsteilung klinischer Prozesse deutlich zu (Haan 2011: 39).
1.1.3 Entwicklung wesentlicher Parameter
Die oben umrissenen legislativen Eingriffe im Kliniksektor wirken bis zum heutigen Tage nach. Deutlich wird dies an der Entwicklung zentraler Indikatoren, wie etwa entsprechender Leistungsparameter. Die Abbildung unterhalb illustriert die Entwicklung einiger wesentlicher Indikatoren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Entwicklung zentraler Krankenhausindikatoren
(Destatis 2018b: 10)
In dem betrachteten Gesamtzeitraum von 1991 bis 2016 nahm die Anzahl der behandelten Fälle deutlich von rund 14,5 mio. auf rund 19,5 mio. Fälle zu (≈ +15%). Gleichzeitig senkte sich die mittlere Verweildauer von 14 auf 7,3 Tage um nahezu 50% ab. Ebenso reduzierten sich die Berechnungs- und Belegungstage von 200 mio. auf 142 mio. Tage (≈ -30%). Die in der BRD insgesamt aufgestellten Krankenhausbetten wurden in dem o.g. Zeitraum von 665.565 auf 489.718 Betten (≈ -26%) abgesenkt. Die durchschnittliche Bettenauslastung veränderte sich hingegen vergleichsweise moderat (1991: 84,1% Auslastung vs. 2016: 77,9% Auslastung) (vgl. Destatis 2018b: 11).
Die genannten Daten explizieren in verdichteter Form die fundamentalen Veränderungen in der bundesdeutschen Krankenhauslandschaft in den vergangenen dreißig Jahren. Gleichfalls illustrieren sie veränderte Arbeitsbedingungen für das Klinikpersonal. Neben der Ökonomisierung gibt ein weiterer gesellschaftlicher „Megatrend“ Anlass für Wandlungsprozesse im Kliniksektor, der sogenannte demografische Wandel.
1.1.4 Demografie und Pflegebedürftigkeit
Die Entwicklung der bundesdeutschen Demografie unterliegt aktuell und in Zukunft starken Veränderungen, die als fundamentaler Wandel gewertet werden können (vgl. u.a. Spiegel Online 2018; BMFSFJ 2018).
Die aktualisierte 13. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (Datenbasis: 2015) sagt bis zum Jahr 2060 eine Abnahme der Gesamtbevölkerung der BRD auf 76,5 mio. Menschen voraus. Gleichzeitig wird die Altersgruppe der 20- bis 65-jährigen deutlich sinken (2015: 49,8 mio. Menschen; 2060: 39,6 mio. Menschen) und die Gruppe der über 65-jährigen einen deutlichen Zuwachs erfahren (2015: 17,3 mio. Menschen; 2060: 23,7 mio. Menschen) (vgl. Destatis 2018c). Diese Veränderung der Altersstruktur wird wiederum mit einem deutlichen Anstieg des Anteils pflegebedürftiger Menschen in der Gesamtbevölkerung einhergehen. Das Bundesamt für Bevölkerungsforschung (BIB) geht, einer Hochrechnung aus dem Jahr 2017 zufolge, von einem Zuwachs um rund 50% bis zum Jahr 2060 aus (2015: 286.000 Personen; 2060: 481.600 Personen; vgl. BIB 2018).
Für Krankenhäuser bedeutet dies eine höhere Wahrscheinlichkeit in Bezug auf die Patientenmultimorbidität sowie Komplikationen während des Aufenthaltes. Ebenso sind steigende Verweildauern und eine Zunahme von altersassoziierten Erkrankungen, wie bspw. Krebs- und Herzkreislauferkrankungen, zu erwarten. Der Anteil an demenziell veränderten Patienten wird wahrscheinlich gleichfalls wachsen. Summa summarum ist für Kliniken aufgrund des demografischen Wandels in Zukunft ein erhöhter medizinischer Versorgungsbedarf zu erwarten (vgl. Höhne 2014: 16 ff.).
Neben patientenbezogenen Einflüssen wirkt sich der demografische Wandel gleichfalls auf die personellen Ressourcen des Krankenhauses aus. Insbesondere die größte klinische Berufsgruppe, die Pflege, ist hiervon betroffen. Die Stationsleitung ist ein Element des Systems „Krankenhaus“, jedoch ebenso ein Element des Subsystems „Pflegedienst“. Im anschließenden Passus werden zentrale Entwicklungen der pflegerischen Berufsgruppe skizziert.
1.2 Pflegepersonal im Krankenhaus
Der demografische Wandel führt bereits seit einigen Jahren zu einer angespannten Akquisesituation im klinischen Personalbereich. Vor allem im Pflegedienst spitzt sich die Situation zunehmend zu (vgl. Reuschl/Bouncken 2014: 205). Im Jahr 2017 konnten bereits 10.814 offene Stellen im Krankenpflegebereich nicht besetzt werden (Ärztezeitung 2018). Bis zum Jahre 2025 und darüber hinaus ist mit einer deutlichen Verschärfung der Pflegepersonalakquise-Situation zu rechnen (vgl. Destatis 2010: 1001).
Bereits seit den 1990er-Jahren hat sich die Pflegepersonalausstattung der Kliniken bei gleichzeitig deutlich wachsenden Anforderungen stetig verschlechtert (vgl. Greß/Stegmüller 2014: 6). Die veränderten finanziellen Anreizstrukturen unter Einführung des DRG-Systems verstärkten diesen Trend weitergehend (vgl. Simon 2009: 114 f.; vgl. Abschnitt 1.1.2). Insgesamt wurde der Pflegedienst in den Kliniken der BRD zwischen 1996 und 2006 um rund 50.000 Vollzeitäquivalente reduziert (vgl. Simon 2009: 102).
Dies brachte für die Berufsgruppe der Pflegenden eine intensivierte Arbeitsverdichtung und steigende Belastungsfaktoren mit sich (vgl. Greß/Stegmüller 2014: 6). Seit Beginn des DRG-Zeitalters nahmen die subjektiv wahrgenommenen Belastungsfaktoren durch Zeitdruck, Organisationsmängel, störende Unterbrechungen, unregelmäßige Arbeitszeiten, administrative Tätigkeiten und mangelhaften Arbeitsschutz stetig zu (vgl. Braun et al. 2010: 11). Es bestehen weiterführend und in Konsequenz dieser Situation empirische Hinweise auf eine Rationierung von Pflegeleistungen im Krankenhaus infolge der unzureichenden Personaldecke und den hieraus resultierenden Zeit- bzw. Tätigkeitskontingenten der Pflegenden (vgl. Reifferscheid et al. 2014:6).
Für die Führungskräfte des Pflegedienstes gehen diese Entwicklungen ebenfalls mit Anforderungsverdichtungen und einem beschränkten Handlungsspielraum, zum Beispiel in der Personalauswahl einher. Gleichzeitig wächst, verstärkt durch die fortschreitende Quantifizierung, Rationalisierung und Rationierung in deutschen Kliniken, der ökonomische Druck und mit ihm die entsprechende Erwartungshaltung der Geschäftsführung gegenüber dem Pflegemanagement.
Nachfolgend werden weitere Wandlungsprozesse und Charakteristika des Subsystems „Pflegemanagement“ dargelegt.
1.3 (Pflege-)Management im Krankenhaus
Im Zuge der marktwirtschaftlichen Öffnung der Kliniken verbreiteten sich hier zunehmend industrieähnliche Betriebsführungs- und Managementkonzepte. Eine Philosophie der Gewinn- und Zielstrebigkeit etablierte sich zügig, vor allem in größeren privaten Kliniken (vgl. Bönsch 2009: 24).
Betriebswirtschaftlich-kaufmännische Qualifikationen und Kenntnisse erfuhren damit eine wachsende Bedeutung für die Besetzung von Top-Management-Positionen. Entsprechend häufig weisen Klinikgeschäftsführungen heute eine betriebswirtschaftliche Grundqualifikation auf. Darüber hinaus wurde die Position des Verwaltungsdirektors in vielen Einrichtungen in die des kaufmännischen Direktors umgewidmet. Selbst für die Stelle des ärztlichen Direktors wurden zunehmend betriebswirtschaftliche Zusatzqualifikationen relevanter (vgl. Bär/ Pohlmann 2016: 235 f.).
1.3.1 Tradierte Aufbauorganisation
Diesen Entwicklungen zum Trotz sind Krankenhäuser der BRD nach wie vor strukturell und kulturell geprägt durch archaisch-hierarchische Strukturen (vgl. Schröder et al. 2011: 117). Die Trinität aus pflegerischem, ärztlichem und Verwaltungsdienst bildet nach wie vor die Basis des hospitalen Wesens und Selbstverständnisses (vgl. u.a. Bär/Pohlmann 2016: 236; Montgomery 2013: 56; Ziesche 2008: 37). Innerhalb dieser drei Säulen bestehen jeweils differenzierte Hierarchien, die sich je nach Träger, Unternehmensstruktur und Größe des Krankenhauses unterscheiden. Klassischerweise bildet die Führungsspitze der drei Säulen (ärztlicher Direktor, Pflegedirektor, Verwaltungsdirektor) gemeinsam das Modell des sogenannten Dreierdirektoriums (vgl. Bothe 2013: 127). In größeren Hospitalverbünden und Holdingstrukturen ist seit der DRG-Einführung jedoch zunehmend die Tendenz der „Überdachung“ des klassischen dreisäuligen Aufbaumodells mit einer singulären oder pluralen Geschäftsführung zu beobachten (vgl. Bothe 2013: 124).
Diese Veränderung der Aufbauorganisation führte in vielen Kliniken dazu, dass die pflegerische Berufsgruppe nicht mehr in der höchsten Management-Instanz vertreten war und somit tendenziell an Einfluss und Macht verlor (vgl. Simon 2009: 113f.). Ergebnisse des Pflegethermometers 2017 bestätigen diesen Befund dahingehend, als dass nur rund 50% der befragten Pflegemanager angaben, über ein eigenständig verwaltetes Budget zu verfügen. Darüber hinaus war in rund 20% der befragten Einrichtungen die Berufsgruppe der Pflege nicht in der Geschäftsführung vertreten (vgl. Isfort/Weidner 2007: 17 ff.). Eine aktuelle qualitative Studie weist zudem darauf hin, dass sich Pflegemanager häufig bedingungslos der kaufmännischen Effizienzlogik von Klinik-Geschäftsführungen unterordnen und die professionellen Ansprüche der Pflege nur eingeschränkt in Entscheidungen der Führungsspitze platzieren können (vgl. Vogd 2018: 61).
Diese Entwicklungen illustrieren aus Sicht der pflegerischen Berufsgruppe eine latente soziale und wirtschaftliche Abhängigkeit gegenüber den kaufmännisch ausgerichteten Entscheidungsträgern der Klinik. Für die unteren Ebenen des Pflegemanagements münden ökonomische Handlungszwänge zudem häufig in Interessens- und Zielkonflikte, da diese nicht immer mit den berufsgruppenspezifischen praktischen Ansprüchen einer optimalen Patientenversorgung vereinbar sind (vgl. Müller 2011: 113).
1.3.2 Strukturen des Pflegemanagements
Angelehnt an die institutionelle Definition des Managementbegriffes schließt das klinische Pflegemanagement alle Mitarbeiter5 des Pflegedienstes ein, die eine leitende Funktion innehaben (vgl. Simon 2005: 20). Die Aufbauorganisation oder Hierarchie des Pflegemanagements lässt sich in die drei Ebenen Top Management, Middle Management und Lower Management gliedern (vgl. Bothe 2013: 132 ff.). Je nach Organisation werden unterschiedliche Begrifflichkeiten für die Management-Positionen auf den vorhandenen Hierarchiestufen verwendet. Ebenso variiert der Differenzierungsgrad, also die Anzahl der Hierarchiestufen. Idealtypisch und häufig verbreitet ist das folgende Modell: 1. Stufe: Stationsleitung / Teamleitung / Abteilungsleitung (Lower Management); 2. Stufe: Pflegedienstleitung / Bereichsleitung (Middle Management); 3. Stufe: Pflegedirektor (Top Management) (Bothe 2013: 134). Angelehnt an dieses populäre Modell wird die Stationsleitung im Rahmen der vorliegenden Arbeit als unterste Ebene des klinisch-pflegerischen Managements, entsprechend der Stufe des Lower Management, eingeordnet (vgl. Bensch/Müller 2017: 394).
1.4 Schlüsselposition Stationsleitung
Das Berufsbild der Stationsleitung durchlief in den letzten drei Dekaden eine rapide Transformation. Die primär pflegefachlich ausgerichtete sogenannte Stationsschwester wurde zur Führungskraft und Managerin mit betriebswirtschaftlicher Verantwortung und teils erheblichem Steuerungseinfluss (vgl. Müller 2011: 99 ff.; Höft 2013: 7). Dieser Wandlungsprozess verlief analog zu Reform- und Veränderungsprozessen auf Ebene des Krankenhauswesens (vgl. Müller 2011: 3; vgl. Abschnitt 1.1).
Die Stationsleitung nimmt in der heutigen innerklinischen Organisation eine Schlüsselrolle ein. Sie trägt Organisations- und Personalverantwortung am Point of Care6 und ist zentraler Ansprechpartner für Patienten und das interdisziplinäre Team (vgl. Stockinger 2014: 39). Stets befindet sich die Stationsleitung darüber hinaus in einer Mittlerposition zwischen den Pflegenden und der übergeordneten Hierarchieebene des Pflegedienstes (vgl. Bensch/Müller 2017: 390). Sie stellt somit das verbindende Glied zwischen planender und ausführender Arbeit dar. In Handlungen und Entscheidungsprozessen bewegt sich das Spannungsfeld der Stationsleitung darum häufig zwischen den Interessen und Perspektiven der Pflegenden einerseits und den Vorgaben des übergeordneten Managements andererseits. Entsprechend pluralistisch und mitunter widersprüchlich sind die Erwartungshaltungen an die Stationsleitung (vgl. Müller 2011: 94 ff.).
Die Stationsleitung ist entscheidend für die Stabilität und Entwicklung des Stationsteams und bildet das Fundament des Gelingens für interne Change-Prozesse (vgl. Stockinger 2014: 39). Im unmittelbaren Einflussbereich der Stationsleitung entscheidet sich letztlich, ob wichtige ökonomische Ziele des Krankenhauses realisiert werden können und welche Ausprägung die Patientenzufriedenheit im Individualfall annimmt (vgl. Gerdes 2007: 1).
Die Aufgaben und Anforderungen, die im klinischen Alltag an die Stationsleitung gestellt werden, sind vielfältig, anspruchsvoll, konfliktbeladen und häufig mit psychischen Stressoren verbunden (vgl. Schäfer/Jacobs 2016: 50; Müller 2011: 5). Zur Bewältigung dieser Herausforderungen muss die Stationsleitung über eine hohe psychische Widerstandskraft bzw. entsprechende protektive Ressourcen verfügen.
1.4.1 Psychische Gesundheit
Die psychische Gesundheit der Stationsleitung ist im doppelten Sinne von herausragender Bedeutung. Einerseits ist das Leistungsvermögen und letztlich die Arbeitsfähigkeit der Führungskraft von ihr abhängig. Andererseits wird im Zuge von Führungsaufgaben Einfluss auf die psychische Gesundheit der Mitarbeiterschaft genommen (vgl. Purbs et al. 2018:12). Die Stationsleitung nimmt gegenüber dem Stationsteam eine Vorbildfunktion im Hinblick auf gesundheitsförderliches Verhalten, wie zum Beispiel das Pausenverhalten oder den allgemeinen Lebensstil, ein. Sie kann darüber hinaus über aktives kommunikativ-interaktionales Verhalten und die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen die psychische Gesundheit der Pflegenden beeinflussen7 (vgl. Elprana/Felfe 2014: 12 f).
Pflegeberufe gehören zu den am meisten von psychischen Erkrankungen betroffenen Berufsgruppen (vgl. DBfK 2015). Insbesondere emotionale Erschöpfung und Burnout8 sind hier vergleichsweise häufig auftretende Phänomene (vgl. Purbs et al. 2018: 10 f; Heske 2018: 16 f.). Zwischen den Jahren 2000 und 2010 stieg die Anzahl der burnout-gefährdeten Pflegenden von 17% auf rund 38% der Gesamtpopulation aller Pflegekräfte der BRD an. Zu diesem Schluss kam die bundesdeutsche repräsentative Teilerhebung der RN4Cast-Studie im Jahre 2011 (vgl. Zander et al. 2011: 98 ff.).
Pflegemanager weisen aufgrund der Merkmale ihrer Tätigkeit ein besonders hohes Risiko für das Erfahren von psychischen und ethischen Belastungen auf (vgl. Hölterhof et al. 2011: 28). Die Burnout-Gefährdung ist in dieser Berufssparte entsprechend hoch (vgl. Purbs et al. 2018:12). Arbeitsunfähigkeitsdaten der AOK aus dem Jahr 2016 untermauern diese Aussage. Klinisch-pflegerische Führungskräfte gehörten in der Stichprobe der AOK-Versicherten in 2016 zu einer der Berufsgruppen mit den meisten Arbeitsunfähigkeitstagen aufgrund von Burnout-Erkrankungen (vgl. Destatis 2018d).
Stationsleitungen scheinen in ihrem Berufskontext besonderen Expositionsfaktoren ausgesetzt zu sein, die sich negativ auf die psychische Gesundheit auswirken können. Einige dieser Aspekte wurden oben bereits umrissen. Weitere Expositionsfaktoren sowie psychische Mechanismen zwischen beruflicher Belastung und den Auswirkungen dieser sind Gegenstand des nachfolgenden Abschnitts.
1.4.2 Belastung versus Beanspruchung
Im Rahmen der wissenschaftlichen Betrachtung von Arbeit wird üblicherweise zwischen Belastung und Beanspruchung unterschieden. Dieses sogenannte Belastungs-Beanspruchungs-Konzept wurde 1975 von Rohmert und Rutenfranz entwickelt und bildet das theoretische Fundament für arbeitsmedizinische Forschung (vgl. DGPG: 2012: 6 f.). Als psychische Belastung werden nach der ISO 10075 alle erfassbaren Einflüsse, die von außen auf das Individuum zukommen und psychisch subjektiv einwirken, definiert. In Abgrenzung hierzu beschreibt die psychische Beanspruchung die unmittelbare individuelle Auswirkung der vorangegangenen Belastung. Die Art und Weise der Auswirkung unterliegt hierbei überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen sowie Bewältigungsstrategien auf Ebene des Individuums (vgl. DIN EN ISO 10075-1). In Konsequenz der tatsächlichen individuellen Beanspruchung können Beschwerden und Einschränkungen der Leistungsfähigkeit oder Gesundheit auftreten (vgl. DGPG: 2012: 7).
Diesem gängigen Modell folgend werden nachfolgend weitere, zumeist objektivierbare, Belastungsfaktoren im beruflichen Kontext der Stationsleitung herausgestellt. Hierauf aufbauend wird die Beanspruchungsebene umrissen.
Seit den 1990er-Jahren wachsen die beruflichen Anforderungen für Stationsleitungen stetig an. Maßgeblich sind hierfür der Kostendruck und weitere Entwicklungen in der Hospitalevolution verantwortlich (vgl. Abschnitt 1.1). Stationsleitungen sind seitdem tendenziell für mehr Betten und Mitarbeiter verantwortlich, stehen unter latentem Innovationsdruck und übernehmen (Mit-) Verantwortung für die ökonomischen Ziele der Station und der Klinik insgesamt (vgl. Bensch/Müller 2017: 390; Rantzsch et al. 2016: 74 ff.). Sie tragen maßgeblich dazu bei, dass Planungen der übergeordneten Management-Ebenen implementiert und verstetigt werden, führen Mitarbeiter- und Feedbackgespräche, dienen diesen als Vorbild, kompensieren Personalausfälle und verantworten teilweise das Pflegepersonalbudget der Station. Die direkte personale Führung, sowie Konfliktmanagement und Personalmanagement sind ebenfalls Bestandteile des Tätigkeitsprofils von Stationsleitungen (vgl. Bensch/Müller 2017: 390). Zusätzlich zu diesen verantwortungsvollen Management-Tätigkeiten arbeiten Stationsleitungen jedoch häufig in der direkten Patientenversorgung mit und übernehmen tagesgleich Aufgaben des Stationssekretariats (vgl. Schütz-Pazzini 2017: 60). Hieraus erwächst mitunter Rollenambiguität und intrapersonales Konfliktpotenzial (vgl. Nano 2017: 21 f.).
Die pflegerischen Stationsprozesse sind indes häufig durch reaktives Handeln in der Enge starrer diagnostischer, therapeutischer und administrativer Prozesse geprägt. Aktiv-gestaltendes Handeln im Sinne eines Managementprozesses ist durch die Stationsleitung häufig nur eingeschränkt möglich (vgl. Rantzsch et al. 2016: 74). Verdichtete Arbeitsaufgaben und -abläufe, aktuelle Wandlungsprozesse der Pflegeberufe wie die Akademisierung, die progressive medizinische und pflegerische Spezialisierung sowie viele weitere externe und interne Faktoren führen zu immensen Veränderungszwängen (vgl. Höhne 2014: 44ff).
Im Vergleich zu anderen Führungskräften im Krankenhaus, wird im Pflegemanagement der wirtschaftliche Druck als besonders drastisch wahrgenommen. Es bestehen ferner empirische Hinweise darauf, dass Pflegemanager sich besonders häufig Entscheidungskonflikten zwischen pflegerischen und wirtschaftlichen Zielen ausgesetzt sehen (vgl. Reifferscheid et al. 2014: 4 f.).
Zusammengefasst betrachtet weist das Tätigkeitsfeld der Stationsleitung vielfältige und anspruchsvolle Aufgaben auf. Aufgrund der vorherrschenden klinischen Rahmenbedingungen können diese Aufgaben jedoch scheinbar nur eingeschränkt aktiv-gestaltend und kaum selbstbestimmt wahrgenommen werden. Ebenso ist die Stationsleitung häufig ad hoc gefordert patientennahe Aufgaben zu übernehmen, die nicht ihrer eigentlichen Funktion entsprechen, woraus Rollenkonflikte entstehen können. Stationsleitungen sehen sich somit mannigfaltigen und stark ausgeprägten Belastungsfaktoren ausgesetzt.
Wie oben bereits eröffnet, führen die hoch ausgeprägten Belastungen auf Ebene der einzelnen Stationsleitung nicht zwangsläufig zu hoch ausgeprägten Beanspruchungen. Je nach Person werden die gleichen Belastungsfaktoren als bewältigbar oder überfordernd beurteilt (vgl. Spisak/Picca 2017: 29). Im Modell von Rohmert und Rutenfranz (1975) wird dieser Effekt über die sogenannten intervenierenden Faktoren erklärt, die als Mediator9 zwischen Belastung und Beanspruchung fungieren. Je nach Ausprägung der intervenierenden Faktoren fällt die Reaktion auf die erlebte Belastung individuell unterschiedlich aus. Aus dieser Reaktion ergibt sich wiederum der Grad der erfahrenen Beanspruchung (vgl. Hellert 2001: 75). Als intervenierende Faktoren gelten persönliche, arbeits- und umweltbezogene sowie familiäre Faktoren (vgl. DGPG 2012: 7).
Aufgrund der psychologischen Perspektive der vorliegenden Arbeit, bzw. der leitenden Forschungsfragen (vgl. Kapitel Nr. 2), stehen im Weiteren insbesondere personale, das heißt an das Individuum gebundene Faktoren10, im Vordergrund.
1.4.3 Der personale Faktor
Der Abschnitt oben verdeutlicht, dass bestimmte personale Merkmale der einzelnen Stationsleitung eine wesentliche Rolle für die Reaktion auf und den Umgang mit Belastungen im beruflichen Alltag spielen. In Konsequenz scheinen diese Faktoren im Kontext von Gesundheitsförderung, aber ebenso mit Blick auf erwünschte Outcomes wie Arbeitsleistung oder Engagement, eine zentrale Bedeutung einzunehmen.
In einschlägigen Publikationen ist in diesem Kontext häufig die Rede von personaler oder persönlicher Kompetenz, sozialer Kompetenz, Soft Skills, Schlüsselqualifikationen oder -kompetenzen, Ich-Kompetenz, Selbstführung oder sogenannten weichen Fähigkeiten (vgl. u.a. Bohinc 2011: 12; Nürnberg/Schneider: 2017: 110). Es scheinen vielfältige Begrifflichkeiten und Modelle zu existieren, um Persönlichkeitseigenschaften11, Fähigkeiten und Verhaltensweisen von Führungskräften als Erfolgsfaktor zu erfassen und zu erklären. Die anvisierten Endpunkte sind hierbei höchst unterschiedlich und reichen von Gesundheit über Leistung bis zu motivationaler Beeinflussung.
Im Kontext der Stationsleitungstätigkeit wird die Bedeutung dieser Faktoren ebenfalls häufig hervorgehoben. Purbs et al. (2018: 10ff.) berichten bspw. von gesundheitsförderlichen Wirkungen auf Pflegende durch eine gesunde Selbstführung der Stationsleitung. Wuttig und Hartmann (2013: 20 f.) stellen die Kommunikationsfähigkeit, Konfliktlösungskompetenz, Durchsetzungsfähigkeit sowie Selbstdisziplin als Eigenschaften einer erfolgreichen Stationsleitung heraus. Der Praxisleitfaden „Gute Führung in der Pflege“ beinhaltet eine ganze Sammlung von konkreten Handlungsempfehlungen für eine „erfolgreiche“ Führung von Pflegepersonal, die anhand eines Kompetenzmodells gegliedert wurden. Der Schwerpunkt liegt hierbei ebenfalls auf personalen sowie sozialen Kompetenzen (vgl. INQA-Pflege 2010: 7 f.). Die empirische Arbeit von Bensch und Müller (2017: 392) konnte zeigen, dass auch aus Sicht der Pflegemanager personengebundene Eigenschaften wie Organisationsvermögen, Verantwortungsbewusstsein, Entscheidungs- und Kritikfähigkeit eine außerordentliche Rolle für den langfristigen Erfolg von Stationsleitungen spielen.
In Bezug auf die angeführten exemplarisch herangezogenen Publikationen ist kritisch anzumerken, dass häufig nicht klar wird, was mit Führungserfolg genau gemeint ist, aus welcher Perspektive die Beurteilung erfolgt und welcher situative Kontext zu Grunde liegt (vgl. Elprana/Felfe 2014: 11). Vor dem Hintergrund führungstheoretischer Ansätze ist zudem zu konstatieren, dass Führungserfolg wissenschaftlich nur in Teilen durch langfristig determinierte Eigenschaften, wie Intelligenz, erklärt werden kann. Dieser sogenannte Eigenschaftsansatz wurde in der Vergangenheit aufgrund neuerer empirischer Belege um den Verhaltensansatz und den situativen Ansatz erweitert. Die Perspektive des Erlernens und Trainierens von zielgerichtetem Führungsverhalten rückten hierdurch ebenso wie situative Einflüsse zusätzlich in das Zentrum von effektiver Führung (vgl. Elprana/Felfe 2014: 19 ff.). Personelle Faktoren sollten aufgrund des Einflusses von erlernbarem Verhalten und der spezifischen Situation grundsätzlich deshalb nicht überbewertet oder gar romantisiert werden. Dennoch scheinen Faktoren, welche an die Stationsleitung selbst gebunden sind, gewisse Erfolgspotenziale zu beinhalten.
Unter Aspekten der Personalentwicklung sowie der betrieblichen Praxis erscheint der Fokus auf entwickelbaren und von außen beeinflussbaren Faktoren besonders sinnvoll. Diese Faktoren sollten als positiver Mediator zwischen Belastung und Beanspruchung fungieren und protektiv wirken. Gleichzeitig sollte aus wissenschaftlicher Sicht Evidenz für die positive Beeinflussung von relevanten Endpunkten, wie etwa psychischer Gesundheit, Leistung oder Engagement, vorliegen und eine erprobte Möglichkeit zur Operationalisierung bestehen. Hoffnung, Optimismus, Resilienz und Selbstwirksamkeit sind personale Faktoren, die den genannten Kriterien genügen könnten. Zusammengefasst bilden diese vier menschlichen Merkmale einen übergeordneten Ansatz – das sogenannte Psychologische Kapital (PsyCap) (vgl. Kapitel 3).
Das erste Kapitel enthielt eine iterative Annäherung an das Forschungssubjekt der Stationsleitung und eine Hinführung zum Thema Psychologisches Kapital. Die Problemstellung und die Relevanz des Themas wurden deutlich. Im nachfolgenden zweiten Kapitel werden die Struktur, Zielsetzung und Forschungsfragen zur Master-Thesis eröffnet.
2 Struktur, Zielsetzung und Forschungsfragen
Die Master-Thesis gliedert sich fortführend in vier aufeinander aufbauende Teile: 1. Theorie, 2. Stand der Forschung, 3. Empirie und 4. Synthese/Praxis. Die Forschungssystematik folgt hierbei dem deduktiv-nomologischen Wissenschaftsansatz12, welcher dem allgemein üblichen Vorgehen bei quantitativen Arbeiten entspricht (vgl. Brand 2018: 24).
Nachfolgend werden die wesentlichen Ziele und Forschungsfragen der Thesis vorgestellt. Im empirischen Teil der Arbeit werden aus den zugrunde liegenden Forschungsfragen Hypothesen abgeleitet und überprüft (vgl. Abschnitt 5.2).
Ziel der Arbeit ist es,
- Hintergründe, Definitionen, Bestandteile und psychologische Funktionsweisen des Psychologischen Kapitals darzulegen (Teil 1: Theorie),
- den aktuellen Stand der Forschung zum Psychologischen Kapital im Hinblick auf arbeitsrelevante Endpunkte sowie auf das Setting Pflege im Krankenhaus zu analysieren (externe Evidenz) (Teil 2: Stand der Forschung),
- die Ausprägung des Psychologischen Kapitals von Stationsleitungen über eine Querschnittserhebung innerhalb eines exemplarischen Krankenhauses zu erheben (interne Evidenz) (Teil 3: Empirie),
- auf Basis von Theorie und Empirie passgenaue und systematische Entwicklungsmaßnahmen zur Stärkung des Psychologischen Kapitals von Stationsleitungen abzuleiten (Teil 4: Synthese/Praxis).
Ausgehend von diesen Zielstellungen werden die nachfolgenden Forschungsfragen deduziert:
1. „Welche Hintergründe, Definitionen, Bestandteile und Funktionsweisen liegen dem Psychologischen Kapital zugrunde?“
2. „Welche empirischen Zusammenhänge bestehen zwischen PsyCap und arbeitskontextrelevanten Endpunkten wie Arbeitsleistung oder -zufriedenheit und welche empirischen Befunde liegen für das Setting Pflege im Krankenhaus vor?“
3. „Wie ist das Psychologische Kapital von Stationsleitungen innerhalb eines exemplarischen Krankenhauses ausgeprägt?“
4. „Bestehen hinsichtlich des Merkmals Geschlecht Unterschiede in der Ausprägung des Psychologischen Kapitals der Stationsleitungen?“
5. „Welche Maßnahmen zur bedarfsgerechten Stärkung des Psychologischen Kapitals der Stationsleitungen lassen sich auf Basis von Theorie und Empirie ableiten?“
Über die gezielte Messung und Weiterentwicklung des Psychologischen Kapitals sollen wesentliche entwickelbare psychische Stärken der Stationsleitungen gestärkt werden. Hierbei wird ein positiver nicht-defizitorientierter Ansatz der Befähigung, bzw. des Empowerments13 verfolgt. Die theoretisch-paradigmatische Grundlage hierfür bildet das Menschenbild der Positiven Psychologie (vgl. Abschnitt 3.4).
Im nachfolgenden dritten Kapitel werden die theoretischen Säulen des Psychologischen Kapitals umrissen. Im vierten Kapitel wird der aktuelle Stand der Forschung rekapituliert. In Kapitel fünf erfolgt die Darstellung der vom Autor durchgeführten Studie. Anschließend werden im sechsten Kapitel Maßnahmen zur Stärkung des Psychologischen Kapitals abgeleitet und projektiv zur Umsetzung geplant. Kapitel sieben enthält eine übergeordnete Diskussion auf Meta-Ebene. In Kapitel acht runden Fazit und Ausblick die Thesis ab.
3 Theoretischer Hintergrund
Ziel des folgenden Kapitels ist die Beantwortung der ersten Forschungsfrage „Welche Hintergründe, Definitionen, Bestandteile und Funktionsweisen liegen dem Psychologischen Kapital zugrunde?“. Zur Beantwortung der Frage werden in einem linearen Prozess aufeinander aufbauend eine Explikation des Begriffes „Psychologisches Kapital“ vorgenommen (3.1), zentrale zugrundeliegende Kapitalformen vorgestellt (3.2) und eine Definition von PsyCap dargelegt (3.3). Anschließend werden die Positive Psychologie (3.4) sowie die Forschungsrichtungen POS und POB (3.5) als wissenschaftliche Ankerpunkte von PsyCap umrissen. Es wird nun auf das konstituierende Merkmal der Veränderbarkeit von PsyCap eingegangen (3.6). Nachfolgend wird der Leser in die vier PsyCap-Dimensionen Selbstwirksamkeit, Optimismus, Hoffnung und Resilienz eingeführt (3.7), worauf aufbauend das Wesen von PsyCap als sekundäres Konstrukt erörtert wird (3.8).
3.1 Psychologisches Kapital - Begriffsexplikation
Der Terminus Psychologisches Kapital ist ein Kompositum der zwei Begrifflichkeiten „Psychologisch“ im Sinne von Psychologie und „Kapital“. Psychologie bedeutet der griechischen Wortherkunft nach wörtlich „Wissenschaft von der Seele“ (vgl. Bischof 2009: 37) und ist im allgemeinen Sinne als Lehre vom menschlichen Verhalten und Erleben zu verstehen (vgl. Fetchenhauer 2012: 5; Collin et al. 2012: 10). In Abgrenzung zu „Psychologie“ beschreibt der Terminus „Psyche“ den „Sitz des menschlichen Denkens, Verhaltens und Erlebens (Vetter 2007: 20)“ oder anders formuliert ein System der Zentralfunktionen Bewusstsein, Gefühl und Antrieb (vgl. Vetter 2007: 20).
Das Konstrukt Psychologisches Kapital beinhaltet keineswegs, wie der Begriff auf den ersten Blick suggerieren könnte, ein Konzept des Kapitals einer Wissenschaft. Vielmehr ist das Kapital (im Sinne von Ressourcen) der menschlichen Psyche Gegenstand der Betrachtung. Reinhardt (2013: 17) merkt gleichfalls diese begriffliche Unschärfe an. Er schlägt aufgrund der vorangeschrittenen Etablierung des Begriffes „psychological capital“ im anglo-amerikanischen Sprachraum jedoch eine Beibehaltung der direkten deutschen Übersetzung vor. Diesem Argument wird im Rahmen des vorliegenden Manuskriptes gefolgt. Im Weiteren wird die im englischen gängige Abkürzung „PsyCap“ synonym zum Wort „Psychologisches Kapital“ verwendet.
Die Begrifflichkeit „Kapital“ entstammt dem Lateinischen Begriff „capitalis“ (vgl. Schirmer 1991: 93), was wörtlich übersetzt so viel wie „den Kopf“ oder „das Leben betreffend“ meint (vgl. PONS 2018). Im Italienischen etablierte sich hierauf aufbauend der Begriff „capitale“, was im Wortlaut „Haupt“ meint. Das Wort „capitale“ etablierte sich im kaufmännischen Sprachgebrauch und bezeichnete eine Hauptsumme, Hauptgeld oder Hauptgut. Ab ca. 1500 wurde der Begriff „Kapital“ in den deutschen Sprachgebrauch übernommen (vgl. Schirmer 1991: 93).
Für verschiedene Wissenschaftsdisziplinen wie die Wirtschaftswissenschaften, oder die Soziologie stellt „Kapital“ eine zentrale Begrifflichkeit respektive eine Grundkategorie dar (vgl. u.a. Esser 200: 209; Herrmann 2010: 111). Darüber hinaus wählten die Begründer des PsyCap bewusst die begriffliche Nähe zu bestehenden Kapital-Konzepten (vgl. Luthans et al. 2007b: 20). Im Einzelnen sind dies das „klassische“ ökonomische Kapital, das Humankapital sowie das soziale Kapital (vgl. Luthans et al. 2004: 45 f.). Eine nähere Betrachtung der genannten Kapitalbegriffe sowie entsprechender Konzepte erscheint deshalb doppelt lohnend. Dies erfolgt im kommenden Abschnitt in komprimierter Weise.
3.2 Kapitalformen im Überblick
3.2.1 Ökonomisches Kapital
Die oben geschilderte Herkunft des Kapitalbegriffes weist bereits auf die ursprüngliche ökonomische Bedeutungskategorie von Kapital hin. Diese Perspektive bildet gleichzeitig den zentralen Bezugsrahmen für alle anderen Kapitalformen (vgl. Pflaum 2002: 23). Im ökonomischen Kontext bezeichnet Kapital zunächst einen (volks-)wirtschaftlichen Produktionsfaktor (vgl. Fischbach/Wollenberg 2007: 39 f.)14. Im engeren betriebswirtschaftlichen Sinn meint Kapital die geldliche Wertsumme, die in einem Unternehmen investiert wurde. An der Aktiv- und Passivseite einer Unternehmensbilanz ist abzulesen, wozu dieses Kapital eingesetzt wurde und welcher Herkunft es ist (vgl. Fischbach/Wollenberg 2007: 41). Die Bilanzsumme als Wert aller ökonomischen Unternehmensressourcen repräsentiert somit die Höhe des ökonomischen Kapitals eines Unternehmens (vgl. Schnabel 2013: 40). Im Einzelnen beinhaltet das ökonomische Kapital sowohl monetäre als auch materielle Ressourcen (vgl. Pflaum 2002: 23), was alle finanziellen, strukturell-physischen sowie technologischen Ressourcen einschließt (vgl. Luthans/Youssef 2004: 3 f.). Im Sinne von Luthans et al. (2004: 46) umfasst diese Kapitaldimension aus Unternehmenssicht zugespitzt „What you have“.
3.2.2 Humankapital
Die zweite von Luthans et al. (2004: 45 f.) entlehnte Kapitaldimension bildet das Humankapital. Es handelt sich hierbei um unternehmensrelevante Wissensbestandteile, die in den Mitarbeitern und gleichzeitig an selbige gebunden sind (vgl. Jaeger 2004: 1 f.). Humankapital besteht im Einzelnen aus dem Wissen und den Fähigkeiten der Mitarbeiter. Es wurde durch Qualifikation und Erfahrung erworben (vgl. Schmeissner 2010: 16)15. In Abgrenzung zur ökonomischen Kapitaldimension handelt es sich bei Humankapital aus Unternehmenssicht um einen immateriellen Vermögenswert (vgl. Jaeger 2004: 2).
Im Zuge der Transformation von der Industrie- zur sogenannten Wissensgesellschaft ab den 1970er-Jahren wurden diese mitarbeiterbezogenen Aspekte immer mehr zu einem wettbewerbsrelevanten „Produktionsfaktor“ für Unternehmen. Dies führte ab den 1990er-Jahren zu einer steigenden Bedeutung des Humankapital-Konzeptes in Wissenschaft und betrieblicher Praxis (vgl. Jaeger 2004: 1). Insbesondere in der Dienstleistungsbranche, wie auch im Krankenhaussektor, gilt das Humankapital heute als wesentlicher betrieblicher Erfolgsfaktor (vgl. Semmler 2009: 1).
Eine „Investition“ in das Wissen und die Fähigkeiten der Mitarbeiter über entsprechende Fort- und Weiterbildungsmaßahmen stellt einen wesentlichen Bestandteil unternehmensstrategischer Überlegungen dar (vgl. Jaeger 2004: 2). Bei der Planung und Umsetzung von Qualifizierungsmaßnahmen stehen häufig Fragen der Messbarkeit sowie der monetären Wirkung der Maßnahmen im Fokus (vgl. u.a. Luthans/Youssef 2004: 2; Reinhardt 2013: 19). Durch eine „Bildungsinvestition“ sind in der Regel eine Produktivitätssteigerung sowie eine höhere Innovationsdichte intendiert. Diese zwei Faktoren sollen anschließend wiederum in Vermögen transformiert werden (vgl. Jaeger 2004: 3). Somit besteht eine enge Verknüpfung zwischen Humankapital und ökonomischem Kapital. Die zweitgenannte Dimension scheint jedoch stets der Dreh- und Angelpunkt der ersteren zu sein und Relevanz sowie Erfolg dieser zu determinieren.
Bezugnehmend auf das Kapital-Modell von Luthans et al. (2004: 45 f.) umfasst Humankapital die mitarbeiterbezogenen Faktoren Erfahrung, Qualifikation, Fähigkeiten, Wissen und Ideen. Die Bedeutungsdimension von Humankapital wird hier mit dem Leitsatz „What you know“ konkludiert.
3.2.3 Soziales Kapital
Die Konzepte des ökonomischen Kapitals sowie des Humankapitals entstammen primär der Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre. Der Begriff „Kapital“ erfuhr im Laufe der Zeit jedoch weiterführende Interpretationen, insbesondere in den Sozialwissenschaften (vgl. Reinhardt 2013: 18).
Der Soziologe Pierre Bourdieu begreift Kapital als „Summe aller aufwendbaren Ressourcen und Machtpotenziale (vgl. Bourdieu 1982: 196)“ eines Menschen. In seiner Analyse stellt das Gesamtvolumen des Kapitals, über das ein Mensch verfügt, den konstituierenden Unterschied im Hinblick auf die Hauptklassen der Lebensbedingungen dar (Bourdieu 1982: 196)16. Er zeichnet in diesem Zusammenhang die Kapitalsorten kulturelles17, soziales und ökonomisches Kapital verantwortlich. Insbesondere kulturellem und ökonomischem Kapital misst er eine tragende Rolle für die Zugehörigkeit einer Person zu einer bestimmten gesellschaftlichen Klasse bei (vgl. Bourdieu 1982: 196 ff.). Über den Begriff des sozialen Kapitals beschreibt er ein konstantes Netz an Beziehungen, das Effekte des sich „Kennens“ und „Anerkennens“ beinhaltet. Soziales Kapital als Ressource einer Person beruht stets auf einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit sowie dem Willen zur Kooperation. Ein möglichst weit gespanntes Beziehungsnetzwerk bietet dem Individuum Sicherheit und Profit im Sinne von bestimmten Vorteilen (vgl. Bourdieu 1983: 190 f.).
Der Begriff des sozialen Kapitals wurde vom gesellschaftlichen auf den betrieblichen Kontext adaptiert und entwickelte hier seit den 2000er-Jahren eine gewisse Hochkonjunktur in einschlägigen Publikationen. Netzwerke, Kooperationen und Allianzen gelten heute als wichtige ertragreiche Ressource einer Unternehmung, sowohl auf Ebene des einzelnen Mitarbeiters als auch auf Unternehmensgesamtebene (vgl. Fuchs 2004: 83 f.). Im beruflichen Kontext schafft soziales Kapital für das Individuum Möglichkeiten der Nutzung von Unterstützung, Anerkennung, Wissen, Verbundenheit und neuen beruflichen Perspektiven (vgl. Tomoff 2017: 52). Aus Unternehmenssicht erscheint der Aufbau von internen Netzwerken lohnenswert, da hierdurch abteilungsübergreifende Zusammenarbeit, unternehmerisches Denken und interne Lernprozesse gefördert werden können (vgl. Luthans et al. 2004: 46).
Nach dem Kapital-Modell von Luthans et al. (2004: 46): beinhaltet soziales Kapital Beziehungen, Kontaktnetzwerke und Freunde. Es repräsentiert zusammengefasst „Who you know“.
Summa summarum stellen alle drei genannten Kapitalformen relevante Faktoren für den langfristigen Erfolg sowie Wettbewerbsvorteile für ein Unternehmen dar. Luthans et al. erheben auch für das Psychologische Kapital eben diesen Anspruch und sehen PsyCap als Erweiterung der genannten drei Kapitalformen an (vgl. Luthans et al. 2004: 46). Die Abbildung unterhalb illustriert diese Einordnung grafisch und fasst die Ausführungen der vorangegangenen drei Abschnitte anschaulich zusammen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Übersicht der Kapitalformen
(Eigene Darstellung nach Luthans et al. 2004: 47)
Dieser kurze Überblick zu den ersten drei Stufen des Kapital-Modells nach Luthans et al. führt zurück zur vierten sowie zum primären Gegenstand der Betrachtung: dem Psychologischen Kapital.
3.3 Psychologisches Kapital – Definition
Luthans et al. (2007b: 3) definieren Psychologisches Kapital als individuellen positiven psychologischen Prozess, der charakterisiert wird durch Selbstwirksamkeit, Optimismus, Hoffnung und Resilienz. Diese vier Merkmale bilden die vier PsyCap-Dimensionen. In Summe bilden sie wichtige psychische Kapazitäten des Individuums und kommen ihrer Beschaffenheit nach positiven Gefühlszuständen nahe (vgl. Luthans et al. 2007: 10; Abschnitt 3.6;). Je nach Person sind die PsyCap-Dimensionen sowie PsyCap als Gesamtkonstrukt unterschiedlich stark ausgeprägt.
Aus unternehmerischer Sicht handelt es sich bei PsyCap um eine bedeutende an den Mitarbeiter gebundene Ressource, da PsyCap ein aussagekräftiger Indikator für persönliche Leistungsfähigkeit, Arbeitszufriedenheit und weitere relevante Endpunkte ist (vgl. Kapitel 4). Mitarbeiter und im Besonderen Führungskräfte mit hoch ausgeprägtem PsyCap können ebenso wie die anderen Kapitalformen bedeutsame Wettbewerbsvorteile für eine Unternehmung darstellen (vgl. Tomoff 2017: 162).
Die Wurzeln von PsyCap liegen in der Wissenschaftsdisziplin der Positiven Psychologie. Diese basiert wiederum auf spezifischen Grundannahmen, die für ein tieferes Verständnis des PsyCap-Konstrukts nicht außer Acht gelassen werden können. Die nachfolgende Passage bietet eine entspreche Tiefensicht.
3.4 PsyCap als Forschungsgegenstand der Positiven Psychologie
Die Positive Psychologie ist eine Strömung innerhalb der Psychologie, die sich in den späten 1990er-Jahren konstituierte. Als Initiator und Wegbereiter der Positiven Psychologie gilt der Psychologe und Philosoph Martin Seligman (vgl. u.a. Collin et al. 2012: 200; Cahmen/Metz 2018: 25)18.
Gedanklicher Ausgangspunkt der Positiven Psychologie war eine kritische Reflexion der Ausrichtung von psychologischer Forschung seit dem zweiten Weltkrieg. Aufgrund der hohen Prävalenz an psychischen Erkrankungen, die durch Kriegsereignisse ausgelöst worden war, konzentrierte sich die Psychologie nach 1945 primär auf die Behandlung von eben diesen Krankheiten (vgl. Baudson 2009: 6; Tomoff 2017: 5). Hierzu zählten bspw. Depressionen und Angststörungen (vgl. Collin et al. 2012: 200). Im Wesen der Psychologie manifestierte sich in den folgenden Dekaden ein eindimensionaler Fokus auf die Linderung von Leid und Unglück (vgl. Cahmen/Metz 2018: 25)19, womit stets eine defizitorientierte Sichtweise auf den Menschen verbunden war (vgl. Luthans et al. 2007b: 9). Im Zuge der Initiierung der Positiven Psychologie im Jahre 1998 sprach Seligman hier zugespitzt von „Victimology“ (angelehnt an den englischen Begriff „Victim“, zu deutsch „Opfer“) (vgl. Collin et al. 2012: 200).
Martin Seligman hatte in den 1970er-Jahren die Theorie der erlernten Hilflosigkeit20 entwickelt und war in den folgenden zwei Dekaden zu einem recht populären Psychologen avanciert (vgl. Luthans et al. 2007b: 9). Ende der 1990er-Jahre analysierte er die Themenschwerpunkte von publizierten psychologischen Forschungsarbeiten nach 1945 und konstatierte die oberhalb beschriebene pathogenetische Defizitlastigkeit. Er brachte kritisch zum Ausdruck, dass erheblicher Nachholbedarf im Hinblick auf die Erforschung „positiver“ psychologischer Phänomene wie Wachstum, Entwicklung oder Selbstaktualisierung bestehe. Die Psychologie solle sich künftig ebenso auf „gesunde“ Menschen, z.B. in Bezug auf deren Glück, Stärken und Potenzial konzentrieren (vgl. Luthans et al. 2007b: 9). Dies war der Impuls zur Begründung einer neuen Disziplin innerhalb der Psychologie, der Positiven Psychologie (vgl. Collin et al. 2012: 201).
Die Positive Psychologie befasst sich mit „Forschung und Praxis (...) (zu) Bedingungen und Wechselwirkungen, die eine optimale Entwicklung von Personen, Gruppen und Organisationen ermöglichen (vgl. Tomoff 2015: 4)“. Es handelt sich um eine theoriegeleitete empirische Wissenschaft (Luthans et al. 2007b: 9 f.), deren Gegenstand das gelingende Leben und die Suche nach Quellen für ein glückliches Leben darstellt (vgl. Cahmen/Metz 2018: 27). Als derartige Quellen wurden bspw. bestimmte sinnstiftende Lebenselemente identifiziert. Bestimmte positive Quellen werden gleichzeitig als protektive Faktoren gegenüber psychischen Erkrankungen, wie etwa Depressionen angenommen (vgl. Baudson 2009: 7; Ruch/Proyer 2011: 61). Die Förderung von psychischer Gesundheit und die primäre Prävention stellen demzufolge ebenso eine „Mission“ dieser Wissenschaftsdisziplin dar21.
Die Forschungsschwerpunkte der Positiven Psychologie liegen bislang auf Charakterstärken, subjektivem Wohlbefinden, positiven Emotionen, Flow-Zuständen und dem Aufblühen von Menschen (Flourishing) (vgl. Cahmen/Metz 2018: 33 ff.).
Die Positive Psychologie basiert indes auf einem Menschenbild, in welchem das Individuum nach Vervollkommnung und Entwicklung strebt und seine Umwelt aktiv gestaltet (vgl. Baudson 2009: 8). Hinsichtlich dieser expliziten Ausrichtung bestehen Ähnlichkeiten mit dem Salutogenese-Modell22 nach Aaron Antonovsky aus den 1980er-Jahren (Mayring 2012: 54). In beiden Ansätzen steht nicht die defizitergründende Pathologie im Vordergrund, sondern Heilungspotenziale, Stärken und Ressourcen (vgl. Diegelmann 2013: 33). Auch das PsyCap-Konstrukt wurde unter diesen Grundannahmen der Positiven Psychologie entwickelt und erforscht (vgl. Luthans et al. 2007b: 9 ff.)23.
Positiv-Konzepte haben in der unternehmerischen Praxis der BRD eine vergleichsweise junge Geschichte. Der praktische Fokus von Managern und Entscheidern liegt traditionell eher auf dem „Ausmerzen“ von Schwächen und Fehlern ihrer Mitarbeiter (Negativsicht), als auf einer vorausschauenden talent- und stärkenorientierten Perspektive (Positivsicht) (vgl. Creusen/Müller-Seitz 2010: 55). Die Ausführungen des ersten Kapitels verdeutlichen, dass diese Diagnose für das Setting Krankenhaus ebenfalls zutreffend erscheint (vgl. Kapitel 1). Auf Basis der Positiven Psychologie wird eine Zuwendung zu positiven menschlichen Eigenschaften wie Stärken, Talente, Tugenden und Potenziale postuliert. Hieraus ergeben sich neue Perspektiven und Möglichkeiten in der klinikspezifischen Führungs- und Managementpraxis, die insbesondere für das mitarbeiternahe pflegerische Lower Management relevant sind (vgl. Abschnitt 6.3).
Die oberhalb skizzierte „positive Wende“ in der Psychologie brachte im Laufe der 2000er-Jahre zwei neue psychologische Forschungsrichtungen zu Tage, die Erkenntnisse und Ausrichtungen der Positiven Psychologie auf das Setting „Arbeit“ adaptierten und in diesem Kontext gezielt weiterentwickelten. Es handelt sich um die Richtungen Positive Organizational Scholarship (POS) sowie Positive Organizational Behaviour (POB) (vgl. Kesting 2017: 10), die im nachfolgenden Abschnitt näher beleuchtet werden.
3.5 Positive Psychologie in der Arbeit: POS und POB
Im Rahmen von POS werden Dynamiken untersucht, die im betrieblichen Kontext Stärken und Resilienz fördern und hohe Leistungsfähigkeit von Individuen sowie der Organisation als Ganzes ermöglichen. Die Betrachtung dieser Dynamiken erfolgt hierbei stets auf einer organisationalen Makroebene (vgl. Tomoff 2015: 9). Die Forschungsschwerpunkte von POS liegen auf längerfristigen Arbeitsbedingungen sowie deren Auswirkungen auf stabile langfristig beeinflussbare Persönlichkeitseigenschaften (Traits) der Organisationsmitglieder sowie der Organisation selbst. Untersucht werden zum Beispiel die Effekte einer positiven Gestaltung von Organisationsprozessen, -ergebnissen und -attributen (vgl. Kesting 2017: 12). Ansätze, Konzepte und praktische Interventionen von POS werden an dieser Stelle nicht weiter vertieft. Sie bilden jedoch Bezugspunkte für das PsyCap-Entwicklungsprogramm und werden deshalb in Kapitel 5 bedarfsorientiert aufgegriffen.
Die Forschungsrichtung POB beinhaltet die Wissenschaft und Anwendung von positiven Stärken und Kapazitäten, die gemessen, entwickelt und effektiv zur Leistungssteigerung am Arbeitsplatz eingesetzt werden können (vgl. Luthans 2002: 59). In Abgrenzung zu POS findet die phänomenologische Betrachtung innerhalb von POB ausschließlich auf einer psychologischen Mikroebene statt (vgl. Tomoff 2015: 6). Die POB-Bewegung formierte sich seit Beginn der 2000er-Jahre, primär an der University of Nebraska (USA) rund um den Sozialpsychologen und Management-Professor Fred Luthans. Die Wissenschaftler untersuchten in zahlreichen Studien menschliche Stärken im Hinblick auf Arbeitsleistung und andere Endpunkte. Neben der „Positivität“ legten sie zu Beginn des Forschungsprozesses engmaschige Einschlusskriterien für POB-Konzepte fest (vgl. Luthans et al. 2004b: 9 f.). Hiernach müssen POB-Konzepte theoriegeleitet, evidenzbasiert, messbar und veränderbar sein (vgl. Luthans et al. 2004: 46 f.). Diese Kriterien sollen einen hohen wissenschaftlichen Standard für die POB-Forschung sichern. Sie ermöglichen zudem eine klare Abgrenzung zu unwissenschaftlichen (Positivselbsthilfe-)Büchern und subjektiven Erfahrungsberichten, die nach der „positiven Wende“ in der Psychologie ab den 1990er-Jahren den Büchermarkt fluteten (vgl. Luthans et al. 2007: 12; Luthans et al. 2004b: 12).
Als Ergebnis langjähriger empirischer Forschung im POB-Feld extrahierten Luthans und Kollegen die positiven psychologischen Kapazitäten Hoffnung, Optimismus, Resilienz und Selbstwirksamkeit24. Diese vier Komponenten erfüllten alle der zuvor genannten Kriterien. Sie bilden zusammengefasst das Konstrukt des Psychologischen Kapitals (PsyCap). PsyCap wird deshalb auch als übergeordnetes POB-Kernkonstrukt bezeichnet (Luthans et al. 2007b: 19). In der POB-Disziplin sind Theoriebildung, Forschung sowie die Entwicklung von Interventionen zur PsyCap-Stärkung verortet (vgl. Luthans et al. 2004b: 10).
Die Relevanz von PsyCap als Positiv-Konzept im organisationalen Kontext ergibt sich primär aus dem hohen Erfüllungsgrad der genannten POB-Kriterien. Hierdurch wird das Potenzial von PsyCap als Unternehmensressource und als vielversprechender Ansatz der Personalentwicklung deutlich (vgl. Reinhardt 2013: 7). Das POB-Kriterium der Veränderbarkeit wird in Bezug zum PsyCap-Konstrukt im nachfolgenden Passus tiefergehend behandelt.
3.6 Das Prinzip der Veränderbarkeit
Die bereits angeklungene Veränderbarkeit im Bedeutungsrahmen positiver Entwicklung („open for development)“ ist als konstituierendes Merkmal von PsyCap aufzufassen. Letztlich verleiht erst diese Eigenschaft dem Konstrukt seine Glaubwürdigkeit und Funktionalität als „Kapital“. Dynamisierbarkeit und die Möglichkeit (intrapersonaler) PsyCap-Akkumulation machen das Konstrukt einzigartig und stellen die konzeptionelle Verbindung zu anderen Kapitalformen her (vgl. Luthans et al. 2004: 48 f.). Ebenso, wie Humankapital durch das Erlernen neuer berufsfeldrelevanter Fähigkeiten akkumuliert werden kann, ist PsyCap über entsprechende PsyCap-Interventionen entwickelbar (vgl. Luthans et al. 2004: 48; Luthans et al. 2007b: 13 ff.). Die folgenden Ausführungen illustrieren die wissenschaftlichen Zusammenhänge dieser Eigenschaft.
In der Persönlichkeits- und Differenziellen Psychologie wird zwischen Traits und States unterschieden (vgl. Amelang et al. 2006: 127). Dieser Differenzierung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Menschen zwar einerseits über eine langfristig stabile und einzigartige Persönlichkeit verfügen, sich andererseits je nach Situation jedoch unterschiedlich verhalten (vgl. Kredding/Karimi: 2013: 138).
Traits bezeichnen stabile Verhaltensdispositionen, die konsistent und weitestgehend situationsunabhängig auftreten. States hingegen sind definiert als zeit- und situationsabhängige Unterschiede im intrapersonellen Verhalten (vgl. Amelang et al. 2006: 127). Exemplarisch für Traits seien hier die Merkmale Gewissenhaftigkeit und Extraversion angeführt (vgl. Kredding/Karimi: 2013: 139). Unter States sind hingegen Gefühlszustände wie Freude oder Lust zu verstehen (vgl. Mayering 2009: 588).
Während Traits über einen mittel- bis langfristigen Zeitraum hinweg Bestand haben und unmittelbar kaum beeinflussbar sind, können States als „Zustand“ zeitlich stark variieren und situativ beeinflusst werden. States gelten somit im Gegensatz zu Traits nicht als Teil der Persönlichkeit eines Menschen (vgl. Kredding/Karimi: 2013: 138)25.
Aus betrieblicher Sicht sind Traits wie bspw. Gewissenhaftigkeit ausdrücklich im Hinblick auf die Auswahl von Personal beachtenswert. Aufgrund ihrer hohen Stabilität - verbunden mit geringem Veränderungspotenzial durch „Außen“ - erscheint eine Konzentration auf diese Merkmale aus Personalentwicklungs-perspektive jedoch nur bedingt sinnvoll. Theoretisch ist eine langfristige Entwicklung von Traits zwar denkbar, aus Gründen der geringen Effizienz sowie hohen Kostenrisiken praktisch aber vernachlässigbar (vgl. Luthans et al. 2007b: 13 ff.).
Luthans et al. lösen sich von der dichotomen Unterscheidung von Traits und States. Sie orientieren sich stattdessen an einem Kontinuum, das neben den Extremausprägungen Traits und States diverse Zwischenzuordnungen ermöglicht. Luthans et al. (2007: 544 f.) unterteilen dieses Kontinuum in die vier „Zonen“ State, State-like, Trait-like sowie Trait und ordnen interessierende menschliche Merkmale je nach ihrer Beschaffenheit in diese ein. Die nachfolgende Grafik illustriert das viergliedrige Kontinuum.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: State-Trait-Kontinuum
(eigene Abbildung nach Luthans 2007b: 14 f.)
PsyCap wird von den Autoren der „Zone“ State-like zugeordnet. State-like-Merkmale sind formbar und somit offen für Veränderungen. Gleichzeitig haben sie dennoch situationsübergreifend Bestand. Als weitere Beispiele für State-like-Merkmale der POB-Forschung benennen die Autoren Dankbarkeit, Vergebung oder Courage.26 Die Definition von PsyCap als State-like-Merkmal erfolgt nicht willkürlich, sondern aufgrund zahlreicher empirischer Befunde der psychologischen Forschung (vgl. Luthans et al. 2007: 544).27
Zusammengefasst bietet PsyCap aufgrund seiner State-like-Beschaffenheit, im Gegensatz zu Traits wie Gewissenhaftigkeit, hohe Potenziale für die systematische Personalentwicklung im organisationalen Rahmen.
Neben der generellen Entwickelbarkeit stellt sich im Rahmen dieser Forschungsarbeit die Frage der PsyCap-bezogenen Funktion der Führungskraft im Mitarbeiter-Führungskraft-Verhältnis. Die Entwicklung von PsyCap auf Stationsleitungsebene wäre als besonders erfolgsversprechend anzusehen, wenn eine Transformierung der Stärkungseffekte auf die Ebene der pflegerischen Mitarbeiter erfolgen würde. Eine empirische Untersuchung aus dem Jahr 2010 konnte diese Interaktion zwischen Vorgesetzten-PsyCap und Mitarbeiter-PsyCap nachweisen28. Die Studie wies darüber hinaus auf einen positiven Zusammenhang zwischen Vorgesetzten-PsyCap und der Arbeitsleistung der Mitarbeiter hin. Das Mitarbeiter-PsyCap nahm in diesem Prozess eine mediierende Funktion ein (vgl. Malumbwa et al. 2010 937 ff.). Diese Erkenntnisse legen, trotz eher schwacher Evidenz, nahe, dass das PsyCap-Level der Stationsleitung Einfluss auf ihre Mitarbeiter nehmen kann. Theoretisch-normativ betrachtet erscheint dies plausibel, da die Stationsleitung eine Vorbildfunktion gegenüber ihren Mitarbeitern einnimmt und sie diese auf bewusster und unbewusster Ebene beeinflusst (vgl. Abschnitt 1.4.1; 1.4.2; 3.7.1). Reinhardt (2013: 11 f.) konstatiert hierzu, dass Führungskräfte in der PsyCap-Entwicklung ihrer Mitarbeiter eine prägende Rolle einnehmen.
Hieraus kann abgeleitet werden, dass Stationsleitungen eine besonders geeignete Zielgruppe für PsyCap-Stärkungsmaßnahmen im klinisch-pflegerischen Setting darstellen.
Wie bereits zentral in der angeführten Definition nach Luthans et al. (2007b: 3) enthalten, setzt sich PsyCap aus den PsyCap-Dimensionen Selbstwirksamkeit, Hoffnung, Optimismus und Resilienz zusammen (vgl. Abschnitt 3.3). Zu jeder einzelnen Dimension liegt in unterschiedlichem Umfang entsprechende Theoriebildung und empirische Forschung vor.
Die vier PsyCap-Dimensionen werden im folgenden Passus einzeln vorgestellt und hinsichtlich ihrer Bedeutung, psychologischen Funktionsweise und Relevanz im Kontext Arbeit kurz umrissen. Zum Ende jedes der vier Abschnitte werden Antezedenzien, das heißt Bedingungen zur Entstehung und Entwicklung von Selbstwirksamkeit, Optimismus, Hoffnung und Resilienz zusammengefasst. Auf praktische Möglichkeiten der PsyCap-Stärkung im Krankenhaus wird zugunsten von Kapitel sechs nur oberflächlich eingegangen. Auf die Darlegung von Zusammenhängen zwischen den einzelnen PsyCap-Merkmalen und arbeitskontextrelevanten Endpunkten wird mit Verweis auf Kapitel vier gleichfalls weitestgehend verzichtet.
3.7 Die vier PsyCap-Dimensionen
3.7.1 Selbstwirksamkeit
Das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung oder kurz Selbstwirksamkeit (Self-Efficacy) wurde erstmalig 1977 vom Psychologen Albert Bandura erforscht und beschrieben (vgl. Reinhardt 2013: 36; Ruholl 2007: 3). Bandura (1977: 193) definiert Selbstwirksamkeitserwartung als Überzeugung einer Person, ein bestimmtes Verhalten erfolgreich ausführen zu können, das zum Erzielen bestimmter Ergebnisse notwendig ist29. Selbstwirksamkeit übersetzt eine personelle Kapazität in eine Handlung. Zum Beispiel könnte diese eine Idee (Kapazität) in die Verbalisierung dieser Idee (Handlung) überführen. Selbstwirksamkeit bildet somit die Vorbedingung für die tatsächliche Realisierung eines Verhaltens (vgl. Luthans et al. 2007b: 33). Mit positiver Selbstwirksamkeit sind häufig positive Emotionen, wie etwa Zuversicht verbunden (vgl. Reinhardt 2013 36 f.).
Eine Person mit hoch ausgeprägter Selbstwirksamkeit glaubt an sich selbst und weiß, dass sie erfolgreich sein kann (vgl. Luthans et al. 2007b: 33). Sie setzt sich anspruchsvolle Ziele, nimmt Herausforderungen an und entfaltet ihre Fähigkeiten anhand dieser. Ferner ist sie aus sich selbst heraus hoch motiviert, unternimmt nötige Anstrengungen um ihre Ziele zu erreichen und hält an diesen auch bei etwaigen Hürden oder Rückschlägen fest (vgl. Luthans et al. 2007b: 38).
Empirische Hinweise legen nahe, dass der individuelle Grad der Selbstwirksamkeit intrapersonell situativ, bspw. zwischen privatem und beruflichem Setting variiert. Gleichzeitig scheint es dennoch ein generelles Selbstwirksamkeits-Level zu geben, das interpersonell unterschiedlich hoch ist und situationsabhängig relativ stabil bleibt (vgl. Luthans et al. 2007b: 33).
Die im Rahmen des PsyCap-Konstruktes verwendete Auffassung von Selbstwirksamkeit basiert auf der sozial-kognitiven Lerntheorie von A. Bandura (vgl. Luthans et al. 2007b: 43). Diese in den 1970er-Jahren entstandene Forschungsrichtung befasst sich mit Fragen des menschlichen Verhaltens. Im Besonderen sind soziale Einflüsse und Beziehungen im Hinblick auf Lernprozesse sowie humane Selbststeuerungsmechanismen (Kognitionen) Gegenstand der Forschung. Die sozial-kognitive Lerntheorie gründet auf Erkenntnissen und Annahmen des Behaviorismus, stellt jedoch eine eigenständige sozialpsychologische Disziplin dar (vgl. Fuchs 2005: 40).
Für das Konzept der Selbstwirksamkeit gelten die gleichen Grundannahmen wie für den gesamten Bereich der sozial-kognitiven Lerntheorie. Das Individuum kann nach diesem Menschenbild selbst Einfluss auf sein Leben nehmen, es handelt situationsspezifisch, kann sich entwickeln und unterliegt selbstreflexiven Prozessen (vgl. Fuchs 2005: 40). Erfolgreiches menschliches Handeln entsteht, der sozial-kognitiven Lerntheorie nach, aus einem interaktiven Prozess, der sich aus Verhalten, Persönlichkeitsfaktoren und Umwelteinflüssen zusammensetzt (vgl. Pachner 2009: 23). Insbesondere die Betonung der entwicklungsfähigen Selbstbestimmtheit und eben nicht die Rolle des Menschen als passives „Opfer“ eines Reizes oder seiner Kindheit lässt auf deutliche paradigmatische Gemeinsamkeiten zum Menschenbild der Positiven Psychologie schließen (vgl. Abschnitt 3.4).
Der Entstehung von Selbstwirksamkeit liegen die fünf (bisher identifizierten) kognitiven Prozesse Symbolisierung, Selbstregulation, Selbstreflektion, Modelllernen und Vorausdenken zugrunde (vgl. Luthans et al. 2007b: 39). Eine nähere Betrachtung der Entstehung von Selbstwirksamkeit erscheint vornehmlich im Hinblick auf eine extern beeinflusste Stärkung dieses Merkmals sinnvoll.
Der viergliedrige Prozess der Symbolisierung (symbolizing) beschreibt die Fähigkeit, aus Erfahrungen interne Modelle zu erschaffen (Maddux/Gosselin 2012: 198). In den ersten zwei Prozessschritten verarbeitet das Individuum Erlebnisse und wandelt diese in sogenannte Symbole um. Die einzelnen innerlich angelegten Symbole fügen sich in im dritten Schritt als Bausteine zu übergeordneten kognitiven Modellen zusammen. Diese Modelle bestimmen viertens unsere Bewertung der Umwelt und weiterführend ebenso unsere Handlungen (vgl. Knobbe 2000: 32). Zusammengefasst betrachtet beinhaltet der psychisch-hirnphysiologische Vorgang der Symbolisierung die folgenden Schritte: (1) Erfahrung, (2) Symbole, (3) Modelle und (4) Handlungen (vgl. Knobbe 2000: 32). Im Arbeitskontext bedeutet die Fähigkeit zur Symbolisierung die Möglichkeit der Erstellung eines eigenen erfolgsrelevanten „Fahrplans“ für zukünftige Handlungen auf Basis von Erfahrungen (vgl. Luthans et al. 2007b: 39).
Selbstregulation (self-regulation) meint, dass Menschen eine mittel- bis langfristig relativ konstante Moralität besitzen. Diese ist vom Individuum erlernt und akzeptiert. Sie dient als Bewertungsmaßstab für äußere Einflüsse (vgl. Knobbe 2000: 33). Im beruflichen Rahmen wird über diesen Mechanismus zum Beispiel die selbst wahrgenommene Arbeitsleistung mit den internalisierten Ansprüchen an eben diese abgeglichen (vgl. Luthans et al. 2007b: 40). Es entsteht eine Art Selbst-Feedback, aus dem unter Umständen eine Anpassung des aktuellen Verhaltens resultiert. Äußere Impulse mit dem Ziel einer Verhaltensbeeinflussung, bspw. ausgehend von einer Führungskraft, setzen häufig an der Selbstwahrnehmung (self-awareness) des Individuums und somit den internen Bewertungsstandards an. Diese sollen beeinflusst werden, damit der Mitarbeiter über den Mechanismus der Selbstregulation wiederum sein Verhalten anpasst (vgl. Luthans et al. 2007b: 40).
Die Fähigkeit zur Selbstreflexion (self-reflection) beschreibt die nach heutigem Stand exklusiv menschliche Fähigkeit, Erlebtes zu analysieren und über kognitive Prozesse nachdenken zu können. Das eigene Denken kann über diesen Weg bewertet und zukünftig angepasst werden (vgl. Pachner 2009: 25). Über Selbstreflexion kann das Individuum im beruflichen Setting aus Erfolgen und Rückschlägen, beides im Sinne von vergangenen Erfahrungen, lernen. So kann die Art mit ähnlichen Aufgaben umzugehen modifiziert und die Erfolgswahrscheinlichkeit des zukünftigen Handelns gesteigert werden (vgl. Luthans et al. 2007b: 40).
Über Modellbildung oder Modelllernen (modeling) werden Regeln aus dem beobachteten Verhalten anderer Menschen extrahiert und adaptiert (vgl. Knobbe 2000: 34). Lernprozesse vollziehen sich nach dem modeling-Ansatz in einem erheblichen Umfang durch das Beobachten und Imitieren anderer Menschen. Neue beobachtete Verhaltensweisen anderer werden - falls sich für das Individuum eine Situation ergibt, in der eben dieses Verhalten gefragt ist - reproduziert. Als Voraussetzung zur Aneignung dieses neuen Verhaltens sind kognitive Prozesse wie Aufmerksamkeit und Gedächtnis nötig. Die beobachtbare Nachbildungsphase des neuen Verhaltens setzt sich aus der motorischen Ausführung sowie aus Verstärkungs- und Motivationsprozessen zusammen (vgl. Maltby et al. 2011: 164 f.). Im beruflichen Setting dient dem Individuum das Verhalten von Arbeitskollegen und Vorgesetzten sowie vordringlich die Wirkung dieses Verhaltens als Lernmodell (vgl. Luthans et al. 2007b: 40). Dieses Faktum unterstreicht die Relevanz des Vorgesetztenverhaltens, nicht nur im Hinblick auf Selbstwirksamkeit, sondern auf PsyCap insgesamt (vgl. Abschnitt 3.6).
Dem Prozess des Vorausdenkens (forethought) liegt die Erkenntnis zugrunde, dass das Individuum in Lernsituationen die Konsequenzen vorangegangenen Verhaltens erinnert. Mögliche zukünftige Entwicklungen werden so, über die aktuelle Situation hinaus, auf Basis von Vorerfahrungen antizipiert. Dieser Mechanismus beeinflusst das Verhalten in der aktuellen Situation und gleichfalls die hiermit verbundenen Lernprozesse für zukünftige ähnliche Situationen (vgl. Maltby et al. 2011: 164). Im Arbeitskontext schafft dieser Mechanismus zum Beispiel die Möglichkeit, auf Basis von entsprechender Vorerfahrung Aufgaben so auszuführen, dass eine bestimmte Wirkung erreicht wird (vgl. Luthans et al. 2007b: 39). Als Wirkung könnte der Mitarbeiter etwa die Anerkennung durch den direkten Vorgesetzten oder einen anderen positiven Reiz erwarten.
Alle der genannten kognitiven Prozesse beeinflussen die Ausprägung der individuellen Selbstwirksamkeit. Entsprechende Stärkungsvorhaben müssen diese Prozesse berücksichtigen bzw. vornehmlich an ihnen ansetzen. Luthans et al. (2007b: 40 f.) führen Erfolgserlebnisse als primäre Schlüsselfaktoren zur Steigerung von Selbstwirksamkeit an. Erlebte Erfolge beeinflussen die Selbstwirksamkeit des Individuums und umgekehrt gilt selbiges. Es handelt sich hierbei um einen selbstverstärkenden Kreislauf. Erfolgserlebnisse können in Unternehmen bspw. durch die Zerlegung von betrieblichen (Fern-)Zielen in greifbare realistische Teilziele ermöglicht werden. Dieser Vorgang wird auch als „Stepping“ bezeichnet. Alle der fünf skizzierten Prozesse unterliegen darüber hinaus der chronologischen Entwicklung und erfordern Zeiträume zur Reflektion, zum Lernen und zum Ausprobieren neuer Denk- und Verhaltensweisen. Hierfür sind ihrerseits entsprechende innerbetriebliche Strukturen, Prozesse und Führungskonstellationen notwendig (vgl. Luthans et al. 2007b: 40 ff.).
[...]
1 Die Bezeichnung „Stationsleitung“ schließt in der gesamten Thesis alle Positionen des klinisch-pflegerischen Lower Managements ein (vgl. Abschnitt 1.3.2). Ebenfalls sind sinngemäß entsprechende Stellvertretungen inkludiert.
2 Hiermit ist die historische Entwicklung des Klinikwesens der BRD gemeint.
3 Im Kern handelt es sich bei NPM um einen betriebswirtschaftlich ausgerichteten Reformvorgang innerhalb des öffentlichen Sektors. Dieser nahm in den frühen 1990er-Jahren seinen Anfang (vgl. Geisler 2009: 3).
4 In diesem Zusammenhang gilt es Trägerform- und Rechtsformwechsel zu unterscheiden. Hier ist ausschließlich der Trägerformwechsel gemeint (vgl. Prütz 2010: 15).
5 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für alle Geschlechter.
6 Hiermit ist die jeweilige Station oder Funktionseinheit gemeint.
7 Im Bereich der Kommunikation könnte die Stationsleitung etwa mit Lob, Anerkennung oder Wertschätzung arbeiten. Mit Blick auf die Stationsorganisation könnte sie zum Beispiel entfremdende Pflegesysteme, wie die Funktionspflege vermeiden, oder zumindest abschwächen.
8 Eine allgemeingültige Definition der Begrifflichkeit Burnout existiert nicht. In der psychologischen Forschung werden unter dem Begriff verschiedene Phänomene emotionaler Erschöpfung im Beruf zusammengefasst (vgl. Scherrmann 2015: 8).
9 Als Mediatorvariable werden in der Psychologie Variablen bezeichnet, die in einem Kausalgefüge eine vermittelnde Funktion zwischen zwei Variablen einnehmen (vgl. Wirzt 2018).
10 Andere arbeitspsychologische Konzepte, wie das Coping-Modell, verwenden in diesem Kontext Begriffe wie „personale Ressourcen“ (vgl. Spisak/Picca 2017: 29). Die Bedeutung und Funktionsweise wird hier als analog gewertet.
11 Dieser Terminus beschreibt einzigartige Eigenschaften einer Person, die zu charakteristischen Verhaltensmustern führen (vgl. Wiesner/Kulovits: 24f.).
12 Im Sinne dieses Ansatzes wird ein zu erklärendes Ereignis über allgemeine und besondere Sätze erklärt. Es wird vom Allgemeinen auf das Spezielle geschlossen (vgl. Tausendpfund 2018: 26).
13 Mit Empowerment ist wörtlich übersetzt die Stärkung von Autonomie und Selbstbestimmung gemeint. Empowerment beschreibt einen Entwicklungsprozess, in dem Menschen im Hinblick auf die Entfaltung ihrer eigenen Stärken unterstützt werden. Dieses „Erstarken“ hilft ihnen wiederum dabei, ein besseres Leben zu führen oder in einzelnen Sphären des Lebens, wie dem Beruf, erfolgreich zu sein (vgl. Herriger 2006: 13).
14 Fischbach und Wollenberg (2007: 40) merken kritisch an, dass „Kapital“ in der Ökonomie einen Sammelbegriff darstellt, für den eine Fülle von Definitionen bestehen.
15 Schmeissner (2010: 16 ff.) weist allerdings darauf hin, dass keine einheitliche Definition des Begriffes Humankapital besteht.
16 Anders formuliert determiniert nach Bourdieu (1982: 196 ff.) die individuelle Ausprägung bzw. die Menge des Kapitals einer Einzelperson deren Status im sozialen Raum.
17 Unter kulturellem Kapital fasst Bourdieu durch Lernen erworbene Bildung, die Art und Weise der Erziehung, die Verfügbarkeit von kulturrelevanten Gütern (wie z.B. Bildern oder Büchern) sowie (schulische) Titel zusammen (vgl. Bourdieu 1982: 416 ff.).
18 In diesem Kontext ist anzumerken, dass bereits frühere psychologische Publikationen, wie etwa Arbeiten von V. Frankl 1946; M. Jahoda 1958; E. Erikson 1963; A. Maslow 1962; C. Rogers 1961 gedankliche Anknüpfungspunkte der Positiven Psychologie bilden (vgl. Cahmen/Metz 2018: 40).
19 Selbst in eher experimentellen Disziplinen wie der kognitiven Psychologie herrschte nach dem zweiten Weltkrieg diese Ausrichtung vor (vgl. Collin et al. 2012: 200).
20 Der Begriff beschreibt die Festigung von pessimistischen Grundhaltungen, z. B. bei Depressionen (Collin et al. 2012: 200). Erlernte Hilflosigkeit beschreibt einen psychischen Zustand, der oftmals durch die Erwartung entsteht, dass Ereignisse nicht kontrollierbar sind (vgl. Brandenburg 2014: 5).
21 Im wissenschaftlichen Diskurs bestehen gegenüber der Positiven Psychologie aufgrund ihrer explizit positiven Ausrichtung auch kritische Stimmen. Mayring (2012: 45 ff.) bspw. nimmt in einem Journal-Beitrag vor dem Hintergrund ideologietypischer Merkmale Stellung zu der Disziplin. Er attestiert ihr aufgrund unzulässiger Vereinfachungen, Dichotomisierungen, Sendungsbewusstsein und Ausschließlichkeitsanspruch Tendenzen einer Ideologie (Mayring 2012: 45 ff.)
22 Das Salutogenese-Modell erklärt, warum Menschen trotz extremer Belastungen gesund bleiben können. Im Zentrum des Modells steht der Sence of Coherence (SOC), welcher die Grund-einstellung eines Menschen gegenüber seinem Leben repräsentiert. Der SOC setzt sich aus den Komponenten der Gefühle von Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit zusammen (vgl. Diegelmann 2013: 33).
23 Das Menschenbild der Positiven Psychologie gilt es im Rahmen der eigenen empirischen Arbeit zu berücksichtigen und den Forschungs- sowie den PsyCap-Entwicklungsprozess hierauf auszurichten (vgl. Kapitel 5 und 6). Konkret gelten für das Unterfangen demnach Grundsätze der Partizipation, Transparenz, Stärkenorientierung und Gesundheitsförderung. Die Positive Psychologie sowie die Salutogenese bilden die latenten paradigmatischen Bezugspunkte der Untersuchung.
24 Andere personelle Merkmale wie subjektives Wohlbefinden und emotionale Intelligenz sind ebenfalls Gegenstand der POB-Forschung, jedoch nicht Bestandteil des PsyCap-Konstrukts (vgl. Luthans 2002b: 8).
25 Kritisch anzumerken ist, dass die Trennung von Traits und States theoretisch besteht, diese empirisch jedoch häufig nur schwer realisierbar ist (vgl. Amelang et al. 2006: 127).
26 Als Beispiel für Trait-like-Merkmale seien hier die Merkmale Zähigkeit (Toughness) und Perfektionismus angeführt (vgl. Laborde et al. 2013: 2).
27 Neben eigenen Befunden greifen Luthans et al. (2007: 543 ff.) z. B. auf Studien von A. Bandura (Selbstwirksamkeit), C. R. Snyder (Hoffnung), M. F. Scheier und C. S. Carver (Optimismus) sowie A. S. Masten und M. G. J. Reed (Resilienz) zurück.
28 Das Sample umfasste 264 Polizeibeamte und deren 79 Vorgesetzte (vgl. Malumbwa et al. 2010 937 ff.). Für das Setting „Pflege“ konnten keine derartigen Studien identifiziert werden.
29 Luthans et al. (2007b: 38) weisen darauf hin, dass der Begriff Selbstvertrauen (Confidence) in der Positiven Psychologie allgemein, und dies im Unterschied zu anderen Theorien und Ansätzen, synonym zu Selbstwirksamkeit verwendet wird.
- Arbeit zitieren
- David Gößwein (Autor:in), 2020, Das Psychologische Kapital bei Pflegekräften. Welche Maßnahmen stärken Selbstwirksamkeit, Optimismus, Hoffnung und Resilienz von Stationsleitungen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/520585
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